Eines Abends waren Einstein und seine Frau zu einem Abendessen eingeladen, als ein Gast bekannte, er glaube an Astrologie. Einstein machte sich darüber lustig und bezeichnete die Astrologie als reinen Aberglauben. Ein anderer Gast stimmte ihm zu und äußerte sich ähnlich herablassend über die Religion . Auch der Glaube an Gott sei Aberglaube.

Daraufhin suchte der Gastgeber ihn zu widerlegen, indem er darauf verwies, dass selbst Einstein religiöse Überzeugungen habe.

»Das ist doch nicht möglich!«, meinte der skeptische Gast und fragte Einstein, ob er tatsächlich religiös sei.

»Ja, so können Sie es nennen«, gab Einstein ruhig zur Antwort. »Wer mit seinen begrenzten Mitteln versucht, in die Geheimnisse der Natur einzudringen, wird feststellen, dass sich hinter all den erkennbaren Gesetzen und Verbindungen etwas Flüchtiges, Ungreifbares und Unerklärliches verbirgt. Die Verehrung dieser Kraft hinter allem, das wir verstehen können, ist meine Religion . Insofern bin ich tatsächlich religiös 1

Als Kind hatte Einstein eine ekstatische religiöse Phase durchlebt, um sich anschließend dagegen aufzulehnen. Während der folgenden drei Jahrzehnte äußerte er sich selten zu dem Thema. Doch als er sich dem fünfzigsten Lebensjahr näherte, begann er in verschiedenen Aufsätzen, Interviews und Briefen sein vertieftes Verhältnis zu seinem jüdischen Erbe und – etwas getrennt davon – seinen Glauben an Gott zu artikulieren, wenn es sich auch um einen unpersönlichen, deistischen Gottesbegriff handelte.

Vermutlich gab es viele Gründe dafür, zusätzlich zu der bei Fünfzigjährigen natürlich auftretenden Neigung, über die Ewigkeit nachzudenken. Die Verwandtschaft, die er mit anderen Juden angesichts ihrer fortgesetzten Unterdrückung empfand, erweckte wahrscheinlich einige seiner religiösen Empfindungen zu neuem Leben. Vor allem aber schien sein Glaube mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zusammenzuhängen, die ihm ein Gefühl der Ehrfurcht und den Eindruck von der Existenz einer transzendenten Ordnung vermittelt hatte.

Ob er die Schönheit seiner Feldgleichungen der Gravitation bewunderte oder die Unbestimmtheit der Quantenmechanik ablehnte, immer bewies er ein tiefes Vertrauen in die Geordnetheit des Universums . Dies diente ihm als Grundlage für seine wissenschaftliche – aber auch seine religiöse  – Weltanschauung. »Die höchste Befriedigung eines wissenschaftlichen Menschen«, schrieb er 1929, sei die Erkenntnis, »dass Gott selbst diese Zusammenhänge nicht in anderer Weise hätte arrangieren können, als sie vorliegen, genauso wenig wie er aus vier eine Primzahl hätten machen können.« 2

Für Einstein wie für die meisten Menschen wurde der Glaube an etwas Größeres als sich selbst zu einem sinnstiftenden Aspekt der Identität. Er rief in ihm eine Mischung aus Selbstvertrauen und Demut hervor, abgemildert durch eine liebenswerte Schlichtheit. Angesichts seines Hangs zu Egozentrik waren das nützliche Tugenden. Zusammen mit seinem Humor und seiner Selbsterkenntnis schützten sie ihn vor Anmaßung und Wichtigtuerei, vor denen auch die berühmtesten Denker der Welt nicht immer gefeit waren.

Seine religiös motivierte Ehrfurcht und Demut waren auch dafür verantwortlich, dass er für soziale Gerechtigkeit eintrat, alle äußerlichen Zeichen von Hierarchie und Klassenschranken verachtete, übermäßigen Konsum und Materialismus ablehnte und sich für die Belange Geflüchteter und Unterdrückter einsetzte.

