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Lateinamerika: Maya, Inka und Azteken
In diesem Kapitel
Die alten mittelamerikanischen Kulturen
Die Maya – die Spezialisten für Kalender
Die blutigen Opferrituale der Azteken
Der Untergang einer Hochkultur: Die Inka und die Spanier
Lange vor Ankunft der Europäer in Mittel- und Südamerika war der Kontinent schon von Menschen besiedelt. Die Völker dort hatten im Laufe ihrer Entwicklung komplexe Gesellschaften, große Städte und ihre ganz eigene Kultur entwickelt. Sie besänftigten ihre Götter mit blutigen Opferritualen, berechneten den Lauf der Planeten, entwickelten einen genauen Kalender und führten siegreiche Eroberungsfeldzüge gegen benachbarte Völker. Diese ganze hoch entwickelte Kultur wurde abrupt in ihrer Entwicklung unterbrochen, als die Spanier im frühen 16. Jahrhundert in Südamerika ankamen, alle Völker des Kontinentes unterwarfen und die Kultur der Inka und Azteken zerstörten.
Mexiko und die angrenzenden Regionen Mittelamerikas sind die historischen Orte einer Reihe bedeutender, aufeinanderfolgender Kulturen. Die wichtigsten Völker und Zivilisationen waren:
Zapoteken: 500 v. Chr. bis 700 n. Chr.
Teotihuacan: 150 v. Chr. bis 750 n. Chr.
All diese Kulturen außer den Maya bildeten eine Gruppe mit Namen Nahua; die Maya sprachen Maya, alle anderen Völker verständigten sich in der Sprache Nahuatl. Sie hatten vieles gemeinsam, unter anderem ein sehr kompliziertes kalendarisches System. Viele ihrer Götter tauchen auch in den Mythologien der jeweils anderen Kulturen auf.
Die andere bis heute sehr bekannte Zivilisation lateinamerikanischer Indios war dagegen nicht in Mittelamerika beheimatet. Das Volk der Inka lebte relativ isoliert von den Kulturen Mittelamerikas. Ihr Siedlungsgebiet befand sich im Westen Südamerikas entlang der Andenkette, etwa dort, wo heute Chile liegt. Das Reich der Inka dauerte von 1428 bis 1532.
Die Historiker schöpfen ihr Wissen über die Indios Lateinamerikas aus einer Reihe von Quellen: aus Inschriften, die in einer eigenen hieroglyphenartigen Sprache verfasst waren, oder anderen schriftlichen Zeugnissen der Maya, aus Dokumenten, die die spanischen Eroberer nach der Unterwerfung der Inka und der anderen neuen und für sie unbekannten Kulturen verfasst haben, aus der Beobachtung der heute lebenden Nachfahren der Inka sowie aus archäologischen Funden. Die mythischen Geschichten der Azteken und besonders der Inka veranschaulichen, wie die Mythologie für das tägliche Leben der Menschen und für das Leben eines Reiches insgesamt von Bedeutung sein kann. Beide großen Kulturen gingen in gewissem Sinne zugrunde, weil die Menschen an die Götter glaubten. (Dazu später mehr.)
Fußabdrücke eines verlorenen Volkes: Die alten Kulturen
Mittelamerika hat in dreitausend Jahren vor der Unterwerfung durch die Europäer viele Kulturen und Zivilisationen kommen und gehen sehen. Heutzutage kennen wir fast nur noch die Maya, Inka und Azteken, hauptsächlich, weil diese Völker noch nicht so alt sind und Teile ihrer Kultur bis heute bei ihren Nachfahren überlebt haben. Außerdem haben sie die spektakulärsten Baudenkmäler hinterlassen. Weniger bekannt ist, dass ihre Vorgänger ebenfalls eine hoch entwickelte Kultur besaßen. Die Olmeken, Tolteken und andere Zivilisationen hatten ein ausgeklügeltes System von Gottheiten und religiösen Ritualen, das von Generation zu Generation und von Kultur zu Kultur weitergegeben wurde. So kam es, dass die uns zeitlich recht nahe stehenden Azteken Götter verehrten, die schon seit Tausenden von Jahren bekannt waren. Die Stadt Teotihuacan war die Heimat einer großen Kultur, die seit ihrem Untergang den nachfolgenden Generationen ein lehrreicher Anschauungsgegenstand gewesen sein muss. Sowohl die heutigen Archäologen als auch die Azteken bestaunten diese Stadt.
Die Olmeken wurden früher als die Mutterkultur Mittelamerikas bezeichnet. Dieser Ausdruck ist zwar ein wenig unüblich geworden – dennoch waren die Olmeken eine wichtige treibende Kraft der kulturellen Entwicklung des Kontinentes. Die Kultur der Olmeken entwickelte sich an der mexikanischen Golfküste um das Jahr 1500 v. Chr. und dauerte bis etwa 400 v. Chr.
Die Olmeken etablierten einen Staat und eine Religion für alle Bewohner ihres Herrschaftsgebietes. Berühmte archäologische Ausgrabungsstätten findet man in San Lorenzo, wo es Steinköpfe mit besonders wulstigen Lippen und die Opferstätte La Venta gibt. Vielleicht hatten die Olmeken sogar schon einen eigenen Kalender wie spätere Kulturen auch; das weiß man allerdings nicht so genau.
Der Regengott war die wichtigste Gottheit der Olmeken. Dieser Gott hatte die Züge eines Ungeheuers und sein Gesicht war halb Mensch, halb Jaguar. Auf in Stein gemeißelten Bildnissen sieht er aus wie eine Mischung aus Jaguar und Kleinkind. Diese und andere Gottheiten tauchen später auch bei anderen Kulturen auf.
