Caputh

Einstein wollte seinen fünfzigsten Geburtstag zurückgezogen verbringen, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Daher floh er im März 1929 ein weiteres Mal – wie er es während der Veröffentlichung seiner Abhandlung über die einheitliche Feldtheorie einige Monate zuvor schon einmal getan hatte – in das Gärtnerhaus eines Landsitzes an der Havel, der Janos Plesch gehörte, einem extravaganten und geschwätzigen Prominentenarzt ungarischer Herkunft, der Einstein seiner Sammlung von Patienten-Freunden als exquisites Exemplar hinzugefügt hatte.

Tagelang lebte Einstein ganz allein und kochte sich seine Mahlzeiten selbst, während Journalisten und wohlmeinende Offizielle nach ihm suchten. In den Zeitungen wurde über seinen möglichen Aufenthaltsort spekuliert. Nur seine Familie und sein Assistent wussten, wo er sich aufhielt, und sie schwiegen sich sogar gegenüber engen Freunden aus.

Früh am Morgen seines Geburtstags ging er von seinem Versteck, in dem es kein Telefon gab, zu einem Nachbarhaus, um Elsa anzurufen. Sie begann ihm zu gratulieren, weil er die halbe Hundert erreicht hatte, wurde aber unterbrochen. »Was für ein Aufstand wegen eines Geburtstags«, meinte er lachend. Sein Anruf hatte physikalische Gründe, keine rein persönlichen. Er hatte einen kleinen Fehler in einigen Berechnungen gemacht, die er seinem Assistenten Walther Mayer übergeben hatte, nun bat er Elsa , die Berichtigungen aufzuschreiben und weiterzuleiten.

Am Nachmittag kamen Elsa und ihre Töchter zu einer kleinen privaten Feier vorbei. Entsetzt stellte Elsa fest, dass er seine älteste Jacke trug, die sie extra versteckt hatte. »Wie hast du sie nur gefunden?«, fragte sie.

»Du siehst wohl«, antwortete Einstein triumphierend, »ich kenne deine Verstecke.« 1

Hartnäckig wie immer, gelang es der New York Times als einziger Zeitung, ihn ausfindig zu machen. Später berichtete ein Familienmitglied, Einsteins zorniger Blick habe den Reporter verjagt. Das stimmte nicht. Der Reporter war schlau und Einstein, trotz seines gespielten Ärgers, entgegenkommend wie immer. »Einstein am Geburtstag in seinem Versteck entdeckt«, lautete die Schlagzeile der Zeitung. Einstein zeigte dem Reporter ein Mikroskop, das er geschenkt bekommen hatte. Im Artikel hieß es, er habe wie ein »begeisterter Junge« mit seinem neuen Spielzeug gewirkt. 2

Aus aller Welt trafen Geschenke und Glückwünsche ein. Am meisten rührten ihn die, die von einfachen Menschen kamen. Eine Schneiderin hatte ihm ein Gedicht geschickt, und ein arbeitsloser Mann hatte sich ein paar Münzen zusammengespart und ein kleines Päckchen Tabak gekauft. Dieses Geschenk trieb ihm Tränen in die Augen und war das erste, für das er einen Dankesbrief verfasste. 3

Ein anderes Geburtstagsgeschenk verursachte mehr Probleme. Auf Anraten von Dr. Plesch , der seine Finger überall im Spiel hatte, beschloss die Stadt Berlin , ihren berühmtesten Bürger zu ehren, indem sie ihm ein lebenslanges Wohnrecht in einem Landhaus auf einem großen Seegrundstück einräumte, das die Stadt erworben hatte. Dorthin sollte er sich zurückziehen – so der Plan –, auf seinem Holzboot segeln und sich geruhsam seinen Gleichungen widmen.

Das war eine großzügige und liebenswürdige Geste. Und sie war durchaus willkommen. Einstein liebte das Segeln, die Einsamkeit und das einfache Leben, aber er besaß kein Wochenendhaus und musste sein Segelboot bei Freunden unterbringen. Also willigte er begeistert ein.

Das klassizistische Haus lag inmitten eines Parks bei dem in den Berliner Bezirk Spandau eingemeindeten Dorf Kladow an einem Havelsee. Fotos vom Haus erschienen in den Zeitungen, und ein Verwandter nannte es »eine ideale Bleibe für einen kreativen Geist und begeisterten Segler«. Doch als Elsa es aufsuchte, um es in Augenschein zu nehmen, musste sie feststellen, dass es noch immer von dem aristokratischen Ehepaar bewohnt wurde, welches das Anwesen an die Stadt verkauft hatte. Die beiden Eheleute behaupteten, sie hätten jedoch das Wohnrecht behalten. Eine nähere Untersuchung der Verträge zeigte, dass sie recht hatten und nicht einfach vertrieben werden konnten.

Daher beschloss die Stadt, den Einsteins einen anderen Teil des Anwesens zu überlassen, auf dem sie ihr eigenes Haus bauen sollten. Aber auch das verstieß gegen den Kaufvertrag. Der öffentliche Druck verstärkte den Widerstand der ursprünglichen Besitzer gegen die Baupläne der Einsteins, sodass die ganze Affäre zu einem genüsslich auf den Titelseiten breitgetretenen Fiasko wurde, zumal als sich auch der dritte Alternativvorschlag als undurchführbar erwies.

Schließlich wurde entschieden, dass die Einsteins sich selbst ein geeignetes Baugrundstück suchen sollten, das die Stadt dann erwerben würde. Einstein entschied sich für ein Stück Land, das Freunde von ihm besaßen und das weiter außerhalb lag, südlich von Potsdam in der Nähe des Dorfs Caputh . Es war ein baumbestandenes Fleckchen Land zwischen Havel und Wald. Der Bürgermeister bat die Stadtverordnetenversammlung, eine Spende von 20.000 Mark zum Erwerb eines Grundstücks als Geschenk zu Einsteins fünfzigstem Geburtstag zu bewilligen.

Ein junger Architekt fertigte die Pläne an und Einstein kaufte noch einen angrenzenden Kleingarten. Dann kam die Politik dazwischen. In der Versammlung sprach sich die deutschnationale Opposition gegen den Antrag aus und bestand darauf, dass er zum Gegenstand einer Debatte gemacht werde. Es war klar, dass es in der Debatte vorwiegend um Einstein gehen würde.

Daher schrieb er einen amüsierten Brief, in dem er auf das Geschenk verzichtete. »Das menschliche Leben ist sehr kurz«, teilte er dem Bürgermeister mit. »Die Arbeitsweise der Behörden aber sehr langsam. (…) Mein Geburtstag ist nun schon vorüber, und ich lehne das Geschenk ab.« Am folgenden Tag lautete die Schlagzeile im Berliner Tageblatt : »Die Blamage ist vollständig – Einstein verzichtet«. 4

Inzwischen hatte sich Einstein in das Baugrundstück in Caputh verliebt, wurde mit dem Verkäufer handelseinig und hatte auch schon die Pläne für das Haus, das dort entstehen sollte. Also machten Elsa und er sich ans Werk und ließen es für ihr eigenes Geld bauen. »Wir haben den größten Teil unserer Ersparnisse ausgegeben«, klagte Elsa , »aber wir haben unser eigenes Land.«

Das Haus, das sie errichten ließen, war einfach, mit lackierter Wandtäfelung im Inneren und unbehandeltem Holz außen. Durch ein großes Panoramafenster hatte man einen schönen Blick auf die Havel. Marcel Breuer , der berühmte Bauhausdesigner, hatte angeboten, sich um die Inneneinrichtung zu kümmern, aber Einsteins Geschmack war eher konservativ. »Ich werde mich nicht auf Möbel setzen, die mich ständig an eine Maschinenhalle oder einen Operationssaal erinnern«, sagte er. Stattdessen nahmen sie einige schwere Möbelstücke, die in der Berliner Wohnung nicht mehr gebraucht wurden.

In Einsteins Zimmer im Erdgeschoss standen ein spartanischer Holztisch, ein Bett und ein kleines Porträt von Isaac Newton . Auch Elsas Zimmer lag unten und ein gemeinsames Badezimmer zwischen den beiden Räumen. Oben waren kleine Zimmer mit Schlafnischen für die beiden Töchter und die Hausangestellte. »Ich fühle mich in dem neuen kleinen Holzhaus ungeheuer wohl, obwohl es mich ruiniert hat«, schrieb er seiner Schwester kurz nach dem Einzug. »Das Segelboot, der weite Blick, die einsamen Herbstspaziergänge, die relative Stille – es ist ein Paradies.« 5

Dort segelte er mit dem Tümmler , seiner neuen 7-Meter-Jolle, die ihm seine Freunde zum Geburtstag geschenkt hatten, ein Boot, das nach seinen Angaben dick und solide gebaut war. Gern segelte er allein hinaus, obwohl er nicht schwimmen konnte. »Er war einfach beseligt, sobald er sich auf dem Wasser befand«, erinnerte sich eine Besucherin. 6 Stundenlang ließ er das Boot treiben und gleiten, während er leicht mit dem Ruder spielte. »Seine wissenschaftlichen Überlegungen, die ihm auch auf dem Wasser keine Ruhe ließen, nahmen den Charakter eines Tagtraums an«, berichtete eine Verwandter. »Theoretisches Denken beruht großenteils auf Vorstellungskraft.« 7

Gefährtinnen

Sein Leben lang schien Einsteins Verhältnis zu Frauen unbezähmbaren Kräften unterworfen zu sein. Sein Charisma und einfühlsames Verhalten wirkten immer sehr anziehend auf Frauen. Obwohl er sich gewöhnlich vor einengenden Verstrickungen hütete, geriet er doch auch selbst in die Strudel einer leidenschaftlichen Beziehung, so wie einst mit Mileva Marić und sogar mit Elsa .

