Worin sich Yoga in Indien
von Yoga im Westen unterscheidet
Das Yogaverständnis
Die Unterschiede zwischen den in Indien vorherrschenden Yogakonzepten und den Yogastilen und -schulen des Westens sind zahlreich. Dazu zählt beispielsweise auch das Verständnis von Yoga an sich: Im Westen wird Yoga nahezu ausschließlich mit Hatha-Yoga gleichgesetzt, der vom Körper ausgeht und die (anstrengende) Arbeit mit diesem in den Mittelpunkt stellt. Ergänzt wird diese Praxis mitunter durch Rāja- oder klassischen Yoga, womit die Auffassungen, die im Yoga-Sūtra des Patañjali (siehe Kap. 7) zum Ausdruck kommen, gemeint sind. In Indien hingegen sind auch der Yoga der Erkenntnis bzw. Yogaphilosophie (Jñāna-Yoga) und Bhakti-Yoga, der Yoga der bedingungslosen Hingabe und Liebe zu Gott Krishna, einer Inkarnation von Gott Vishnu, verbreitet. Diese Formen sind an die Religion des Hinduismus gebunden und beziehen sich vorrangig auf die Bhagavad Gītā, einen der bedeutendsten Texte Indiens. In der Bhagavad Gītā verspricht Krishna himmlische Belohnung, wenn religiös determinierte Vorgaben befolgt werden. Dazu gehören die zentralen Werte der Pflichterfüllung (svadharma; was auch die Akzeptanz des Kastensystems beinhaltet) und Gleichgültigkeit gegenüber den »Früchten« des eigenen Tuns sowie gegenüber Lohn und Anerkennung. Der Bezug des Yoga auf die Bhagavad Gītā ist jedoch nicht unproblematisch, daher im Folgenden ein kurzer Exkurs zu diesem Thema:
Vanamali Gunturu schreibt über die Bhagavad Gītā: »Im Mittelalter gab es eine Kontroverse darüber, was eigentlich diese Schrift lehre. Lehrt sie den Nicht-Dualismus, wie Shankaracarya sie ausgelegt hatte, oder den Dualismus, den die anderen Philosophen nach ihm bemüht waren zu zeigen? (…) Tilak behauptete, ihre Botschaft sei die Anwendung von Gewalt im Dienst der Gerechtigkeit. (…) Gandhi dagegen war der festen Überzeugung, das gewaltloser Aktionismus die eigentliche Botschaft der Bhagavadgīta sei.«74
Die Schwierigkeit im Umgang mit der als »heilige Schrift« bezeichneten Bhagavad Gītā besteht darin, dass sie konträre Ansichten enthält. So sind viele Textstellen geeignet, sie als Grundlage für eine klare Aussage mit einer Bewertung zu verwenden; aber auch eine entgegensetzte Aussage ließe sich mit Textpassagen aus der Bhagavad Gītā legitimieren. Zudem lassen sich nahezu alle eindeutigen Aussagen dadurch relativieren, dass man ihnen rein symbolischen Wert zumisst und »eigentlich« eine vergleichbare psychologische Ebene oder die Götterwelt gemeint ist.
Nun möchte ich auf weitere Unterschiede zwischen der Yogapraxis in Indien und im Westen eingehen, deren gemeinsame Basis ein körperorientiertes Yogaverständnis ohne Anbindung an die Religion des Hinduismus ist.
Der Zeitfaktor
Die feinen, aber doch recht deutlichen Unterschiede beginnen schon bei den Übungszeiten und der Übungsdauer. Nicht selten beginnt die erste Übungseinheit in Indien sehr früh am Morgen, oft vor Sonnenaufgang und selten nach acht Uhr. Dies ist eine verständliche Regelung bei Temperaturen, die schnell 30 Grad Celsius und mehr erreichen. Und entsprechend dem ganz anderen Zeitverständnis in Indien sind Yogakurse nicht auf sechzig oder neunzig Minuten Unterricht festgelegt, sondern dauern so manches Mal auch zwei oder drei Stunden.
