Die endlose Suche

Die Probleme der Welt waren wichtig für Einstein, aber die Probleme des Kosmos halfen ihm, die irdischen Fragen in der richtigen Perspektive zu sehen. Obwohl er wenig hervorbrachte, was wissenschaftlichen Wert hatte, blieb die Physik eher als die Politik die ihn bestimmende Tätigkeit bis zu dem Tag, als er starb. Eines Morgens, als er mit seinem wissenschaftlichen Assistenten und Befürworter der Rüstungskontrolle Ernst Straus unterwegs war, überlegte Einstein, wie sie ihre Zeit zwischen den beiden Bereichen aufteilen könnten. »Aber unsere Gleichungen sind mir doch viel wichtiger, denn die Politik ist für die Gegenwart, aber unsere Gleichungen sind für die Ewigkeit.« 1

Bei Kriegsende , als er 66 Jahre alt geworden war, hatte sich Einstein offiziell aus dem Institute for Advanced Study zurückgezogen. Doch Tag für Tag setzte er seine Arbeit in einem kleinen Büro fort und war immer noch in der Lage, loyale Assistenten zu finden, die ihm halfen, seiner Arbeit treu zu bleiben – jener Suche nach einer einheitlichen Feldtheorie , die im Allgemeinen als etwas merkwürdig angesehen wurde.

An jedem Wochentag wachte er zu einer zivilisierten Zeit auf, frühstückte und las die Zeitungen. Gegen zehn Uhr ging er langsam durch die Mercer Street hinauf zum Institut , ein schlichter Vorgang, um den sich viele reale und erfundene Geschichten rankten. So schreibt sein Kollege Abraham Pais : »Einmal war er die Ursache eines Unfalls. Ein Wagen fuhr gegen einen Baum, nachdem sein Lenker plötzlich das Gesicht des schönen alten Mannes erkannt hatte, der die Straße entlangmarschierte, die schwarze gestrickte Wollmütze fest auf sein langes weißes Haar gedrückt.« 2

Bald nach Kriegsende kam J. Robert Oppenheimer aus Los Alamos und wurde Direktor des Instituts . Als brillanter, kettenrauchender theoretischer Physiker hatte er genug Charisma und Kompetenz besessen, um als Leiter des Manhattan-Projekts die beteiligten Wissenschaftler zu Höchstleistungen zu motivieren. Mit seinem Charme und seinem sarkastischen Humor machte er sich die Menschen in der Regel zu Gefolgsleuten oder Feinden, doch Einstein passte in keine der Kategorien. Oppenheimer und er begegneten sich mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Respekt, was zur Basis einer herzlichen, aber nicht zu engen Beziehung wurde. 3

Als Oppenheimer das Institut 1935 zum ersten Mal besuchte, nannte er es ein »Irrenhaus, dessen solipsistische Lichtgestalten ihren Glanz in hoffnungsloser Vereinzelung und Trostlosigkeit vergeuden«. Über die bedeutendste dieser Lichtgestalten urteilte Oppenheimer : »Einstein ist komplett gaga«, wenngleich er das liebevoll zu meinen schien. 4

Sobald sie Kollegen waren, ging Oppenheimer behutsamer mit seinen Leuchten um, und seine Spitzen wurden subtiler. Einstein, erklärte er, sei »ein Wahrzeichen, aber kein Signalfeuer«, was heißen sollte, er werde für seine großen Triumphe bewundert, finde aber mit seinen gegenwärtigen Bemühungen keine Anhänger mehr, womit er recht hatte. Jahre später steuerte er eine andere vielsagende Beschreibung Einsteins bei: »Von ihm ging immer eine große Reinheit aus, zugleich kindlich und zutiefst eigensinnig.« 5

Einstein wurde ein enger Freund von Kurt Gödel , einem anderen berühmten Institutsmitarbeiter , den er auf vielen Spaziergängen begleitete. Der sehr introvertierte Gödel , ein deutschsprachiger mathematischer Logiker aus Brünn, war berühmt für seinen »Unvollständigkeitssatz «, zwei logische Beweise, die dartun, dass jedes leistungsfähige mathematische System einige Aussagen enthalten muss, die mithilfe der Postulate des Systems nicht als richtig oder falsch bewiesen werden können.

