Der Name Caesar steht heute für zwei langjährige Prozesse von epochaler Bedeutung, für die der Diktator zwar den Anstoß gab, die aber nicht sein Verdienst sind: Die Kalenderreform und die Romanisierung Mitteleuropas. Der Rest ist Legende, Ergebnis geschickter Selbstinszenierung und Eigendarstellung, augusteischer Propaganda und senatorischer Kritik. Caesar war römischer Beamter, was er tat, tat er in dieser Funktion. Als Oberpriester oblag ihm die Sorge für den Kalender, und in dieser Eigenschaft führte er dann mit dem 1. Januar 45 v. Chr. auch das Sonnenjahr ein. Die Verwirrungen im republikanischen Kalender störten die jährliche Bestimmung der Magistrate und waren somit ein Unsicherheitsfaktor im Staat des Diktators Caesar. Das neue Jahr wurde um zehn Tage auf 365 verlängert und die noch bestehende Differenz zum Sonnenjahr durch Doppelzählung des 24. Februar alle vier Jahre ausgeglichen. Der neue Kalender wurde von dem ägyptischen Mathematiker Sosigenes errechnet, doch er trägt den Familiennamen Caesars und regelt, ergänzt um die winzige Korrektur des Papstes Gregor im Jahre 1582, noch immer den Alltag eines Großteils der Menschheit.
Als Statthalter der Gallia Cisalpina in Oberitalien eroberte Caesar das freie Gallien und verband dabei private Interessen, die Mehrung seiner dignitas, seines gesellschaftlichen Ansehens also, mit staatlichen. Caesar verschob die Staatsgrenzen nach Norden und Westen, arrondierte das Eroberte durch Vorstöße an den Rhein und machte den Fluss zur Völkerscheide zwischen Kelten und Germanen. Seine Feldzüge erschlossen dem römischen Handel ein großes Territorium mit wirtschaftlich interessanten Exportgütern. Die Dezimierung der Bevölkerung (mehr durch Hunger als durch das Schwert), der Kollaps aller politischen Strukturen und der Aufstieg neuer, von Rom begünstigter Eliten bereitete die Romanisierung Galliens und Mitteleuropas vor, die heute als Grundstein eines einheitlichen Europas betrachtet wird. Insofern der Abriss des alten Gebäudes dem Neubau vorangehen muss, lässt sich hier ein Verdienst Caesars reklamieren.
Caesar zeichneten zwei Dinge aus: kompromissloses Machtdenken und die Fähigkeit zur genialen Selbstdarstellung. Erst die Verknüpfung beider verhalf ihm zu der welthistorischen Rolle, die ihm die Nachwelt zusprach. Der Nimbus Caesar beruht nicht zuletzt darauf, dass er oft aus der Position des Unterlegenen handelte, ja gelegentlich sich aus scheinbar aussichtsloser Lage befreien musste. Das war bereits zu Beginn seiner Laufbahn so, als er mit Mühe der Verfolgung des Diktators Sulla entkam; es setzte sich fort in den siebziger Jahren, als er sich lange Wochen in der Gefangenschaft kleinasiatischer Seeräuber befand. Als politischer Neuling stand er im Prozess gegen die Catilinarier der Mehrheit der Senatoren und Ritter gegenüber, legte aber ungeachtet einer Abstimmungsniederlage mit seinem Auftreten den Grundstein für eine rasche Karriere. Als Außenseiter ging er in die Wahlen zum Pontifex maximus und zum Konsulat, als Gewinner ging er aus beiden hervor. Im Gallischen wie im Bürgerkrieg stand er oft einem überlegenem Feind gegenüber. Allein Schnelligkeit, Feldherrngenie, später auch Erfahrung retteten ihn aus der numerischen Unterlegenheit. Caesars Stern erlosch erst, als er – Diktator auf Lebenszeit – keine Gegner mehr hatte. Was sein Leben spannend macht, ist, dass er jede seiner Schlachten, die politischen wie die militärischen, auch hätte verlieren können, und dies doch erst in der allerletzten, an den Iden des März 44, geschah.
Ihren Höhepunkt erreichte Caesars Karriere am 20. März des Jahres 44. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit fünf Tagen tot, aber niemals zuvor und niemals später, bis in die Ära Mussolinis, besaß er in Rom so wenig Feinde und so viele Freunde. Das Wunder gelang dem Mitkonsul Marcus Antonius. Nach der Verlesung des Testaments, in dem Caesar jedem Bürger der Stadt 300 Sesterzen vermachte, hielt Antonius im Angesicht des aufgebahrten Toten auf dem Forum jene Rede, die zu den größten der Weltgeschichte gehört. Um eine Vorstellung von ihr zu geben, bedurfte es eines Shakespeares. Als das Volk danach die Leiche auf das Kapitol trug, um den Ermordeten unter die Götter einzureihen, war Caesars Unsterblichkeit gesichert. Augustus’ Leben war erfolg- und folgenreicher, Caesars spannender.
