Leó Szilárd , ein charmanter, etwas exzentrischer ungarischer Physiker, war schon länger mit Einstein befreundet. In den 1920er-Jahren hatten sie beide in Berlin gelebt und gemeinsam einen neuen Eisschranktyp entwickelt, ihn patentieren lassen, aber nicht vermarkten können. 1 Nachdem Szilárd vor den Nazis geflohen war, gelangte er zunächst nach England und dann nach New York , wo er an der Columbia University untersuchte, wie sich eine Kettenreaktion hervorrufen lässt, eine Idee, die ihm einige Jahre zuvor gekommen war, während er an einer Ampel in London gewartet hatte. Als er von der Entdeckung der Kernspaltung mithilfe von Uran hörte, erkannte er, dass dieses Element ihm möglicherweise bei der Auslösung seiner potenziell explosiven Kettenreaktion helfen könnte.
Die Möglichkeit erörterte Szilárd mit seinem Freund Eugene Wigner , einem weiteren emigrierten Physiker aus Budapest . Sie begannen sich Sorgen zu machen, die Deutschen könnten versuchen, die Uranvorräte im Kongo aufzukaufen, der damals eine belgische Kolonie war. Doch sie wussten nicht, wie sie – zwei ungarische Flüchtlinge in Amerika – eine Möglichkeit finden sollten, die Belgier zu warnen. Dann erinnerte sich Szilárd , dass Einstein zufälligerweise mit der Königinmutter des Landes befreundet war.
Einstein verbrachte den Sommer in einem gemieteten Sommerhaus auf dem nördlichen Ausläufer im Osten Long Islands , an der Great Peconic Bay gegenüber den Dörfern der Hamptons. Dort segelte er mit seinem kleinen Boot Tinef , kaufte im örtlichen Supermarkt Sandalen und spielte Bach mit dem Eigentümer des Geschäfts. 2
»Wir wussten, dass Einstein irgendwo auf Long Island war, aber hatten keine Ahnung, wo genau«, erinnerte sich Szilárd . Daher rief er Einsteins Büro in Princeton an, wo man ihm mitteilte, Einstein habe das Haus von einem gewissen Dr. Moore in dem Dorf Peconic gemietet. Am Sonntag, dem 16. Juli 1939, brachen sie zu ihrer Mission auf; dabei saß Wigner am Steuer (wie Einstein fuhr Szilárd kein Auto).
Doch als sie eintrafen, konnten sie das Haus nicht finden, und niemand schien einen Dr. Moore zu kennen. Sie wollten schon aufgeben, da erblickte Szilárd einen kleinen Jungen am Straßenrand. »Weißt du zufällig, wo Professor Einstein wohnt?« Der Junge wusste das, wie die meisten Menschen in dem Städtchen, selbst wenn sie keine Ahnung hatten, wer Dr. Moore war. Er führte sie zu einem Ferienhaus fast am Ende der Old Grove Road, wo sie Einstein antrafen, in Gedanken versunken. 3
Sie setzten sich an den rohen Holztisch auf der Veranda des spärlich möblierten Häuschens, und Szilárd erklärte, wie in einem Gebilde aus sich abwechselnden Schichten von Uran und Grafit durch die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen eine explosive Kettenreaktion ausgelöst werden konnte. »Daran habe ich nie gedacht!«, unterbrach Einstein ihn. Er stellte einige Fragen, vergegenwärtigte sich den Prozess fünfzehn Minuten lang und begriff dann rasch die ganze Tragweite. Statt an die Königinmutter zu schreiben, schlug Einstein vor, sollten sie sich an einen belgischen Minister wenden, den er kannte.
Wigner , der sich wohl ein gewisses Maß an vernünftiger Selbsteinschätzung bewahrt hatte, vertrat die Ansicht, drei Flüchtlinge sollten vielleicht kein Schreiben an eine ausländische Regierung aufsetzen, um ohne Rücksprache mit dem US -Außenministerium geheime Sicherheitsfragen zu erörtern. Daher kamen sie zu dem Schluss, der richtige Weg sei wohl, dass Einstein, der Einzige, der genügend Beachtung fände, einen Brief an den belgischen Botschafter aufsetzte, der dem Empfänger zusammen mit einem Anschreiben an das US -Außenministerium zugestellt würde. Mit diesem vorläufigen Plan im Kopf diktierte Einstein einen Entwurf auf Deutsch. Wigner übersetzte ihn, gab ihn seiner Sekretärin zum Tippen und schickte ihn an Szilárd . 4
Ein Freund ermöglichte Szilárd einige Tage später eine Unterredung mit Alexander Sachs , der Volkswirt bei Lehman Brothers und ein Freund von Präsident Roosevelt war. Sachs , der sich ein bisschen besser auskannte als die drei theoretischen Physiker , bestand darauf, dass der Brief direkt ans Weiße Haus gerichtet werde, und bot sich an, ihn persönlich zu überbringen.
Szilárd traf Sachs zwar zum ersten Mal, fand aber sofort Gefallen an dessen kühnem Plan. »Wenn wir es so versuchen, kann der Brief überhaupt keinen Schaden anrichten«, schrieb er Einstein. Solle die Überarbeitung per Telefon oder im persönlichen Gespräch erfolgen, wollte er wissen. Einstein antwortete, er solle wieder nach Peconic kommen.
