Der Liniendampfer Westmoreland , der den 54-jährigen Einstein in seine künftige neue Heimat trug, traf am 17. Oktober 1933 im New Yorker Hafen ein. An der Landungsbrücke der 23rd Street wartete im Regen das offizielle Empfangskomitee, angeführt von seinem Freund Samuel Untermyer , einem prominenten Rechtsanwalt, der einige selbst gezogene Orchideen trug, dazu eine Gruppe von Cheerleadern, die an einem Umzug zu seiner Begrüßung teilnehmen sollten.
Doch Einstein und sein Gefolge waren nirgends zu finden. Abraham Flexner , der Direktor des Institute for Advanced Study , war finster entschlossen, ihn gegen die Öffentlichkeit abzuschirmen, egal, was für schrullige Einfälle Einstein selbst haben mochte. Deshalb hatte er einen Schlepper mit zwei Bevollmächtigten des Instituts hinausgeschickt, sobald die Quarantäne aufgehoben war, die Einstein unauffällig von Bord der Westmoreland holen sollten. »Keine Erklärung und keine Interviews zu irgendeinem Thema«, hatte er telegrafiert. Zur Bekräftigung der Botschaft hatte er den beiden, die Einstein abholen sollten, noch einen Brief mitgegeben. »Ihre Sicherheit in Amerika hängt davon ab, dass Sie Stillschweigen bewahren und auf die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verzichten«, stand darin. 1
Mit seinem Geigenkasten bewaffnet und einem breitkrempigen schwarzen Hut auf dem Kopf, unter dem die Fülle seines Haars hervorquoll, stieg Einstein heimlich auf das Boot, das ihn und seine Gesellschaft zur Battery brachte, wo ein Auto wartete, um ihn eiligst nach Princeton zu befördern. »Dr. Einstein hat keinen anderen Wunsch, als in Ruhe und Frieden gelassen zu werden«, teilte Flexner den Reportern mit. 2
Tatsächlich wünschte er sich außerdem eine Zeitung und eine Eiswaffel. Sobald er in Princeton war und im Peacock Inn eingecheckt hatte, zog er sich bequeme Kleidung an und ging zu einem Zeitungsstand, wo er sich ein Nachmittagsblatt kaufte und über die Schlagzeilen schmunzelte, die sich mit dem Geheimnis seines Aufenthaltsorts beschäftigten. Dann ging er in eine Eisdiele namens Baltimore, zeigte mit dem Daumen auf die Eistüte, die sich eine junge Theologiestudentin gerade gekauft hatte, und dann auf sich selbst. Als die Bedienung ihm sein Wechselgeld herausgab, erklärte sie: »Das kommt in mein Erinnerungsalbum.« 3
Einstein erhielt ein Eckbüro in einem Universitätsgebäude, das vorübergehend als Sitz des Instituts diente. Zu diesem Zeitpunkt gab es achtzehn Gastwissenschaftler, unter anderen die Mathematiker Oswald Veblen (Neffe des Soziologen Thorstein Veblen ) und John von Neumann , ein Pionier der Computertheorie. Als man Einstein sein Büro zeigte und ihn fragte, was er für die Einrichtung brauche, antwortete er: »Einen Schreibtisch oder Tisch, einen Stuhl, Papier und Bleistifte. (…) Oh ja, und einen großen Papierkorb, damit ich alle meine Irrtümer wegwerfen kann.« 4
Schon bald mieteten Elsa und er ein Haus und gaben zur Feier des Einzugs einen kleinen musikalischen Empfang mit Werken von Haydn und Mozart . Der bekannte russische Geiger Toscha Seidel spielte die erste Geige , Einstein die zweite. Als Gegenleistung für einige violinistische Tipps versuchte Einstein Seidel die Relativitätstheorie zu erklären und fertigte dabei einige Zeichnungen von bewegten, längenkontrahierten Stäben an. 5
Auf diese Weise begannen in der Stadt Geschichten über Einsteins Liebe zur Musik die Runde zu machen. Eine berichtete von einem Anlass, bei dem Einstein in einem Quartett mit den Violinvirtuosen Fritz Kreisler spielte. An einem bestimmten Punkt kamen sie aus dem Takt. Kreisler brach ab, wandte sich Einstein zu und sagte in gespielter Entrüstung: »Was ist los, Professor, können Sie nicht zählen?« 6 Sehr bewegend ist eine andere Geschichte: An einem Abend versammelte sich eine Gruppe christlicher Prediger zu einer Fürbitte für die verfolgten Juden . Einstein überraschte sie mit der Frage, ob er dazukommen dürfe. Er holte seine Geige und spielte ein Solo, als spräche er ein Gebet. 7
Viele seiner Auftritte waren vollkommen spontan. Bei dem ersten Halloween, das er erlebte, nahm er einer Gruppe von zwölfjährigen Mädchen, die bei »Süßes oder Saures« gekommen waren, um ihm einen Streich zu spielen, den Wind aus den Segeln, indem er mit der Geige an die Tür kam und ihnen ein Ständchen brachte. In der Adventszeit, als einige Presbyterianer an die Tür kamen, um Weihnachtslieder zu singen, ging er hinaus in den Schnee, borgte sich eine Geige von einer der Frauen und begleitete den Chor. »Er war einfach ein liebenswerter Mensch«, erinnerte sich eine von ihnen. 8
Rasch erwarb Einstein ein bestimmtes Image, das fast legendenhafte Ausmaße annahm, aber trotzdem auf Tatsachen beruhte: ein freundlicher und friedlicher Professor, gelegentlich zerstreut, aber immer liebenswürdig, der gedankenverloren umherging, Kindern bei der Hausarbeit half und selten seine Haare kämmte oder Socken trug. Mit einem ausgeprägten Sinn für Selbstironie nährte er dieses Image: Man nehme ihn in der Regel wahr »als eine Art altertümliche Figur, die hauptsächlich durch den Nichtgebrauch von Socken bekannt ist und bei besonderen Gelegenheiten als eine Art Kuriosität hergezeigt wird«, scherzte er. Seine etwas ungepflegte Erscheinung war zum Teil ein Ausdruck seiner Schlichtheit und zum anderen Teil ein gemäßigter Akt der Rebellion. »Ich habe ein Alter erreicht, in dem ich, wenn mir jemand sagt, ich solle Socken tragen, es nicht tun muss«, sagte er zu einem Nachbarn. 9
Seine ausgebeulte, bequeme Kleidung wurde zu einem Symbol für seinen vollkommenen Mangel an Geltungssucht. Er hatte eine Lederjacke, die er in der Regel bei offiziellen und informellen Anlässen trug. Als eine Freundin herausfand, dass er eine leichte Allergie gegen Wollpullover hatte, ging sie in ein Outlet und kaufte einige Baumwollpullover, die er fortan tagaus, tagein trug. Seine Missachtung für Haarschnitt und Körperpflege war so ansteckend, dass am Ende Elsa , Margot und seine Schwester Maja alle die gleiche Zerzaustheit zur Schau trugen.
Es gelang ihm, das Image des vernachlässigten Genies genauso berühmt zu machen wie Chaplin seinen kleinen Tramp. Er war kindlich und unnahbar, brillant und verwirrt. Er ging umher mit zerstreuter Miene und seltsamer Empfindsamkeit. Er vermittelte den Eindruck absoluter Wahrhaftigkeit, war manchmal, aber nicht immer, so naiv, wie er schien, kümmerte sich leidenschaftlich um die Menschheit und gelegentlich um einzelne Menschen. Er konnte sich ganz auf kosmische Wahrheiten und globale Probleme konzentrieren, was ihm offenbar erlaubte, weniger Anteil am Hier und Jetzt zu nehmen. Diese Rolle, die er spielte, war nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt, aber er übertrieb sie maßlos, weil er wusste, was für eine wunderbare Rolle es war.
Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch bereitwillig der Rolle angepasst, die Elsa spielte – die der Ehefrau, die beides sein konnte, liebevoll und fordernd, beschützend, aber auch von gelegentlichen Anfällen gesellschaftlicher Ambitionen heimgesucht. Nach einigen unruhigen Zeiten hatten sie sich aneinander gewöhnt. »Ich gängele ihn«, sagte sie stolz, »aber ich lasse ihn nie merken, dass ich es tue.« 10
Tatsächlich wusste er es und fand es mehr oder weniger amüsant. Beispielsweise nörgelte Elsa ständig, er rauche zu viel, woraufhin er an Thanksgiving mit Elsa wettete, dass er fähig sei, bis Neujahr auf seine Pfeife zu verzichten. Als Elsa sich auf einer Dinnerparty damit brüstete, grummelte Einstein: »Sie sehen, ich bin nicht mehr der Sklave meiner Pfeife. Ich bin der Sklave dieser Frau .« Einstein hielt Wort, aber »er stand bei Tageslicht am Neujahrsmorgen auf, und seitdem hat er immer die Pfeife im Mund, ausgenommen beim Essen und Schlafen«, erzählte Elsa den Nachbarn, ein paar Tage nachdem die Wette beendet war. 11
Für Einstein war der ärgerlichste Reibungspunkt Flexners Wunsch, ihn gegen die öffentliche Aufmerksamkeit abzuschirmen. Wie immer war Einstein in dieser Hinsicht viel gelassener als seine Freunde, Gönner und selbst ernannten Beschützer. Gelegentlich im Scheinwerferlicht zu stehen, fand er durchaus anregend. Noch wichtiger, er war mehr als bereit, solche Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, wenn er seinen Ruhm dazu nutzen konnte, Geld und Mitgefühl für die wachsende Not der europäischen Juden zu mobilisieren.
Durch diesen politischen Aktivismus wurde Einsteins Hang zur Publizität für Flexner , der ein alteingesessener und assimilierter Jude war, noch mehr zu einem Stein des Anstoßes. Seiner Meinung nach konnte Einstein dadurch Antisemitismus provozieren – vor allem in Princeton , wo das Institut jüdische Gelehrte in ein gesellschaftliches Umfeld verpflanzte, das, um es vorsichtig auszudrücken, einen gewissen Überdruss gegenüber Juden erkennen ließ. 12
Besonders verärgert war Flexner , als Einstein so liebenswürdig war, eine Gruppe von Jungen aus einer Schule in Newark , die ihren Wissenschaftsclub nach ihm benannt hatten, zu sich nach Hause einzuladen. Elsa backte Kekse, und als sich das Gespräch jüdischen Politikern zuwandte, meinte sie: »Ich glaube nicht, dass es irgendwelchen Antisemitismus in diesem Land gibt.« Einstein stimmte ihr zu. Das wäre nichts als ein netter kleiner Besuch gewesen, hätte der Betreuer, der die Jungen begleitete, nicht einen lebhaften Bericht geschrieben, der sich in erster Linie mit Einsteins Gedanken über die Notlage der Juden beschäftigte, und wäre dieser Bericht nicht mit fetter Schlagzeile auf der Titelseite des Newarker Sunday Ledger veröffentlicht worden. 13
Flexner war außer sich. »Ich möchte ihn doch einfach beschützen«, schrieb er in einem scharfen Brief an Elsa . Er schickte ihr den Newark -Artikel und heftete ein gestrenges Begleitschreiben an den Zeitungsausschnitt: »Das sind genau die Dinge, die seiner absolut nicht würdig sind«, schalt er. »Das wird Einstein in der Achtung seiner Kollegen herabsetzen, weil sie glauben werden, dass er solche öffentlichen Auftritte sucht, und ich weiß nicht, wie ich sie davon überzeugen kann, dass das ganz und gar nicht der Fall ist.« 14
Flexner forderte Elsa auf, ihrem Mann die Mitwirkung an einer musikalischen Darbietung in Manhattan auszureden, die als Spendensammlung für jüdische Flüchtlinge gedacht war. Aber wie ihr Mann war Elsa der Publizität und dem Eintreten für die jüdische Sache nicht ganz abgeneigt, daher missbilligte sie Flexners Versuche, ihren Mann und sie zu kontrollieren. Sie beantwortete sein Schreiben mit einer sehr klaren Weigerung.
Das veranlasste Flexner , am nächsten Tag einen erstaunlich unverblümten Brief zu schicken, in dem er berichtete, dass er ein Gespräch mit dem Präsidenten der Princeton University geführt habe. Ähnlich wie einige Freunde Einsteins in Europa, etwa die Borns , warnte Flexner Elsa : Wenn die Juden zu viel Aufmerksamkeit bekämen, könnte das dem Antisemitismus Vorschub leisten:
Es ist durchaus möglich, in den Vereinigten Staaten antisemitische Gefühle zu wecken. Grundsätzlich ist diese Gefahr nicht gegeben, außer durch die Juden selbst. Es gibt bereits untrügliche Anzeichen dafür, dass der Antisemitismus in Amerika zugenommen hat. Da ich selbst Jude bin und da ich den unterdrückten Juden in Deutschland helfen will, bleiben meine Bemühungen, obwohl permanent und in Maßen erfolgreich, absolut still und anonym (…) Es geht hier um die Frage, wie wir die Würde Ihres Mannes und des Instituts nach den höchsten amerikanischen Maßstäben wahren und dem jüdischen Volk in Amerika und in Europa auf wirksamste Weise helfen können . 15
Am selben Tag schrieb Flexner Einstein selbst, um darauf hinzuweisen, dass Juden wie sie beide sich um Unauffälligkeit bemühen sollten, weil ein Hang zu öffentlichem Aufsehen Antisemitismus hervorrufen könne. »Ich habe das in dem Augenblick gespürt, als Hitler seine judenfeindliche Politik begann«, schrieb er. »Es gibt in Amerika Anzeichen dafür, dass jüdische Professoren und Studenten es ausbaden müssen, wenn wir nicht äußerste Vorsicht walten lassen.« 16
Wie nicht anders zu erwarten, nahm Einstein teil an dem geplanten Benefizkonzert in Manhattan, das bei einem Eintrittspreis von 25 Dollar von 264 Zuhörern besucht wurde. Gespielt wurden Bachs Doppelkonzert in d-moll und Mozarts Streichquartett in G-Dur. Sogar die Presse war zugelassen. Die Zeitschrift Time berichtete, dass er hinterher »noch mit abwesendem Blick an den Saiten zupfte«. 17
In dem Versuch, solche Ereignisse zu unterbinden, hatte Flexner angefangen, Einsteins Post abzufangen und Einladungen in seinem Namen abzulehnen. Die Entscheidungsschlacht stand an, als der New Yorker Rabbiner Stephen Wise beschloss, Einstein eine Einladung zu einem Besuch von Präsident Franklin Roosevelt zu verschaffen, was, wie Wise hoffte, dem Umgang mit Juden in Deutschland größere Aufmerksamkeit verschaffen würde. »F.D.R. hat für die Juden in Deutschland keinen Finger gerührt, und das wäre noch wenig genug gewesen«, schrieb Wise an einen Freund. 18
Das Ergebnis war ein Telefonat mit Colonel Marvin MacIntyre , dem Sekretär des Präsidenten , der Einstein ins Weiße Haus einlud. Als Flexner es herausfand, tobte er. Er rief das Weiße Haus an und kanzelte den erstaunten Colonel MacIntyre ab. Alle Einladungen müssten über ihn gehen, stellte Flexner fest, und in Einsteins Fall lehne er ab.
