»Zugvogel«

»Heute habe ich mich entschlossen, die Berliner Stellung aufzugeben und den Rest meines Lebens als Zugvogel zu verbringen«, schrieb Einstein in sein Reisetagebuch. »Ich lerne Englisch, aber es will nicht in meinem alten Hirn haften bleiben.« 1

Das war im Dezember 1931, und er fuhr zu seinem dritten Amerikabesuch über den Atlantik. Er war in besinnlicher Stimmung, wohl wissend, dass die weiteren Entwicklungen in der Physik ohne ihn vonstattengehen und die Ereignisse in seinem Geburtsland ihn wurzellos machen könnten. Als ein gewaltiger Sturm, weit heftiger als alles, was er bis dahin erlebt hatte, sein Schiff ergriff, hielt er seine Gedanken in einem Reisetagebuch fest: »Man spürt die Bedeutungslosigkeit des Einzelnen«, schrieb er, »und es macht einen glücklich.« 2

Doch Einstein war noch immer unschlüssig, ob er Berlin für immer verlassen sollte. Siebzehn Jahre lang war es seine Heimat gewesen, bei Elsa waren es noch mehr. Trotz der Herausforderung, die Kopenhagen darstellte, war Berlin noch immer die Welthauptstadt der theoretischen Physik . Bei allen dunklen politischen Unterströmungen blieb es ein Ort, den er im Grunde liebte und verehrte, egal, ob er in Caputh Hof hielt oder seinen Sitz in der Preußischen Akademie der Wissenschaften einnahm.

In der Zwischenzeit mehrten sich seine Optionen. In Amerika warteten zwei weitere Monate Gastprofessur am Caltech , die Millikan in ein dauerhaftes Arrangement umwandeln zu können hoffte. Einsteins Freunde in den Niederlanden versuchten seit Jahren, ihm einen Wechsel schmackhaft zu machen, und jetzt mischte sich auch Oxford ein.

Kaum hatte er seine Zimmer im Athenaeum bezogen, dem eleganten Fakultätsclub des Caltech , da eröffnete sich eine weitere Möglichkeit. Eines Morgens suchte ihn der bekannte amerikanische Pädagoge Abraham Flexner auf, der mehr als eine Stunde auf dem abgeschiedenen Hof mit ihm umherging. Als Elsa sie fand und ihren Mann an eine Verabredung zum Mittagessen erinnerte, winkte er ab.

Flexner , der als Beauftragter der Rockefeller Foundation geholfen hatte, das höhere Bildungssystem umzuorganisieren, war im Begriff, eine »Zuflucht« für Wissenschaftler zu schaffen, in der sie ohne akademischen Druck und Lehrverpflichtungen ihrer Forschung nachgehen konnten – oder, wie Flexner es ausdrückte, »ohne vom Malstrom des Unmittelbaren fortgerissen zu werden«. 3 Mit einer 5-Millionen-Dollar-Stiftung von Louis Bamberger und seiner Schwester Caroline Bamberger Fuld  – den Geschwistern, die mit viel Glück ihre Kaufhauskette sechs Wochen vor dem Börsenkrach von 1929 verkauft hatten – auf den Weg gebracht, sollte die Einrichtung Institute for Advanced Study heißen und in New Jersey angesiedelt werden, wahrscheinlich in der Nähe von (aber nicht offiziell vereinigt mit) der Princeton University, an der Einstein bereits eine sehr angenehme Zeit verbracht hatte.

Flexner hatte das Caltech aufgesucht, um sich Anregungen von Millikan zu holen, der (sehr zu seinem späteren Bedauern) darauf bestanden hatte, dass Flexner mit Einstein sprach. Als Flexner schließlich ein Treffen vereinbart hatte, war er, wie er später schrieb, beeindruckt von Einsteins »noblem Wesen, seinem einfachen, gewinnenden Auftreten und seiner echten Bescheidenheit«.

Es war offensichtlich, dass Einstein ein perfekter Kandidat, ein glänzendes Aushängeschild für Flexners neues Institut war, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Einstein auf Millikans eigenem Terrain ein Angebot zu unterbreiten. Stattdessen vereinbarten sie, dass Flexner nach Europa kommen werde, um die Angelegenheit dort mit Einstein weiter zu besprechen. In seiner Autobiografie behauptete Flexner auch nach ihrem Caltech -Treffen, er habe »keine Ahnung gehabt, das er [Einstein] an einer Mitwirkung in dem Institut interessiert war«. Doch das wird durch die Briefe widerlegt, die er in dieser Zeit an seine Schirmherren schrieb. In einem von ihnen bezeichnete er Einstein als »ungeschlüpftes Küken«, mit dessen Perspektiven sie umsichtig umgehen müssten. 4

Inzwischen war Einstein leicht ernüchtert vom Leben in Südkalifornien. Als er sich in einer Rede vor einer Gesellschaft für internationale Beziehungen gegen Kompromisse in der Rüstungskontrolle und für eine vollständige Abrüstung aussprach, schienen die Zuhörer in ihm nur den unterhaltsamen Prominenten zu sehen. »Bei den Besitzenden wird hier alles ergriffen, was Waffen im Kampf gegen die Langeweile liefert«, notierte er in seinem Tagebuch. Elsa machte ihrem Ärger in einem Brief an eine Freundin Luft. »Man hat aus dieser Zusammenkunft ein großes ›social entertainment‹ gemacht. Der richtige Ernst fehlte.« 5

Infolgedessen zeigte er wenig Interesse, als sein Freund Ehrenfest aus Leiden anfragte, ob er ihm helfen solle, einen Posten in Amerika zu bekommen. »Ich muss dir ehrlicherweise mitteilen, dass ich auf lange Sicht lieber nach Holland ginge als nach Amerika«, erwiderte Einstein. »Abgesehen von einer Handvoll wirklich guter Wissenschaftler, ist es eine langweilige und öde Gesellschaft, in der man bald das Schaudern bekäme.« 6

Allerdings war Einsteins Einstellung zu diesem und anderen Themen durchaus ambivalent. Zweifellos schätzte er die Freiheit, den Trubel und sogar den Prominentenstatus, den er dort genoss. Wie viele andere konnte er Amerika gegenüber kritisch sein und sich doch von ihm angezogen fühlen. Gelegentlich fühlte er sich abgestoßen von der Grobheit und dem Materialismus der Gesellschaft, spürte aber gleichzeitig eine große Vorliebe für die Freiheiten und für den unverblümten Individualismus, die die Kehrseite der Medaille waren.

Kaum nach Berlin zurückgekehrt, in dem die politische Situation noch beunruhigender geworden war, ging Einstein nach Oxford , um eine weitere Vorlesungsreihe zu halten. Abermals empfand er die kultivierte Förmlichkeit dort als bedrückend, besonders im Vergleich zu Amerika. Bei den nervtötenden Sitzungen der Collegeleitung von Christ Church saß er im Konferenzzimmer und hielt unter der Tischdecke ein Notizbuch, in das er seine Gleichungen schrieb. Ihm wurde erneut klar, dass ihm Amerika, bei all seiner Geschmacklosigkeit und übertriebenen Begeisterung, mehr Freiheit bot, als er sie jemals wieder in Europa finden könnte. 7

Daher war er erfreut, als Flexner wie versprochen kam, um das Gespräch fortzusetzen, das sie im Athenaeum begonnen hatten. Von Anfang an wussten beide Männer, dass es sich nicht einfach um eine abstrakte Diskussion handelte, sondern dass es um einen Versuch ging, Einstein anzuwerben. Daher war Flexner nicht ganz aufrichtig, als er später schrieb, erst auf dem gepflegten Rasen von Tom Quad, dem größten Innenhof von Christ Church, habe ihm »gedämmert«, dass Einstein interessiert sein könnte, an das neue Institut zu kommen. »Wenn Sie nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss kommen, dass Sie dort die Bedingungen vorfinden, die Sie sich wünschen«, sagte Flexner , »wären Sie uns zu Ihren eigenen Bedingungen willkommen.« 8

Die Bedingungen, die Einstein nach Princeton brachten, wurden im folgenden Monat, Juni 1932, festgelegt, als Flexner nach Caputh kam. An diesem Tag war es kühl. Flexner trug einen leichten Mantel, während Einstein sommerlich gekleidet war. Er richte sich in seiner Kleidung »nach der Jahreszeit und nicht nach dem Wetter«, scherzte er. Sie saßen auf der Veranda von Einsteins geliebtem Sommerhaus, sprachen während des ganzen Nachmittags miteinander und setzten die Diskussion beim Abendessen fort, bis Einstein seinen Besucher um elf Uhr abends zur Bushaltestelle brachte.

Flexner fragte Einstein, was für ein Jahresgehalt er erwarte. Rund 3000 Dollar, schlug Einstein zögernd vor. Flexner sah überrascht aus. »Oh«, fügte Einstein hastig hinzu, »könnte ich von weniger leben?«

Flexner war amüsiert. Er dachte an mehr, nicht an weniger. »Lassen Sie Mrs. Einstein und mich das regeln«, sagte er. Am Ende wurden 10.000 Dollar pro Jahr vereinbart. Der Betrag wurde rasch erhöht, als Louis Bamberger , der wichtigste Geldgeber, erfuhr, dass der Mathematiker Oswald Veblen , das andere Schmuckstück des Instituts , 15.000 Dollar im Jahr bekam. Bamberger bestand darauf, dass Einstein das gleiche Gehalt bekam.

Noch einen letzten Verhandlungspunkt gab es. Einstein bestand darauf, dass auch sein Assistent Walther Mayer eine Anstellung bekam. Im Jahr zuvor hatte er die Behörden in Berlin informiert, dass er Angebote aus Amerika in Betracht ziehe und dass sie auch für Mayer gelten würden, wozu Berlin nicht bereit gewesen war. Das Caltech hatte die Forderung abgelehnt, was auch Flexner ursprünglich tat, um schließlich doch nachzugeben. 9

Einstein ging davon aus, dass seine Stelle im Institut kein Vollzeitjob war, aber es würde wahrscheinlich seine Hauptbeschäftigung sein. Vorsichtig brachte Elsa dieses Problem in ihrem Brief an Millikan zur Sprache. »Wollen Sie meinen Mann unter diesen Umständen noch immer nächsten Winter in Pasadena haben?« fragte sie. »Das bezweifle ich.« 10

Tatsächlich war das Millikans Absicht, und sie einigten sich darauf, dass Einstein im Januar wiederkommen werde, bevor das Institut in Princeton eröffnet wurde. Allerdings war Millikan verärgert, dass er keine langfristige Vereinbarung unter Dach und Fach gebracht hatte. Ihm war klar, dass er Einstein jetzt bestenfalls noch als gelegentlichen Besucher am Caltech begrüßen konnte. Wie sich herausstellte, sollte der bevorstehende Besuch im Januar 1933, der unter Elsas Mithilfe zustande kam, seine letzte Reise nach Kalifornien sein.