Zu diesem Zeitpunkt weilte Wigner zu Besuch in Kalifornien. Daher rekrutierte Szilárd als wissenschaftlichen Beistand Edward Teller , einen anderen Freund aus der erstaunlichen Gruppe von ungarischen Flüchtlingen, die theoretische Physiker waren. 5 »Ich glaube, sein Rat ist wertvoll, aber ich könnte mir auch vorstellen, dass es Sie freuen wird, ihn kennenzulernen«, schrieb Szilárd an Einstein. »Er ist ausgesprochen nett.« 6 Ein weiteres Plus war der große 1935er Plymouth, den Teller besaß. So fuhr Szilárd erneut nach Peconic .
Im Gepäck hatte Szilárd den ursprünglichen Entwurf, den sie zwei Wochen zuvor aufgesetzt hatten, doch Einstein war klar, dass sie jetzt einen Brief formulieren mussten, bei dem es um weit mehr ging, als nur einen belgischen Minister aufzufordern, bei den kongolesischen Uranexporten Obacht zu geben. Der bekannteste Wissenschaftler der Welt war im Begriff, den Präsidenten der Vereinigten Staaten aufzufordern, er solle in Betracht ziehen, eine Waffe von fast unvorstellbarer Wirkung zu entwickeln, die die Energie des Atoms entfesseln könne. »Einstein diktierte einen Brief auf Deutsch«, berichtete Szilárd später, »den Teller aufschrieb. Diesen deutschen Text verwendete ich als Vorlage für zwei Fassungen eines Briefs an den Präsidenten.« 7
Nach Tellers Aufzeichnungen sprach Einstein in seinem diktierten Entwurf nicht nur die Frage des kongolesischen Urans an, sondern wies auch auf die Möglichkeit von Kettenreaktionen hin, erklärte, dass sich daraus eine neue Bombenart entwickeln lassen könnte, und drängte den Präsidenten, sich offiziell mit den Physikern in Verbindung zu setzen, die auf diesem Feld forschten. Daraus machte Szilárd zwei Fassungen, schickte sie Einstein – eine 45-zeilige und eine 25-zeilige Version, beide auf den 2. August 1939 datiert – »und überließ es Einstein, die auszuwählen, die ihm am besten gefiel«. Einstein unterzeichnete beide mit kleinem Gekritzel, statt mit dem üppigen Schwung, den er sonst gelegentlich verwendete. 8
Es folgen Ausschnitte aus der längeren Version, die schließlich in Roosevelts Hände gelangte:
Sir,
einige mir im Manuskript vorliegende Arbeiten von E. Fermi und L. Szilárd lassen mich annehmen, dass das Element Uran in absehbarer Zeit in eine neue wichtige Energiequelle verwandelt werden könnte. Gewisse Aspekte der Situation scheinen die Aufmerksamkeit der Regierung und wenn nötig rasche Aktionen zu erfordern. Ich halte es daher für meine Pflicht, Ihnen die folgenden Fakten und Vorschläge zu unterbreiten.
(…) [Es wurde] die Möglichkeit geschaffen, in großen Uranmassen atomare Kettenreaktionen zu erzeugen, die nur durch gewaltige Energiemengen und große Quantitäten neuer Radium-ähnlicher Elemente ausgelöst wurden. Es scheint jetzt fast sicher, dass dies in der allernächsten Zeit gelingen wird.
Das neue Phänomen würde auch zum Bau von Bomben führen, und es ist denkbar, obwohl weniger sicher, dass auf diesem Wege neuartige Bomben von höchster Detonationsgewalt hergestellt werden können. Eine einzige Bombe dieser Art, auf einem Schiff befördert oder in einem Hafen explodiert, könnte unter Umständen den ganzen Hafen und Teile der umliegenden Gebiete völlig vernichten. (…)
Im Hinblick auf diese Situation mögen Sie es für wünschenswert erachten, dass ein ständiger Kontakt zwischen der Regierung und der Gruppe von Physikern in Amerika hergestellt wird, die an dem Zustandekommen der Kettenreaktion arbeiten.
Sie endete mit dem warnenden Hinweis, dass deutsche Wissenschaftler bereits mit der Entwicklung der Bombe beschäftigt sein könnten. Nachdem der Brief unterschrieben und unterzeichnet war, mussten sie sich noch immer darüber klar werden, wer ihn Roosevelt persönlich übergeben sollte. Bei Sachs hatte Einstein seine Zweifel. Stattdessen zogen sie den Finanzier Bernard Baruch und Karl Compton , den Präsidenten des Massachusetts Institute of Technology , in Betracht.
Noch erstaunlicher war der Vorschlag, den Szilárd unterbreitete, als er die getippte Version des Briefs zurücksandte. Charles Lindbergh sollte es sein, dessen Atlantikalleinüberquerung ihn zwölf Jahre zuvor zu einer Berühmtheit gemacht hatte. Den drei emigrierten Juden war offensichtlich entgangen, dass der Pilot einige Zeit in Deutschland verbracht hatte, der Nazi Hermann Göring ihm das von Adolf Hitler gestiftete Großkreuz des Deutschen Adlerordens verliehen hatte und Lindbergh sich zum Isolationisten und Roosevelt -Gegner entwickelt hatte.