Sicherheitshalber schrieb Flexner noch einen offiziellen Brief an den Präsidenten . »Ich sah mich heute Nachmittag gezwungen, Ihrem Sekretär zu erklären«, schrieb Flexner , »dass Professor Einstein nach Princeton gekommen ist, um seiner wissenschaftlichen Forschung in Abgeschiedenheit nachgehen zu können, und dass es absolut unmöglich ist, irgendeine Ausnahme zu machen, durch die er unvermeidlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich lenken würde.«
Einstein hatte keine Ahnung von diesen Vorgängen, bis Henry Morgenthau , ein prominenter Vertreter der jüdischen Gemeinde in Amerika und designierter Finanzminister, ihn nach dieser vermeintlichen Brüskierung fragte. Empört über Flexners Anmaßung, schrieb Einstein einen Brief an Eleanor Roosevelt , seine politische Seelenverwandte. »Sie können sich kaum vorstellen, welches Interesse ich daran hätte, den Mann kennenzulernen, der mit ungeheuerer Energie das größte und schwierigste Problem unserer Zeit anpackt«, schrieb er. »Tatsächlich aber hat mich keinerlei Einladung erreicht.«
Eleanor Roosevelt antwortete persönlich und höflich. Das Missverständnis komme daher, erklärte sie, dass sich Flexner in seinem Telefonat mit dem Weißen Haus so unnachgiebig gezeigt habe. »Ich hoffe, dass Sie und Mrs. Einstein bald kommen werden«, fügte sie hinzu. Elsa antwortete liebenswürdig. »Zunächst entschuldigen Sie bitte mein schlechtes Englisch«, schrieb sie. »Dr. Einstein und ich nehmen Ihre sehr freundliche Einladung mit großer Dankbarkeit an.«
Elsa und er trafen am 24. Januar 1934 im Weißen Haus ein und verbrachten dort die Nacht. Der Präsident war in der Lage, sich in passablem Deutsch mit ihnen zu unterhalten. Unter anderem sprachen sie über Roosevelts Meeresdrucke und Einsteins Liebe zum Segeln. Am nächsten Morgen schrieb Einstein auf einer Visitenkarte des Weißen Hauses einen achtzeiligen Knittelvers für Königin Elisabeth von Belgien und setzte sie in Kenntnis von dem Besuch, verzichtete aber auf öffentlichen Aussagen. 19
Flexners Interventionen versetzten Einstein in helle Wut. Auf einen Brief, in dem er sich bei Rabbiner Wise beklagte, schrieb er als Absenderadresse »Konzentrationslager Princeton «. Außerdem beschwerte er sich in einem fünfseitigen Schreiben an den Stiftungsrat über Flexners Einmischung. Entweder man könne ihm versichern, dass es nicht mehr zu diesen ständigen Eingriffen kommen werde, »die kein Mensch mit Selbstachtung hinnehmen könne«, schrieb Einstein, »oder ich schlage vor, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir meine Beziehung zu Ihrem Institut auf anständige Weise beenden können«. 20
Einstein setzte sich durch, und Flexner musste klein beigeben. Die Folge aber war, dass Einstein seinen Einfluss auf Flexner verlor, den er später als einen seiner »wenigen Feinde« in Princeton bezeichnete. 21 Als Erwin Schrödinger , Einsteins Mitreisender im Minenfeld der Quantenmechanik , in diesem März als Geflüchteter nach Princeton gelangte, bot man ihm eine Stellung an der Universität an. Aber er wollte lieber im Institute for Advanced Study aufgenommen werden. Einstein setzte sich bei Flexner für Schrödinger ein, aber vergeblich. Flexner war nicht mehr bereit, ihm irgendwelche Gefallen zu tun, selbst wenn das bedeutete, dass man dem Institut Schrödinger vorenthielt.
Während seines kurzen Aufenthalts in Princeton fragte Schrödinger Einstein, ob er wirklich, wie geplant, später im Frühjahr wieder nach Oxford gehen wolle. Als Einstein 1931 zum Caltech aufgebrochen war, hatte er sich selbst als »Zugvogel« bezeichnet: Dabei war – vielleicht sogar ihm selbst – nicht ganz klar, ob er das damals als befreiend oder misslich empfunden hatte. Doch jetzt fühlte er sich wohl in Princeton , ohne den Wunsch zu verspüren, sich wieder in die Lüfte zu schwingen.
»Warum sollte ein alter Kerl wie ich nicht auch einmal so etwas wie relative Ruhe haben?«, fragte er seinen Freund Max Born . So trug er Schrödinger auf, sein aufrichtiges Bedauern auszurichten. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen sagen soll, er werde auf keinen Fall kommen«, schrieb Schrödinger an Lindemann . »Der Grund für diese Entscheidung ist in der Tat, dass er Angst vor all dem Trubel und der Aufregung hat, die seine Reise nach Europa auslösen würde.« Außerdem befürchtete Einstein, man würde von ihm erwarten, auch nach Paris und Madrid zu kommen, wenn er nach Oxford ginge, »und mir fehlt es an dem Mut, dies alles auf mich zu nehmen«. 22
Alles hatte sich so gefügt, dass Einstein ein Gefühl der Schwere empfand oder zumindest eine Abneigung entwickelt hatte, sich wieder auf Wanderschaft zu begeben. Außerdem fand er Princeton , das er bei seinem ersten Besuch im Jahr 1921 als »noch nicht gerauchte Pfeife« bezeichnet hatte, mit seinem belaubten Charme und seinen neogotischen Anklängen an europäische Universitätsstädte sehr reizvoll. Als ein »drolliges zeremonielles Krähwinkel winziger, stelzbeiniger Halbgötter« beschrieb er es in einem Brief an Elisabeth , die belgische Königinmutter seit dem Tod des Königs . »Indem ich mich über bestimmte gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzte, konnte ich für mich eine Atmosphäre schaffen, die der Forschung zuträglich und frei von Ablenkungen ist.« 23
Besonders gefiel Einstein, dass Amerika, trotz seiner ungleichen Vermögensverhältnisse und ethnischen Ungerechtigkeiten, eher eine Meritokratie darstellte als Europa. »Was Neuankömmlinge an diesem Land anzieht, ist die demokratische Grundhaltung der Menschen«, meinte er. »Niemand duckt sich vor einer anderen Person oder Klasse.« 24
Das resultierte aus dem Recht des Einzelnen, zu sagen und zu denken, was ihm gefiel, eine Haltung, die für Einstein immer wichtig war. Außerdem bewirkte der Mangel an einengenden Traditionen, dass mehr Kreativität von der Art entstehen konnte, die ihn als Student begeistert hatte. »Die amerikanische Jugend hat das Glück, dass ihre Anschauungen nicht durch überholte Traditionen geprägt sind«, meinte er. 25
Auch Elsa liebte Princeton , was für Einstein wichtig war. Sie hatte sich lange Zeit so liebevoll seiner angenommen, dass er jetzt mehr Rücksicht auf ihre Wünsche nahm, besonders auf ihren Nestbauinstinkt. »Ganz Princeton ist ein Park«, schrieb sie einer Freundin. »Man glaubt, in Oxford zu sein.« Architektur und Landschaft erinnerten sie an England, wobei sie auch ein Schuldgefühl streifte, weil ihr Leben so angenehm war, während viele Menschen in Europa litten. »Man hat es hier schon gut, vielleicht zu gut«, berichtete sie. »Manchmal hat man auch ein schlechtes Gewissen.« 26
Im April 1934, nur sechs Monate nach seiner Ankunft, erklärte Einstein, dass er unbefristet in Princeton bleiben und vollgültiges Mitglied des Instituts werde. Wie sich herausstellen sollte, blieb er während der verbleibenden einundzwanzig Jahre seines Lebens dort. Trotzdem besuchte er die »Abschiedspartys«, die in diesem Monat als Benefizveranstaltungen für verschiedene seiner Wohltätigkeitsprojekte geplant waren. Diese Anliegen waren für ihn fast so wichtig geworden wie seine wissenschaftlichen Vorhaben. Bei einer dieser Veranstaltungen erklärte er: »Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit ist das Wertvollste, was man im Leben tun kann.« 27
Kaum hatten sie sich zum Bleiben entschlossen, musste Elsa nach Europa zurückreisen, um für ihre lebhafte und unternehmungslustige ältere Tochter Ilse zu sorgen, die ein Techtelmechtel mit dem romantischen Radikalen Georg Nicolai gehabt und den Verlagsredakteur Rudolf Kayser geheiratet hatte. Ilse war vermeintlich an Tuberkulose erkrankt, was sich aber als Leukämie herausstellte, und ihr Zustand hatte sich deutlich verschlechtert. Jetzt war sie nach Paris gezogen, um sich von ihrer Schwester Margot pflegen zu lassen.
Da Ilse sich in den Kopf gesetzt hatte, ihre Probleme seien in erster Linie psychosomatisch, lehnte sie alle Medikamente ab und unterzog sich stattdessen einer längeren Psychotherapie. Während der Anfänge ihrer Krankheit hatte Einstein versucht, sie zum Besuch eines normalen Arztes zu bewegen, doch sie hatte abgelehnt. Jetzt, da sie in Margots Pariser Wohnung das Bett hütete, konnte die sich um ihr Bett versammelnde Familie, einschließlich des abwesenden Einstein, kaum noch etwas für sie tun.