Millikan ließ seinen Ärger an Flexner aus. Die Beziehung zwischen Einstein und dem Caltech »sei während der letzten zehn Jahre mühsam geknüpft worden«, schrieb er. Flexner habe nun mit seinem bösartigen Angriff erreicht, dass Einstein seine Zeit in einer neuen Zuflucht verbringen werde statt in einem großen Zentrum der experimentellen und theoretischen Physik . »Ob der wissenschaftliche Fortschritt in den Vereinigten Staaten durch diesen Schritt vorangebracht oder Professor Einsteins Produktivität durch diesen Wechsel gesteigert wird, ist zumindest fraglich.« Als Kompromiss schlug er vor, Einstein solle seine Zeit während seines Aufenthalts in Amerika zwischen dem Institute und dem Caltech aufteilen.

Flexner zeigte sich im Sieg nicht großherzig. Er behauptete fälschlicherweise, es sei durch »reinen Zufall« zu seinem Besuch in Oxford und dem Gespräch mit Einstein gekommen, eine Darstellung, die er sogar in seinen eigenen Memoiren später widerlegte. Die Idee, Einstein zu teilen, lehnte Flexner ab. Er behauptete, es gehe ihm nur um die Interessen Einsteins. »Ich kann nicht glauben, dass ein Jahresaufenthalt, der auf kurze Zeiträume an verschiedenen Orten aufgeteilt wird«, schrieb er, »für den Betroffenen gesund oder förderlich ist. Betrachtet man die ganze Angelegenheit von Professor Einsteins Standpunkt, so bin ich mir sicher, dass Sie und alle seine Freunde sich über die Möglichkeit freuen werden, einen dauerhaften Posten für ihn zu schaffen.« 11

Einstein selbst war sich nicht sicher, wie er seine Zeit aufteilen wollte. Er dachte, es müsste doch möglich sein, Gastprofessuren in Princeton , Pasadena und Oxford zu organisieren. Er hoffte sogar, er könnte den Sitz in der Preußischen Akademie und sein geliebtes Sommerhaus in Caputh behalten, wenn die Lage in Deutschland sich nicht verschlimmere. »Ich werde Deutschland nicht aufgeben«, verkündete er, als sein Posten in Princeton öffentlich bekannt gegeben wurde. »Mein Hauptwohnsitz wird Berlin bleiben.«

Flexner sah das anders und teilte der New York Times mit, Princeton werde Einsteins Hauptwohnsitz. »Einstein wird seine Zeit dem Institut widmen«, sagte Flexner . »Seine Auslandsreisen werden Urlaubsaufenthalte zur Erholung und Einkehr in seinem Sommerhaus vor den Toren von Berlin sein.« 12

Wie sich herausstellte, wurde das Problem durch Ereignisse gelöst, die sich der Kontrolle der beiden Männer entzogen. Während des Sommers 1932 verdüsterte sich die Situation in Deutschland. Die Nazis verloren zwar die Reichstagswahlen, vergrößerten aber ihren Stimmanteil. Darauf ernannte der 84-jährige Reichspräsident Paul von Hindenburg den unfähigen Franz von Papen zum Reichskanzler, der mithilfe von Notverordnungen zu regieren suchte. Als Philipp Frank im Sommer zu Besuch kam, klagte Einstein: »Ich glaube auf keinen Fall, daß eine militärische Gewaltherrschaft die bevorstehende Revolution der Nationalsozialisten verhindern wird.« 13

Während Einstein im Dezember 1932 Vorbereitungen zu seinem dritten Aufenthalt am Caltech traf, sah er sich noch einer weiteren Unbill ausgesetzt. Die Schlagzeilen, die seinen Posten in Princeton ankündigten, hatten den Zorn der Woman Patriot Corporation erregt, einer einstmals mächtigen Gruppe von Amerikanerinnen, die sich als selbst ernanntes Bollwerk gegen Sozialisten , Pazifisten , Kommunisten , Feministinnen und unerwünschte Ausländer verstanden. Obwohl Einstein nur in die ersten beiden jener Kategorien passte, waren sich diese Patriotinnen sicher, dass auf ihn alle zutrafen, vielleicht mit Ausnahme des Feministen.

Die Vorsitzende der Gruppe, Mrs. Randolph Frothingham (bei der man in diesem Zusammenhang den Eindruck gewinnen könnte, Dickens habe sich ihren erlesenen Familiennamen einfallen lassen), reichte einen sechzehnseitigen maschinengeschriebenen Antrag beim US -Außenministerium ein, in dem ausführlich dargelegt wurde, warum »Professor Einstein ein solches Visum vorenthalten« werden müsse. Er sei ein militanter Pazifist und Kommunist , dessen Lehren »der Anarchie ermöglichen, sich ungehindert bei uns einzunisten«, lautete die Beschuldigung. »Noch nicht einmal Stalin selbst gehört so vielen internationalen anarcho-kommunistischen Gruppen an, um die ›Vorbedingungen‹ für eine Weltrevolution und anschließende Anarchie zu schaffen, wie ALBERT EINSTEIN .« (Hervorhebung steht im Original.) 14

Die Beamten des State Department scheinen den Antrag ignoriert zu haben. Stattdessen legten sie ihn zu einer Akte, die im Laufe der nächsten zwanzig Jahre auf ein FBI -Dossier mit 1427 Dokumenten anwachsen sollte. Außerdem schickten sie eine Nachricht an das Konsulat in Berlin , damit die Vertreter vor Ort Einstein mit den Beschuldigungen konfrontieren konnten, bevor man ihm ein neues Visum ausstellte.

Anfangs amüsierte sich Einstein köstlich, als er die Zeitungsberichte über die Anschuldigungen der Frauen las. Aber dann rief er doch Louis Lochner an, den Berliner Bürochef von United Press , der sein Freund geworden war und eine Stellungnahme für ihn schrieb, die nicht nur die Beschuldigung ins Lächerliche zog, sondern auch schlüssig belegte, dass man ihm Feminismus nicht vorwerfen konnte:

Noch nie habe ich von Seiten des schönen Geschlechts so energische Ablehnung jedweder Annäherung gefunden; oder wenn doch, dann zumindest nicht von so vielen auf einmal. Aber haben sie nicht recht, diese wachsamen Bürgerfrauen? Warum sollte man einem Menschen die Türen öffnen, der mit demselben Appetit und Behagen hartgesottene Kapitalisten frisst wie einst das Ungeheuer Minotauros auf Kreta leckere griechische Jungfrauen und der zudem so gemein ist, jeden Krieg abzulehnen, ausgenommen den unvermeidlichen Krieg mit der eigenen Gattin? Hört also auf Eure klugen patriotischen Weiblein und denkt daran, dass auch das Kapitol des mächtigen Rom einst durch das Geschnatter seiner treuen Gänse gerettet worden ist! 15

Die New York Times brachte die Geschichte auf der Titelseite mit der Schlagzeile »Einstein macht sich über Kampf gegen seine Einreise lustig / Weist auf Rettung Roms durch schnatternde Gänse hin«. 16 Aber Einstein war weit weniger amüsiert, als er zwei Tage später, Elsa und er packten schon ihre Sachen, einen Anruf aus dem Büro des US -Konsulats bekam und um ein Gespräch am Nachmittag gebeten wurde.

Der Generalkonsul war im Urlaub, und so führte sein unglückseliger Vertreter das Gespräch, das Elsa sofort der Presse bekannt gab. 17 Laut der New York Times , die am folgenden Tag drei Artikel über den Vorfall brachte, begann das Gespräch in geordneten Bahnen, lief jedoch dann aus dem Ruder.

»Was ist Ihre politische Überzeugung?«, wurde er gefragt. Einstein sah ihn verständnislos an und brach dann in Lachen aus. »Nun ja«, antwortete er, »ich kann die Frage nicht beantworten.«

»Sind Sie Mitglied einer Organisation?« Einstein fuhr sich mit der Hand durch »sein üppiges Haar« und wandte sich an Elsa . »Oh ja!«, rief er aus. »Ich bin Kriegsdienstverweigerer

Die Befragung zog sich 45 Minuten dahin, und Einstein wurde immer ungeduldiger. Als man wissen wollte, ob er Sympathisant irgendeiner kommunistischen oder anarchistischen Partei sei, platzte Einstein der Kragen. »Ihre Landsleute haben mich eingeladen«, sagte er. »Sie haben mich regelrecht angefleht. Wenn ich als Verdächtiger Ihr Land betrete, vergeht mir die Lust, überhaupt zu kommen. Wenn Sie mir kein Visum geben wollen, sagen Sie es bitte.«

Daraufhin griff er nach Mantel und Hut. »Tun Sie das, weil es Ihnen Spaß macht«, fragte er, »oder auf höheren Befehl?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er, Elsa im Schlepptau.

Elsa teilte der Presse mit, Einstein habe das Packen eingestellt und Berlin verlassen, um sein Sommerhaus in Caputh aufzusuchen. Wenn er bis morgen Mittag kein Visum habe, werde es keine Reise nach Amerika geben. Spätabends gab das Konsulat eine Mitteilung heraus, in der es hieß, man habe den Fall noch einmal geprüft und werde umgehend ein Visum ausstellen.

Völlig zutreffend berichtete die Times : »Er ist kein Kommunist und hat Einladungen zu Vorträgen in Russland abgelehnt, weil er nicht den Eindruck vermitteln wollte, er sympathisiere mit dem Moskauer Regime.« Allerdings berichteten die Zeitungen nicht, dass Einstein sich bereit erklärt hatte, eine vom Konsulat verlangte Erklärung zu unterzeichnen, dass er kein Mitglied der kommunistischen Partei sei und nicht beabsichtige, die Regierung der Vereinigten Staaten zu stürzen. 18

»Einstein packt wieder für Amerika«, lautete die Schlagzeile der Times vom nächsten Tag. »Aus einer Flut von Telegrammen, die uns gestern Abend erreichten«, berichtete Elsa den Reportern, »wissen wir, dass Amerikaner aus allen Schichten der Gesellschaft über den Fall tief bekümmert waren.« Außenminister Henry Stimson erklärte, er bedaure den Vorfall, wies aber auch darauf hin, dass Einstein »mit äußerster Höflichkeit und Rücksichtnahme behandelt worden« sei. Als sie Berlin mit dem Zug in Richtung Bremerhaven für ihre Schiffspassage verließen, scherzte Einstein über die Angelegenheit und bemerkte, am Ende sei doch alles noch gut ausgegangen. 19

Pasadena, 1933

Als die Einsteins im Dezember 1932 Deutschland verließen, dachte er immer noch, er könne wieder zurückkehren, aber sicher war er sich nicht. Seinem langjährigen Freund Maurice Solovine , der jetzt seine Werke in Paris herausgab, schrieb er, er solle ihm einige Exemplare im »nächsten April an meine Caputher Adresse« schicken. Während sie Caputh verließen, sagte Einstein zu Elsa , wie in einer Vorahnung: »Dreh dich um, du siehst’s nie wieder.« Als ihr Dampfer Oakland in See stach, um sie nach Kalifornien zu bringen, befanden sich mit ihnen noch dreißig Gepäckstücke an Bord, wohl mehr als für eine dreimonatige Reise notwendig. 20

Insofern war es peinlich und voll schmerzlicher Ironie, dass die einzige öffentliche Pflicht, die Einstein auf sich nehmen musste, darin bestand, in einer Rede die deutsch-amerikanische Freundschaft zu würdigen. Um Einsteins Aufenthalt am Caltech zu finanzieren, hatte Präsident Millikan vom Oberlaender Trust , einer Stiftung, die den kulturellen Austausch mit Deutschland förderte, 7000 Dollar erhalten. Die einzige Bedingung war, dass Einstein »eine den deutsch-amerikanischen Beziehungen förderliche Rundfunkrede« hielt. Bei dessen Ankunft erklärte Millikan , Einstein sei in die Vereinigten Staaten gekommen, »um in der amerikanischen Öffentlichkeit für bessere Beziehungen zu Deutschland zu werben«, 21 eine Ansicht, die Einstein inmitten seiner dreißig Gepäckstücke überrascht haben dürfte.