Der Kostenfaktor
Wer im Westen qualifizierten Yogaunterricht erleben möchte, wird dafür (nach einer Probestunde) einen feststehenden Betrag zahlen und bei ernsthaftem Interesse einen langfristigen Vertrag mit obligatorischen Monatsbeiträgen eingehen. Diese Regelung gibt es in Indien selbstverständlich auch, aber zugleich sind zwei deutliche Abweichungen üblich. Zum einen zahlen Ausländer deutlich mehr als Inder und werden häufig separat unterrichtet; zum anderen verlangen einige Einrichtungen keinerlei Gebühr und überlassen es den Schülern, je nach Einkommen zu spenden, um den Unterricht und die Räumlichkeit zu gewährleisten. Dies geschieht nicht in der hierzulande gelegentlich anzutreffenden Form der Spende mit fest vorgegebenem Betrag, um die Zahlung von Steuern zu umgehen, sondern ohne entsprechende Vorgaben und Hinweise. Es obliegt allein dem Schüler, über Höhe und Zeitpunkt einer Spende zu entscheiden.
Während in Europa der Anteil der Frauen in den Yogakursen und auch als Unterrichtende seit Jahren nahezu konstant bei etwa achtzig Prozent liegt, sind indische Frauen als Schülerinnen selten und als Yogalehrerinnen praktisch gar nicht präsent. Unabhängig davon, welcher Yogastil und in welcher Yogatradition unterrichtet wird: Den Ton geben stets Männer an, egal ob der Yogakurs in einem Ashram, in einer Yogaschule oder in einem Institut stattfindet oder ob privat unterrichtet wird. Dies entspricht dem in Indien vorherrschenden traditionellen Rollenverständnis. Die Strukturen sind patriarchalisch und streng hierarchisch; lediglich in den Großstädten und im Süden Indiens gibt es gelegentlich Anzeichen für einen Wandel und größere Offenheit.
Das Design
Die Räumlichkeiten, in denen Yoga in Indien unterrichtet wird, sind zumeist ebenso schlicht und einfach, wie es die Einrichtungsgegenstände im Raum sind. Einen Empfangstresen mit Guru-Galerie und Wohlfühldrinks, Anmeldeformulare für die angeschlossene Sauna und Massageoase und auch eine Yogahilfsmittel- und Yoga-Accessoires-Boutique wird man vergeblich suchen. Stattdessen wird man einen Teppich- oder Steinboden vorfinden, darauf dünne Latex- oder Baumwollmatten, denen man den häufigen Gebrauch ansieht, und ringsum leere, schmucklose Wände – in der Summe mehr achtsame Präsenz als schöner Schein, mehr auf das Notwendige beschränktes Sein als kostenintensives Design: hervorragende Voraussetzungen für die nach innen gerichtete Selbst- und Körpererfahrung.
Autorisierung und Lehrbefähigung
Yogalehrende im Westen weisen stets auf ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Vereinen und Verbänden und ihre durch entsprechende standardisierte Ausbildungen erworbenen Qualifikationen hin und legitimieren so ihre Lehrtätigkeit gegenüber Interessenten und kostentragenden Krankenkassen. Im Gegensatz dazu gibt es trotz immenser Bürokratie, die der deutschen keineswegs nachsteht, sondern sie sogar noch übertrifft, in Indien keinen Yogaverband, der einheitliche Ausbildungsstandards oder Qualifikationen regeln würde. Jeder Yogalehrer legitimiert sich durch sein Können oder durch den Ruf der Einrichtung, in der er Yoga weitergibt oder ausgebildet wurde, sei es ein traditioneller Ashram oder eine moderne Yogatherapieeinrichtung. Die Nachteile dieser freien Handhabung sind qualitativ sehr unterschiedliche Abschlüsse und oftmals unzureichende didaktische Kenntnisse und Fähigkeiten. Daraus ergibt sich insbesondere für Besucher aus dem Ausland die Notwendigkeit, versuchsweise bei verschiedenen Schulen und Lehrern zu praktizieren, um in Erfahrung zu bringen, was eine bestimmte Einrichtung oder einen bestimmten Yogalehrer qualifiziert.
Die Yogahochburg Rishikesh – ein Erfahrungsbericht
Essenziell für Yoga ist das persönliche, praktische Erleben von Anstrengung und Entspannung, das Erfahren eines nach innen gerichteten Prozesses, von Klarheit und innerem Frieden, aus dem heraus auch Unabhängigkeit erwächst. Unter welchen Bedingungen und Umständen dies konkret im Indien der Gegenwart vermittelt wird, lässt sich am besten durch eigene Erfahrung nachvollziehen.