Kurz nach seinem fünfzigsten Geburtstag gab er ein bemerkenswertes Interview, in dem er mehr von seinem religiösen Denken preisgab als jemals zuvor. Der Interviewer war ein aufgeblasener, gerissener Skribent und Propagandist namens George Sylvester Viereck , von Geburt Deutscher, der als Kind nach Amerika gekommen war und sein Leben damit verbracht hatte, kitschige erotische Reime zu verfassen, große Männer zu interviewen und eine komplizierte Liebe zu seinem Vaterland zu artikulieren.

Nachdem es ihm gelungen war, Interviews mit Leuten wie Freud , Hitler und dem deutschen Kaiser zu führen und sie schließlich unter dem Titel Glimpses of the Great herauszubringen, gelang es ihm, sich eine Verabredung mit Einstein in dessen Berliner Wohnung zu verschaffen. Dort bewirtete Elsa ihn mit Himbeersaft und Obstsalat; dann gingen die beiden Männer in Einsteins Einsiedlerstübchen hinauf. Aus Gründen, die nicht genau bekannt sind, hielt Einstein Viereck für einen Juden . Tatsächlich konnte Viereck seine Herkunft voller Stolz bis zur Familie des Kaisers zurückverfolgen. Später wurde er ein NS -Sympathisant, der in Amerika während des Zweiten Weltkriegs einsaß, weil er sich als deutscher Propagandist betätigt hatte. 3

Viereck begann mit der Frage, ob Einstein sich als Deutscher oder Jude sehe. »Es ist möglich, beides zu sein«, erwiderte Einstein. »Nationalismus ist eine Kinderkrankheit, die Masern der Menschheit.«

Sollten Juden versuchen, sich zu assimilieren? »Wir Juden sind zu eifrig darauf bedacht gewesen, unsere Eigenarten zu opfern, um uns anzupassen.«

Bis zu welchem Grad sind Sie vom Christentum beeinflusst? »Als Kind erhielt ich sowohl Unterweisung in der Bibel als auch im Talmud. Obwohl ich Jude bin, war ich gefesselt von der Lichtgestalt des Nazareners.«

Ist Jesus für Sie eine historische Figur? »Unzweifelhaft! Niemand kann die Evangelien lesen, ohne die konkrete Gegenwart Jesu zu spüren. Seine Persönlichkeit wirkt in jedem Wort. Kein Mythos ist von solchem Leben erfüllt.«

Glauben Sie an Gott ? »Ich bin kein Atheist. Das Problem überfordert unseren begrenzten Verstand. Wir befinden uns in der Lage eines kleinen Kindes, das eine riesige Bibliothek betritt, gefüllt mit Büchern mit verschiedenen Sprachen. Das Kind weiß, dass jemand diese Bücher geschrieben haben muss. Aber es weiß nicht, wie. Es versteht die Sprachen nicht, in denen sie geschrieben sind. Das Kind ahnt undeutlich eine geheimnisvolle Ordnung in der Zusammenstellung der Bücher, kennt sie aber nicht. Das, so scheint mir, ist die Haltung sogar der intelligentesten Menschen gegenüber Gott . Wir sehen, dass das Universum wunderbar gefügt ist und dass es bestimmten Gesetzen gehorcht, verstehen diese Gesetze aber nur undeutlich.«

Ist das ein jüdischer Gottesbegriff ? »Ich bin ein Determinist . Ich glaube nicht an den freien Willen. Sie glauben, dass man sein Leben selbst bestimmt. Diese Lehre lehne ich ab. Insofern bin ich kein Jude

Ist das Spinozas Gott ? »Ich bin von Spinozas Pantheismus fasziniert, bewundere jedoch seinen Beitrag zum modernen Denken noch mehr, weil er als erster Philosoph Seele und Körper als Einheit und nicht als zwei getrennte Dinge behandelt hat.«