Millikan war es lieber, wenn seine prominenten Besucher nichtwissenschaftliche Themen aussparten. Und so veranlasste er Einstein kurz nach dessen Ankunft, eine Rede abzusagen, in der er vor der UCLA -Sektion der Kriegsdienstverweigerer ein weiteres Mal die Wehrpflicht verurteilen wollte. »Es gibt keine Macht, von der wir den Befehl zum Töten (…) annehmen dürfen«, schrieb Einstein in dem Entwurf der Rede, die er niemals hielt. 22

Doch solange Einstein eine deutschfreundliche statt seiner pazifistischen Gesinnung zum Ausdruck brachte, ließ Millikan ihn gern über Politik sprechen, insbesondere da es um Stiftungsgelder ging. Millikan war es nicht nur gelungen, durch die zugesagte Rede, die von NBC im Rundfunk übertragen werden sollte, den 7000-Dollar-Zuschuss von Oberlaender zu bekommen, er hatte auch zuvor im Athenaeum potente Spender zu einem Benefizdinner eingeladen.

Einstein war eine derartige Attraktion, dass es Wartelisten beim Ticketverkauf gab. Zu den Gästen, die an Einsteins Tisch saßen, gehörte Leon Watters , ein wohlhabender Pharmahersteller aus New York . Als er bemerkte, dass Einstein gelangweilt aussah, reichte er ihm an der Frau vorbei, die zwischen ihnen saß, eine Zigarette, die Einstein mit drei Zügen inhalierte. Die beiden Männer wurden enge Freunde. Wenn Einstein später von Princeton aus New York besuchte, logierte er in einem Fifth-Avenue-Apartment von Watters .

Nach dem Dinner gingen Einstein und die anderen Gäste in das Pasadena Civic Auditorium, wo mehrere Tausend Menschen auf seine Rede warteten. Sein Text war ihm von einem Freund übersetzt worden, und er trug ihn in stockendem Englisch vor.

Nach einem Scherz über die Schwierigkeit, seriös zu klingen und zugleich einen Smoking zu tragen, griff er die Leute an, die mit »emotionsgeladenen« Wörtern versuchten, die freie Meinungsäußerung einzuschüchtern. »Ketzer« sei während der Inquisition so ein Ausdruck gewesen. Dann nannte er Beispiele für derartige hasserfüllte Bezeichnungen in verschiedenen Ländern: »das Wort ›Kommunist ‹ im heutigen Amerika, das Wort ›Bourgeoisie‹ in Russland oder das Wort ›Jude ‹ bei reaktionären Gruppierungen in Deutschland«. Nicht alle diese Beispiele schienen darauf abzuzielen, Millikan und seinen antikommunistischen und deutschfreundlichen Geldgebern zu gefallen.

Auch seine Kritik an der damaligen Weltwirtschaftskrise dürfte bei überzeugten Kapitalisten nicht besonders gut angekommen sein. Er sagte, die Depression scheine besonders in Amerika vor allem durch den technologischen Fortschritt verursacht zu werden, der »den Bedarf an menschlicher Arbeit« verringere und dadurch die Kaufkraft der Verbraucher einschränke.

In Hinblick auf Deutschland machte er ein paar Versuche, seine Sympathien auszudrücken und sich für die Millikan zur Verfügung gestellten Geldmittel dankbar zu erweisen. Amerika wäre klug, meinte er, wenn es nicht zu stark auf die Zahlung der aus dem Weltkrieg erwachsenen Schulden und Reparationen dränge. Außerdem halte er in gewisser Weise das deutsche Verlangen nach militärischem Gleichstand für gerechtfertigt.

Eilig fügte er hinzu, dass es Deutschland indessen nicht erlaubt sein dürfe, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen. »Allgemeine Wehrpflicht heißt, die Jugend in einem kriegerischen Geist zu erziehen«, schloss er. 23 Millikan mochte seine Rede über Deutschland bekommen haben, dafür musste er aber ein paar Sätze aus der Rede über Kriegsdienstverweigerung schlucken, die er Einstein verweigert hatte.

Eine Woche später wurden alle diese Aspekte – Deutsch-Amerikanische-Freundschaft, Schuldenbegleichung, Kriegsdienstverweigerung  – einfach weggefegt und für mehr als ein Jahrzehnt zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Am 30. Januar 1933, als Einstein schon sicher in Pasadena weilte, übernahm Adolf Hitler als neuer Reichskanzler die Macht in Deutschland.

Einstein schien anfangs nicht recht zu wissen, was das für ihn bedeutete. Während der ersten Februarwoche schrieb er Briefe nach Berlin , in denen er sich erkundigte, wie sein Gehalt für die geplante Rückkehr im April berechnet werden solle. Bei seinen gelegentlichen Eintragungen in das Reisetagebuch geht es um ernsthafte wissenschaftliche Probleme, etwa Experimente mit kosmischer Strahlung, und belanglose soziale Begegnungen, etwa: »Abends Chaplin . Mozartquartette dort gespielt. Dicke Dame, deren Beruf darin besteht, sich mit allen Berühmtheiten anzufreunden.« 24

Doch Ende Februar, nach dem Reichstagsbrand und der Plünderung jüdischer Häuser durch Braunhemden, zeichnete sich die Lage klarer ab. »Im Hinblick auf Hitler wage ich es nicht, deutschen Boden zu betreten«, schrieb Einstein an eine seiner Freundinnen. 25

Am 10. März, dem Tag, bevor er Pasadena verließ, schlenderte Einstein durch den Park des Athenaeums. Evelyn Seeley vom New York World Telegram traf ihn dort in etwas überreizter Stimmung an. Sie sprachen 45 Minuten miteinander, wobei eine seiner Äußerungen für Schlagzeilen in der ganzen Welt sorgte. »Solange mir eine Möglichkeit offensteht, werde ich mich nur in einem Lande aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen«, sagte er. »Diese Bedingungen sind gegenwärtig in Deutschland nicht erfüllt.« 26

In dem Augenblick, als Seeley ging, wurde Los Angeles von einem verheerenden Erdbeben getroffen – 116 Menschen starben in der Region –, doch Einstein schien es kaum zu bemerken. Dank eines nachsichtigen Redakteurs durfte Seeley ihren Artikel mit einer dramatischen Metapher beenden: »Als Dr. Einstein quer über den Campus zum Seminar ging, fühlte er den Boden unter seinen Füßen schwanken.«

In der Rückschau erscheint Seeleys Pathos durch ein Drama gerechtfertigt, das sich ohne beider Wissen an diesem Tag daheim in Berlin ereignete. In seiner Wohnung – mit der darin kauernden Margot  – führten die Nazis an diesem Nachmittag zwei Razzien durch. Ihr Mann Dimitri Marianoff machte Besorgungen, wäre den Schlägern aber bei der Heimkehr fast in die Arme gelaufen. Er trug Margot auf, Einsteins Papiere in die französische Botschaft zu bringen und ihn dann in Paris zu treffen. Ihr gelang beides. Ilse und ihr Mann Rudolf Kayser entkamen erfolgreich in die Niederlande. Während der nächsten zwei Tage wurde die Berliner Wohnung noch dreimal durchstöbert. Einstein sollte sie nie wiedersehen. Seine Papiere aber waren in Sicherheit. 27

Auf der Zugfahrt vom Caltech aus nach Osten erreichte Einstein an seinem 54. Geburtstag Chicago . Dort besuchte er eine Kundgebung des Youth Peace Council , wo die Redner dafür warben, trotz der Ereignisse in Deutschland das pazifistische Anliegen weiter zu vertreten. Einige Zuhörer verließen die Veranstaltung mit dem Eindruck, er sei genau derselben Meinung. »Einstein wird die Friedensbewegung nie im Stich lassen«, schrieb einer.

Sie lagen falsch. Einstein hatte begonnen, seine pazifistische Rhetorik herunterzuschrauben. Auf einem Geburtstagsessen an diesem Tag erwähnte er zwar die Notwendigkeit internationaler Organisationen zur Friedenssicherung, verzichtete aber auf einen erneuten Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung . Ähnlich vorsichtig verhielt er sich einige Tage später auf einem New Yorker Empfang anlässlich einer Sammlung seiner pazifistischen Schriften unter dem Titel The Fight against War . Vor allem sprach er über die entsetzlichen Ereignisse in Deutschland. Die Welt müsse den Nazis ihre moralische Empörung zu verstehen geben, verlangte er, fügte jedoch hinzu, man solle die deutsche Bevölkerung nicht dämonisieren.

Noch kurz bevor er an Bord ging, war nicht klar, wo er in Zukunft leben würde. Paul Schwartz , der deutsche Konsul in New York , der in Berlin mit Einstein befreundet gewesen war, verabredete ein privates Treffen mit ihm, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren. »Wenn du nach Berlin gehst, zerren sie dich an den Haaren durch die Straßen«, warnte er. 28

Das unmittelbare Reiseziel war Belgien, wo er das Schiff verlassen würde, um danach, wie er Freunden gegenüber erwähnte, womöglich in die Schweiz zu fahren. Wenn das Institute for Advanced Study im Jahr darauf eröffnet würde, hatte er vor, dort jedes Jahr vier oder fünf Monate zu verbringen. Vielleicht sogar mehr. Am Tag, bevor sie an Bord gingen, fuhren Elsa und er heimlich nach Princeton und schauten sich nach einem Haus um, das sie vielleicht kaufen konnten.

Seiner Familie erzählte er, der einzige Ort Deutschlands, den er gerne noch einmal sehen würde, sei Caputh . Doch auf der Fahrt über den Atlantik bekam er die Nachricht, die Nazis hätten unter dem Vorwand, dort seien kommunistische Waffen versteckt (was nicht der Fall war), sein Sommerhaus durchsucht. Später kamen sie zurück und beschlagnahmten sein geliebtes Segelboot mit der Begründung, es sei zum Schmuggeln benutzt worden. »Mein Sommerhaus hatte häufig die Ehre, viele Gäste zu empfangen«, sagte er in einer Botschaft, die er vom Schiff aus verschickte. »Sie waren immer willkommen. Niemand hatte je einen Grund, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen.« 29

Die Scheiterhaufen

Die Nachricht von der Razzia in seinem Caputher Sommerhaus besiegelte für Einstein das Ende seiner Beziehung zu Deutschland. Er sollte nie dorthin zurückkehren.

