»Der enge Kreis der wirbelnden und persönlichen Erfahrung«

Als junger Mann hatte Einstein in einem Brief an die Mutter seiner ersten Freundin vorhergesagt, dass ihm die Freuden der Wissenschaft eine Zuflucht vor schmerzlichen persönlichen Gefühlen bieten würden. Und so kam es dann auch. Die Eroberung der allgemeinen Relativitätstheorie war im Endeffekt leichter als die Suche nach den Formeln der Kräfte, die die wirbelnden Turbulenzen innerhalb seiner Familie bestimmten.

Diese Kräfte waren komplex. Sein Sohn Hans Albert erzählte zu der Zeit, als Einstein seine Feldgleichungen abschloss – in der letzten Novemberwoche 1915 –, Michele Besso , er wünsche sich, mit dem Vater über Weihnachten allein zu sein, am liebsten auf dem Zugerberg oder an einem ähnlich abgeschiedenen Ort. Aber gleichzeitig schrieb der Junge seinem Vater einen bitterbösen Brief, in dem er ihm mitteilte, er solle überhaupt nicht in die Schweiz kommen. 1

Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? Gelegentlich schien Hans Alberts Einstellung zwiespältig zu sein. Schließlich war er erst elf – und er hatte ein sehr ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater, was nicht überraschen kann. Einstein war lebhaft, gewinnend und manchmal ausgesprochen charismatisch. Aber er konnte auch physisch und emotional distanziert sein. Er hatte sich dem Jungen entfremdet, der von einer ihn eifersüchtig liebenden und sich gedemütigt fühlenden Mutter bewacht wurde.

Der hartnäckigen Ausdauer, die Einstein an den Tag legte, wenn er sich mit wissenschaftlichen Problemen beschäftigte, entsprach eine nicht geringere Ungeduld bei Verwicklungen persönlicher Art. Daher teilte er dem Jungen mit, dass er die Reise nicht antreten werde. »Soeben erhielt ich Deinen Brief, über dessen lieblosen Ton ich sehr betrübt bin«, schrieb Einstein nur wenige Tage nach seinem letzten Vortrag über die allgemeine Relativitätstheorie . »Ich sehe (…), dass Dir mein Besuch wenig Freude machen würde. Ich halte es deshalb nicht für richtig, mich dafür zwei Stunden und zwanzig Minuten in die Eisenbahn zu setzen.«

Außerdem ging es um die Frage eines Weihnachtsgeschenks. Hans Albert war ein begeisterter kleiner Skiläufer geworden, und Marić schenkte ihm eine Ausrüstung für 70 Franken. »Mama hat sie mir nur unter der Bedingung gekauft, daß du auch einen Beitrag leistest«, schrieb er . »Das betrachte ich als Weihnachtsgeschenk.« Das passte Einstein nicht. Er erwiderte, dass er das Geschenk in Form von Geld schicken werde, fügte aber hinzu: »Ich finde allerdings, dass ein Luxus-Geschenk, das 70 fr kostet, unseren bescheidenen Verhältnissen nicht entspricht .« Den letzten Teil des Satzes unterstrich er. 2

Besso fuhr auf seine »pfarrerliche Art«, wie er schrieb, mit seinen Vermittlungsversuchen fort. Er riet seinem Freund, zu bedenken, »dass du doch dem Jungen nicht ernsthaft etwas übel nehmen wirst«. Der Konflikt gehe zwar von Marić aus, meinte Besso , aber sie bestehe schließlich nicht nur »aus Bösem, [sondern] auch aus Gutem«. Einstein solle sich klarmachen, wie schwierig es für Marić sei, mit ihm auszukommen, »weil die Rolle der Frau eines genialen Mannes niemals leicht ist«. 3 Im Fall von Einstein traf das sicherlich zu.

Die Besorgnis angesichts des vorgesehenen Besuchs von Einstein ging zum Teil auf ein Missverständnis zurück. Einstein hatte angenommen, der Plan, dass sich sein Sohn und er bei den Bessos träfen, sei auf Wunsch von Marić und Hans Albert gefasst worden. Tatsächlich aber hatte der Junge keine Lust dabeizusitzen, während sein Vater und Besso über Physik diskutierten. Ganz im Gegenteil, er wollte seinen Vater für sich allein haben.

Schließlich klärte Marić das Missverständnis durch einen Brief auf, was Einstein zu schätzen wusste. »Auch ich war etwas enttäuscht, dass ich Albert nicht allein bekommen sollte sondern nur gewissermassen unter Besso ’schem Schutze«, schrieb er.

Also blieb Einstein bei seinem ursprünglichen Plan, nach Zürich zu reisen, und versprach, viele solcher Reisen zu unternehmen, um seinen Sohn zu sehen. »[Hans] Albert 4 kommt jetzt allmählich in das Alter, in dem ich ihm sehr viel sein kann«, schrieb er. »Ich will ihn hauptsächlich denken, urteilen und objektiv zu geniessen lehren.« Eine Woche später versicherte er in einem weiteren Brief an Marić noch einmal, wie sehr er sich auf die Reise freue: »Denn es besteht doch ein Schimmer von Möglichkeit, dass ich Albert durch mein Kommen eine Freude mache.« Allerdings fügte er ausdrücklich hinzu: »Sorge dafür, dass er mir einigermassen freudig entgegenkommt. Ich bin nämlich recht abgespannt und überarbeitet, und nicht fähig, neue Aufregungen und Enttäuschungen durchzumachen.« 5

Es sollte nicht sein. Einsteins Erschöpfungszustand hielt an, und der Krieg erschwerte den Grenzübergang von Deutschland aus. Zwei Tage vor Weihachten 1915, als Einstein in die Schweiz reisen sollte, schrieb er seinem Sohn stattdessen einen Brief. »Ich habe in den letzten Monaten so schwer gearbeitet, dass ich in den Weihnachts-Ferien die Ruhe dringend nötig habe«, erklärte er. »Ausserdem ist es gegenwärtig sehr unsicher, ob man über die Grenze kommt, da diese in letzter Zeit fast immer gesperrt war. Deshalb muss ich mirs leider versagen, Dich jetzt zu besuchen.«

Einstein verbrachte Weihnachten zu Hause. Am Weihnachtstag nahm er aus seiner Tasche einige Zeichnungen, die Hans Albert ihm geschickt hatte, und schrieb dem Jungen eine Postkarte, um ihm zu sagen, wie sehr ihm die Bilder gefielen. Zu Ostern werde er kommen, versprach er und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass dem Sohn das Klavierspielen gefalle. »Vielleicht übst Du etwas mit Geige zu spielendes; dann spielen wirs Ostern, wenn wir zusammen sind.« 6

Nach der Trennung von Marić hatte Einstein ursprünglich beschlossen, sich nicht scheiden zu lassen. Einer der Gründe war, dass er Elsa nicht heiraten wollte. »Das Streben, mich in die Ehe hineinzuzwängen, geht von den Eltern meiner Cousine aus und ist in der Hauptsache auf Eitelkeit zurückzuführen, wenn auch daneben das in der alten Generation noch sehr lebhafte moralische Vorurteil mitwirkt«, teilte Einstein einen Tag nach seinem krönenden Vortrag im November 1915 Zangger mit. »Wenn ich mich fangen lasse, wird mein Leben kompliziert, und vor allem würden es wahrscheinlich meine Buben schwer empfinden. Ich glaube daher, ich darf mich weder durch meine Zuneigung noch durch Thränen rühren lassen, sondern muss bleiben, wie ich bin.« 7

Besso und Zangger waren sich darin einig, dass er keine Scheidung anstreben sollte. »Einstein sollte wissen, dass seine treuesten Freunde«, so Besso an Zangger , »eine Scheidung und anschließende Neuvermählung als ein großes Unheil betrachten würden.« 8

Doch Elsa und ihre Familie hörten nicht auf zu drängen. Daher schrieb Einstein im Februar 1916 an Marić und bat – ja bettelte – um ihre Einwilligung in eine Scheidung , »sodass jedes den Rest seines Lebens soweit unabhängig vom andern einrichten kann«. Die Trennungsvereinbarung, die sie mithilfe von Fritz Haber ausgearbeitet hatten, könne, so schlug er vor, auch als Grundlage für eine Scheidung dienen. »Die Einzelheiten [werden sich] gewiss zu Deiner Zufriedenheit regeln lassen«, versprach er. Außerdem schilderte er ihr, wie sie die Jungen vor Kalziummangel schützen konnte. 9