Rishikesh liegt an den Ausläufern des Himalaya in der nordindischen Garhwal-Region (Uttar Pradesh) und ist seit Jahrzehnten für seine zahlreichen Ashrams und Yogazentren berühmt. Der Ort wird auch als »Welthauptstadt des Yoga« bezeichnet. Vor fünfzig Jahren war Rishikesh noch Refugium für wenige und meist ernsthaft Suchende; ab Ende der sechziger Jahre wurde es dann durch die Anwesenheit der Beatles und anderer Prominenter aus dem Musik- und Showbusiness zunehmend zu einer magischen Anlaufstelle für Hippies und Touristen aus aller Welt. Lange Zeit gingen die Signale in Bezug auf die Bedeutung und Praxis des Yoga von Rishikesh aus.
Vedānta und hinduistischer Götterglaube wurden seit den siebziger Jahren zunehmend als universell rezipierbare Werte vermittelt – unter anderem durch Swamis, die von Rishikesh ausgehend in jene Teile der Welt entsandt wurden, wo die Menschen wohlhabend, aber dennoch unzufrieden sind, um jenen Menschen des Westens Sein (sat), Bewusstsein (cit) und Freude (ānanda) zu bringen.
Mittlerweile hat sich Rishikesh zu einem lauten, von Touristen überlaufenen Ort entwickelt, in dem die Natur kontinuierlich durch zunehmende Motorisierung und zahlreiche Neubauten zerstört wird. Der Charakter der einstigen Yogahochburg hat sich dadurch deutlich gewandelt: Wo es einst still und spirituell zuging, ist es heute laut und kommerziell. Aber noch immer sind Spuren authentischer Yogapraxis zu finden.
Warten auf Sri Sri Ravi Shankar
Rishikesh, Dienstag, 30. März. Den Spaziergang zur Laxman Jhula, einer 1929 errichteten Hängebrücke über den Ganges, verbanden wir mit der Suche nach dem Kriyā-Yoga-Ashram75 von Swami Shankaranand Giri, dessen Fahrzeug am Tag unserer Anreise kurz hinter Delhi defekt am Straßenrand gestanden hatte und den wir eingeladen hatten, mit uns nach Rishikesh zu fahren. Nach eigener Aussage hatte er in Rishikesh seit kurzem einen zweiten Ashram, während sich der Hauptashram im südindischen Bubaneshwar befand. Der neue Ashram war auch in Shankaranands Buch »Kriya Yoga Darshan« verzeichnet, das er mir am Ende der Fahrt überreicht hatte. Trotz wiederholten Nachfragens erhielten wir jedoch keinerlei Hinweis, wo sich dieses Anwesen befand, und konnten der Sache auch nicht weiter nachgehen, denn wegen eines plötzlich auftretenden Magen-Darm-Problems mussten wir auf die Schnelle zu unserer Unterkunft im Omkarananda Guesthouse fahren. Ich vermute, dass Cola mit Eisstücken die Ursache für unser Problem war.
Unser Versuch, am Nachmittag den einst von Maharishi Mahesh Yogi gegründeten Ashram zu betreten, in dem immer noch Transzendentale Meditation vermittelt wird, scheiterte – wie vier Jahre zuvor – am uniformierten Wachposten mit Bambusschlagstock. Eine Begründung war ihm nicht zu entlocken. Wir kamen mit drei Frauen aus Bombay ins Gespräch, die dieses Zutrittsverbot nicht kannten und auch nicht verstehen konnten. Sie, die den Ashram gerade besucht hatten, trösteten uns, dass das Gelände ziemlich verkommen sei und nichts Sehenswertes zu bieten habe. Die Frauen empfahlen uns, stattdessen Kontakt mit Sri Sri Ravi Shankar aufzunehmen, dem Gründer der »Art of Living Foundation« und zu dieser Zeit Gast in einem benachbarten Ashram.
Ein halbes Jahr vorher hatte ich in der Zeitschrift Esotera einen Artikel über ein neu eingerichtetes Meditationszentrum, die »Art of Living Foundation« in Bad Antogast, und ein kurzes Interview mit Sri Sri Ravi Shankar gelesen. Das Besondere dieser Art-of-Living-Bewegung hatte sich mir nicht erschlossen. Die in der Zeitschrift vermittelte zentrale Botschaft von Sri Sri Ravi Shankar lautete »bedingungslose Liebe«, und er empfahl darüber hinaus eine spezielle reinigende Atemtechnik.