Sobald sein Schiff am 28. März 1933 in Antwerpen angelegt hatte, ließ er sich in das deutsche Konsulat in Brüssel fahren, wo er seinen Pass zurückgab (wie er es als Jugendlicher schon einmal getan hatte) und erklärte, dass er auf die deutsche Staatsbürgerschaft verzichte. Er schickte auch einen während der Schiffsreise verfassten Brief ab, in dem er der Preußischen Akademie der Wissenschaften seinen Rücktritt mitteilte. »Die Abhängigkeit von der preußischen Regierung«, erklärte er, »empfinde ich aber unter den gegenwärtigen Umständen für untragbar.« 30

Max Planck , der ihn neunzehn Jahre zuvor für die Akademie angeworben hatte, war erleichtert. Mit einem fast hörbaren Seufzer erklärte er Einstein, »daß mir dieser Ihr Gedanke der einzige Ausweg zu sein scheint, der (…) Ihnen eine ehrenvolle Lösung Ihres Verhältnisses zur Akademie sichert«. Dann fügte er noch liebenswürdig hinzu, dass »trotz der tiefen Kluft die persönlichen freundschaftlichen Beziehungen niemals eine Änderung erfahren werden«. 31

Ungeachtet der vielen antisemitischen Schmähungen gegen Einstein, die die NS -Presse brachte, hoffte Planck , das von einigen Ministern geforderte offizielle Disziplinarverfahren gegen Einstein verhindern zu können. Das wäre für Planck persönlich unerträglich und für die Akademie eine historische Peinlichkeit gewesen. Er schrieb an den Akademiesekretär , »daß mich die Eröffnung eines förmlichen Ausschlußverfahrens gegen Einstein in die schwersten Gewissenskonflikte bringen würde. Denn wenn mich auch in politischer Beziehung eine abgrundtiefe Kluft von ihm trennt, so bin ich auf der anderen Seite vollkommen sicher, daß in der Geschichte des kommenden Jahrhunderts der Name Einstein als eines der glänzendsten Gestirne gefeiert wird, die je in unserer Akademie geleuchtet haben.« 32

Leider war die Akademie nicht bereit, auf den großen Akt zu verzichten. Die Nazis waren wütend, dass er ihnen zuvorgekommen war, indem er sehr öffentlich, mit internationalen Schlagzeilen, auf seine Staatsbürgerschaft und Mitgliedschaft in der Akademie verzichtet hatte, bevor sie ihn hinauswerfen konnten. Daher veröffentlichte ein nationalsozialistisch gesinnter Sekretär der Akademie eine Stellungnahme in Sachen Einstein. Ausgehend von einigen Presseberichten über Einsteins Kommentare in Amerika, die in Wirklichkeit sehr zurückhaltend waren, unterstellte er ihm »Beteiligung an der Greuelhetze« und »agitatorisches Auftreten im Ausland«. Daher habe die Akademie »keinen Anlaß, den Austritt Einsteins zu bedauern«. 33

Max von Laue , ein langjähriger Kollege und Freund, protestierte. Einige Tage später versuchte er auf einer Sitzung der Akademie , die Mitglieder dazu zu bringen, sich von dem Vorgehen des Sekretärs zu distanzieren. Doch kein anderes Mitglied folgte seiner Aufforderung, selbst Fritz Haber nicht, der konvertierte Jude , der einer der engsten Freunde und Unterstützer Einsteins gewesen war.

Einstein war nicht bereit, eine solche Beleidigung auf sich sitzen zu lassen. »Ich erkläre hiermit, daß ich mich niemals an einer Greuelhetze beteiligt habe«, antwortete er. Er habe sich nur wahrheitsgemäß über die Situation in Deutschland geäußert, ohne sie mit irgendwelchen Gräuelgeschichten auszuschmücken. »Ich erklärte ferner den Zustand des jetzigen Deutschlands als einen Zustand psychischer Erkrankung der Massen«, schrieb er. 34

Zu diesem Zeitpunkt traf das zweifellos zu. Wenige Tage zuvor hatten die Nazis zu einem Boykott aller jüdischen Geschäfte aufgerufen und SA -Männer als Wachen davor platziert. Von der Universität Berlin wurden jüdische Dozenten und Studentenschaft verbannt, die ihre Studentenausweise abgeben musste. Der Nobelpreisträger Philipp Lenard , Einsteins langjähriger Widersacher, erklärte in einem NS -Blatt: »Das wichtigste Beispiel für den gefährlichen Einfluß jüdischer Kreise auf das Studium der Naturwissenschaft bietet Herr Einstein.« 35

Der Briefwechsel zwischen Einstein und der Akademie nahm sehr gereizte Formen an. Ein offizieller Vertreter schrieb Einstein, dass man, auch wenn er sich nicht aktiv an den Verleumdungen beteiligt habe, doch von ihm hätte erwarten müssen, »daß er sich auf die Seite derer gestellt hätte, die unser Volk in dieser Zeit gegen die Flut von Verleumdung verteidigt haben. (…) Wie machtvoll hätte im Ausland in diesen Tagen (…) Ihr Zeugnis (…) werden können!« Einstein hielt das für absurd. »Durch ein solches Zeugnis unter den gegenwärtigen Umständen hätte ich – wenn auch nur indirekt – zur Sittenverrohung aller heutigen Kulturwerte beigetragen«, entgegnete er. 36

Doch der ganze Streit wurde rasch obsolet. Anfang April 1933 erließ die deutsche Regierung ein Gesetz, nach dem Juden (definiert als jede Person mit jüdischen Großeltern) keine offizielle Stellung bekleiden durften, was auch für die Akademien und Universitäten galt. Zu den Menschen, die sich zur Flucht gezwungen sahen, gehörten vierzehn Nobelpreisträger und sechsundzwanzig der sechzig Professoren für theoretische Physik im Lande. Sinnigerweise trugen einige dieser Forscher, die vor dem Faschismus aus Deutschland oder aus anderen unter seiner Knute stehenden Ländern flohen – Einstein, Edward Teller , Victor Weisskopf , Hans Bethe , Lise Meitner , Niels Bohr , Enrico Fermi , Otto Stern , Eugene Wigner , Leó Szilárd und andere –, wesentlich dazu bei, dass die Alliierten und nicht die Nazis die Atombombe entwickelten.

Planck versuchte die antijüdischen Maßnahmen abzumildern und wandte sich deswegen sogar an Hitler persönlich. »Unsere nationale Politik wird nicht widerrufen oder verändert, auch nicht für Wissenschaftler«, wetterte Hitler . »Wenn die Entlassung jüdischer Wissenschaftler die Vernichtung der gegenwärtigen deutschen Wissenschaft bedeutet, dann müssen wir eben einige Jahre ohne Wissenschaft auskommen!« Danach hielt Planck die Füße still und erklärte anderen Wissenschaftlern, es sei nicht ihre Aufgabe, die politische Führung infrage zu stellen.

Einstein brachte es nicht fertig, zornig auf Planck zu sein, der für ihn so etwas wie ein Onkel und Gönner war. Sogar während seines verärgerten Briefwechsels mit der Akademie ging er auf Plancks Bitte ein, ihre gegenseitige persönliche Wertschätzung aus den Meinungsverschiedenheiten herauszuhalten. »Bei alledem freue ich mich darüber, dass Sie mir in alter Freundschaft entgegengekommen sind und dass auch die stärksten Belastungen es nicht vermocht haben, unsere gegenseitigen Beziehungen zu trüben«, schrieb er und wählte den formellen und respektvollen Ton, den er gegenüber Planck immer angeschlagen hatte. »Diese stehen in ihrer alten Schönheit und Reinheit da, ungeachtet dessen, was sich sozusagen weiter unten zuträgt.« 37

Zu den vielen Menschen, die vor den NS -Säuberungsaktionen flohen, gehörte auch Max Born , der mit seiner scharfzüngigen Frau Hedwig in England Aufnahme fand. »Ich glaube, Du weißt, dass ich nie besonders günstig über die Deutschen dachte«, schrieb Einstein, als er davon erfuhr. »Ich muß aber gestehen, daß sie mich doch einigermaßen überrascht haben durch den Grad ihrer Brutalität und – Feigheit.«

Born verkraftete das alles ziemlich gut und lernte, wie Einstein, sein jüdisches Erbe mehr zu schätzen. »Was nun meine Frau und Kinder betrifft, so ist ihnen das Bewußtsein, Juden oder ›Nicht-Arier‹ zu sein (wie der schöne Fachausdruck lautet), erst in den letzten Monaten entstanden, und ich selbst habe mich ja nie besonders als Jude gefühlt«, schrieb er in seiner Antwort an Einstein. »Jetzt tue ich es natürlich sehr stark, nicht nur weil man mich und die Meinen dazu rechnet, sondern weil Unterdrückung und Ungerechtigkeit mich zu Zorn und Widerstand reizen.« 38

Noch ergreifender war der Fall von Fritz Haber , einem Freund von Einstein und Marić , der dachte, er sei durch die Konversion zum Christentum ein Deutscher geworden. Er hatte sich ein preußisches Erscheinungsbild zugelegt und war im Ersten Weltkrieg zum Pionier des Gaskriegs geworden. Durch die neuen Gesetze war nun auch er gezwungen, mit 64 Jahren, kurz vor einer anstehenden Emeritierung, seinen Posten an der Universität Berlin und seinen Sitz in der Akademie zu räumen.

Als wolle er für die Vernachlässigung seines Erbes Buße tun, machte Haber sich mit Eifer daran, den Juden zu helfen, die plötzlich Stellungen außerhalb Deutschlands finden mussten. Einstein konnte es sich nicht verkneifen, ihn etwas aufzuziehen, so wie sie es oft in ihren Briefen gegenseitig getan hatten. Es ging um das Scheitern der Haber’schen Assimilierungstheorie, wie Einstein Habers Anpassungsversuche nannte. »Ich kann Ihre inneren Konflikte verstehen«, schrieb er. »Es ist ein wenig so, als müsste man eine Theorie aufgeben, an der man sein ganzes Leben gearbeitet hat. Für mich ist es nicht dasselbe, weil ich nie im Mindesten an sie geglaubt habe.« 39

Als Haber seinen neu entdeckten Stammesgenossen bei der Emigration half, befreundete er sich mit Chaim Weizmann , dem Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation . Er versuchte sogar die Kluft zwischen Weizmann und Einstein zu überbrücken, die sich in der Frage aufgetan hatte, wie von jüdischer Seite mit den Arabern umzugehen und wie die Hebräische Universität zu führen sei. »In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so jüdisch gefühlt wie jetzt!«, schwärmte er, obwohl das nicht allzu viel hieß.

Einstein erwiderte darauf, er sei sehr erfreut, »dass Ihre frühere Liebe zur blonden Bestie ein bisschen abgekühlt ist«. Nachdrücklich erklärte Einstein, die Deutschen taugten nichts, »abgesehen von einigen feinen Persönlichkeiten (Planck 60 % edel und Laue 100 %)«. Jetzt, da ihnen als Juden diese Feindseligkeit entgegenschlage, könnten sie wenigstens Trost in der Tatsache finden, dass der Zusammenhalt unter ihren wahren Stammesgenossen größer werde. »Am schönsten ist es (für mich) aber immer im Kontakt mit ein paar feinen Juden . So ein paar Jahrtausende zivilisierter Vergangenheit bedeuten eben doch etwas.« 40

Einstein sollte Haber nie wiedersehen, der sich entschieden hatte, an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein neues Leben zu beginnen, ein Unterfangen, bei dem ihm Einstein geholfen hatte. Doch in Basel , einer Zwischenstation auf seiner langen Reise, gab Habers Herz auf, und er starb.