Als sich Marić der Scheidung widersetzte, wurde Einstein dringlicher. »Es handelt sich für Dich um eine blosse Formalität«, meinte er, »für mich aber um eine unabweisbare Pflicht.« Er hielt Marić vor Augen, dass Elsa zwei Töchter habe, deren Ruf und Heiratsaussichten unter »den Gerüchten« zu leiden hätten, die über die uneheliche Beziehung ihrer Mutter zu Einstein in Umlauf seien. »Dies lastet auf mir und soll durch eine formale Ehe gutgemacht werden«, schrieb er Marić . »Versuche Dich einmal in meine Lage zu denken.«

Als Anreiz bot er ihr mehr Geld an. »Auch für Dich bedeutet diese formale Änderung einen Gewinn«, teilte er Marić mit. »Ich will noch mehr thun, als ich mich damals verpflichtete.« Er wollte 6000 Mark für die Kinder auf einer Bank deponieren und die jährlichen Zahlungen an sie auf 5600 Mark erhöhen. »Indem ich mich derart auf Stroh lege, beweise ich Dir, dass mir das Wohl meiner Buben vor allem andern in der Welt am Herzen liegt.«

Im Gegenzug verlangte er die Erlaubnis, dass seine Söhne ihn in Berlin besuchen durften. Sie würden keinen Kontakt zu Elsa haben, versprach er. Er fügte sogar ein etwas überraschendes Versprechen hinzu: Er werde nicht mit Elsa zusammenleben, selbst wenn sie heirateten, sondern seine Wohnung behalten. »[Denn ich] werde den Zustand des Allein-Wohnens, der sich mir als eine unbeschreibliche Wohlthat geoffenbart hat, nie mehr aufgeben.«

Marić war nicht damit einverstanden, dass die Jungen ihn in Berlin besuchen durften. Aber sie ließ sich zögernd darauf ein – zumindest glaubte Einstein das –, über eine Scheidung zu reden. 10

Wie Einstein es Hans Albert versprochen hatte, kam er Anfang April zu einem dreiwöchigen Osterurlaub in die Schweiz und mietete sich in einem Hotel unweit des Züricher Bahnhofs ein. Anfangs ging alles gut. Die Jungen kamen und begrüßten ihn fröhlich. Von seinem Hotel aus schickte er Marić einen Dankesbrief:

Vor allem meine Hochachtung wegen des guten Zustandes unserer Buben . Sie sind körperlich und seelisch in bester Verfassung, wie ich mirs nicht besser wünschen könnte. Und ich weiss, dass dies grossenteils Deiner richtigen Erziehung zu verdanken ist. Ebenso bin ich Dir dankbar dafür, dass Du mir die Kinder nicht entfremdet hast. Sie kamen mir frei und nett entgegen.

Marić teilte ihm mit, dass sie ihn selbst treffen wolle. Sie wollte sichergehen, dass er die Scheidung wirklich wollte und nicht nur dem Druck Elsas gehorchte. Sowohl Besso wie Zangger versuchten, ein solches Treffen zu arrangieren, doch Einstein lehnte ab. »Eine Besprechung zwischen uns hätte keinen Zweck und könnte nur geeignet sein, alte Wunden wieder aufzureissen«, schrieb er Marić . 11

Einstein nahm Hans Albert alleine mit, wie der Junge es wünschte. Geplant war ein zehntägiger Wanderurlaub in einem Bergdorf mit Blick auf den Vierwaldstättersee. Dort gerieten sie in einen für die Jahreszeit ungewöhnlichen Schneesturm, der sie zwang, im Gasthaus zu bleiben, was ihnen anfangs beiden gefiel. »Heute sitzen wir eingeschneit in Selisberg , sind aber sehr vergnügt miteinander«, schrieb Einstein an Elsa . »Der Junge macht mir viel Freude, besonders durch seine gescheiten Fragen und durch seine Anspruchslosigkeit. Es gibt keinen Misston zwischen uns.« Unglücklicherweise wurde das Wetter – und vielleicht ihre erzwungene Zweisamkeit – bald bedrückend, woraufhin sie einige Tage früher nach Zürich zurückkehrten. 12

In Zürich nahmen die Spannungen wieder zu. Eines Morgens besuchte Hans Albert seinen Vater im Physikinstitut, um ein Experiment zu beobachten. Es war ein ziemlich unterhaltsamer Morgen, aber als der Junge sich zum Mittagessen verabschiedete, drängte er den Vater, zu ihnen zu kommen und Marić zumindest einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

Einstein weigerte sich. Hans Albert , der fast zwölf Jahre alt war, wurde wütend und sagte, er werde am Nachmittag nicht zur Beendigung des Experiments zurückkommen, wenn der Vater nicht nachgebe. Einstein weigerte sich. »Dabei blieb es«, berichtete er Elsa eine Woche später an dem Tag, als er Zürich verließ. »Und ich sah seither keines von den Kindern 13

Marić erlitt daraufhin einen emotionalen und körperlichen Zusammenbruch. Im Juli 1916 hatte sie, begleitet von extremen Angstzuständen, eine Reihe kleinerer Herzanfälle, woraufhin ihr die Ärzte rieten, das Bett zu hüten. Die Kinder wohnten derweilen bei den Bessos und dann in Lausanne , wo sich Marić’ Freundin Helene Savić während des Krieges aufhielt.

Besso und Zangger versuchten Einstein zu überreden, er solle in den Süden kommen, um seine Söhne zu sehen. Aber Einstein zögerte. »Wenn ich nach Zürich gehe, so wird meine Frau verlangen mich zu sehen«, schrieb er Besso . »Dies müsste ich abschlagen, teils aus unabänderlichem Entschluss, teils auch, um ihr Aufregungen zu ersparen. Ausserdem weisst Du, dass zwischen den Kindern und mir sich die persönlichen Beziehungen während meines Aufenthaltes zu Ostern so verschlechtert haben (nach sehr hoffnungsvollem Anfang), dass ich sehr zweifle, ob den Kindern meine Anwesenheit eine Beruhigung wäre.«

Einstein nahm an, dass die Krankheit seiner Frau weitgehend psychischer Natur und zum Teil sogar vorgetäuscht sei. »Ist es denn nicht möglich, dass alles nervös bedingt ist?«, fragte er Zangger . Besso gegenüber wurde er noch deutlicher: »Ich aber hege meinerseits den Verdacht, dass Ihr zwei herzensgute Männer von der Frau an der Nase herumgeführt werdet. Denn sie scheut kein Mittel, wenn sie etwas durchsetzen will. (…) Du hast keine Ahnung von der natürlichen Verschlagenheit eines derartigen Weibes.« 14 Einsteins Mutter war der gleichen Ansicht. »Mileva war nie so krank, wie du zu denken scheinst«, schrieb sie an Elsa . 15

Einstein bat Besso , ihn über die Situation auf dem Laufenden zu halten, und versuchte sich in wissenschaftlichem Humor, indem er meinte, Besso müsse in seinen Berichten nicht »auf die inhaltliche Kontinuität der Äusserungen Rücksicht« nehmen. »Im Zeitalter der Quantentheorie ist dies umso mehr gestattet.« Besso ging nicht darauf ein; in einem scharfen Antwortschreiben machte er Einstein klar, dass Marić’ Erkrankung nicht vorgetäuscht, sondern durch seelische Belastungen verursacht sei. In einem Postskript reagierte Bessos Frau Anna noch ungehaltener und siezte ihn sogar. 16

Daraufhin ließ Einstein zwar den Vorwurf fallen, Marić täusche ihre Krankheit nur vor, aber machte ihr zum Vorwurf, ihre seelischen Probleme seien ungerechtfertigt.

»Sie hat ein sorgloses Leben, hat ihre zwei prächtigen Buben bei sich, wohnt in einer herrlichen Gegend, verfügt frei über ihre Zeit und steht im Glorienschein der verlassenen Unschuld«, schrieb er an Besso .