Wir gingen also zu diesem Ashram mit gepflegter begrünter Außenanlage und nahmen Kontakt mit dem Sekretariat auf. Eine Begegnung sei möglich, wurde uns gesagt. Eine Stunde später sollten wir wiederkommen. Trotz praller Sonne machten wir einen Spaziergang durch die Swarg-Ashram-Gegend und kehrten nach einer Stunde zurück. Wir warteten eine gute halbe Stunde stehend, ohne dass sich irgendetwas tat. Als wir uns schließlich in Richtung Ausgangspforte bewegten, waren die Frauen aus Bombay sogleich zur Stelle, um uns zu ermutigen, dass wir doch gleich mit dem Meister Kontakt haben könnten. Also warteten wir weiter, ohne dass etwas passierte.
Da uns Sri Sri Ravi Shankar nicht wirklich interessierte, beschlossen wir zu gehen. Genau in diesem Moment bewegten sich Mitarbeiter des Sekretariats wie auch wartende Inder schnellen Schrittes zu einer Tür des Nachbargebäudes, aus der Sri Sri Ravi Shankar heraustrat, umgeben von weiß gekleideten Anhängern. Er verbeugte sich nach links und rechts und schritt mit einem Begleiter rasch zum Auto, das an einem Nebeneingang wartete. Mit seinen langen dunklen Haaren, dem Vollbart und dem offenen Gesicht kam er mir wie Jesus vor, auch in der Art, wie er von Jüngern und Ratsuchenden umgeben war. Von außen betrachtet, mussten wir den Eindruck geduldiger Anhänger aus Deutschland erwecken. Doch im Grunde hatten wir uns zu etwas drängen lassen, das gar nicht unserem eigenen Impuls entsprach. Vielleicht funktionieren Glaubensgemeinschaften und religiöse Gruppen in dieser Weise: durch eine Art Inszenierung, die den Ruf und die Aura des einen aufwertet, während alle anderen zur Gefolgschaft werden.
Am Abend saßen wir – ohne spezielle Einladung oder irgendein Drängen – auf dem flachen Dach des Sri Rama Ashrams nahe der Laxman Jhula. Auf Flyern hatten wir die Ankündigung zum »Full Moon Concert« gelesen und erfahren, dass »Mr. Shah« Sitar spielen würde. Mr. Shah leitete die örtliche Musikschule und spielte an diesem Abend zusammen mit seinen Schülern. Das Auditorium bestand überwiegend aus westlichen Besuchern, was möglicherweise daran lag, dass Eintrittsgeld verlangt wurde – für westliche Verhältnisse ein geringes Entgelt, für Inder mehr als ein Tagesverdienst.
Mr. Shah spielte die Sitar virtuos; die Atmosphäre war einzigartig. Der über die Berggipfel wandernde Vollmond illuminierte das Geschehen auf dem Dach und den nah vorbeifließenden Ganges. Was für ein Auftakt! Bei der Hinreise die Begegnung mit dem Yogi Shankaranand Giri und jetzt, am zweiten Tag, ein Sitarkonzert unter freiem Himmel mit einer Kulisse, wie sie kein noch so guter Bühnenbildner kreieren könnte!
Ein Swami in der Poststelle des Sivananda-Ashrams
Rishikesh, Donnerstag, 1. April. Zum zweiten Mal auf der Suche nach Swami Shankaranand Giri, dem Kriyā-Yogi, aber weder an der Ram Jhula noch an der Laxman Jhula gab es einen Hinweis auf seinen Ashram oder seine Person.
Liegt sein Ashram derart im Verborgenen, dass selbst Ortsansässige ihn nicht kennen? Vielleicht soll dieser Ashram erst noch entstehen, und die Einladung bezog sich auf das Domizil in Bubaneshwar?
Um zwölf Uhr mittags traf ich Swami Hamsananda in der Poststelle des Sivananda-Ashrams. Swami Hamsananda war ein kleiner, freundlicher Mann von etwa siebzig Jahren mit einigen Zahnlücken. Er war für die Post des Sivananda-Ashrams verantwortlich und hatte Swami Sivananda persönlich gekannt. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Boden. Da mir das philosophisch geprägte Gespräch mit Swami Abhedanand, den ich am Vortag in Haridwar kennen gelernt hatte, noch präsent war, bezog sich meine erste Frage auf die Unbeständigkeit aller Erscheinungen. Warum, so fragte ich Swami Hamsananda, sind in Anbetracht der Unbeständigkeit, im Wissen um Māyā, um den illusionären Charakter aller materiellen Phänomene, spezielle Kleidung, Stirnmale und Rituale wichtig? Wäre es im Sinne des Advaita nicht konsequent, auf all die äußeren Symbole zu verzichten?