Fast 40.000 Deutsche versammelten sich am 10. Mai 1933 vor dem Opernhaus, als ein Fackelzug von hakenkreuztragenden Studenten und Kneipenschlägern Berge von Büchern in ein riesiges Feuer warf. Gewöhnliche Bürger trugen in Scharen Bücher herbei, die sie beim Plündern von Bibliotheken und Privathaushalten ergattert hatten. »Der jüdische Intellektualismus ist tot«, rief Propagandaminister Goebbels vom Podium, das Gesicht vom flackernden Schein des Feuers beschienen. »Die deutsche Seele kann sich wieder äußern.«

Was 1933 in Deutschland geschah, waren nicht einfach eine Reihe von Brutalitäten, die von den Führern eines Schlägerhaufens und einem aufgehetzten ignoranten Mob verübt wurden. Es war auch, wie Einstein schrieb, »das bodenlose Versagen der sogenannten geistigen Elite«. Einstein und andere Juden waren aus Institutionen vertrieben worden, die als die weltweit bedeutendsten Bollwerke freier Forschung gegolten hatten, und die Wissenschaftler, die blieben, leisteten keinen nennenswerten Widerstand. Damit war der Weg frei für Leute vom Schlage eines Philipp Lenard , der Einstein jahrelang mit seiner Judenhetze verfolgt hatte und nun von Hitler zum neuen Anführer einer arischen Wissenschaft ernannt wurde. »Wir müssen uns sagen, daß es eines Deutschen unwürdig ist, auf geistigem Gebiet einem Juden zu folgen«, jubelte Lenard in diesem Mai. »Heil Hitler !« Es sollte ein Dutzend Jahre dauern, bis die alliierten Truppen sich so weit vorgekämpft hatten, dass sie ihn aus seinem Amt vertreiben konnten. 41

Le-Coq-sur-Mer, 1933

Nachdem sie in Belgien abgesetzt worden waren, mehr durch die Zufälle der Dampferrouten als durch freie Wahl, richteten sich Einstein und sein Gefolge – Elsa , Helen Dukas , Walther Mayer  – einen Haushalt für die Übergangszeit ein. Wie ihm klar wurde, als er ein wenig darüber nachdachte, reichte seine seelische Energie im Augenblick nicht aus, um mit seiner neuen Familie nach Zürich zu ziehen, in die Nachbarschaft seiner alten Familie. Genauso wenig war er bereit, sich in Leiden oder Oxford zu verpflichten, während er auf den geplanten Aufenthalt in – oder Umzug nach – Princeton wartete. Also mietete er ein Haus in den Dünen von Le-Coq-sur-Mer , einem Seebad in der Nähe von Ostende , wo er und Mayer das Universum und seine Wellen in Frieden bedenken beziehungsweise berechnen konnten.

Der Frieden war leider brüchig. Selbst am Meer konnte er der Bedrohung durch die Nazis nicht vollkommen entkommen. Die Zeitungen berichteten, sein Name stehe auf einer Liste von potenziellen Anschlagsopfern. Gerüchtweise verlautete, man habe auf ihn ein Kopfgeld von 20.000 Mark ausgesetzt. Als Einstein das hörte, fasste er sich an den Kopf und verkündete fröhlich: »Ich wusste nicht, dass er so viel wert ist!« Die Belgier nahmen die Gefahr etwas ernster und ließen das Haus zu seinem Ärger von zwei robusten Polizisten bewachen. 42

Philipp Frank , der immer noch seinen alten Posten in Prag bekleidete, kam in diesem Sommer zufällig durch Ostende und beschloss, seinem Freund einen Überraschungsbesuch abzustatten. Er fragte einen Anwohner, wo Einstein zu finden sei. Trotz aller Verbote, mit denen die Weitergabe solcher Informationen belegt war, wurde er sofort auf das Haus in den Dünen verwiesen. Als er sich näherte, sah er zwei kräftige Männer, die definitiv keine Ähnlichkeit mit Einsteins üblichen Besuchern hatten und in ein Gespräch mit Elsa vertieft waren. Doch ihr Verhalten änderte sich jäh, wie Frank später schrieb: »Als mich die beiden Männer erblickten, stürzten sie sich auf mich und hielten mich an den Schultern fest.«

Elsa , kreideweiß vor Schreck, erklärte: »Die beiden haben Sie für den angekündigten Attentäter gehalten.«

Einstein fand die ganze Situation sehr erheiternd, einschließlich der Naivität, mit der die Leute in der Nachbarschaft Frank liebenswürdig den Weg zu seinem Haus gezeigt hatten. Dann schilderte er Frank seinen Briefwechsel mit der Preußischen Akademie der Wissenschaften und zeigte ihm auch den kleinen Vers, den er für eine imaginäre Antwort mit in den Aktenordner gelegt hatte:

»Dank’ euch für das Brieflein zart, / War so recht von deutscher Art.«

Als Einstein sagte, er habe den Fortgang aus Berlin als Befreiung erlebt, verteidigte Elsa die Stadt, die sie so lange geliebt hatte. »Du hast mir zum Beispiel oft gesagt, wenn du von dem physikalischen Kolloquium nach Hause kamst, daß man solche Zusammenstellung von ausgezeichneten Physikern wohl heute nirgends in der Welt finden wird.«

»Ja«, sagte Einstein, »vom rein wissenschaftlichen Standpunkt war das Leben in Berlin wirklich oft sehr schön. Aber es hat immer wie ein Druck auf mir gelastet, und ich habe lange ein böses Ende vorhergeahnt.« 43

Nun, da Einstein frei und ungebunden war, trafen Angebote aus ganz Europa ein. »Ich habe mehr Professuren als vernünftige Gedanken in meinem Hirn«, teilte er Solovine mit. 44 Obwohl er sich verpflichtet hatte, jedes Jahr mindestens einige Monate in Princeton zu verbringen, begann er diese Angebote ziemlich wahllos anzunehmen. Er hatte sich nie sehr gut darauf verstanden, Bitten abzuschlagen.

Zum einen lag es daran, dass die Angebote verlockend waren und er sich geschmeichelt fühlte. Zum anderen daran, dass er noch immer versuchte, eine bessere Regelung für seinen Assistenten Walther Mayer auszuhandeln. Außerdem boten diese Angebote ihm und den verschiedenen Universitäten die Möglichkeit, ihren Widerstand gegen das, was die Nazis der deutschen Wissenschaft antaten, unter Beweis zu stellen. »Sie meinen vielleicht, es wäre meine Pflicht gewesen, die spanischen und französischen Angebote nicht anzunehmen«, gestand er Paul Langevin in Paris , »doch solch eine Ablehnung hätte missverstanden werden können, weil beide Einladungen, zumindest bis zu einem gewissen Grad, politische Demonstrationen waren, die ich für wichtig hielt und nicht verderben wollte.« 45

Die Annahme eines Postens an der Universität Madrid machte im April Schlagzeilen. »Laut spanischem Minister hat Physiker Professur akzeptiert«, titelte die New York Times . »Nachricht mit Freude angenommen.« Die Zeitung erklärte, dass dieser Lehrauftrag seine Aufenthalte in Princeton nicht beeinträchtigen würden, doch Einstein wies Flexner warnend darauf hin, dass es der Fall sein könnte, wenn Mayer an dem neuen Institut keine ordentliche, sondern nur eine Assistenz-Professur erhielte. »Sie werden durch die Presse erfahren haben, dass ich eine Professur an der Madrider Universität angenommen habe«, schrieb er. »Das Unterrichtsministerium in Spanien hat mir das Recht eingeräumt, einen Mathematiker zu bezeichnen, der dann in Spanien eine Universitäts-Professur erhält (…). Ich befinde mich daher in einer schwierigen Lage: ihn entweder für Spanien zu empfehlen oder Sie zu fragen, ob Sie seine Einstellung möglicherweise zu einer ordentlichen Professur erweitern können.« Für den Fall, dass die Drohung nicht klar genug war, fügte Einstein hinzu: »Seine Abwesenheit vom Institut könnte sogar gewisse Schwierigkeiten für meine eigene Arbeit aufwerfen.« 46

Flexner gab nach. In einem vierseitigen Brief wies er Einstein warnend auf die Gefahren hin, die einer zu engen Bindung an einen Assistenten innewohnten, erzählte Geschichten von Fällen, in denen solche Konstellationen schlecht ausgegangen waren, lenkte dann aber ein. Obwohl Mayers Titel über »Associate Professor« nicht hinausging, war damit eine Festanstellung verbunden, was ausreichte, den Handel zu besiegeln. 47

Außerdem äußerte Einstein die Bereitschaft für oder das Interesse an Vorlesungen in Brüssel , Paris und Oxford . Besonders erpicht war er darauf, einige Zeit in Oxford zu verbringen. »Glauben Sie, dass Christ Church ein kleines Zimmer für mich finden kann?«, schrieb er seinem Freund Frederick Lindemann , einem dortigen Physiker, der später zu einem wichtigen Berater Churchills wurde. »Es muss nicht so großartig sein wie in den beiden vorherigen Jahren.« Den Brief schloss er mit einer wehmütigen kleinen Bemerkung: »Ich werde das Land meiner Geburt wohl nicht mehr wiedersehen.« 48

Das wirft eine wichtige Frage auf: Warum zog er nicht in Betracht, einige Zeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem zu verbringen? Schließlich hatte er doch einen gewissen Anteil an ihrer Gründung. Im Frühjahr führte Einstein eine Reihe intensiver Gespräche über die Gründung einer neuen Universität, möglicherweise in England, die vertriebenen deutschen Akademikern als Zuflucht dienen sollte. Warum unternahm er keine persönlichen Versuche, sie für die Hebräische Universität anzuwerben?