1923, nach der Heirat mit Elsa , hatte er sich in seine Sekretärin Betty Neumann verliebt. Ihre Liebesgeschichte war ernst und leidenschaftlich, wie aus kürzlich freigegebenen Briefen hervorgeht. In diesem Herbst, als er sich in Leiden aufhielt, schlug er ihr in einem Brief vor, dass er sich eine Stellung in New York suche und sie als seine Sekretärin mitkommen könne. Dort würde sie dann mit ihm und Elsa leben, malte er sich etwas fantastisch aus. »Ich werde dies bei meiner Frau durchsetzen«, sagte er. »Wir könnten für immer beisammen sein. Wir würden in einem Häuschen ausserhalb von New York wohnen.«

Sie machte sich in ihrem Antwortbrief über ihn und seine Idee lustig, woraufhin er ohne Umstände zugab, was für ein »verrückter Don Quixote« er gewesen sei. »Du hast mehr Respekt vor den Schwierigkeiten der Dreiecks-Geometrie als ich alter Mathematikus.« 8

Schließlich beendete er ihre Affäre mit der Klage, dass er »die wahre Liebe in den Sternen suchen« müsse, da sie ihm hier auf Erden versagt sei. »Liebe Betty , lach über mich alten Esel und such Dir einen Mann, der zehn Jahre jünger ist als ich und der Dich ebenso lieb hat wie ich.« 9

Doch die Beziehung schleppte sich hin. Im folgenden Sommer besuchte Einstein seine Söhne in Süddeutschland und schrieb seiner Frau von dort, er könne sie und ihre Töchter nicht besuchen, obwohl sie in einem nahe gelegenen Ort Urlaub machten. »Es wäre doch zuviel des Guten«, meinte er. Gleichzeitig schrieb er Betty Neumann , er werde sie heimlich in Berlin treffen. Das solle sie aber niemandem sagen, »um anderweitigen [gemeint ist Elsa ] Ferien-Abbrüchen vorzubeugen«. 10

Nach dem Bau des Hauses in Caputh besuchten ihn dort eine Reihe von Freundinnen mit Elsas grollender Duldung. Toni Mendel , eine wohlhabende Witwe mit einem Anwesen am Wannsee, kam manchmal nach Caputh , um mit ihm zu segeln. Oder er fuhr mit dem Boot zu ihrer Villa, spielte Klavier und blieb bis spät in die Nacht. Gelegentlich gingen sie sogar in Berlin gemeinsam ins Theater. Einmal holte sie Einstein mit Chauffeur und Limousine ab, woraufhin Elsa einen heftigen Streit mit ihm vom Zaun brach und ihm sein Taschengeld nicht geben wollte.

Er hatte auch eine Affäre mit einer Dame aus der Berliner Gesellschaft, einer gewissen Ethel Michanowski . Im Mai 1931 begleitete sie ihn auf einer seiner Reisen nach Oxford und logierte offensichtlich in einem Hotel vor Ort. Eines Tages schrieb er auf einer Karteikarte des Christ Church College ein fünfzeiliges Gedicht. »Fein gegliedert und zart besaitet, sieht sie alles ihrem Blicke hingebreitet«, begann es. Einige Tage später schickte sie ihm ein teures Geschenk, das nicht gut aufgenommen wurde. »Die kleinen Päckchen ärgern mich wirklich«, schrieb er, »du musst anhalten und mir unablässig Geschenke senden. (…) Und dann schickst du dergleichen an ein englisches College, wo wir ohnehin von sinnlosem Überfluss umgeben sind!« 11

Als Elsa herausfand, dass Michanowski Einstein in Oxford besucht hatte, war sie wütend, besonders auf Michanowski , weil diese sie über das Ziel ihrer Reise getäuscht hatte. Einstein schrieb Elsa aus Oxford , sie solle sich beruhigen. »Dein Entsetzen über Frau M ist völlig grundlos, weil sie sich ganz im Rahmen der besten jüdisch -christlichen Moral verhalten hat«, schrieb er. »Hier ist der Beweis: 1) Was einem Freude macht und anderen nicht schadet, sollte man tun. 2) Was einem keine Freude macht und andere verärgert, sollte man nicht tun. Zu #1, sie kam mit mir, und zu #2, sie hat dir nichts davon erzählt. Ist das kein untadeliges Verhalten?« Doch in einem Brief an Elsas Tochter Margot behauptete Einstein, Michanowskis Anhänglichkeit sei unerwünscht. »Sie verfolgt mich in einer Weise, die außer Kontrolle gerät«, schrieb er Margot , die mit Michanowski befreundet war. »Mich kümmert es nicht, was die Leute über mich sagen, aber für Mutter [Elsa ] und für Frau M ist es besser, dass nicht jeder Hans und Franz sich das Maul darüber zerreißt.« 12

In seinem Brief an Margot behauptete er, ihm liege nicht viel an Michanowski oder den meisten anderen Frauen, die mit ihm flirteten. »Von all den Frauen bin ich eigentlich nur Frau L zugetan, die vollkommen harmlos und ehrbar ist«, schrieb er, was nicht eben zur Beruhigung beitrug. 13 Damit meinte er nämlich eine blonde Österreicherin namens Margarete Lebach , zu der er eine sehr öffentliche Beziehung unterhielt. Wenn Lebach Caputh besuchte, brachte sie Elsa Gebäck mit. Doch Elsa konnte sie verständlicherweise nicht ausstehen, weshalb sie an den Tagen, an denen Lebach zu Besuch kam, das Dorf verließ und in Berlin einkaufen ging.

Bei einem ihrer Besuche vergaß Lebach ein Kleidungsstück in Einsteins Segelboot, was zu einem Familienkrach führte und Elsas Tochter veranlasste, ihre Mutter aufzufordern, sie solle von Einstein verlangen, die Beziehung zu beenden. Aber Elsa hatte Angst, ihr Mann würde sich weigern. Er hatte kein Hehl aus seiner Überzeugung gemacht, dass Männer und Frauen nicht von Natur aus monogam seien. 14 Am Ende kam sie zu dem Schluss, sie fahre besser, wenn sie von ihrer Ehe so viel wie möglich bewahre. Denn in anderer Hinsicht kam diese ihren Wünschen durchaus entgegen. 15

Elsa mochte ihren Mann und verehrte ihn. Sie sah ein, dass sie ihn mit all seinen Facetten akzeptieren musste, zumal da ihr das Leben als Frau Einstein vieles bot, was sie glücklich machte. »Ein solches Genie sollte in jeder Hinsicht untadelig sein«, sagte sie dem Maler und Radierer Hermann Struck , der Einstein etwa zur Zeit seines fünfzigsten Geburtstags porträtierte (wie er es schon ein Jahrzehnt davor gemacht hatte). »Doch so verhält sich die Natur nicht. Wo sie übermäßig gibt, nimmt sie auch übermäßig.« Man müsse das Gute und das Schlechte als Ganzes akzeptieren. »Man muss alles in einem Stück sehen«, erklärte sie. »Gott hat ihn mit so vielen Vorzügen ausgestattet, trotzdem ist das Leben mit ihm anstrengend und kompliziert, und das nicht nur in einer Hinsicht, sondern auch in anderen.« 16

Die wichtigste andere Frau in Einsteins Leben war völlig diskret, loyal und für Elsa nicht bedrohlich. 1928 wurde Helen Dukas Einsteins Sekretärin, als er mit einer Herzbeutelentzündung das Bett hüten musste. Elsa kannte ihre Schwester, die die jüdische Waisenorganisation leitete, deren Ehrenpräsidentin Elsa war. Elsa führte mit Dukas ein Vorgespräch, bevor sie ihr gestattete, Einstein zu treffen. Sie hatte den Eindruck, Dukas sei vertrauenswürdig und, was noch wichtiger war, es gehe keine Gefahr von ihr aus. Sie bot Dukas die Stelle an, noch bevor Einstein sie kennengelernt hatte.

Als die damals 32-jährige Dukas im April 1928 Einsteins Krankenzimmer betrat, streckte er ihr die Hand entgegen und sagte lächelnd: »Hier liegt der Leichnam eines alten Kindes.« Von diesem Augenblick bis zu seinem Tod im Jahr 1955 – eigentlich bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1982 – erwies sich die unverheiratete Dukas als grimmige Hüterin seiner Zeit, seiner Privatsphäre, seines Rufes und seines Nachlasses. »Ihre Instinkte waren unfehlbar und geradlinig wie ein Magnetkompass «, meinte George Dyson später. Obwohl sie Menschen, die sie mochte, mit einem gewinnenden Lächeln und großer Offenheit begegnete, war sie im Allgemeinen streng, unerbittlich und gelegentlich ausgesprochen kratzbürstig. 17

Sie war mehr als eine Sekretärin. Für zudringliche oder unerwünschte Besucher wurde sie eher zum Pitbull oder – wie Einstein sagte – zum Cerberus, dem Wachhund am Eingang zu seinem kleinen Hades. Sie hielt Journalisten in Schach, gab keine Briefe weiter, die nach ihrer Einschätzung Zeitverschwendung waren, und bewahrte Stillschweigen bei allen Dingen, die sie für privat hielt. Nach einiger Zeit wurde sie praktisch zum Familienmitglied.

