Einsteins Relativitätstheorie kam in eine Welt, die kriegsmüde war und sich nach einem Triumph der höheren Bestrebungen der Menschheit sehnte. Fast auf den Tag ein Jahr nach Ende der grausamen Kämpfe wurde bekannt gegeben, dass die Richtigkeit der Theorie eines deutschen Juden von einem englischen Quäker bewiesen worden war. »Wissenschaftler aus zwei Krieg führenden Nationen hatten wieder zusammengearbeitet«, jubelte der Physiker Leopold Infeld . »Es scheint der Beginn eines neuen Zeitalters zu sein.« 1
Die Londoner Times berichtete am 7. November, dass die besiegten Deutschen nach Paris zitiert wurden, um die Friedensbedingungen der Briten und Franzosen entgegenzunehmen. Aber die Zeitung brachte auch die folgende dreifache Schlagzeile:
WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION
»Die wissenschaftlichen Auffassungen von der Beschaffenheit des Universums müssen revidiert werden«, hieß es in der Zeitung. Einsteins gerade bestätigte Theorie »verlangt eine neue Philosophie des Universums , eine Philosophie, die nahezu alles vom Tisch fegen wird, was bislang galt.« 2 Erst zwei Tage später griff die New York Times die Geschichte auf. 3 Da sie keinen Wissenschaftskorrespondenten in London hatte, wurde die Story Henry Crouch , dem Golfexperten des Blattes, anvertraut. Dieser beschloss zunächst, die Veranstaltung der Royal Society nicht zu besuchen, überlegte es sich dann aber anders, kam aber jetzt nicht mehr hinein. Also rief er Eddington an, um eine Zusammenfassung zu bekommen. Als Eddington fertig war, bat Crouch ihn, das in etwas einfacheren Worten zu wiederholen. 4
Vielleicht lag es an der Begeisterung, mit der Eddington die Ereignisse feierte, oder an der Begeisterung, die Crouch bei Abfassung dieses Artikels beflügelte, jedenfalls las man bei Crouch , Eddington habe Einstein »als einen der größten – vielleicht sogar den größten – Vertreter menschlichen Denkens gefeiert«. 5 Doch gemessen an dem Hype, der folgte, war die Schlagzeile noch ziemlich zurückhaltend:
SONNENFINSTERNIS ZEIGTE ÄNDERUNG DER GRAVITATION
Ablenkung von Lichtstrahlen stellt Newtons Prinzipien infrage.
ALS EPOCHALES EREIGNIS BEJUBELT
Britischer Wissenschaftler nennt die Entdeckung eine der größten Leistungen des menschlichen Geistes.
Am folgenden Tag gelangte die New York Times offensichtlich zu dem Ergebnis, dass sie zu zaghaft gewesen sei. Dann folgte eine aufgepeppte Geschichte mit einer sechsstöckigen Schlagzeile aus einer Zeit, als Zeitungen noch wussten, wie man klassische Schlagzeilen formuliert:
LICHTER SCHIEF AM HIMMEL
Wissenschaftler mehr oder weniger begeistert über Ergebnisse der Beobachtungen während der Sonnenfinsternis .
Sterne sind nicht da, wo sie zu sein scheinen oder den Rechnungen nach sein sollten, aber kein Grund zur Sorge.
EIN BUCH FÜR ZWÖLF KLUGE MENSCHEN
Mehr können es auf der ganzen Welt nicht verstehen, sagte Einstein, als sein mutiger Verlag es ins Programm nahm.
Mit einem Anflug des fröhlichen Populismus früherer Zeiten stilisierte die New York Times die Schwierigkeit der Theorie tagelang zum Gegenpol des gesunden Menschenverstands. »Diese Nachrichten sind fraglos schockierend, und es werden selbst Zweifel an der Verlässlichkeit des Einmaleins laut werden«, heißt es im Leitartikel vom 11. November. Denn die Vorstellung, dass »der Weltraum Grenzen habe«, ist mit Sicherheit verrückt, meinte das Blatt . »Die hat er definitionsgemäß nicht, und mehr gibt es da für uns Normalbürger nicht zu sagen, mögen es die Vertreter der höheren Mathematik auch anders sehen.« Fünf Tage später kam die New York Times noch einmal darauf zurück: »Wissenschaftler, die erklären, der Weltraum sei endlich, müssen uns dann schon erklären, was dahinterliegt.«
Eine Woche nach der ersten Story befand das Blatt schließlich, dass wohl ein paar – eher belustigte als betroffene – Worte der Beruhigung angezeigt seien. »Die britischen Wissenschaftler schienen von einer Art intellektueller Panik befallen, nachdem sie gehört hatten, dass Einsteins Theorie fotografisch verifiziert worden sei«, hieß es, »aber sie beruhigen sich langsam, da sie sehen, dass die Sonne – allem Anschein nach – immer noch im Osten aufgeht und vorhat, das noch eine Zeit lang zu tun.« 6
Am 2. Dezember gelang es einem unerschrockenen Korrespondenten, ein Interview von Einstein in dessen Berliner Wohnung zu bekommen, und dabei setzte er in seinem Bericht über diesen Besuch eine der apokryphen Geschichten über die Relativitätstheorie in die Welt. Nachdem der Journalist Einsteins Arbeitszimmer im Dachgeschoss beschrieben hatte, versicherte er: »Aus diesem luftigen Arbeitszimmer hat Dr. Einstein vor Jahren beobachtet, wie ein Mann von einem benachbarten Dach fiel und fast unverletzt davonkam, weil er auf einem weichen Müllhaufen landete. Der Mann erzählte Dr. Einstein, er habe während des Falls keinen der Einflüsse verspürt, die man gewöhnlich der Schwerkraft zuschreibt.« So sei Einstein auf die Idee »einer Veredelung oder Vervollständigung« des Newton ’schen Gravitationsgesetzes gekommen. In einer der vielen Überschriften des Artikels hieß es: »Ähnliche Inspiration wie bei Newton , nur hier der Fall eines Menschen vom Dach und nicht der Fall eines Apfels.« 7
Dies war tatsächlich, wie es in dem Artikel hieß, »ein weicher Müllhaufen«. Einstein hatte sein Gedankenexperiment 1907 durchgeführt, als er im Berner Patentamt beschäftigt war, nicht aber in Berlin , und es gab keinen Beteiligten, der tatsächlich gestürzt war. »Das Zeitungsgewäsch über mich ist steinerweichend«, schrieb er Zangger , als der Artikel erschien. Aber er verstand und akzeptierte, wie Journalismus funktioniert. »Diese Art der Übertreibung entspricht einem gewissen Bedürfnis des Publikums.« 8
Tatsächlich gab es ein erstaunliches Verlangen des Publikums, die Relativitätstheorie zu verstehen. Warum? Die Theorie war etwas verwirrend, gewiss, aber auch sehr faszinierend und geheimnisvoll. Gekrümmter Raum ? Ablenkung der Lichtstrahlen? Zeit und Raum nicht absolut? Das vermittelte einen seltsamen Schwebezustand zwischen Wie bitte? und Wow! , der auf die Fantasie der Öffentlichkeit sehr anziehend wirkte.