Besonders das ablehnende Postskript machte Einstein zu schaffen, weil er irrtümlich meinte, es komme von Michele und nicht von Anna Besso . Daher fügte er einen eigenen Nachsatz hinzu: »20 Jahre haben wir uns gut verstanden. Und nun sehe ich in Dir einen Grimm gegen mich wachsen, eines Weibes wegen, das Dich nichts angeht. Wehre Dich dagegen! Sie wäre es nicht wert, wenn sie auch hunderttausendmal im Recht wäre.« Noch am selben Tag bemerkte er, dass er Annas schroffes Postskript irrtümlich ihrem Mann zugeschrieben hatte, und schickte rasch eine Entschuldigung an ihn hinterher. 17

Auf Zanggers Rat begab sich Marić in ein Sanatorium. Noch immer weigerte sich Einstein, nach Zürich zu reisen, obwohl die Jungen dort unter Aufsicht einer Hausangestellten alleine lebten, doch teilte er Zangger mit, er werde seine Meinung ändern, wenn er es »für angezeigt« halte. Zangger war dagegen. »Die Spannungen sind auf beiden Seite einfach zu groß«, schrieb Zangger an Besso , der zustimmte. 18

Einsteins distanzierte Haltung änderte nichts an der Liebe zu seinen Söhnen und an der beständigen Sorge um sie. Für den Fall von Marić’ Tod schrieb er Zangger : »[Ich] nehme die Kinder unverzüglich zu mir. Ich schicke sie in keine Schule, sondern unterrichte sie zunächst privat, zum Teil selbst.« Während der nächsten Monate sandte Einstein verschiedene Briefe, in denen er sich in Ideen und Fantasien erging, die den häuslichen Unterricht seiner Kinder betrafen – was er sie lehren und sogar welche Wanderungen er mit ihnen unternehmen wollte. In einem Brief versicherte er Hans Albert : »Ich denke unaufhörlich an Euch.« 19

Aber Hans Albert war so wütend oder verletzt, dass er die Briefe seines Vaters nicht mehr beantwortete. »Ich glaube, seine Gesinnung gegen mich hat den Gefrierpunkt nach unten unterschritten«, klagte Einstein in einem Brief an Besso . »Ich würde unter den obwaltenden Umständen (…) wohl auch so reagiert haben.« Nachdem in drei Monaten drei Briefe an seinen Sohn unbeantwortet geblieben waren, schrieb Einstein tief betroffen an ihn: »Erinnerst Du Dich nicht mehr an Deinen Vater? Sollen wir uns nicht einmal wiedersehen??« 20

Schließlich antwortete der Junge und legte dem Brief das Bild eines Bootes bei, das er aus Holzschnitzereien gebaut hatte. Außerdem schilderte er die Rückkehr seiner Mutter aus dem Sanatorium. »Wie die Mama heimgekommen ist, haben wir ein Fest gefeihert. Ich habe eine Sonate von Mozart eingeübt und der Tete hat ein Lied gelernt.« 21

Einstein machte eine Konzession an die traurige Situation: Er gab es – jedenfalls vorläufig – auf, Marić um die Scheidung zu bitten. Das schien zu ihrer Erholung beizutragen. »Ich werde dafür sorgen, dass sie von mir keinerlei Beunruhigung mehr erfährt«, schrieb er an Besso . »Auf eine Scheidung habe ich endgültig verzichtet. Nun zum Wissenschaftlichen!« 22

Immer wenn ihn persönliche Probleme zu bedrängen begannen, suchte er Zuflucht in seiner Arbeit. Die schirmte ihn ab, ermöglichte ihm ein Entkommen. Wie er Helene Savić mitteilte, vermutlich, damit sie es ihrer Freundin Marić hinterbrachte, hatte er vor, sich in die wissenschaftliche Gedankenwelt zurückzuziehen. »Ich ähnele einem weitsichtigen Mann, der von dem fernen Horizont entzückt ist und den der Vordergrund nur stört, wenn ihm ein undurchsichtiger Gegenstand den Blick in die Weite verstellt.« 23

Während also die persönliche Auseinandersetzung tobte, bot ihm die Wissenschaft Trost. 1916 begann er über Quanten zu arbeiten. Er hatte eine offizielle Darstellung der allgemeinen Relativitätstheorie geschrieben, die etwas verständlicher war als das, was er bei seinem Wettrennen mit Hilbert in den Beiträgen für die Sitzungsberichte zu Papier gebracht hatte. 24

Außerdem verfasste er eine noch verständlichere Version: ein Buch für Laien, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie , das bis heute viel gelesen wird. Um sicherzugehen, dass ein Durchschnittsleser es wirklich begreifen würde, las er Elsas Tochter Margot jede Seite laut vor, hielt häufig inne und fragte, ob sie es wirklich verstanden habe. »Ja, Albert«, antwortete sie jedes Mal, obwohl sie (wie sie anderen anvertraute) die ganze Sache total verwirrend fand. 25

Dieses Vermögen der Wissenschaft, als Zuflucht vor schmerzlichen persönlichen Erlebnissen zu dienen, war auch das Thema einer Rede, die er zur Feier von Max Plancks sechzigstem Geburtstag hielt. Obwohl es in der Rede vermeintlich um Planck ging, scheint sie eher etwas über Einstein selbst mitzuteilen. So sagte er beispielsweise, »dass eines der stärksten Motive, die zu Kunst und Wissenschaft hinführen, eine Flucht ist aus dem Alltagsleben mit seiner schmerzlichen Rauheit und trostlosen Öde«. Ein solcher Mensch versuche, »ein vereinfachtes und übersichtliches Bild der Welt zu gestalten«, fuhr er fort. »In dieses Bild und seine Gestaltung verlegt er den Schwerpunkt seines Gefühlslebens, um so Ruhe und Festigkeit zu suchen, die er im allzu engen Kreis des wirbelnden persönlichen Erlebens nicht finden kann.« 26

Der Vertrag

Anfang 1917 war es dann Einstein, der krank wurde. Er bekam Magenschmerzen, deren Ursache er ursprünglich für eine Krebserkrankung hielt. Nun, da seine Mission erfüllt war, ängstigte ihn der Tod nicht. Dem Astronomen Freundlich sagte er, er habe keine Furcht vor dem Tod, weil er seine Relativitätstheorie vollendet habe.

Freundlich dagegen machte sich Sorgen um den Freund, der erst 38 Jahre alt war. Er schickte Einstein zu einem Arzt, der ein chronisches Magenleiden diagnostizierte, das durch die Lebensmittelknappheit der Kriegszeit verschlimmert worden sei. Er verordnete ihm eine vierwöchige Diät aus Reis, Makkaroni und Zwieback.

Diese Magenbeschwerden schränkten ihn während der nächsten vier Jahre stark ein und machten ihm zeit seines Lebens immer wieder zu schaffen. Er lebte allein und hatte Schwierigkeiten, sich angemessenes Essen zu verschaffen. Aus Zürich schickte Zangger Pakete, die ihm helfen sollten, die verschriebene Diät einzuhalten, doch binnen zwei Monaten nahm Einstein rund 25 Kilogramm ab. Im Sommer 1917 konnte Elsa endlich eine zweite Wohnung in ihrem Mehrfamilienhaus anmieten und sorgte dafür, dass er dort als ihr Nachbar, Pflegebefohlener und Lebensgefährte einzog. 27

Mit liebevollem Eifer versorgte Elsa ihn mit bekömmlicher Nahrung. Da sie über genügend Beziehungen und Geld verfügte, verschaffte sie ihm die Nahrungsmittel, die er liebte – Eier, Butter und Brot –, obwohl sie während des Krieges nur schwer zu beschaffen waren. Jeden Tag kochte sie für ihn und verhätschelte ihn, trieb sogar Zigarren auf. Auch ihre Eltern halfen ihnen, indem sie sie öfter zu stärkenden Mahlzeiten einluden. 28

Auch sein jüngerer Sohn Eduard kränkelte. Er bekam wieder Fieber und erkrankte Anfang 1917 an einer Lungenentzündung. Nachdem Einstein die niederschmetternde medizinische Prognose erhalten hatte, schrieb er einen klagenden Brief an Besso : »Der Zustand meines Kleinen deprimiert mich sehr. Es ist ausgeschlossen, dass er ein ganzer Mensch wird. Wer weiss, ob es nicht besser wäre, wenn er Abschied nehmen könnte, bevor er das Leben richtig gekannt hat!«

Gegenüber Zangger brachte er nachdenklich die »spartanische Methode« ins Spiel – man setzte kranke Kinder auf einem Berg zum Sterben aus –, bekannte dann aber, er könne dieses Verfahren nicht akzeptieren. Stattdessen versprach er, für alle Kosten aufzukommen, die Eduards Pflege verlange, und bat Zangger , den Jungen unbedingt in die Kureinrichtung zu schicken, die er für die beste halte. »Selbst wenn Sie sich im Stillen sagen, dass jede Anstrengung vergeblich ist, schicken Sie ihn dennoch, damit meine Frau und mein Albert denken, dass etwas getan wird.« 29

In diesem Sommer reiste Einstein zurück in die Schweiz, um Eduard in einem Sanatorium des Kurorts Arosa unterzubringen. Seine Fähigkeit, sich mithilfe der Wissenschaft über persönliche Probleme zu erheben, schilderte er in einem Brief an den befreundeten Physiker Paul Ehrenfest : »Der Kleine ist sehr kränklich und muss auf 1 Jahr nach Arosa . Dorthin werde ich mit Albert gehen. Meiner Frau geht es gesundheitlich auch schlecht. Sorgen und wieder Sorgen. Aber eine hübsche Verallgemeinerung des Sommerfeld -Epstein’schen Quantensatzes habe ich gefunden.« 30