Ein weiterer häufiger Besucher war Walther Mayer , ein junger Mathematiker aus Wien , der sein Assistent wurde und von Einstein »der Rechner« genannt wurde. Einstein arbeitete mit ihm an einigen theoretischen Arbeiten über die einheitliche Feldtheorie zusammen und bezeichnete ihn als »prächtigen Kerl, der längst eine Professur hätte, wenn er nicht Jude wäre«. 18

Selbst Mileva Marić , die nach der Scheidung ihren Mädchennamen angenommen hatte, begann wieder den Namen Einstein zu benutzen und war in der Lage, eine angespannte, aber erträgliche Beziehung zu ihm herzustellen. Als er Südamerika besuchte, brachte er ihr Körbe voll Kakteen mit. Da sie diese Pflanzen liebte, war es vermutlich als freundliche Geste gedacht. Bei seinen Besuchen in Zürich logierte er gelegentlich in ihrer Wohnung.

Er lud sie sogar ein, bei ihm und Elsa zu wohnen, als sie nach Berlin kam. Eine Regelung, bei der sich vermutlich alle Beteiligten sehr unwohl gefühlt hätten. Klugerweise logierte sie bei den Habers . Ihre Beziehung hatte sich aber derart verbessert, dass Einsteins Freunde überrascht zur Kenntnis nahmen, wie gut sie sich verstanden. »Else freut sich, dass meine Buben und Du nicht mehr so feindselig gegen sie sind«, schrieb er Marić . 19

Ihrer beider Söhne , so teilte er ihr mit, seien der beste Teil seines inneren Lebens, ein Vermächtnis, das bleiben werde, wenn sein eigenes Räderwerk längst abgelaufen sei. Trotzdem – oder gerade deswegen – blieb die Beziehung zu seinen Söhnen angespannt. Besonders deutlich zeigte sich das, als Hans Albert sich zur Heirat entschloss.

Als wollten die Götter Rache nehmen, entstand eine ganz ähnliche Situation, wie sie Einstein seinen Eltern bereitet hatte, als er sich entschloss, Mileva Marić zu heiraten. Während des Studiums an der ETH , wie das Züricher Polytechnikum längst hieß, hatte sich Hans Albert in Frieda Knecht verliebt, eine Frau, die neun Jahre älter war als er. Mit ihren knapp ein Meter fünfzig war sie unscheinbar und unliebenswürdig, aber sehr intelligent. In diesem Fall waren sich Marić und Einstein vollkommen einig darin, dass von dieser intriganten, unattraktiven Person wahrscheinlich keine wohlgeratenen Nachkommen zu erwarten waren. »Ich habe mir sehr Mühe gegeben, um ihn von seinem verrückten Heiratsprojekt abzubringen«, schrieb er Marić . »Aber er ist irgendwie zu abhängig. (…) Es war also alles umsonst.« 20

Einstein nahm an, dass sein Sohn verführt worden sei, weil er schüchtern und unerfahren war. »Alles kommt daher, dass sie zuerst Dich packte und Du nun in ihr die Verkörperung aller Weiblichkeit siehst«, schrieb er Hans Albert . »Das ist ja eine bekannte Art, wie weltfremde Menschen dem Schicksal erliegen.« Seiner Meinung nach hätte eine attraktive Frau das Probleme lösen können.

Aber Hans Albert war genauso stur wie sein Vater fünfundzwanzig Jahre früher und entschlossen, Frieda zu heiraten. Einstein sah ein, dass er seinen Sohn nicht an seinem Vorhaben hindern konnte, wollte jedoch, dass er ihm versprach, keine Kinder zu haben. »Aber, wenn Du einmal das Bedürfnis fühlst, Dich von ihr zu trennen, so sei nicht stolz gegen mich, sondern vertraue Dich mir an, dass ich Dir helfe«, schrieb Einstein. »Denn der Tag wird kommen.« 21

Hans Albert und Frieda heirateten 1927, hatten Kinder und blieben bis zu Friedas Tod zweiunddreißig Jahre lang verheiratet. Später erinnerte sich Evelyn Einstein , ihre Adoptivtochter: »Albert hatte es mit seinen Eltern bei seiner eigenen Ehe so höllisch schwierig gehabt, dass man denken sollte, er wäre gescheit genug gewesen, sich bei seinen Söhnen nicht einzumischen. Aber nein. Als mein Vater meine Mutter heiraten wollte, folgte eine Explosion der anderen.« 22

In Briefen an Eduard brachte Einstein sein Entsetzen über Hans Alberts Heirat zum Ausdruck. »Die Verschlechterung der Rasse ist gewiss etwas Übles«, schrieb Einstein. »Deshalb kann ich [Hans] Albert seine Sünde nicht vergessen. Ich vermeide es instinktiv, mit ihm zusammenzutreffen, weil ich kein frohes Gesicht zeigen kann.« 23

Doch binnen zweier Jahre begann sich Einstein an Frieda zu gewöhnen. Das Paar besuchte ihn im Sommer 1929, woraufhin er Eduard berichtete, er habe seinen Frieden mit ihr gemacht. »Sie machte einen besseren Eindruck, als ich befürchtet hatte«, schrieb er. »Er ist wirklich lieb zu ihr. Gott segne die rosarote Brille.« 24

Eduard seinerseits wurde immer wirklichkeitsfremder in seinem Studium, während seine psychischen Probleme deutlicher zutage traten. Er hatte eine Vorliebe für Lyrik und schrieb selbst Knittelverse und Aphorismen, die ziemlich bissig sein konnten, vor allem wenn sie seine Familie betrafen. Außerdem spielte er Klavier, vor allem Chopin , mit einer Leidenschaft, die anfänglich in willkommenem Gegensatz zu seiner üblichen Antriebslosigkeit stand, schließlich aber beängstigend wurde.

In den Briefen an den Vater war er ebenso intensiv und schüttete sein Herz über Philosophie und Kunst aus. Einstein reagierte manchmal verständnisvoll und manchmal distanziert. »Oft schickte ich meinem Vater ziemlich überschwängliche Briefe, und manchmal bedauerte ich es hinterher, weil er von kühlerer Wesensart war«, erinnerte sich Eduard einmal. »Erst später erfuhr ich, wie sehr er sie schätzte.«

Eduard schrieb sich an der Universität Zürich ein, um Medizin zu studieren, weil er Psychiater werden wollte. Er begann, sich für Sigmund Freud zu interessieren, dessen Bild in seinem Zimmer hing, und versuchte eine Selbstanalyse. In den Briefen, die er in dieser Phase an seinen Vater schrieb, bemüht er sich immer wieder – häufig sehr scharfsinnig –, verschiedene Bereiche seines Lebens, etwa Filme und Musik, mithilfe von Freuds Theorien zu analysieren.

Wie nicht anders zu erwarten, interessierte er sich besonders für die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen. Einige seiner Kommentare sind einfach und bitter. »Es ist zeitweise ziemlich unangenehm, einen so erhabenen Vater zu haben. Man fühlt sich so unbedeutend«, schrieb er einmal. Einige Monate später offenbarte er noch mehr von seiner Verunsicherung, als er schrieb, »daß Menschen, die ausschließlich mit geistiger Arbeit die Zeit ausfüllen, kränkliche, nervöse, ja bisweilen völlig vertrottelte Kinder zur Welt bringen (Z. B. Du mich)«. 25

Später wurde sein Ton differenzierter, etwa als er analysierte, was hinter der berühmten Klage seines Vaters steckte, dass das Schicksal ihn für seine Verachtung aller Autorität gestraft habe, indem es ihn selbst zur Autorität gemacht habe. Eduard schrieb: »Psychoanalytisch bedeutet das, dass Du, da Du Dich vor Deinem eigenen Vater nicht beugen wolltest und stattdessen mit ihm gekämpft hast, selber eine Autorität geworden bist, um an seine Stelle treten zu können.« 26

Einstein lernte Freud kennen, als dieser zur Neujahrsfeier 1927 von Wien nach Berlin angereist war. Der damals siebzigjährige Freud litt an Gaumenkrebs und war auf einem Ohr taub, aber die beiden Männer hatten ein angeregtes Gespräch, was zum Teil daran lag, dass sie vor allem über Politik und nicht über ihre jeweiligen Spezialgebiete sprachen. »Einstein versteht von der Politik so viel wie ich von der Physik«, schrieb Freud an einen Freund. 27

Einstein hat Freud nie gebeten, seinen Sohn zu behandeln, auch scheint er von der Psychoanalyse nicht sonderlich beeindruckt gewesen zu sein. »Vielleicht ist es nicht immer hilfreich, ins Unterbewusstsein zu tauchen«, sagte er einmal. »Unsere Beine werden von einhundert verschiedenen Muskeln bewegt. Glaubst du, es würde uns beim Gehen helfen, wenn wir unsere Beine analysierten und wüssten, welchen Zweck jeder Muskel erfüllt und in welcher Reihenfolge sie in Aktion treten?« Gewiss hat er nie ein Interesse daran geäußert, sich selbst einer Therapie zu unterziehen. »Mir gefällt es sehr gut, im Dunkel des Nicht-Analysiert-Seins zu verharren«, erklärte er. 28

Aber schließlich räumte er Eduard gegenüber ein, dass Freuds Arbeit doch eine gewisse Anerkennung verdiene. »Seitdem ist diese Überzeugung anhand kleiner eigener Erfahrungen doch langsam in mir durchgedrungen, wenigstens, was die Hauptthesen anbelangt.« 29

An der Universität verliebte sich Eduard in eine ältere Frau, eine Neigung, die offenbar familiär war und Freud vielleicht amüsiert hätte. Als die Beziehung schmerzlich in die Brüche ging, verfiel Eduard in eine teilnahmslose Depression. Sein Vater schlug ihm vor, eine Liebelei mit einem jüngeren »Spielzeug« zu suchen. Außerdem empfahl er seinem Sohn , sich um eine Arbeit zu bemühen. »Selbst ein Genie wie Schopenhauer wurde zermürbt durch die Berufslosigkeit«, schrieb er. »Denn beim Menschen ist es wie beim Velo. Nur wenn er fährt, kann er bequem die Balance halten.« 30

Eduard war unfähig, die Balance zu halten. Er begann Kurse zu schwänzen und blieb auf seinem Zimmer. Je mehr Probleme er bekam, desto größer schienen Einsteins Fürsorge und Zuneigung zu werden. Die Briefe an seinen verstörten Sohn waren voll schmerzlicher Zärtlichkeit, während er auf Eduards psychologische Theorien einging und sich um das Verständnis seiner enigmatischen Aphorismen bemühte.