Darüber machte sich Rea Irvin in einem Cartoon des New Yorker lustig, in dem er einen Hausmeister, eine in Pelz gekleidete Matrone, einen Türsteher, Kinder und andere Leute zeigte, die sich, während sie die Straßen entlanggingen, verwirrt am Kopf kratzten und wilde Vermutungen anstellten. Die Bildunterschrift bildete ein Einstein-Zitat: »Langsam gewöhnten sich die Menschen an den Gedanken, dass die physikalischen Zustände des Raums selbst die letztgültige physikalische Wirklichkeit waren.« An Grossmann schrieb Einstein: »Gegenwärtig debattiert jeder Kutscher und jeder Kellner darüber, ob die Relativitäts-Theorie richtig sei.« 9
Egal, wo Einsteins Freunde Vorträge über die Theorie hielten, sie sahen sich regelrechten Belagerungen ausgesetzt. Leopold Infeld , der später mit Einstein zusammenarbeitete, war zu der Zeit ein junger Lehrer in einer polnischen Kleinstadt. »Damals machte ich es wie viele Hunderte andere in aller Welt«, berichtete er. »Ich hielt einen öffentlichen Vortrag über die Relativitätstheorie , und die Menschenmenge, die an einem kalten Wintertag lange Schlangen bildete, war so groß, dass sie selbst im größten Saal der Stadt keinen Platz finden konnte.« 10
Genauso erging es Eddington , als er einen Vortrag am Trinity College in Cambridge hielt. Hunderte quetschten sich in den Saal, und Aberhunderte mussten weggeschickt werden. In seinem Versuch, das Thema verständlich darzustellen, sagte Eddington , dass, bewegte er sich nahe der Lichtgeschwindigkeit fort, er nur knapp einen Meter groß wäre. Das war neuer Stoff für Schlagzeilen. Auch bei einem Vortrag von Lorentz quoll der Saal über. Er verglich die Erde mit einem Fahrzeug in Bewegung, um einige Beispiele für Relativität zu demonstrieren. 11
Bald begannen die bedeutendsten Physiker und Denker eigene Bücher zu schreiben, in denen sie die Theorie erklärten, unter anderem Eddington , von Laue , Freundlich , Lorentz , Planck , Born , Pauli und sogar der Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell . Alles in allem wurden in den ersten sechs Jahren nach der Beobachtung der Sonnenfinsternis mehr als sechshundert Bücher und Artikel über die Relativitätstheorie veröffentlicht.
Einstein selbst bekam Gelegenheit, sie mit eigenen Worten in der Londoner Times zu erklären, die ihn beauftragte, einen Artikel mit dem Titel »What Is the Theory of Relativity?« (»Was besagt die Relativitätstheorie ?«) zu schreiben. 12 Das Ergebnis war in der Tat einigermaßen verständlich. Sein eigenes populärwissenschaftliches Buch zum Thema, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie , war 1916 auf Deutsch erschienen. Nach der Beobachtung während der Sonnenfinsternis veröffentlichte Einstein die Abhandlung auch auf Englisch. Dank der vielen Gedankenexperimente, die sich in der Vorstellung leicht nachvollziehen ließen, wurde sie zum Bestseller, der in den folgenden Jahren immer neue, revidierte Auflagen erlebte.
Einstein hatte alles, was es brauchte, um ein Star zu werden. Journalisten, die wussten, dass die Öffentlichkeit nach einer neuen internationalen Berühmtheit gierte, waren begeistert, dass das neu entdeckte Genie kein farbloser, zurückhaltender Akademiker war, sondern ein charmanter Vierzigjähriger, gerade im Begriff, sich von hübsch zu charaktervoll zu mausern, mit einem wilden Haarschopf, hemdsärmeliger Ungezwungenheit, Mutterwitz und immer bereit, seine Weisheit in mundgerechten Scherzen und Zitaten zu verbreiten.
Sein Freund Paul Ehrenfest fand die Aufmerksamkeit der Presse ziemlich lächerlich. »Die erschreckten Zeitungsenten flattern unter gewaltigem Geschnatter auf«, scherzte er. Einsteins Schwester Maja , die in einer Zeit aufgewachsen war, als die Öffentlichkeit noch nicht so versessen auf Prominenz war, fand die Aufmerksamkeit erstaunlich und nahm an, für ihn sei sie einfach entsetzlich. »Und in einem Luzerner Blatt (!) kam ein Artikel über Dich«, schrieb sie verwundert, nicht ganz darüber im Klaren, dass er auf der ganzen Welt Schlagzeilen gemacht hatte. »Ich denke, das bringt Dir viel Unannehmlichkeiten, daß jetzt so viel über Dich geschrieben wird.« 13
Tatsächlich beklagte Einstein jetzt immer wieder seinen Ruhm. Er werde »von Presse und sonstigem Gelichter« verfolgt, beschwerte er sich bei Max Born . »Bei mir ist es so arg, dass ich kaum mehr schnaufen, geschweige zu vernünftiger Arbeit kommen kann.« Einem anderen Freund malte er die Schrecken des öffentlichen Ruhms in noch grelleren Farben aus: »Seit der Flut von Zeitungsartikeln werde ich so furchtbar überschwemmt mit Anfragen, Einladungen, Aufforderungen, dass mir nachts träumt, ich brate in der Hölle und der Briefträger ist der Teufel und brüllt mich unausgesetzt an, indem er mir einen neuen Pack Briefe an den Kopf wirft, weil ich die alten noch nicht beantwortet habe.« 14
Einsteins Abneigung gegen die Bekanntheit seiner Person war eher theoretischer als praktischer Natur. Es wäre für ihn durchaus möglich, ja leicht gewesen, sich allen Interviews, Vorträgen, Fotos und öffentlichen Auftritten zu verweigern. Wer wirklich das Scheinwerferlicht scheut, der wird sich nicht, wie es Einstein einmal tat, mit Charlie Chaplin bei einer von dessen Filmpremieren auf dem roten Teppich zeigen.