Teotihuacan war eine Stadt, die in der Nähe des heutigen Mexiko-Stadt lag. Sie ist die erste bedeutende städtische Siedlung auf dem amerikanischen Kontinent. Auf ihrem Höhepunkt hatte sie etwa die Größe Roms, mit dem Unterschied, dass sie eine längere Blüteperiode erlebte, nämlich von etwa 150 v. Chr. bis zum Jahre 750 n. Chr. Auch den Azteken war diese Stadt bekannt. Sie nannten sie den »Ort der Götter«.
Der Stadtplan wurde nach den Bewegungen der Sterne und der Lage der nahe gelegenen Berge gestaltet und ausgerichtet. Die Straße der Toten (der Name stammt von den Azteken) ist genau nach Norden ausgerichtet, macht einen Knick in östliche Richtung und zeigt auf einen heiligen Berg. Die Hauptstraße auf der Ost-West-Achse der Stadt liegt auf einer Linie mit den Pleiaden, einem Sternenhaufen, der für den mittelamerikanischen Kalender von großer Bedeutung ist. In der Stadt gab es riesige Pyramiden; unter einer von ihnen befindet sich eine Höhle, die vermutlich für geheime Rituale genutzt wurde. Archäologen haben Skelette mehrerer Krieger mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen gefunden, die Halsketten aus menschlichen Schädeln trugen. Vielleicht Menschenopfer?
Die Einheimischen verehrten den Sturmgott. Man findet Malereien dieses Gottes, der mit Insektenaugen, großen Eckzähnen und mit seinem Attribut, dem Blitz, dargestellt wird, überall in der Gegend. Die Menschen glaubten, dass er die Kraft besäße, im Sommer Regen auf die Erde prasseln zu lassen und so für eine sichere Ernte (an Mais, Bohnen, Kürbis, Paprika und Getreide, den Hauptnahrungsmitteln der Indios) zu sorgen. Er war außerdem ein Kriegsgott. Auf anderen Darstellungen nämlich sieht man ihn im Krieg oder bei Menschenopferritualen, zum Beispiel bei einer Prozession von Kriegern, die Messer tragen, auf denen Menschenherzen aufgespießt sind. Der Gegenpol des Sturmgottes war eine Göttin, die hilfreich, aber auch wild und grimmig sein konnte.
Außer dem, was uns durch Ausgrabungen bekannt ist, haben wir keine weitergehenden Informationen über die Menschen dieser Kultur. Niemand weiß, woher sie ursprünglich kamen, wie genau ihre Gesellschaft funktionierte, welche Sprache sie gesprochen haben oder warum sie schließlich verschwanden. Wir wissen aber, dass ihre Kultur großen Einfluss auf die nachkommenden ausgeübt hat. Viele Bildnisse und andere Charakteristika ihrer Kultur begegnen uns bei späteren Völkern Mittelamerikas wieder.
Die Tolteken lebten zwischen 900 und 1180 n. Chr. in Zentralmexiko. Angeblich plünderten sie die Stadt Teotihuacan um das Jahr 900. Das Reich der Tolteken bestand aus mehreren kleineren Staaten, die zu einem Reich zusammengeschlossen wurden. Sie wurden wegen ihres militärischen Könnens gefürchtet. Topiltzin, der König der Tolteken, führte den Kult von Quetzalcoatl, der gefiederten Schlange, ein. Topiltzin nannte sich selbst auch Quetzalcoatl. Bei den Tolteken waren die militärischen Ränge nach Tieren benannt – Kojote, Jaguar, Adler und so weiter. Die Maya griffen diese Angewohnheit später wieder auf. Im zwölften Jahrhundert wurden die Tolteken selbst von einem angreifenden Heer besiegt, das aus Mexikas bestand, die später als Azteken berühmt wurden.
Quetzalcoatl war groß, stark und besaß helle Haare (blond oder hellbraun). Sein Gesicht war mit Ruß bedeckt und auf seinem Rücken trug er einen Quetzal-Vogel. Mitunter erschien er auch als der Windgott Ehecatl.
Topiltzin und das Unglück der Azteken
In der Vorstellung der Tolteken kam es einst zwischen Quetzalcoatl und dem Gott der Nacht namens Tezcatlipoca zu einem Streit. Tezcatlipoca liebte blutige Menschenopfer; Quetzalcoatl dagegen bevorzugte weniger grausame Opfergegenstände wie etwa Jade oder Schmetterlinge. Quetzalcoatl verlor den Kampf, floh an den Golf von Mexiko und verbrannte sich dort schließlich selbst auf einem Scheiterhaufen. Er wurde als Planet Venus wiedergeboren, der auch als Morgen- beziehungsweise Abendstern bekannt ist.
In einer anderen Fassung der Geschichte segelte der toltekische Priesterkönig Topiltzin über den Golf von Mexiko davon und versprach vor seiner Abfahrt, er würde eines Tages aus der Richtung der aufgehenden Sonne wiederkommen. Die Azteken verklärten Topiltzin zu einem Gott und machten ihn zum Schutzpatron der Priester und Handwerker und verliehen ihm außerdem die Ehre, der Erfinder des Kalenders zu sein. Die Azteken bestimmten als Jahr seiner Wiederkunft das Jahr 1519. Wie der Zufall so spielt, war dies auch das Jahr, in dem Hernán Cortés mit seinen Männern auf der Yukatán-Halbinsel an Land ging. Cortés war leider schlau genug, sich diesen mythologischen Vorteil zunutze zu machen, der ihm ohne eigenen Verdienst in den Schoß gefallen war. (Siehe auch den Abschnitt Montezuma und der Untergang des Reiches weiter unten.)