»Das Leben hat keinen Endzweck, der außerhalb des Lebens liegt«, stellte Eduard in einem dieser Aphorismen fest.

Einstein erwiderte höflich, das könne er akzeptieren, »aber es erklärt sehr wenig«. Das Leben um seiner selbst willen, fuhr Einstein fort, sei leer. »Menschen, die in einer Gesellschaft leben, Freude daran haben, einander in die Augen zu blicken, die ihre Sorgen miteinander teilen, die ihre Bemühungen auf Dinge richten, die für sie wichtig sind und ihnen Spaß machen – diese Menschen führen ein erfülltes Leben.« 31

Es lag etwas Wissendes, Selbstreferenzielles in dieser Ermahnung. Einstein selbst war wenig geneigt oder fähig, sich die Sorgen anderer Menschen zu eigen zu machen, was er kompensierte, indem er sich auf das konzentrierte, was ihm wichtig war. »Tete hat wirklich viel von mir in sich, aber bei ihm scheint es ausgeprägter zu sein«, gestand Einstein Marić . »Er ist ein interessanter Bursche, aber er wird es schwer haben.« 32

Einstein besuchte Eduard im Oktober 1930 und versuchte zusammen mit Marić , etwas gegen die seelische Abwärtsspirale des Jungen zu unternehmen. Sie spielten zusammen Klavier, aber es war vergebens. Immer tiefer versank Eduard in seiner dunklen Verstimmung. Bald darauf drohte der junge Mann damit, sich aus dem Fenster seines Zimmers zu stürzen, aber seine Mutter hielt ihn zurück.

Die auseinanderlaufenden Fäden des Einstein’schen Familienlebens fanden im November 1930 noch einmal in einer bizarren Szene zusammen. Vier Jahre zuvor hatte sich ein gerissener russischer Autor namens Dimitri Marianoff um ein Treffen mit Einstein bemüht. Mit viel Unverschämtheit und Hartnäckigkeit hatte er Einsteins Wohnung aufgesucht und es geschafft, von Elsa hineingelassen zu werden. Dort gelang es ihm, Einsteins Interesse durch ein Gespräch über das russische Theater zu gewinnen und Elsas Tochter Margot den Kopf zu verdrehen, indem er eine Handschriften-Analyse als große Show inszenierte.

Margot war so schrecklich schüchtern, dass sie sich häufig vor Fremden versteckte, aber Marianoffs Tricks lockten sie aus ihrem Schneckenhaus. Ihre Hochzeit fand wenige Tage nach einem Selbstmordversuch Eduards statt. Zu diesem Zeitpunkt traf die verzweifelte Marić unangekündigt in Berlin ein, weil sie ihren Ex-Mann um Hilfe bitten wollte. Später beschrieb Marianoff die Szene, die sich am Ende der Hochzeitszeremonie abspielte: »Als wir die Treppe herunterkamen, bemerkte ich eine Frau in der Nähe des Portikus. Ich hätte sie nicht bemerkt, wäre mir nicht ihr verzweifelter Blick aufgefallen. Schwer atmend sagte Margot : ›Das ist Mileva .‹« 33

Einstein war tief erschüttert von der Krankheit seines Sohnes. »An Albert nagt es«, schrieb Elsa . »Er wird schwer damit fertig.« 34

Doch es gab wenig, was er dagegen tun konnte. Am Morgen nach der Hochzeit fuhren Elsa und Einstein mit dem Zug nach Antwerpen , von wo aus sie zu ihrem zweiten Besuch in den Vereinigten Staaten in See stechen wollten. Es war ein hektischer Aufbruch. Auf dem Berliner Bahnhof wurde Einstein von Elsa getrennt, dann verlor er die Zugkarten. 35 Doch schließlich fanden sich Menschen und Karten wieder zusammen, und es konnte endlich beginnen, was sich als ein weiterer triumphaler Amerikabesuch entpuppen sollte.

Wieder in Amerika

Einsteins zweite Reise nach Amerika, die im Dezember 1930 begann, sollte ganz anders verlaufen als der erste Besuch. Dieses Mal wollte man das öffentliche Aufsehen und den Reklamerummel vermeiden. Stattdessen kam er als Forschungsstipendiat zu einem zweimonatigen Arbeitsbesuch ans California Institute of Technology . Bei der Organisation seines Besuchs war man bestrebt, Einsteins Privatsphäre zu schützen, und hielt, wie seine Freunde in Deutschland, übermäßiges öffentliches Aufsehen für unpassend.

Wie üblich schien Einstein damit einverstanden zu sein – jedenfalls in der Theorie. Sobald sich herumgesprochen hatte, dass er kam, wurde er täglich von Dutzenden Telegrammen mit Vortragsangeboten und Einladungen zu Preisverleihungen überschwemmt, die er sämtlich ablehnte. Während der Überfahrt hatten er und sein mathematischer Rechner Walther Mayer sich in der von einem Matrosen bewachten Oberdeck-Suite vergraben, um seine einheitliche Feldtheorie noch einmal zu überarbeiten. 36

Er hatte sogar beschlossen, dass er nicht an Land gehen werde, wenn das Schiff in New York anlegte. »Ich hasse es, in Kameras zu blicken und ein Kreuzfeuer von Fragen beantworten zu müssen«, gab er bekannt. »Warum sich diese Modeerscheinung auf mich richtet, einen Naturwissenschaftler, der sich mit abstrakten Problemen beschäftigt und froh ist, wenn er in Ruhe gelassen wird, ist eine Manifestation der Massenpsychologie, die ich nicht begreife.« 37

Doch inzwischen hatte das Zeitalter der Prominenz unwiderruflich von der Welt, und insbesondere von Amerika, Besitz ergriffen. Abneigung gegen Ruhm und Bekanntheit galt nicht mehr als selbstverständlich. Zwar wurde die öffentliche Aufmerksamkeit noch immer von vielen vernünftigen Leuten nach Möglichkeit gemieden, aber dass sich manche um sie bemühten, begann man zu akzeptieren. Einen Tag bevor das Schiff in New York anlegte, schickte Einstein ein Telegramm: Er habe den Bitten der Presse nachgegeben und stehe bei seiner Ankunft für eine Pressekonferenz und einen Fototermin zur Verfügung. 38

Es »war schlimmer als in den abenteuerlichsten Erwartungen«, notierte er in seinem Reisetagebuch. Fünfzig Reporter und fünfzig Kameraleute drängten an Bord, begleitet vom deutschen Konsul und seinem dicken Assistenten. »Die Reporter stellten hirnverbrannte Fragen, und ich antwortete mit billigen Witzen, die begeistert aufgenommen wurden.« 39

Aufgefordert, die vierte Dimension mit einem Wort zu definieren, erwiderte Einstein: »Das müssen Sie einen Spiritisten fragen.« Könne er Relativität in einem Satz definieren? »Für eine kurze Definition brauchte ich drei Tage.«

Auf eine Frage versuchte er, eine ernsthafte Antwort zu geben, die sich allerdings als falsch erwies. Der Journalist fragte nach einem Politiker, der drei Monate zuvor aus dem Nichts aufgestiegen war und bei der Reichstagswahl 18 Prozent der Stimmen erzielt hatte. »Was halten Sie von Adolf Hitler ?« Einstein antwortete: »Er lebt von Deutschlands leerem Magen. Sobald sich die wirtschaftlichen Verhältnisse bessern, wird er seine Bedeutung verlieren.« 40

Die Zeitschrift Time brachte Elsas Bild auf der Titelseite, wobei sie einen schicken Hut trug und in ihrer Rolle als Frau des berühmtesten Wissenschaftlers der Welt aufging. Das Magazin berichtete: »Da der Mathematiker Einstein sein Bankkonto nicht richtig führen kann«, müsse seine Frau sich um seine Finanzen kümmern und seine Reise organisieren. »Alle diese Dinge muss ich so für ihn erledigen, dass er denkt, er habe freie Hand«, verriet sie dem Interviewer. »Er ist mein Leben, und er ist es wert. Es gefällt mir sehr, Frau Einstein zu sein.« 41 Eine Pflicht, die sie sich selbst auferlegt hatte, bestand darin, einen Dollar für ein Autogramm und fünf Dollar für eine Fotografie ihres Mannes zu fordern; sie führte Buch und spendete das Geld später Wohltätigkeitseinrichtungen für Kinder.