Wie ist er auf seine Ideen gekommen? »Ich bin Künstler genug, um mich meiner Phantasie ganz frei zu bedienen. Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt. Phantasie umfängt die Welt.«

Glauben Sie an Unsterblichkeit? »Nein. Und ein Leben reicht mir auch.« 4

Einstein versuchte, diese Gefühle möglichst klar auszudrücken, sowohl für sich selbst wie für alle, die von ihm eine einfache Antwort bezüglich seines Glaubens erhofften. Deshalb schrieb er im Sommer 1930 in Caputh , zwischen Segeln und wissenschaftlichen Grübeleien, Wie ich die Welt sehe , eine Art Glaubensbekenntnis, in das er als letzten Absatz eine Passage aufnahm, in der er erklärte, was er meinte, wenn er sich als religiös bezeichnete:

Das Schönste, was wir erreichen können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen. Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserem Verstand nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinne, und nur in diesem, gehöre ich zu den tiefreligiösen Menschen. 5

Die Leute fanden das Interview interessant, sogar erhellend, und es wurde vielfach übersetzt. Doch verständlicherweise stellte es die Menschen nicht zufrieden, die sich eine einfache, direkte Antwort auf die Frage erhofften, ob er an Gott glaube. Infolgedessen ersetzte das Bestreben, Einstein zu einer klaren, knappen Auskunft in dieser Frage zu veranlassen, den früheren heftigen Wunsch, die Relativitätstheorie in einem Satz erklärt zu bekommen.

Ein Bankier aus Colorado schrieb, er habe bereits von vierundzwanzig Nobelpreisträgern auf die Frage, ob sie an Gott glaubten, eine Antwort bekommen, und so bat er Einstein, ebenfalls zu antworten. »Ich kann mir keinen persönlichen Gott vorstellen, der die Handlungen individueller Menschen direkt beeinflusst oder über die Geschöpfe seiner eigenen Schöpfung zu Gericht sitzt«, schrieb Einstein in seinem Brief. »Meine Religiosität besteht aus einer demütigen Bewunderung des unendlich überlegenen Geistes, der sich in dem Wenigen offenbart, was wir mit unserer schwachen und hinfälligen Vernunft von der Wirklichkeit zu erkennen vermögen.« 6 Ein kleines Mädchen aus der sechsten Klasse einer Sonntagsschule in New York stellte die Frage in etwas anderer Form. »Beten Wissenschaftler?«, wollte sie wissen. Einstein nahm sie ernst. »Wissenschaftliche Forschung beruht auf der Idee, dass alles, was passiert, von Naturgesetzen bestimmt wird. Das gilt auch für das Tun der Menschen«, erläuterte er. »Aus diesem Grund wird ein Wissenschaftler kaum annehmen, dass Ereignisse von einem Gebet beeinflusst werden könnten, d. h. von einem Wunsch, der an ein übernatürliches Wesen gerichtet ist.«

Das heiße jedoch nicht, dass es keinen Allmächtigen gebe, keinen Geist, der größer sei als der unsere. In der Antwort an das Mädchen heißt es weiter:

Jeder, der Wissenschaft ernsthaft betreibt, gelangt zu der Überzeugung, dass sich in den Gesetzen des Universums ein Geist offenbart – ein Geist, der dem des Menschen unendlich überlegen ist und angesichts dessen wir mit unseren bescheidenen Kräften nur Demut empfinden können. So gesehen, führt die wissenschaftliche Tätigkeit zu einem religiösen Gefühl besonderer Art, das in der Tat ganz verschieden von der Religiosität eines naiveren Menschen ist. 7

Für einige Menschen konnte es nur eine befriedigende Antwort geben: einen eindeutig bekundeten Glauben an einen persönlichen Gott , der unser tägliches Leben bestimmt. Aus dieser Perspektive blieb für Einsteins Vorstellungen von einem unpersönlichen kosmischen Geist, wie schon für seine Relativitätstheorien , nur Unverständnis. »Ich bezweifle ernsthaft, dass Einstein wirklich weiß, wohin das führt«, bemerkte Kardinal William Henry O’Connell aus Boston . Denn es schien doch klar zu sein: Das war der Weg in die Gottlosigkeit . »Diese Zweifel und nebulösen Spekulationen über Zeit und Raum dienen als Deckmantel, unter dem sich die hässliche Fratze des Atheismus verbirgt.« 8