Die intellektuell aufgeladene deutschsprachige Welt, in der sich Physik, Mathematik und Philosophie eng miteinander verflochten, brachte im 20. Jahrhundert drei sehr unterschiedliche Theorien hervor: Einsteins Relativität , Heisenbergs Unschärfe und Gödels Unvollständigkeit . Die oberflächliche Ähnlichkeit der drei Bezeichnungen, die eine vorläufige und subjektive Beschaffenheit des Kosmos vermuten lassen, vereinfacht die Theorien allzu sehr und stellt Verbindungen zwischen ihnen her, die es so gar nicht gibt. Trotzdem schienen sie alle tiefere philosophische Bedeutung zu haben, und um die ging es in den Gesprächen, die Gödel und Einstein auf ihrem gemeinsamen Weg zur Arbeit führten. 6

Die beiden waren sehr verschiedene Persönlichkeiten. Einstein war humorvoll und klug, beides Eigenschaften, die Gödel abgingen. Dessen extreme Logik des Denkens überwältigte manchmal seinen gesunden Menschenverstand. Was eklatant wurde, als Gödel 1947 beschloss, US -amerikanischer Staatsbürger zu werden. Er nahm die Vorbereitung auf die Prüfung sehr ernst, beschäftigte sich eingehend mit der Verfassung und fand heraus (wie es von dem Schöpfer des Unvollständigkeitssatzes eigentlich nicht anders zu erwarten war), dass sie seiner Auffassung nach einen logischen Fehler enthielt. Es gebe einen inneren Widerspruch, behauptete er, der dafür sorgen könne, dass die ganze Regierung zur Tyrannei verkomme.

Besorgt beschloss Einstein, Gödel bei seinem Besuch in Trenton zu begleiten – oder zu beaufsichtigen –, wo dieser die Staatsbürgerprüfung vor demselben Richter absolvieren sollte, bei dem schon Einstein sie abgelegt hatte. Auf der Hinfahrt versuchten er und ein dritter Freund, Gödel abzulenken und ihn davon abzubringen, den vermeintlichen Verfassungsfehler zu erwähnen, doch vergebens. Als der Richter ihn nach der Verfassung fragte, begann Gödel seinen Beweis vorzulegen, dass der innere Widerspruch einer Diktatur Tür und Tor öffne. Glücklicherweise fiel der Richter, der inzwischen ein gutes Verhältnis zu Einstein hatte, Gödel ins Wort. »Sie brauchen nicht so in die Einzelheiten zu gehen«, sagte er, und Gödels Staatsbürgerschaft war gerettet. 7

Während ihrer Spaziergänge erörterte Gödel einige Konsequenzen der Relativitätstheorie . Dabei entwickelte er eine Analyse, nach der die Zeit, statt nur relativ zu sein, möglicherweise gar nicht existierte. Er meinte, Einsteins Gleichungen könnten auch ein Universum beschreiben, das rotierte – entweder statt der Expansion oder zusätzlich zu ihr. In diesem Fall würde die Beziehung zwischen Raum und Zeit mathematisch vermischt. »Die Existenz eines objektiven Zeitverlaufs«, schrieb Gödel , »aber bedeutet (…), daß die Realität aus unendlich vielen Schichten des ›jetzt Vorhandenen‹ besteht, die nacheinander zur Existenz gelangen. Wenn aber die Gleichzeitigkeit in dem eben geschilderten Sinne etwas Relatives ist, kann die Realität auf eine objektiv bestimmte Weise nicht in solche Schichten aufgespalten werden.« 8

