»Das Grauen! Das Grauen!« Das sind in Joseph Conrads Erzählung »Herz der Finsternis« die letzten Worte des Schurken Kurtz. Dies ist der Moment, in dem Kurtz bewusst wird, welche Gräuel er den Eingeborenen des Kongos angetan hat. Sie dienen auch als Warnung: Seid euch der Finsternis in unser aller Herzen bewusst.
Conrad griff bei der Erzählung (erschienen 1899) auf seine Erfahrungen als Kapitän eines Dampfschiffs auf dem Kongo zurück, wo er Zeuge der Brutalität des Kolonialregimes im Kongo-Freistaat wurde, das er als »übelste Form der Raffgier, die je das Gewissen der Menschheit besudelt hat«, bezeichnete. Binnen zehn Jahren wurden über zehn Millionen Kongolesen getötet. In den Worten des britischen Forschers Ewart Grogan: »Jedes einzelne Dorf wurde niedergebrannt, und als ich aus dem Land floh, sah ich überall Skelette herumliegen – in den bizarrsten Haltungen. Was für Geschichten des Grauens sie erzählten!« 5
Wie kam es zu diesen Grausamkeiten?
Tragischerweise waren sie eine Folge des Fortschritts von Medizin und Technik. Die Entdeckung des Malariamedikaments Chinin zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts machte den Kontinent allgemein zugänglich. Portugiesische und arabische Sklavenhändler hatten den Kongo schon vorher ausgeplündert, doch mit der Möglichkeit, Malaria zu behandeln, kam die Kolonisierung durch Europa in Schwung. Die Franzosen sicherten sich den Nordteil des Kongos, während der belgische König Leopold II . mit juristisch fragwürdigen Verträgen zweieinhalb Millionen Quadratkilometer im Süden für sich reklamierte, ungefähr ein Drittel der Fläche der Vereinigten Staaten.
Dann erfand der schottische Tierarzt John Boyd Dunlop den Luftreifen. Damit löste er eine Jagd nach Kautschuk aus, von dem ein großer Teil im Kongo gewonnen wurde. Auf einmal war es äußerst gewinnbringend, die kongolesischen Dorfbewohner auszubeuten und zu versklaven. König Leopold setzte für jedes Dorf Quoten für Kautschuk und Elfenbein fest. Wer sie nicht erfüllte, dem wurde eine Hand abgehackt. In kurzer Zeit wurden menschliche Hände sowie abgeschnittene Ohren, Nasen, Genitalien und sogar Köpfe im Freistaat Kongo zu einer Art Währung. Belgische Offiziere übten zudem Terror gegen die Bevölkerung aus, dazu gehörten Kreuzigungen und das Erhängen von Männern, Frauen und Kindern. 6
Über all diese Grausamkeiten wurde über ein Jahrzehnt lang nicht berichtet, bis schließlich die Hälfte der Bevölkerung abgeschlachtet worden oder verhungert war. Conrads »Herz der Finsternis« machte die Gräuel erstmals publik, doch es ist Missionaren und vor allem William Henry Sheppard, Amerikaner und Mitglied der Presbyterianer, zu verdanken, dass die Welt von dem wahren Grauen erfuhr, das die Kongolesen während seines Missionseinsatzes in der Region erdulden mussten. 7
Diese Grausamkeiten waren jedoch nicht das ganze »Grauen«, dessen Zeuge Reverend Sheppard in dieser blutigen Zeit wurde. Ein weiterer Bericht Sheppards wurde unter Gebeinen begraben. Darin geht es um Landkarten, Altertümer und Mythen eines weiteren schwarzen, christlichen Patriarchen.
Nur wenigen ist diese Geschichte bekannt.
Das ändert sich jetzt.