Dieses öffentliche Verdammungsurteil aus dem Mund eines Kardinals veranlasste den orthodoxen Rabbiner Herbert S. Goldstein , Vorsteher der jüdischen Gemeinde in New York , Einstein ein sehr direktes Telegramm zu schicken: »Glauben Sie an Gott ? Stopp. Antwort bezahlt. 50 Wörter.« Einstein brauchte nur etwas mehr als die Hälfte der ihm zugestandenen Anzahl. Es wurde die bekannteste Version einer Antwort, die er oft gab: »Ich glaube an Spinozas Gott , der sich in der gesetzmäßigen Harmonie alles Existierenden ausdrückt, aber nicht an einen Gott , der sich persönlich mit den Schicksalen und Taten der Menschheit befasst.« 9

Einsteins Antwort war nicht für alle befriedigend. Beispielsweise wiesen einige religiöse Juden darauf hin, dass Spinoza aus der jüdischen Gemeinde Amsterdams exkommuniziert worden war, weil er diese Glaubensüberzeugungen vertreten hatte, und als wäre das nicht genug, auch noch von der katholischen Kirche verurteilt worden war. »Kardinal O’Connell hätte vollkommen richtig gehandelt, wenn er nicht Einsteins Theorie angegriffen hätte«, sagte ein Rabbiner aus der Bronx. »Einstein hätte besser daran getan, den Umstand, dass er nicht an einen Gott glaubt, der sich mit den Taten und Schicksalen des Einzelnen befasst, für sich zu behalten. Beide haben Urteile außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs gefällt.« 10

Trotzdem gaben sich die meisten damit zufrieden, egal, ob sie nun ganz einverstanden waren oder nicht, weil sie Einsteins Haltung anerkennen konnten. Die Idee eines unpersönlichen Gottes , dessen Hand sich in der Herrlichkeit der Schöpfung ausdrückt, aber der sich nicht in die tägliche Existenz seiner Geschöpfe einmischt, ist Teil einer ehrwürdigen europäischen und amerikanischen Tradition. Man findet sie bei einigen Lieblingsphilosophen Einsteins, und sie steht im Einklang mit den religiösen Überzeugungen von vielen amerikanischen Gründervätern, etwa von Jefferson und Franklin .

Gläubigen Menschen erscheint die häufige Erwähnung Gottes bei Einstein mitunter als bloße Redefigur, wobei es Ungläubigen ähnlich ergeht. Dabei verwendet er viele Bezeichnungen, einige durchaus spielerisch, von »der Herrgott « bis »der Alte«. Aber es war ganz und gar nicht Einsteins Art, unaufrichtige Redewendungen zu gebrauchen, nur um sich den Erwartungen anderer anzupassen. Ganz im Gegenteil. Daher sollten wir ihn beim Wort nehmen, wenn er wiederholt versichert, diese immer wieder verwendeten Bezeichnungen seien keinesfalls nur eine Tarnung für seinen vermeintlichen Atheismus.

Sein Leben lang wehrte er sich gegen den Vorwurf, er sei ein Atheist. »Es gibt Menschen, die sagen, es gibt keinen Gott «, sagte er zu einem Freund. »Aber wirklich ärgerlich macht mich, dass sie mich als Gewährsmann für solche Ansichten zitieren.« 11

Im Gegensatz zu Sigmund Freud , Bertrand Russell oder George Bernard Shaw empfand Einstein nie das Bedürfnis, Menschen herabzusetzen, die an Gott glaubten; eher sprach er abschätzig über Atheisten. »Von den meisten sogenannten Atheisten unterscheidet mich ein Gefühl äußerster Demut gegenüber den unenträtselbaren Geheimnissen, die der Harmonie des Kosmos innewohnen«, erklärte er. 12