Hans Albert begleitete seinen Vater, als dieser Eduard nach Arosa brachte, und besuchte ihn anschließend, als er bei seiner Schwester Maja und deren Mann Paul Winteler in Luzern wohnte. Einstein lag mit Magenschmerzen im Bett, aber mit dem Jungen ging sein Onkel Paul wandern. Allmählich – und unterbrochen von schwierigen Phasen – wurde Einsteins Beziehung zu seinem älteren Sohn wieder besser. »Der Brief von meinem Albert war die grösste Freude, die ich im letzten Jahre erlebt hab«, teilte er Zangger mit. »Ich spüre da mit Wonne die innere Verwandtschaft.« Auch die finanziellen Sorgen legten sich. »Ich habe von der Wiener Akademie einen Preis v. 1500 Kronen erhalten, den wir für Tetes Kur in Arosa aufwenden können.« 31

Nachdem er in das Haus eingezogen war, in dem Elsa wohnte und ihn gesund pflegte, war es unvermeidlich, dass die Frage der Scheidung von Marić wieder zur Sprache kam. Anfang 1918 war es so weit. »Das Bestreben, endlich eine gewisse Ordnung in meine privaten Verhältnisse zu bringen, veranlasst mich, Dir zum zweiten Male die Scheidung vorzuschlagen«, schrieb er. »Ich bin fest entschlossen, alles zu thun, um diesen Schritt zu ermöglichen.« Dieses Mal war sein finanzielles Angebot noch großzügiger. Anstelle der jährlichen Unterhaltszahlung von inzwischen 6000 Mark bot er ihr nunmehr 9000 Mark an, mit der Auflage, dass 2000 Mark in einen Fonds für die Kinder flössen. 32

Dann fügte er noch einen erstaunlichen neuen Anreiz hinzu. Er war aus guten Gründen überzeugt, dass er eines Tages den Nobelpreis gewinnen würde. Zwar hatte sich die wissenschaftliche Gemeinschaft noch nicht gänzlich mit der Relativitätstheorie ausgesöhnt, was natürlich in besonderem Maße für die neue und unbewiesene allgemeine Relativitätstheorie galt, doch das war nur eine Frage der Zeit. Möglicherweise würden auch seine grundlegenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Lichtquanten und des photoelektrischen Effekts berücksichtigt. Deshalb unterbreitete er Marić ein verblüffendes Angebot: »Der Nobelpreis würde Dir – im Falle der Scheidung und für den Fall, dass er mir zuteil wird – a priori vollständig abgetreten.« 33

Es war eine finanziell verlockende Wette. Der Nobelpreis war damals so lukrativ wie heute. Er war dotiert mit 135.000 schwedischen Kronen oder 225.000 Mark – mehr als das 37-Fache der jährlichen Zuwendungen, die Marić von Einstein erhielt. Außerdem stand die Mark kurz vor dem Zusammenbruch, während der Nobelpreis in stabilen schwedischen Kronen ausgezahlt wurde. Noch bedeutender war die symbolische Gerechtigkeit, die sich in dieser Lösung ausdrückte: Sie hatte Einstein bei den Arbeiten des Jahres 1905 mit Berechnungen, Korrekturlesen und Hausarbeit geholfen. Nun konnte sie dafür den verdienten Lohn erhalten.

Zunächst reagierte sie erbost. »Genau vor zwei Jahren hast Du mir durch solche Briefe den letzten Stoss in dieses Elend gegeben, das ich immer noch nicht los werden kann«, erwiderte sie. »Warum quälst Du mich so unendlich? (…) Ich habe das wirklich nicht um Dich verdient.« 34

Doch nach einigen Tagen begann sie , die Situation realistischer zu betrachten. Ihr Leben hatte einen Tiefpunkt erreicht. Sie litt unter Schmerzen, Ängsten und Depression. Ihr jüngerer Sohn lebte in einem Sanatorium. Die Schwester, die gekommen war, um ihr zu helfen, verfiel selbst in eine Depression und musste in eine psychiatrische Einrichtung eingeliefert werden. Und ihr Bruder, der als Arzt in der österreichischen Armee diente, war in russische Gefangenschaft geraten. So waren das Ende des Kampfes mit ihrem Ehemann und die Aussicht auf finanzielle Sicherheit vielleicht tatsächlich das Beste für sie. Daher erörterte sie die Option mit ihrem Nachbarn Emil Zürcher , der ein Anwalt und Freund war.

Einige Tage darauf entschied sie sich, auf den Handel einzugehen. »Lasse doch Deinen Anwalt an Dr. Zürcher schreiben wie er sich alles denkt, wie der Vertrag sein soll«, schrieb sie ihm. »Ich muss das Aufregende objektiven Menschen und Kennern der sachlichen Verhältnisse überlassen. Ich möchte nicht vor Deinem Glücke sein, wenn Du entschlossen bist.« 35

Die Verhandlungen nahmen in Form von Briefen und der Beteiligung Dritter den ganzen April in Anspruch. »Ich bin neugierig, was länger dauern wird, der Weltkrieg oder unsere Scheidung «, meinte er einmal etwas vorwurfsvoll. Doch da sich die Angelegenheit in seinem Sinne entwickelte, fügte er fröhlich hinzu: »Da ist diese unsere Angelegenheit immer noch die schönere. Freundliche Grüsse an Dich und Küsse an die Buben

Im Wesentlichen ging es um Geld. Marić beschwerte sich bei einer Freundin, dass Einstein geizig sei (was nicht stimmte), woran Elsa schuld sei. »Elsa ist sehr gierig«, beklagte Marić . »Ihre beiden Schwestern sind sehr reich, und sie war immer neidisch auf sie.« Briefe gingen hin und her, in denen festgelegt wurde, wie das Geld des in Aussicht stehenden Nobelpreises ausgezahlt werden sollte, welche Rechte die Kinder daran hätten, was damit geschehe, wenn sie sich wieder verheirate, und sogar, welche Entschädigung er ihr schulde in dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Preis ihm nie verliehen würde. 36

Strittig war weiterhin die Frage, ob seine Kinder ihn in Berlin besuchen dürften. In dem Punkt war Marić unerbittlich. 37 Ende April lenkte er in dieser Sache endlich ein. »Ich gebe wegen der Kinder nach, weil ich nun die Überzeugung gewonnen habe, dass Du die Dinge in versöhnlicher Weise behandeln willst«, erklärte er. »Vielleicht kommst Du aber später selbst zu der Ansicht, dass Du mir die Buben ohne Bedenken auch hierher geben kannst. Einstweilen sehe ich sie in der Schweiz.« 38

Mit Rücksicht auf Marić’ angegriffenen Gesundheitszustand hatte Einstein versucht, eine andere Unterbringungsmöglichkeit für die beiden Jungen zu finden. Er wollte vorschlagen, sie im nahe gelegenen Luzern bei seiner Schwester Maja und ihrem Mann Paul Winteler einzuquartieren. Da die Wintelers bereit waren, das Sorgerecht für ihre Neffen zu übernehmen, fuhren sie eines Tages mit dem Zug nach Bern , um herauszufinden, ob sich das einrichten lasse. Doch als sie eintrafen, war Zangger verreist, und sie suchten nach jemandem, der ihnen beim Gespräch mit Marić helfen konnte. Daher suchte Paul seine temperamentvolle Schwester Anna auf, die mit Michele Besso verheiratet war, und fragte sie, ob sie bei ihr übernachten könnten.

Eigentlich hatte er vorgehabt, Anna den Zweck ihrer Mission nicht zu verraten, da sie sich zur Hüterin von Marić aufgeschwungen hatte und dazu neigte, ihrem gerechten Zorn beim geringsten Anlass freien Lauf zu lassen. »Sie aber ahnte den Zweck unseres Kommens«, berichtete Maja ihrem Bruder, »u. als Pauli ihre Vermutungen bestätigte, ergoß sich sofort ein (…) Schwall von Anschuldigungen, Schimpfereien u. Drohungen.« 39

Daher schrieb Einstein einen Brief an Anna , in dem er sie um Unterstützung bat. Marić , so meinte er, werde wohl infolge ihres angegriffenen Zustands »unfähig bleiben, (…) einen Haushalt zu führen«. Daher sei es das Beste, wenn Hans Albert bei Maja und Paul lebte, meinte er. Eduard könnte entweder ebenfalls bei ihnen wohnen oder so lange in einem Gebirgssanatorium bleiben, bis sich sein Gesundheitszustand verbessert habe. Einstein wollte für alles aufkommen, auch für Marić’ Behandlungskosten in einem Sanatorium in Luzern , wo sie ihre Söhne jeden Tag sehen könnte.