Obwohl es auch heute noch Maya-Indianer gibt, so verbinden wir den Namen dieses Volkes doch hauptsächlich mit der untergegangenen Kultur der alten Maya. Während ihrer Blütezeit von 250 bis 900 n. Chr. war die Kultur der Maya eine der bemerkenswertesten Zivilisationen in Zentralamerika. Ihr Reich erstreckte sich von Guatemala über Mexiko, Honduras und Belize bis zur Halbinsel von Yukatán. Die Herrscher der Maya glaubten, sie seien die direkten Nachfahren der Sonne. Die Gesellschaft der Maya war hoch spezialisiert; neben Bauern gab es Handwerker, Priester und Gelehrte. Es gab in ihrem Reich mehrere regionale Hauptstädte. Die wichtigsten waren Tikal, Cobá und Copán.
Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung haben vielleicht zwei Millionen Maya-Indianer auf dem Gebiet des heutigen Guatemala gelebt. Nach dem Jahre 900 verminderte sich die Zahl der Maya aus ungeklärten Gründen rapide. Obwohl das Volk der Maya auch weiterhin existierte, so lag ihre Kultur zum Zeitpunkt der Ankunft der ersten Spanier doch schon sehr darnieder. Sie waren keine große Zivilisation mehr; stattdessen lebten sie in kleinen Bauerndörfern und übten die Religion ihrer Vorfahren aus.
Die Maya errichteten gewaltige Steintempel und Pyramiden und waren exzellente Gold- und Kupferschmiede. Das meiste von ihrer Kultur wissen wir aufgrund der hervorragend erhaltenen Steingravierungen, die von hohem künstlerischem Sachverstand zeugen. Die in Stein gehauenen Inschriften und Szenen aus ihrem Leben und ihrer Mythologie zierten ihre Häuser und Tempel.
Lange Zeit glaubten die Forscher, die Maya-Kultur sei eine friedfertige Kultur gewesen, die sich auf bäuerliche Tätigkeiten und eine tägliche Routine friedlicher Handlungen beschränkte. In jüngster Zeit hat sich dieses Bild ein wenig geändert. Texte der Maya sprechen von siegreichen Schlachten und listen gefangen genommene feindliche Krieger auf, von denen manche später geopfert wurden. Die Städte der Maya besaßen Befestigungsanlagen und Wassergräben, die nicht unbedingt von einer friedliebenden Agrargesellschaft zeugen.
Wichtige Bestandteile und Praktiken bei den religiösen Ritualen der Maya waren die Folter und Opferung von Menschen. Nach ihren Vorstellungen drohte das Ende der Welt, wenn man die Götter nicht regelmäßig mit Menschenblut versöhnlich stimmte. Auch die Herrscher der Maya waren nicht davon ausgenommen, sondern mussten von Zeit zu Zeit auch ihr eigenes Blut opfern.
Die unterbrochene Erschaffung des Menschen
Die Maya schrieben ihre Schöpfungsgeschichte zusammen mit anderen mythologischen Texten in einem Buch namens Popol Vuh nieder.
Dieser Geschichte zufolge brauchten die Götter ziemlich lange, um den Menschen zu erschaffen. Ihr erster Versuch gefiel ihnen jedoch überhaupt nicht, sodass sie eine Sintflut über die Erde kommen ließen, die alles fortspülte. Die überlebenden Menschen wurden in Affen verwandelt. Bevor die Götter zu einem zweiten Versuch ansetzen konnten, betrat eine Art hochstaplerischer Gott mit Namen Vucub-Caquix die Bühne. Er behauptete, die Sonne und der Mond zu sein. Die Götter wussten, dass sie die Menschen erst dann würden erschaffen können, wenn er weg wäre. Die Zwillingsgötter Hunapú (der Gott der Jagd) und Ixbalanqué (Kleiner Jaguar) übernahmen diese Aufgabe.
Diese beiden Götter kamen auf seltsame Art in die Welt. Ihr Vater wurde einst in die Unterwelt gelockt, um mit den dortigen Bewohnern – den Xibalba – Ball zu spielen. Er unterlag und verlor damit nicht nur das Spiel, sondern auch seinen Kopf, den die Xibalba als warnendes Beispiel für andere, sich ja nicht mit ihnen einzulassen, an einen Kalebassenbaum hingen. Auf wundersame Weise trug dieser Baum bald Früchte. Eine junge Frau wollte ihn sich ansehen und unterhielt sich eine Weile mit dem dort hängenden Schädel. Der Kopf spuckte in ihre Hand; die Frau wurde daraufhin schwanger und gebar später die Zwillingsgötter Hunapú und Ixbalanqué.
Die Zwillinge wussten, dass Vucub-Caquix zu einem bestimmten Obstbaum kommen würde, um von seinen Früchten zu essen. Sie versteckten sich also in seiner Nähe. Als Vucub-Caquix erschien, schossen die beiden einen Pfeil auf ihn ab. Das Ungeheuer riss Hunapú einen Arm ab und rannte mit ihm fort. Die Zwillinge konnten eine alte Frau und einen alten Mann dazu bewegen, ihnen bei der Wiederbeschaffung des Armes zu helfen. Die alten Leute fanden Vucub-Caquix und boten ihm ihre Hilfe an. Das Ungeheuer sagte, seine Augen und Zähne täten ihm weh. Das alte Paar riss Vucub-Caquix kurzerhand seine Zähne und die beiden Augäpfel heraus. Danach nahmen sie ihm Hunapús Arm weg und brachten ihn wieder an dessen Körper an.
Da sie nun das Ungeheuer besiegt hatten, beschlossen sie, in einem Aufwasch auch den Mord an ihrem Vater zu rächen. Sie gingen in die Unterwelt, wo die Xibalba sie verschiedenen Prüfungen unterwarfen. Die Zwillinge gewannen ein Ballspiel gegen sie und überlebten Nächte im Haus der Messer, dem Haus der Kälte, dem Haus der Jaguare und auch noch im Haus des Feuers. Im Haus der Fledermäuse verließ sie aber ihr Glück. Hunapú verlor seinen Kopf, der dann von den Xibalba als Trophäe dort aufgehängt wurde, wo sie Ball gespielt hatten. Das Ganze war aber keine echte Tragödie, da sich eine nette Schildkröte bereit erklärte, ihren Kopf als Ersatzkopf zur Verfügung zu stellen.