Einige Jahre zuvor hatte Einstein in New York eine kurze Begegnung mit Lindbergh gehabt, daher verfasste er ein kurzes Informationsschreiben, dem er die unterzeichneten Briefe von Szilárd beifügte. »Ich möchte Sie bitten, mir den Gefallen zu tun, meinen Freund Dr. Szilárd zu empfangen und sehr sorgfältig über die Dinge nachzudenken, die er Ihnen mitteilen wird«, schrieb Einstein an Lindbergh . »Jemandem, der nicht mit den Naturwissenschaften vertraut ist, mögen die Fragen, die er zur Sprache bringt, phantastisch erscheinen. Aber Sie werden sicherlich zu der Überzeugung gelangen, dass hier eine Möglichkeit angesprochen wird, die im öffentlichen Interesse sehr genau beobachtet werden muss.« 9
Lindbergh antwortete nicht, daher schrieb Szilárd ihm am 13. September einen Erinnerungsbrief und bat erneut um ein Treffen. Zwei Tage später, als Lindbergh eine landesweit ausgestrahlte Rundfunkansprache hielt, erkannten sie, wie ahnungslos sie gewesen waren. Es war ein leidenschaftlicher Aufruf zum Isolationismus . »Die Geschicke dieses Landes rufen nicht zu einer Beteiligung an europäischen Kriegen auf«, begann Lindbergh . Durchsetzt war die Rede mit Lindberghs Sympathiebekundungen für Deutschland und sogar einigen antisemitischen Anklängen, als es um jüdische Anteile an den Medien ging. »Wir müssen fragen, wer die Zeitungen besitzt und beeinflusst, die Nachrichtenbilder und die Rundfunksender«, sagte er. »Wenn unser Volk die Wahrheit kennt, wird es nicht in den Krieg eintreten.« 10
In seinem nächsten Brief an Einstein konstatierte Szilárd , was offensichtlich war: »Lindbergh ist nicht unser Mann.« 11
Ihre andere Hoffnung war Alexander Sachs , der den von Einstein unterzeichneten offiziellen Brief an Roosevelt erhalten hatte. Obwohl die Angelegenheit offensichtlich von größter Bedeutung war, konnte Sachs fast zwei Monate lang keine Gelegenheit finden, den Brief zu übergeben.
Inzwischen hatten die Ereignisse aus einem wichtigen Brief einen dringenden gemacht. Ende August versetzten Nazis und Sowjets die Welt in einen Schockzustand, als sie ihren Nichtangriffspakt unterzeichneten und sich anschickten, Polen unter sich aufzuteilen. Das veranlasste Großbritannien und Frankreich, den Krieg zu erklären, womit der Zweite Weltkrieg begann. Zunächst blieb Amerika neutral oder verzichtete zumindest auf eine Kriegserklärung. Allerdings begann das Land, aufzurüsten und alle Waffen zu entwickeln, die es für eine künftige Kriegsbeteiligung brauchte.
Szilárd suchte Sachs Ende September auf und war entsetzt, als er feststellte, dass der noch immer nicht in der Lage gewesen war, einen Termin bei Roosevelt zu bekommen. »Es ist durchaus möglich, dass Sachs uns nichts nützen wird«, schrieb Szilárd an Einstein. »Wigner und ich haben beschlossen, ihm eine Frist von zehn Tagen zu geben.« 12 Mit knapper Not hielt Sachs den Termin ein. Am Mittwochnachmittag, dem 11. Oktober, wurde Sachs ins Oval Office geführt, ausgerüstet mit Einsteins Brief, Szilárds Memo und einer selbst geschriebenen Zusammenfassung von achthundert Wörtern.
Herzlich begrüßte ihn der Präsident . »Was haben Sie auf dem Herzen, Alex ?«
Sachs konnte redselig sein, weshalb die Entourage des Präsidenten es ihm wohl so schwer machte, einen Termin zu bekommen, und er neigte dazu, dem Präsidenten Gleichnisse zu erzählen. Dieses Mal war es eine Anekdote über einen Erfinder, der Napoleon angeblich erzählt hatte, dass er dem Kaiser ein neues Schiff bauen wolle, welches von Dampf statt von Segeln angetrieben werde. Napoleon erklärte ihn für verrückt. Anschließend verriet Sachs , dass der Besucher Robert Fulton gewesen sei. Und die Moral von der Geschicht’: Der Kaiser hätte besser zugehört. 13
Roosevelt schrieb eine Notiz für einen Berater, der davoneilte und bald darauf mit einer Flasche sehr altem und sehr seltenem Napoleon -Kognak zurückkehrte, von dem Roosevelt berichtete, er befinde sich schon lange im Familienbesitz. Der Präsident goss zwei Gläser ein.
Sachs befürchtete, dass Roosevelt , wenn er ihm die Unterlagen daließ, nur einen Blick darauf werfen und sie beiseiteschieben werde. Er gelangte zu dem Schluss, er könne dem Präsidenten die Botschaft nur dann zuverlässig übermitteln, wenn er sie ihm laut vorlese. Vor dem Schreibtisch des Präsidenten stehend, las er ihm die Zusammenfassung von Einsteins Brief, Teile aus Szilárds Memo und einige andere Abschnitte aus historischen Dokumenten vor.
»Alex , du willst also dafür sorgen, dass uns die Nazis nicht in die Luft jagen?«, fragte der Präsident .
Roosevelt rief seinen Stabschef. »Da muss gehandelt werden«, erklärte er. 14
An diesem Abend wurde die Einsetzung eines Ad-hoc-Ausschusses beschlossen. Die Koordination sollte Dr. Lyman Briggs übernehmen, der Direktor des Bureau of Standards , gewissermaßen des Physiklaboratoriums der Nation. Einstein war nicht mit von der Partie und wollte auch nicht dabei sein. Weder war er Kernphysiker, noch schätzte er die Nähe von Politikern oder Militärs. Aber sein ungarisches Emigrantentrio – Szilárd , Wigner und Teller – war anwesend, um die Sache ins Rollen zu bringen.