Ilses Tod erschütterte Elsa . Sie »veränderte sich und alterte«, erinnerte sich Margots Ehemann , »fast zur Unkenntlichkeit.« Statt Ilses Asche in einer Gruft beisetzen zu lassen, hatte man sie für Elsa in einen versiegelten Beutel verpackt. »Ich kann keine Trennung ertragen«, sagte sie. »Ich muss sie in meiner Nähe haben.« Dann nähte sie den Beutel in einen Kissenbezug, sodass sie sie auf ihrer Reise nach Amerika immer bei sich hatte. 28
Außerdem hatte Elsa Kisten mit Papieren ihres Mannes bei sich, die Margot zuvor mithilfe diplomatischer Kanäle und des Berliner antinazistischen Untergrunds nach Paris geschmuggelt hatte. Um sie nach Amerika zu bringen, bediente sich Elsa der Hilfe von Caroline Blackwood , einer freundlichen Nachbarin aus Princeton , die mit demselben Schiff nach Haus fuhr.
Elsa hatte die Blackwoods einige Monate zuvor in Princeton kennengelernt, und damals hatten diese Nachbarn erwähnt, dass sie die Absicht hatten, nach Palästina und Europa zu reisen und einige Vertreter der zionistischen Bewegung kennenzulernen.
»Ich wusste nicht, dass Sie Juden sind«, sagte Elsa .
Mrs. Blackwood erklärte, sie seien zwar Presbyterianer, aber es gebe eine tiefe Verbindung zwischen der jüdischen Überlieferung und dem Christentum. »Und überdies war Jesus ein Jude .«
Elsa umarmte sie. »Kein Christ hat dies je in meinem Leben zuvor zu mir gesagt.« Außerdem fragte sie, ob Mrs. Blackwood ihr bei der Suche nach einer deutschsprachigen Bibel helfen könne, sie habe die ihre bei dem Fortzug aus Berlin verloren. Mrs. Blackwood trieb ein Exemplar der Lutherbibel auf, die Elsa an ihr Herz drückte. »Ich wünschte, ich hätte einen stärkeren Glauben«, sagte sie zu Mrs. Blackwood .
Elsa hatte sich gemerkt, auf welchem Liniendampfer die Blackwoods zurückreisten, und hatte ihre Rückreise nach Amerika auf demselben Schiff gebucht. Eines Morgens setzte sie sich mit Mrs. Blackwood in die menschenleere Schiffslounge und bat sie um einen Gefallen. Da sie keine US -Staatsbürgerin war, befürchtete sie, die Papiere ihres Mannes könnten an Bord festgehalten werden. Ob die Blackwoods sie an Land bringen möchten?
Sie waren einverstanden, allerdings wollte Mr. Blackwood keine falsche Zollerklärung abgeben. »In Europa erworbenes Material für wissenschaftliche Zwecke«, deklarierte er. Später ging Einstein im Regen zum Schuppen der Blackwoods hinüber, um seine Papiere zu holen. »Habe ich dieses Gefasel geschrieben?«, scherzte er, als er in eine Zeitschrift blickte. Der Sohn der Blackwoods jedoch, der dieser Szene beiwohnte, sollte später berichten, Einstein »war augenscheinlich tief bewegt, dass er wieder im Besitz seiner Bücher und Papiere war«. 29
Ilses Tod und Hitlers endgültige Sicherung seiner Macht durch die »Nacht der langen Messer« im Sommer 1934 beseitigten die letzten Bindungen, die die Einsteins mit Europa hatten. Margot kam in diesem Jahr nach Princeton , nachdem sie sich von ihrem seltsamen russischen Mann getrennt hatte. Hans Albert folgte bald darauf. Sie habe »Europa überhaupt nicht vermisst«, schrieb Elsa bald nach ihrer Rückkehr an Caroline Blackwood . »[Ich] fühle mich diesem Land heimatlich so verbunden.« 30
Als Elsa aus Europa zurückkehrte, fuhr sie zu Einstein in ein Sommerhaus, das er in Watch Hill , Rhode Island, gemietet hatte, eine ruhige Enklave auf einer Halbinsel unweit der Stelle, an der sich der Long Island Sound mit dem Atlantik vereinigt. Es war ein idealer Ort zum Segeln, weshalb Einstein sich auf Elsas Drängen entschloss, den Sommer dort mit seinem Freund Gustav Bucky und dessen Familie zu verbringen.
Bucky war Arzt, Ingenieur, Erfinder und Pionier der Röntgentechnik, ein Deutscher, der die US -Staatsbürgerschaft während der 1920er-Jahre angenommen und Einstein in Berlin kennengelernt hatte. Als Einstein nach Amerika kam, vertiefte sich die Freundschaft mit Bucky ; sie ließen sich sogar gemeinsam eine Vorrichtung zur Steuerung einer fotografischen Blende patentieren. In einem Rechtsstreit über eine andere Erfindung sagte Einstein als Gutachter für Bucky aus. 31
Sein Sohn Peter Bucky übernahm mit Vergnügen die Aufgabe, Einstein im Auto herumzufahren, und hielt seine Erinnerungen später in umfangreichen Notizbüchern fest. Sie vermitteln ein liebenswertes Bild von dem etwas exzentrischen, aber vollkommen schlichten Menschen, der Einstein in seinen späteren Jahren war. Beispielsweise berichtet Peter , wie er mit Einstein in seinem Cabrio fuhr, als es plötzlich zu regnen begann. Einstein nahm seinen Hut ab und steckte ihn unter den Mantel. Als ihn Peter verblüfft ansah, erklärte Einstein: »Sehen Sie, mein Haar hat schon viele Male dem Wasser standgehalten, ich weiß aber nicht, wie viele Male mein Filzhut das aushalten kann.« 32
In Watch Hill genoss Einstein das einfache Leben. Er erkundete die Gassen und ging sogar einkaufen mit Mrs. Bucky. Seine Lieblingsbeschäftigung aber war das Segeln in seinem hölzernen 5-Meter-Boot Tinef – ein jiddisches Wort für Schund. Gewöhnlich segelte er allein, ziellos und – nicht selten – sorglos. »Oft fuhr er den ganzen Tag hinaus, ließ sich einfach treiben«, erinnerte sich ein Mitglied des örtlichen Yachtclubs, der ihn mehr als einmal hatte nach Hause schleppen müssen. »Anscheinend war er draußen, um zu meditieren.«
Wie in Caputh segelte Einstein, wenn Wind war, und kritzelte bei einer Flaute Gleichungen in sein Notizbuch. Einmal fuhr er nachmittags zum Segeln hinaus. »Wir warteten ungeduldig auf seine Rückkehr«, erinnerte sich Bucky . »Schließlich, gegen elf Uhr nachts, entschlossen wir uns, die Küstenwache zu alarmieren. Als sie Einstein, so berichteten sie später, draußen in der Bucht gefunden hätten, wäre er nicht im geringsten besorgt gewesen über seine Lage.«
Irgendwann schenkte ihm ein Freund einen teuren Außenbordmotor für Notfälle. Einstein lehnte ab. Er hatte eine kindliche Freude daran, kleine Risiken einzugehen – noch immer legte er keine Schwimmweste an, obwohl er nicht schwimmen konnte – und an Orte zu segeln, wo er ganz allein sein konnte. »Für den Durchschnittsmenschen wäre eine stundenlange Windstille wohl eine schreckliche Belastung«, sagte Bucky . »Für ihn jedoch hieß das einfach mehr Zeit zum Denken.« 33
Die Legenden um die Rettung des in Seenot geratenen Professors fanden im folgenden Sommer eine Fortsetzung, als die Einsteins ein Haus mieteten in der ebenfalls am Long Island Sound gelegenen Ortschaft Old Lyme , Connecticut. Eine dieser Geschichten schaffte es sogar in die New York Times . »Einstein von Gezeiten und Sandbänken gefangen«, lautete die Schlagzeile. Die Jungen, die ihn retteten, wurden im Haus mit Himbeersaft bewirtet. 34
Elsa liebte das Haus in Old Lyme , obwohl sie und ihre Familie es etwas zu pompös fanden. Das Anwesen umfasste acht Hektar, einschließlich Tennisplatz und Swimmingpool, und das Speisezimmer war so einschüchternd groß, dass sie es anfangs nicht benutzen mochten. »Es ist so fein, daß wir die ersten Tage nur am Gesindetisch gegessen haben«, schrieb Elsa an eine Freundin, »weil es uns im grandiosen Speisezimmer zu grandios vorkam.« 35
Wenn die Sommer vorüber waren, besuchten die Einsteins die Familie Bucky noch ein- oder zweimal in Manhattan. Manchmal logierte Einstein, insbesondere wenn er alleine war, auch im Haus des Witwers Leon Watters , des Pharmaunternehmers, den er in Pasadena kennengelernt hatte. Bei einem seiner Besuche berichtete er dem überraschten Watters , dass er weder Morgenmantel noch Pyjama mithabe. »Wenn ich zu Bett gehe, schlafe ich, wie die Natur mich schuf«, sagte er. Wie Watters sich erinnerte, lieh sich Einstein für die Nacht aber einen Bleistift und einen Notizblock aus.