Es kam zu einem weiteren Ballspiel. Ein besonderer Plan sollte dabei den Zwillingen zum Sieg verhelfen: Sie warfen einen Ball ganz ans Ende des Spielfeldes. Ein Kaninchen rannte hinter ihm her. Während die Xibalba es wie rasend verfolgten, stahl Ixbalanqué den Kopf seines Bruders und setzte ihn ihm wieder auf (was auch die Schildkröte erleichtert zur Kenntnis nahm). Das Spiel endete unentschieden.
Die Xibalba hatten nun langsam die Faxen dicke von ihren Gegnern, ließen ein Freudenfeuer auflodern und schlugen vor, dass sie alle über die Flammen hinwegfliegen sollten. Da die Zwillinge ja wussten, dass sie unsterblich waren, machten sie mir nichts dir nichts einen Satz und sprangen mitten in die Flammen. Fünf Tage später erstanden sie wieder von den Toten auf und statteten ihren Feinden als Fischer verkleidet einen Besuch ab. Sie führten ein interessantes Schauspiel auf, bei dem sie sich selbst in Stücke schnitten und anschließend wieder zusammensetzten. Denselben Trick wollten sie auch an den Führern der Xibalba ausprobieren, nur dass sie sie, nachdem sie sie zerteilt hatten, nicht wieder zusammensetzten. Daraufhin ergaben sich die übrigen Xibalba. Die Brüder bestraften sie unter anderem damit, dass sie ihnen verboten, in Zukunft jemals wieder Ball zu spielen.
Nun erst konnten sich die Götter wieder ans Werk machen und die Erschaffung des Menschen zu Ende bringen. Die Katze (oder der Jaguar), der Kojote, der Papagei und die Krähe sammelten Mais zusammen, die besondere Nahrung für die Menschen. Seither gilt den Indios der Mais als unverzichtbares Nahrungsmittel.
Doppelte Vierfaltigkeit: Die Maya-Götter und ihre Aufgaben
Die Maya besaßen eine verblüffend vielfältige Ansammlung von Gottheiten. Ihr Götterhimmel war ziemlich komplex – die meisten Götter kamen in vier unterschiedlichen Gestalten vor, für jede Himmelrichtung eine – und hatten oft auch ein doppeltes Wesen: jung und alt, männlich und weiblich und so weiter. Eine Gottheit zweifelsfrei zu bestimmen, ist recht schwierig, da die Malerei der Maya sehr wandelbar ist und auch die Beschreibungen der Europäer voneinander abweichen. Im Folgenden eine Liste mit den bekanntesten Göttern:
Itzamná: Der Schöpfer und Schutzheilige des Wissens
Cizin: Der Gott des Todes. Er herrschte über die Unterwelt.
Ah Kin: Er war die Sonne; vielleicht war er auch eine andere Gestalt von Itzamná. Am Himmel war er nur die Sonne, die für Wärme oder eben auch Dürre sorgte. In der Unterwelt war er ein Jaguar. Der Sonnengott stand im Mittelpunkt der Welt, wie sie sich die Maya vorstellten. Herrscher behaupteten, direkt von ihm abzustammen. Sie wollten so ihre Macht über die anderen legitimieren.
Ix Chel: Sie war die Mondgöttin und die Gattin von Ah Kin oder Itzamná. Ihr Aufgabengebiet war die Weberei, die Weissagung, die Geburt und die Medizin.
Venus: Ein gefährlicher Gott, besonders wenn er in der Frühe am Himmel als Morgenstern aufging.
Die Götter des Getreides und des Regens sowie die Schutzgötter der Berufsstände und sozialen Gruppen waren alle ein Teil der Kultur der Maya. Alle Gottheiten zusammen kümmerten sich um die Angelegenheiten der Menschen.
Die reptilische Kosmologie: Die Welt, in der sie lebten
Die Maya betrachteten das Universum als ein geschlossenes Ganzes, in dem alles mit allem zusammenhing – die himmlischen Sphären, die Erde, die Unterwelt und alles darin. Die Gottheiten der Maya und viele untergeordnete Geistwesen hatten alle ihren zugewiesenen Platz in der Ordnung des Universums, auch wenn sie sich ständig bewegten und herumreisten.
In der Vorstellung der Maya war das Universum in drei Hauptebenen unterteilt – die Mittelwelt (die Erde) wurde als Fläche mit vier Ecken gedacht, in denen Bäume standen, die den darüber liegenden Himmel trugen. Jedes Viertel der Welt hatte eine bestimmte Farbe und seine eigenen ihm zugewiesenen Gottheiten. Die Überwelt (der Götter-Himmel) besaß dreizehn Ebenen. Das Firmament war ein zweiköpfiger Drache, dessen Leib die Symbole der Sonne, des Mondes, des Planeten Venus und der Sterne trug. Die Erde war der Rücken einer gewaltigen Echse, die in einem Teich umhertrieb. Die Menschen betraten die Unterwelt durch den Mund der Eidechse. Die Unterwelt besaß insgesamt neun Ebenen.
Die Zeit war in der Vorstellung der Maya von zentraler Bedeutung. Für sie war die Zeit etwas, was sich in Kreisläufen bewegte, anders als für uns heute, die wir die Zeit eher als etwas Lineares, gleichförmig in nur eine Richtung Ablaufendes begreifen. Die Maya hatten die Vorstellung, dass Ereignisse, die an bestimmte kalendarische Punkte gebunden waren, so auch in der Zukunft zum selben Zeitpunkt erneut geschehen konnten. Man konnte also die Zukunft aufgrund der Vergangenheit vorhersagen.