In der Woche darauf erhielt Einstein einen höflichen und offiziellen Dankesbrief von dem Präsidenten . »Ich habe einen Ausschuss einberufen«, schrieb Roosevelt , »um die Möglichkeiten Ihres Vorschlags betreffs des Elementes Uran gründlich untersuchen zu lassen.« 15
Nur langsam kam die Arbeit am Atomprojekt voran. Im Laufe der nächsten Monate bewilligte die Roosevelt -Regierung nur 6000 Dollar für Experimente mit Grafit und Uran . Szilárd wurde ungeduldig. Seine Überzeugung, dass Kettenreaktionen machbar seien, festigte sich, und seine Besorgnis angesichts der Berichte, die er von anderen Migranten über die Aktivitäten in Deutschland erhielt, wurde immer größer.
Daher fuhr er im März 1940 wieder nach Princeton , um Einstein zu besuchen. Sie setzten einen weiteren Brief auf, den Einstein unterschreiben sollte. Adressiert war er zwar an Alexander Sachs , aber nur, damit dieser ihn dem Präsidenten überbrachte. Dort wurde auf alle Entwicklungsarbeiten am Uran verwiesen, die nach Kenntnis der Verfasser in Berlin durchgeführt wurden. Angesichts der Fortschritte bei der Auslösung von Kettenreaktionen mit gewaltigem Explosionspotenzial baten sie den Präsidenten, sich zu überlegen, ob die amerikanische Seite rasch genug vorankäme. 16
Daraufhin berief Roosevelt eine Konferenz ein, um der Angelegenheit größere Dringlichkeit zu verleihen, und wies die Verantwortlichen an, Einstein einzubeziehen. Aber Einstein verspürte kein Bedürfnis nach stärkerer Beteiligung. Er erwiderte, er habe eine Erkältung – eine bequeme Ausrede – und müsse an dem Treffen nicht teilnehmen. Aber er drängte die Gruppe, sich zu beeilen: »Ich bin davon überzeugt, dass es klug und dringlich ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Arbeit rascher und in größerem Maßstab durchgeführt werden kann.« 17
Selbst wenn Einstein gewünscht hätte, an den Treffen teilzunehmen, die das Manhattan-Projekt – die Entwicklung der Atombombe – vorbereiteten, wäre er vielleicht nicht willkommen gewesen. Erstaunlicherweise wurde ausgerechnet der Mann, der das Projekt mit in die Wege leitete, von einigen Leuten als so hohes Sicherheitsrisiko eingeschätzt, dass man ihn besser nicht einweihte.
Brigadegeneral Sherman Miles , der amtierende Generalstabschef des Heeres, der den neuen Ausschuss organisierte, schickte im Juli 1940 einen Brief an J. Edgar Hoover , der bereits seit sechzehn Jahren FBI -Direktor war und es noch zweiunddreißig Jahre lang bleiben sollte. Er redete Hoover mit seinem Dienstgrad bei der Nationalgarde als »Colonel Hoover « an und spielte damit indirekt auf ihren militärischen Rangunterschied an, da es um nachrichtendienstliche Fragen ging. Doch Hoover erwies sich als äußerst auskunftswillig, als ihn Miles um eine Zusammenfassung der Informationen bat, die das FBI über Einstein zusammengetragen hatte. 18
Hoover schickte General Miles zunächst den Brief von Mrs. Frothinghams Woman Patriot Corporation , in dem sie 1932 die Ansicht vertreten hatte, Einstein dürfe kein Visum bekommen, weil er verschiedene pazifistische und politische Gruppierungen unterstützt habe. 19 Das FBI hatte keine Versuche unternommen, irgendeine dieser Anschuldigungen zu überprüfen oder zu bewerten.
Weiterhin meinte Hoover , Einstein sei 1932 am Antikriegskongress in Amsterdam beteiligt gewesen, in dessen Komitee einige Kommunisten gesessen hätten. Das war die Konferenz, deren Besuch oder Unterstützung Einstein, wie oben erwähnt, ausdrücklich und öffentlich abgelehnt hatte. Den Organisatoren hatte er geschrieben: »Ich kann mich nicht entschließen, ihn [einen Aufruf zu dem Kongress] zu unterzeichnen, weil er eine Glorifizierung Sowjetrusslands enthält.« Außerdem hatte Einstein Russland in dem Brief vorgeworfen, »eine völlige Unterdrückung der Person und der Meinungsäußerung« zu betreiben. Trotzdem deutete Hoover an, Einstein habe den Kongress unterstützt und sei folglich prosowjetisch eingestellt. 20
Hoovers Brief hatte noch sechs weitere Paragrafen, in denen sich ähnliche Anspielungen auf eine Vielzahl angeblicher Verbindungen Einsteins fanden, von pazifistischen Gruppen bis zu Spaniens Loyalisten. Angehängt war eine biografische Skizze voller trivialer Fehlinformationen (»hat ein Kind«) und wilden Vermutungen. Er wurde dort als »extrem radikal« bezeichnet, was er sicherlich nicht war, und es hieß von ihm: »hat an kommunistischen Zeitschriften mitgearbeitet«, was nicht der Fall war. General Miles war so entsetzt über das Memo, dass er eine Warnung an den Rand schrieb: »Könnte uns um die Ohren fliegen«, falls je etwas durchsickerte. 21
Die Schlussfolgerung der nicht unterzeichneten biografischen Skizze war heftig: »Angesichts dieses radikalen Hintergrunds kann dieses Büro [FBI ] die Beschäftigung von Dr. Einstein in geheim eingestuften Angelegenheiten nicht ohne genaueste Überprüfung empfehlen, da es unwahrscheinlich ist, dass ein Mensch mit diesem Hintergrund in so kurzer Zeit ein loyaler amerikanischer Bürger werden könnte.« In einem Memo aus dem folgenden Jahr wurde berichtet, dass die Marine bereit war, Einstein eine Sicherheitsfreigabe zu erteilen, aber »das Heer keine Unbedenklichkeitserklärung abgeben konnte«. 22
Kurz nachdem das Heer zu seiner Entscheidung gekommen war, unternahm Einstein etwas, was er seit vierzig Jahren nicht mehr getan hatte, als er Deutschland verlassen und Geld gespart hatte, um Schweizer Staatsbürger werden zu können. Er wollte aus Überzeugung und voller Stolz ein Bürger der Vereinigten Staaten werden, ein Prozess, der fünf Jahre zuvor begonnen hatte, als er per Schiff auf die Bermudas gereist war, um mit einem Einwanderungsvisum zurückkehren zu können. Noch immer hatte er die Schweizer Staatsbürgerschaft und einen Schweizer Pass. Er hätte es also nicht tun müssen, doch er wollte es.