Tatsächlich schien Einstein den unerbittlichen Aufklärern, denen es offenbar an Demut und Ehrfurcht fehlte, kritischer gegenüberzustehen als den Gläubigen. »Die fanatischen Atheisten«, erklärte er in einem Brief, »sind wie Sklaven, die noch immer das Gewicht ihrer Ketten spüren, die sie nach hartem Kampf gesprengt haben. Sie sind Geschöpfe, die in ihrem Groll gegen die traditionelle Religion als ›Opium für das Volk‹ die Musik der Sphären nicht mehr hören können.« 13

Später begann Einstein einen Briefwechsel mit einem Fähnrich der US -Marine, den er nie persönlich kennenlernte. Ob es wahr sei, fragte der Seemann, dass Einstein von einem jesuitischen Priester zu dem Glauben an Gott bekehrt worden sei? Das sei absurd, antwortete Einstein. Er halte den Glauben an einen Gott , der eine väterliche Figur sei, für das Ergebnis »kindlicher Analogien«. Ob Einstein ihm gestatte, diese Antwort in seinen Debatten mit seinen religiöseren Kameraden zu zitieren? Einstein forderte ihn auf, nicht zu sehr zu vereinfachen. »Sie können mich einen Agnostiker nennen, aber ich teile nicht die Kreuzzugsmentalität des professionellen Atheisten, dessen Eifer in der Regel eine Reaktion auf die während der Jugend empfangene religiöse Indoktrination ist«, erläuterte er. »Ich ziehe die Demut vor, die der Unzulänglichkeit unseres geistigen Verständnisses für die Natur und unsere eigene Existenz entspricht.« 14

Wie verträgt sich dieser Hang zur Religion mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit? Für Einstein lag die Schönheit seines Glauben darin, dass er ihm Einsicht und Inspiration gab, statt ihn mit seiner Forschung in Konflikte zu steuern. Deshalb bekannte er, »daß die kosmische Religiosität die stärkste und edelste Triebfeder wissenschaftlicher Forschung ist«. 15

Später erklärte Einstein seine Auffassung über die Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion auf einer Konferenz, die vom Union Theological Seminary in New York zu diesem Thema veranstaltet wurde. Dort führte er aus, die Wissenschaft habe die Aufgabe, festzustellen, was sei, nicht aber, menschliche Gedanken und Handlungen danach zu bewerten, was sein solle . Religion habe den umgekehrten Auftrag. Doch manchmal würden diese Bestrebungen zusammenarbeiten. »Wissenschaft aber kann nur geschaffen werden von Menschen, die ganz erfüllt sind von dem Streben nach Wahrheit und Begreifen«, sagte er. »Diese Gefühlsbasis entstammt der religiösen Sphäre.«

Die Rede wurde auf den Titelseiten abgedruckt, und seine prägnante Schlussfolgerung wurde berühmt: »Man kann den Sachverhalt nur durch ein Bild ausdrücken: Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.«

Allerdings gebe es einen religiösen Begriff, fuhr Einstein fort, den die Wissenschaft nicht akzeptieren könne: eine Gottheit , die sich nach Belieben in die Ereignisse ihrer Schöpfung oder in das Leben ihrer Geschöpfe einmische. »In dieser persönlichen Gottesidee liegt nun die Hauptursache des gegenwärtigen Konflikts zwischen der religiösen und der wissenschaftlichen Sphäre«, erklärte er. Naturwissenschaftler seien bestrebt, die unwandelbaren Gesetze zu entdecken, die die Wirklichkeit bestimmten, und dabei müssten sie die Vorstellung ablehnen, dass der göttliche Wille, oder auch der menschliche Wille, eine Rolle spielen könnte, die diese kosmische Kausalität verletze. 16

Dieser Glaube an kausalen Determinismus , der untrennbar zu Einsteins wissenschaftlicher Anschauung gehörte, widersprach nicht nur einem persönlichen Gottesbegriff , sondern war auch, zumindest nach Einsteins Auffassung, unvereinbar mit der Freiheit des menschlichen Willens. Obwohl er ein zutiefst moralischer Mensch war, erschwerte ihm das Festhalten am strengen Determinismus den Glauben an moralische Entscheidungsfähigkeit und individuelle Verantwortlichkeit, die den Kern vieler ethischer Systeme bilden.

