Kosmologie ist die Lehre vom Universum als Ganzem, einschließlich Größe und Form, seiner Geschichte und Bestimmung, von einem Ende zum anderen, vom Anfang bis zum Ende der Zeit. Das ist ein weites Feld. Und kein einfaches. Es ist noch nicht einmal einfach, diese Begriffe zu definieren, festzustellen, welche Bedeutung sie haben oder ob sie überhaupt eine besitzen. Mit den Feldgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie schuf Einstein die Voraussetzungen für die Untersuchung des Universums und wurde damit zum Begründer der modernen Kosmologie .
In den frühen Stadien half ihm dabei Karl Schwarzschild , ein brillanter Mathematiker und noch besserer Astrophysiker, der die Potsdamer Sternwarte leitete. Nachdem er Einsteins neue Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie gelesen hatte, versuchte er, sie Anfang 1916 auf Objekte im All anzuwenden.
Allerdings arbeitete Schwarzschild unter erschwerten Bedingungen. Er hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst im deutschen Heer gemeldet, und als er Einsteins Arbeiten las, war er in Russland stationiert, wo er die Flugbahnen von Artilleriegeschossen vorausberechnete. Trotzdem fand er noch genügend Zeit, um mathematisch zu bestimmen, welche Gestalt das Gravitationsfeld nach Einsteins Theorie in der Umgebung eines Objekts im leeren Raum annähme. Schwarzschild war gewissermaßen in Kriegszeiten die Entsprechung zu Einstein, der die spezielle Relativitätstheorie entwickelte, während er Patentanträge für die Synchronisation von Uhren prüfte.
Im Januar 1916 schrieb Schwarzschild Einstein einen Brief mit seinem Ergebnis und fügte erläuternd hinzu, so könne seine Theorie »noch heller erstrahlen«. Unter anderem bestätigte er mit größerer mathematischer Strenge, dass sich mit Einsteins Gleichungen die Umlaufbahn des Merkur erklären lasse. Einstein war begeistert. »Ich hätte nicht erwartet, dass man so einfach die strenge Lösung der Aufgabe formulieren könne«, antwortete er. Am folgenden Donnerstag reichte er bei der wöchentlichen Versammlung der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Arbeit zur Veröffentlichung ein. 1
In seiner ersten Berechnung beschäftige sich Schwarzschild mit der Raumzeit außerhalb eines kugelförmigen, nicht rotierenden Sterns. Einige Wochen später schickte er Einstein eine weitere Arbeit, die aufzeigte, wie es im Inneren eines solchen Sterns aussähe.
In beiden Fällen erschien ein ungewöhnliches Ereignis möglich, ja unvermeidlich. Wenn die gesamte Masse eines Sterns (oder irgendeines anderen Objekts) in einem Bereich zusammengepresst würde, der klein genug ist (innerhalb einer Kugelfläche, deren Radius man heute als Schwarzschild -Radius bezeichnet), verlören alle diese Berechnungen ihre Gültigkeit. Im Zentrum wäre die Raumzeit in sich selbst gekrümmt . Bei unserer Sonne geschähe dies, wenn all ihre Masse auf einen Radius von rund 3 Kilometern zusammengepresst wäre. Bei der Erde wäre es bei einem Radius von etwa 8 Millimetern der Fall.
Was bedeutet das? In einer solchen Situation könnte nichts, was innerhalb des Schwarzschild -Radius läge, der Gravitationsanziehung entkommen, noch nicht einmal das Licht oder irgendeine andere Form von Strahlung. Auch die Zeit wäre extrem verzerrt: Ein Reisender, der sich dem Schwarzschild -Radius nähern würde, erschiene einem Beobachter von außen vollkommen bewegungslos.
Weder damals noch später glaubte Einstein, dass diese Ergebnisse tatsächlich einen realen Hintergrund hätten. Beispielsweise veröffentlichte er er 1939 ein Papier, von dem er behauptete, es liefere »eine eindeutige Begründung, warum es diese ›Schwarzschild -Singularitäten‹ in der physikalischen Realität nicht geben kann«. Doch einige Monate später hielten J. Robert Oppenheimer und sein Student Hartland Snyder dagegen und vertraten die Ansicht, Sterne könnten sehr wohl einen Gravitationskollaps erleiden. 2
Schwarzschild selbst blieb es versagt, der Frage weiter nachzugehen. Wenige Wochen nach Abfassung seiner Arbeiten zog er sich an der Front eine schreckliche Autoimmunkrankheit zu, die seine Hautzellen zerstörte. Im Mai dieses Jahres starb er im Alter von 42 Jahren.
