Einige Wochen nach dem Abwurf der Atombomben verhielt sich Einstein ungewohnt zurückhaltend. Er wies Reporter ab, die am Saranac Lake an seine Tür klopften, und lehnte es sogar ab, gegenüber Arthur Hays Sulzberger , der Herausgeber der New York Times und Nachbar seines Sommerdomizils war, eine Stellungnahme abzugeben, als dieser anrief. 1
Erst als er Mitte September im Begriff war, sein Sommerhaus zu verlassen, mehr als einen Monat nach dem Abwurf der Bomben , war Einstein bereit, sich den Fragen des Reporters einer Nachrichtenagentur zu stellen. Einstein legte Wert auf die Feststellung, dass die Bombe unterstreiche, wie wichtig seine langjährige Forderung nach einem Weltföderalismus sei. »Die einzige Rettung für die Zivilisation und die Menschheit ist die Schaffung einer Weltregierung «, sagte er. »Solange souveräne Staaten über Waffen und sogar geheime Waffen verfügen, werden neue Weltkriege unvermeidlich sein.« 2
In der Weltpolitik verfolgte Einstein das gleiche Ziel wie in der Wissenschaft: Er suchte nach einem einheitlichen System von Prinzipien, das aus Anarchie Ordnung schaffen konnte. Ein System, das aus souveränen Staaten bestand, die eigene Streitkräfte, konkurrierende Ideologien und gegensätzliche nationale Interessen hatten, würde unvermeidlich zu weiteren Kriegen führen. Daher meinte er, die Idee einer Weltautorität sei eher realistisch als idealistisch, eher praktisch als naiv.
Während der Kriegsjahre hatte er sich vorsichtig verhalten. Er lebte als Flüchtling in einem Land, das seine militärische Macht für höhere und nicht nationalistische Zwecke nutzte. Doch das Kriegsende veränderte die Situation. Das tat auch der Abwurf der Atombombe . Die wachsende Zerstörungskraft offensiver Waffen führte zu einer entsprechenden Dringlichkeit, eine Weltstruktur zu finden, die Sicherheit garantierte. Es wurde Zeit für ihn, sich wieder politisch zu äußern.
Die verbleibenden zehn Jahre seines Lebens wetteiferte sein leidenschaftlicher Wunsch, eine vereinheitlichte Regierungsstruktur für den Erdball zu finden, mit dem, eine einheitliche Feldtheorie zu entdecken, die alle Kräfte der Natur zusammenfassen konnte. Obwohl die beiden Suchen in vielerlei Hinsicht verschieden waren, drückte sich doch in beiden sein instinktives Verlangen nach transzendenter Ordnung aus. Außerdem zeigte sich in beiden Einsteins Bereitschaft zum Nonkonformismus , die unerschütterliche Gelassenheit, mit der er herrschende Einstellungen und Meinungen infrage stellte.
Einen Monat nach dem Abwurf der Bombe unterzeichnete eine Gruppe von Wissenschaftlern eine Erklärung, die verlangte, dass ein Völkerrat gegründet werde, der die Atomwaffen kontrolliere. Einstein reagierte mit einem Brief an J. Robert Oppenheimer , der das wissenschaftliche Projekt in Los Alamos so erfolgreich geleitet hatte. Er sei erfreut über die Motive der Erklärung, sagte Einstein, er kritisierte die politischen Empfehlungen jedoch als »offenkundig unzureichend«, weil sie die Rolle souveräner Nationen als der letzten Entscheidungsträger unangetastet ließen. »Es ist ausgeschlossen, dass wir Frieden haben können ohne eine Regierungsorganisation, die in ihren internationalen Beziehungen gegenüber Einzelstaaten Gesetze erlassen und durchsetzen kann.«
Höflich wies Oppenheimer in seinem Antwortschreiben darauf hin, »dass die Erklärungen, die Sie mir zuschreiben, nicht die meinen sind«. Die hatte eine andere Gruppe von Wissenschaftlern geschrieben. Trotzdem äußerte er Einwände gegen Einsteins Forderung nach einer echten Weltregierung : »Die Geschichte dieser Nation bis zum Bürgerkrieg zeigt, wie schwierig die Schaffung einer föderalen Autorität sein kann, wenn es in den Werten der Gesellschaften, die sich zusammenschließen wollen, tiefgreifende Unterschiede in den Wertvorstellungen gibt.« 3 So wurde Oppenheimer der erste jener Nachkriegs-Realisten, die Einstein vorhielten, er sei zu idealistisch. Natürlich hätte man dieses Argument umdrehen und am Beispiel des Bürgerkriegs zeigen können, wie schrecklich die Gefahr sei, keine sichere föderale Regierung mit Militärhoheit zu besitzen, wenn es zwischen den Mitgliedstaaten zu Wertkonflikten komme.
Einstein schwebte eine »Weltregierung « oder »Weltautorität « vor, die ein militärisches Gewaltmonopol besaß. Er nannte sie ein »übernationales« Gebilde und nicht ein »internationales«, weil es über seinen Mitgliedstaaten und nicht als Vermittler zwischen souveränen Staaten fungieren sollte. 4 Nach Einsteins Auffassung konnten die Vereinten Nationen , die im Oktober 1945 gegründet wurden, diese Kriterien nicht im Mindesten erfüllen.
Im Laufe der nächsten Monate arbeitete Einstein seine Vorschläge in einer Reihe von Aufsätzen und Interviews genauer aus. Der wichtigste Aufsatz entstand aus einem Briefwechsel mit Raymond Gram Swing , einem Kommentator des Rundfunksenders ABC . Einstein lud Swing ein, ihn in Princeton zu besuchen, und das Ergebnis war, wie Einstein Swing berichtete, ein Artikel in der Novemberausgabe des Atlantic mit dem Titel »Atomkrieg oder Frieden«. 5
Die drei Großmächte Vereinigte Staaten, Großbritannien und Russland sollten, so Einstein in seinem Artikel, gemeinsam die neue Weltregierung gründen und dann die anderen Nationen zur Mitwirkung auffordern. Mit Rückgriff auf einen etwas irreführenden Ausdruck, der damals in der öffentlichen Debatte viel verwendet wurde, forderte er, Washington solle das »Geheimnis der Bombe « dieser neuen Organisation überlassen. 6 Die einzige wirklich praktikable Möglichkeit zur Kontrolle der Atomwaffen bestand seiner Meinung nach darin, das militärische Gewaltmonopol an eine Weltregierung abzutreten.
Zu diesem Zeitpunkt, Ende 1945, entwickelte sich gerade der Kalte Krieg . Amerika und Großbritannien gerieten in Konflikt mit Russland , weil es Polen und anderen von der Roten Armee besetzten osteuropäischen Gebieten kommunistische Regime aufzwang. Russland seinerseits war bestrebt, eine Sicherheitszone zu schaffen, und reagierte sehr nervös auf jeden vermeintlichen Versuch einer Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Daher lehnte die sowjetische Führung es strikt ab, irgendeinen Teil seiner Souveränität an eine Weltregierung abzutreten.