Den Entschluss, sich während der Liegezeit in New York an Bord abzuschotten, hatte sich Einstein offenbar noch einmal überlegt, denn er schien überall aufzutauchen. Er feierte Chanukka mit 15.000 Menschen im Madison Square Garden, ließ sich mit dem Auto durch Chinatown fahren, aß mit der Redaktionsleitung der New York Times zu Mittag, ließ sich zujubeln, als er in der Metropolitan Opera eintraf, um die gefeierte Sopranistin Maria Jeritza in Carmen zu hören, erhielt die Schlüssel der Stadt (die ihm, wie Bürgermeister Jimmy Walker scherzend meinte, »relativ« überlassen würden) und wurde vom Präsidenten der Columbia University als »amtierender König des Geistes« begrüßt. 42

Auch die Riverside Church besuchte er, einen gerade fertiggestellten massiven Bau mit einem Mittelschiff, der 2100 Besucher fasste. Über dem Westportal befand sich unter zwölf in Stein gehauenen Statuen großer Denker der Geschichte auch ein lebensgroßes Standbild Einsteins. Harry Emerson Fosdick , ein bekannter und angesehener Geistlicher, holte Einstein und Elsa am Tor ab und führte sie herum. Einstein hielt inne, um ein Buntglasfenster zu bewundern, das Immanuel Kant in seinem Garten zeigte, dann stellte er eine Frage zu seiner Statue. »Bin ich der einzige lebende Mensch unter all diesen Standbildern aus allen Zeitaltern?« Dr. Fosdick erwiderte mit einer gewissen Feierlichkeit, die der Aufmerksamkeit der Reporter nicht entging: »Das trifft zu, Professor Einstein.«

»Dann muss ich für den Rest meines Lebens sehr darauf achten, was ich tue und sage«, erwiderte Einstein. Laut einem Bericht im Kirchenblatt scherzte er hinterher: »Ich hätte mir vorstellen können, dass man einen jüdischen Heiligen aus mir macht, aber ich hätte nie gedacht, ein protestantischer zu werden!« 43

Die Kirche war eine Stiftung von John D. Rockefeller Jr., und Einstein ließ ein Treffen mit dem Großkapitalisten und Philanthropen arrangieren. Es ging um die komplizierten Einschränkungen, denen die Vergabe von Forschungsmitteln der Rockefeller-Stiftung unterlag. »Die bürokratischen Vorschriften fesseln den Geist wie die Hände einer Mumie«, sagte Einstein.

Außerdem sprachen sie über Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit angesichts der Großen Depression. Einstein schlug vor, die Arbeitszeiten zu kürzen, damit – nach seinem wirtschaftlichen Verständnis – mehr Menschen Aussicht auf Arbeit hätten. Außerdem meinte er, dass bei einer Verlängerung der Schulzeit weniger junge Leute zur Erwerbsbevölkerung hinzukämen.

»Würde eine solche Maßnahme nicht die Freiheit des Einzelnen ungebührlich einschränken?«, wandte Rockefeller ein. Einstein entgegnete, dass die gegenwärtige Krise Maßnahmen erfordere, wie man sie in Kriegszeiten treffe. Das gab Einstein Gelegenheit, seine pazifistische Haltung darzulegen, die Rockefeller , wie er höflich erklärte, nicht teilte. 44

Seine denkwürdigste Rede war ein pazifistischer Weckruf, den er vor der New History Society hielt. Dort forderte er »Widerstand gegen den Krieg: Ablehnung des Militärdienstes unter allen denkbaren Umständen«. Dann folgte eine berühmte Passage, in der er von den tapferen 2 Prozent sprach:

Die Ängstlichen mögen sagen: »Was soll es? Man wird uns nur ins Gefängnis stecken!« Darauf antworte ich: Selbst wenn nur zwei Prozent der Einberufenen ihre Dienstverweigerung ankündigten (…), wären die Regierungen machtlos. Keine von ihnen würde es wagen, eine so große Zahl von Menschen ins Gefängnis zu werfen.

Die Rede wurde rasch zu einem Manifest der Kriegsdienstverweigerer . Bei vielen Studenten und Pazifisten sah man Ansteckplaketten mit der schlichten Aufschrift »2 %«. 45 Mit einer Schlagzeile auf Seite 1 druckte die New York Times den ganzen Text der Rede ab. Auch eine deutsche Zeitung widmete der Rede eine Schlagzeile, allerdings weit weniger begeistert: »Einstein bettelt für Kriegsdienstverweigerer  – Unglaubliche Werbemethoden des Gelehrten in Amerika«. 46

Am Tag, als er New York verließ, nahm Einstein eine kleine Änderung an einer der Aussagen vor, die er bei seiner Ankunft abgegeben hatte. Wieder nach Hitler gefragt, erklärte er, sollten die Nazis jemals an die Macht kommen, ziehe er in Betracht, Deutschland zu verlassen. 47

Einsteins Schiff fuhr durch den Panamakanal nach Kalifornien. Während seine Frau beim Friseur war, diktierte Einstein Helen Dukas Briefe und arbeitete mit Walther Mayer an der einheitlichen Feldtheorie . Obwohl er sich über die »dauernde Photographiererei« der Mitpassagiere beklagte, ließ er sich geduldig von einem jungen Mann zeichnen, versah die Skizze mit einem selbstironischen kleinen Vers und verwandelte sie so in ein Sammlerstück.

Auf Kuba , wo Einstein das warme Wetter genoss, hielt er eine Rede vor der dortigen Akademie der Wissenschaften. Dann ging es weiter nach Panama , wo eine Revolution ausgebrochen war, die zur Absetzung eines Präsidenten führte, der, wie sich herausstellte, ebenfalls ein Absolvent des Züricher Polytechnikums war. Das hielt die Offiziellen nicht davon ab, Einstein mit einer aufwendigen Zeremonie willkommen zu heißen, bei der er einen Hut geschenkt bekam, an dem »eine schriftunkundige ecuadorianische Indianerin ein halbes Jahr gewebt hatte«. Am ersten Weihnachtsfeiertag schickte er über den Schiffsfunk Weihnachtsgrüße nach Amerika. 48

Als sein Schiff am letzten Morgen des Jahres 1930 in San Diego anlegte, kletterten Dutzende von Reportern an Bord, wobei zwei von der Leiter ins Wasser stürzten. Fünfhundert uniformierte Mädchen warteten am Hafen, um ihm ein Ständchen zu bringen. Diese gigantische Empfangszeremonie mit ihren Reden und Darbietungen dauerte vier Stunden.

Ob es irgendwo im Universum Menschen gebe, fragten ihn die Reporter. »Andere Lebewesen vielleicht, aber keine Menschen«, antwortete er. Ob sich Wissenschaft und Religion im Konflikt miteinander befänden? Eigentlich nicht, meinte er, »obwohl es natürlich von Ihrem religiösen Standpunkt abhängt«. 49

Freunde in Deutschland, die diesen Rummel in der Wochenschau sahen, waren verblüfft und etwas bestürzt. »Mir macht’s immer großen Spaß, Sie in der tönenden Wochenschau zu sehen und zu hören«, schrieb Hedwig Born mit der ihr eigenen spitzen Feder. »Wie Sie (S. Diego ) Blumenwagen mit schönen Meerjungfrauen vorgestellt bekommen u. dergl. (…) So meschugge solche Dinge auch von außen aussehen, so habe ich doch dabei das Gefühl: Der liebe Gott wird schon wissen, was er dabei tut.« 50

Wie im letzten Kapitel beschrieben, besuchte Einstein auf dieser Reise das Mount-Wilson-Observatorium , wo ihm der Beweis für die Expansion des Universums vor Augen geführt wurde, was ihn dazu veranlasste, die kosmologische Konstante , die er in die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie eingesetzt hatte, wieder herauszunehmen. Außerdem erwies er dem alternden Albert Michelson seine Reverenz und würdigte dessen berühmte Experimente, die gezeigt hatten, dass es keine Ätherdrift gibt, allerdings ohne explizit zu erwähnen, dass sie eine Grundlage seiner speziellen Relativitätstheorie bildeten.

Einstein genoss eine Vielzahl an Annehmlichkeiten, die Kalifornien zu bieten hatte. Er besuchte die Rose Bowl Parade, sah den Film Im Westen nichts Neues in einer Sondervorführung und legte sich nackt in die Sonne, als er über das Wochenende bei einem Freund in der Mojave-Wüste zu Besuch war. In einem Hollywoodstudio setzte ihn ein Team für Spezialeffekte in ein geparktes Auto und zeigte ihm am Abend zu seinem großen Vergnügen, wie er in dem Wagen durch Los Angeles raste, in die Wolken schwebte, über die Rocky Mountains flog und schließlich in einer ländlichen Region in Deutschland landete. Man bot ihm sogar Filmrollen an, die er allerdings höflich ablehnte.

Auf dem Pazifik segelte er mit Robert A. Millikan , dem Präsidenten des Caltech , der, wie er in seinem Tagebuch notierte, an der Universität »die Rolle Gottes spielt«. Millikan war ein Physiker, der 1923 den Nobelpreis dafür bekommen hatte, dass er, wie das Komitee bemerkte, »Einsteins außerordentlich wichtige photoelektrische Gleichung experimentell bestätigt« habe. Auch Einsteins Deutung der Brown’schen Bewegung verifizierte er. Daher war es nur zu verständlich, dass er, als er das Caltech zu einer der weltweit führenden wissenschaftlichen Institutionen entwickelte, eifrig bemüht war, Einstein dorthin zu bringen.

Trotz all ihrer Gemeinsamkeiten waren Millikan und Einstein in ihren persönlichen Anschauungen sehr verschieden, weshalb sie eine nicht spannungsfreie Beziehung zueinander hatten. Millikan war wissenschaftlich so konservativ, dass er Einsteins Interpretation des photoelektrischen Effekts und seine Leugnung des Äthers ablehnte, obwohl sie doch offensichtlich durch seine eigenen Experimente bestätigt wurden. Politisch war er noch konservativer. Der robuste und sportliche Sohn eines Predigers aus Iowa hatte einen Hang zu patriotischem Militarismus , der ebenso ausgeprägt war wie Einsteins Ablehnung dieser Einstellung.

