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T. K. V. DESIKACHAR

(geb. 1938)

T. K. V. Desikachar wurde als viertes Kind von Shrimati Namagiriammal und Sri Tirumalai Krishnamacharya in Mysore im südindischen Bundesstaat Karnataka geboren. Von Anfang an war er Zeuge dessen, was sein Vater an Werten vertrat und wie jener den Yoga reformierte und an seine Schüler vermittelte. Doch die Pläne Desikachars gingen zunächst in eine andere Richtung, und so ließ er sich, nachdem die Familie bereits nach Madras umgezogen war, zum Ingenieur ausbilden und arbeitete zunächst in diesem Beruf.

Immer wieder erlebte er, wie sein Vater Erkrankte heilte und Menschen von nah und fern gleichermaßen beeindruckte. So entwickelte sich sein Interesse, und er begann, bei seinem Vater Yoga zu studieren, anfangs frühmorgens ab vier oder fünf Uhr. Auf diese Weise wollte T. Krishnamacharya die Disziplin seines Sohnes auf die Probe stellen und prüfen, ob er wirklich ernsthaft an einer Ausbildung interessiert war. Mehr als dreißig Jahre lang ließ sich Desikachar von seinem Vater unterrichten und inspirieren. Ihm und seiner Arbeit zu Ehren – also als ein rituelles Geschenk an den Lehrer (gurudakshinā) – gründete Desikachar 1976 das Krishnamacharya Yoga Mandiram (KYM). Menschen aus ganz Indien und aus Europa, aus Japan, Australien und den USA kommen seitdem dorthin, um Yoga zu studieren, um gesundheitliche Probleme mit Yoga therapeutisch behandeln zu lassen oder um im Einzelunterricht individuell unterwiesen zu werden.

Die Einrichtung wurde vom Ministerium für Gesundheit und Familie des Bundeslandes Tamil Nadu anerkannt und bildet in einem zweijährigen Studiengang Yogalehrer aus. Die Ausbildung schließt mit einem Diplom ab. Derzeit arbeiten im KYM dreißig qualifizierte Yogalehrerinnen und -lehrer.

Der besondere Ansatz, wie er zunächst von T. Krishnamacharya und später von T. K. V. Desikachar spezifiziert wurde, ist bekannt als Viniyoga, in der wörtlichen Übersetzung »Übertragung, Anstellung, Anwendung, Gebrauch«. Im übertragenen Sinn bedeutet Viniyoga, dass die Praxis des Yoga an die jeweilige Person angepasst, also sinnvoll angewendet wird. Es wird vom Yoga »Gebrauch« gemacht zugunsten der individuellen Eigenschaften und Erwartungen der Einzelnen. Dafür werden die Yogaübungen so weit variiert, bis eine dem Übenden entsprechende Form gefunden ist. Dies geschieht zumeist im Einzelunterricht oder in kleinen Gruppen. Viniyoga kann von entsprechend ausgebildeten Yogalehrern auch gezielt therapeutisch eingesetzt werden. Ein weiteres wesentliches Element des Yogaunterrichts in dieser Form wird als vinyāsa krama bezeichnet. Es bedeutet, dass eine schrittweise Anordnung von Teilübungen aufeinander aufgebaut und damit ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Das Ziel könnte zum Beispiel das vollständige Erlernen einer bestimmten Übung sein, deren Ausführung in einem einzigen Schritt oft entmutigend und auch riskant sein kann.

T. K. V. Desikachar selbst hat sich inzwischen vom Begriff »Viniyoga« distanziert, weil die Bezeichnung zu keinem Markenzeichen werden soll. Er sieht die Gefahr, dass die verschiedenen Ansätze des Yoga nach Krishnamacharya dann auf dieses Markenzeichen reduziert würden. Gleichwohl wird die Bezeichnung »Viniyoga« weiterhin von einer Reihe von Yogalehrenden benutzt, die in dieser Tradition unterrichten und den besonderen Ansatz der individuellen Anpassung und das schrittweise Vorgehen praktizieren.

Sri T. Krishnamacharya selbst unterrichtete bis in die sechziger Jahre einen eher statisch ausgeführten Yoga, in den auch ausgesprochen schwierige und anspruchsvolle Āsanas integriert waren. In den sechziger Jahren, als er auch seinen Sohn Desikachar zu unterrichten begann, stellte er fest, dass er die Übungen besser an den veränderten Lebensstil der Praktizierenden anpassen musste, der sich in zunehmendem Maße hin zu mehr sitzenden beruflichen Tätigkeiten entwickelte. So führte er die dynamischen Übungsfolgen (kārana) und das schrittweise Vorgehen (vinyāsa krama) ein. Desikachar übernahm dieses System und baute es später weiter aus.

Wegen des anhaltenden Interesses am Rezitieren der Veden und der Schriften des Vedānta wurde 1999 eine separate Abteilung für »Vedic Chanting« etabliert, die den Namen »Vedavani« erhielt.

T. K. V. Desikachar ist mittlerweile eine weltweit anerkannte und verehrte Autorität, mit reichlich Erfahrung und Kompetenz, weshalb er regelmäßig zu Seminaren, Workshops, Kongressen und Vorlesungen eingeladen wird. Den zahlreichen Einladungen nach Süd- und Nordamerika, nach Europa und Südostasien kommt er meist nach. Dennoch ist er in seinem Habitus und seinem Auftreten bescheiden geblieben, stets der Essenz des Yoga und dem Lebenswerk seines Vaters verpflichtet, ein Yogameister ganz ohne Allüren und Eitelkeit. Desikachar ist einer jener seltenen prominenten Yogalehrer, der das, was er sagt und vermittelt, auch selbst lebt und umsetzt.

In seinen Buchveröffentlichungen hat sich Desikachar immer wieder mit dem Yoga-Sūtra des Patañjali auseinandergesetzt (Yoga – Tradition und Erfahrung (1991)90, Über Freiheit und Meditation (1997)91) und auf hervorragende Weise das Leben und die Lehren seines Vaters dargelegt (Yoga – Gesundheit von Körper und Geist (2000)92).

T. K. V. Desikachar lebt mit seiner Ehefrau Menaka, die ebenfalls Yoga und vedischen Gesang lehrt, in Chennai (Madras). Beide haben zwei Söhne und eine Tochter sowie eine Enkelin. Zu den bekanntesten internationalen Schülern Desikachars gehören der in Deutschland lebende Inder R. Sriram, das Ärzte-Ehepaar Dr. Imogen Dalmann und Martin Soder, die das Berliner Yoga-Zentrum (BYZ) leiten, der in Lausanne lebende Malek Daouk, Frans Moors in Grivegnée (Belgien), Bernard Bouanchand in Frankreich sowie in den USA der auf Yogatherapie spezialisierte Gary Kraftsow.