Wie sich nach Einsteins Tod herausstellte, hatte Schwarzschild mit seiner seltsam anmutenden Theorie recht. Sterne können in sich zusammenstürzen und zu einem solchen Objekt werden. Tatsächlich geschieht es häufig. In den 1960er-Jahren bewiesen Physiker wie Stephen Hawking , Roger Penrose , John Wheeler , Freeman Dyson und Kip Thorne , dass diese Objekte sich tatsächlich aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ergeben, und zwar sehr real. Wheeler nannte sie »Schwarze Löcher «, und seither sind sie aus der Kosmologie und aus Star Trek -Episoden nicht mehr wegzudenken. 3
Inzwischen sind Schwarze Löcher überall im Universum entdeckt worden, unter anderem eines im Zentrum unserer Galaxis, das einige Millionen Mal so massereich ist wie unsere Sonne. »Schwarze Löcher sind weder selten noch zufällige Verzierungen unseres Universums «, schreibt Dyson . »Sie sind die einzigen Orte im Universum , an denen sich Einsteins Relativitätstheorie in ihrer ganzen Kraft und Herrlichkeit offenbart. Hier, und nirgendwo anders, verlieren Raum und Zeit ihre Individualität und verschmelzen zu einer stark gekrümmten vierdimensionalen Struktur, die exakt von Einsteins Gleichungen beschrieben wird.« 4
Einstein glaubte, dass seine allgemeine Relativitätstheorie Newtons Eimer-Problem in einer Weise löse, die Mach gefallen hätte: Trägheit (oder Zentrifugalkräfte) existiere nicht bei einem Objekt, das in einem vollständig leeren Universum rotiere. 5 Stattdessen werde Trägheit nur durch die Rotation relativ zu allen anderen Objekten im Universum erzeugt. »Die Trägheit ist eben nach meiner Theorie im letzten Grunde eine Wechselwirkung der Massen, nicht eine Wirkung, bei welcher ausser der ins Auge gefassten Masse der ›Raum‹ als solcher beteiligt ist«, schrieb Einstein an Schwarzschild . »Man kann es scherzhaft so ausdrücken. Wenn ich alle Dinge aus der Welt verschwinden lasse, so bleibt nach Newton der Galileische Trägheitsraum , nach meiner Auffassung aber nichts übrig.« 6
Das Trägheitsproblem verwickelte Einstein in eine Auseinandersetzung mit Willem de Sitter aus Leiden , einem der bedeutendsten Astronomen der Zeit. Während des ganzen Jahres 1916 kämpfte Einstein darum, die Relativität der Trägheit und das Mach ’sche Prinzip zu bewahren. Dazu bediente er sich aller möglichen Konstrukte, so zum Beispiel der Annahme von »Grenzbedingungen« wie ferner Massen an den Rändern des Raums, die natürlich nicht zu beobachten waren. Wie de Sitter anmerkte, wäre das an sich schon ein Gräuel für Mach gewesen, der jede Behauptung ablehnte, die sich nicht beobachten ließ. 7
Im Februar 1917 schlug Einstein einen neuen Ansatz vor. »Ich bin ganz von meiner von Ihnen mit Recht bekämpften Ansicht vom Ausarten der g µν abgekommen«, schrieb er de Sitter . »Ich bin neugierig, was Sie zu der etwas phantastischen Auffassung sagen werden, die ich jetzt ins Auge gefasst habe.« 8 Es war eine Idee, die ihm anfangs so verrückt erschien, dass er seinem Freund Paul Ehrenfest in Leiden mitteilte, er habe etwas geschrieben, »was mich ein wenig in Gefahr setzt, in einem Tollhaus interniert zu werden«, um scherzend fortzufahren, er müsse sichergehen, dass es keine solche Anstalt in Leiden gebe, bevor er zu Besuch komme. 9
Im selben Monat erschien seine neue Idee in der Abhandlung »Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie « , einer weiteren grundlegenden Abhandlung von Einstein. 10 Oberflächlich betrachtet scheint sie wirklich auf einem verrückten Einfall zu beruhen: Der Raum hat keine Grenzen, sondern krümmt sich in sich selbst zurück.
Zunächst erklärte Einstein, ein unendliches Universum voller Sterne und anderer Objekte sei nicht plausibel. Dort würden auf jeden Punkt aus allen Richtungen eine unendliche Gravitationskraft und eine unendliche Lichtmenge einwirken. Andererseits sei ein endliches Universum , das an einem zufälligen Ort im Raum schwebe, ebenfalls undenkbar. Unter anderem deshalb, weil unklar sei, was die Sterne und Energie daran hindere, einfach davonzufliegen, sodass sich das Universum allmählich auflöse.