Außerdem hatte Millikan den Aufstieg des Caltech dank beträchtlicher Spenden ähnlich denkender Konservativer zustande gebracht. Einsteins pazifistische und sozialistische Anschauungen waren vielen von ihnen ein Dorn im Auge, weshalb sie Millikan drängten, ihn dazu zu bringen, alle Aussagen über irdische Verhältnisse zu unterlassen und sich auf kosmische Fragen zu beschränken. Generalmajor Amos Fries brachte es auf den Punkt, als er erklärte, man sei verpflichtet, »gegen Amerikaner zu protestieren, die im Namen der Wissenschaft durch die Einladung des Dr. Albert Einstein mithelfen und dazu ermutigen, daß der Jugend dieses Landes Verrat gepredigt wird«. Millikan sah das ganz ähnlich. So verurteilte er Einsteins Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung : »Zum Beispiel ist die Äußerung über die 2 Prozent, sollte sie überhaupt von ihm stammen, etwas, das kein erfahrener Mann je sagen würde.« 51

Eine besondere Abneigung hegte Millikan gegen den politisch engagierten und gewerkschaftsfreundlichen Schriftsteller Upton Sinclair und den Schauspieler Charlie Chaplin , der Einstein in puncto weltweiter Berühmtheit nicht nachstand, ihn aber in linker Gesinnung noch übertraf. Zu Millikans Entsetzen schloss Einstein augenblicklich Freundschaft mit beiden. Mit Sinclair hatte er schon einen Briefwechsel über ihr gemeinsames Streben nach sozialer Gerechtigkeit geführt, und als er nach Kalifornien kam, nahm er mit Freude Sinclairs Einladung zu einer Vielzahl von Festessen, Partys und anderen Veranstaltungen an. Er blieb auch höflich, wenngleich amüsiert, als er mit Elsa einer absurden Séance im Haus der Sinclairs beiwohnte. Als Mrs. Sinclair seine Ansichten über Naturwissenschaften und Spiritualität infrage stellte, tadelte Elsa sie ob solcher Anmaßung. »Sie wissen, mein Mann hat den klügsten Verstand der Welt!«, sagte sie. Mrs. Sinclair antwortete: »Ja, ich weiß, aber gewiss weiß auch er nicht alles.« 52

Bei einer Besichtigung der Universal Studios erwähnte Einstein, dass er sich schon lange wünsche, Charlie Chaplin kennenzulernen. Der Studiochef rief Chaplin an, und der erschien in der Kantine, um mit den Einsteins zu Mittag zu essen. Dieses Treffen führte ein paar Tage später zu einem der spektakulärsten Ereignisse im neuen Zeitalter der Prominenz: Einstein und Chaplin kamen gemeinsam im Smoking – von einer strahlenden Elsa begleitet – zur Premiere des Films Lichter der Großstadt . Als sie unter Applaus das Filmtheater betraten, sagte Chaplin den denkwürdigen (und zutreffenden) Satz: »Ihnen applaudieren die Leute, weil Sie keiner versteht, und mir, weil mich jeder versteht.« 53 Ernster wurde Einstein, als er sich gegen Ende seines Aufenthalts mit einer Rede an die Caltech -Studenten wandte. Gemäß seiner humanistischen Einstellung legte er dar, dass man die Naturwissenschaft bislang noch nicht so nutze, dass sie mehr Gutes als Schaden bewirke. Während des Krieges »dient sie dazu, dass wir uns gegenseitig vergiften oder verstümmeln. Im Frieden hat sie unser Leben hastig und unsicher gemacht.« Statt als befreiende Kraft zu wirken, »hat sie die Menschen zu Sklaven der Maschine gemacht«, indem sie dafür gesorgt habe, dass die Menschen »mit Unlust ihr eintöniges, langes Tagwerk vollbringen«. Der Wille, das Leben der gewöhnlichen Menschen zu erleichtern, müsse stets das Hauptinteresse der wissenschaftlichen Arbeit bleiben. »Vergesst dies nie über eure Zeichnungen und Gleichungen!« 54

Mit dem Zug durchquerten die Einsteins Nordamerika von Westen nach Osten, um von New York aus mit dem Schiff weiterzureisen. Unterwegs machten sie am Grand Canyon halt, wo sie von einer Abordnung der Hopi begrüßt wurden (Angestellten des Canyon-Imbisses, was Einstein allerdings nicht wusste). Sie nahmen ihn als den »Great Relative« 55 in ihren Stamm auf und setzten ihm einen üppigen Federschmuck auf, der zum Anlass für etliche berühmte Fotos wurde. 56

Als der Zug Chicago erreichte, hielt Einstein von der Heckplattform aus eine Rede vor den Teilnehmern einer pazifistischen Kundgebung, die gekommen waren, um ihn zu feiern. Millikan muss entsetzt gewesen sein. Was er sagte, ähnelte der »2 %-Rede«, die er in New York gehalten hatte. »Nach meiner Meinung ist hier der gewaltsame Weg der Verweigerung des Militärdienstes der beste«, verkündete er. »Viele, die sich für gute Pazifisten halten, werden einen solchen radikalen Pazifismus nicht mitmachen wollen, indem sie patriotische Gründe geltend machen. Auf solche Menschen kann jedoch in ernster Stunde ohnehin nicht gerechnet werden.« 57

Als der Zug der Einsteins am Morgen des 1. März in New York City einfuhr, erreichte der Einstein-Hype neue Höhepunkte. »Einsteins Persönlichkeit löst aus nicht ganz ersichtlichen Gründen Erscheinungen von Massenhysterie aus«, berichtete der deutsche Konsul nach Berlin .

Zuerst begab sich Einstein zu seinem Schiff, wo vierhundert Mitglieder der Liga der Kriegsdienstverweigerer warteten, um ihn zu begrüßen. Er ließ sie alle an Bord kommen und sprach in einem Tanzsaal zu ihnen. »Wenn die Mitglieder pazifistischer Organisationen schon in Friedenszeiten nicht bereit sind, sich trotz drohender Gefängnisstrafen den Behörden entgegenzustellen, werden sie es im Krieg, wo nur der Widerstand der Härtesten und Entschlossensten zu erwarten ist, ganz bestimmt nicht tun.« Die Menge verfiel in einen Begeisterungstaumel, in dessen Verlauf die hingerissenen Pazifisten Einstein die Hände und Kleidungsstücke küssten. 58

Auf der Kundgebung war auch der führende US -Sozialist Norman Thomas , der Einstein davon zu überzeugen versuchte, dass der Pazifismus sich nicht ohne radikale wirtschaftliche Reformen durchsetzen lasse. Einstein widersprach ihm. »Es ist leichter, die Menschen für den Pazifismus zu gewinnen als für den Sozialismus «, sagte er. »Wir sollten zunächst für den Pazifismus und erst später für den Sozialismus arbeiten.« 59

Am Nachmittag wurden die Einsteins ins Waldorf Astoria gefahren, wo sie in einer weitläufigen Suite untergebracht waren, in der sie einen Strom von Besuchern empfangen konnten, unter ihnen Helen Keller und zahlreiche Journalisten. Tatsächlich waren es zwei Suiten, die durch ein großes privates Esszimmer verbunden waren. Als nachmittags ein Freund kam, fragte er Elsa : »Wo ist Albert?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie sichtlich genervt. »Er verläuft sich immer in diesen ganzen Zimmern.«

Schließlich fanden sie ihn, wie er auf der Suche nach seiner Frau herumirrte. Die verschwenderische Weitläufigkeit ärgerte ihn. »Ich sage dir, was du tun kannst«, sagte der Freund. »Schließ die zweite Suite ab, und du wirst dich besser fühlen.« Einstein tat wie ihm geheißen, und es funktionierte. 60

An diesem Abend sprach er zu den Gästen des Benefizdinners, dessen Ertrag der zionistischen Sache zugutekommen sollte. Kurz nach Mitternacht traf er wieder bei seinem Schiff ein. Doch selbst da war der Tag noch nicht vorüber. Eine große Menge junger Pazifisten empfing ihn mit dem Lied »No War Forever« und jubelte ihm zu, als er die Pier erreichte. Später gründeten sie die Youth Peace Federation, und Einstein schickte ihnen die rasch hingekritzelte Botschaft: »Wünsche Glück zur Radikalisierung des Pazifismus 61

Einsteins Pazifismus

Dieser radikale Pazifismus hatte in Einsteins Gedanken während der 1920er-Jahre Gestalt angenommen. Als er sich – ab dem fünfzigsten Lebensjahr – mehr und mehr aus der Physik zurückzog, verstärkte sich sein politisches Engagement. Seine vorrangigen Anliegen waren, zumindest bis Adolf Hitler und die Nazis die Macht übernahmen, Abrüstung und Kriegsdienstverweigerung . »Ich bin nicht nur Pazifist «, sagte er einem Interviewer auf seiner Amerikareise. »Ich bin militanter Pazifist 62

Das behutsame Vorgehen des Völkerbunds , der internationalen Organisation, der die Vereinigten Staaten nicht beigetreten waren, lehnte er ab. Statt eine vollständige Abrüstung zu fordern, versuchte der Völkerbund es mit einer Politik der kleinen Schritte, indem man über Einsatzregeln und Rüstungskontrollen verhandelte. Als er im Januar 1928 aufgefordert wurde, in einer der Abrüstungskommissionen des Völkerbunds mitzuwirken, in der nach Begrenzungsmöglichkeiten des Gaskriegs gesucht werden sollte, brachte er seine Entrüstung über solche halbherzigen Maßnahmen öffentlich zum Ausdruck:

Dem Krieg gewisse Regeln und Benachrichtigungen vorschreiben zu wollen, scheint mir ganz aussichtslos. Krieg ist eben kein Spiel und kann daher nicht nach gewissen Spielregeln getrieben werden. Nur der Krieg selbst kann bekämpft werden, und dies von Seiten der Massen am wirksamsten durch Organisationen der absoluten Kriegsdienstverweigerer . 63

So wurde er zum Idol einer wachsenden Bewegung, die von der Internationale der Kriegsdienstverweigerer angeführt wurde. »Die internationale Bestrebung für die Verweigerung jeglicher Kriegstätigkeit ist (…) eine der trostreichsten Erscheinungen unserer Zeit«, schrieb er im November 1928 an die britische Zweigorganisation der Internationale der Kriegsdienstverweigerer . 64

Selbst als der Aufstieg der Nazis bedrohliche Züge annahm, wollte Einstein – zumindest anfänglich – nicht einsehen, dass es Ausnahmen von diesem pazifistischen Postulat gab. Was würde er tun, so fragte ihn ein tschechischer Journalist, wenn wieder ein europäischer Krieg ausbreche und eine Seite der eindeutige Aggressor sei? »Ich würde direkten oder unmittelbaren Kriegsdienst unbedingt verweigern und versuchen, meine Freunde zu derselben Haltung zu veranlassen, und zwar unabhängig von der Kriegsursache«, antwortete er. 65 Die Zensoren in Prag wollten die Veröffentlichung dieser Bemerkung unterbinden, aber sie wurde andernorts publiziert und untermauerte Einsteins Status als Leitfigur des radikalen Pazifismus .

Eine solche Gesinnung war zu damaliger Zeit nicht ungewöhnlich. Der Erste Weltkrieg hatte die Menschen durch seine ausgesprochene Brutalität und offensichtliche Überflüssigkeit geschockt. Einsteins Pazifismus wurde von vielen Intellektuellen geteilt, etwa von Upton Sinclair , Sigmund Freud , John Dewey und H. G. Wells . »Wir erklären, dass jeder, der aufrichtig den Frieden will, für die Abschaffung der Militarisierung der Jugend kämpfen und den Regierungen das Recht absprechen muss, den Staatsbürgern die Wehrpflicht aufzuerlegen«, erklärten sie 1930 in einem Manifest, das Einstein unterzeichnete. »Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in der Kunst des Tötens. (…) Sie verhindert die Entwicklung des Willens zum Frieden.« 66 Einsteins Engagement für die Kriegsdienstverweigerung erreichte ihren Höhepunkt 1932, dem Jahr vor der Machtergreifung der Nazis . In diesem Jahr tagte in Genf die Allgemeine Abrüstungskonferenz , organisiert vom Völkerbund sowie den Vereinigten Staaten und Russland .

Anfangs setzte Einstein große Hoffnungen in die Konferenz. So schrieb er in einem Artikel für die Nation : »Deshalb wird die Abrüstungskonferenz von 1932 für das Schicksal der gegenwärtigen und der nächsten Generation entscheidend sein.« Aber er wies warnend darauf hin, dass sie sich nicht einfach mit Regeln zur Rüstungsbegrenzung begnügen dürfe. »Bloße Abmachungen über Rüstungseinschränkungen verleihen keinerlei Sicherheit«, sagte er. Stattdessen müsse es ein obligatorisches Schiedsgericht geben, dem eine »von den Teilnehmerstaaten garantierte Exekutive« zur Verfügung stehe, um gegen die Friedensbrecher »mit wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen einzuschreiten«. 67

Seine Befürchtungen waren nur zu berechtigt. Die Konferenz verfranzte sich in Diskussionen über Nebensächlichkeiten, etwa die Frage, wie die Offensivkraft von Flugzeugträgern in der Rüstungskontrollbilanz zu Buche schlage. Im Mai traf Einstein in Genf ein, gerade als das Thema auf den Tisch kam. Als er auf der Besuchergalerie erschien, unterbrachen die Delegierten ihre Diskussionen und erhoben sich, um ihm zu applaudieren. Aber Einstein war alles andere als erfreut. Am Nachmittag gab er eine Pressekonferenz in seinem Hotel und warf der Konferenz Zaghaftigkeit vor.

»Man kann der Vermeidung eines Krieges nicht dadurch näherkommen, dass man Regeln darüber aufzustellen sucht, wie Krieg zu führen sei«, erklärte er den Dutzenden aufgeregten Journalisten, die die Konferenz verlassen hatten, um über seine Kritik zu berichten. »Wir sollten auf den Dächern stehen und diese Konferenz als eine Travestie anklagen!« Er vertrat die Auffassung, ein Scheitern der Konferenz sei besser als eine Einigung auf die »Humanisierung des Krieges«, die er für eine tragische Illusion hielt. 68

»Einstein hatte die Neigung, außerhalb seines wissenschaftlichen Spezialgebietes unpraktisch zu agieren«, meinte sein Freund Romain Rolland , der Romancier und pazifistische Mitstreiter. Richtig ist, dass Abrüstung angesichts der Ereignisse in Deutschland ein Hirngespinst bleiben musste und pazifistische Hoffnungen naiv waren, um ein Wort zu benutzen, das Einstein häufig entgegengehalten wurde. Trotzdem sollte man festhalten, dass seine Kritik nicht ganz unbegründet war. Die Befürworter der Abrüstung in Genf waren nicht weniger naiv. Sie verbrachten fünf Jahre damit, nutzlose, abstrakte Debatten zu führen, während Deutschland sich wiederbewaffnete.

Politische Ideale

»Einen Schritt weiter, Einstein!«, verlangte die Schlagzeile. Sie gehörte zu einem Essay, der im August 1931 als offener Brief an Einstein veröffentlicht wurde. Der Autor war der führende deutsche Sozialist Kurt Hiller , einer der vielen Aktivisten des linken Spektrums, die Einstein drängten, seinen Pazifismus in eine radikalere Politik umzusetzen. Pazifismus sei nur ein untergeordneter Schritt, meinte Hiller . Das wirkliche Ziel sei die sozialistische Revolution.

Privat bezeichnete Einstein den Artikel als »ziemlich dumm«. Pazifismus brauche den Sozialismus nicht, und manchmal führten sozialistische Revolutionen zur Unterdrückung von Freiheit. »Ich bin gar nicht überzeugt, dass die Nutznießer eines (…) revolutionären Unternehmens meinem Ideal gemäß funktionieren würden«, schrieb er an Hiller . »Außerdem bin ich der Meinung, dass das Ziel der Befriedung lange vor dem sozialen Problem entschiedenen Fortschritt machen müsste.« 69

Einsteins Pazifismus , Weltföderalismus und seine Abneigung gegen Nationalismus gehörten zu einer politischen Einstellung, die noch einige andere Aspekte umfasste – leidenschaftliches Streben nach sozialer Gerechtigkeit, Mitgefühl für Unterprivilegierte, Ablehnung von Rassismus und eine Vorliebe für Sozialismus . Doch während der 1930er-Jahre – und schon davor – machten ihn Autoritätsskepsis, leidenschaftlicher Individualismus und Freiheitsliebe immun gegen die Dogmen von Bolschewismus und Kommunismus . »Einstein war weder ein Roter noch tölpelhaft«, schreibt Fred Jerome , der sich eingehend mit Einsteins politischem Handeln und der umfangreichen Einstein-Akte des FBI beschäftigt hat. 70

In dieser Skepsis gegenüber Autorität drückt sich Einsteins fundamentales moralisches Prinzip aus: Freiheit und Individualismus sind unabdingbare Voraussetzungen für Kreativität und Vorstellungskraft. Er hatte das als frecher junger Denker bewiesen und 1931 noch einmal als Prinzip formuliert. »Als wichtigste Aufgabe sehe ich die, das Individuum zu schützen und ihm die Möglichkeit zu bieten, sich zur schöpferischen Persönlichkeit zu entfalten«, schrieb er. 71

Thomas Bucky , ein Sohn des Arztes, der sich um Elsas Töchter kümmerte, war dreizehn Jahre alt, als er Einstein 1932 kennenlernte. Damals begann, was im Fortgang eine langjährige politische Diskussion werden sollte. »Einstein war Humanist, Sozialist und Demokrat«, stellte er fest. »Er war völlig antiautoritär eingestellt, egal, ob gegenüber Russland , Deutschland oder Südamerika. Er bevorzugte eine Kombination aus Kapitalismus und Sozialismus . Und er hasste alle Diktaturen, egal, ob rechte oder linke.« 72

Wie skeptisch Einstein dem Kommunismus gegenüberstand, zeigte sich, als man ihn 1932 zum Antikriegskongress (Weltkongress gegen den imperialistischen Krieg ) einlud. Obwohl angeblich von einer pazifistischen Gruppe organisiert, wurde er zu einer Plattform für die sowjetischen Kommunisten . Die offizielle Einladung zur Konferenz warf den »imperialistischen Mächten« vor, Japans aggressive Haltung gegenüber der Sowjetunion zu unterstützen. Einstein weigerte sich, die Konferenz zu besuchen oder ihr Manifest zu unterstützen. »Ich kann es nicht unterzeichnen, weil es eine Glorifizierung Sowjetrusslands enthält«, bemerkte er.