Der grundlegende Kalender der Maya, der sogenannte Heilige Almanach, hatte 260 Tage. Dieser Kalender diente als Grundlage für die Berechnung des Zeitpunktes religiöser Feste sowie für bestimmte Voraussagen. Die 260 Tage waren unterteilt in Einheiten von 20 Tagen; jeder dieser Einheiten war eine Gottheit zugeordnet. Der Kreislauf von insgesamt 260 scheint von keinem bestimmten natürlichen Phänomen abgeleitet worden zu sein. Für die Maya waren die Zahlen 20 und 13 von besonderer Bedeutung. Das Produkt der beiden Zahlen ergibt genau 260. Dieser Heilige Almanach ist die älteste bekannte Form des mittelamerikanischen Kalenders. Seit etwa 500 v. Chr. war er bei allen Kulturen der Region in der einen oder anderen Form in Verwendung.
Die Maya kannten aber noch einen anderen Kalender, der sich an dem Sonnenjahr orientierte. Er hatte 18 Monate mit jeweils 20 Tagen plus fünf weiteren Tagen, um genau auf die Zahl 365 zu kommen. (Das Schaltjahr war den Maya unbekannt.) Jeder Monat hatte eine ihm zugeteilte Gottheit, die den Lauf der Dinge und die Menschen beeinflusste. Wir nennen diesen Kalender den Sonnenkalender.
Der heilige Kalender und der Sonnenkalender wurden gleichzeitig verwendet. Wenn die Schreiber der Maya Daten aufzeichneten, so schrieben sie entweder das Datum nach dem heiligen Kalender auf oder nach beiden Kalendersystemen. Zu keiner Zeit notierten sie das Datum nur nach dem Sonnenkalender. Verband man die beiden Kalender, so ergab sich ein Zyklus von 52 Jahren.
Die Maya entwickelten ein hervorragendes Schriftsystem, das sie in die Lage versetzte, so gut wie alles in schriftlicher Form mitzuteilen. Es bestand aus einer Kombination phonetischer Symbole und piktografischer Zeichen und ist vergleichbar mit dem altägyptischen oder dem modernen japanischen Schriftsystem. Die Maya schrieben auf Papier, das sie aus der Rinde des Feigenbaums gewannen. Sie schrieben sicher Tausende von Büchern, von denen aber heute nur noch vier existieren. Eines der ersten Dinge, das die Spanier nach der Unterwerfung der Maya taten, war nämlich, deren schriftliche Zeugnisse zu zerstören, da sie erkannt hatten, dass bei den Maya die Schrift ein wesentlicher Bestandteil der Religion und des sozialen Zusammenhalts war. Sie dachten sich, dass die christliche Missionierung erfolgversprechender sein würde, wenn man die Indios vorher ihrer eigenen kulturellen Identität beraubte.
Das Schriftsystem der Maya wurde erst im 20. Jahrhundert entziffert. Als die Experten für präkolumbianische Kultur diesen Schlüssel erst einmal in Händen hielten, vermehrte sich unser Wissen über die Religion und Mythologie der Maya schlagartig. In ihren schriftlichen Hinterlassenschaften fand man aber auch Informationen über ihr mathematisches und astronomisches Wissen. Sie erstellten Tabellen mit der genauen Lage von Planeten (etwa der Venus) oder des Mondes und konnten selbst Sonnenfinsternisse vorhersagen.
Der Name Azteken leitet sich vom Wort Aztlán ab, das so viel wie »weißes Land« bedeutet und auf das Hochtal im Norden Mexikos hindeutet, dem Ort also, von dem die Azteken wohl ursprünglich herstammten. Die Vorfahren der Azteken, die sich selbst »Mexika« nannten, waren ursprünglich vermutlich Jäger und Sammler in den Hochebenen Nord-Mexikos und zogen dann weiter Richtung Süden, etwa zur selben Zeit, als die Kultur der Tolteken im späten zwölften Jahrhundert zusammenbrach. Zu jener Zeit gab es bei den Tolteken eine Phase des sozialen, politischen und religiösen Umbruchs, der sie anfällig machte für feindliche Angriffe benachbarter Völker. Die Azteken schlossen sich diesen Kämpfen an, als sie in das Gebiet der Tolteken kamen.
Das Reich der Azteken dauerte fast genau 200 Jahre. Im Jahre 1325 hatten sie die Hauptstadt ihres Reiches gegründet, die Stadt Tenochtitlán. Sie verbündeten sich mit einigen ihrer Nachbarvölker und führten Kriege gegen andere. Als der Spanier Hernán Cortés mit seinen Soldaten 1519 das Ende ihrer Kultur einläutete, gab es etwa sechs Millionen Azteken. Tenochtitlán war fast so groß wie das damalige London. Nur zwei Jahre später war ihre Zivilisation dank der »ruhmreichen« Spanier untergegangen.
Die Azteken und die Maya glaubten, dass die jetzige Sonne die fünfte in einer Reihe von Sonnen ist. Die vorangehenden vier Sonnen und die Menschen, die unter ihr lebten, sind schon vor langer Zeit untergegangen. Die Menschen, die zur Zeit der ersten Sonne lebten, wurden von Ozelots aufgefressen. Die zweite Sonne war die Sonne der Luft; die Menschen jener Epoche verwandelten sich am Ende in Affen. Die Lebewesen unter der Sonne des Feuers starben alle aus bis auf die Vögel, die wegfliegen konnten. Während der Herrschaft der Sonne des Wassers wurden die Fische erschaffen; alles andere Leben aber ertrank in einer gewaltigen Flut. Nun, da die fünfte Sonne die Welt beherrscht, finden alle Elemente der Schöpfung zusammen. Es gibt allerdings keine Garantie dafür, dass die derzeitige Welt länger bestehen wird als die vorausgegangenen. Auch sie könnte jederzeit untergehen.