Weil Einstein höflich und nicht ganz uneitel war, fiel es ihm schwer, Malern und Fotografen abzusagen, die ihn baten, für ihn Modell zu sitzen oder stehen. An einem Wochenende im April 1935, als er bei Watters wohnte, saß Einstein für zwei Maler an einem Tag. Zuerst wurde er von der Frau des Rabbiners Stephen Wise gemalt, die als Künstlerin völlig unbekannt war. Warum er das tue, wollte Watters wissen. »Weil sie eine hübsche Frau ist«, lautete die Antwort.
Etwas später am selben Tag fuhr Watters ihn nach Greenwich Village zu einer Sitzung bei dem russischen Bildhauer Sergei Konjonkow , einem Vertreter des Realismus, der eine bemerkenswerte Büste von Einstein anfertigte, die heute im Institute for Advanced Study steht. Margot , die ebenfalls Bildhauerin war, hatte ihn mit Konjonkow bekannt gemacht. Bald waren sie alle auch mit dessen Frau, Margarita Konjonkowa , befreundet, die eine sowjetische Spionin war, was Einstein nicht wusste. Tatsächlich begann Einstein später, nach Elsas Tod, ein Verhältnis mit Konjonkowa , was, wie wir sehen werden, zu mehr Komplikationen führen sollte, als er jemals erfuhr. 36
Nun, da sie sich entschieden hatten, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, lag es nahe, dass sich Einstein um Einbürgerung bemühte. Beim Besuch im Weißen Haus hatte ihm Präsident Roosevelt geraten, den Vorschlag einiger Kongressabgeordneter anzunehmen, die für ihn ein besonderes Gesetz einbringen wollten, aber Einstein beschloss stattdessen, das normale Verfahren auf sich zu nehmen. Dazu mussten sie alle – außer ihm noch Elsa , Margot und Helen Dukas – das Land verlassen, damit sie nicht als Besucher einreisten, sondern als Menschen, die die Staatsbürgerschaft beantragten.
Daher fuhren sie 1935 alle auf der Queen Mary für ein paar Tage nach Bermuda , um diesen Formalitäten gerecht zu werden. Bei ihrer Ankunft in Hamilton wurden sie vom königlichen Gouverneur empfangen, der ihnen die beiden besten Hotels der Insel empfahl. Einstein fand sie spießig und steif. Als sie durch den Ort gingen, sah er ein bescheidenes Gästehaus, wo sie einkehrten.
Einstein lehnte alle offiziellen gesellschaftlichen Einladungen ab und freundete sich stattdessen in einem Restaurant mit einem deutschen Koch an, der ihn zu einer Segeltour in seinem kleinen Boot einlud. Sieben Stunden blieben sie auf See, sodass Elsa fürchtete, Naziagenten könnten ihren Mann entführt haben. Aber sie traf ihn im Haus des Kochs an, wo er ein Abendessen mit deutschen Speisen genossen hatte. 37
In diesem Sommer wurde in Princeton unweit des Hauses, das sie gemietet hatten, ein anderes zum Kauf angeboten. Ein bescheidener weißer Schindelbau, der mit einem kleinen Vorgarten an einer der hübschen baumbestandenen Hauptstraßen der Ortschaft lag. 112 Mercer Street wurde zu einem weltbekannten Begriff, nicht weil das Gebäude so großartig war, sondern weil es so passend und charakteristisch für den Mann war, der dort lebte. Wie die öffentliche Rolle, die er sich in seinem späteren Leben zulegte, war auch das Haus schlicht, freundlich und gewinnend. Es lag direkt an einer Hauptstraße, gut sichtbar, aber doch ein bisschen versteckt hinter einer Veranda.
Das bescheidene Wohnzimmer wirkte mit Elsas schweren deutschen Möbeln etwas überladen, die sie trotz ihrer vielen Umzüge gerettet hatte. Helen Dukas hatte die kleine Bibliothek im Erdgeschoss als Arbeitszimmer beschlagnahmt, wo sie Einsteins Korrespondenz erledigte und über das einzige Telefon im Haus verfügte (Princeton 1606 war die nicht eingetragene Nummer).
Elsa beaufsichtigte den Bau eines Arbeitszimmers für Einstein im ersten Stock. Sie entfernten einen Teil der Hinterwand und bauten ein Panoramafenster ein, das auf den langen, üppigen Garten hinter dem Haus sah. Die Bücherregale zu beiden Seiten reichten bis zur Decke. Ein großer Holztisch, übersät mit Papieren, Pfeifen und Bleistiften, stand in der Mitte des Raums mit Blick auf das Fenster. Dahinter befand sich ein Sessel, in dem Einstein stundenlang saß und in ein Notizheft auf seinem Schoß schrieb.
Die gewohnten Bilder von Faraday und Maxwell waren an die Wände geheftet. Natürlich gab es auch eins von Newton , das allerdings nach einiger Zeit vom Haken fiel. Zu dieser Versammlung kam noch ein Vierter hinzu: Mahatma Gandhi , Einsteins neuer Held, seit seine Interessen nicht mehr nur wissenschaftlicher, sondern auch politischer Natur waren. Als kleiner Scherz hing an der Wand nur eine einzige Auszeichnung, die gerahmte Bescheinigung von Einsteins Aufnahme in die Berner wissenschaftliche Gesellschaft.
Neben seiner Frauenschar gehörten seinem Haushalt im Laufe der Jahre auch verschiedene Haustiere an. Es gab einen Papagei namens Bibo, der einen unverhältnismäßig hohen Aufwand an medizinischer Versorgung brauchte, eine Katze namens Tiger und den weißen Terrier Chico, der ursprünglich der Familie Bucky gehört hatte. Gelegentlich bereitete Chico Probleme. »Der Hund ist intelligent«, erklärte Einstein. »Er hat Mitgefühl mit mir, weil ich immer so viel Post bekomme, deswegen versucht er den Postboten zu beißen.« 38
»Der Herr Professor fährt nicht«, sagte Elsa oft. »Es ist zu kompliziert.« Stattdessen ging er gern zu Fuß, genauer, er schlurfte jeden Morgen die Mercer Street entlang bis zu seinem Büro im Institut . Anfangs schüttelten die Leute den Kopf, doch schon bald gehörte der Anblick des in Gedanken versunkenen Gelehrten zu einer der Sehenswürdigkeiten des Orts.
Mittags auf dem Heimweg wurde er oft von drei oder vier Professoren oder Studenten begleitet. Einstein blieb ruhig und stumm, als träume er, während seine Begleiter um ihn herumtänzelten, mit den Armen wedelten und Bedeutendes von sich zu geben versuchten. Wenn die Gruppe zum Haus kam, verschwanden die anderen nach und nach, während Einstein manchmal einfach stehen blieb und nachdachte. Ohne es zu bemerken, machte er gelegentlich sogar kehrt und schlenderte wieder in Richtung Institut davon. Dukas , die ihn von ihrem Fenster aus immer im Auge hatte, lief dann hinaus, nahm ihn am Arm und führte ihn nach innen zu seinen Mittagsmakkaroni. Dann hielt er Mittagsschlaf, diktierte Antworten auf die Briefe, die er bekommen hatte, und stieg in sein Arbeitszimmer hinauf, um weitere ein oder zwei Stunden über mögliche einheitliche Feldtheorien zu grübeln. 39
Gelegentlich unternahm er auf eigene Faust weite Wanderungen, die nicht ganz unbedenklich waren. Eines Tages rief jemand beim Institut an und verlangte nach einem bestimmten Dekan. Als dessen Sekretärin erklärte, der Dekan sei nicht abkömmlich, fragte der Anrufer zögernd nach Einsteins Privatadresse. Sie sei nicht befugt, sie weiterzugeben, sagte die Sekretärin. Daraufhin sank die Stimme des Anrufers zu einem Flüstern herab. »Bitte sagen Sie es niemandem«, sagte die Stimme, »aber ich bin Dr. Einstein. Ich bin auf dem Heimweg und habe vergessen, wo mein Haus steht.« 40
Dieser Zwischenfall wurde vom Sohn des betreffenden Dekans zum Besten gegeben, aber wie viele Berichte über Einsteins Zerstreutheit ist wohl auch dieser übertrieben. Das Image des gedankenverlorenen Professors passte so gut und so natürlich zu ihm, dass es sich mit der Zeit immer mehr verstärkte. Es war eine Rolle, die Einstein mit Freude spielte und die seine Nachbarn mit Vergnügen weitererzählten. Und wie viele übernommene Rollen trug auch diese einen Kern von Wahrheit in sich.