»Er hatte durchaus eine Seite, der die Fotografen und Menschenmengen zusagten«, schrieb der Essayist C. P. Snow , nachdem er Einstein kennengelernt hatte. »Er hatte durchaus etwas von einem Exhibitionisten und Selbstdarsteller. Wäre es nicht so gewesen, hätte es keine Fotografen und Menschenmengen gegeben. Nichts ist einfacher, als die Öffentlichkeit zu meiden. Wenn man sie wirklich nicht will, kriegt man sie auch nicht.« 15
Einsteins Reaktion auf die Bewunderung war so komplex wie die des Kosmos auf die Gravitation . Er fühlte sich von den Kameras zugleich angezogen und abgestoßen, er genoss die öffentliche Aufmerksamkeit und genoss es, sich über sie zu beklagen. Die Hassliebe, mit der er auf Ruhm und Reporter reagierte, ist gar nicht so ungewöhnlich, bedenkt man, wie viele andere Berühmtheiten diese Mischung aus Freude, Vergnügen, Abneigung und Verärgerung bekundet haben.
Einstein wurde – anders als Planck , Lorentz oder Bohr – auch deswegen zu einer solchen Ikone, weil er entsprechend aussah und weil er die Rolle spielen konnte und wollte. »Wissenschaftler, die zu Ikonen werden, müssen nicht nur Genies sein, sondern auch Schauspieler, die für das Publikum spielen und den Applaus genießen«, schrieb der Physiker Freeman Dyson (nicht verwandt mit dem Astronomer Royal). 16 Einstein nahm seine Rolle an. Bereitwillig gab er Interviews, würzte sie mit herrlichen Aphorismen und wusste genau, was eine gute Geschichte ausmacht.
Sogar Elsa , oder vielleicht auch insbesondere Elsa , genoss die Aufmerksamkeit. Sie war der Wachhund ihres Mannes, angsteinflößend, wenn sie bellte, und vernichtend in den Blicken, mit denen sie unliebsame Eindringlinge bedachte, die ihm zu nahe kamen. Aber noch mehr als ihr Mann liebte sie die Bedeutung und Achtung, die mit dem Ruhm einhergingen. Sie verlangte Gebühren für Fotografien, die man von ihm machte, und stiftete das Geld für Wohltätigkeitsorganisationen, die hungrige Kinder in Wien und anderswo mit Nahrung versorgten. 17
In der prominentensüchtigen Zeit, in der wir leben, können wir uns kaum noch vorstellen, in welchem Maße seriöse Menschen Mitbürger verachteten, die nach Prominenz gierten. Besonders in der Wissenschaft war das Streben nach persönlicher Anerkennung verpönt. Als Einsteins Freund Max Born kurz nach der Beobachtung während der Sonnenfinsternis ein Buch über die Relativitätstheorie veröffentlichte und in der ersten Ausgabe ein Porträt und eine kurze Biografie von Einstein im Frontispiz aufnahm, waren Max von Laue und andere Freunde der beiden entsetzt. Solche Dinge gehörten nicht in ein wissenschaftliches Buch, auch nicht in ein populärwissenschaftliches, schrieb von Laue an Born . In der Nachauflage ließ der so Getadelte diese Elemente fort. 18
Infolgedessen war Born entsetzt, als er 1920 erfuhr, Einstein habe an einer demnächst erscheinenden Biografie des jüdischen Journalisten Alexander Moszkowski mitgearbeitet, der bisher vorwiegend humoristische und okkulte Bücher geschrieben hatte. Der Titel kündigte an, das Buch beruhe vorwiegend auf Gesprächen mit Einstein, was auch tatsächlich stimmte. Während des Krieges hatte sich der gesellige Moszkowski mit Einstein angefreundet, hatte ihm in praktischen Belangen geholfen und ihn in einen halbliterarischen Kreis eingeführt, der sich in einem Berliner Café traf.
Born als nicht praktizierender Jude und bemüht, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, befürchtete, das Buch könnte den schwelenden Antisemitismus zur Flamme entfachen. »Einsteins Theorien waren von Fachgenossen (…) mit dem Stempel ›jüdische Physik‹ versehen worden«, schrieb Born später und bezog sich auf eine wachsende Zahl deutscher Nationalisten , die Einstein die Abstraktheit und den angeblichen »Relativismus « seiner Theorien vorwarfen. »Nun kommt ein jüdischer Schriftsteller, der schon mehrere Bücher mit stotterigen Titeln veröffentlicht hat, und will ein neues Buch ähnlicher Art über Einstein schreiben.« Deshalb begannen Born und seine Frau Hedwig , die sich niemals scheute, mit Einstein ins Gericht zu gehen, mit ihren Freunden einen Kreuzzug, um die Publikation zu verhindern.