Das Problem lag darin, dass er seit fünf Jahren Meinungsverschiedenheiten mit der Verwaltung dort hatte. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt – 1933, als er und andere Professoren vor den Nazis fliehen mussten – kam es zum offenen Streit. Das Objekt seines Zorns war der Universitätsprofessor Judah Magnes , ein ehemaliger Rabbiner aus New York , der sich verpflichtet fühlte, seinen wohlhabenden amerikanischen Sponsoren gefällig zu sein, was auch die Ernennung von Dozenten und Professoren einschloss, selbst wenn dies Zugeständnisse bei der wissenschaftlichen Qualifikation erforderte. Einstein wollte, dass sich die Universität stärker an die europäische Tradition hielt – mit mehr Einfluss der Fachbereiche und Langzeitvergabe wissenschaftlicher Posten. 49

Während seines Aufenthaltes in Le-Coq-sur-Mer nahm sein Ärger über Magnes überhand. »Dieser ehrgeizige und schwache Mensch umgibt sich mit anderen moralisch zweifelhaften Leuten«, schrieb er an Haber und riet ihm von der Hebräischen Universität ab. Born gegenüber bedachte er sie mit den Ausdrücken »Schweinerei« und »Charlatanerie«. 50

Einsteins Klagen brachten ihn in Konflikt mit Zionistenführer Chaim Weizmann . Als Weizmann und Magnes ihm einen Posten an der Hebräischen Universität anboten, machte er seinem Unmut öffentlich Luft. Er teilte der Presse mit, die Universität sei »nicht in der Lage, intellektuellen Ansprüchen zu genügen«, und gab bekannt, dass er das Angebot abgelehnt habe. 51

Magnes müsse gehen, verlangte Einstein. Er schrieb Sir Herbert Samuel , dem britischen Hohen Kommissar und Mitglied eines Komitees, das Reformvorschläge ausarbeiten sollte, einen Brief, in dem es hieß: »Falls jemand meine Mitarbeit wünscht, ist meine Bedingung Magnes’ augenblickliche Kündigung.« Im Juni teilte er Weizmann ebenso mit: »Nur ein entscheidender Personalwechsel würde die Dinge verändern.« 52

Weizmann war ein geschickter Verhandler. Er beschloss, Einsteins Herausforderung in eine Gelegenheit zu verwandeln, Magnes’ Macht zu beschneiden. Wenn er Erfolg hätte, müsste Einstein sich verpflichtet fühlen, an die Hebräische Universität zu kommen. Auf einer Reise nach Jerusalem im Juni desselben Jahres wurde er gefragt, warum Einstein nicht nach Jerusalem gehe, da er doch eigentlich dorthin gehöre. Das sei richtig, antwortete Weizmann , und man habe ihm dies auch tatsächlich angeboten. »Dann würde er aufhören, zwischen den Universitäten dieser Welt umherzuwandern.« 53

Einstein war außer sich. Die Gründe, warum er nicht nach Jerusalem gehe, seien Weizmann genau bekannt, sagte er, »und er weiß auch, unter welchen Bedingungen ich bereit wäre, für die Hebräische Universität zu arbeiten«. Das veranlasste Weizmann dazu, ein Komitee einzusetzen, das, wie er wusste, Magnes keinen weiteren direkten Einfluss auf die akademischen Entscheidungen der Universität zubilligen würde. Bei einem Besuch in Chicago verkündete er dann, Einsteins Bedingungen seien jetzt erfüllt, und daher könne er nun doch an die Hebräische Universität kommen. »Albert Einstein hat sich endgültig entschieden, die Leitung des physikalischen Instituts an der Hebräischen Universität zu übernehmen«, berichtete die Jewish Telegraphic Agency unter Berufung auf Weizmann .

Das war ein Schachzug von Weizmann , der unaufrichtig war und auch erfolglos blieb. Aber abgesehen davon, dass er Flexner in Princeton erschreckte, beruhigte sich die Kontroverse um die Hebräische Universität etwas, und damit ergab sich eine Gelegenheit für Reformen der Universität . 54

Das Ende des Pazifismus

Wie jeder gute Naturwissenschaftler konnte Einstein seine Auffassungen ändern, wenn er sich mit neuer Evidenz konfrontiert sah. Zu seinen wirklich fundamentalen Grundsätzen gehörte der Pazifismus . Doch Anfang 1933 hatte sich die Sachlage mit Hitlers Machtergreifung geändert.

Daher erklärte Einstein unverblümt, er sei zu dem Schluss gekommen, dass absoluter Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung zumindest im Augenblick nicht gerechtfertigt seien. »Es ist wohl augenblicklich kein günstiger Zeitpunkt, um bestimmte Thesen der radikal-pazifistischen Bewegung zu verkünden«, schrieb er an einen niederländischen Geistlichen, der ihn um die Unterstützung einer Friedensbewegung gebeten hatte. »Ist es beispielsweise gerechtfertigt, einem Franzosen oder Belgier zu raten, er möge trotz der deutschen Aufrüstung den Militärdienst verweigern?« Für Einstein gab es keinen Zweifel an der Antwort. »Ehrlich gesagt, das glaube ich nicht.«

Anstatt sich für den Pazifismus einzusetzen, verdoppelte er seine Bemühungen, eine föderalistische Weltorganisation ins Leben zu rufen, einen Völkerbund mit Zähnen, der über ein eigenes Berufsheer zur Durchsetzung seiner Entscheidungen verfügte. »Mir scheint, dass wir in der gegenwärtigen Situation eine übernationale Organisation der Gewalt unterstützen müssen, statt die Abschaffung aller Gewalt zu propagieren«, sagte er. »Jüngere Ereignisse haben mir in dieser Hinsicht eine Lektion erteilt.« 55

Damit brachte er die Internationale der Kriegsdienstverweigerer gegen sich auf, eine Organisation, die er jahrelang unterstützt hatte. Lord Arthur Ponsonby , ihr Vorsitzender, bezeichnete die Idee als wenig dienlich, »weil darin ein Zugeständnis liegt, dass Gewalt zur Lösung internationaler Konflikte beitragen könnte«. Einstein widersprach. Angesichts der in Deutschland entstehenden neuen Bedrohung laute, schrieb er, seine Philosophie jetzt: »Keine Abrüstung ohne Sicherheit.« 56

Vier Jahre zuvor, bei einem Besuch Antwerpens , war Einstein von Königin Elisabeth , 57 der Tochter eines bayerischen Herzogs, die König Albert I. geheiratet hatte, in den königlichen Palast Belgiens eingeladen worden. Die Königin liebte Musik, und Einstein verbrachte den Nachmittag damit, mit ihr Mozart zu spielen, Tee zu trinken und den Versuch zu unternehmen, ihr die Relativitätstheorie zu erklären. Als er im folgenden Jahr wieder eingeladen wurde, lernte er auch ihren königlichen Gatten kennen und war sehr angetan von diesem Mann, der so gar nicht königlich auftrat. »Diese beiden einfachen Menschen sind von einer Lauterkeit und Güte, die man selten antrifft«, schrieb er Elsa . Wieder spielten die Königin und er Mozart, und Einstein wurde eingeladen, mit dem Königspaar zu Abend zu essen. »Keine Diener, Vegetarier, Spinat mit Spiegelei und Kartoffeln«, berichtete er. »Es hat mir außerordentlich gefallen, und ich bin mir sicher, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.« 58

So begann eine lebenslange Freundschaft mit der belgischen Königin . Später spielte diese Beziehung zu ihr eine gewisse Rolle in Einsteins Beteiligung am Bau der Atombombe . Doch im Juli 1933 ging es um Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung .

»Der Gatte der zweiten Geigerin [wünscht] Sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.« Diese kryptische Mitteilung verwendete König Albert , um sich Einstein gegenüber zu erkennen zu geben. Einstein eilte in den Palast. Dem König brannte ein Fall auf der Seele, der sein ganzes Land aufwühlte. Zwei Kriegsdienstverweigerer saßen im Gefängnis, weil sie den Dienst in der belgischen Armee verweigert hatten. Daraufhin drängten internationale Pazifisten Einstein, für die beiden einzutreten, was natürlich zu Problemen geführt hätte.

Der König hoffte, Einstein werde sich nicht einmischen. Aus Freundschaft, aus Respekt für den Regenten eines Landes, das ihm Gastfreundschaft gewährte, und auch aufgrund seiner neuen und aufrichtigen Überzeugungen erklärte Einstein sich einverstanden. Er ging sogar so weit, dass er einen Brief schrieb, den er zur Veröffentlichung freigab.

»Bei der heutigen, durch die deutschen Vorgänge geschaffenen Situation ist Belgiens Wehrkraft sicherlich ein bloßes Verteidigungsmittel und gewiss kein Werkzeug des Angriffs«, erklärte er. »Zur Verteidigung aber ist diese Wehrkraft gerade jetzt dringend nötig.«

Doch da er nun einmal Einstein war, fühlte er sich verpflichtet, noch zwei Gedanken hinzuzufügen. »Wenn es Menschen gibt, die durch ihre religiöse und moralische Überzeugung genötigt werden, Militärdienst zu verweigern , so sollte man sie nicht wie Verbrecher behandeln«, führte er aus. »Man stelle es jedem frei, den Militärdienst durch einen schwereren und gefährlicheren zu ersetzen.« Beispielsweise könne man sie für wenig Lohn als Dienstverpflichtete arbeiten lassen, im »Bergwerksdienst, Heizerdienst auf Schiffen, Pflegerdienst bei infektiösen Kranken oder in gewissen Abteilungen von Irrenhäusern«. 59 König Albert antwortete mit einem herzlichen Dankesschreiben, in dem er höflich die Frage des Ersatzdienstes aussparte.

Als Einstein seine Meinung änderte, versuchte er nicht, das zu verbergen. Daher schrieb er auch einen offenen Brief an den Vorsitzenden der pazifistischen Gruppe, die ihn gebeten hatte, in dem belgischen Fall etwas zu unternehmen. »Vor kurzem war noch eine Zeit, in der man hoffen konnte, den Militarismus in Europa durch persönliche Resistenz wirksam zu bekämpfen«, schrieb er. »Heute aber stehen wir vor einer ganz anderen Sachlage. In der Mitte Europas ist eine Macht (Deutschland), die offenkundig mit allen Mitteln auf einen Krieg hinarbeitet.«

Er scheute sich auch nicht, das Undenkbare auszusprechen: Wäre er ein junger Mann, träte er selbst ins Heer ein.

Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Unter den heutigen Umständen würde ich als Belgier den Militärdienst nicht verweigern , sondern ihn in dem Gefühl, der Rettung der europäischen Zivilisation zu dienen, gern auf mich nehmen. Das bedeutet keinen prinzipiellen Verzicht auf den früher eingenommenen Standpunkt. Ich hoffe nichts mehr , als dass wieder Zeiten eintreten mögen, in denen die Verweigerung des Militärdienstes wieder ein nützliches Kampfmittel im Dienste der Menschheit sein wird. 60

Wochenlang beschäftigte diese Angelegenheit die Welt. »Einstein ändert seine pazifistischen Ansichten / Rät den Belgiern, gegen die deutsche Bedrohung aufzurüsten«, lautete die Schlagzeile in der New York Times . 61 Einstein hielt nicht nur an seinen neuen Ansichten fest, sondern seine Rechtfertigungen fielen auch mit jedem Angriff, der gegen ihn erfolgte, leidenschaftlicher aus.