Infolgedessen wären, so Gödel , Zeitreisen möglich. »Wenn man solche Welten in einem Raumschiff weit genug umrundete, wäre es möglich, in jede Region der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft und wieder zurückzureisen.« Das wäre absurd, erklärte er, denn dann könnten wir in der Zeit zurückreisen und mit einer jüngeren Version unserer selbst sprechen (oder, noch unangenehmer, eine ältere Version unserer selbst könnte zurückkommen und mit uns sprechen). »Gödel hatte einen erstaunlichen Beweis dafür geliefert, dass Zeitreisen , streng genommen, mit der Relativitätstheorie konsistent sind«, schreibt der Bostoner Philosophieprofessor Palle Yourgrau in seinem Buch Gödel, Einstein und die Folgen : »Das wichtigste Ergebnis aber war das schlüssige Argument, dass, wenn eine Zeitreise möglich ist, die Zeit selbst es nicht ist.« 9

Einstein beantwortete Gödels Essay zusammen mit einer Reihe anderer, die in einem Buch zusammengestellt worden waren, und er schien von dem Argument ziemlich beeindruckt, aber nicht vollkommen überzeugt zu sein. In einer kurzen Stellungnahme bezeichnete er Gödels Aufsatz als »einen wichtigen Beitrag«, merkte aber an: »Das Problem, um das es sich handelt, hat mich schon bei Aufstellung der allgemeinen Relativitätstheorie beunruhigt«. Er wandte ein, dass Zeitreisen vielleicht mathematisch denkbar, aber in der Realität nicht möglich seien. »Es wird interessant sein zu erwägen, ob dies nicht aus physikalischen Gründen auszuschließen ist.« 10

Einsteins ungeteilte Aufmerksamkeit galt weiterhin seinem eigenen weißen Wal, den er zwar nicht mit der dämonischen Besessenheit Ahabs verfolgte, aber durchaus mit der gewissenhaften Pflichterfüllung Ismaels. Bei seiner Suche nach einer einheitlichen Feldtheorie hatte er immer noch keine zwingende physikalische Einsicht – wie etwa die Äquivalenz von Gravitation und Beschleunigung oder die Relativität der Gleichzeitigkeit  –, die ihm als Wegweiser hätte dienen können, daher glichen seine Bemühungen einem Blindflug durch Wolken abstrakter mathematischer Gleichungen ohne Bodenlichter, an denen er sich hätte orientieren können. »Als befände man sich in einem Luftschiff, in dem man durch die Wolken kreuzt, ohne klar zu erkennen, wie man in die Wirklichkeit, d. h. auf die Erde zurückkehren kann«, klagte er einem Freund gegenüber. 11

Sein Ziel blieb, was es seit Jahrzehnten war: eine Theorie, die sowohl elektromagnetische Felder wie Gravitationsfelder umfasste, aber er fand keinen zwingenden Grund für die Annahme, dass sie tatsächlich Teile derselben einheitlichen Struktur sein mussten  – abgesehen von seiner Überzeugung, dass Natur die Schönheit des Einfachen vorzog.

Entsprechend hoffte er nach wie vor, die Existenz von Teilchen mithilfe einer Feldtheorie erklären zu können, indem er zulässige punktförmige Lösungen für seine Feldgleichungen fand. »Er argumentierte weiter, dass, falls man von der grundsätzlichen Idee einer Feldtheorie wirklich überzeugt sei, die Materie nicht als ein Eindringling auftreten sollte, sondern wirklich Teil des Feldes sein müßte«, schreibt Banesh Hoffmann , einer seiner Mitarbeiter in Princeton , in seinen Erinnerungen. »Man könnte tatsächlich behaupten, dass er Materie aus nichts anderem als aus den Windungen der Raum-Zeit bauen wollte.« Dazu verwendete er alle zu Gebote stehenden mathematischen Werkzeuge, suchte aber trotzdem ständig nach neuen. »Ich brauche mehr Mathematik«, beklagte er sich einmal bei Hoffmann . 12