Am 22. Juni 1940 unterzog er sich dem Einbürgerungstest vor einem Bundesrichter in Trenton . Um das Ereignis zu feiern, willigte er in ein Rundfunkinterview ein, das im Rahmen der Serie I am an American der Einwanderungsbehörde gesendet wurde. Der Richter lud zum Mittagessen ein und hatte die Radioleute in seine Räume gebeten, um Einstein die Prozedur zu erleichtern. 23
Es war ein besonderer Tag, auch weil Einstein unter Beweis stellte, welcher Typ eines frei seine Meinung aussprechenden Bürgers er wäre. In seiner Rundfunkrede vertrat er die Ansicht, dass die Staaten der Welt in Zukunft einen Teil ihrer Souveränität an einen internationalen Völkerbund würden abgeben müssen. »Eine weltweite Organisation kann den Frieden nicht dauerhaft sichern, wenn sie nicht Kontrolle über die gesamte Militärmacht seiner Mitglieder bekommt«, sagte er. 24
Einstein bestand seinen Test und wurde am 1. Oktober zusammen mit seiner Stieftochter Margot , seiner Assistentin Helen Dukas und sechsundachtzig weiteren Neubürgern vereidigt. Anschließend pries er gegenüber den Journalisten, die über seine Einbürgerung berichteten, die Vorzüge Amerikas. Diese Nation beweise, erklärte er, dass Demokratie nicht nur eine Regierungsform sei, sondern »eine Lebensweise, die fest auf eine große Tradition gegründet ist, die Tradition moralischer Stärke«. Auf die Frage, ob er nun auf andere Bindungen verzichten werde, erklärte er heiter, er würde sogar auf sein »geliebtes Segelboot verzichten«, wenn es nötig sei. 25 Nicht nötig war es jedoch, dass er auf seine eidgenössische Staatsbürgerschaft verzichtete, und das tat er auch nicht.
Als er das erste Mal nach Princeton kam, war Einstein beeindruckt von Amerika, weil es ein Land war – oder doch hätte sein können –, das frei von der rigiden Klassenhierarchie und Unterwürfigkeit Europas war. Aber was ihn mit der Zeit noch tiefer beeindruckte und ihn im Grunde zu einem guten, wenn auch kritikfreudigen Amerikaner machte, war die Toleranz des Landes für freies Denken, freie Rede und nonkonformistische Überzeugungen. Das war ein Maßstab seiner wissenschaftlichen Arbeit gewesen und wurde es nun für sein staatsbürgerliches Handeln.
Hitler -Deutschland hatte er mit der öffentlichen Erklärung verlassen, dass er nicht in einem Land zu leben gedenke, in dem den Menschen die Freiheit, eigene Gedanken zu haben und zu äußern, verweigert werde. »Damals habe ich noch nicht ganz verstanden, wie richtig meine Entscheidung für Amerika war, da ich doch nach einem solchen Ort suchte«, schrieb er kurz nach der Einbürgerung in einem unveröffentlichten Essay. »Überall höre ich, wie Männer und Frauen ihre Meinung über Kandidaten für öffentliche Ämter und über die Probleme des Tages ohne Furcht vor Konsequenzen zum Ausdruck bringen.«
Die Schönheit Amerikas, sagte er, liege darin, dass seine Toleranz für die Ideen jedes Menschen ohne die »brutale Gewalt und Furcht« auskomme, die in Europa herrsche. »So wie ich die Amerikaner kennengelernt habe, denke ich, dass das Leben für sie nicht lebenswert wäre ohne diese Freiheit, ihre Meinung zu äußern.« 26 Wie hoch Einstein diesen zentralen Wert der amerikanischen Kultur einschätzte, wird auch deutlich angesichts seiner kalten Wut und Missbilligung, die er empfand, als einige Jahre später während der McCarthy -Ära das Land eine Zeit erlebte, in der Menschen mit unliebsamen Meinungen eingeschüchtert wurden.
Mehr als zwei Jahre nachdem Einstein und seine Kollegen nachdrücklich auf den möglichen Bau von Atomwaffen hingewiesen hatten, begannen die Vereinigten Staaten das supergeheime Manhattan-Projekt . Das geschah am 6. Dezember 1941, passenderweise einen Tag bevor die Japaner Pearl Harbor überfielen und damit den Kriegseintritt der USA herbeiführten.
Da so viele Physiker, die er kannte – Wigner , Szilárd , Oppenheimer , Teller –, in irgendwelche obskuren Städte verschwunden waren, konnte Einstein sich ausrechnen, dass der von ihm empfohlene Bombenbau nun mit größerer Dringlichkeit vorangetrieben wurde. Doch weder bat er um eine Beteiligung am Manhattan-Projekt , noch erhielt er eine offizielle Mitteilung darüber.