Daher entwickelte er eine dritte Möglichkeit: ein endliches Universum , aber eines ohne Grenzen. Die Massen im Universum krümmen den Raum (oder besser, das ganze vierdimensionale Gefüge der Raumzeit ) infolge der ungeheuren Ausdehnung des Universums so stark, dass er sich mit sich selbst vereinigt. Das System ist geschlossen und endlich, aber es besitzt weder Ende noch Rand.
Damit seine Leser sich das bildlich vorstellen konnten, forderte Einstein sie auf, sie sollten sich zunächst zweidimensionale Entdeckungsreisende auf einem zweidimensionalen Universum – etwa einer ebenen Fläche – vorstellen. Diese »Flachländer« können auf der ebenen Oberfläche in jede Richtung wandern, aber die Begriffe »oben« und »unten« haben keine Bedeutung für sie.
Stellen wir uns nun eine Abänderung vor: Was ist, wenn sich die beiden Dimensionen dieser Flachländer immer noch auf einer Fläche befinden, aber diese Fläche (für sie kaum merklich) etwas gekrümmt ist? Wenn sie und ihre Welt immer noch auf zwei Dimensionen beschränkt sind, aber das, was sie für eine Ebene halten, in Wirklichkeit eine ausgedehnte Kugelfläche ist? In Einsteins Worten: »Wir denken uns nun abermals ein zweidimensionales Geschehen, aber nicht auf einer Ebene, sondern auf einer Kugelfläche.« Schießt einer der Flachländer einen Pfeil ab, scheint er auf gerader Linie davonzufliegen, aber er folgt der Krümmung und kommt schließlich an den Ausgangspunkt zurück wie der Seefahrer auf der Oberfläche unseres Planeten, der geradeaus in See sticht, am Ende aber in der entgegengesetzten Richtung am Horizont erscheint.
Durch die Krümmung wird der zweidimensionale Raum der Flachländer endlich, und doch hat er keine Grenze. Egal, in welche Richtung sie reisen, sie kommen an kein Ende und keinen Rand ihres Universums , sondern gelangen schließlich an die Stelle, von der sie aufgebrochen sind. Einstein dazu: »Der große Reiz, den die Versenkung in diese Überlegung bereitet, liegt in der Erkenntnis: Die Welt dieser Wesen ist endlich und hat doch keine Grenzen .« Wenn die Fläche der Flachländer wie die Haut eines Luftballons wäre, könnte sich ihr ganzes Universum ausdehnen, ohne auf irgendeine Grenze zu stoßen. 11
Wir können einen Schritt weitergehen und uns (wie von Einstein verlangt) vorstellen, dass sich der dreidimensionale Raum in ähnlicher Weise krümmen und so ein in sich abgeschlossenes, endliches Volumen bilden kann. Für uns als dreidimensionale Geschöpfe ist es nicht leicht, uns eine bildliche Vorstellung von einem solchen dreidimensionalen Raum zu machen, aber mathematisch lässt er sich mithilfe der von Gauß und Riemann entwickelten nichteuklidischen Geometrie leicht beschreiben. Das gilt auch für eine vierdimensionale Raumzeit .
In einem solchen gekrümmten Universum scheint sich ein Lichtstrahl, der eine beliebige Richtung einschlägt, in gerader Linie zu entfernen und trotzdem an seinen Ausgangsort zurückzukehren. »Dieser Vorschlag eines endlichen, aber unbegrenzten Raums ist eine der großartigsten Ideen zur Natur der Welt, die man je ersonnen hat«, verkündete der Physiker Max Born . 12
Gewiss, aber was befindet sich außerhalb des gekrümmten Universums ? Was ist auf der anderen Seite der Kurve? Das ist nicht nur eine unbeantwortbare, sondern auch eine sinnlose Frage, so wie es für einen Flachländer bedeutungslos wäre, wenn er fragte, was sich außerhalb seiner Fläche befinde. Man könnte sich, auf die Fantasie oder die Mathematik gestützt, die Frage stellen, wie die Dinge wohl in der vierten Dimension aussehen, doch von Sciencefiction abgesehen hat es wenig Sinn zu fragen, was in einem Bereich ist, der sich außerhalb der drei räumlichen Dimensionen unseres gekrümmten Universums befindet. 13
Dieses Konzept des Kosmos, das Einstein aus seiner allgemeinen Relativitätstheorie entwickelte, war elegant und magisch. Doch schien es einen Haken zu geben, eine Schwäche, die es zu beseitigen oder zu vertuschen galt: Nach seiner Theorie musste das Universum entweder expandieren oder sich zusammenziehen. Es konnte also nicht statisch sein. Ging man von seinen Feldgleichungen aus, war ein statisches Universum unmöglich, weil die Gravitationskräfte alle Materie zusammenzögen.