Antwort vom 28. August 1933 an den Sekretär des französischen Zweigs der Internationalen der Kriegsdienstverweigerer : »[Zwar] haben sich nicht meine Ansichten, wohl aber die europäischen Verhältnisse geändert (…) Solange Deutschland durch materielle Rüstung und Abrichtung der Bürger systematisch den Revanchekrieg vorbereitet, sind die westeuropäischen Länder leider auf militärische Abrüstung angewiesen. Ich behaupte sogar, dass sie, wenn sie klug und vorsichtig sind, nicht warten, bis sie angegriffen sind (…) Ich kann (…) meine Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen.« 62

An Lord Ponsonby , seinen pazifistischen Mitstreiter in England: »Wissen Sie nicht, dass in Deutschland fieberhaft gerüstet wird? Und dass die ganze Bevölkerung nationalistisch verhetzt und zum Krieg gedrillt wird? (…) Welchen Schutz würden denn Sie vorschlagen, abgesehen von organisierter Gewalt?« 63

An das belgische Komitee von Kriegsdienstverweigerern : »Solange wir keine internationale Polizei haben, müssen jene Länder den Schutz der Kultur übernehmen. Die Situation hat sich in Europa im letzten Jahre entscheidend geändert, und wir würden für unsere grössten Feinde arbeiten, wenn wir dieser Sachlage gegenüber die Augen schließen würden.« 64

An einen niederländischen Professor: »Um das größere Übel zu vermeiden, muss (einstweilen) das kleinere in Kauf genommen werden, das verhasste Militär.« 65

Und sogar noch ein Jahr später an einen empörten Rabbiner in Rochester: »Ich bin derselbe glühende Pazifist heute wie früher. Doch glaube ich, dass in Europa das Kampfmittel der Dienstverweigerung erst dann wieder empfohlen werden kann, wenn die militärische Bedrohung der demokratischen Länder durch Diktaturen mit aggressiver Tendenz aufgehört hat.« 66

Nachdem Einstein jahrelang von seinen konservativen Freunden als naiv bezeichnet worden war, warfen ihm jetzt die Linken vor, ihm fehle der politische Durchblick. »Einstein, ein Genius der Wissenschaft, ist außerhalb seines Fachs schwach, unentschieden und widerspruchsvoll«, notierte der überzeugte Pazifist Romain Rolland in seinem Tagebuch. 67 Der Vorwurf der Widersprüchlichkeit hätte Einstein vermutlich erheitert. Modifiziert ein Wissenschaftler seine Thesen und Themen, wenn sich die Fakten verändern, gilt das unter seinen Fachkollegen nicht als Schwäche.

Abschied

Im Herbst zuvor hatte Einstein einen langen, weitschweifigen und, wie so oft, sehr persönlichen Brief von Michele Besso , einem seiner ältesten Freunde, bekommen. Größtenteils ging es um den armen Eduard , Einsteins jüngeren Sohn, der immer wieder von seiner psychischen Erkrankung heimgesucht wurde und nun stationär in einer psychiatrischen Klinik bei Zürich untergebracht war. Einstein werde sehr oft mit seinen Stieftöchtern abgebildet, aber nie mit seinen Söhnen , schrieb Besso . Warum reiste er nicht mit ihnen? Vielleicht könne er Eduard auf eine seiner Amerikareisen mitnehmen und ihn besser kennenlernen.

Einstein liebte Eduard . Einem Freund erzählte Elsa : »Diese Trauer frisst Albert auf.« Aber der glaubte, Eduards Schizophrenie sei ein Erbteil mütterlicherseits und man könne daher wenig dagegen tun. Das war auch der Grund, warum er sich gegen eine Psychoanalyse für Eduard wehrte. Er glaubte nicht an ihre Wirkung, besonders nicht in dem Fall einer schweren, anscheinend erblich bedingten psychischen Erkrankung.

Besso dagegen hatte sich einer Psychoanalyse unterzogen. In seinem Brief war er herzlich und entwaffnend, genauso wie ein Vierteljahrhundert früher, als sie gemeinsam vom Patentamt nach Hause gingen. Er habe selbst Probleme in seiner Ehe, sagte Besso und bezog sich damit auf Anna Winteler , mit der Einstein ihn bekannt gemacht hatte. Doch als es ihm gelungen sei, die Beziehung zu seinem eigenen Sohn zu verbessern, habe sich das auch positiv auf seine Ehe und sein Leben ausgewirkt.

Einstein antwortete, er hoffe, Eduard zu dem Besuch in Princeton mitnehmen zu können. »Alles deutet leider darauf hin, dass sich die schwere Familienbelastung bei ihm entscheidend auswirken wird«, schrieb er Besso . »Ich sah es schon seit Tetes Jugend langsam und unaufhaltsam kommen. Die äußeren Anlässe und Einwirkungen spielen in solchen Fällen eine kleine Rolle gegen die sekretorischen Ursachen, an die keiner heran kann.« 68

Das Verlangen war groß, und Einstein wusste, dass er Eduard sehen musste und wollte. Ende Mai war ein Besuch in Oxford geplant, doch er beschloss, die Reise um eine Woche zu verschieben, damit er nach Zürich reisen und mit seinem Sohn zusammen sein konnte. »Ich könnte keine sechs Wochen warten, bevor ich ihn sehen kann«, schrieb er Lindemann und bat um Verständnis. »Sie sind zwar kein Vater, aber ich weiß, dass Sie es verstehen werden.« 69

Seine Beziehung zu Marić hatte sich inzwischen so verbessert, dass sie, als sie hörte, er könne nicht nach Deutschland zurück, ihn und Elsa einlud, nach Zürich zu kommen und in ihrer Wohnung zu logieren. Er war angenehm überrascht und wohnte bei ihr, als er im Mai allein nach Zürich kam. Aber sein Besuch bei Eduard verlief weit qualvoller, als er erwartet hatte.

Einstein hatte seine Geige mitgenommen. Der Sohn und er hatten oft zusammen gespielt und in der Musik Gefühle ausgedrückt, die sie mit Worten nicht hatten verständlich machen können. Das Foto, das bei diesem Besuch aufgenommen wurde, ist besonders ergreifend. Sie tragen Anzüge und sitzen steif nebeneinander, offenbar im Besuchszimmer der Anstalt. Einstein hält Geige und Bogen und blickt zur Seite. Eduard starrt nach unten auf einen Stapel Papier, der Schmerz scheint sein inzwischen aufgeschwemmtes Gesicht zu verzerren.

Als Einstein von Zürich aus nach Oxford aufbrach, nahm er noch immer an, er könne die Hälfte jedes der folgenden Jahre in Europa verbringen. Er konnte nicht wissen, dass er seine erste Frau und seinen jüngeren Sohn zum letzten Mal sah.

In Oxford hielt Einstein die Herbert-Spencer-Vorlesung, in der er seine Wissenschaftsphilosophie erklärte, und fuhr dann nach Glasgow , wo er beschrieb, wie er die allgemeine Relativitätstheorie entdeckt hatte. Die Reise hatte ihm so großen Spaß gemacht, dass er, kaum war er wieder in Le-Coq-sur-Mer angelangt, beschloss, Ende Juli noch einmal nach Großbritannien zu fahren, dieses Mal auf Einladung eines höchst ungewöhnlichen Bekannten.

Der britische Commander Oliver Locker-Lampson war in den meisten Hinsichten das, was Einstein nicht war. Der abenteuerlustige Sohn eines viktorianischen Lyrikers wurde im Ersten Weltkrieg Flieger, Führer einer Panzerdivision in Lappland und Russland , Berater von Großfürst Nikolai Nikolajewitsch Romanow und möglicherweise Mitverschwörer am Mord von Rasputin . Jetzt war er Anwalt, Journalist und Parlamentarier. Er hatte in Deutschland studiert, kannte Sprache und Menschen und hatte sich – vielleicht deshalb – schon früh dafür eingesetzt, dass Großbritannien sich auf den Krieg mit den Nazis vorbereiten müsse. Auf alles begierig, was interessant war, schrieb er Einstein, dem er einmal flüchtig in Oxford begegnet war, und lud ihn ein, ihn in England zu besuchen.

Als Einstein das Angebot annahm, machte der schneidige Commander das Beste draus. Er nahm Einstein mit zu einem Besuch bei Winston Churchill , der damals, in seiner ämterlosen Zeit, die Oppositionsbank drückte. Beim Mittagessen im Park des Churchill ’schen Anwesens in Chartwell sprachen sie über die deutsche Aufrüstung. »[Er] ist ein eminent kluger Mann«, schrieb Einstein an Elsa an diesem Tag, »und es wurde mir völlig klar, dass diese Leute gut vorgebaut haben und entschlossen und bald handeln werden.« 70 Was ganz nach der Äußerung eines Menschen klang, der gerade bei Churchill zum Lunch gewesen war.

Locker-Lampson brachte Einstein auch zu Austen Chamberlain , einem anderen Verfechter der Aufrüstung, und zu dem ehemaligen Premierminister Lloyd George . Bei Letzterem reichte man Einstein das Gästebuch zu einer Eintragung. Als er zu der Spalte kam, in der er seine Heimatadresse angeben sollte, hielt er einen Augenblick inne und trug dann ein: »ohne«.

Diesen Vorfall bauschte Locker-Lampson am folgenden Tag im Parlament nach Kräften auf, als er ein Gesetz einbrachte, das »Juden die Einbürgerung erleichtern sollte«, während Einstein das Geschehen von der Besuchergalerie in einem weißen Leinenanzug verfolgte. Deutschland sei im Begriff, seine Kultur zu zerstören und die Sicherheit seines größten Denkers zu gefährden. »Das Land hat seinen berühmtesten Bürger, Albert Einstein, verjagt«, sagte er. »Wenn er gebeten wird, seine Adresse in Gästebücher einzutragen, muss er ›ohne‹ schreiben. Wie stolz kann unser Land sein, ihm eine Zuflucht in Oxford geboten zu haben!« 71

Als Einstein in sein belgisches Haus am Meer zurückkehrte, gelangte er zu dem Schluss, dass er noch eine Frage aufklären müsse, bevor er sich wieder nach Amerika einschiffte. Die Woman Patriot Corporation und andere versuchten noch immer, seine Einreise zu verhindern, indem sie ihn als gefährlichen Aufrührer oder Kommunisten hinstellten. Er empfand ihre Vorwürfe beleidigend und potenziell gefährlich.

Aufgrund einiger seiner sozialistischen Gesinnung, seines früheren Pazifismus und seiner Ablehnung des Faschismus dachte man damals, und auch späterhin, er könne mit den russischen Kommunisten sympathisieren. Nicht eben hilfreich war auch die Bereitschaft, seinen Namen jedem nobel klingenden Manifest oder Titel zur Verfügung zu stellen, die in seiner Post landeten – ohne immer zu prüfen, ob die betreffenden Gruppierungen lediglich Fassaden für andere Agendas waren.

Glücklicherweise ging die Bereitschaft, seinen Namen für alle möglichen Organisationen herzugeben, mit der Abneigung einher, bei Kundgebungen aufzutreten oder an gemeinschaftlichen Planungssitzungen teilzunehmen. Daher gab es nicht viele politische Gruppen, und ganz gewiss keine kommunistischen , an denen er sich tatsächlich beteiligte. Außerdem entschied er sich bewusst gegen einen Besuch Russlands , weil er wusste, dass er für Propagandazwecke ausgenutzt werden könnte.