Es gab viele Gründe, warum er nicht heimlich an Orte wie Los Alamos oder Oak Ridge gerufen wurde. Er war kein Kernphysiker und kein Experte für die wissenschaftlichen Fragen, die sich bei dem Bau ergaben. Außerdem wurde er, wie erwähnt, als Sicherheitsrisiko eingestuft. Und obwohl er seine pazifistischen Bedenken beiseitegeschoben hatte, äußerte er nie den Wunsch oder das Verlangen, an dem Projekt beteiligt zu werden.
Trotzdem bot sich ihm in diesem Dezember die Möglichkeit einer begrenzten Mitwirkung. Vannevar Bush , der Direktor des Office of Scientific Research and Development , dem die Aufsicht über das Manhattan-Projekt oblag, setzte sich mit Einstein über Frank Aydelotte in Verbindung, den Mann, der Flexner als Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton nachgefolgt war. Einstein sollte bei einem Problem helfen, in dem es um die Trennung von Isotopen ging, also von unterschiedlichen Atomkernen mit den gleichen chemischen Eigenschaften. Einstein kam der Bitte nur zu gern nach. Gestützt auf die alten Kenntnisse, die er bei der Arbeit mit Osmose und Diffusion gewonnen hatte, beschäftigte er sich jetzt mit dem Prozess der Gasdiffusion , bei dem eine Uranverbindung in Gas verwandelt und durch Filter geleitet wird. Aus Gründen der Geheimhaltung durfte er seine Arbeit weder von Helen Dukas noch sonst jemandem abtippen lassen, daher schickte er sie in seiner sorgsamen Handschrift zurück.
»[Wie gesagt,] war Einstein an Ihrem Problem sehr interessiert, hat ein paar Tage daran gearbeitet und eine Lösung gefunden, die ich hiermit beilege«, schrieb Aydelotte an Bush . »Einstein bittet mich, Ihnen zu sagen, dass, sollte es andere Aspekte des Problems geben, die er für Sie entwickeln soll, oder sollten Sie den Wunsch haben, dass er bestimmte Teile ausführlicher darstellt, Sie ihm das nur mitzuteilen brauchen. Er ist gern bereit, alles zu tun, was in seiner Macht steht. Ich hoffe sehr, dass Sie bei allem, was Ihnen einfällt, von seinem Angebot Gebrauch machen, weil ich weiß, welche tiefe Befriedigung er empfindet, etwas zu tun, das der nationalen Anstrengung zugutekommen könnte.« In einem Nachsatz fügte Aydelotte hinzu: »Ich hoffe, Sie können seine Handschrift lesen.« 27
Die Wissenschaftler, die Einsteins Arbeit erhielten, waren beeindruckt und besprachen sie mit Vannevar Bush . Doch Einstein wäre für sie von größerem Nutzen, sagten sie, wenn man ihn genauer darüber informieren würde, wie die Isotopentrennung mit anderen Teilen der Bombenherstellung zusammenhänge.
Bush lehnte ab. Er wusste, dass Einstein Schwierigkeiten haben würde, eine Sicherheitsfreigabe zu erhalten. »Ich glaube, ich sollte ihn nicht so weit in die Angelegenheit einweihen, dass er wüsste, wie sich diese Sache in das Verteidigungsbild einfügt«, schrieb Bush an Aydelotte . »Ich wünschte sehr, ich könnte ihm die ganze Sache darlegen und ihn rückhaltlos ins Vertrauen ziehen, aber das ist völlig unmöglich angesichts der Haltung der Leute hier in Washington , die seine ganze Geschichte unter die Lupe genommen haben.« 28
Später, während des Krieges , half Einstein bei weniger geheimen Projekten. Ein Navy-Leutnant suchte ihn im Institut auf und bat ihn um Hilfe bei Problemen mit bestimmten Waffensystemen. Er war begeistert. Wie Aydelotte anmerkte, hatte er sich seit seiner kurzen, aufregenden Arbeit über Uranisotope vernachlässigt gefühlt. Zu den Problemen, die Einstein im Rahmen eines Beratungsvertrages von 25 Dollar pro Tag zu lösen versuchte, gehörte die Frage, wie man in japanischen Häfen Seeminen am günstigsten platzierte, und verschiedene Probleme, die sein Freund, der Physiker George Gamow , schilderte, als er ihn besuchte und um Rat fragte. »Ich bin zwar in der Navy, brauche aber keinen entsprechenden Haarschnitt«, scherzte er im Gespräch mit Kollegen, die sicherlich Schwierigkeiten hatten, sich Einstein mit Bürstenhaarschnitt vorzustellen. 29
Einstein trug auch zu den Kriegsanstrengungen bei, indem er ein Manuskript seiner Abhandlung über die spezielle Relativitätstheorie stiftete, das bei einer Werbeaktion für Kriegsanleihen versteigert werden sollte. Es war nicht das Original, das hatte er weggeworfen, nachdem die Arbeit veröffentlicht worden war, nicht ahnend, dass es einmal Millionen wert sein werde. Um das Manuskript wiederherzustellen, ließ er Helen Dukas den Artikel laut vorlesen, sodass er ihn niederschreiben konnte. »Habe ich das wirklich so ausgedrückt?«, wollte er einmal wissen. Als ihm Dukas versicherte, dass dem so sei, murrte er: »Das hätte ich einfacher sagen können.« Nachdem er gehört hatte, dass das Manuskript zusammen mit einem anderen für 11,5 Millionen Dollar verkauft worden sei, meinte er: »Die Wirtschaftswissenschaftler müssen ihre Werttheorien revidieren.« 30
Der Physiker Otto Stern , der seit ihren gemeinsamen Tagen in Prag mit Einstein befreundet war, hatte an den geheimen Arbeiten des Manhattan-Projekts mitgewirkt, vor allem in Chicago , und war sich Ende 1944 wohl ziemlich sicher, dass es erfolgreich sein werde. In September des Jahres besuchte er Princeton . Was Einstein hörte, entsetzte ihn. Er war sich sicher, egal, ob die Bombe im Krieg eingesetzt wurde oder nicht, sie würde das Wesen von Krieg und Frieden für immer verändern. Stern und er waren sich darin einig, dass es nötig sei, dies den Politikern bewusst zu machen, bevor es zu spät war.