Einstein wollte aus diesem Grund deutlich machen, dass die Weltregierung , die er sich vorstellte, nicht versuchen würde, überall eine liberale Demokratie westlicher Art durchzusetzen. Er schlug ein Weltparlament vor, das direkt vom Volk jedes Mitgliedstaates in geheimer Abstimmung gewählt und nicht von den Regierungschefs der Länder eingesetzt wurde. Dazu »wäre eine Verfassungsänderung der drei Großmächte nicht erforderlich«, fügte er zur Beruhigung Russlands hinzu. »Die Mitgliedschaft in einem übernationalen Sicherheitssystem sollte meiner Meinung nach nicht von der Einhaltung streng demokratischer Grundsätze abhängen.«
Ein Problem, das Einstein nicht ganz lösen konnte, war die Frage, inwieweit die Weltregierung befugt sein solle, in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einzugreifen. Sie müsse in der Lage sein, »sich in allen Ländern dort einzuschalten, wo eine Minderheit die Mehrheit unterdrückt«, schrieb er und nannte Spanien als Beispiel. Doch das zwang ihn zu Verrenkungen in der Überlegung, wie dieser Maßstab auf Russland anzulegen sei. »Man darf nicht vergessen, daß das russische Volk noch keine langjährige politische Schulung besitzt«, beschwichtigte er, »und daß die Minderheit all die Änderungen zur Verbesserung der russischen Zustände nur deshalb durchgeführt hat, weil die Mehrheit noch nicht dazu imstande war.«
Einstein sah sich zu seinen Bemühungen, künftige Kriege zu vermeiden, nicht nur durch seine alten pazifistischen Instinkte veranlasst, sondern auch, wie er zugab, durch seine Schuldgefühle wegen der Rolle, die er zu Beginn des Atombombenprojekts gespielt hatte. Auf einem Dinner des Nobelpreiskomitees in Manhattan erklärte er, Alfred Nobel , der Erfinder des Dynamits, habe den nach ihm benannten Preis gestiftet, um dafür »zu büßen«, dass er »einen Explosivstoff von bis dahin unerreichter destruktiver Gewalt« erfunden hatte. Er sah sich in einer ähnlichen Situation. »Heute sind die Physiker, die die mächtigste Waffe der Welt bauen halfen, von ähnlichen Verantwortungs-, um nicht zu sagen Schuldgefühlen geplagt«, sagte er. 7
Diese Empfindungen waren wohl dafür verantwortlich, dass er im Mai 1946 die bedeutendste politische Funktion seines Lebens übernahm. Er wurde Vorsitzender des neu gebildeten Emergency Committee of Atomic Scientists (ECAS – Notstandskomitee der Atomwissenschaftler), das sich für die Rüstungskontrolle der Kernwaffen und eine Weltregierung einsetzte. »Die entfesselte Energie des Atoms hat alles bis auf unsere Denkweisen verändert«, sagte Einstein in einem telegrafischen Spendenaufruf desselben Monats, »und so treiben wir einer nie dagewesenen Katastrophe entgegen.« 8
Leó Szilárd war der geschäftsführende Direktor und übernahm den größten Teil der organisatorischen Arbeit. Doch Einstein, der den Vorsitz bis Ende 1948 innehatte, hielt Reden, führte den Vorsitz bei Konferenzen und nahm seine Rolle ernst. »Unsere Generation hat die revolutionärste Kraft seit der Entdeckung des Feuers durch den vorgeschichtlichen Menschen in die Welt gebracht«, sagte er. »Diese fundamentale Kraft lässt sich nicht mit dem überlebten Begriff der engstirnigen Nationalismen vereinbaren.« 9
Die Truman -Regierung schlug eine Reihe von Plänen zur internationalen Kontrolle der Atomwaffen vor, doch keiner war – absichtlich oder nicht – so formuliert, dass er von Moskau unterstützt wurde. Infolgedessen schuf der Streit über die geeignetste Vorgehensweise rasch eine politische Kluft.
Auf der einen Seite waren diejenigen, die den Erfolg Amerikas und Großbritanniens bei der Entwicklung dieser Waffen feierten. Sie sahen in der Bombe eine Garantie für die Freiheiten des Westens, und sie wollten bewahren, was sie als »Geheimnis« ansahen. Auf der anderen Seite standen die Befürworter der Rüstungskontrolle wie Einstein. »Das Geheimnis der Bombe ist für Amerika das, was die Maginot-Linie vor 1939 für Frankreich war«, erläuterte er Newsweek . »Sie gibt uns ein trügerisches Gefühl der Sicherheit und ist insofern eine große Gefahr.« 10
Einstein und seine Freunde erkannten, dass der Meinungskampf in dieser Frage nicht nur in Washington , sondern auch in der breiten Öffentlichkeit ausgetragen werden musste. Das führte 1946 zu einem amüsanten – und historisch aufschlussreichen – Streit, den sie mit Louis B. Mayer und einem Gefolge von seriösen Filmemachern aus Hollywood führten.
Es begann damit, dass ein Drehbuchautor von Metro-Goldwyn-Mayer namens Sam Marx anfragte, ob er nach Princeton kommen dürfe, um Einstein einen Vorschlag zur Mitarbeit in einem Dokudrama über den Bau der Atombombe zu unterbreiten. Einstein schrieb zurück, er sei nicht interessiert. Einige Wochen später erhielt er einen ängstlichen Brief der Association of Manhattan Project Scientists (Vereinigung der am Manhattan-Projekt beteiligten Wissenschaftler), die erklärten, der Film vertrete offenbar eine sehr militaristische Haltung und stelle den Bau der Bombe als einen Gewinn für Amerika und seine Sicherheit dar. »Ich weiß, dass Sie Ihren Namen nicht für einen Film hergeben werden, der die militärische und politische Bedeutung der Bombe falsch darstellt«, hieß es in dem Brief. »Ich hoffe, Sie tragen Sorge dafür, dass Ihr Name nur verwendet werden darf, wenn Sie sich persönlich mit dem Drehbuch einverstanden erklärt haben.« 11
In der folgenden Woche suchte Szilárd Einstein auf, um diese Frage mit ihm zu besprechen, und bald darauf bombardierte ihn eine ganze Schar friedensbewegter Physiker mit ihren Bedenken. Also las Einstein das Drehbuch und erklärte sich daraufhin bereit, an der Kampagne zur Verhinderung des Films teilzunehmen. »Die Darstellung der Fakten war so irreführend, dass ich jegliche Mitarbeit oder Verwendung meines Namens untersagt habe«, verkündete er. Außerdem schickte er dem berüchtigten Mogul einen geharnischten Brief, in dem er sein Missfallen an dem geplanten Film und früheren Machwerken Mayers zum Ausdruck brachte. »Obwohl ich selten ins Kino gehe, denke ich, dass Sie angesichts des Tenors Ihrer früheren Filme meine Gründe verstehen werden«, schrieb er. »Ich finde, der ganze Film ist zu sehr aus Sicht des Militärs und des militärischen Projektleiters konzipiert worden, dessen Einfluss nicht immer in die Richtung ging, die man sich aus Sicht der Menschlichkeit gewünscht hätte.« 12
Mayer gab Einsteins Brief dem Chefeditor, der ein Memo verfasste, das Mayer Einstein schickte. Präsident Truman lege, so hieß es dort, »großen Wert darauf, dass der Film gemacht« werde, und habe das Drehbuch persönlich gelesen und gutgeheißen, ein Argument, das Einstein vermutlich nicht umstimmen konnte. »Als amerikanische Bürger sind wir verpflichtet, den Standpunkt unserer Regierung zu respektieren.« Auch das war nicht das glücklichste Argument, mit dem man Einstein kommen konnte. Dann folgte eine Begründung von noch geringerer Überzeugungskraft: »Man muss bedenken, dass die dramaturgische Wahrheit für uns genauso unverzichtbar ist wie die reale Wahrheit für einen Wissenschaftler.«