Als Einstein beispielsweise bei einem Dinner geehrt wurde, war er so zerstreut, dass er ein Notizbuch aus der Tasche holte und anfing, Gleichungen hineinzuschreiben. Bei seiner Vorstellung feierten ihn die Gäste mit Standing Ovations, aber er war noch immer in seine Gedanken versunken. Dukas machte sich bemerkbar und sagte ihm, er solle aufstehen. Er tat, wie ihm geheißen, aber als er bemerkte, dass die Gäste applaudierten, nahm er an, der Jubel gelte jemand anderem und stimmte kräftig mit ein. Dukas musste herüberkommen und ihm mitteilen, dass der Beifall ihm gelte. 41
Neben den Geschichten über den verträumten Einstein war auch das Bild vom hilfsbereiten Einstein, der einem Kind, meist einem kleinen Mädchen, half, sehr beliebt. Das bekannteste Beispiel aus dieser Kategorie betrifft Adelaide Delong , eine achtjährige Nachbarin in der Mercer Street , die eines Tages bei ihm läutete und ihn um Hilfe bei einer Rechenaufgabe bat. Um ihn zu bestechen, hatte sie einen Teller mit selbst gebackenen Buttertoffees mitgebracht. »Komm rein«, sagte er. »Ich bin sicher, dass wir sie lösen können.« Er erklärte ihr das Prinzip, ließ sie aber die Aufgaben selbst lösen. Für die Bonbons bedankte er sich bei ihr mit einem Keks.
Daraufhin kam das Mädchen regelmäßig wieder. Als ihre Eltern das herausfanden, entschuldigten sie sich überschwänglich. Einstein winkte ab. »Das ist nicht nötig«, sagte er. »Ich habe von Ihrem Kind ebenso viel gelernt wie sie von mir.« Mit einem Lächeln in den Augenwinkeln erzählte er gern und oft von ihren Besuchen. »Sie war ein unartiges Mädchen«, sagte er lachend. »Wissen Sie, dass sie versucht hat, mich mit Bonbons zu bestechen?«
Eine Freundin von Adelaide berichtete, sie und ein anderes Mädchen hätten Adelaide auf einem dieser Besuche begleitet. Als sie oben in seinem Arbeitszimmer ankamen, bot Einstein ihnen ein Mittagessen an, was sie akzeptierten. »Dann nahm er ein dickes Bündel Papiere vom Tisch, öffnete vier Bohnenkonserven mit einem Büchsenöffner und erwärmte sie eine nach der anderen auf einem Kerosinkocher, steckte in jede einen Löffel, und das war unser Essen«, berichtete sie. »Wir bekamen nichts zu trinken.« 42
Ein anderes Mädchen, das sich über seine Probleme mit dem Rechnen beklagte, bedachte er mit dem berühmten Ausspruch: »Mach dir keine Gedanken über deine Schwierigkeiten in Mathematik; ich kann dir versichern, meine sind noch größer.« Doch damit nicht der Eindruck entstand, er helfe nur kleinen Mädchen, lud er eine Gruppe von älteren Schülern der Princeton Country Day School ein, die mit einer Matheaufgabe aus ihrer Abschlussprüfung nicht zurechtkamen. 43
Er half auch Henry Rosso , einem 15-jährigen Schüler der Princeton High School, der schlecht in seinem Journalismuskurs abschnitt. Sein Lehrer hatte jedem die Bestnote A versprochen, dem es gelang, ein Interview mit Einstein zu führen, daher machte Rosso sich in die Mercer Street auf, wurde aber an der Tür abgewiesen. Als er bedrückt davonschlich, gab ihm der Milchmann einen Tipp: Einstein gehe jeden Morgen gegen 9.30 Uhr denselben Weg. Also schwänzte Rosso eines Morgens den Unterricht, suchte sich einen geeigneten Platz und sprach Einstein an, als er vorbeikam.
Rosso war dann aber so aufgeregt, dass ihm nicht einfiel, was er fragen wollte. Vielleicht war das der Grund, warum er in seinem Kurs so schlecht abschnitt. Einstein hatte Mitleid mit ihm und schlug ihm Fragen vor. Keine privaten Themen, verlangte er mit Nachdruck. Er solle stattdessen nach der Mathematik fragen. Rosso war klug genug, dem Vorschlag zu folgen. »Ich habe entdeckt, dass die Natur wunderbar aufgebaut ist, und unsere Aufgabe besteht darin, die mathematische Struktur der Natur selbst herauszufinden«, erklärte Einstein seinen eigenen Bildungsweg mit 15 Jahren. »Es ist eine Art Glauben, der mir in meinem ganzen Leben geholfen hat.«
Für das Interview bekam Rosso ein A. Aber es führte auch zu einer leichten Ernüchterung. Er hatte Einstein versprochen, es nur für die Schulzeitung zu verwenden, aber ohne seine Erlaubnis wurde es von der Zeitung in Trenton aufgegriffen, um anschließend in vielen weiteren rund um die Welt zu erscheinen – eine Lektion in Sachen Journalismus. 44
Bald nachdem sie in das Haus 112 Mercer Street gezogen waren, bekam Elsa ein geschwollenes Auge. Tests zeigten, dass es ein Symptom für Herz- und Nierenprobleme war, woraufhin ihr strenge Bettruhe verordnet wurde.
Gelegentlich las Einstein ihr vor, aber meistens vertiefte er sich noch intensiver in seine Studien. »Mühevolle geistige Arbeit und die Anschauung von Gottes Natur sind die versöhnlichen, stärkenden und doch unnachgiebig strengen Engel, die mich durch alle Schwierigkeiten des Lebens führen werden«, hatte er der Mutter seiner ersten Freundin geschrieben. Damals wie auch jetzt konnte er sich der Unübersichtlichkeit menschlicher Gefühle entziehen, indem er in die elegante Formelwelt eintauchte, die den Kosmos beschrieb. »Mein Mann verbeißt sich fürchterlich in seine Rechnungen«, schrieb Elsa an Watters . »Ich habe ihn noch nie so in seine Arbeit vertieft gesehen.« 45
Ein freundlicheres Bild von ihrem Mann zeichnete Elsa , als sie ihrer Freundin Antonina Vallentin schrieb. »Albert hat derart um mich gebangt, dass er elend und gedrückt herumging« berichtete sie. »Ich hatte nie gedacht, daß er derart an mir hängt. Das tut gut.«
Elsa meinte, es würde ihnen guttun, wenn sie wie üblich in die Sommerfrische führen, daher mieteten sie ein Ferienhaus am Saranac Lake in den Adirondack Mountains im Bundesstaat New York. »Dort soll ich genesen«, sagte sie. »Käme jetzt mein Ilschen herein, ich wäre sofort ganz gesund.« 46
Es wurde ein wunderbarer Sommer, aber im Winter war Elsa wieder bettlägerig und wurde schwächer. Sie starb am 20. Dezember 1936.
Ihr Tod traf Einstein härter, als er erwartet hatte. Er weinte sogar, wie er es getan hatte, als seine Mutter gestorben war. »Nie habe ich Einstein eine Träne vergießen sehen« berichtete Peter Bucky . »Doch dieses Mal tat er es, als er seufzte: ›Ach, ich werde sie wirklich vermissen.‹« 47
Ihre Ehe war keine ideale Liebesbeziehung. Vor der Heirat waren Einsteins Briefe voller Zärtlichkeit, doch die verflüchtigte sich im Laufe der Jahre. Manchmal konnte er gereizt und anspruchsvoll sein, war scheinbar unempfänglich für ihre emotionalen Bedürfnisse und gelegentlich einem Flirt oder mehr mit anderen Frauen nicht abgeneigt.