Daher beschloss Einstein, Niels Bohr einen Brief zu schreiben. Zwar hatten sie sich über die Quantenmechanik gestritten, aber Einstein vertraute seinem Urteil in irdischeren Fragen. Einstein gehörte zu den wenigen Menschen, die wussten, dass sich Bohr , der Halbjude war, heimlich in den Vereinigten Staaten aufhielt. Als die Nazis Dänemark überfielen, war ihm und seinem Sohn in einem kleinen Boot eine kühne Flucht nach Schweden gelungen. Von dort hatte man ihn mit einem falschen Pass auf den Namen Nicholas Baker nach England gebracht und dann in die Vereinigten Staaten geschickt, um sich in Los Alamos am Manhattan-Projekt zu beteiligen.
Einstein schrieb an Bohr , gab dessen richtigen Namen an und schickte den Brief an die dänische Botschaft in Washington . Irgendwie landete er bei Bohr . Darin beschrieb Einstein sein besorgniserregendes Gespräch mit Stern , in dem sie beide beklagt hatten, dass so wenig über die künftige Kontrolle der Atomwaffen nachgedacht werde. »Die Politiker können die Möglichkeiten nicht einschätzen und kennen daher das Ausmaß der Bedrohung nicht«, schrieb Einstein. Er wiederholte seine Forderung nach einer ausreichend mit Macht ausgestatteten Weltregierung , die ein Wettrüsten verhindern könne, sobald das Zeitalter der Atomwaffen eingetreten sei. »Wissenschaftler, die wissen, wie sie sich bei den politisch Verantwortlichen Gehör verschaffen können«, drängte Einstein, »sollten in ihren Ländern Druck auf die politische Führung ausüben, um eine Internationalisierung der militärischen Macht zu erreichen.« 31
Damit begann die politische Mission, die Einstein während des letzten Jahrzehnts seines Lebens beschäftigen sollte. Schon als Jugendlicher in Deutschland hatte er sich vom Nationalismus abgestoßen gefühlt, und seit Langem vertrat er die Ansicht, dass sich Kriege am besten verhindern ließen, indem man eine Weltautorität schuf, die das Recht hatte, Streitigkeiten zu schlichten, und die über die Macht verfügte, ihre Beschlüsse durchzusetzen. Jetzt, angesichts der drohenden Gefahr einer Waffe, die so schrecklich war, dass sie Krieg und Frieden auf ewig zu verändern vermochte, war dieser Weg für Einstein nicht mehr ein Ideal, sondern eine Notwendigkeit.
Bohr war von Einsteins Brief beunruhigt, allerdings aus anderen Gründen, als Einstein gehofft hatte. Der Däne teilte Einsteins Wunsch nach einer Internationalisierung der Atomwaffen und hatte diese Regelung Anfang des Jahres in gesonderten Treffen mit Churchill und Roosevelt vorgeschlagen. Doch anstatt sie zu überzeugen, hatte er nur die beiden Regierungschefs veranlasst, ihren Nachrichtendiensten eine gemeinsame Anweisung zu geben, in der es hieß: »Es sollten Nachforschungen über die Aktivitäten von Professor Bohr angestellt und Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass er sich keiner Weitergabe von Informationen an die Russen schuldig gemacht hat.« 32
Deshalb begab sich Bohr , kaum dass er Einsteins Brief erhalten hatte, eiligst nach Princeton . Er wollte seinen Freund beschützen und ihn dazu bringen, vorsichtig zu sein. Gleichzeitig war er bestrebt, seinen Ruf wiederherzustellen, indem er Regierungsvertretern berichtete, was Einstein sagte.
Während ihres Privatgesprächs in dem Haus in der Mercer Street teilte Bohr Einstein mit, dass es »höchst beklagenswerte Folgen« haben würde, wenn jemand, der von der Entwicklung der Bombe wüsste, diese Information weitergäbe. Verantwortliche Politiker in Washington und London seien sich bewusst, welche Gefahr durch die Bombe heraufbeschworen werde, aber sie wüssten auch, dass dies »die einmalige Gelegenheit [sei], ein harmonisches Verhältnis zwischen den Nationen zu fördern«.
Einstein ließ sich überzeugen. Er versprach, er werde keine Informationen weitergeben, von denen er gehört habe, und werde seine Freunde drängen, nichts zu unternehmen, was die amerikanische und britische Außenpolitik komplizieren könne. Um seinen Worten Taten folgen zu lassen, setzte er sofort einen Brief an Stern auf, der – für Einsteins Verhältnisse – bemerkenswert umsichtig war. »Ich habe den Eindruck, dass man sich ernsthaft bemühen muss, verantwortungsvoll zu handeln, dass man am besten daran täte, gegenwärtig nicht über die Angelegenheit zu sprechen, und dass es im Augenblick in keiner Weise hilfreich wäre, sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen«, schrieb er. Er achtete sorgfältig darauf, nichts zu verraten, noch nicht einmal sein Treffen mit Bohr . »Es ist schwierig, mich so nebulös auszudrücken, aber gegenwärtig kann ich nichts anderes tun.« 33
Einsteins einzige Intervention vor Ende des Krieges wurde abermals von Szilárd veranlasst, der ihn im März 1945 besuchte und ihm seine Befürchtungen hinsichtlich des Einsatzes der Bombe mitteilte. Klar war, dass Deutschland, nur noch wenige Wochen von der Niederlage entfernt, keine Bombe herstellte. Also warum hatten die Amerikaner es so eilig, den Bau der ihren so zu beschleunigen? Und sollten sich die Politiker nicht lieber zweimal überlegen, ob sie sie gegen Japan einsetzten, wenn es für den Sieg möglicherweise nicht nötig war?