Das Memo schloss mit dem Versprechen, dass die von den Wissenschaftlern aufgeworfenen Fragen durch die Rolle eines fiktiven jungen Wissenschaftlers, gespielt von einem gewissen Tom Drake , gebührend zum Ausdruck gebracht würden. »Unter unseren jungen männlichen Darstellern haben wir den Schauspieler ausgesucht, der Ernsthaftigkeit und Geistigkeit am besten verkörpert«, meinte Mayer beschwichtigend. »Man erinnere sich nur an seine darstellerische Leistung in The Green Years 13 .« 14
Erwartungsgemäß konnte dieses Memo Einstein nicht umstimmen. Als Sam Marx , der Drehbuchautor, ihm schrieb und ihn dringend bat, seine Meinung zu ändern und sich zu einem Porträt bereit zu erklären, erwiderte Einstein trocken: »Ich habe meinen Standpunkt in einem Brief an Mr. Louis Mayer erläutert.« Marx blieb hartnäckig. »Wenn der Film fertig ist«, schrieb er zurück, »wird das Publikum größte Sympathie für den jungen Wissenschaftler empfinden.« Und am selben Tag folgte: »Anbei ein neues und überarbeitetes Drehbuch.« 15
Der Ausgang war nicht schwer vorherzusehen. Das neue Drehbuch machte mehr Zugeständnisse an die Wissenschaftler, und diese waren nicht immun gegen die Verlockung, auf der großen Leinwand glorifiziert zu werden. Szilárd telegrafierte Einstein: »Habe neues Drehbuch erhalten und geschrieben, dass ich keine Einwände gegen Verwendung meines Namens habe.« Einstein gab nach. »Agree with use of my name on basis of the new script«, 16 kritzelte er in englischer Sprache auf die Rückseite des Telegramms. Die einzige Änderung, die er verlangte, war die Szene, in der ihn Szilárd 1939 auf Long Island besucht. In dem Drehbuch hieß es, er habe Roosevelt vorher noch nicht getroffen, doch das hatte er. 17
The Beginning or the End , so der Titel des Films, kam im Februar 1947 in die Kinos und bekam gute Kritiken. »Ein nüchterner, intelligenter Bericht über die Entwicklung und den Einsatz der Atombombe «, stellte Bosley Crowther in der New York Times fest, »der angenehmerweise auf Propagandatöne verzichtet.« Einstein wurde von einem Charakterdarsteller namens Ludwig Stössel gespielt, der in Casablanca eine kleine Rolle hatte – ein deutscher Jude , der versucht, nach Amerika zu kommen – und später, in den 1960er-Jahren, einen Hauch von Ruhm erwarb, als er in den Werbespots des kalifornischen Weinunternehmens Swiss Colony den Slogan »That little old winemaker, me« sprach. 18
Einsteins Eintreten für Rüstungskontrolle und eine Weltregierung Ende der 1940er-Jahre trug ihm den Ruf ein, ein Wirrkopf und Naivling zu sein. Wurde ihm der Vorwurf zu Recht gemacht?
Die meisten Mitglieder der Truman -Regierung, selbst diejenigen, die mit der Rüstungskontrolle befasst waren, dachten das. William Golden beispielsweise, ein Mitglied der US -Atomenergiekommission , der einen Bericht für Außenminister George Marshall vorbereitete, fuhr nach Princeton , um Einstein um Rat zu fragen. Washington müsse sich stärker bemühen, Moskau in die Pläne zur Rüstungskontrolle einzubeziehen, meinte Einstein. Golden hatte den Eindruck, er spreche »mit einer fast kindlichen Hoffnung auf Erlösung und ohne den Anschein, die Einzelheiten seiner Lösung durchdacht zu haben«. An Marshall berichtete Golden : »Es war überraschend, obwohl es das vielleicht gar nicht hätte sein sollen, dass er außerhalb seines Fachgebiets, der Mathematik, etwa in der Außenpolitik, naiv erschien. Der Mann, der den Begriff der vierten Dimension populär gemacht hatte, konnte bei seinen Betrachtungen einer Weltregierung nur in zweien denken.« 19
Wenn Einstein denn überhaupt naiv war, so lag es nicht daran, dass er sich Illusionen über die Natur des Menschen machte. Nachdem er das erste Drittel des 20. Jahrhunderts großteils in Deutschland verbracht hatte, war das auch kaum möglich. Als der berühmte Fotograf Philippe Halsman , der den Nazis mit Einsteins Hilfe entkommen war, diesen fragte, ob er glaube, dass es jemals einen immerwährenden Frieden geben werde, antwortete Einstein: »Nein, solange es den Menschen gibt, wird es auch Krieg geben.« In diesem Augenblick drückte Halsman auf den Auslöser und fing Einsteins traurige, wissende Augen ein, die das später berühmt gewordene Porträt beherrschen. 20
Einsteins Befürwortung einer durchsetzungsfähigen Weltautorität beruhte nicht auf Gefühlsduselei, sondern auf nüchterner Kenntnis der menschlichen Natur. »Wenn die Idee einer Weltregierung nicht realistisch ist«, sagte er 1948, »dann ist die einzige realistische Zukunftsperspektive: vollkommene Vernichtung des Menschen durch den Menschen.« 21
Wie bei einigen seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen begann Einstein auch hier damit, tief verwurzelte Annahmen aufzugeben, die andere für unumstößliche Wahrheiten hielten. Nationale Souveränität und militärische Autonomie waren seit Jahrhunderten Grundpfeiler der Weltordnung, so wie absolute Zeit und absoluter Raum Grundpfeiler der kosmischen Ordnung gewesen waren. Der Vorschlag, diese Prinzipien zu überwinden, war eine radikale Idee, der Entschluss eines nonkonformistischen Denkers. Doch wie so viele Ideen Einsteins, die zunächst sehr radikal erschienen, hätten sie sich wohl als viel praktikabler erwiesen, wenn man sie akzeptiert hätte.
Der Weltföderalismus , den Einstein – und auch viele nüchterne und angesehene Politiker – in den frühen Jahren des US -Atommonopols befürworteten, war nicht undenkbar. Wenn Einstein denn überhaupt naiv war, dann nur, insofern er seine Ideen in einfacher Form vortrug und keine komplizierten Kompromisse berücksichtigte. Physiker sind es nicht gewöhnt, ihre Gleichungen kompromissfähig zu machen, damit sie akzeptiert werden. Deswegen geben sie keine guten Politiker ab.
Ende der 1940er-Jahre, als Einstein klar wurde, dass der Versuch, die Kernwaffen zu kontrollieren, fehlschlagen würde, fragte man ihn, wie der nächste Krieg aussehen werde. »Ich weiß nicht, wie der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird«, antwortete er, »aber ich weiß, womit man im Vierten kämpfen wird – mit Steinen.« 22
Wer sich für die internationale Kontrolle der Bombe einsetzte, sah sich einem riesigen Problem gegenüber: wie man mit den Russen umgehen sollte. Eine wachsende Zahl von Amerikanern, einschließlich ihrer gewählten Politiker, unterstellte Moskaus Kommunisten gefährlich expansionistische und arglistige Absichten. Die Russen ihrerseits schienen auch nicht sonderlich erpicht auf Rüstungskontrolle und Weltregierung zu sein. Sie hatten tief verwurzelte Sicherheitsbedenken, den Wunsch, eine eigene Bombe zu haben, und eine politische Führung, die auf jedes Anzeichen einer äußeren Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten äußerst empfindlich reagierte.