Das deckte sich nicht mit den Beobachtungen der meisten Astronomen. Soweit sie wussten, bestand das Universum nur aus unserer Milchstraße , und alles machte einen sehr stabilen und statischen Eindruck. Die Sterne mäanderten ein wenig vor sich hin, machten aber keine Anstalten, als Teil eines expandierenden Universums davonzurasen. Andere Galaxien, wie Andromeda , waren nur verschwommene Flecken am Himmel. (Einigen amerikanischen Astronomen, die am Lowell-Observatorium in Arizona forschten, war aufgefallen, dass die Spektren einiger rätselhafter Spiralnebel zum roten Ende verschoben waren, aber die Wissenschaftler hatten noch nicht erkannt, dass das ferne Galaxien waren, die sich rasch von unserer eigenen entfernten.)
Wenn die konventionellen Physiker mit ihrer Weisheit am Ende zu sein schienen und eine seiner eleganten Theorien offenbar mit dieser unvereinbar schien, war Einstein stets geneigt, eher diese Weisheit infrage zu stellen als seine Theorie, wobei in der Vergangenheit oft seine Dickköpfigkeit den Sieg davongetragen hatte. In diesem Fall implizierten seine Gleichungen, ja schrien förmlich hinaus, dass die konventionelle Vorstellung von einem stabilen Universum falsch war und – nicht anders als Newtons Konzept der absoluten Zeit – aufgegeben werden musste. 14
Doch dieses Mal nahm er, wie er es nannte, eine »kleine Veränderung« an seiner Theorie vor, um die Materie im Universum an einer Implosion zu hindern. Das heißt, Einstein fügte eine »abstoßende« Kraft hinzu, eine minimale Ergänzung der Gleichungen seiner Relativitätstheorie , um im Gesamtsystem ein Gegengewicht zur Gravitation zu bilden.
In seinen revidierten Gleichungen wurde diese Modifikation mit dem griechischen Buchstaben λ bezeichnet. Ein Zusatzterm in den Gleichungen, nämlich das λ multipliziert mit dem metrischen Tensor g µν , änderte die Gleichungen so ab, dass sich ein stabiles, statisches Universum ergab. In der Abhandlung aus dem Jahr 1917 schlug Einstein fast einen entschuldigenden Ton an: »[Wir] mußten (…) allerdings eine neue, durch unser tatsächliches Wissen von der Gravitation nicht gerechtfertigte Erweiterung der Feldgleichungen der Gravitation einführen.«
Das neue Element bezeichnete er als »kosmologisches Glied« oder »kosmologische Kontante «. 15 Als er entdeckte, dass das Universum tatsächlich expandierte , nannte Einstein den Term seine »größte Eselei«. Doch heute, da wir wissen, dass die Expansion des Universums sich beschleunigt , gilt der Term wieder als nützlicher, ja notwendiger Bestandteil der Gleichung. 16
In fünf Monaten des Jahres 1905 hatte Einstein die Physik auf den Kopf gestellt, indem er die Lichtquanten , die spezielle Relativitätstheorie und eine statistische Methode zum Nachweis für die Existenz von Atomen entdeckte. Jetzt hatte er eine längere kreative Phase eingelegt – vom Herbst 1915 bis zum Frühjahr 1917. Dennis Overbye schrieb: »Man könnte sie durchaus als die erstaunlichste über einen längeren Zeitraum andauernde intellektuelle Leistung eines Menschen in der Geschichte der Physik bezeichnen.« Seinen ersten Schaffensrausch als Patentbeamter hatte er mit bemerkenswert wenig Mühsal bewältigt. Aber diese zweite Phase war eine heftige Anstrengung gewesen, aus der er erschöpft und von Magenschmerzen gequält hervorging. 17
In dieser Zeit verallgemeinerte er die Relativitätstheorie , entdeckte die Feldgleichungen der Gravitation , fand eine physikalische Erklärung für die Lichtquanten , deutete an, dass die Quanten eher dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit als dem der Gewissheit gehorchten, 18 und entwickelte ein Konzept für den Aufbau des Universums als eines Ganzen. Überall – vom kleinsten Objekt, dem Quant, bis zum größten, dem Kosmos – hatte Einstein seine Meisterschaft bewiesen.
Die allgemeine Relativitätstheorie bot die Möglichkeit eines spektakulären Tests, der großes Aufsehen erregen und eine kriegsmüde Welt auf andere Gedanken bringen konnte. Das Konzept, um das es ging, war so einfach, dass jeder es verstehen konnte: Die Schwerkraft konnte Lichtstrahlen verbiegen. Ganz konkret sagte Einstein vorher, um welchen Winkel das Licht eines fernen Sterns auf seinem Weg durch das starke Gravitationsfeld in der Nähe der Sonne abgelenkt würde.