Götter für das Getreide, den Regen und die Opfer
Wie die Maya kannten auch die Azteken eine große Zahl an Gottheiten. Eine Reihe von ihnen war für den Bereich Ackerbau und Regen zuständig. Hier sind einige von ihnen:
Tezcatlipoca, der »Herr des rauchenden Spiegels«: Er war der Führer der im Götterhimmel vereinten Gottheiten. Die Azteken übernahmen ihn von den Tolteken. Die Tolteken glaubten, er hätte Quetzalcoatl verdorben, als er ihn betrunken machte. Die Azteken ließen ihn in verschiedenen Gestalten auftreten. Er wurde mit dem Krieg, dem Tod, der Dunkelheit, dem Königtum und der Zauberei in Verbindung gebracht. Sein Alter Ego (beziehungsweise Avatara, vergleiche Kapitel 18) war der Jaguar.
Huitzilopochtli, manchmal auch Kolibri des Südens genannt: Er war der aztekische Gott der Sonne und des Krieges. Er tritt nur bei den Azteken und sonst in keiner Mythologie anderer mittelamerikanischer Völker auf. Er half den Azteken dabei, den Ort für ihre Hauptstadt Tenochtitlán zu finden.
Tlaloc: Er war ein uralter Regengott und wurde überall in Mittelamerika verehrt. Ihm wurden die meisten Opfer dargebracht.
Chalchiuhtlicue: Sie war Tlalocs Frau. Man nannte sie die Dame des Jade-Rockes. Sie konnte Wirbelstürme entfachen und Menschen ertrinken lassen.
Die Tlaloques: Sie waren die Helfer von Tlaloc. Sie erzeugten den Donnerknall, indem sie mit ihren Wasserkrügen aufeinanderschlugen.
Xipe Totec: Er war der Gott des Frühlings, des Saatguts und der Aussaat. Er ist als der »gehäutete Gott« bekannt. Viele Statuen zeigen ihn in die Haut eines geopferten Menschen gehüllt. Seine Priester zogen den ihm zu Ehren geopferten Menschen die Haut ab und sich anschließend selbst über. (Hannibal Lektor bekäme beim Gedanken daran vor Wonne wahrscheinlich Tränen in die Augen; den Normalsterblichen wird dagegen wohl eher schlecht.) Dieses Ritual stellte eine direkte Verbindung her zwischen dem Menschenopfer und der Fruchtbarkeit der Erde, da sie ja dem Gott geopfert wurden, der den Frühling ins Land ziehen und die Nutzpflanzen wachsen ließ.
Ehecatl: Er war der Gott des Windes.
Krieg um das Land der Sonne: Die Kultur der Azteken
Die Azteken waren ein kriegerisches Volk. Sie schickten Armeen über das Land, unterwarfen die einheimische Bevölkerung und zwangen sie anschließend, Güter und Gefangene für die Opferzeremonien zu stellen. Die Krieger waren in der Gesellschaft der Azteken sehr angesehen und erfolgreich. Neben ihren kriegerischen Neigungen entwickelten die Azteken aber auch ein sehr ausgeklügeltes und effizientes Bewässerungssystem (das teilweise noch heute benutzt wird), das sie in die Lage versetzte, genug Nahrungsmittel für alle zu produzieren.
Das Fest des Kalenderkreislaufes
Die Religion der Azteken verband Elemente der meisten anderen Religionen der Völker in ihrem Einflussgebiet, insbesondere der Tolteken, der Olmeken und der Maya. Sie verwendeten außerdem dasselbe Kalendersystem wie die Maya und richteten ihre religiösen Rituale nach dem zweiundfünfzig Jahre währenden Zyklus der beiden Kalender der Maya aus.
Alle zweiundfünfzig Jahre veranstalteten die Menschen ein großes Fest anlässlich des Endes und des Beginns eines neuen großen kalendarischen Kreislaufes. Im ganzen Land wurden sämtliche Feuer gelöscht, alle Götterstatuen ins Wasser geworfen und alle Häuser gereinigt. Dann setzte man die Brust eines Gefangenen in Brand; schlugen die Flammen nicht hoch genug, so war dies ein Zeichen dafür, dass das Ende der Welt näher gerückt war. Die Männer sperrten alle Frauen und Kinder ein und setzten ihnen Masken auf. Die Kinder hielt man die ganze Nacht wach, da man befürchtete, dass sie sich sonst in Mäuse verwandelten.
Bei Sonnenaufgang waren alle erleichtert. Die Menschen stachen sich in ihre Ohren, um so Blut für das heilige Feuer zu gewinnen; sie zogen sich neue Kleider an, schmückten ihre Häuser und bereiteten Opfergaben vor. Zur Mittagszeit wurden weitere Gefangene grausam geopfert.
Blut für den Gott der Götter: Die Menschenopfer
Die Azteken waren der Ansicht, dass ihre Götter ihnen nur dann wohl gesonnen blieben, wenn sie ihnen das Kostbarste opferten, was sie besaßen – ihr Blut und ihr Leben (beziehungsweise das der gefangen genommenen armen Teufel). Sie dachten, sie wären das auserwählte Volk des Kriegsgottes Huitzilopochtli und es wäre ihre Mission, ihm Blut zu opfern, damit die Sonne nicht stehen bliebe. Huitzilopochtli war ein gieriger Gott. In einem Jahr opferten ihm die Priester nicht weniger als 20.000 Menschen!