Auch in seiner Haltung gegenüber Russland blieb Einstein Nonkonformist . Weder vollzog er, wie so viele andere, eine Kehrtwendung zur Glorifizierung der Russen , als sie im Krieg Verbündete wurden, noch eine Kehrtwendung zurück zu ihrer Dämonisierung, als der Kalte Krieg begann. Doch Ende der 1940er-Jahre stand er mit seiner Auffassung in der amerikanischen Öffentlichkeit ziemlich alleine da.
Ihm missfiel das autoritäre System der Kommunisten , aber sah in ihm keine unmittelbare Gefährdung der amerikanischen Freiheit. Die größere Gefahr war seiner Meinung nach die Hysterie über die vermeintliche Rote Bedrohung. Als Norman Cousins , Redakteur der Saturday Review und journalistische Leitfigur der amerikanischen Intelligenzija, einen Artikel schrieb, in dem er internationale Rüstungskontrolle verlangte, reagierte Einstein mit einem zustimmenden Leserbrief, fügte aber einen Vorbehalt hinzu. »An Ihrem Artikel missfällt mir, dass Sie es nicht nur versäumen, der in unserem Land weitverbreiteten hysterischen Angst vor russischer Aggression entgegenzutreten, sondern ihr sogar noch Nahrung geben«, schrieb er. »Wir sollten uns alle fragen, welches der beiden Länder objektiv mehr Grund hat, die aggressiven Absichten des anderen zu fürchten.« 23
In Hinblick auf die Unterdrückung im Inneren Russlands äußerte Einstein im Allgemeinen nur milde Kritik, die noch durch Entschuldigungen verwässert wurde. »Es lässt sich nicht leugnen, dass auf politischem Gebiet starker Zwang ausgeübt wird«, sagte er in einer Rede. »Das mag zum Teil an der Notwendigkeit liegen, die Macht der vormals herrschenden Klasse zu brechen und ein politisch unerfahrenes, kulturell rückständiges Volk in eine Nation zu verwandeln, die organisiert genug ist, um produktive Arbeit zu leisten. Ich maße mir nicht an, in diesen schwierigen Fragen ein Urteil zu fällen.« 24
Logischerweise wurde Einstein dadurch zur Zielscheibe von Kritiken, die ihn als Sowjetsympathisanten darstellten. John Rankin , der Kongressabgeordnete des Staates Mississippi, behauptete, Einsteins Plan einer Weltregierung »folge einfach der kommunistischen Linie«. Bei einer Rede im Plenum äußerte sich Rankin auch negativ über Einsteins wissenschaftliche Leistungen: »Seit er sein Buch über Relativität publiziert hat, in dem er die Welt davon zu überzeugen sucht, dass Licht Gewicht habe, hat er versucht, aus seinem Ruf als Wissenschaftler Kapital zu schlagen (…), und sich mit kommunistischen Aktivitäten befasst.« 25
Einstein setzte seinen lang andauernden Gedankenaustausch über Russland mit Sidney Hook fort, dem Sozialphilosophen, der ursprünglich Kommunist gewesen war und sich dann zum überzeugten Antikommunisten gewandelt hatte. Er war von beiden Seiten nicht so leidenschaftlich geführt wie sein Briefwechsel mit Bohr , aber genauso intensiv. »Ich bin nicht blind für die massiven Schwierigkeiten des russischen Regierungssystems«, erwiderte Einstein auf einen Brief Hooks . »Aber es hat auf der anderen Seite große Verdienste, und es lässt sich schwer entscheiden, ob die Russen überlebt hätten, wenn man sich auf sanftere Methoden verlassen hätte.« 26
Hook nahm es auf sich, Einstein von der Unrichtigkeit seiner Annahmen zu überzeugen, und schickte ihm lange und ziemlich häufige Briefe, die Einstein zumeist ignorierte. Wenn er einmal antwortete, gab er in der Regel zu, dass Russlands Unterdrückung falsch sei, aber er neigte dazu, solchen Urteilen die Spitze zu nehmen, indem er hinzufügte, dass es auch irgendwie verständlich sei. Wie er dabei jonglierte, zeigt ein Antwortbrief aus dem Jahr 1950:
Ich bin nicht damit einverstanden, wie die Sowjetregierung in geistige und künstlerische Angelegenheiten eingreift. Solche Eingriffe erscheinen mir unzulässig, schädlich und sogar lächerlich. In Hinblick auf die Zentralisierung der politischen Macht und die Begrenzung der Handlungsfreiheit des Individuums sollten diese Einschränkungen nicht die Grenzen überschreiten, die für die Sicherung, die Stabilität und die Erfordernisse einer Planwirtschaft nötig sind. Ein Außenstehender ist kaum in der Lage, alle Tatsachen und Möglichkeiten zu bedenken. Auf jeden Fall kann nicht bezweifelt werden, dass die Leistungen des Sowjetregimes auf dem Gebiet von Erziehung, öffentlichem Gesundheitswesen, Sozialfürsorge und Wirtschaft beträchtlich sind. 27
Trotz dieser eindeutigen Entschuldigungen für einige Maßnahmen Moskaus war Einstein nicht der Unterstützer des Sowjetregimes , als den ihn einige Kritiker hinstellen wollten. Er hatte alle Einladungen Moskaus abgelehnt und die Versuche linker Freunde zurückgewiesen, ihn als Genossen in die Arme zu schließen. Er verurteilte Moskau , weil es in den Vereinten Nationen wiederholt von seinem Vetorecht Gebrauch machte und sich dem Gedanken einer Weltregierung widersetzte. Noch kritischer wurde er, als sich abzeichnete, dass die Sowjets keine Lust auf Rüstungskontrolle hatten.
Deutlich zutage trat dies, als Einstein von einer offiziellen Gruppe russischer Wissenschaftler angegriffen wurde. 1947 erschien in dem englischsprachigen Moskauer Blatt New Times ihr Artikel mit dem Titel »Dr. Einstein’s Mistaken Notions« (Dr. Einsteins Irrtümer). Seine Vision einer Weltregierung , hieß es da, sei ein kapitalistisches Komplott. »Und nun«, ging es weiter, »verlangen die Anhänger eines ›Weltsuperstaats‹ von uns die Aufgabe dieser Unabhängigkeit im Interesse einer Weltregierung , die nichts als ein glitzerndes Aushängeschild für die Weltsuprematie der kapitalistischen Monopole wäre.« Sie machten Einstein zum Vorwurf, dass er ein direkt gewähltes übernationales Parlament fordere. Er erkläre »bereits im voraus: Falls die Sowjetunion den Eintritt in seine exzentrische Organisation ablehne, hätten andere Nationen das Recht, ohne Rußland vorzugehen (…). Aber Einstein geht einer politischen Marotte nach und spielt dadurch nur den geschworenen Feinden der internationalen Zusammenarbeit und eines dauerhaften Friedens in die Hände.« 28
Die Sowjet -Sympathisanten der damaligen Zeit folgten bereitwillig jeder Parteilinie, die Moskau diktierte. So viel Konformität widerstrebte Einstein zutiefst. Wenn er die Meinung eines anderen nicht teilte, machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er war gern bereit, sich mit den russischen Wissenschaftlern anzulegen.