Um das zu überprüfen, mussten die Astronomen die Position eines Sterns unter normalen Bedingungen aufzeichnen und dann warten, bis die Konstellationen so waren, dass die Bahn des Lichts in unmittelbarer Nähe an der Sonne vorbeiführte. Abschließend brauchten sie nur noch festzustellen, ob die Position des Sterns sich verschoben hatte.
Es gab allerdings eine große Schwierigkeit. Die Beobachtung ließ sich nur bei totaler Sonnenfinsternis durchführen. Anders würden die Sterne nicht sichtbar werden und sich fotografieren lassen. Zum Glück hat die Natur die Größe von Sonne und Mond im richtigen Verhältnis bemessen, sodass sich jeweils im Abstand von wenigen Jahren vollständige Verfinsterungen zu Zeiten und an Orten ereignen, die für eine Beobachtung und damit für ein solches Experiment ideal geeignet sind.
Einstein hatte 1911 in seiner Abhandlung »Über den Einfluß der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichtes« und in seinen Entwurf-Gleichungen aus dem folgenden Jahr errechnet, dass das Licht einer Ablenkung von ungefähr 0,85 Bogensekunden unterliege (wobei einige später erfolgte Datenkorrekturen berücksichtigt sind). Das entsprach dem Wert, der durch eine Emissionstheorie vorhergesagt würde, die – wie die Newton ’sche – Licht als Teilchen behandelte. Wie oben erwähnt, musste der Versuch, diese These während der August-Finsternis 1914 zu überprüfen, wegen der Kriegswirren abgebrochen werden. So war Einstein vermutlich die Blamage erspart geblieben, dass seine Vorhersage widerlegt wurde.
Mit den Ende 1915 aufgestellten Feldgleichungen, die die Krümmung der Raumzeit durch Gravitation erklärten, hatte er eine doppelt so starke Ablenkung errechnet. Jetzt sagte er, Licht, das die Sonne in großer Nähe passiere, müsse um rund 1,7 Bogensekunden abgelenkt werden.
In seinem populärwissenschaftlichen Buch über die Relativitätstheorie aus dem Jahr 1916 lieferte er den Astronomen eine weitere Möglichkeit, seine Schlussfolgerung zu testen. »Dies [die Ablenkung um 1,7 Bogensekunden] müßte sich dadurch äußern, daß die in der Nähe der Sonne erscheinenden Fixsterne (…) um diesen Betrag von der Sonne weggerückt erscheinen müssen gegenüber der Lage, die sie für uns am Himmel einnehmen, wenn die Sonne an einer anderen Stelle am Himmel steht. Die Prüfung des Zutreffens oder Nichtzutreffens dieser Konsequenz ist eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit, deren baldige Lösung wir von den Astronomen erhoffen dürfen.« 19
Dem niederländischen Astrophysiker Willem de Sitter war es gelungen, ein Exemplar von Einsteins Artikel zur allgemeinen Relativitätstheorie mitten im Krieg über den Kanal zu Arthur Eddington zu schicken, dem Direktor des Cambridge -Observatoriums. Einstein war nicht sehr bekannt in England, wo sich die meisten Wissenschaftler darin gefielen, ihre deutschen Kollegen zu ignorieren. Eddington wurde zur löblichen Ausnahme. Er war von der Relativitätstheorie begeistert und schrieb einen Bericht auf Englisch, der die Theorie auf der Insel bekannt machte, zumindest unter Wissenschaftlern.
Eddington setzte sich mit Sir Frank Dyson , dem Astronomer Royal, in Verbindung und entwickelte den kühnen Plan, die Theorie eines Deutschen durch ein Team von englischen Forschern beweisen zu lassen, und das, während die beiden Länder gegeneinander Krieg führten. Außerdem löste das Vorhaben noch ein persönliches Problem für Eddington . Er war Quäker, daher drohte ihm als religiös motiviertem Kriegsdienstverweigerer in England eine Gefängnisstrafe. (1918 war er mit 35 Jahren noch im kriegsdienstfähigen Alter.) Doch Dyson konnte die britische Admiralität davon überzeugen, dass Eddington seinem Land am besten diente, indem er eine Expedition leitete, die die Relativitätstheorie während der nächsten vollständigen Sonnenfinsternis überprüfte.