Doch in vielen Liebesbeziehungen, die sich zu Partnerschaften entwickeln, gibt es unter der Oberfläche eine Tiefe, die sich der Wahrnehmung Außenstehender entzieht. Elsa und Albert mochten sich, verstanden sich und, was vielleicht am meisten zählte (weil sie beide auf ihre Weise sehr klug waren), machten sich übereinander lustig. So war das Band zwischen ihnen vielleicht nicht der Stoff für Liebeslyrik, aber von solider Beschaffenheit, geprägt durch die Befriedigung ihrer wechselseitigen Wünsche und Bedürfnisse. Es war echt, und es kam beiden Seiten in gleicher Weise zustatten.
Wie nicht anders zu erwarten, fand Einstein Trost in seiner Arbeit. Er gestand Hans Albert , dass er Schwierigkeiten habe, sich zu konzentrieren, aber allein der Versuch erlaube ihm, der schmerzlichen persönlichen Situation zu entkommen. »Solange ich in der Lage bin zu arbeiten, darf und werde ich mich nicht beklagen, weil Arbeit das Einzige ist, was dem Leben Substanz verleiht.« 48
Als er ins Büro kam, war er »aschfahl vor Schmerz«, berichtete sein Kollege Banesh Hoffmann , doch er bestand darauf, sich jeden Tag aufs Neue in die Arbeit zu stürzen. Er brauche sie mehr denn je, sagte er. »Anfangs blieb es zwar bei traurigen Versuchen, sich zu konzentrieren«, berichtete Hoffmann , »aber dieser Schmerz war nicht der erste, und er wusste aus Erfahrung, dass die Arbeit ein unschätzbares Gegenmittel war.« 49 In diesem Monat waren sie gemeinsam mit zwei größeren Arbeiten beschäftigt: In der einen untersuchten sie, wie die Ablenkung des Lichts durch Gravitationsfelder von Galaxien »kosmische Linsen« erzeugen könnte, durch die ferne Sterne vergrößert erschienen, in der anderen ging es um die Frage, ob es Gravitationswellen gebe. 50
Max Born erfuhr von Elsas Tod in einem Brief von Einstein, in dem dieser das Ereignis eigentlich nur in einem Nachsatz erwähnte, als er erklärte, warum er kaum noch am sozialen Leben teilnahm. »Ich habe mich hier vortrefflich eingelebt, hause wie ein Bär in seiner Höhle und fühle mich eigentlich mehr zuhause als je in meinem wechselvollen Leben«, schrieb er seinem alten Freund. »Diese Bärenhaftigkeit ist durch den Tod der mehr mit den Menschen verbundenen Kameradin noch gesteigert.« Born zeigte sich später verwundert, dass Einstein das Ableben seiner Frau so »nebenbei anzeigt«. »Bei aller Freundlichkeit, Umgänglichkeit und Menschenliebe«, kommentierte Born , »war er eben doch ganz unabhängig von seiner Umgebung und den dazugehörigen Menschen.« 51
Das war nicht wirklich wahr. Für einen selbst ernannten Höhlenbären versammelte Einstein, wo er ging und stand, einen stattlichen Clan um sich. Egal, ob er vom Institut nach Hause ging, sich in der Nähe seines Hauses aufhielt oder sich mit den Watters oder Buckys im Sommer ein Ferienhaus teilte oder das Wochenende in Manhattan verbrachte, Einstein war selten allein, ausgenommen, er stieg zu seinem Arbeitszimmer hoch. Er konnte eine ironische Distanz herstellen, wenn er sich in seine Träumereien zurückzog, aber ein wirklicher Eigenbrötler war er nur in seinen eigenen Gedanken.
Nachdem Elsa gestorben war, wohnten Helen Dukas und seine Stieftochter Margot noch bei ihm, und bald darauf zog noch seine Schwester bei ihm ein. Maja hatte mit ihrem Mann Paul Winteler in der Nähe von Florenz gelebt. Aber als Mussolini 1938 allen ausländischen Juden die Aufenthaltsberechtigung entzog, reiste Maja allein nach Princeton . Einstein, der liebevoll an ihr hing, war überglücklich.
Auch den mittlerweile 33-jährigen Hans Albert forderte Einstein auf, nach Amerika zu kommen, zumindest besuchsweise. Ihre Beziehung war zwar holprig gewesen, Einstein hatte jedoch die ingenieurwissenschaftliche Sorgfalt seines Sohns schätzen gelernt, insbesondere galt das für Hans Alberts Arbeit über Flussläufe, hatte Einstein sich doch einmal selbst mit dem Thema beschäftigt. 52 Inzwischen hatte er auch seine Meinung geändert und den Sohn ermutigt, Kinder in die Welt zu setzen. Über seine beiden kleinen Enkel war er ausgesprochen glücklich.
Im Oktober 1937 traf Hans Albert zu einem dreimonatigen Aufenthalt ein. Einstein holte ihn am Pier ab, wo sie sich den Fotografen stellten und Hans Albert sich im Scherz eine lange holländische Pfeife ansteckte, die er seinem Vater als Geschenk mitgebracht hatte. »Mein Vater sähe es gerne, wenn ich mit meiner Familie herkäme«, sagte er. »Sie müssen wissen, seine Frau ist kürzlich gestorben, und er fühlt sich jetzt sehr allein.« 53
Während des Besuchs erklärte sich der junge und beflissene Peter Bucky erbötig, Hans Albert durch Amerika zu fahren, damit er sich Universitäten ansehen und herausfinden konnte, wo ein Professor für Ingenieurwesen gesucht wurde. Die Reise, die gut 15.000 Kilometer umfasste, führte über Salt Lake City, Los Angeles , Iowa City, Knoxville, Vicksburg, Cleveland , Chicago , Detroit und Indianapolis. 54 Einstein berichtete Mileva Marić , wie sehr er das Zusammensein mit ihrem gemeinsamen Sohn genossen habe. »Er ist eine so großartige Persönlichkeit«, schrieb er. »Es ist schade, dass er diese Frau hat, aber was soll ich tun, wenn er glücklich ist?« 55
Einstein hatte Frieda einige Monate zuvor geschrieben und ihr nahegelegt, ihren Mann nicht auf der Reise zu begleiten. 56 Doch nachdem die alte Zuneigung zu Hans Albert wiedererwacht war, drängte Einstein die beiden im folgenden Jahr, zusammen mit ihren beiden Kindern zurückzukehren und in Amerika zu bleiben. Das taten sie. Hans Albert fand in Clemson , South Carolina, eine Stellung in einem Außenposten des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, in dem der Feststofftransport in Fließgewässern erforscht wurde. Ganz dem Geschmack seines Vaters gemäß ließ Hans Albert ein einfaches Holzhaus errichten, das an das Sommerhaus in Caputh erinnerte, und beantragte im Dezember 1938 die US -Staatsbürgerschaft . 57
Während sein Vater sich stärker mit seinem jüdischen Erbe auseinandersetzte, wurde Hans Albert unter dem Einfluss seiner Frau zum Anhänger der Christian-Science -Kirche. Die Ablehnung medizinischer Hilfe, wie sie teilweise von den Anhängern dieser Lehre praktiziert wird, führte zu tragischen Ergebnissen. Einige Monate nach ihrer Ankunft erkrankte ihr sechsjähriger Sohn Klaus an Diphtherie und starb. Er wurde auf einem winzigen Friedhof in Greenville beigesetzt. »Das tiefste Leid, das liebevolle Eltern erfahren können, wurde euch zuteil«, schrieb Einstein in einem Beileidsbrief. Die Beziehung zu seinem Sohn wurde immer stabiler und mitunter gar liebevoll.