Er wiederholte, dass er die demokratischen sozialistischen Ideale unterstütze, kritisierte aber den sowjetischen Glauben an das kommunistische Dogma. Man solle sich davor hüten, schrieb er, »den Kapitalismus als die Quelle aller sozialen und politischen Übel hinzustellen und zu glauben, daß der Sozialismus durch dessen bloße Etablierung alle sozialen und politischen Schäden der Menschheit zu heilen vermöge«. Ein derartiges Denken führe zu der »fanatischen Intoleranz«, die die Gläubigen der Kommunistischen Partei infiziert und der Tyrannei den Weg gebahnt habe.
Trotz seiner Kritik am ungehemmten Kapitalismus stieß ihn die Unterdrückung des freien Denkens und der Individualität noch mehr ab – das war schon sein ganzes Leben lang so. »Eine Regierung ist an sich insofern überhaupt ein Übel, als sie die Tendenz in sich trägt, in Tyrannei auszuarten«, warnte er die russischen Wissenschaftler. »Es ist klar, dass die Gefahr solcher Degenerationen in einem Staate größer ist, in welchem die Regierung nicht nur über die bewaffnete Macht, sondern auch über alle Mittel der Erziehung und Aufklärung sowie über die wirtschaftliche Existenz jedes Einzelnen verfügt.« 29
Zu der Zeit, als sein Streit mit den russischen Wissenschaftlern ausbrach, arbeitete Einstein mit Raymond Gram Swing an der Aktualisierung seines Atlantic -Artikels, den er zwei Jahre zuvor geschrieben hatte. Dieses Mal griff Einstein die russische Führung an. Deren Gründe, eine Weltregierung abzulehnen, seien ganz offensichtlich vorgeschoben, schrieb er. In Wirklichkeit fürchte sie, sie könnte unter solchen Bedingungen ihr repressives kommunistisches Herrschaftssystem nicht aufrechterhalten. »Die Russen werden wohl recht haben«, schrieb er, »daß sie ihre gegenwärtige soziale Struktur leicht einbüßen können; man bringt sie vielleicht mit der Zeit zur Einsicht, daß dieser Verlust geringer wäre als ihre Isolierung in einer Welt des Rechts.« 30
Der Westen solle ruhig eine Weltregierung ohne russische Beteiligung schaffen, meinte er. Russland werde sich schließlich besinnen. »Ich glaube, wenn man das intelligent bewerkstelligte (und nicht auf Trumans plumpe Art!), wäre Russland zur Zusammenarbeit bereit, sobald es bemerkte, dass es eine Weltregierung ohnehin nicht mehr verhindern könne.« 31
Von da an schien es Einstein grimmige Freude zu bereiten, denen zu widersprechen, die Russland alles vorwarfen, und denen, die Russland nichts vorwarfen. Als ihm ein Bekannter, ein linker Pazifist , ein Buch zuschickte, das er über Rüstungskontrolle geschrieben hatte, und von Einstein Unterstützung erwartete, erhielt er stattdessen eine Abfuhr. »Sie haben das ganze Problem als Verteidiger des sowjetischen Standpunkts dargestellt«, schrieb Einstein, »und alles verschwiegen, was gegen die Sowjets spricht (und das ist nicht wenig).« 32
Selbst sein langjähriger Pazifismus entwickelte eine robuste, realistische Form, als es zu Verhandlungen mit Russland kam, genau wie es nach der NS -Machtergreifung der Fall gewesen war. Die Pazifisten glaubten gern, Einsteins Bruch mit ihrer Philosophie in den 1930er-Jahren sei eine Verirrung gewesen, eine Folge der besonderen Bedrohung durch die Nazis , weswegen sie auch von einigen Biografen als eine vorübergehende Anomalie beschrieben wurde. 33 Doch damit wird der Einschnitt in Einsteins Denken zu sehr heruntergespielt. Er wurde nie wieder ein reiner Pazifist .
Als er beispielsweise aufgefordert wurde, sich einer Kampagne anzuschließen, durch die US -Wissenschaftler veranlasst werden sollten, die Arbeit an Atomwaffen zu verweigern, lehnte er nicht nur ab, sondern warf den Autoren auch vor, einseitige Abrüstung zu propagieren. »Abrüstung kann nur dann sinnvoll sein, wenn sich alle Staaten beteiligen«, erläuterte er. »Setzt nur eine einzige Nation ihre Aufrüstung – offen oder geheim – fort, hätte die Abrüstung der anderen katastrophale Folgen.«
Pazifisten wie er selbst hätten in den 1920er-Jahren einen Fehler gemacht, indem sie Deutschlands Nachbarn aufgefordert hätten, nicht aufzurüsten, erläuterte er. »Das hat nur den Hochmut der Deutschen genährt.« Jetzt gebe es Parallelen zu Russland . »In ähnlicher Weise würde Ihr Vorschlag, wenn er denn in Kraft träte, sicherlich zu einer ernsthaften Schwächung der Demokratien führen«, schrieb er den Unterstützern dieser antimilitärischen Eingabe. »Denn wir müssen uns klar machen, dass wir wahrscheinlich nicht in der Lage sind, einen nennenswerten Einfluss auf die Haltung unserer russischen Kollegen auszuüben.« 34
Eine entsprechende Meinung vertrat er, als ihn seine einstigen Mitstreiter aus der Liga der Kriegsdienstverweigerer 1948 aufforderten, sich ihnen wieder anzuschließen. Sie schmeichelten ihm, indem sie eine seiner alten pazifistischen Erklärungen zitierten, doch Einstein ließ sie abblitzen. »Die Äußerung gibt exakt jene Auffassungen zur Kriegsdienstverweigerung wieder, die ich in dem Zeitraum von 1918 bis Anfang der 1930er Jahre hegte«, erwiderte er. »Heute jedoch denke ich, dass eine Politik, die auf der Weigerung Einzelner beruht, sich an militärischen Aktivitäten zu beteiligen, zu sehr vereinfacht.«
Vereinfachter Pazifismus könne gefährlich werden, warnte er, besonders in Anbetracht der russischen Innen- und Außenpolitik. »Tatsächlich schwächt die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer die Staaten mit liberaleren Regierungssystemen und unterstützt damit indirekt die Politik der gegenwärtig existierenden tyrannischen Staaten«, meinte er. »Antimilitaristische Aktionen durch Kriegsdienstverweigerung sind nur dann sinnvoll, wenn sie überall auf der Welt durchgeführt werden können. In Russland ist individueller Antimilitarismus unmöglich.« 35
Einige Pazifisten vertraten die Auffassung, dass der Weltsozialismus , und nicht eine Weltregierung , die beste Grundlage für einen dauerhaften Frieden sei. Einstein widersprach. »Sie sagen, der Sozialismus lehne seiner innersten Natur nach das Mittel des Krieges ab«, erwiderte er einem solchen Befürworter. »Das glaube ich nicht. Ich kann mir leicht vorstellen, dass zwei sozialistische Staaten einen Krieg miteinander führen.« 36
Einer der frühen Brennpunkte des Kalten Krieges war Polen , wo die Rote Armee ohne die freien Wahlen, die Moskau versprochen hatte, nach der Besetzung ein prosowjetisches Regime einsetzte. Als diese neue polnische Regierung Einstein zu einem Kongress einlud, führte seine Reaktion vor Augen, wie unabhängig er vom Parteidogma war. Höflich erklärte er den Absendern, dass er keine Überseereisen mehr auf sich nehme, und fügte eine vorsichtig formulierte Botschaft hinzu, in der er sie ermutigte, aber auch die Forderungen unterstrich, die er für die Bildung einer Weltregierung für notwendig erachtete.