Einstein erklärte sich bereit, einen weiteren Brief an Präsident Roosevelt zu schreiben, in dem er ihn drängte, sich mit Szilárd und anderen besorgten Wissenschaftlern zu treffen, wobei er sich große Mühe gab, Unwissenheit vorzutäuschen. »Ich weiß nichts über den Gegenstand der Überlegungen und Empfehlungen, die Dr. Szilárd Ihnen zu unterbreiten beabsichtigt«, schrieb Einstein. »Die Geheimhaltungsbedingungen, unter denen Dr. Szilárd gegenwärtig arbeitet, erlauben ihm nicht, mir Informationen über seine Arbeit zu geben; aber ich habe verstanden, dass er jetzt sehr besorgt ist über den mangelnden Kontakt zwischen den Wissenschaftlern, die diese Arbeit verrichten, und den Mitgliedern Ihres Kabinetts, die für die Richtlinien der Politik verantwortlich sind.« 34
Roosevelt hat den Brief nie gelesen. Er wurde nach Roosevelts Tod am 12. April in seinem Büro gefunden und an Harry Truman übergeben, der ihn seinerseits an seinen designierten Außenminister James Byrnes weiterreichte. Das Ergebnis war ein Treffen zwischen Szilárd und Byrnes in South Carolina, doch Byrnes zeigte sich weder berührt noch beeindruckt.
Die Atombombe wurde ohne relevante weitere politische Debatten am 6. August 1945 auf Hiroshima abgeworfen. Einstein befand sich in diesem Sommer am Saranac Lake in den Adirondacks und hielt gerade Mittagsschlaf. Helen Dukas berichtete ihm davon, als er zum Tee herunterkam. »O weh!«, sagte er nur. 35
Drei Tage später wurde die Bombe abermals eingesetzt, dieses Mal in Nagasaki . Am folgenden Tag veröffentlichte die Regierung in Washington eine lange Geschichte über das Geheimprojekt des Bombenbaus . Verfasser war der Physikprofessor Henry DeWolf Smyth von der Princeton University. Zu Einsteins dauerhaftem Missbehagen wurde dem Brief, den er 1939 an Roosevelt geschrieben hatte, im Smyth -Bericht hinsichtlich des Projektbeginns große historische Bedeutung beigemessen.
Der Einfluss, der diesem Brief nachgesagt wurde, und die fundamentale Beziehung zwischen Energie und Masse, die Einstein vierzig Jahre zuvor formuliert hatte, schufen in der öffentlichen Vorstellung ein Bild, in dem er untrennbar mit dem Bau der Bombe verknüpft war, obwohl seine tatsächliche Beteiligung marginal war. Time brachte sein Porträt aufs Cover, im Hintergrund ein Atompilz, auf dem E = mc 2 prangte. In einem Artikel, der unter dem Namen des Redakteurs Whittaker Chambers erschien, hieß es dort im typischen Prosa-Duktus der damaligen Zeit:
Hinter der ungeheuren Druckwelle und Feuersbrunst, die der Explosion folgen, erscheinen für diejenigen, die sich für Ursache und Wirkung in der Geschichte interessieren, verschwommen die Züge eines scheuen, fast heiligmäßigen kleinen Mannes mit sanften braunen Augen, den abfallenden Gesichtsfalten eines alten, müden Jagdhundes und Haaren wie Nordlicht (…) Albert Einstein hat nicht unmittelbar an der Atombombe mitgearbeitet. Aber er war aus zwei schwerwiegenden Gründen der Vater der Bombe : 1) auf seine Initiative hin wurde die US -amerikanische Bomben-Forschung begonnen; 2) seine Gleichung (E = mc 2 ) machte die Atombombe theoretisch möglich. 36
Diese Wahrnehmung der Öffentlichkeit machte ihm zu schaffen. Als Newsweek eine Titelgeschichte über ihn mit der Überschrift versah »Der Mann, der alles in Gang brachte«, entlockte ihm das eine bemerkenswerte Klage. »Hätte ich gewusst, dass es den Deutschen nicht gelingt, eine Atombombe herzustellen«, sagte er, »hätte ich keinen Finger gerührt.« 37
Natürlich konnten weder er noch Szilárd oder einer ihrer an der Bombenentwicklung beteiligten Freunde, viele von ihnen Flüchtlinge vor den NS -Gräueln, auch nur ahnen, dass so brillante Naturwissenschaftler wie Heisenberg , die sie in Berlin zurückgelassen hatten, den Geheimnissen der Bombe nicht auf die Spur kommen würden. »Aber vielleicht kann man mir verzeihen«, sagte Einstein einige Monate vor seinem Tod in einem Gespräch mit Linus Pauling , »weil wir alle das Gefühl hatten, daß die Deutschen an diesem Problem arbeiten und Erfolg haben könnten und die Atombombe einsetzen würden, um die Herrenrasse zu werden.« 38