Die Antwort von Swami Hamsananda war kurz und bündig: »Das Außere hat stets Einfluss auf das Innere, es färbt sozusagen ab.« Meine Frage nach dem Yogaverständnis von Sivananda bzw. wofür die »Divine Life Society« steht, beantwortete Swami Hamsanand mit der für die indische Spiritualität typischen Toleranz: »Spiritualität ist offen für jeden«, sagte er. »Es gibt keine falschen Wege. Wenn du einen Berg besteigst, wirst du feststellen, dass es viele Wege gibt, zum Ziel zu kommen. Spiritualität bedeutet, Kontakt zu haben mit Gott.«
Und was ist, wenn jemand Gott nicht spürt oder keinen Draht zu ihm hat? Swami Hamsananda, der die ganze Zeit Briefe sortierte und mit Marken beklebte, lachte: »Ist die Sonne nicht da, wenn sie von Wolken verdeckt ist?«
Beim Stichwort Karma führte er Gandhi an, dessen Karma es war, zweierlei Waffen einzusetzen: Satyagraha, den Kampf um Wahrheit, und Ahimsā, die vollkommene Gewaltlosigkeit. »Aber was ist das für ein Gott, der ebenso jede Art von Gewalt zulässt?«, fragte ich Swami Hamsananda zuletzt. »Die Gewalt kommt nicht von Gott«, sagte er. »Gewalt rührt vom Egoismus des Menschen her. Wo der Egoismus aufhört, gibt es keine Gewalt.«
Als ich Swami Hamsananda für das Gespräch dankte, gab er mir eine Broschüre über Sivananda und die Divine Life Society und – ein paar Bonbons. Ich fand diese Geste nett, gab die Bonbons draußen dennoch weiter an Kinder, die gerade die Hand aufhielten.
Am Abend begegnete uns der Godsong-Sänger auf der Straße, ein hagerer, älterer Mann mit einem freundlichen Lächeln. Er betonte, dass er keine Unterhaltungslieder singen würde, sondern »God Songs« (»Gotteslieder«), selbst komponiert und getextet. Wir waren ein offenes, auch zahlungswilliges Publikum und ließen ihn eines seiner Lieder vortragen. Er räusperte sich einige Male und begann: »God ist great, Im playing the trumpet, God is great, I pray and say that God is great.« (»Gott ist groß, ich spiele Trompete, Gott ist groß, ich bete und sage, dass Gott groß ist.«) Er freute sich über die Münzen, die wir ihm gaben, und wollte gleich ein weiteres, natürlich selbst komponiertes Lied zum Besten geben, aber wir waren mit einem Song zufrieden. »Next time next one. Good night and Namasté!«
Konträre Erfahrungen mit Iyengar-Yoga
Rishikesh, Freitag, 2. April. Frühmorgens im Yoga Study Centre, das vom Chef eines kleinen Reisebüros an der Hauptstraße empfohlen worden war, vorrangig wegen des Gründers und Leiters dieser Einrichtung, dem Yogalehrer Rudra Dev Gowda. Warum das Yoga Study Centre in keinem relevanten Reiseführer erwähnt wird, obwohl es bereits fast zwanzig Jahre existiert, ist für mich nicht nachvollziehbar. Anders als die meisten Ashrams, die abgelegen im vergleichsweise idyllischen Ortsteil Muni-ki-reti und in der verkehrsfreien Swarg-Ashram-Gegend liegen, befindet sich das Yoga Study Centre am Stadtrand von Rishikesh, zwischen dem Ganges und der Hauptverkehrsstraße nach Haridwar.
Wir sollten Unterricht bei Shivkumar, dem jüngeren Bruder und Assistenten von Rudra Dev, haben. Das Erste, was auffiel und anders war als im Yog Niketan Ashram und dem dortigen Yogaunterricht des Goldmedaillengewinners (siehe S. 99), war die hohe Zahl der Teilnehmer und die starke Präsenz von Inder(inne)n neben all den westlichen Übenden. Ein weiterer Unterschied war der hier praktizierte Iyengar-Stil. Dieser legt den Schwerpunkt auf Stand- und Umkehrhaltungen, den Einsatz von Hilfsmitteln wie Holzklötze und an den Wänden befestigte Seile, auf die Trennung von Āsanas und Prānāyāma (Atemübungen) sowie den harten Drill (sowohl verbal als auch durch die physische Übungspraxis) im Umgang mit den Schülern. Yoga nach B. K. S. Iyengar war zwar nicht gerade die von mir bevorzugte Methode, dennoch ließ ich mich darauf ein.