Der als Sohn des »militärischen medizinischen Experten und Professors für innere und äußere Kinderkrankheiten Dr. Leo Sacharow«147 in Zhemerinka geborene Exilrusse Boris Sacharow war einer der Pioniere des Yoga in Deutschland. Ursprünglich wollte er nach dem 1917 absolvierten Abitur in St. Petersburg Elektrotechnik studieren, doch durch den Ausbruch der Revolution studierte er schließlich in Odessa an der Universität und am Polytechnikum. Nebenher erforschte er Yoga und indische Philosophie und erlernte Sanskrit. Aufgrund der anhaltenden politischen Unruhen wollte er das »bolschewistische Russland« 1922 verlassen, was ihm trotz mehrfacher Versuche misslang. Boris Sacharow schaffte es, sich an der Columbia University in New York zu immatrikulieren, dennoch wurde ihm die Ausreise verwehrt. Im November 1926 gelang es ihm schließlich, nach Berlin zu entkommen, wo er ein Studium an der Technischen Universität begann. Nach zwei Jahren waren seine finanziellen Mittel erschöpft, und er begann, als Sprachlehrer für Russisch, Französisch und Englisch sowie als Zeichner und als Taxifahrer zu arbeiten. Erneut versuchte Sacharow, in die USA zu gelangen, fand jedoch keinen Bürgen und blieb so – notgedrungen – in Deutschland.
1937 gründete er in Berlin sein Yogazentrum und hielt regelmäßig Vorlesungen über Yoga und indische Kultur. Daraus entwickelte sich die »Yogaschule für Indische Körperertüchtigung«, die er 1939 im Berliner Stadtbezirk Schöneberg etablierte – die erste Yogainstitution dieser Art in Deutschland. Nach eigenen Aussagen hatte Boris Sacharow rund einhundert Schüler und verdiente im Monat durchschnittlich 1250 Mark. Darüber hinaus verschickte er Lehrbriefe und gab zahlreichen Schülern Fernunterricht, die sich auf etwa fünfzig größere deutsche Städte verteilten. Auch an der Berliner Lessinghochschule war Sacharow als Dozent tätig und vermittelte dort Yoga und Hindu-Philosophie. Während andere Kollegen inhaftiert wurden, konnte Sacharow die Nationalsozialisten vom »wissenschaftlichen Charakter dieser Doktrinen« überzeugen und erhielt eine Spezialerlaubnis. Swami Sivananda, sein im nordindischen Rishikesh lebender Meister, an dessen Vorgaben er sich orientierte, verlieh ihm zu jener Zeit den Titel »Yogi-Raj«, was Sacharow als gleichwertig mit der Ehrendoktorwürde bezeichnete.
Im November 1943 wurden Sacharows Räumlichkeiten durch Bomben komplett zerstört, dabei verlor er all sein Hab und Gut. Er versuchte es erneut, aber auch die neu gegründete Yogaschule wurde bald von Bomben getroffen. Seine einzige Einnahme waren nun die Fernkurse. 1945 gelang ihm die Flucht nach Karlsbad (jetzt Karlovy-Vara). Von dort wurde er von amerikanischen Streitkräften nach Bayreuth evakuiert und als Agent für Wohnraumbeschaffung und Dolmetscher für das amerikanische Hauptquartier angestellt. Als Dolmetscher war er zudem bis 1950 in Fürth und in Nürnberg für den American Court of Restitution Appeals tätig. Sacharow baute ein Yogazentrum in Nürnberg auf und lehrte an verschiedenen Volkshochschulen. Am 6. Oktober 1959 kam er bei einem Autounfall ums Leben.
Die wichtigsten Veröffentlichungen von Boris Sacharow sind Indische Körperertüchtigung – in zwölf Lehrbriefen (1950/1960)148, Das Große Geheimnis – über das tantrische Werk Gheranda Samhita (1954)149, Das Öffnen des Dritten Auges (1958) 150, Yoga aus dem Urquell (1957)151 und Kriya Yoga (1988)152. Geplant waren zwei weitere Veröffentlichungen: Yoga für Blinde und Der Christliche Yoga. Im Schlusswort seines Buches Das Große Geheimnis – Die verborgene Seite der Yoga-Übungen zieht Sacharow indirekt ein Fazit seines Lebenswerkes: »Wir haben unser Möglichstes getan, um den Schleier über den Geheimnissen der Theorie und Praxis zu lüften. Für den praktischen Teil desselben verbürgen wir uns mit unserer eigenen langjährigen Erfahrung sowie mit der unserer Schüler. Was das Theoretische anlangt, so haben wir versucht, jede unserer Behauptungen durch authentische Schriften zu belegen.«153