Auf dem Kongress lasen sie zwar den Brief Einsteins vor, ließen aber seine Regeln für eine Weltregierung weg, die von Moskau abgelehnt wurden. Einstein war wütend und schickte die ungekürzte Erklärung an die New York Times . »Den Schutz vor der Gefahr einer unvorstellbaren Zerstörung und mutwilligen Vernichtung kann die Menschheit nur dann gewinnen, wenn eine übernationale Organisation die alleinige Verfügung über die Herstellung und den Besitz dieser Waffen innehat«, hieß es dort. Den britischen Pazifisten , die den Vorsitz bei dem Kongress führten, auf dem die Kommunisten ihre Parteilinie durchzusetzen versuchten, gab er mit auf den Weg: »Ich bin überzeugt, dass unsere Kollegen auf der anderen Seite des ›Zaunes‹ ihre wahren Meinungen in keiner Weise aussprechen können.« 37
Er hatte die Sowjetunion kritisiert, sich geweigert, sie zu besuchen, und sich dagegen ausgesprochen, die Atomgeheimnisse mit ihr zu teilen, bevor eine Weltregierung eingesetzt war. Nie hatte er an dem Bombenprojekt mitgearbeitet und verfügte über keinerlei der Gemeinhaltung unterliegende Informationen über ihre Technologie. Und doch hatte sich Einstein unwissentlich in einer Ereigniskette verfangen, die bewies, wie argwöhnisch, rücksichtslos und unfähig das FBI damals sein konnte, wenn es das Gespenst des Sowjetkommunismus jagte.
Ursprünglich hatten die Nachforschungen und die Angst vor kommunistischer Unterwanderung eine gewisse Berechtigung, doch schließlich nahmen die plumpen Befragungen große Ähnlichkeit mit den Hexenjagden zur Zeit der Inquisition an. Richtig begonnen haben sie zu Beginn des Jahres 1950, als Amerika wie betäubt war von der Nachricht, dass die Sowjets ihre eigene Bombe entwickelt hatten. In den ersten Wochen dieses Jahres hatte Präsident Truman ein Programm zur Entwicklung der Wasserstoffbombe in die Wege geleitet, ein emigrierter deutscher Physiker namens Klaus Fuchs wurde als Sowjetspion verhaftet, und Senator Joseph McCarthy hielt seine berüchtigte Rede, in der er behauptete, er habe eine Liste von Kommunisten mit Parteiausweis im Außenministerium.
Als Vorsitzender des Emergency Committee of Atomic Scientists hatte Einstein bei Edward Teller Bestürzung hervorgerufen, als er den Bau der Wasserstoffbombe nicht unterstützte. Aber Einstein hatte ihn auch nicht ausdrücklich abgelehnt. Als A. J. Muste , ein bekannter Pazifist und sozialistischer Aktivist, ihn aufforderte, sich einem Aufruf anzuschließen, in dem verlangt wurde, die Entwicklung der neuen Waffe zu verzögern, lehnte Einstein ab: »Ihr neuer Vorschlag erscheint mir ziemlich unpraktisch«, sagte er. »Solange das Wettrüsten besteht, wird es unmöglich sein, den Prozess in einem Land zu unterbrechen.« 38 Vernünftiger sei es, meinte er, auf eine globale Lösung zu drängen, die eine Weltregierung einschließe.
An dem Tag, als Einstein diesen Brief schrieb, verkündete Truman , dass man den Bau der Wasserstoffbombe mit aller Kraft vorantreiben wolle. Von seinem Haus in Princeton aus erhielt Einstein einen dreiminütigen Auftritt in der Samstagabend-Talkshow Today with Mrs. Roosevelt des Fernsehsenders NBC . Die ehemalige First Lady Eleanor Roosevelt war nach dem Tod ihres Ehemanns zu einer Wortführerin der progressiven Strömungen geworden. »Jeder Schritt erscheint als die unausweichliche Folge des vorhergehenden«, sagte er über das Wettrüsten. »Und am Ende droht immer deutlicher die allgemeine Vernichtung.« Am nächsten Tag titelte die New York Times : »Einstein warnt die Welt: Ächtung der H-Bombe oder Untergang.« 39
Noch einen anderen Punkt machte Einstein in dieser Fernsehshow deutlich. Er äußerte seine wachsende Sorge darüber, dass die US -Regierung ihre Sicherheitsvorkehrungen verschärfe und bereit sei, die Freiheiten ihrer Bürger einzuschränken. »Die Loyalität der Bürger, besonders der Staatsbediensteten, wird argwöhnisch von einer Polizei überwacht, deren Machtbefugnisse jeden Tag anwachsen«, warnte er. »Unabhängig denkende Menschen werden schikaniert.«
Wie um ihn zu bestätigen, bestellte J. Edgar Hoover , der Kommunisten und Eleanor Roosevelt fast mit gleicher Leidenschaft hasste, schon am folgenden Tag den Chef des FBI -Inlandsnachrichtendienstes ein und gab einen Bericht über Einsteins Verfassungstreue und mögliche kommunistische Verstrickungen in Auftrag.
Das resultierende fünfzehnseitige Dokument, das zwei Tage später auf Hoovers Schreibtisch landete, listete vierunddreißig Organisationen auf, einige angeblich getarnte kommunistische Einrichtungen, denen Einstein entweder angehörte oder seinen Namen zur Verfügung gestellt hatte, darunter auch das Emergency Committee of Atomic Scientists . »Grundsätzlich ist er ein Pazifist und könnte als liberaler Denker gelten«, schloss der Bericht einigermaßen wohlwollend und warf ihm weder vor, ein Kommunist zu sein, noch, subversive Kräfte mit Informationen zu beliefern. 40
Tatsächlich gab es nichts, was Einstein in irgendeiner Form als Sicherheitsrisiko auswies. Doch wer das Dossier liest, hat den Eindruck, dass die FBI -Agenten wie Keystone Kops (trottelige Polizisten in alten Slapstickfilmen) agierten. Sie stolperten herum und waren von den lächerlichsten Fragen überfordert – ob Elsa seine erste Frau sei, ob Helen Dukas in Deutschland als Sowjetspionin gearbeitet habe und ob Einstein sich daran beteiligt habe, Klaus Fuchs in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. (In allen drei Fällen lautete die korrekte Antwort Nein.)
Die Agenten versuchten auch, einem Hinweis nachzugehen, in dem es hieß, Elsa habe einer Freundin in Kalifornien anvertraut, sie hätten einen Sohn namens Albert Einstein Jr., der in Russland gefangen gehalten werde. Tatsächlich war Hans Albert Einstein zu dieser Zeit ein Professor für Ingenieurwissenschaft in Berkeley . Weder er noch Eduard , der sich immer noch in einem Schweizer Sanatorium befand, hatten je in Russland gelebt. (Wenn an diesem Gerücht irgendetwas dran war, dann der Umstand, dass Elsas Tochter Margot einen Russen geheiratet hatte, der nach ihrer Scheidung dorthin zurückgekehrt war, was das FBI aber nie erfahren hatte.)