Diese Sonnenfinsternis war für den 29. Mai 1919 vorhergesagt, und Dyson strich heraus, dass dies eine einzigartige Gelegenheit sei. Die Sonne würde dann in dem sternreichen Sternenhaufen der Hyaden stehen, den wir normalen Sterngucker als Zentrum des Sternbilds Stier kennen. Die Sonnenfinsternis sollte am sichtbarsten sein auf einem Streifen der Erdoberfläche, der sich in der Nähe des Äquators über dem Atlantik von der Küste Brasiliens bis nach Äquatorialafrika erstreckte. Leicht würde es auch nicht sein. Als die Expedition 1918 geplant wurde, gab es deutsche U-Boote in der Region, und deren Kommandanten waren mehr an der Kontrolle des Meeres als an der Krümmung des Kosmos interessiert.
Glücklicherweise endete der Krieg , bevor die Expeditionen begannen. Anfang März 1919 stach Eddington von Liverpool aus mit zwei Teams in See. Eine Gruppe trennte sich von der anderen und stellte ihre Kameras in der Stadt Sobral im nordbrasilianischen Amazonasdschungel auf. Die zweite Gruppe, die von Eddington selbst geleitet wurde, steuerte die Insel Principe an, eine portugiesische Kolonie, ein Grad nördlich des Äquators unmittelbar vor der Atlantikküste Afrikas gelegen. Eddington baute seine Gerätschaften auf einer 150 Meter hohen Klippe an der Nordspitze der Insel auf. 20
Die Sonnenfinsternis sollte kurz nach 3.13 Uhr örtlicher Zeit auf Principe beginnen und ungefähr fünf Minuten dauern. Am Morgen fiel dichter Regen. Aber als der Zeitpunkt der Finsternis näher rückte, begann es aufzuklaren. Doch der Himmel trieb weiterhin sein böses Spiel mit Eddington während der wichtigsten Minuten seiner beruflichen Laufbahn, indem er die verbleibenden Wolken noch einmal dicht zusammenzog, bis sich am Ende die scheue Sonne doch noch einmal zeigte.
»Ich habe die Sonnenfinsternis nicht gesehen, weil ich zu beschäftigt war, die Platten auszuwechseln; nur ein flüchtiger Blick, um sicherzugehen, dass sie schon begonnen hatte, und noch ein Blick, um festzustellen, wie viel Wolken da waren«, schrieb Eddington in sein Tagebuch. Er machte sechzehn Aufnahmen. »Die von der Sonne sind alle gut geworden und zeigen eine bemerkenswerte Protuberanz. Aber die Sternfotografien sind von den Wolken beeinträchtigt.« In seinem Telegramm nach London am selben Tag ist sein Stil telegrafischer: »Wolkig, voller Hoffnung. Eddington .« 21
Das Team in Brasilien hatte besseres Wetter, aber die Endergebnisse mussten warten, bis alle fotografischen Platten per Schiff nach England zurückgebracht, entwickelt, ausgemessen und verglichen waren. Das dauerte bis September, während die informierte wissenschaftliche Gemeinschaft Europas ungeduldig wartete. Für einige Beobachter bekam das Ganze in dieser Nachkriegszeit den politischen Beigeschmack eines Wettkampfs zwischen der englischen Theorie Newtons – die eine Ablenkung von 0,85 Bogensekunden vorhersagte – und der deutschen Theorie Einsteins – die eine Ablenkung von 1,7 Bogensekunden vorhersagte.
Das Fotofinish ergab kein eindeutiges Ergebnis. Ein Satz besonders guter in Brasilien aufgenommener Bilder zeigte eine Ablenkung von 1,98 Bogensekunden. Ein anderes Gerät, das ebenfalls in Brasilien eingesetzt worden war, lieferte Fotos, die ein wenig verschwommener waren, weil die Hitze die Spiegel beeinträchtigt hatte; sie ließen auf eine Ablenkung von 0,6 Bogensekunden schließen, wiesen aber eine größere Fehlerspanne auf. Schließlich gab es noch Eddingtons eigene Platten aus Principe . Die zeigten weniger Sterne, daher war eine komplizierte Berechnung erforderlich, um einige Daten zu gewinnen. Die schienen eine Ablenkung von ungefähr 1,6 Bogensekunden anzuzeigen.