Die Azteken opferten die Menschen, indem sie ihnen mit einem Feuerstein oder einem Obsidian das Herz herausschnitten (möglichst bei lebendigem Leib, damit das Blut so schön spritzte; die Götter mussten schließlich bei Laune gehalten werden). Sie verbrannten die Herzen und warfen die Leiche des Opfers auf das Abbild eines von Huitzilopochtli besiegten Feindes. Auch die Priester der Azteken opferten den Göttern ihr eigenes Blut. Sie zogen mit Dornen bewehrte Schnüre durch Löcher in ihrer Zunge (sozusagen ein altertümliches Extrem-Piercing; kein Wunder also, dass sie mit Gefangenen kein Mitleid hatten), was sicher sehr blutig und schmerzhaft gewesen sein muss.
Montezuma und der Untergang des Reiches
Als die Spanier unter Cortés nach ihrer Ankunft 1519 ihrer Kultur den Garaus machten, waren die Azteken mit dem Ausbau ihres Reiches noch nicht fertig. Montezuma, der Herrscher der Azteken zu jener Zeit, war zwar ein hervorragender und in vielen Schlachten siegreicher Führer, dennoch schien er einen Hang zum Fatalismus zu besitzen. Seine Astrologen hatten ihm eine unsichere Zukunft vorhergesagt; er wurde in seiner pessimistischen Grundeinstellung noch durch seine Annahme bestärkt, dass Topiltzin/Quetzalcoatl im Jahre 1519 in Form eines Mannes mit weißem Bart wiederkehren würde, der sich zum Führer über sein Reich aufschwingen würde (Cortés lässt grüßen).
Cortés nahm Montezuma gefangen, der nach einiger Zeit in der Gefangenschaft starb. Seinen Nachfolgern gelang es nicht, die Spanier niederzuringen. Im Jahre 1521 eroberten sie die Hauptstadt Tenochtitlán. Der Untergang der aztekischen Kultur war damit besiegelt.
Das Reich der Inka dauerte nur etwa einhundert Jahre. Es wurde durch die spanische Konquista im Jahre 1532 abrupt in seiner Entwicklung unterbrochen. In dieser kurzen Zeitspanne aber schafften es die Inka, ihr Reich über unglaubliche 4000 km entlang der Anden und des Pazifischen Ozeans von Ecuador bis weit hinunter ins heutige Chile auszudehnen. Die Inka begannen als relativ kleines Volk in Cuzco im heutigen Peru. Im Verlaufe ihrer Entwicklung aber erweiterten sie ihren Machtbereich auf ein Gebiet, in dem am Ende mehr als zwölf Millionen Menschen lebten, die aus vielleicht einhundert verschiedenen Kulturen kamen und viele verschiedene Sprachen sprachen.
Die Sonne, der Mond, die Sterne und die Menschen
Die Inka glaubten, dass wichtige Orte von einer besonderen spirituellen Kraft geprägt seien. Der höchste Punkt eines Gebirgspasses war zum Beispiel so ein Ort. Die Menschen hielten auf ihrer Reise an einer solchen Stelle an, um den in der jeweiligen Region verehrten Göttern kleine Opfergaben zu bereiten. Daneben gab es noch andere, sozusagen offiziellere Götter. Die Herrscher der Inka etwa leiteten ihre Herkunft vom Sonnengott ab, der einer ihrer wichtigsten Götter war.
Der Schöpfergott und die heiligen Vorfahren der Inka
Viracocha war der Name des Schöpfergottes der Inka. Er mischte sich kaum in das alltägliche Leben der Menschen ein, sondern überließ es niedriger gestellten Göttern, sich darum zu kümmern. Die Inka glaubten, dass er durch die Welt gereist wäre und den Menschen dabei beigebracht hätte, wie man lebt. Als die Spanier im Jahre 1532 in das Gebiet der Inka kamen, dachten diese, dass Viracocha zu einem weiteren Besuch bei den Menschen herabgestiegen sei.
Wie in sehr vielen anderen Schöpfungsgeschichten auch gefiel Viracocha das Ergebnis seines ersten Schöpfungsversuches überhaupt nicht. Er tötete alle Menschen bis auf ein Paar – wie in anderen Mythologien so auch hier durch eine Sintflut. Nachdem er einen zweiten Schwung Menschen, der seinen Vorstellungen eher entsprach, erschaffen hatte, schickte er sie hinaus in die Welt. Danach holte er die Sonne, den Mond und die Sterne von der Sonneninsel im Titicacasee, damit sie endlich einmal an die Arbeit gingen.
Der mythische Ursprung der Inka
Der Gott Viracocha gab dem Führer der Inka Manco Capac seinen Kopfschmuck und eine Streitaxt, die seinen Status als Herrscher unterstreichen sollten. Manco Capac gründete später die Stadt Cuzco. Die Inka errichteten ihren Sonnentempel an der gleichen Stelle, an der auch er gestanden hatte. Der König heiratete seine Schwester und begründete so die Inka-Dynastie. Den Inka-Herrschern diente dieser Mythos als Beweis ihrer göttlichen Herkunft.
Die Inka kannten zahlreiche Götter. Einige der wichtigsten waren:
Mama Kilya: Die Mondgöttin, die Frau Intis und Mutter des Inkavolkes. Sie bestimmte den Lauf der Zeit.
Ilyap’a: Der Regengott. Er schöpfte Wasser aus der Milchstraße, die in der Vorstellung der Inka ein über den Himmel fließender Fluss war. Seine Schwester bewahrte das Wasser in einem Krug auf, den Ilyap’a immer dann mit einem Blitz zerschmetterte, wenn etwas davon auf die Erde herabregnen sollte.
Cuicha: Er war der Gott des Regenbogens.
Der Himmel und seine an ihm zu beobachtenden Veränderungen waren für die Inka sehr wichtig. Ihre Götter bringen diese Bedeutung zum Ausdruck.