Unglücklicherweise beging Einstein den Fehler, den Brief damit zu beenden, dass er Anna bat, sie möge ihm helfen, die Situation zu klären, damit er Elsa heiraten könne und die Töchter nicht mehr unter der Schande seiner Beziehung zu ihrer Mutter zu leiden hätten. »Denken Sie an die beiden jungen Mädchen, deren Aussichten, sich zu verheiraten, bei dem jetzigen Zustande durch meine Schuld erheblich beeinträchtigt werden«, schrieb er. »Legen Sie doch einmal ein gutes Wort für mich bei Miza [Marić ] ein und machen Sie ihr klar, wie unschön es ist, anderen zwecklos das Leben zu erschweren!« 40

Anna antwortete, es sei Elsa , die sich egoistisch verhalte. »Wenn Elsa sich nicht blossstellen wollte, so hätte sie Ihnen nicht so auffällig nachlaufen sollen.« 41

In Wahrheit war Anna ziemlich schwierig und hatte schon bald selbst ein Zerwürfnis mit Marić . »Sie suchte sich in meine Angelegenheiten zu mischen in einer Art, die von potenzierter menschlicher Bosheit zeugt«, beklagte sich Marić bei Einstein. Zumindest trug dieser Vorfall zur Verbesserung der Beziehung zwischen den Einsteins bei. »Nicht ohne Genugthuung sehe ich aus Deinem Briefe, dass auch Du mit Anna Besso Schwierigkeiten gehabt hast«, schrieb er Marić , unmittelbar nachdem sie Einigung über die Scheidungsmodalitäten erzielt hatten. »Mir hat sie derart unverschämte Briefe geschrieben, dass ich mir weitere Briefe verbeten habe, und dass ich mich nie wieder mit ihr einlassen kann.« 42

Es waren zwar noch einige Monate bis zur rechtskräftigen Scheidung , aber die Verhandlungen waren beendet, und alle schienen erleichtert, dass das Ganze jetzt einen Abschluss finden sollte. Marić’ Gesundheit hatte sich so weit gebessert, dass sie die Kinder zu sich nehmen konnte. 43 So wurden die Briefe zwischen Berlin und Zürich freundlicher. »Mit meiner Frau hat sich nun ein zufriedenstellendes Verhältnis herausgebildet, und zwar durch die Korrespondenz, die ich mit ihr wegen der Scheidung führe!«, berichtete Einstein Zangger . »Eine drollige Versöhnungsgelegenheit.« 44

Diese Entspannung eröffnete ihm zwei Möglichkeiten für seinen Sommerurlaub 1918: seine Kinder in Zürich zu besuchen oder einen stressfreien Urlaub mit Elsa zu verbringen. Er entschied sich gegen das Gebirge, nicht zuletzt weil ihm seine Ärzte von der Höhe abgeraten hatten. So verbrachten Elsa und er sieben Wochen im Ostseebadeort Ahrenshoop . Er nahm leichten Lesestoff für den Strand mit – Immanuel Kants Prolegomena  – , dachte, wie er Besso berichtete, »ungezählte Stunden über die Quantenfrage nach« und genoss die Entspannung und die Gesundung von seinen Magenbeschwerden. »Kein Telephon, keine Verpflichtung, absolute Ruhe«, schrieb er an einen Freund. »Ich liege am Gestade wie ein Krokodil, lasse mich von der Sonne braten, sehe nie eine Zeitung und pfeife auf die sogenannte Welt.« 45

Während er diesen ungewohnten Urlaub verbrachte, versuchte er Hans Albert zu besänftigen, der seinem Vater geschrieben hatte, dass er ihn vermisse. »Schreibe mir doch bitte wenigstens warum Du nicht kommst«, bat er. 46 Einsteins Erklärung war traurig und sehr defensiv:

Du kannst Dir leicht denken, warum ich nicht habe kommen können. Diesen Winter war ich so leidend, dass ich über 2 Monate habe im Bett liegen müssen. Jede Speise muss extra für mich gekocht werden. Keine brüske Bewegung darf ich machen. Ich hätte also weder eine Wanderung mit Dir unternehmen noch im Hotel essen dürfen (…). Dazu kommt noch, dass ich mich mit Anna Besso gezankt hatte, dass ich Herrn Zangger nicht wieder zur Last fallen wollte und endlich, dass ich daran zweifelte, ob Dir an meinem Kommen viel gelegen wäre. 47

Sein Sohn zeigte viel Verständnis. Er schrieb ihm Briefe, die voller Neuigkeiten und Ideen waren, einschließlich der Beschreibung und Skizze eines Pendels, das im Inneren einer Einschienenbahn ausschwingen und den Stromkreis unterbrechen sollte, wenn die Schräglage des Zugs zu groß wurde.

Einstein hatte Hans Albert ungerechterweise gerügt, weil er keine Möglichkeit gefunden hatte, ihn während der Ferien in Deutschland zu besuchen. Dazu hätte Marić die Klausel in ihrem Trennungsvertrag außer Kraft setzen müssen, die solche Reisen ausschloss, zudem wäre es auch aus praktischen Gründen sehr schwierig gewesen. »Nach Deutschland wäre mir fast noch unmöglicher zu kommen als Dir hierher«, schrieb Hans Albert , »weil ich Doch schließlich der einzige in der Familie bin, der irgend etwas besorgen kann.« 48

So war Einstein, der sich danach sehnte, wieder in größerer Nähe zu seinen Kindern zu leben, kurzzeitig versucht, nach Zürich zurückzuziehen. Während seines Ostseeurlaubs im Sommer 1918 erwog er einen gemeinsamen Vorschlag der Universität Zürich und seines alten Polytechnikums . »Sie [können] Ihre Stellung hier ganz so ausgestalten (…), wie Sie es sich nur wünschen«, bot der Physiker Edgar Meyer an. Daraufhin schrieb Einstein an Besso : »Wie glücklich wäre ich vor 18 Jahren mit einer lumpigen Assistenz gewesen.« 49

Einstein gab zu, dass ihm die Entscheidung schwer zusetze. Zürich sei seine »wirkliche Heimat«, und die Schweiz war das einzige Land, dem er sich zugehörig fühlte. Außerdem wollte er seinen Söhnen nahe sein.

Doch der Plan hatte einen Haken. Wenn er in die Nähe seiner Söhne zog, zog er auch in die Nähe ihrer Mutter . Selbst Einstein, dem es eigentlich gut gelang, sich gegen persönliche Gefühle abzuschotten, wäre es wohl schwergefallen, in der gleichen Stadt zu wohnen wie seine erste Frau . »Dazu kommt noch, dass meiner grosse persönliche Schwierigkeiten harren würden, wenn ich mein Zelt wieder in Zürich aufschlüge«, schrieb er Besso , »wenn es auch sehr verlockend erscheint, wieder in der Nähe meiner Kinder sein zu können.« 50

Auch Elsa war über das Vorhaben nicht gerade erfreut, ja regelrecht entsetzt. Sie bat Einstein, den Plan fallen zu lassen. Meist nahm Einstein große Rücksicht auf Elsas Wünsche, weshalb er auf einen endgültigen Umzug nach Zürich verzichtete.

Stattdessen entschloss er sich zu einem Schritt, den er gewöhnlich vermied: einem Kompromiss. Er behielt seine Stellung in Berlin , war aber mit einer Gastprofessur in Zürich einverstanden, das heißt, er kam zweimal im Jahr für die Dauer eines Monats nach Zürich . So machte er – fand er – aus beiden Möglichkeiten das Beste.

Mit einer Vorsicht, die selbst für Schweizer Verhältnisse übertrieben schien, billigten die Züricher Behörden zwar den Lehrauftrag, in dem Einstein – »versuchsweise« – Kostenerstattung für Reise und Aufenthalt in Zürich zugestanden wurde, aber kein Gehalt. Die Zukunft gab ihnen recht; Einsteins Vorlesungen waren anfangs sehr beliebt, aber im Laufe der Zeit nahm das Interesse ab, und nach zwei Jahren wurden sie ganz gestrichen.

Der Sozialdemokrat

Im Scherz hatte Einstein Marić gefragt, ob wohl der Weltkrieg oder ihr Scheidungsprozess zuerst beendet wäre. Wie sich herausstellte, kamen beide Ende 1918 zu einem turbulenten Ende. Als das Deutsche Reich in diesem November zusammenbrach, erwuchsen aus einem Aufstand von Matrosen in Kiel ein Generalstreik und eine allgemeine Volkserhebung. Sein Kolleg »fiel aus wegen Revolution«, schrieb Einstein am 9. Oktober in sein Vorlesungsheft, als die Aufständischen den Reichstag besetzten und der Kaiser abdankte. Vier Tage später übernahm ein revolutionärer Arbeiter- und Studentenrat die Universität von Berlin und setzte die Dekane und den Rektor fest.