Seit den Anschuldigungen von Mrs. Frothingham und ihren Woman Patriots sammelte das FBI Gerüchte über Einstein. Jetzt begann das Bureau das Material sorgfältig in einem Dossier zu katalogisieren. Dazu gehörten Hinweise wie der von einer Berliner Frau, die ihm ein mathematisches Verfahren zum todsicheren Gewinn der Berliner Lotterie geschickt hatte und zu dem Schluss gekommen war, er sei ein Kommunist , weil er nicht geantwortet hatte. 41 Als er starb, hatte das Bureau 1427 Seiten in vierzehn Schachteln zusammengetragen, alle als Vertraulich abgestempelt, aber alle ohne einen einzigen belastenden Beleg. 42
In der Rückschau ist das Bemerkenswerteste an Einsteins FBI -Akte nicht die Fülle von seltsamen Hinweisen, die sie enthält, sondern der Umstand, dass die einzige relevante Information vollkommen fehlt. Einstein war tatsächlich mit einer Sowjetspionin liiert, wenn auch unwissend. Doch das FBI hatte keine Ahnung davon.
Die Spionin war Margarita Konjonkowa , die in Greenwich Village mit ihrem Mann Sergei Konjonkow zusammenlebte, dem bereits erwähnten Bildhauer. Sie war eine ehemalige Rechtsanwältin, sprach fünf Sprachen fließend und hatte, um es so auszudrücken, eine gewinnende Art im Umgang mit Männern. Als Geheimagentin sollte sie US -Wissenschaftler beeinflussen. Mit Einstein war sie durch Margot bekannt gemacht worden und weilte dann während des Krieges oft als Besucherin in Princeton .
Aus Pflichtgefühl oder Verlangen ließ sie sich auf eine Affäre mit dem verwitweten Einstein ein. An einem Wochenende im Sommer 1941 luden sie und einige Freunde ihn in ein Wochenendhaus auf Long Island ein, und zur allgemeinen Überraschung nahm er an. Sie packten ein Lunchpaket mit gekochtem Huhn, stiegen in der Penn Station in den Zug, verbrachten ein angenehmes Wochenende, Einstein segelte auf dem Sund und kritzelte auf der Veranda seine Gleichungen. Irgendwann gingen sie an einen abgelegenen Strand, um den Sonnenuntergang zu betrachten, und wurden fast von einem örtlichen Polizisten verhaftet, der keine Ahnung hatte, wer Einstein war. »Können Sie nicht lesen?«, fragte der Polizist und zeigte auf ein Schild, das den Zutritt verbot. Konjonkowa und Einstein blieben ein Liebespaar, bis sie 1945, mit 51 Jahren, nach Moskau zurückkehrte. 43
Es gelang ihr , ihn mit dem sowjetischen Vizekonsul in New York bekannt zu machen, der ebenfalls ein Spion war. Aber Einstein hatte keine Geheimnisse, die er hätte preisgeben können, und auch sonst gab es keine Anzeichen dafür, dass er geneigt war, den Sowjets in irgendeiner Weise behilflich zu sein. Alle Versuche, ihn zu einem Besuch in Moskau zu überreden, wies er ab.
Die Affäre und das potenzielle Sicherheitsrisiko kamen nicht durch FBI -Schnüffelei ans Licht, sondern weil eine Sammlung von neun Liebesbriefen, die Einstein in den 1940er-Jahren an Konjonkowa geschrieben hatte, 1998 publik wurde. Außerdem veröffentlichte Pawel Sudoplatow , ein ehemaliger Sowjetspion , ziemlich aufsehenerregende, wenn auch nicht ganz zuverlässige Erinnerungen, in denen er bekannte, dass er ein Agent mit dem Codenamen »Lukas« gewesen war. 44
Einstein schrieb seine Briefe an Konjonkowa ein Jahr nach ihrem Abschied aus Amerika. Weder sie noch Sudoplatow noch jemand anders hat je behauptet, Einstein habe wissentlich oder unwissentlich irgendwelche Geheimnisse verraten. Allerdings zeigen die Briefe, dass er auch mit 66 Jahren durchaus zur Liebe fähig war, im Briefverkehr wie wohl auch sonst. »Kürzlich habe ich mir selbst die Haare gewaschen, aber nicht sehr erfolgreich«, meint er in einem. »Ich bin nicht so sorgfältig wie du.«
Selbst gegenüber seiner russischen Geliebten machte Einstein deutlich, dass er keineswegs ein ungetrübtes Verhältnis zu Russland hatte. In einem Brief kritisierte er Moskaus militaristische Maiparaden: »Ich beobachte diese übertriebenen patriotischen Zurschaustellungen mit Besorgnis.« 45 Jegliche Äußerung von übermäßigem Nationalismus und Militarismus hatte ihm schon immer Unbehagen eingeflößt, angefangen mit dem Tag, an dem er als Kind die deutschen Soldaten hatte marschieren sehen. Mit Russland ging es ihm nicht anders.
Trotz Hoovers Verdächtigungen war Einstein ein verlässlicher US -Staatsbürger, der die Überzeugung hegte, dass er mit seinem Widerstand gegen die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen und die Gesinnungsschnüffelei dieser Zeit die wahren Werte der Nation verteidige. Toleranz, freie Meinungsäußerung und Unabhängigkeit des Denkens waren die zentralen Werte, die die Amerikaner zu seiner großen Freude am höchsten schätzten.
Bei seinen ersten beiden Präsidentschaftswahlen hatte Einstein für Franklin Roosevelt gestimmt, den er öffentlich und begeistert unterstützte. 1948 hatte Einstein, von Trumans Politik im Kalten Krieg entsetzt, Henry Wallace gewählt, den Kandidaten der Progressive Party, der für eine verstärkte Kooperation mit Russland und höhere Sozialleistungen eintrat.
Sein Leben lang war Einstein seinen politischen Grundsätzen treu geblieben. Seit seinen Studientagen in der Schweiz hatte er sich für eine sozialistische Wirtschaftspolitik eingesetzt, die er mit seinem tief verwurzelten Verlangen nach individueller Freiheit, persönlicher Autonomie, demokratischen Institutionen und Schutz der Grundrechte verband. Er war mit vielen demokratischen Führern in Großbritannien und Amerika befreundet, etwa mit Bertrand Russell und Norman Thomas . 1949 schrieb er einen einflussreichen Essay für die Erstausgabe der Monthly Review mit dem Titel »Warum Sozialismus ?« .
Darin vertrat er die Ansicht, dass der ungehemmte Kapitalismus zu großen Ungleichheiten in der Verteilung des Reichtums, zu Zyklen von Hochkonjunktur und Krisen sowie unerträglichen Arbeitslosenquoten führe. Ein solches System fördere Eigennutz statt Kooperation und ermutige den Erwerb von Wohlstand und nicht den Dienst an anderen. Die Menschen würden zum beruflichen Erfolg erzogen statt zur Liebe an der Arbeit und Kreativität, während die politischen Parteien sich durch die Zuwendungen großer Kapitaleigner korrumpieren ließen.