Kaiserzeit und Spätantike
Mit der Erhebung unter die Götter führte Caesars Weg bei den Menschen bergab. Der erste, der sich – noch vorsichtig – von ihm distanzierte, war der frühere Volkstribun und spätere Historiker Sallust, der seinen Aufstieg zu temporärer Macht allein Caesar verdankte. Im Jahre 42 v. Chr. erschien sein Buch über die Catilinarische Verschwörung des Jahres 63, und der längst vergessene Staatsputsch wurde ihm zum Anlass, eine Versöhnung der seit den Bürgerkriegen gespaltenen römischen Gesellschaft zu propagieren. Caesar darf hier noch seine große Rolle spielen, doch aus dem Schatten der Niederlage tritt schon sein stetiger Widersacher Cato, der Selbstmörder von Utica, und macht ihm die Gunst der Nachwelt streitig, die Cato spätestens in Lucans (39–65 n. Chr.) Versepos über den Bürgerkrieg erringen konnte. Caesar wird bei Lucan zum skrupellosen Verbrecher, der „vom thessalischen Blutbad“1, d. h. vom Sieg über Pompeius bei Pharsalos, besudelt ist.
Octavius, der spätere Princeps Augustus, der seit seiner Adoption Caesars Namen trug, gründete seinen Aufstieg auf diese Verwandtschaft, begann aber schon bald nach seinem Sieg über Antonius, sich von der Politik des Vaters zu entfernen. Von Caesar blieb bald nur noch der Name. Er vererbte sich als Teil der Kaisertitulatur, und bis in die Zeit Konstantins trugen Thronerben oder „Unterkaiser“ diesen Namen. Er verschwand danach, lebte aber seit dem 9. Jahrhundert als eines der ältesten Lehnwörter des Germanischen aus der lateinischen Sprache wieder auf. Caesar, griechisch Kaisar, mutierte zu Kaiser (mittelhochdeutsch: keiser, althochdeutsch: keisur, keisar).
Ein kurzfristiges Interesse für Caesar entwickelte sich unter den Adoptivkaisern im 2. nachchristlichen Jahrhundert. Die Daker- und Partherkriege Trajans riefen den Gallischen Krieg wieder ins Bewusstsein. Sueton und Plutarch schrieben die Biographien, die Caesars Bild in der Neuzeit konstituierten. Gleichzeitig eröffneten sie den Blick auf die Privatperson, den Caesars eigene Schriften geradezu verstellt hatten.
Dem Verdrängen in der frühen Kaiserzeit folgte nach dieser kurzen Renaissance das Vergessen in der Spätantike. Für das christliche Denken besaß Caesar keine Bedeutung. In seiner Geschichte gegen die Heiden (historiae adversus paganos), die der Presbyter Orosius 417/8 veröffentlichte, ist Caesar nicht mehr als eines der „abschreckenden Beispiele“ des heidnischen Hochmuts, freilich auch das letzte, denn danach wird Christus als „Lehrer der Demut“ geboren.2
Das Mittelalter bezog seine Vorstellungen über eben jenen Orosius oder die Kurzvita des spätantiken Historikers Eutropius, die wichtige Biographie Plutarchs existierte nur noch in Byzanz und kam erst im 15. Jahrhundert wieder in den Westen. Caesars lateinische Commentarii hätten gelesen werden können, sie interessierten aber schon in der römischen Kaiserzeit wenig. Was über den Gallischen Krieg geschrieben wurde, beruhte schon damals meist auf sekundären Quellen. Obwohl (oder auch weil) das Wissen um Caesar gering war, stieg er zum Archegeten mittelalterlichen Königs- und Kaiserverständnisses auf. Ende des 11. Jahrhunderts ging er als Weltherrscher in das Annolied3 ein. Caesar war dem deutschen Mittelalter aber mehr Name als Person. Einen neuen Weg wies in der romanischen Literatur am ehesten Petrarca (1304–1374). Nach dem Vorgang Dantes, der Caesar als militärischen Führer rühmt, zeichnet er innerhalb seiner Sammelbiographie De viris illustribus (nach 1353) auch ein Bild Caesars als historische Persönlichkeit.
Erstmals kommen mit Petrarca Caesars Commentarii aus der Versenkung, in der sie seit Jahrhunderten verschwunden waren. Kein antiker Autor maß ihnen die Bedeutung bei, die sie in der Moderne besitzen. Im 5. Jahrhundert hielt Orosius (und nicht nur er) den Biographen Sueton für den Verfasser des „Gallischen Krieges“.
1469 erschien in Rom die erste gedruckte Ausgabe der Commentarii. Melanchthon lobte Caesars Sprachkunst und Erasmus von Rotterdam empfahl ihn gar für die Schule. Der Durchbruch dort gelang allerdings erst viel später, nämlich im 19. Jahrhundert, als Caesars Werk zur meistgelesenen altsprachigen Schullektüre wurde, für viele der Einstieg in die Antike.