Mit dem Ausbruch des Krieges war Einstein zum ersten Mal durch seine Äußerungen zur öffentlichen Figur geworden, ein Vertreter des Internationalismus , des europäischen Föderalismus und des Widerstands gegen den Militarismus . Nach dem Friedensschluss wandte sich Einstein wieder familiären und sozialen Fragen zu.

Einstein, der von Jugend an Jost Winteler bewundert hatte und ein Freund von Friedrich Adler war, vertrat das Ideal des Sozialismus und der individuellen Freiheit. Die Revolution in Berlin unter Führung einer gemischten Gruppe von Sozialisten , Arbeiterräten, Kommunisten und anderen linken Zusammenschlüssen veranlasste ihn, sich einzumischen, wenn diese beiden Ideale in Konflikt gerieten.

Von da an vertrat Einstein einen liberal und antiautoritär gefärbten demokratischen Sozialismus , der für Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und die Eindämmung des Kapitalismus stand. Leidenschaftlich nahm er für alle Unterprivilegierten Partei. Wenn allerdings Revolutionäre dem bolschewistischen Wunsch erlagen, zentralistische Kontrolle auszuüben, oder wenn ein Regime wie das russische ihm autoritär erschien, löste sein instinktiver Drang nach individueller Freiheit meist eine ablehnende Reaktion aus.

»Für ihn kommt im Sozialismus der moralische Wunsch zum Ausdruck, die entsetzliche Kluft zwischen den Klassen zu beseitigen und ein gerechteres Wirtschaftssystem zu errichten«, schrieb sein Schwiegersohn über Einsteins Einstellung in den 1920er-Jahren. »Trotzdem kann er das sozialistische Programm nicht akzeptieren. Er schätzt das Wagnis der Einsamkeit und das Glück der Freiheit zu sehr, um ein System zu begrüßen, welches das Individuum vollkommen auszulöschen droht.« 51

Diese Einstellung behielt er bei. »Einsteins politische Grundanschauungen änderten sich während seines ganzen Lebens nicht«, sagte Otto Nathan , ein Sozialist , der ein enger Freund wurde und dann Einsteins literarischer Willensvollstrecker, als er nach Amerika emigriert war. »Es war selbstverständlich, dass er die revolutionäre Entwicklung in Deutschland 1918, den Sturz des Kaisers und die Errichtung der Demokratie, willkommen hieß, vor allem angesichts seiner tiefen und unbedingten demokratischen Gesinnung. Zu seinen politischen Grundüberzeugungen gehörte die unantastbare Würde des Menschen und der Schutz der politischen und geistigen Freiheit.« 52

Als die revolutionären Studenten in Berlin die gesamte Universitätsleitung einsperrten, schickte Einstein sich an, seine Philosophie in die Tat umzusetzen. Der Physiker Max Born lag mit Grippe im Bett, als das Telefon klingelte. Es war Einstein. Er hatte es eilig, in die Universität zu kommen, um zu sehen, ob er den Rektor und die Dekane befreien konnte, und bestand darauf, dass Born aufstand und mit ihm kam. Sie überredeten noch einen dritten Freund, sie zu begleiten, den Psychologen Max Wertheimer , einen der Väter der Gestalttheorie, vielleicht in dem Glauben, dass sein Spezialgebiet ihnen bei ihrer Aufgabe eher nützen könne als die theoretische Physik .

Die drei nahmen die Straßenbahn von Einsteins Wohnung zum Reichstag, wo die Studenten sich aufhielten. Zunächst versperrte ihnen eine dichte Menge den Weg, doch als man Einstein erkannte, wurden die drei in den Konferenzsaal geführt, wo der Studentenrat tagte.

Der Vorsitzende begrüßte sie und bat sie zu warten, während die Gruppe die neuen Statuten der Universität formulierte. Dann wandte er sich an Einstein. »Ehe ich auf Ihr Anliegen, Professor Einstein, eingehe, darf ich mir erlauben zu fragen, was Sie über die neuen Bestimmungen für die Studenten denken?«

Einige Menschen neigen von Natur aus dazu, ihre Worte sorgfältig zu wählen, ihren Zuhörern zu sagen, was sie erfreut, und das angenehme Gefühl der Einigkeit zu genießen. Nicht so Einstein. Er sparte nicht mit Kritik. »Ich habe immer gedacht, das Wertvollste an der Einrichtung der deutschen Universität ist die akademische Freiheit, die dem Dozenten in keiner Weise vorschreibt, was er lehrt, und dem Studenten die Wahl der Vorlesungen überlässt ohne viel Aufsicht und Kontrolle«, sagte er. »Ihre neuen Statuten scheinen das alles aufzuheben und durch genaue Vorschriften zu ersetzen. Mir täte es leid, wenn die alte Freiheit aufhörte.« – »Darauf«, so Born , »betretenes Schweigen bei den jungen, hochmögenden Herren.«

Das trug nicht eben zum Gelingen ihrer Mission bei. Nach einigem Hin und Her entschieden die Studenten, dass es nicht in ihrer Macht stehe, den Rektor und die Dekane freizulassen. Also gingen Einstein und seine Begleiter weiter zur Reichskanzlei, um jemanden zu finden, der die Macht dazu hatte. Es gelang ihnen, den neuen Reichskanzler zu finden, der in Eile und verwirrt, aber sofort bereit war, ein Schreiben zu verfassen, das die Freilassung anordnete.

Es klappte. Dem Trio gelang es, ihre Kollegen zu befreien, und Born berichtete: »Wir verließen das Reichskanzlerpalais in Hochstimmung, mit dem Gefühl, an einem historischen Ereignis teilgenommen zu haben und mit der Hoffnung, nun sei es für immer zu Ende mit preußischer Anmaßung.« 53

Einstein ging dann ein Stück die Straße hinunter zur Massenversammlung des wiederbelebten Bundes Neues Vaterland , wo er ein zweiseitiges Redemanuskript vorlas, das er für sein Zusammentreffen mit den Studenten mitgenommen hatte. Nachdem er sich als »alten Demokraten« bezeichnet hatte, machte er den Anwesenden klar, dass seine sozialistische Einstellung ihn nicht dazu bewege, Kontrolle nach sowjetischer Art gutzuheißen. »Andererseits müssen alle wahren Demokraten darüber wachen, dass die alte Klassen-Tyrannei von rechts nicht durch eine Klassentyrannei von links ersetzt werde«, sagte er.

Einige Linke hielten dagegen, dass der Wunsch nach Demokratie oder zumindest eine liberale Mehrparteiendemokratie aufgeschoben werden müsse, damit die Massen erzogen werden könnten und sich ein neues revolutionäres Bewusstsein durchsetzen würde. Einstein widersprach. »Lasset Εuch nicht durch Rachegefühle zu der Meinung verleiten, dass Gewalt durch Gewalt zu bekämpfen sei, dass eine vorläufige Diktatur des Proletariats nötig sei, um Freiheit in die Köpfe der Volksgenossen hineinzuhämmern«, rief er der Versammlung zu. Die neue linksgerichtete Regierung bezeichnete er verächtlich als »Diktatur-Behörde« und verlangte die unverzügliche Wahl der gesetzgebenden Versammlung, »damit möglichst bald alle Befürchtungen neuer Tyrannei zerstreut werden«. 54

Jahre später, als Adolf Hitler und seine Nazis an der Macht waren, blickte Einstein reuevoll auf jenen Tag in Berlin zurück. »Erinnerst du dich noch daran, dass wir vor etwas unter fünfundzwanzig Jahren zusammen in einer Tram nach dem Reichstagsgebäude fuhren, überzeugt, dass wir wirksam helfen könnten, aus den Kerlen dort ehrliche Demokraten zu machen?«, schrieb er an Born . »Wie naiv wir doch gewesen sind als Männer von vierzig Jahren.« 55

Heirat mit Elsa

Kaum war der Krieg zu Ende, wurde auch Einsteins Scheidung abgeschlossen. Im Prozess musste er aussagen, dass er Ehebruch begangen hatte. Am 23. Dezember 1918 erschien er in einem Berliner Gericht und erklärte vor einem Richter: »Ich lebe seit etwa 4½ Jahren mit meiner Kusine, der Witwe Elsa Einstein geschiedenen Löwenthal, zusammen und unterhalte seitdem fortgesetzt intime Beziehungen.« 56

Als wolle er es beweisen, nahm er Elsa mit, als er im folgenden Monat nach Zürich reiste, um dort seine erste Vorlesungsreihe zu halten. Anfänglich waren seine Lehrveranstaltungen, anders als später, so gut besucht, dass am Eingang des Hörsaals ein Universitätsangestellter postiert wurde, um unberechtigte Hörer zurückzuweisen. Hans Albert besuchte ihn im Hotel, vermutlich als Elsa nicht da war, und Einstein verbrachte einige Tage in Arosa , wo Eduard sich noch immer in einem Sanatorium erholte. 57

Bis zum 14. Februar 1919 blieb Einstein in Zürich , wo er vor drei örtlichen Richtern erscheinen musste, um sich das abschließende Scheidungsurteil bestätigen zu lassen. Es enthielt eine Klausel, die seinen voraussichtlichen Nobelpreis betraf. Bei seiner Aussage hatte Einstein sich als »konfessionslos« bezeichnet, doch bei der Verkündigung des Urteils trug der Protokollführer ihn als »mosaisch« ein. Auch Marić wurde als »mosaisch« geführt, obwohl sie von Geburt an und auch weiterhin eine serbisch-orthodoxe Christin war.