Die Vorhersagekraft von Einsteins Theorie – der Umstand, dass sich eine überprüfbare Vorhersage aus ihr ableiten ließ – war für Eddington , der schon ihrer mathematischen Eleganz wegen zutiefst von ihr überzeugt war, ein zusätzlicher Antrieb. Er strich den niedrigeren Wert aus Brasilien mit dem Hinweis auf die Probleme mit dem betreffenden Gerät und gelangte durch eine leichte Bevorzugung der eigenen, etwas unscharfen Ergebnisse auf Afrika zu einem Durchschnittswert, der knapp über 1,7 Bogensekunden lag und damit Einsteins Vorhersagen entsprach. Es war nicht die sauberste Bestätigung, aber sie war gut genug für Eddington , und sie sollte durch spätere Messungen auch bestätigt werden. Später bezeichnete er den Augenblick, als er die Ergebnisse erhielt, als den größten seines Lebens. 22
In Berlin gab sich Einstein äußerlich gelassen, konnte aber die Ungeduld, mit der er die Nachricht erwartete, nicht ganz verbergen. Die Abwärtsspirale der deutschen Wirtschaft hatte dazu geführt, dass der Fahrstuhl in seinem Wohngebäude nicht mehr funktionierte und er selbst sich auf einen Winter mit unzureichendem Heizmaterial vorbereitete. »[Uns] steht (…) grosses Frieren im Winter bevor«, schrieb er seiner leidenden Mutter am 5. September. »Von der Sonnenfinsternis hört man immer noch nichts.« Eine Woche später beendete er einen Brief an seinen Freund Paul Ehrenfest in den Niederlanden mit der scheinbar beiläufigen Frage: »Habt Ihr dort vielleicht etwas von den englischen Sonnenfinsternis -Expeditionen vernommen?« 23
Allein durch die Frage zeigte Einstein, dass er lange nicht so gelassen war, wie er erscheinen wollte, denn seine niederländischen Freunde hätten ihn längst benachrichtigt, wäre ihnen etwas zu Ohren gekommen. Schließlich taten sie es. Am 22. September 1919 schickte Lorentz ein Telegramm, in dem er Einstein mitteilte, was er gerade von einem astronomischen Kollegen gehört hatte, der auf einer Konferenz mit Eddington gesprochen hatte: »Eddington fand sternverschiebung am sonnenrand vorlaeufige groesse zwischen neun zehntel sekunde und doppeltem.« Das war wundervoll uneindeutig. War es eine Verschiebung von 0,85 Bogensekunden, wie es Newtons Emissionstheorie und Einsteins 1912 verworfene Theorie vorausgesagt hatten? Oder war es, wie jetzt von ihm vorhergesagt, das Doppelte?
Einstein hatte keine Zweifel. »Heute eine freudige Nachricht«, schrieb er seiner Mutter , »H. A. Lorentz hat mir telegraphiert, dass die englischen Expeditionen die Lichtablenkung an der Sonne wirklich bewiesen haben.« 24 Vielleicht entsprang seine Zuversicht teilweise der Absicht, seine Mutter aufzuheitern, die an Magenkrebs erkrankt war. Aber wahrscheinlich war es die Erkenntnis, dass er mit seiner Theorie recht hatte.
Kurz nach Eintreffen von Lorentz’ Telegramm sprach Einstein mit einer Doktorandin namens Ilse Schneider . »Plötzlich unterbrach Einstein die Diskussion«, erinnerte sie sich später. Er ergriff das Telegramm, das auf dem Fensterbrett lag. »Dies könnte Sie interessieren«, sagte er und reichte es ihr.
Natürlich war sie außer sich vor Freude und aufgeregt, aber Einstein blieb ganz ruhig. »Ich wußte , daß die Theorie richtig ist«, meinte er.
Aber was denn gewesen wäre, wenn die Experimente die Theorie widerlegt hätten, fragte sie .
Er erwiderte: »Da könnt’ mir halt der Liebe Gott leid tun, die Theorie stimmt doch.« 25
Als genauere Nachrichten über das Experiment bekannt wurden, gehörte Max Planck zu den ersten Gratulanten. Freundlich merkte er an, dass es immer gut sei, wenn die eigene Gewissheit durch konkrete Fakten untermauert werde. »Dass Sie selber an dem Resultat nicht zweifelten, haben Sie schon öfters geäussert«, schrieb Planck , »aber es ist doch gut, wenn nun auch für andere diese Tatsache unzweifelhaft festgelegt wird.« Für Einsteins unbeirrbaren Gönner hatte der Triumph auch einen transzendenten Aspekt: »So hat sich denn der innige Bund zwischen dem Schönen, Wahren und Wirklichen wieder einmal als wirksam erwiesen.« In seiner Antwort an Planck gab sich Einstein bescheiden: »Es ist doch eine Gnade des Schicksals, dass ich dies habe erleben dürfen.« 26
Einsteins Korrespondenz mit Freunden aus Zürich , die ihm gratulierten, war nicht ganz so tiefschürfend. Das dortige physikalische Kolloquium schickte ihm eine Kostprobe seiner holprigen Reimkünste:
Alle Zweifel sind entschwunden
Endlich ist es nun gefunden:
Das Licht, das läuft natürlich krumm
Zu Einsteins allergrösstem Ruhm! 27
Worauf Einstein einige Tage später mit Bezug auf die Sonnenfinsternis antwortete:
Frau Sonne uns Licht und Wärme schenkt
Doch liebt sie nicht den, der da grübelt und denkt.