»Sie müssen die (…) gegebene Erlaubnis zur Veröffentlichung des Buches (…) zurückziehen«, verlangte Hedwig , »sofort und in einem eingeschriebenen Brief .« Sie warnte ihn, dass alle »Tintenscheißer« sich auf das Buch stürzen würden, um ihm das Image eines Eigenwerbung betreibenden Juden anzuhängen. »Eine ganz neue, schlimmere Hetze entfesselt sich.« Schlimm sei nicht, so betonte sie , was er sagte, sondern der Umstand, dass er zulasse, wie Reklame für ihn gemacht werde:
Kennte ich Sie nicht, ich würde nicht einem einzigen anderen Lebenden (…) Harmlosigkeit zugestehen. Ich würde unbedingt an Eitelkeit glauben. Dies Buch wird für alle, außer etwa 4 – 5 Freunde von Ihnen, Ihr moralisches Todesurteil bedeuten. Es würde nachträglich die beste Bestätigung für die Anschuldigung der eignen Reklame sein. 19
Ihr Mann schloss sich eine Woche später mit der Warnung an, dass all seine antisemitischen Gegner jubilieren würden. »Ade Einstein! Dann haben Deine jüdischen ›Freunde‹ [d. i. Moszkowski ] erreicht, was die Antisemitenbande nicht gekonnt hat.«
Falls Moszkowski ablehne, müsse Einstein von der Staatsanwaltschaft eine vorläufige Verfügung gegen das Erscheinen des Buches erwirken. »[Und du] sorgst dafür, dass das in die Zeitungen kommt«, schrieb Born . »Die nähere Form, wohin der Antrag zu richten ist, werde ich dir noch mitteilen.« Wie viele Freunde fürchtete Born , Elsa sei diejenige, die für die Lockungen des Ruhms anfällig sei. An Einstein schrieb er: »Du bist ein kleines Kind. Man liebt Dich, und Du musst gehorchen, und zwar einsichtigen Leuten (nicht deiner Frau ).« 20
Bis zu einem gewissen Punkt befolgte Einstein den Rat seiner Freunde, indem er Moszkowski in einem eingeschriebenen Brief aufforderte, seine »brillante« Arbeit nicht in Druck zu geben. Doch als Moszkowski sich weigerte, verzichtete Einstein auf gerichtliche Schritte. Auch Ehrenfest und Lorentz waren der Meinung, dass man mit einem Prozess nur Öl ins Feuer gießen und alles noch schlimmer machen würde, aber Born widersprach. »Du kannst ja einfach nach Holland entfleuchen«, sagte er, auf die fortgesetzten Versuche von Ehrenfest und Lorentz anspielend, Einstein dorthin zu locken, aber seine Freunde würden »von dem Gestank ebenfalls umduftet«. 21
Distanziert, wie er war, wirkte Einstein eher amüsiert als ängstlich. »Mir ist die ganze Sache gleichgültig nebst dem Geschrei und der Meinung aller Menschen«, sagte er. »Ich werde alles, was meiner wartet, erleben wie ein unbeteiligter Zuschauer und mich nicht mehr wie in Nauheim in Erregung versetzen lassen.« 22
Als das Buch erschien, wurde Einstein zwar zu einer leichteren Zielscheibe für Antisemiten , die mit dieser Schrift ihre Behauptung untermauerten, Einstein sei ein Selbstdarsteller, der versuche, die Wissenschaft in ein Geschäft zu verwandeln. 23 Aber die öffentliche Reaktion hielt sich in Grenzen. Es gab, wie Einstein gegenüber Born bemerkte, »kein Erdbeben«.
In der Rückschau erscheint die Kontroverse übertrieben und das Buch eher harmlos und nichtssagend. »Ich habe ein wenig darin gelesen und finde es nicht so schlecht, wie ich erwartet hatte«, räumte Born später ein. »[Es] enthält viele recht amüsante Schilderungen und Anekdoten, die für Einstein kennzeichnend sind.« 24
Einstein besaß Widerstandskraft genug, um sich seine genügsame Lebenseinstellung nicht vom Ruhm zerstören zu lassen. Bei einem Kurzbesuch in Prag befürchtete er, er könne von Würdenträgern und Neugierigen im großen Stil gefeiert werden, weshalb er entschied, bei seinem Freund Philipp Frank und dessen Frau zu logieren. Es gab allerdings ein Problem: Vorübergehend wohnten die beiden in Franks Büroräumen im physikalischen Labor, wo Einstein einst selbst gearbeitet hatte. Also schlief Einstein dort auf dem Sofa. »Das war wohl eines so berühmten Mannes nicht recht würdig«, erinnerte sich Frank , »aber seinem Vergnügen an einfacher Lebensführung und Situationen, die den gesellschaftlichen Konventionen entgegenliefen, sagte das sehr zu.«
Einstein bestand auf dem Rückweg von einem Kaffeehausbesuch darauf, dass sie Lebensmittel für das Abendessen besorgten, damit Frau Frank nicht noch einmal einkaufen gehen musste. Sie entschieden sich für Kalbsleber, die Frau Frank auf einem Bunsenbrenner aus dem Labor kochte. Plötzlich sprang Einstein auf. »Was machen Sie denn da?«, rief er aus. »Sie kochen ja die Leber in Wasser.« Als Frau Frank das bejahte, erklärte Einstein: »Sie müssen doch wissen, daß der Siedepunkt des Wassers zu niedrig ist, um Leber zu braten. Sie müssen eine Substanz mit einem höheren Siedepunkt verwenden, und das ist Butter oder Fett.« Von da an bezeichnete Frau Frank die Notwendigkeit, Leber zu braten, als »Einsteins Theorie«.
Am Abend gab es nach Einsteins Vortrag noch einen kleinen Empfang im physikalischen Fachbereich, wo einige überschwängliche Reden gehalten wurden. Als Einstein an der Reihe war, einige Worte zu sagen, erklärte er stattdessen: »Es wird Ihnen vielleicht angenehmer und verständlicher sein, wenn ich Ihnen, anstatt eine Rede zu halten, ein Stück auf der Geige vorspiele.« Er entschied sich für eine Mozartsonate , die er laut Frank »in seiner einfachen, präzisen und dadurch doppelt rührenden Weise« vortrug.