Im Allgemeinen sind jüdische wie christliche Theologen davon ausgegangen, dass Menschen diesen freien Willen besitzen und verantwortlich für ihre Taten sind. Sie können sich frei entscheiden, wie es in der Bibel geschieht, gegen Gottes Gebote zu verstoßen, obwohl sich das nicht mit dem Glauben vereinbaren lässt, dass Gott allwissend und allmächtig ist.

Einstein hingegen glaubte wie Spinoza , 17 dass die Handlungen eines Menschen genauso vorherbestimmt sind wie das Verhalten einer Billardkugel, eines Planeten oder eines Sterns. »Menschen sind in ihrem Denken, Fühlen und Handeln nicht frei, sondern genauso kausal gebunden wie die Sterne in ihren Bewegungen«, erklärte Einstein 1932 in einer Mitteilung an die Spinoza Society . 18

Er glaubte, Menschen seien in ihrem Handeln von physikalischen und psychologischen Gesetzen bestimmt, ohne dass sie sich dem entziehen könnten. Das war eine Auffassung, die er unter anderem bei seiner Schopenhauer -Lektüre gewonnen hatte. In seiner Schrift Wie ich die Welt sehe von 1930 schrieb er dem Philosophen eine Maxime zu, die diesen Gedanken zum Ausdruck bringt:

An Freiheit des Menschen im philosophischen Sinne glaube ich keineswegs. Jeder handelt nicht nur unter äußerem Zwang, sondern auch gemäß innerer Notwendigkeit: Schopenhauers Spruch: »Ein Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will«, 19 hat mich seit meiner Jugend lebendig erfüllt und ist mir beim Anblick und Erleiden der Härten des Lebens immer ein Trost gewesen und eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz. 20

Ob Menschen in ihrem Handeln frei seien, wurde Einstein einmal gefragt. »Nein, ich bin Determinist «, antwortete er. »Alles ist vorherbestimmt, Anfang wie Ende, von Kräften, über die wir keine Kontrolle haben. Für das Insekt genauso wie für den Stern. Menschen, Gemüsepflanzen oder kosmischer Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvolle Musik, die irgendwo in der Ferne von einem unsichtbaren Musiker gespielt wird.« 21

Über diese Haltung zeigten sich einige Freunde entsetzt, so etwa Max Born , der glaubte, das untergrabe die Fundamente der menschlichen Moral. »Ich kann nicht begreifen, wie Du eine vollständig mechanistische Welt mit der Freiheit des ethischen Individuums vereinigen kannst«, schrieb er Einstein. »Ich finde eine deterministische Welt ganz abscheulich. (…) Vielleicht hast Du recht, daß sie so ist. Aber im Augenblick sieht es in der Physik nicht gerade so aus – und sonst in der übrigen Welt erst recht nicht.«

Nach Borns Ansicht bot die Quanten-Unbestimmtheit einen Ausweg aus diesem Dilemma. Wie einige Philosophen der Zeit setzte er auf die der Quantenmechanik innewohnende Unbestimmtheit , um »die Diskrepanz zwischen ethischer Freiheit und strenger Naturgesetzlichkeit « aufzuheben. 22 Einstein räumte ein, dass die Quantenmechanik den strengen Determinismus infrage stelle, versicherte Born aber, dass er trotzdem an ihn glaube, sowohl in der Sphäre persönlichen Handelns wie in der der Physik.