Er sei zu einigen recht düsteren Schlussfolgerungen über Russland gekommen, fügte er hinzu. »Oben persönlicher Kampf machthungriger Personen mit den verworfensten Mitteln aus rein egoistischen Motiven, nach unten völlige Unterdrückung der Person und der Meinungsäußerung. Was hat denn unter solchen Bedingungen das Leben noch für einen Sinn.« Ironischerweise wurde in der geheimen Akte, die das FBI während der Hexenjagd der 1950er-Jahre zusammenstellte, als Indiz gegen ihn verwendet, er habe die Einladung, sich aktiv an diesem Weltkongress zu beteiligen, angenommen und nicht abgelehnt. 73

Damals war Einstein mit Isaac Don Levine befreundet, einem russischstämmigen amerikanischen Journalisten, der zunächst mit den Kommunisten sympathisiert, dann aber als Kolumnist bei den Hearst-Zeitungen entschieden gegen Stalin und seine brutale Herrschaft Stellung bezogen hatte. Zusammen mit anderen bekannten Persönlichkeiten, die sich für die Menschenrechte einsetzten, etwa Roger Baldwin , dem Mitbegründer der ACLU (American Civil Liberties Union  – Amerikanische Bürgerrechtsunion), und Bertrand Russell , unterstützte Einstein die von Levine herausgegebenen Letters from Russian Prisons , eine Dokumentation über die stalinistischen Gräueltaten. Er steuerte sogar einen handschriftlichen Essay bei, in dem er »die Schreckensherrschaft in Russland « verurteilte. 74

Auch Levines später publizierte Stalinbiografie , in der er die Grausamkeit des Diktators anprangert, las Einstein und nannte sie »tiefgründig«. Er hielt das Buch für eine notwendige Lektion über linke und rechte Tyranneien. »Gewalt erzeugt Gewalt«, schrieb er in einem Lobesbrief an Levine . »Freiheit ist eine notwendige Grundlage für Entwicklung aller wahren Werte.« 75

Doch schließlich begann sich Einstein von Levine zu distanzieren. Wie viele ehemalige Sympathisanten des Kommunismus , die ins antikommunistische Lager wechselten, war Levine vom Eifer des Konvertiten beseelt und so einseitig in seinem Urteil, dass es ihm schwerfiel, die mittleren Bereiche des Spektrums zu respektieren. Einstein dagegen war nach Levines Einschätzung durchaus bereit, einige Aspekte der sowjetischen Unterdrückung als unglückliche Nebenprodukte der revolutionären Veränderung zu akzeptieren.

Tatsächlich gab es in der Sowjetunion viele Aspekte, die Einstein bewunderte. Unter anderem sah er dort den Versuch, Klassenunterschiede und wirtschaftliche Hierarchien zu beseitigen. »Die sozialen Klassenunterschiede empfinde ich nicht als gerechtfertigt«, hieß es in einer persönlichen Darlegung seiner Weltanschauung. »Auch glaube ich, daß ein schlichtes und anspruchsloses äußeres Leben für jeden gut ist, für Körper und Geist.« 76

Aufgrund dieser Auffassungen stand Einstein dem übermäßigen Konsum und dem ungleich verteilten Reichtum, die ihm in Amerika begegneten, kritisch gegenüber. So schloss er sich einer Vielzahl von Bewegungen an, die für ethnische und soziale Gleichstellung eintraten. Beispielsweise nahm er sich des Falls der Scottsboro Boys an, einer Gruppe junger schwarzer Männer, die in einem umstrittenen Prozess wegen einer Gruppenvergewaltigung in Alabama verurteilt worden waren, und trat für Tom Mooney ein, einen Gewerkschaftsaktivisten, der in Kalifornien wegen Mordes einsaß. 77

Am Caltech war Millikan über Einsteins Aktivismus verärgert und schrieb ihm das auch. Diplomatisch erklärte Einstein, dass es nicht seine Sache sein könne, »auf einer Angelegenheit zu beharren, welche nur die Bürger Ihres Landes betrifft«. 78 Wie viele andere hielt Millikan Einstein in seinem politischen Verhalten für naiv. Bis zu einem gewissen Grad war er das auch, es sollte allerdings nicht vergessen werden, dass sich seine Zweifel an den Verurteilungen der Scottsboro Boys und Mooneys als gerechtfertigt erwiesen und er auch bei seinem Eintreten für ethnische und soziale Gerechtigkeit auf der richtigen Seite der Geschichte stand.

Trotz seines Engagements für den Zionismus zeigte Einstein auch Verständnis für die Araber, die durch den massenhaften Zuzug von Juden aus dem Gebiet, das einmal Israel werden sollte, vertrieben wurden. Seine Botschaft war prophetisch. Wenn man keine Wege »zur friedlichen Zusammenarbeit« mit den Arabern finde, schrieb er 1929 an Weizmann , »haben wir absolut nichts aus unseren 2000 Jahren des Leidens gelernt«. 79

Sowohl in einem Schreiben an Weizmann wie in einem offenen Brief an einen Araber schlug er vor, einen »geheimen Rat« von acht unabhängigen Personen, vier Juden und vier Arabern, einzusetzen, die für die Schlichtung aller Streitigkeiten zuständig seien. Er sagte, dass die »beiden großen semitischen Völker (…) eine große gemeinsame Zukunft haben«. Wenn die Juden nicht dafür sorgten, dass beide Seiten einträchtig zusammenlebten, dann, so warnte er seine Freunde in der zionistischen Bewegung, würden ihnen die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen in den kommenden Jahrzehnten noch schwer zu schaffen machen. 80 Abermals nannte man ihn naiv.

Der Briefwechsel zwischen Einstein und Freud

Als das Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit ihm 1932 anbot, einen Briefwechsel mit einem Denker seiner Wahl zu Fragen des Krieges und der Politik zu führen, fiel Einsteins Wahl auf Sigmund Freud , den anderen bedeutenden geistigen und pazifistischen Vordenker der Zeit. Zunächst legte Einstein eine Idee dar, an der er sich im Laufe der Jahre immer wieder abgearbeitet hatte. Zur Beseitigung des Krieges sei es notwendig, sagte er, dass die Nationen einen Teil ihrer Souveränität an »eine überstaatliche Organisation [abgeben], die ihrem Gericht unbestreitbare Autorität zu verleihen und der Exekution seiner Erkenntnisse absoluten Gehorsam zu erzwingen imstande wäre«. Mit anderen Worten, er dachte an die Einrichtung einer internationalen Organisation mit mehr Macht, als sie der Völkerbund besaß.

Seit seinen Jugendjahren, als ihm der deutsche Militarismus zu schaffen machte, fühlte sich Einstein vom Nationalismus abgestoßen. Diese Ablehnung war eines der Grundpostulate seiner politischen Weltanschauung, denen er sein Leben lang treu blieb. Hitlers Aufstieg weckte in ihm erste Zweifel an den Grundsätzen des Pazifismus und führte zur Forderung nach einer internationalen oder »übernationalen« Institution, die das Chaos nationaler Souveränität überwinden konnte, indem sie die Schlichtung von Streitigkeiten erzwang.

»Der Weg zur internationalen Sicherheit führt über den bedingungslosen Verzicht der Staaten auf einen Teil ihrer Handlungsfreiheit bzw. Souveränität«, schrieb er an Freud , »und es dürfte unbezweifelbar sein, dass es einen anderen Weg zu ihrer Sicherheit nicht gibt.« Jahre später, als es galt, die militärischen Gefahren der Atombombe zu bannen, an deren Entwicklung er nicht ganz unschuldig war, vertrat Einstein diese Auffassung mit noch größerer Entschiedenheit.

Zum Schluss stellte Einstein noch eine Frage an den »großen Kenner der menschlichen Triebe«. Ausgehend von der Überlegung, dass in den Menschen »ein Bedürfnis zu hassen und zu vernichten« lebe und dass dieses dazu missbraucht werden könnte, militaristische Leidenschaften zu wecken, fragte Einstein: »Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, daß sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?« 81

In seiner komplizierten und verschlungenen Antwort äußerte sich Freud sehr pessimistisch: »Sie vermuten, dass in den Menschen etwas wirksam ist, ein Trieb zum Hassen und Vernichten«, schrieb er. »Wiederum kann ich Ihnen nur uneingeschränkt zustimmen.« Die Psychoanalytiker seien zu dem Schluss gekommen, dass zwei Triebe des Menschen miteinander verwoben seien, »entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen, wir heißen sie die erotischen (…), und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen sie als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.« Allerdings warnte Freud davor, den ersten als gut und den zweiten als böse zu bezeichnen. »Der eine dieser Triebe ist ebenso unerlässlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor.«

Und so kommt Freud zu seiner düsteren Schlussfolgerung:

Aus dem Vorstehenden entnehmen wir für unsere nächsten Zwecke soviel, daß es keine Aussicht hat, die aggressiven Neigungen der Menschen abschaffen zu wollen. Es soll in glücklichen Gegenden der Erde, wo die Natur alles, was der Mensch braucht, überreichlich zur Verfügung stellt, Völkerstämme geben, deren Leben in Sanftmut verläuft, bei denen Zwang und Aggression unbekannt sind. Ich kann es kaum glauben, möchte gern mehr über diese Glücklichen erfahren. Auch die Bolschewisten hoffen, daß sie die menschliche Aggression zum Verschwinden bringen können dadurch, daß sie die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse verbürgen und sonst Gleichheit unter den Teilnehmern an der Gemeinschaft herstellen. Ich halte das für eine Illusion. Vorläufig sind sie auf das sorgfältigste bewaffnet. 82

Freud war mit dem Briefwechsel nicht sehr zufrieden und meinte scherzend, von ihnen beiden werde wohl keiner den Friedensnobelpreis erhalten. Ohnehin war Anfang 1933, als der Briefwechsel zur Veröffentlichung fertiggestellt war, Hitler schon an der Macht. Daher war das Thema plötzlich obsolet, sodass nur wenige Tausend Exemplare gedruckt wurden. Zu dieser Zeit war Einstein, wie es sich für einen guten Wissenschaftler gehört, damit beschäftigt, seine Theorien der neuen Datenlage anzupassen.