Am nächsten Morgen sprach ihn kurz vor dem Aufbruch noch ein junger Mann in Franks Büro an und bestand darauf, dass sich Einstein sein Manuskript ansehe. Der Mann »wollte die im Innern der Atome steckende Energie auf Grund der Einstein’schen Gleichung [E = mc 2 ] zur Erzeugung von furchtbaren Explosionen verwenden«. Einstein beendete die Diskussion mit der Feststellung, dass die Idee völlig unsinnig sei. 25
Von Prag aus nahm Einstein den Zug nach Wien , wo dreitausend Wissenschaftler und aufgeregte Schaulustige auf seinen Vortrag warteten. Auf dem Bahnhof versammelten sich seine Gastgeber vor dem Erster-Klasse-Abteil, konnten den Gesuchten aber nicht entdecken. Sie schauten in den Waggon der zweiten Klasse, auch dort vergebens. Schließlich wurden sie Einsteins ganz am Ende des Bahnsteigs ansichtig. Er kam ihnen schlendernd entgegen, den Geigenkasten wie ein fahrender Musikant unter dem Arm. »Wissen Sie, ich fahre gern erster Klasse, aber man kennt mein Gesicht schon zu gut«, erklärte er seinen Gastgebern. »In der dritten Klasse lässt man mich in Ruhe.« 26
»Ich werde nämlich mit der Berühmtheit immer dümmer, was ja eine ganz gewöhnliche Erscheinung ist«, teilte Einstein Zangger mit. 27 Doch bald entwickelte er die Theorie, dass sein Ruhm, bei aller Lästigkeit, die er mit sich brachte, zumindest ein willkommenes Zeichen für die Wertschätzung sei, die die Gesellschaft Personen wie ihm entgegenbrachte:
Personenkult ist in meinen Augen stets etwas Ungerechtfertigtes. (…) Es erscheint mir nicht gerecht, ja nicht einmal geschmackvoll, wenn von diesen [Wohlgeratenen] einige wenige maßlos bewundert werden, indem man ihnen übermenschliche Kräfte des Geistes und Charakters andichtet. Dies ist gerade mein Schicksal geworden, und es besteht ein grotesker Gegensatz zwischen dem, was mir die Menschen an Fähigkeiten und Leistungen zuschreiben, und dem, was ich wirklich bin und vermag. Das Bewusstsein von diesem sonderbaren Sachverhalt wäre nicht zu ertragen, wenn es nicht einen schönen Trost dabei gäbe: Es ist ein erfreuliches Zeichen für unsere als materialistisch gescholtene Zeit, daß sie aus Menschen Heroen gestaltet, deren Ziele ausschließlich auf geistigem und moralischem Gebiet liegen. 28
Ein Problem des Ruhms ist allerdings, dass er Missgunst hervorrufen kann. Vor allem in akademischen und wissenschaftlichen Kreisen war Eigenwerbung verpönt. Besonderes Missfallen ernteten Vertreter der Zunft, die sich um persönliche Bekanntheit bemühten, eine Reaktion, die möglicherweise durch den Umstand verstärkt wurde, dass Einstein Jude war.
In dem Artikel, den Einstein für die Londoner Times geschrieben hatte, um die Relativitätstheorie zu erklären, hatte er scherzhaft auf dieses Problem hingewiesen. »Noch eine Art Anwendung des Relativitätsprinzips zum Ergötzen des Lesers: Heute werde ich in Deutschland als ›Deutscher Gelehrter‹ und in England als ›Schweizer Jude‹ bezeichnet; sollte ich einst in die Lage kommen, als ›bête noire‹ präsentiert zu werden, dann wäre ich umgekehrt für die Deutschen ein ›Schweizer Jude ‹, für die Engländer ein ›deutscher Gelehrter‹!« 29
Dies war gar nicht so scherzhaft, wie es klang. Wenige Monate nachdem er zu Weltruhm gelangt war, trat der zweite Fall ein. Man hatte ihm mitgeteilt, dass er Anfang 1920 die angesehene Goldmedaille der britischen Royal Astronomical Society erhalten sollte, aber der Aufstand einer chauvinistischen englischen Gruppierung zwang die Verantwortlichen, die Ehrung auszusetzen. 30 Weit unheilvoller allerdings war der Umstand, dass eine kleine, aber wachsende Gruppe in seinem Geburtsland bald darauf begann, in ihm eher einen Juden denn einen Deutschen zu sehen.
Einstein bezeichnete sich gern als »Einspänner«. Obwohl er ein ansteckendes Lachen hatte – es klang wie das Bellen eines Seehunds –, konnte es manchmal eher verletzend als herzlich ausfallen. In Gruppen war er gerne, wenn er musizierte, intellektuelle Gespräche führte, starken Kaffee trank und penetrant riechende Zigarren rauchte. Doch es gab eine kaum wahrnehmbare Wand, die ihn sogar von Angehörigen und Freunden trennte. 31 Beginnend mit der Akademie Olympia , hatte er oft mit Intellektuellen Umgang gehabt. Doch seine ganz privaten Gefühle behielt er für sich.
Er fühlte sich nicht gern eingeengt und begegnete manchmal selbst Mitgliedern der eigenen Familie mit Kälte. Trotzdem liebte er den kollegialen Umgang mit intelligenten Menschen und schloss Freundschaften, die ein Leben lang hielten. Er verhielt sich liebenswürdig gegen Menschen, mit denen er zu tun bekam, hatte ein gutes Verhältnis zu Mitarbeitern und Kollegen und setzte sich generell für das Wohl der Menschheit ein. Solange man ihn mit zu großen Anforderungen oder seelischen Belastungen verschonte, war Einstein für Freundschaft und sogar Zuneigung aufgeschlossen.