Born erläuterte das Problem seiner etwas überspannten Frau Hedwig , die immer zu einer Debatte mit Einstein bereit war. Sie teilte Einstein mit, es gehe ihr wie ihm. »An den ›würfelnden‹ Gott kann ich auch nicht glauben.« Mit anderen Worten, im Gegensatz zu ihrem Mann lehnte sie das quantenmechanische Bild eines Universums ab, das auf Unbestimmtheiten und Wahrscheinlichkeiten beruhte. Aber sie fügte hinzu: »Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Du – wie Max mir eben bei der Diskussion sagte – glaubst, daß Deine ›volle Gesetzmäßigkeit‹ bedeutet, daß alles vorherbestimmt ist – z. B. daß ich mein Kind (…) impfen lasse.« 23 Das würde das Ende aller Ethik bedeuten.

In Einsteins Philosophie ließ sich das Problem dadurch lösen, dass man den freien Willen als ein wichtiges, ja notwendiges Element einer zivilisierten Gesellschaft betrachtete, weil es Menschen dazu veranlasste, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Zu handeln, als ob Menschen psychologisch und praktisch für ihre Taten verantwortlich wären, veranlasst sie, verantwortlicher zu handeln. »Ich bin gezwungen zu handeln, als gäbe es den freien Willen«, erklärte er, »weil ich, wenn ich in einer zivilisierten Gesellschaft leben möchte, verantwortlich handeln muss.« Er konnte Menschen sogar für ihre guten und schlechten Taten verantwortlich machen, weil das eine pragmatische und vernünftige Einstellung zum Leben war, obwohl er vom Verstand her die Taten aller Menschen für vorherbestimmt hielt. »Ich weiß, dass philosophisch ein Mörder für seine Untat nicht verantwortlich ist«, sagte er, »trotzdem verzichte ich lieber darauf, mit ihm Tee zu trinken.« 24

Zur Rechtfertigung von Einstein sowie Max und Hedwig Born sei darauf hingewiesen, dass Philosophen jahrhundertelang – gelegentlich etwas ungeschickt und nicht sehr erfolgreich – darum gerungen haben, den freien Willen mit Determinismus und einem allwissenden Gott zu versöhnen. Es sei dahingestellt, ob Einstein sich dabei geschickter oder ungeschickter angestellt hat als andere, aber eine Tatsache ist auffällig und sollte nicht unerwähnt bleiben: Er war in der Lage, eine sehr starke moralische Haltung zu entwickeln und zu praktizieren, wenn auch nicht immer gegenüber seinen Familienangehörigen, so doch im Hinblick auf die Menschheit im Allgemeinen– eine Haltung, die nicht durch diese unlösbaren philosophischen Probleme beeinträchtigt wurde. »Das wichtigste Bestreben des Menschen ist die Bemühung um Moral in unseren Handlungen«, schrieb er einem Geistlichen in Brooklyn. »Unser inneres Gleichgewicht und sogar unsere Existenz hängen davon ab. Nur die Moral in unseren Handlungen kann dem Leben Schönheit und Würde verleihen.« 25

Die Grundlage dieser Moral lag seiner Meinung nach darin, dass man sich über das »rein Persönliche« erhob und sein Leben so gestaltete, dass man der Menschheit nutzte. Es gab Zeiten, da konnte er sich seinen Nächsten gegenüber herzlos verhalten, was zeigt, dass er, wie wir alle, seine Fehler hatte. Doch mehr als die meisten Menschen entschloss er sich ehrlich und gelegentlich mutig zu Handlungen, in denen er seine egoistischen Bestrebungen ausklammerte und sich für den menschlichen Fortschritt und die Bewahrung individueller Freiheiten einsetzte. Im Allgemeinen war er freundlich, wohlwollend, liebenswürdig und schlicht. Als Elsa und er nach Japan aufbrachen, erklärte er ihren Töchtern , wie er sich ein moralisches Leben vorstelle. »Verbraucht für euch wenig«, sagte er, »aber gebt den anderen viel.« 26