Wie üblich enthielt das Urteil die Auflagen: »Dem Beklagten [Einstein] wird die Eingehung einer neuen Ehe auf die Dauer von zwei Jahren, von Rechtskraft des Urteils an gerechnet, untersagt.« 58 Einstein hatte nicht die Absicht, sich an diese Klausel zu halten. Er hatte beschlossen, Elsa zu heiraten, und das tat er nach vier Monaten.

Die Entscheidung, wieder zu heiraten, war eingebettet in ein Drama, das, falls es sich so zutrug, selbst nach den Maßstäben seiner üblichen Familiendynamik bizarr war. Daran beteiligt waren Elsa Einsteins Tochter Ilse und der pazifistische Arzt und Abenteurer Georg Nicolai .

Die ältere von Elsas beiden Töchter war die 21-jährige Ilse . Einstein hatte sie als Sekretärin für das noch nicht gebaute Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik eingestellt, das er errichten sollte (der einzige Wissenschaftler, den er bisher angeworben hatte, war sein treuer Astronom Freundlich ). Ilse war eine geistreiche, idealistische junge Frau von schwanenhafter Schönheit, deren geheimnisvolle Ausstrahlung noch durch den Umstand verstärkt wurde, dass sie seit einem Unfall im Kindesalter nur noch auf einem Auge sehen konnte. Wie eine Motte von der Flamme fühlte sie sich von radikalen Politikern und faszinierenden Männern angezogen.

Daher war es keine Überraschung, dass sie sich in Georg Nicolai verliebte, der 1914 mit Einstein den pazifistischen Gegenentwurf zum »Aufruf an die Kulturwelt« deutscher Intellektueller verfasst hatte. Unter anderem war Nicolai ein auf Elektrokardiogramme spezialisierter Mediziner, der Elsa gelegentlich behandelt hatte. Der brillante Egomane mit einem beträchtlichen sexuellen Appetit war in Deutschland geboren und hatte in Paris und Russland gelebt. Bei einem Aufenthalt in Russland führte er eine Liste von Frauen, mit denen er Sex gehabt hatte, insgesamt sechzehn, darunter zwei Mutter-Tochter-Paare.

Ilse verliebte sich in Nicolai und seine Politik. Abgesehen davon, dass sie – zumindest kurzzeitig – seine Geliebte war, half sie ihm beim Abtippen und Verteilen seiner Protestbriefe. Sie unterstützte auch den Versuch, Einstein dazu zu bringen, Nicolai bei der Veröffentlichung des Sammelbands Die Biologie des Krieges zu unterstützen, der neben dem gescheiterten Aufruf von 1914 auch liberale Aufsätze von Kant und anderen klassischen deutschen Autoren enthielt. 59

Ursprünglich hatte Einstein dieses Projekt unterstützt, doch 1917 bezeichnete er es als »ganz aussichtslos«. Nicolai , der als einfacher Sanitätssoldat in der deutschen Armee gedient hatte, war davon ausgegangen, dass Einstein die Sache irgendwie finanzieren würde, und bedrängte ihn unaufhörlich. »Nichts ist schwerer, als Nicolai abzusagen«, schrieb Einstein ihm, ihn in der dritten Person anredend. »Der Mann, der in anderen Dingen so feinsinnig ist, dass das Wachsen des Grases für ihn [sch]on einen erheblichen Lärm bedeutet, erscheint fast taub, wenn das Geräusch zu einer Absage gehört.« 60

Bei einem von ihren Besuchen bei Nicolai erzählte Ilse ihm, Einstein habe jetzt vor, ihre Mutter zu heiraten. Nicolai , ein begeisterter Anhänger der Kunst, gleichzeitig mit Mutter und Tochter anzubandeln, meinte zu Ilse , Einstein begehe einen Fehler. Er solle Ilse heiraten statt der Mutter .

Es ist nicht ganz klar, was für ein psychologisches Spiel er mit den Gefühlen seiner jugendlichen Geliebten trieb. Genauso unklar ist, was für ein psychologisches Spiel sie mit seinen Gefühlen – oder ihren eigenen – trieb, als sie ihm einen Brief schrieb, in dem sie ihm in allen Einzelheiten auseinandersetzte, dass die Ilse -oder-Elsa -Frage plötzlich höchst real für Einstein geworden sei. Der Brief ist so ungewöhnlich und merkwürdig, dass es lohnt, ihn in längeren Auszügen zu zitieren:

Sie sind der einzige Mensch, dem ich Folgendes anvertrauen kann und der einzige, der mir ein Rat geben kann. (…) Sie erinnern sich, daß wir neulich von Alberts und Mamas Heirat sprachen und Sie sagten mir, Sie hielten eine Ehe zwischen Albert und mir für richtiger. Ich habe bis gestern nie im Ernst daran gedacht. Gestern plötzlich wurde die Frage gestellt, ob A. Mama oder mich heiraten wolle. Diese Frage, zuerst halb im Scherz ausgesprochen, wurde innerhalb weniger Minuten eine ernste Angelegenheit, die nun voll und ganz überlegt und besprochen werden muß. Albert selbst lehnt jede Entscheidung ab, er ist bereit mich oder Mama zu heiraten. Daß A. mich sehr lieb hat, vielleicht so lieb wie mich nie mehr ein Mann haben wird, weiß ich, hat er mir auch selbst gestern gesagt. Eines Teils würde er vielleicht sogar mich lieber als Frau haben, da ich jung bin und er Kinder von mir haben könnte, was bei Mama natürlich ganz wegfällt, er ist aber viel zu anständig und hat Mama zu lieb, als daß er es jemals aussprechen würde. Wie ich mich zu A. stelle, wissen Sie. Ich habe ihn sehr lieb, habe die größte Achtung vor ihm als Mensch. Wenn es wirklich Freundschaft und Kameradschaft zwischen zwei Wesen verschiedener Gattung gibt, so waren es ganz sicher meine Gefühle für A. Ich habe nie den Wunsch oder die geringste Lust verspürt, ihm körperlich nahe zu sein. Anders bei ihm – wenigstens in letzter Zeit. Er hat mir selbst einmal zugegeben, wie schwer es ihm fällt, sich zu beherrschen. Ich glaube nun aber doch, daß meine Gefühle für ihn nicht ausreichend sind für ein Zusammenleben als Ehegatten. (…) Als dritte Person in dieser seltsamen und auch gewiß stark komischen Angelegenheit, wäre noch Mutter zu erwähnen. Vorläufig – da sie noch nicht fest dran glaubt, daß ich wirklich Ernst mache – hat sie mir vollkommen freie Wahl gelassen. Wenn sie sehen würde, daß ich wirklich nur bei A. glücklich sein könnte, würde sie sicher aus Liebe zu mir zurücktreten. Es würde ihr aber sicher bitter schwer fallen. Und dann weiß ich nicht, ob es wirklich recht gehandelt wäre, wenn ich ihr nun – nach all den Jahren der Kämpfe – da sie endlich am Ziel ist, ihren sich selbst eroberten Platz streitig machen würde. Philister wie die Großeltern sind natürlich entsetzt über diese neuen Pläne. Mutter würde geschändet sein und solch’ angenehme Sachen mehr. (…) Albert meinte auch, wenn ich nicht den Wunsch hätte, ein Kind von ihm zu haben, wäre es für mich schöner, nicht mit ihm verheiratet zu sein. Und diesen Wunsch habe ich wirklich nicht. Es wird Ihnen sonderbar vorkommen, daß ich kleines, dummes, 20jähriges Ding über eine solch’ ernste Sache entscheiden soll; ich kann es selbst kaum glauben, fühle mich auch sehr unglücklich dabei. Helfen Sie mir! Ihre Ilse . 61

Oben auf der ersten Seite hatte sie in großen Buchstaben geschrieben: »Vernichten Sie bitte diesen Brief sofort nach dem Lesen!« Was Nicolai nicht tat.