Diese Mischung aus Kälte und Wärme führte zu einer neutralen Distanz, die ihm ermöglichte, relativ unbeschadet durch alle emotionalen Turbulenzen seiner Welt zu gleiten. »Mein leidenschaftlicher Sinn für soziale Gerechtigkeit und soziale Verpflichtung stand stets in einem eigentümlichen Gegensatz zu einem ausgesprochenen Mangel an unmittelbarem Anschlußbedürfnis an Menschen und an menschliche Gemeinschaften. Ich bin ein richtiger ›Einspänner ‹, der dem Staat, der Heimat, dem Freundeskreis, ja, selbst der engeren Familie nie mit ganzem Herzen angehört hat, sondern all diesen Bindungen gegenüber ein nie sich legendes Gefühl der Fremdheit und des Bedürfnisses nach Einsamkeit empfunden hat.« 32
Selbst seine wissenschaftlichen Kollegen staunten über den Bruch zwischen dem freundlichen Wohlwollen, das er der ganzen Menschheit entgegenbrachte, und der kühlen Zurückhaltung, die er Angehörigen und Freunden gegenüber wahrte. »Ich kenne niemanden, der so einsam und distanziert ist wie Einstein«, sagte sein Mitarbeiter Leopold Infeld . »Nie blutet sein Herz, und er geht durchs Leben mit milder Güte und emotionaler Gleichgültigkeit. Seine extreme Freundlichkeit und Anständigkeit sind absolut unpersönlich und scheinen von einem anderen Planeten zu kommen.« 33
Auch Max Born , ein anderer persönlicher und akademischer Freund, beschrieb diesen Charakterzug, der offenbar auch erklärte, warum Einstein so wenig betroffen von den Schrecken des Ersten Weltkriegs erschien. »Bei aller Freundlichkeit, Umgänglichkeit und Menschenliebe war er eben doch ganz unabhängig von seiner Umgebung und den dazu gehörigen Menschen.« 34
Einsteins persönliche Distanziertheit und wissenschaftliche Kreativität schienen subtil miteinander verbunden zu sein. Laut seinem Kollegen Abraham Pais beruhte diese Distanz offenbar auf einer besonderen Charaktereigenschaft Einsteins, der »Eigenständigkeit«, die ihn ebenso veranlasste, überkommene wissenschaftliche Lehrmeinungen abzulehnen wie emotionale Nähe zu meiden. Es ist leichter, Nonkonformist und Rebell zu sein – in der Wissenschaft und in einer militaristischen Kultur wie der Deutschlands –, wenn man sich leicht von anderen distanzieren kann. »Diese Ablösung ermöglichte ihm, gedankenversunken durchs Leben zu gehen«, schrieb Pais . Ihr verdankte er es auch, seine Theorien »eigenwillig und eigenhändig« zu entwickeln. 35
Einstein verstand die gegensätzlichen Kräfte in seinem Inneren und schien anzunehmen, dass ihnen alle Menschen unterworfen seien. »Der Mensch ist gleichzeitig ein Einzel- und ein Sozialwesen«, sagte er. 36 Sein Wunsch nach Distanz stand im Widerspruch zu seinem Wunsch nach menschlicher Nähe, ein Spiegelbild des Konflikts zwischen der Anziehung und Ablehnung des Ruhms. Sich seiner Fachsprache bedienend, charakterisierte der bedeutende Psychotherapeut Erik Erikson Einstein einmal wie folgt: »In einem gewissen Wechsel zwischen Intro- und Extrovertiertheit scheint der Charakter einer dynamischen Polarisierung erhalten geblieben zu sein.« 37
Der Wunsch nach Distanz zeigte sich auch in Einsteins außerehelichen Beziehungen. Solange die Frauen keinen Anspruch auf ihn erhoben und ihm die Freiheit ließen, ihre Nähe nach Belieben zu suchen oder zu meiden, stand einer Liebesbeziehung nichts im Wege. Aber die Furcht, einen Teil seiner Unabhängigkeit aufgeben zu müssen, veranlasste ihn, sich mit einer Schutzmauer zu umgeben. 38
Noch evidenter war dies in der Beziehung zu seiner Familie. Er war nicht immer nur kalt, denn es gab Zeiten, vor allem in seinem Verhältnis zu Mileva Marić , in denen die Kräfte der Anziehung und der Abstoßung in seinem Inneren heiß und heftig tobten. Sein Problem, vor allem im Verhalten zu Familienmitgliedern, lag darin, dass er für solche starken Gefühle in anderen unempfänglich war. »Er hatte einfach keinerlei Begabung zu Empathie«, schreibt der Historiker Thomas Levenson , »nicht die geringste Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen Menschen zu versetzen.« 39 Sah Einstein sich mit den emotionalen Bedürfnissen anderer konfrontiert, pflegte er sich in die Objektivität seiner Wissenschaft zurückzuziehen.
Nach dem Zusammenbruch der deutschen Währung drängte er Marić , nach Deutschland zu ziehen, denn er hatte zunehmende Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt in der Schweiz mit der abgewerteten Mark zu finanzieren. Doch als die Beobachtungen bei der Sonnenfinsternis ihm Ruhm und größere finanzielle Sicherheit brachten, beschloss er, die Familie in Zürich zu belassen.
Um sie zu unterstützen, ließ er die Honorare seiner europäischen Vortragsreisen direkt an Ehrenfest nach Holland überweisen, damit das Geld nicht in die sinkende Währung Deutschlands umgetauscht wurde. Einstein schrieb Ehrenfest kryptische Briefe, in denen er auf Dinge verwies wie die »Resultate, die du und ich hier in Leiden mit den Concentraten von Au-Ionen [d. h. Gold] erhalten haben«. 40 Das Geld wurde dann von Ehrenfest an Marić und die Kinder weitergeleitet.
Kurz nach seiner Wiederverheiratung reiste Einstein nach Zürich , um seine Söhne zu besuchen. Hans Albert , damals fünfzehn Jahre alt, erklärte, dass er Ingenieur werden wolle.
»Ich denke, das ist eine abscheuliche Idee«, sagte Einstein, dessen Vater und Onkel Ingenieure gewesen waren.
»Ich werde trotzdem Ingenieur«, erwiderte der Junge.