Als seine Abreise näher rückte, gab Einstein zwei Interviews, um in diesem Punkt Klarheit zu schaffen. »Ich bin überzeugter Demokrat«, teilte er Leo Lania mit, der auch ein deutscher Emigrant war und ihn für das New York World Telegram befragte. »Aus diesem Grund gehe ich nicht nach Russland , obwohl ich von dort herzliche Einladungen erhalten habe. Würde ich nach Russland reisen, so würde das zweifellos von den Sowjetherrschern für ihre eigenen politischen Zwecke ausgebeutet werden. Nun, ich bin ein Feind des Bolschewismus wie des Faschismus . Ich bin gegen alle Diktaturen.« 72

In einem anderen Interview, das sowohl in der Londoner Times wie in der New York Times erschien, räumte Einstein ein, dass er sich gelegentlich von Organisationen »täuschen ließ«, die vorgäben, eine rein pazifistische oder humanitäre Agenda zu haben, aber »in Wahrheit nichts weniger als getarnte Propaganda im Dienst des russischen Despotismus seien«. Mit Nachdruck erklärte er: »Ich [habe] niemals den Kommunismus favorisiert und [favorisiere] ihn auch jetzt nicht.« Er lehne jede Macht ab, »die das Individuum durch Terror und Gewalt versklavt (…), ob dies nun unter einer faschistischen oder kommunistischen Fahne geschieht«. 73 Diese Erklärungen dienten zweifellos dem Zweck, den in Amerika geführten Kontroversen über seine politischen Ansichten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch sie hatten zudem den Vorzug, wahr zu sein. Gelegentlich war er auf Gruppen hereingefallen, deren Programm nicht dem entsprach, was sie vorgaben. Aber er hegte seit seiner Kindheit eine starke Aversion gegen jede Art von Autoritarismus, egal, ob von rechts oder von links.

Am Ende des Sommers erhielt er eine entsetzliche Nachricht. Sein Freund Paul Ehrenfest hatte kurz nach der Trennung von seiner Frau und Mitarbeiterin seinen 16-jährigen Sohn besucht, der unter dem Down-Syndrom litt und in einer Amsterdamer Einrichtung untergebracht war. Ehrenfest zog einen Revolver aus der Tasche, schoss seinem Sohn ins Gesicht, wobei er ein Auge zerstörte, den Jungen aber nicht tötete. Dann richtete er die Waffe gegen sich und beging Selbstmord.

Mehr als zwanzig Jahre zuvor war der umherziehende jüdische Physiker Ehrenfest in Prag aufgetaucht, wo Einstein arbeitete, und hatte diesen um Hilfe bei der Stellungssuche gebeten. Nachdem sie an diesem Tag stundenlang in Cafés über Physik gesprochen hatten, wurden die beiden Männer enge Freunde. Ehrenfests Denken unterschied sich in vielerlei Hinsicht von dem Einsteins. Er litt an »einem fast krankhaften Mangel an Selbstvertrauen«, sagte Einstein. Ehrenfests Stärke lag eher darin, Fehler in vorliegenden Theorien aufzuspüren als neue zu entwickeln. Deshalb war er ein guter Lehrer, »der beste (…), den ich kennengelernt habe«, aber das »objektiv ungerechtfertigte Gefühl der Insuffizienz plagte ihn beständig«.

Aber es gab einen wichtigen Punkt, in dem er Einstein glich. Er konnte nie seinen Frieden mit der Quantenmechanik machen. »Zu lernen und zu lehren, was man nicht in vollem Maße innerlich bejaht, ist an sich eine schwere Sache«, sagte Einstein von Ehrenfest , »doppelt schwer für einen fanatisch ehrlichen Geist, dem Klarheit alles bedeutet.«

Einstein, der wusste, wie es war, fünfzig zu werden, ließ dann eine Schilderung folgen, die ebenso auf seine eigene Einstellung zur Quantenmechanik zutraf wie auf die Ehrenfests : »Dazu kommt die erhöhte Schwierigkeit, welche die Anpassung an neue Gedanken dem Fünfzigjährigen stets bietet. Ich weiß nicht, wie viele der Leser dieser Zeilen in der Lage sind, solche Tragik gut zu verstehen.« 74 Einstein war es.

Ehrenfests Selbstmord verstörte Einstein ebenso wie die wachsende Gefahr für das eigene Leben. Sein Name war fälschlicherweise mit einem Buch in Zusammenhang gebracht worden, in dem Hitlers Terrorherrschaft angeprangert wurde; wie schon so oft hatte er einem Komitee gestattet, ihn namentlich als Ehrenvorsitzenden zu führen. Als die Gruppe dann ein Buch veröffentlichte, hatte er keine Zeile davon gelesen. Deutsche Zeitungen brachten in roten Buchstaben Schlagzeilen wie »Einsteins Schändlichkeit«. Eine Zeitschrift bildete ihn auf einer Liste mit Feinden des NS -Regimes ab, zählte seine »Verbrechen« auf und schloss mit dem Vermerk »noch nicht gehängt«.

Daher beschloss Einstein, Locker-Lampsons Gastfreundschaft noch einmal für den einen Monat in Anspruch zu nehmen, der bis zu seiner im Oktober geplanten Abreise nach Amerika zu überbrücken war. Elsa , die in Belgien bleiben wollte, um zu packen, bat einen Reporter vom Sunday Express , dafür zu sorgen, dass Einstein sicher nach England gelangte. Als guter Journalist begleitete er Einstein auf der Reise selbst und berichtete, dieser habe während der Überfahrt sein Notizbuch herausgeholt und an seinen Gleichungen gearbeitet.

In einer Szene wie aus einem James-Bond-Film ließ Locker-Lampson Einstein von zwei »Assistentinnen« zu einem abgeschiedenen Wochenendhaus bringen, das versteckt in einem Küstenmoor nordöstlich von London lag. Dort wurde er zum Mittelpunkt einer filmreifen Posse aus Geheimniskrämerei und Buhlen um öffentliche Aufmerksamkeit. Die beiden jungen Frauen posierten neben ihm mit Jagdflinten für ein Foto, das an Presseagenturen verschickt wurde. Dazu Locker-Lampson : »Wenn sich irgendein Unbefugter nähert, bekommt er eine Ladung Schrot.« Einsteins eigene Einschätzung seiner Sicherheit war weniger einschüchternd. »Die Schönheit meiner Personenschützerinnen würde einen Attentäter rascher entwaffnen als ihre Schrotflinten«, erklärte er einem Besucher.

Zu den Leuten, die in diese gemäßigte Sicherheitszone eindrangen, gehörten ein ehemaliger Außenminister, der über die Krise in Europa diskutieren wollte; Einsteins Stiefschwiegersohn Dimitri Marianoff , der gekommen war, um Einstein für einen Artikel zu interviewen, den er an einen französischen Verlag verkauft hatte; Walther Mayer , der weiterhin bei der endlosen Suche nach den Gleichungen einer einheitlichen Feldtheorie half; sowie der bekannte Bildhauer Jacob Epstein , der dort in drei Tagen eine schöne Büste von Einstein schuf.

Der Einzige, der mit den Wächterinnen in Konflikt geriet, war Epstein , als er sie bat, eine der Türen auszuhängen, damit er bei seiner Arbeit ein besseres Blickfeld habe. »Aber sie fragten im Spaß, ob ich als nächstes das Dach abgehoben haben möchte«, berichtete er. »Ich dachte, das wäre mir ganz angenehm, aber ich sprach es nicht aus, denn die zu Diensten stehenden Engel schienen ein bißchen was gegen mein Eindringen in die Zuflucht ihres Professors zu haben.« Doch nach drei Tagen hatten die Wächterinnen sich an Epstein gewöhnt, und alle hockten nach den Sitzungen zusammen und tranken Bier. 75

Trotz all der Umstände blieb Einstein sein Humor erhalten. Unter den Briefen, die er aus England bekam, war einer von einem Mann, der eine eigene Theorie entwickelt hatte: Die Gravitation habe zur Folge, dass bei der Erdrotation die Menschen manchmal auf dem Kopf stünden und sich manchmal in der Horizontalen befänden. Vielleicht, so meinte dieser Theoretiker, täten die Menschen dann törichte Dinge wie sich zu verlieben. »Sich verlieben ist gar nicht das dümmste, was der Mensch tut«, kritzelte Einstein auf den Brief, »die Gravitation kann aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden.« 76

Einsteins wichtigster Auftritt auf dieser Reise war eine Rede, die er am 3. Oktober in der Londoner Royal Albert Hall hielt, eine Veranstaltung, bei der Geld für vertriebene deutsche Wissenschaftler gesammelt werden sollte. Einige Beobachter meinten, sicherlich nicht zu Unrecht, dass Locker-Lampson die Sicherheitsfrage und den Rummel um Einsteins Versteck absichtlich übertrieben hatte, um den Kartenverkauf anzukurbeln. Wenn das tatsächlich seine Absicht war, so war sie von Erfolg gekrönt. Alle neuntausend Plätze waren besetzt, und in den Gängen und Vorhallen drängten sich die Menschen. Eintausend Studenten waren als Platzanweiser und als Wachen gegen mögliche pro-nationalsozialistische Demonstrationen eingesetzt. Einstein sprach auf Englisch über die aktuelle Bedrohung der Freiheit, vermied es aber sorgfältig, das NS -Regime direkt anzusprechen. »Wenn wir den Mächten widerstehen wollen, die zu einer Unterdrückung der geistigen und individuellen Freiheit drängen, müssen wir uns klar vor Augen halten, was auf dem Spiel steht«, sagte er. »Ohne jene Freiheit hätte es keinen Shakespeare , keinen Goethe , keinen Newton , keinen Faraday , keinen Pasteur , keinen Lister gegeben.« Freiheit sei eine Vorbedingung für Kreativität.

Er sprach auch über die Notwendigkeit von Abgeschiedenheit. »Die Monotonie eines ruhigen Lebens [beflügelt] den schöpferischen Geist«, sagte er und wiederholte einen Vorschlag, den er in jüngeren Jahren schon einmal gemacht hatte: Man könnte Wissenschaftler für »die Bedienung von Leuchttürmen oder Leuchtschiffen« einstellen, sodass sie ungestört über ihre wissenschaftlichen Probleme nachdenken könnten. 77

Das war eine aufschlussreiche Bemerkung. Für Einstein war naturwissenschaftliche Forschung eine einsame Tätigkeit. Ihm schien nicht klar zu sein, dass für andere die Zusammenarbeit weit ergiebiger war. In Kopenhagen und andernorts hatte das Quantenmechanik -Team schwindelerregende Fortschritte erzielt, wobei einer auf den Fortschritten des anderen aufbaute. Aber Einsteins große Durchbrüche waren so beschaffen, dass sie in einem Berner Patentamt , der Dachkammer einer Berliner Wohnung oder einem Leuchtturm von einer einzigen Person vollbracht werden konnten – vielleicht gelegentlich ergänzt durch einen Resonanzboden und einen mathematischen Assistenten.

Der Liniendampfer Westmoreland , der seine Fahrt mit Elsa und Helen Dukas an Bord in Antwerpen begann, nahm Einstein und Walther Mayer am 7. Oktober 1933 in Southampton an Bord. Einstein glaubte nicht, dass er lange fort sein werde. Tatsächlich hatte er vor, im nächsten Frühjahr wieder ein Semester am Christ Church College zu verbringen. Doch obwohl er noch weitere zwanzig Jahre lebte, sollte er Europa nie wiedersehen.