Caesar behauptete seinen Ruhm seit der Renaissance aber auch abseits seiner Schriften. Er verdankt ihn in besonderem Maße Plutarch, dessen Viten im 16. Jahrhundert übersetzt wurden und das Interesse namentlich an der untergehenden römischen Republik stark beförderten. 1559 erschien die französische Übertragung von J. Amyot, darauf basierend 1579 die englische von Th. North. Nun war die Basis gelegt für die große Bearbeitung des Stoffes durch Shakespeare, dessen entheroisierter Julius Caesar (daneben Brutus und Antonius) 1598/99 erschien. M. E. de Montaigne las die Commentarii und würdigte Caesar in seinen Essays (1580–1595) ebenso wie F. Bacon. Die Dramenbearbeitungen nahmen im 17. und 18. Jahrhundert u. a. mit Adaptionen von Corneille, Voltaire und J. J. Bodmer ihren Fortgang; F. Händel komponierte 1724 seine Oper Julius Caesar. Mit Rousseau wurde erneut der alte Gegensatz zwischen Caesar und Cato (bzw. Brutus) zum Kampf zwischen Freiheit und Tyrannei stilisiert, während J. G. Herder aus dem Geist der Zeit in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) das Leiden der Besiegten betonte. Ch. M. Wieland, der Caesar aus seinen Übersetzungen der Dramen Shakespeares und der Briefe Ciceros kannte, sah in Caesar den Machtpolitiker. Bei ihm spielte bereits das Napoleon-Erlebnis eine Rolle.
Caesars neuzeitlicher Nachruhm erreichte schließlich in den knapp eineinhalb Jahrhunderten, die zwischen den Epochen zweier Machtpolitiker jeweils eigener Art liegen, zwischen Napoleon und Hitler, seinen Höhepunkt. Mit dem Aufstieg Napoleons I. prägte dessen Wirken auch das Bild Caesars. Es wurde unmöglich, über Caesar zu schreiben, ohne ihn mit Napoleon, selbst ein Bewunderer des Römers, zu vergleichen. Für G. W. F. Hegel erfüllte (wie schon für Montesquieu) Caesar eine welthistorische Aufgabe, nämlich die gewaltsame Abwicklung der zum Untergang verurteilten Republik (Berliner Vorlesungen 1822–1831). Mehr Legitimität konnte Caesar für sein Handeln nicht attestiert werden. Was Caesar tat und wollte, besaß für Hegel „die höhere Berechtigung des Weltgeistes für sich und muss[te] den Sieg davontragen“.
Aus Th. Mommsens Römischer Geschichte ragt als einzige Person turmhoch die Gestalt Caesars, vor der alle Konkurrenten und Gegner, vom Autor bewusst bagatellisiert, klein werden. Bekannt ist das Verdikt über Cicero als den Mann „ohne Einsicht, Ansicht und Absicht“. Caesar erscheint als der Baumeister einer fernen Geschichte, als der Mann, dem es zu danken ist, „dass Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist“. Caesars Werk habe Jahrtausende überdauert, sein Bau stehe für das aufrecht, „was wir Ewigkeit nennen“4.
In den postum veröffentlichten Historischen Fragmenten des Schweizer Kulturphilosophen J. Burckhardt findet sich noch ein Halbsatz, der von Caesar „als dem Größten der Sterblichen“ spricht. Wenn der Autor Caesar damit überragende Bedeutung beimessen wollte, so wurde dies freilich schon in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen konterkariert, in denen die Größe großer Männer eine Relativierung erfuhr.
Zwei Diktatoren
Der Tag, der zum großen Einschnitt in Caesars Nachruhm werden sollte, war der 30. Januar 1933. Neue Diktatoren fordern den Vergleich mit alten heraus. H. Strasburger, der große deutsche Althistoriker, begegnete nach dem Erlebnis des Zweiten Weltkrieges dem vorher – als „wissenschaftlicher Knirps“ – noch bewunderten Caesar mit deutlicher Skepsis. „Wer einmal bei den Spänen war, als Männer, die Geschichte machen, hobelten“, der sieht auch die andere Seite der Herrschaft Caesars.
Für Bertolt Brecht brauchte es die Erfahrung des Krieges nicht. Noch 1937 begann er im Pariser Exil seinen Roman über Caesar. Brecht suchte in der Diktatur Caesars Erklärungen für die Hitlers. Sein Interesse galt nicht allein der Person Caesar, sondern mehr noch den Verhältnissen, unter denen dieser Macht gewinnen konnte. Der Autor hält Abstand zu seinem Helden, er will ihn nur beobachten, kein Urteil über seinen Charakter fällen. Ihm genügt es nicht, die Vorzeichen zu vertauschen und sogenannte große Männer zu enttarnen. Caesar bedeutete ihm durchaus einen relativen Fortschritt: Der Legionär wurde durch die Pax Romana, die der Eroberung Galliens folgte, vom Händler abgelöst.
Der Dichter und Exulant Joseph Roth brachte auf eine knappe Formel, was Caesar gegenüber anderen Machthabern auszeichnete: „Caesar war der letzte Diktator, der seine Muttersprache beherrschte“, heißt es im Tagebuch des Schriftstellers von 1937. Tatsächlich verstand es kein Staatsmann, sich in seinen Schriften auf einem so hohen Niveau zu inszenieren wie Caesar. Das ist sein bleibendes Verdienst.5