Einstein stürmte wütend davon, woraufhin sich ihre Beziehung wieder verschlechterte, insbesondere nachdem er einen bösen Brief von Hans Albert erhalten hatte. »Er schrieb mir, wie kein anständiger Mensch jemals an seinen Vater geschrieben hat«, erklärte er in einem sehr betroffenen Brief an seinen Sohn Eduard . »Es ist fraglich, ob ich jemals wieder eine Beziehung zu ihm aufnehmen kann.« 41
Doch zu diesem Zeitpunkt wollte Marić Einsteins Beziehung zu seinen Söhnen verbessern und nicht mehr hintertreiben. Daher erklärte sie ihren Jungen , Einstein »sei in vielerlei Hinsicht ein seltsamer Mensch«, aber er sei immer noch ihr Vater und brauche ihre Liebe. Zwar könne er kalt sein, sagte sie, »dennoch sei er im Grunde gutherzig«. Nach dem Streit mit Hans Albert wartete Marić , »bis er [Einstein] sich wieder beruhigt hatte, und brachte die beiden später wieder zusammen. (…) Mileva wusste, daß er trotz aller Verstellung in persönlichen Dingen tief verwundbar war.« 42
Etwas später in diesem Jahr korrespondierten Einstein und sein älterer Sohn wieder regelmäßig über alles, von Politik bis Wissenschaft. Er erklärte auch, wie sehr er Marić schätze, und meinte scherzhaft, sie solle froh sein, dass sie ihn nicht länger ertragen müsse. »Ich habe vor, bald nach Zürich zu kommen, und wir sollten all die schlechten Sachen hinter uns lassen. Du solltest genießen, was das Leben dir gegeben hat – wie die wundervollen Kinder, das Haus und dass du nicht mit mir verheiratet bist.« 43
Hans Albert immatrikulierte sich an der Alma Mater seiner Eltern, dem Züricher Polytechnikum , das mittlerweile Eidgenössische Technische Hochschule (ETH ) hieß, und wurde Ingenieur. Er trat eine Stelle bei einem Stahlunternehmen an und wurde dann Forschungsassistent an der ETH mit dem Fachgebiet Hydraulik und Flüsse. Nachdem er als Bester in seinen Examen abgeschlossen hatte, zeigte sich sein Vater nicht nur ausgesöhnt, sondern auch stolz. »Mein Albert ist ein vernünftiger, kräftiger Bursche geworden«, schrieb Einstein 1924 an Besso . »Er ist ein Bild von einem Mann, ein erstklassiger Segler, schlicht und zuverlässig.«
Schließlich sagte Einstein dies auch seinem Sohn und fügte hinzu, Hans Albert habe sich möglicherweise zu Recht für den Beruf des Ingenieurs entschieden. »Die Wissenschaft ist ein schwerer Beruf«, schrieb er. »Manchmal bin ich froh, dass Du ein praktisches Metier gewählt hast, wo man nicht vierblätterige Kleeblätter suchen muss.« 44
Ein Mensch, für den Einstein starke und dauerhafte Gefühle empfand, war seine Mutter . Ende 1919 war sie – unheilbar an Magenkrebs erkrankt – bei ihm und Elsa eingezogen. Sie so leiden zu sehen, überwand bei ihm alle Distanziertheit, die er gewöhnlich empfand oder zu empfinden vorgab. Als sie im Februar 1920 starb, war Einstein von seinen Gefühlen überwältigt. »Man fühlt bis in die Knochen, was die Bande des Blutes bedeuten«, schrieb er Zangger . Käthe Freundlich hatte gehört, wie er sich ihrem Mann , dem Astronomen, gegenüber gebrüstet hatte, dass ihn kein Tod berühren könne, und sie war erleichtert, dass es nicht stimmte. »Denn Einstein weinte, wie andere Menschen auch«, sagte sie, »und ich wusste, daß er wirklich etwas für andere Menschen empfinden konnte.« 45
Fast drei Jahrhunderte lang hatte Isaac Newtons mechanisches Universum , auf absolute Gewissheiten und Gesetze gegründet, die psychologische Basis für Aufklärung und Gesellschaftsordnung geliefert und für den festen Glauben an Ursache und Wirkung, Ordnung und sogar Pflicht gesorgt. Jetzt folgte eine neue Auffassung des Universums , die Relativitätstheorie , nach der Raum und Zeit von Bezugsystemen abhingen. Die scheinbare Ablehnung von Gewissheiten, die Abkehr vom Glauben an das Absolute, wirkte auf manche Menschen fast ketzerisch, möglicherweise sogar gottlos . »Sie bildete den Hebel«, schrieb der Historiker Paul Johnson in Modern Times , seiner umfassenden Geschichte des 20. Jahrhunderts, »um die Gesellschaft aus ihrer traditionellen Verankerung zu reißen.« 46
Die Schrecken des Ersten Weltkriegs , der Zusammenbruch gesellschaftlicher Hierarchien, der Aufstieg der Relativitätstheorie und mit ihr der scheinbare Niedergang der klassischen Physik – all das schien mit vereinten Kräften ein Gefühl der Unsicherheit zu erzeugen. »Seit einigen Jahren befindet sich die ganze Welt in einem Zustand psychischer und physischer Unruhe«, erklärte Charles Poor , ein Astronom der Columbia University , der New York Times eine Woche nach der Bestätigung der Einstein’schen Theorie . »Es könnte durchaus sein, dass die physischen Aspekte der Unruhe – der Krieg , die Streiks, die bolschewistischen Aufstände – in Wirklichkeit nur die sichtbaren Manifestationen einer tieferen, weltweiten Störung sind. Ebendieser Geist der Unruhe ist auch in die Wissenschaft eingedrungen.« 47
Indirekt, eher infolge verbreiteter Missverständnisse als durch den Glauben an Einsteins Theorie , wurde Relativität mit einem neuen Relativismus in Moral, Kunst und Politik verknüpft. Man hatte weniger Vertrauen in Absolutheiten, nicht nur der Zeit und des Raums, sondern auch der Wahrheit und der Moral. Im Dezember 1919 fragte sich der Autor eines Leitartikels über Einsteins Relativitätstheorie in der New York Times mit der Überschrift »Assaulting the Absolute« (»Angriff auf das Absolute«) voller Sorge, ob »die Grundlagen des ganzen menschlichen Denkens untergraben« worden seien. 48
Über diese Vermischung von Relativität und Relativismus wäre Einstein entsetzt gewesen – und war es später auch. Wie erwähnt, hatte er ursprünglich erwogen, seine Theorie »Invarianz « zu nennen, weil die Gesetze der vereinigten Raumzeit nach seiner Theorie tatsächlich eher invariant als relativ waren.
Außerdem war er in seiner Moral und sogar in seinem Geschmack kein Relativist . »Das Wort Relativität wird weithin als Relativismus fehlgedeutet, als Leugnung der oder Zweifel an der Objektivität von Wahrheit oder moralischen Werten«, beklagte der Philosoph Isaiah Berlin später. »Das war das Gegenteil dessen, was Einsteins Glauben ausmachte. Er war ein Mann einfacher und absoluter Moralvorstellungen, die in allem zum Ausdruck kamen, was er war und tat.« 49
In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wie in seiner Moralphilosophie war Einstein auf der Suche nach Gewissheit und deterministischen Gesetzen. Wenn seine Relativitätstheorie Wellen warf, die Unruhe in die Bereiche von Moral und Kultur trugen, war daran nicht schuld, woran Einstein glaubte, sondern was von Laien in seine Theorie hineininterpretiert wurde.