Während der fünf Jahre, die Hans Albert in South Carolina lebte, bevor er ans Caltech ging und dann nach Berkeley , bestieg Einstein gelegentlich den Zug, um ihn zu besuchen. Dann sprachen sie über technische Probleme, die Einstein an seine Zeit am Berner Patentamt erinnerten. Nachmittags wanderte er manchmal durch die Straßen und Wälder, oft tief in Gedanken versunken, und verhalf so den erstaunten Einheimischen, die ihm den Weg nach Hause zeigten, zu einer Reihe sehr heiterer Anekdoten. 58
Da Eduard an einer psychischen Störung litt, durfte er nicht nach Amerika einreisen. Mit fortschreitender Krankheit wurde sein Gesicht aufgedunsen, während sich seine Sprechweise verlangsamte. Daher zogen sich seine Aufenthalte in der Klinik immer mehr in die Länge. Marić’ Schwester Zorka , die gekommen war, um bei Eduards Pflege zu helfen, versank in ihrer eigenen Hölle. Nachdem ihre Mutter gestorben war, wurde sie zur Alkoholikerin, verbrannte versehentlich das Geld der Familie, das in einem alten Ofen versteckt war, und starb 1938 völlig vereinsamt auf dem strohbedeckten Küchenfußboden, nur von ihren Katzen umgeben. 59 All das erlebte Marić in wachsender Verzweiflung.
In der Rückschau betrachtet, erwies sich der NS -Aufstieg als eine radikale moralische Herausforderung für Amerika. Damals war das allerdings nicht so klar. Das galt vor allem für Princeton , eine konservative Stadt, und seine Universität, wo sich eine erstaunliche Anzahl von Studenten tummelten, die jenen etwas verschwommenen antisemitischen Vorstellungen anhingen, die bei einigen in ihrer sozialen Schicht gang und gäbe waren. 1938 erbrachte eine Umfrage unter Studienanfängern ein Ergebnis, das heute erstaunt und es damals eigentlich auch hätte sollen: Adolf Hitler erzielte den höchsten Wert unter den »größten lebenden Menschen«. Albert Einstein kam auf den zweiten Platz. 60
Im selben Jahr schrieb Einstein den Artikel »Why do They Hate the Jews?« (Warum hassen sie die Juden ?) für die wöchentlich erscheinende Publikumszeitschrift Collier’s . Dabei beschäftigte er sich nicht nur mit dem Antisemitismus , sondern versuchte auch zu erklären, mit welcher sozialen Grundhaltung die meisten Juden aufwachsen, einer Einstellung, nach der auch er zu leben versuchte und die Teil einer langen und stolzen Tradition war. »Was die Juden verbindet und seit Jahrtausenden verbunden hat, ist in erster Linie das demokratische Ideal der sozialen Gerechtigkeit und die Idee der Pflicht zur gegenseitigen Hilfe und Duldsamkeit aller Menschen untereinander.« 61
Das Gefühl der Verbundenheit mit seinen Stammesgenossen und das Entsetzen über das Leid, das sie erdulden mussten, veranlassten ihn, sich mit aller Kraft für die Flüchtlingshilfe einzusetzen. Es waren sowohl öffentliche wie private Bemühungen. Er hielt Dutzende von Reden zu dem Thema, wurde auf noch mehr Benefizbanketts gefeiert und trat gelegentlich mit Geigenvorträgen bei Veranstaltungen des American Friends Service Committee oder des United Jewish Appeal auf. Der Trick bestand oft darin, dass die Veranstalter die Schecks auf Einstein ausstellen ließen. Er indossierte sie dann an die Wohltätigkeitsorganisation weiter. Als Erinnerung hatte der Stifter dann einen Barscheck mit Einsteins Autogramm. 62 Außerdem half er stillschweigend zahlreichen Flüchtlingen, die finanzielle Sicherheiten für die Auswanderung brauchten, insbesondere als die Vereinigten Staaten die Visavergabe erschwerten.
Einstein wurde auch zu einem Fürsprecher der Rassengleichheit. Als Marian Anderson , die schwarze Altistin, 1937 ein Konzert in Princeton geben wollte, verweigerte ihr der Nassau Inn die Unterkunft. Daher lud Einstein sie ein, bei ihm in der Mercer Street zu wohnen, Das war eine zutiefst persönliche Geste, aber zugleich eine von größter öffentlicher Symbolik. Zwei Jahre später, als ihr der Auftritt in der Constitution Hall in Washington untersagt wurde, gab sie ein berühmtes kostenloses Konzert auf den Stufen des Lincoln Memorial. Jedes Mal, wenn sie nach Princeton zurückkehrte, wohnte sie bei Einstein, zum letzten Mal zwei Monate vor ihrem Tod. 63
Einsteins Bereitschaft, seine Unterschrift für höchst vielfältige Bewegungen, Anfragen und Ehrenvorsitze herzugeben, war insofern problematisch, als es sich oft um Fassaden für kommunistische oder andere subversive Vereinigungen handelte. Dieser vermeintliche Frevel wurde in den Augen der Leute, die an seiner Loyalität zweifelten, noch durch den Umstand verschlimmert, dass er es ablehnte, Erklärungen zu unterzeichnen, die sich gegen Stalin oder die Sowjets wendeten.
Als beispielsweise sein Freund Isaac Don Levine , dessen antikommunistische Schriften Einstein noch kurz zuvor unterstützt hatte, ihn 1934 bat, eine Petition zu unterschreiben, die Stalins Morde an politischen Gefangenen verurteilte, verweigerte sich Einstein: »Ich bedaure unendlich, dass sich die politische Führung Russlands dazu hat hinreißen lassen«, schrieb Einstein. »Trotzdem kann ich mich mit Ihrer Aktion nicht solidarisieren. Sie wird keinen Einfluss auf Russland haben. Die Russen haben bewiesen, dass es ihnen wirklich einzig darum geht, das Los des russischen Volks zu verbessern.« 64
Das war eine sehr einseitige Sicht auf die Russen und Stalins mörderisches Regime, eine Sicht, die die Geschichte widerlegen sollte. Einstein war so entschlossen, die Nazis zu bekämpfen, und so verärgert über Levines radikalen Richtungswechsel von links nach rechts, dass er heftig auf jeden reagierte, der die russischen Säuberungen mit dem späteren Holocaust der Nazis gleichsetzte.
Als 1936 eine noch längere Folge von Prozessen anstand, in denen die Unterstützer des im Exil lebenden Leo Trotzki angeklagt werden sollten, wies Einstein abermals ehemalige Freunde von der Linken ab, die jetzt zu leidenschaftlichen Antikommunisten mutiert waren. Der Philosoph Sidney Hook , ein geläuterter Marxist, bat Einstein in einem Brief, die Einsetzung einer internationalen Kommission zu befürworten, die sich dafür einsetzen sollte, dass Trotzkis Unterstützer einen fairen Prozess statt nur einen Schauprozess bekämen. »Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass jede angeklagte Person Gelegenheit bekommen sollte, ihre Unschuld zu beweisen«, erwiderte Einstein. »Das gilt natürlich auch für Trotzki .« Aber wie lasse sich das erreichen? Einstein schlug vor, es auf privatem Wege zu versuchen, nicht durch eine öffentliche Kommission. 65
In einem sehr langen Brief versuchte Hook , jeden Einwand von Einstein zu widerlegen, aber dieser verlor das Interesse an der Auseinandersetzung mit Hook und verzichtete auf eine Antwort. Daraufhin rief Hook in Princeton an. Er erreichte Helen Dukas und schaffte es irgendwie, die von ihr errichtete Schutzmauer zu überwinden und einen Termin zu bekommen.
Freundlich empfing Einstein seinen Gast, stieg mit ihm in sein Arbeitszimmer hoch, rauchte eine Pfeife und sprach Englisch. Nachdem er sich Hooks Argumente erneut angehört hatte, brachte er sein Verständnis zum Ausdruck, erklärte aber, er räume dem ganzen Unternehmen wenig Erfolgschancen ein. »Aus meiner Sicht«, erklärte er, »sind Stalin und Trotzki beide politische Gangster.« Hook sagte später, er sei zwar nicht Einsteins Meinung gewesen, habe aber »seine Gründe verstanden«, insbesondere da Einstein betont habe, er sei sich durchaus »bewusst, wozu Kommunisten fähig sind«.
In einem alten Sweatshirt und ohne Socken begleitete Einstein Hook zum Bahnhof. Unterwegs machte er seinem Ärger über die Deutschen Luft. Sie hätten sein Haus in Caputh nach kommunistischen Waffen durchsucht und nur ein altes Brotmesser beschlagnahmt. Eine Bemerkung, die er machte, erwies sich als besonders hellsichtig. »Falls und wenn es zum Krieg kommt«, sagte er, »wird Hitler erkennen, welchen Schaden er Deutschland zugefügt hat, indem er die jüdischen Wissenschaftler vertrieben hat.« 66