Drum müht sie sich ab gar manches Jahr
Wie sie wohl schlau ihr Geheimnis’ bewahr!
Doch jüngst kam der liebliche Mond zu Gast;
Vor Freude vergass sie zu leuchten fast.
Ist auch um ihr tief Geheimnis gekommen –
Der Eddington hat es ja aufgenommen. 28
Die erste inoffizielle Bekanntgabe erfolgte bei einem Treffen der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften . Stolz saß Einstein neben Lorentz auf dem Podium und erläuterte Eddingtons Resultate einem jubelnden Publikum aus Studenten und Wissenschaftlern.
Aber es war eine geschlossene Veranstaltung ohne Presse, daher verstärkten die Dinge, die durchsickerten, nur die enorme öffentliche gespannte Erwartung der offiziellen Bekanntgabe, die zwei Wochen später in London stattfinden sollte.
Die Mitglieder der Royal Society , Großbritanniens altehrwürdiger und bedeutendster wissenschaftlichen Gesellschaft, kamen am Nachmittag des 6. November 1919 mit den Kollegen der Royal Astronomical Society im Burlington House in Piccadilly zusammen, um an einer Versammlung teilzunehmen, die, wie man wohl behaupten darf, in die Geschichte eingehen sollte. Es gab nur einen einzigen Tagespunkt: den Bericht über die Beobachtungen der Sonnenfinsternis .
Sir J. J. Thomson , der Präsident der Royal Society und Entdecker des Elektrons , hatte den Vorsitz. Unter den Zuhörern saß der Philosoph Alfred North Whitehead , der aus Cambridge angereist war und sich Notizen machte. Unter dem beeindruckenden Porträt Isaac Newtons im großen Saal sitzend, blickte er auf die Anwesenden hinab. »Die Atmosphäre gespannter Aufmerksamkeit war ganz die eines griechischen Dramas«, berichtete Whitehead . »Wir waren der Chor, der die Verkündigung des Schicksals zu begleiten hatte, (…) und im Hintergrund das Porträt Newtons , das uns daran erinnerte, daß die größte aller wissenschaftlichen Verallgemeinerungen nun nach mehr als zwei Jahrhunderten ihre erste Modifikation erfahren würde.« 29
Die Ehre, die Ergebnisse präsentieren zu dürfen, hatte Sir Frank Dyson , der Astronomer Royal. Eingehend beschrieb er die Ausrüstung, die Fotografien und die Schwierigkeit der Berechnungen. Doch seine Schlussfolgerung war einfach. »Nach sorgfältiger Untersuchung der Platten bin ich bereit zu erklären, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass sie Einsteins Vorhersage bestätigen«, erklärte er. »Somit lassen die Expeditionen nach Sobral und Principe wenig Zweifel übrig, dass eine Lichtablenkung in der Nähe der Sonne stattfindet und dass sie die Größe hat, die Einsteins allgemeine Relativitätstheorie als ein Resultat des Gravitationsfelds der Sonne fordert.« 30
Im Saal wurde eine gewisse Skepsis laut. »Wir schulden es diesem großen Mann, dass wir bei der Verbesserung oder Nachbesserung seines Gravitationsgesetzes sehr vorsichtig zu Werke gehen«, mahnte Ludwig Silberstein und zeigte auf Newtons Porträt. Doch das abschließende Urteil fällte J. J. Thomson , der das Wort führende Vorsitzende. »Das Ergebnis ist eine der größten Leistungen des menschlichen Geistes«, erklärte er. 31
Einstein war schon wieder in Berlin , daher verpasste er den ganzen Trubel. Er feierte das Ereignis mit dem Kauf einer neuen Violine. Aber er verstand die historische Bedeutung der Erklärung, dass nämlich Sir Isaac Newtons Gesetze nicht mehr alle Aspekte des Universums bestimmten. »Newton verzeih’ mir«, schrieb Einstein später in Erinnerung an diesen Augenblick, »du fandst den einzigen Weg der zu deiner Zeit für einen Menschen von höchster Denk- und Gestaltungskraft eben noch möglich war.« 32
Es war ein großer Triumph, aber leider nicht allzu leicht zu verstehen. Der Skeptiker Silberstein ging zu Eddington und meinte, er habe gehört, dass es nur drei Wissenschaftler auf der Welt gebe, die die allgemeine Relativitätstheorie verstünden, und dass Eddington einer von ihnen sei.
Der schüchterne Quäker antwortete nicht. »Seien Sie nicht so bescheiden, Eddington !«, sagte Silberstein .
Darauf Eddington : »Im Gegenteil, ich denke nur darüber nach, wer der Dritte sein könnte.« 33