Einer dieser Laieninterpreten war beispielsweise der britische Staatsmann Lord Haldane , der sich selbst für einen Philosophen und Wissenschaftler hielt. 1921 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel The Reign of Relativity , wobei er Einsteins Theorie dazu benutzte, seinen eigenen politischen Ansichten mehr Gewicht zu verleihen – der Notwendigkeit, im Interesse einer dynamischen Gesellschaft jedweden Dogmatismus zu vermeiden. »Einsteins Prinzip der Relativität aller Messungen von Raum und Zeit kann nicht isoliert betrachtet werden«, schrieb er. »Richtig verstanden, würde es möglicherweise zeigen, dass seine Entsprechungen in vielen anderen Bereichen der Natur und generell der Erkenntnis zu finden sind.« 50
Die Relativitätstheorie solle sich nachhaltig auf die Theologie auswirken, warnte Haldane den Erzbischof von Canterbury, der augenblicklich die Theorie zu verstehen versuchte, wenn auch mit bescheidenem Erfolg. »Der Erzbischof«, so berichtete ein Geistlicher J. J. Thomson , dem Doyen der englischen Naturwissenschaft, »wird aus der Einstein’schen Theorie einfach nicht schlau und klagt, je länger er Haldane zuhöre und je mehr Zeitungsartikel er lese, desto weniger verstehe er.«
1921 ließ sich Einstein von Haldane überreden, nach England zu kommen. Elsa und er wohnten in Haldanes prächtigem Londoner Stadthaus, wo sie sich von dem ihnen zugewiesenen Lakaien und Butler vollkommen eingeschüchtert fühlten. Zu dem Festessen, das Haldane den Einsteins zu Ehren gab, waren auch führende britische Intellektuelle geladen, die so bedeutend waren, dass sie auch einer Professorenrunde in Oxford Ehrfurcht abverlangt hätten. Zu den Anwesenden gehörten George Bernard Shaw , Arthur Eddington , J. J. Thomson , Harold Laski und natürlich der ratlose Erzbischof von Canterbury, der zur Vorbereitung eine persönliche Nachhilfestunde von Thomson bekommen hatte.
Haldane platzierte den Erzbischof neben Einstein, so konnte der Geistliche die Frage, die ihm auf den Nägeln brannte, direkt an der Quelle stellen. Welche Auswirkungen, erkundigte sich Seine Exzellenz, habe die Relativitätstheorie auf die Religion ?
Vermutlich enttäuschte die Antwort sowohl den Erzbischof wie den Gastgeber. »Keine«, sagte Einstein. »Die Relativitätstheorie ist eine rein wissenschaftliche Angelegenheit, die nichts mit Religion zu tun hat.« 51
Das war zweifellos wahr. Doch es gab eine viel kompliziertere Beziehung zwischen Einsteins Theorien und dem ganzen Gebräu von Ideen und Emotionen, die in dem überhitzten Hexenkessel der Moderne brodelten. In seinem Roman Balthasar lässt Lawrence Durrell seinen Protagonisten sagen, die Relativitätstheorie stehe »in einer direkten Beziehung zur abstrakten Malerei, zur atonalen Musik und zur formlosen (…) Literatur«.
Das Relativitätsprinzip ist natürlich für all das nicht direkt verantwortlich. Aber es stand in einer eher verborgenen Wechselwirkung mit der Moderne. In bestimmten geschichtlichen Augenblicken kommt es zu Kräftekonstellationen, die einen grundlegenden Wandel der menschlichen Anschauungen bewirken. Das geschah in der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft zu Beginn der Renaissance und ein weiteres Mal zu Beginn der Aufklärung. Nun, zu Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde durch den Bruch mit alten Bindungen und Wahrheiten die Moderne geboren. Es kam zu einer spontanen Eruption einer unabsehbaren Zahl völlig neuartiger Werke; ihre Schöpfer waren Einstein, Picasso , Matisse , Strawinsky , Schönberg , Joyce , Eliot , Proust , Diaghilew , Freud , Wittgenstein und Dutzende anderer Wegbereiter, die alle Fesseln des klassischen Denkens abstreifen zu wollen schienen. 52
In seinem Buch Einstein, Picasso: Space, Time, and the Beauty That Causes Havoc untersuchte der Wissenschaftshistoriker und Philosoph Arthur I. Miller die gemeinsamen Ursprünge, aus denen beispielsweise die spezielle Relativitätstheorie von 1905 und Picassos modernes Meisterwerk Les Demoiselles d’Avignon von 1907 hervorgingen. So berichtet Miller , dass beide Männer großen Charme besaßen, aber trotzdem »Wert auf emotionale Distanz legten«. Jeder von ihnen hatte auf seine Weise das Gefühl, dass bei den Bedingungen, die ihr Tätigkeitsfeld bestimmten, etwas fehle, und beide waren sie fasziniert von Diskussionen über Gleichzeitigkeit , Raum, Zeit und insbesondere über die Schriften von Poincaré . 53
Einstein war eine Inspirationsquelle für viele moderne Künstler und Denker, selbst wenn sie ihn nicht verstanden. Das galt in besonderem Maße, wenn Künstler die Befreiung von der Ordnung der Zeit feierten, wie es bei Proust am Ende von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit geschieht. »Wie gern würde ich mit dir über Einstein sprechen«, schrieb Proust 1921 an einen Freund, der Physiker war. »Ich verstehe kein Wort dieser Theorien, da ich noch nicht mal Algebra kann. [Trotzdem] scheint mir, dass wir die Zeit auf ähnliche Weise verformen.« 54
Einen Höhepunkt erlebte die Revolution der Moderne im Jahr 1922, als Einstein der Nobelpreis überreicht wurde. Im selben Jahr erschienen Ulysses von James Joyce und The Waste Land (Das wüste Land ) von T. S. Eliot . Im Mai gab es in Paris ein mitternächtliches Festbankett im Hotel Majestic zur Premiere des Balletts Renard – komponiert von Strawinsky und aufgeführt von Diaghilews Ballets Russes. Strawinsky und Diaghilew waren beide anwesend, ebenso Picasso sowie Joyce und Proust , die »die literarischen Gewissheiten des 19. Jahrhundert ebenso gründlich zerstörten, wie Einstein die Physik revolutionierte«. Die mechanische Ordnung und die Newton ’schen Gesetze, die die klassische Physik, Musik und Kunst bestimmt hatten, waren entthront. 55
Was immer die Gründe für den neuen Relativismus und die Moderne sein mochten, die Tatsache, dass die Welt aus ihrer klassischen Verankerung gerissen wurde, löste nervöse Erschütterungen und Reaktionen aus. Nirgends war die Stimmung beunruhigender als im Deutschland der 1920er-Jahre.