Was ist wahr? Was ist halb wahr? Was ist die Wahrheit relativ zum Beobachter? Der einzige Hinweis, den wir auf Einsteins Zaudern zwischen Mutter und Tochter haben, ist dieser Brief. Niemand sonst hat sich damals oder später in seinen Erinnerungen dazu geäußert. Der Brief stammte von einer leidenschaftlichen, verliebten jungen Frau und war an einen attraktiven Schürzenjäger gerichtet, nach dessen Aufmerksamkeit sie sich verzehrte. Vielleicht war es reine Fantasie oder eine Inszenierung, um Nicolai eifersüchtig zu machen. Wie so oft in der Natur, besonders in der menschlichen Natur, ist die tiefer liegende Wirklichkeit, so es sie denn gibt, manchmal nicht zu erkennen.

Jedenfalls heiratete Einstein seine Elsa im Juni 1919, und Ilse blieb beiden liebevoll verbunden.

Einsteins Familienbeziehungen schienen sich in jeder Hinsicht zu verbessern. In dem Monat unmittelbar danach reiste er nach Zürich , um seine Kinder zu sehen, und wohnte mit Hans Albert in der Wohnung seiner abwesenden ersten Frau . Elsa reagierte besorgt auf dieses Arrangement, aber er versicherte ihr in zwei Briefen, dass Marić kaum da sein werde. »Die Wohnerei in der Höhle der Löwin bewährt sich sehr gut«, schrieb er in einem, »und es ist kein Zwischenfall zu befürchten.« Hans Albert und er unternahmen viel gemeinsam – gingen segeln, musizierten, bauten ein Segelflugzeug. »Der Junge macht mir unbeschreibliche Freude«, schrieb er an Elsa . »Er ist so tüchtig und ausdauernd in allem, was er macht. Auch spielt er sehr hübsch Klavier.« 62

Die Beziehungen zu seiner ersten Familie waren jetzt so weit beruhigt, dass er während seines Besuchs im Juli 1919 wieder daran dachte, er könne auch mit Elsa und ihren Töchtern dorthin ziehen. Das versetzte Elsa so in Rage, dass sie ihm sehr klarmachte, was sie davon hielt. »Wir bleiben ruhig in Berlin «, versicherte er ihr. »Also ruhiges Blut und keine Angst!« 63

Einsteins neuerliche Heirat unterschied sich von seiner ersten. Sie war nicht romantisch und leidenschaftlich. Von Anfang an hatten Elsa und er getrennte Schlafzimmer an entgegengesetzten Enden ihrer geräumigen Berliner Wohnung. Die Beziehung war auch nicht intellektuell geprägt. Relativität zu verstehen, sagte sie später, »brauch ich nicht, um glücklich zu sein«. 64

Dafür hatte sie einen Sinn fürs Praktische, den ihr Mann oft vermissen ließ. Sie sprach gut Französisch und Englisch, so konnte sie ihm auf Reisen als Übersetzerin und Managerin dienen. »Ich habe keine Talente irgendwelcher Art, ausgenommen vielleicht die der Ehefrau und Mutter«, sagte sie. »Meine mathematischen Interessen beschränken sich auf die Haushaltsrechnungen.« 65

Mit dieser Bemerkung bringt sie zwar ihre Bescheidenheit und eine gewisse Unsicherheit zum Ausdruck, stellt aber auch ihr Licht unter den Scheffel. Es war keine leichte Aufgabe, zugleich Ehefrau und Mutter für Einstein zu sein – denn er brauchte beides –, und obendrein musste sie noch seine Finanzen und sein Leben organisieren. All diese Aufgaben erledigte sie gern und liebevoll. Von ganz seltenen Anwandlungen abgesehen, wenn ihr, durch ihre Stellung bedingt, der Ruhm ein wenig zu Kopf stieg, blieb sie in der Regel schlicht und selbstironisch, was ihrem Mann half, solchen Regungen ebenfalls zu widerstehen.

Die Ehe war im Grunde eine funktionierende Symbiose und befriedigte die Bedürfnisse und Wünsche beider Partner. Elsa war eine tüchtige und lebhafte Frau, deren Wunsch es war, ihn zu unterstützen und zu schützen. Sie liebte seinen Ruhm und versuchte (im Gegensatz zu ihm) nicht, diesen Umstand zu verbergen. Sie wusste die soziale Stellung, die sie dieser Ehe verdankte, durchaus zu schätzen, auch wenn sie von ihr verlangte, dass sie Reporter und andere Eindringlinge in das Privatleben ihres Mannes liebenswürdig verscheuchen musste.

Er ließ sich ebenso gern von ihr umsorgen, wie sie es freute, ihn zu umsorgen. Sie sagte ihm, wann er essen und wohin er gehen müsse. Sie packte seine Koffer und teilte ihm sein Taschengeld zu. In der Öffentlichkeit war sie auf den Schutz des Mannes bedacht, den sie »Professor« oder einfach »Einstein« nannte.

Das erlaubte ihm, stundenlang in einer Art Tagtraum zu verharren, in dem er sich mehr auf den Kosmos als auf die Welt um sich her konzentrierte. All das war aufregend und befriedigend für sie . »Aber der Herrgott hat schon viel Schönes in ihn hineingelegt und ich find ihn wundervoll, trotzdem das Leben an seiner Seite aufregend und kompliciert ist, nicht nur in dieser, in jeder Hinsicht«, formulierte sie einmal. 66

War Einstein in einer Phase intensiver Arbeit, was häufig vorkam, wusste Elsa , »dass sie alle störenden Einflüsse von ihm fernhalten musste«, schrieb ein Verwandter. Dann kochte sie ihm sein Lieblingsessen, Linsensuppe mit Würstchen, rief ihn aus seinem Arbeitszimmer herunter und ließ ihn allein, während er das Essen mechanisch in sich hineinlöffelte. Wenn er murrte oder protestierte, erinnerte sie daran, dass er unbedingt essen musste. »Die Menschen haben noch Jahrhunderte Zeit, diese Dinge herauszufinden«, sagte sie dann, »aber dein Magen wird keine Jahrhunderte abwarten.« 67

Nach einiger Zeit sah sie ihm schon von Weitem an den Augen an, wenn er wieder »von einem Problem gepackt war«, wie sie es nannte, und ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen. Dann lief er in seinem Arbeitszimmer auf und ab und ließ sich das Essen heraufbringen. Wenn diese Phase intensiver Konzentration vorbei war, kam er zum Essen herunter, und manchmal bat er Elsa und ihre Töchter , ob sie mit ihm spazieren gingen. Immer waren sie einverstanden, brachten eine solche Bitte aber nie selbst vor. »Er muss fragen«, berichtete ein Zeitungsreporter, nachdem er sie interviewt hatte, »und wenn er sie zum Spazierengehen auffordert, wissen sie, dass seine Gedanken nicht mehr von der Arbeit in Anspruch genommen sind.« 68

Elsas Tochter Ilse heiratete schließlich Rudolf Kayser , den verantwortlichen Redakteur der führenden deutschen Literaturzeitschrift Neue Rundschau . Gemeinsam führten sie ein Haus voller Kunst, Künstler und Schriftsteller. Margot , die gerne bildhauerte, war so schüchtern, dass sie sich unter dem Tisch versteckte, wenn Einsteins Gäste eintrafen. Auch nachdem sie 1930 den Russen Dimitri Marianoff geheiratet hatte, blieb sie zu Hause wohnen. Später schrieben beide Schwiegersöhne anekdotenreiche, aber belanglose Bücher über die Familie Einstein.

Während dieser Zeit lebten Einstein, Elsa und deren beide Töchter zusammen in einer weitläufigen, dunkel möblierten Wohnung unweit des Berliner Zentrums. Die Tapeten waren dunkelgrün, die Tischtücher aus weißem Leinen mit Spitzenbesatz. Man habe gespürt, »dass Einstein immer ein Fremdling in einem solchen ›bürgerlichen‹ Haushalt blieb«, sagte sein Freund und Kollege Philipp Frank , »ein Bohemien als Gast in einem bürgerlichen Heim«.

Ungeachtet aller Bauvorschriften verwandelten sie drei Dachkammern in ein Mansardenzimmer mit großen neuen Fenstern. Unter den wohlwollenden Blicken von Newton , Maxwell und Faraday war es hin und wieder verstaubt, nie aufgeräumt und von Papierstapeln übersät. Dort saß Einstein mit einem Notizblock auf den Knien in einem alten Sessel. Manchmal stand er auf und ging umher, dann setzte er sich wieder hin und kritzelte die Gleichungen nieder, von denen er hoffte, sie würden seine Relativitätstheorie zu einer Erklärung des Kosmos erweitern. 69