Diese Probleme ließen sich, so Einstein in seinem Artikel , durch ein sozialistisches Wirtschaftssystem vermeiden, wenn es gegen Tyrannei und Machtzentralisierung gesichert sei. »Die Planwirtschaft mit ihrer dem elementaren Warenbedarf der Gesellschaft angepassten Gütererzeugung verteilt die zu leistende Arbeit auf alle arbeitsfähigen Individuen und sichert alle gegen Not«, schrieb er. »Die Erziehung des Individuums erstrebt neben der Entwicklung der individuellen Fähigkeiten die Erweckung eines auf den Dienst am Nebenmenschen gerichteten Ideales, das an die Stelle der Glorifizierung von Macht und Erfolg zu treten hat.«
Er fügte hinzu, dass Planwirtschaften Gefahr liefen, bürokratisch und tyrannisch zu werden, zum Beispiel in kommunistischen Ländern wie der Sowjetunion . »Planwirtschaft kann mit der völligen Versklavung des Individuums verbunden sein«, warnte er. Daher sei es für Sozialdemokraten, die an individuelle Freiheit glaubten, wichtig, dass sie sich mit zwei entscheidenden Fragen auseinandersetzten: »Wie bringt man es bei so weitgehender Zentralisierung der politischen und ökonomischen Macht zuwege, dass die Bürokratie nicht zu mächtig wird und so sehr anschwillt, dass das Individuum politisch verkümmert?« 46
Dieser Imperativ – die Rechte des Individuums zu schützen – war Einsteins tiefste politische Überzeugung. Für ihn waren Individualismus und Freiheit notwendige Vorbedingungen für das Gedeihen von Kunst und kreativer Wissenschaft. Persönlich, politisch und professionell lehnte er sich gegen jede Einschränkung auf.
Deshalb sprach er sich so deutlich gegen die Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten aus. Während der 1940er-Jahre herrschte in den Kinos noch immer Rassentrennung, Schwarze durften in Kaufhäusern keine Schuhe und Kleidungsstücke anprobieren, und in der Studentenzeitung hieß es, der gleichberechtigte Zugang zum Studium für Schwarze »ist ein nobler Wunsch, aber die Zeit ist noch nicht reif dafür«. 47
Als Jude , der in Deutschland aufgewachsen war, reagierte Einstein natürlich empfindlich auf solche Diskriminierung. »Je mehr ich mich als Amerikaner fühle, desto mehr schmerzt, ja bedrückt mich dieser Zustand«, schrieb er in dem kurzen Essay »The Negro Question« für die Zeitschrift Pageant . »Ich kann einem Gefühl der Mitschuld nur dadurch entgehen, dass ich es ehrlich ausspreche.« 48
Obwohl Einstein die vielen Ehrendoktorate, die ihm angeboten wurden, nur selten persönlich entgegennahm, machte er eine Ausnahme, als ihm eines von der Lincoln University verliehen werden sollte, einer Hochschule für Schwarze in Pennsylvania. Mit seinem abgewetzten grauen Fischgrätenjackett stand er an der Tafel und ging mit den Studenten seine Relativitätsgleichungen durch, um dann eine Rede zu halten, in der er die Rassentrennung beklagte als »eine amerikanische Tradition, die unkritisch von einer Generation an die nächste weitergereicht wird«. 49 Als wolle er dieses Muster durchbrechen, traf er sich mit dem sechsjährigen Sohn von Horace Bond , dem Universitätspräsidenten. Dieser Julian wurde später Senator des Staates Georgia, eine der Leitfiguren der Bürgerrechtsbewegung und Vorsitzender der NAACP , einer Organisation der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung.
Allerdings gab es eine Gruppe, für die Einstein nach dem Krieg wenig Toleranz aufbrachte. »Die Deutschen als ganzes Volk sind für diese Massenmorde verantwortlich und müssen als Volk dafür bestraft werden«, erklärte er. 50 Als James Franck , ein deutscher Freund, ihn Ende 1945 bat, sich einem Appell zu einem schonenden Umgang mit der deutschen Wirtschaft anzuschließen, lehnte Einstein zornig ab. »Es ist absolut notwendig, das Wiedererstarken der deutschen Industriepolitik auf Jahre hin zu unterbinden«, schrieb er. »Sollte Ihre Petition in Umlauf kommen, werde ich tun, was in meiner Macht steht, um ihr entgegenzuwirken.« Als Franck auf seinem Anliegen beharrte, zeigte sich Einstein noch unversöhnlicher. »Die Deutschen haben Millionen Zivilisten nach einem sorgfältig vorbereiteten Plan abgeschlachtet«, schrieb er. »Wenn sie es könnten, würden sie es wieder tun. Und sie lassen keine Spur von Schuldbewusstsein oder Reue erkennen.« 51
Einstein wollte noch nicht einmal erlauben, dass seine Bücher wieder in Deutschland verkauft wurden oder dass sein Name erneut in irgendein Verzeichnis deutscher wissenschaftlicher Gesellschaften aufgenommen wurde. »Die Verbrechen der Deutschen sind wirklich das Abscheulichste, was jemals aus der Geschichte der sogenannten zivilisierten Nationen überliefert wurde«, schrieb er dem Physiker Otto Hahn . »Das Verhalten der deutschen Intellektuellen war – als Klasse betrachtet – nicht besser als das des Pöbels.« 52
Wie bei vielen jüdischen Flüchtlingen hatten seine Gefühle auch einen persönlichen Grund. Unter den NS -Opfern war auch sein Vetter Roberto , der Sohn von Onkel Jakob , also ein Cousin ersten Grades. Als die deutschen Truppen sich gegen Ende des Krieges aus Italien zurückzogen, brachten sie völlig grundlos seine Frau und seine beiden Töchter um, dann verbrannten sie sein Haus, während er sich im Wald versteckte. Roberto schrieb Einstein einen Brief mit allen schrecklichen Einzelheiten und beging ein Jahr später Selbstmord. 53
Das hatte zur Folge, dass Einstein seine nationale und ethnische Zugehörigkeit noch deutlicher klar wurde. »Ich bin hinsichtlich meiner Nationalität kein Deutscher, sondern Jude «, erklärte er bei Kriegsende . 54
Auf unauffällige, aber durchaus wirksame Weise war er jedoch auch Amerikaner geworden. Nachdem er sich 1933 in Princeton niedergelassen hatte, war er in den verbleibenden zweiundzwanzig Jahren seines Lebens nicht ein einziges Mal aus den Vereinigten Staaten hinausgekommen, ausgenommen die kurze Kreuzfahrt auf die Bermudas , die notwendig war, um seinen Einwanderungsprozess in die Wege zu leiten.
Zugegeben, er war ein etwas widerborstiger Bürger. Doch in dieser Hinsicht befand er sich durchaus in der Tradition vieler bedeutender amerikanischer Persönlichkeiten: unbeugsam in der Verteidigung individueller Freiheiten, häufig aufgebracht über staatliche Eingriffe, misstrauisch gegenüber großen Konzentrationen an Reichtum und überzeugt vom idealistischen Internationalismus , der sich bei US -Intellektuellen nach den beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute.
Seine Neigung zu Dissens und Nonkonformität machten ihn seiner Meinung nach nicht zu einem schlechteren Amerikaner, sondern zu einem besseren. An dem Tag im Jahr 1940, als er eingebürgert wurde, hatte Einstein diese Werte in einer Radiorede angesprochen. Als der Krieg zu Ende war, rief Truman einen Ehrentag für alle Neubürger aus, und der Richter, der Einstein eingebürgert hatte, verschickte Tausende von vorgedruckten Briefen, in denen er alle von ihm Eingebürgerten zu einer Feier im Trenton -Park einlud. Zur Überraschung des Richters kamen zehntausend Besucher. Noch erstaunlicher: Einstein und die Mitglieder seines Haushalts beschlossen, ebenfalls an den Festlichkeiten teilzunehmen. Während der Feier saß er lächelnd und winkend da, hatte ein kleines Mädchen auf dem Schoß und war glücklich, zu einem kleinen Teil den »Ich bin ein Amerikaner«-Tag mit Leben erfüllt zu haben. 55