Kinder der Sonne: Die Kultur der Inka
Die Inka haben leider keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Ihre Bildungselite hatte alle wichtigen Informationen auswendig gelernt. Sie wurden mündlich an die folgenden Generationen weitergegeben. Die Spanier aber (die hier ausnahmsweise mal zu etwas nützlich waren) schrieben ihr Wissen über die neu »entdeckte« Kultur in langen Berichten nieder. So verfügen wir heute also doch über einigermaßen authentische zeitgenössische Dokumente über die alten Inka, aus denen wir uns heute ein Bild ihrer Kultur zusammensetzen können.
Es ist nicht leicht, ein Imperium zu verwalten
Es ist unmöglich, ein Reich aufzubauen, ohne den Eroberten Unbequemlichkeiten und Ärger zu bereiten. Die Inka beispielsweise zwangen die unterworfenen Völker, ihre angestammte Heimat zu verlassen und sich in anderen Gegenden ihres Reiches niederzulassen. Die Trennung und Aufspaltung ethnischer Gruppen sollte möglichen Aufständen das Wasser abgraben. (Ähnlich verfuhren Jahrhunderte später zum Beispiel auch die Führer der Sowjetunion, ein Land, das für seine rücksichtslose Umsiedlungspolitik bekannt war.) Die Inka waren auch deswegen in der Lage, ihr Riesenreich zu verwalten und zu beherrschen, weil sie – ähnlich wie die Römer – in kurzer Zeit ein hauptsächlich für militärische Zwecke genutztes ausgezeichnetes Wegenetz durch die und entlang der Anden schafften. Die spanischen Eroberer waren natürlich sehr erfreut, ein so praktisches Straßennetz vorzufinden.
Man darf sich allerdings die Inka nicht nur als ein freudloses Volk aus Soldaten und Verwaltungsbeamten vorstellen, die nichts im Kopf gehabt hätten, als emsig am Ausbau ihres Reiches zu arbeiten. Ihre Opfergaben waren von großer Pracht und versetzten weniger entwickelte Völker in Erstaunen. Sehr beliebt waren etwa gewebte Tücher. Die Inka waren berühmt für ihre hoch entwickelte Webkunst. Die Inka beließen die regionalen Führer eines unterworfenen Volkes in ihrer Position; den Einheimischen erlaubten sie, ihre eigene Religion auch weiterhin auszuüben. Die Kinder der jeweiligen Oberschicht schickte man nach Cuzco, wo sie eine Ausbildung in der Art der Inka erhielten. Man band so die unterworfenen Völker nach und nach an die Inka-Kultur an.
Der Sonnenkult war die offizielle Staatsreligion der Inka. Der Name des Sonnengottes lautete Inti. Der Sonnentempel in Cuzco hatte Wände aus Gold. Sein Garten war voller Tierstatuen, die mit Gold und Silber überzogen waren. Mehrere Tausend Frauen, die man Jungfrauen der Sonne oder die Erwählten Frauen nannte, lebten in Cuzco und dienten sowohl dem Gott Inti als auch der Herrscherfamilie. Man wählte sie nach ihrer Schönheit und ihren Webkünsten aus. Sie wurden ihren Familien etwa im Alter von acht Jahren weggenommen. Sie stellten Kleidung, aber auch Nahrungsmittel sowie das bei Festen reichlich getrunkene Bier her. Außerdem mussten sie dem Herrscher in erotischer Hinsicht zur Verfügung stehen.
Menschenopfer für das Wohl des Reiches
Im Zuge der Erweiterung des Herrschaftsgebietes wählten die Inka Kinder aus allen Teilen des Reiches aus, um sie auf Bergspitzen zu opfern. (Erst in jüngster Zeit gab es einige spektakuläre Funde dieser mumifizierten Menschenopfer.) Für die heute lebenden Menschen ist das natürlich die reinste Horrorvorstellung; damals jedoch empfanden die Menschen es als Ehre, wenn gerade ihre Kinder ausgesucht wurden. Man war der Ansicht, dass die geopferten Kinder selbst zu Göttern werden würden. Das ganze Ritual war eine weitere Methode, die Bande zwischen den erobernden Inka und den unterlegenen Völkern zu stärken.
Man hüllte die auserwählten Kinder in die kostbarsten Tücher und behängte sie mit Schmuckstücken. Sie waren gleichzeitig Geschenke und Boten an die Götter. Man tötete sie, indem man sie entweder lebendig begrub, erdrosselte oder ihnen einen Schlag auf den Kopf gab. Wie es scheint, haben sie nicht allzu sehr gelitten. Man glaubt heute, dass sie bei den Ritualen berauschende Substanzen bekamen und generell von der großen Höhe benommen waren.
Die Spanier bringen das Inka-Reich zu Fall
Die Spanier eroberten das Reich der Inka im Jahre 1532. Sie waren auf der Suche nach dem sagenhaften Goldschatz der Inka (El Dorado lässt grüßen), und tatsächlich hatten die Inka wohl große Mengen Gold. Francisco Pizarro und seine »Armee« von gerade mal 168 Männern trafen den Inka-König Atahualpa und schätzungsweise 80.000 Indios, um vorgeblich mit ihnen Verhandlungen aufzunehmen. Die Spanier hatten versprochen, sich ihnen gegenüber friedlich zu verhalten. Atahualpa aber scheint den Fehler begangen zu haben, eine Bibel, die ihm ein Priester der Spanier überreicht hatte, auf den Boden fallen zu lassen, woraufhin die Spanier über die Inka herfielen. (Wer weiß, vielleicht diente diese Geschichte aber auch nur als spätere Rechtfertigung.)
Obwohl die Spanier zahlenmäßig bei Weitem unterlegen waren, besaßen sie Waffen aus Eisen und Pferde, was sie in die Lage versetzte, sehr viele Indianer zu töten und Atahualpa schließlich gefangen zu nehmen. Sie nahmen ihn als Geisel mit und stellten eine hohe Lösegeldforderung. Statt ihn aber wie versprochen auszuhändigen, ermordeten sie ihn. Damit war das Schicksal der Inka besiegelt.