Warum hielt er daran fest? In seinem tiefsten Inneren hatten ihn solche Brüche und Dualitäten – verschiedene Feldtheorien für Gravitation , Unterscheidung zwischen Teilchen und Feldern – immer beunruhigt. An Einfachheit und Einheit – so seine intuitive Überzeugung – erkenne man das Werk des Alten. »Eine Theorie ist desto eindrucksvoller, je größer die Einfachheit ihrer Prämissen ist, je verschiedenartigere Dinge sie verknüpft und je weiter ihr Anwendungsbereich ist«, schrieb er. 13

Anfang der 1940er-Jahre kehrte Einstein eine Zeit lang zu dem fünfdimensionalen mathematischen Ansatz zurück, den er zwei Jahrzehnte zuvor von Theodor Kaluza übernommen hatte. Daran arbeitete er sogar mit Wolfgang Pauli , dem Pionier der Quantenmechanik , zusammen, der einige Kriegsjahre in Princeton zugebracht hatte. Doch er konnte seine Gleichungen nicht dazu bekommen, Teilchen zu beschreiben. 14

Also wandte er sich den sogenannten »Bivektor-Feldern « zu. Einstein schien leicht verzweifelt zu werden. Bei der neuen Methode müsse er, wie er einräumte, möglicherweise das Prinzip der Lokalität aufgeben. Dabei hatte er diesem in den Gedankenexperimenten, mit denen er die Quantenmechanik angegriffen hatte, so viel Wert beigemessen. 15 Auf jeden Fall ließ er auch diesen Ansatz bald fallen.

Einsteins letzte Strategie, die er im letzten Jahrzehnt seines Lebens beibehielt, war ein Rückgriff auf die Methode, die er in den 1920er-Jahren verwendet hatte. Er wählte eine nicht als symmetrisch betrachtete Riemann -Metrik , die die Möglichkeit zu sechzehn Größen bot. Zehn ihrer Kombinationen wurden für die Gravitation und die verbleibenden für den Elektromagnetismus genutzt.

Frühe Versionen dieser Arbeit sandte er seinem alten Gefährten Schrödinger . »Ich schicke sie niemandem anders, weil ich sonst keinen kenne, der frei von Scheuklappen in Hinblick auf die Grundfragen unserer Wissenschaft wäre«, schrieb Einstein. »Der Versuch beruht auf einer Idee, die zunächst veraltet und wenig aussichtsreich erscheint, nämlich der Einführung eines nicht-symmetrischen Tensors . (…) Pauli hat mir die Zunge rausgestreckt, als ich ihm davon erzählt habe.« 16

Drei Tage lang zerbrach sich Schrödinger den Kopf über Einsteins Arbeit, dann teilte er ihm mit, wie beeindruckt er war. »Du bist an etwas Großem dran«, schrieb er.

Einstein war begeistert über den Zuspruch. »Dieser Briefwechsel ist mir eine große Freude«, antwortete er, »weil du mein nächster Bruder bist und dein Gehirn dem meinen so ähnlich ist.« Aber schon bald begann er festzustellen, dass die hauchfeinen Theorien, die er da spann, zwar mathematisch elegant waren, sich aber nie auf eine physikalische Theorie zu beziehen schienen. »Innerlich bin ich nicht so sicher, wie ich neulich behauptet habe«, bekannte er Schrödinger einige Monate später. »Wir haben viel Zeit damit vergeudet, und das Ergebnis sieht wie ein Geschenk von des Teufels Großmutter aus.« 17

Trotzdem machte er unbeirrt weiter, produzierte immer neue Artikel und gelegentliche Schlagzeilen. Als eine neue Auflage seines Buchs The Meaning of Relativity 1949 vorbereitet wurde, fügte er im Anhang die neueste Version der Arbeit an, die er Schrödinger geschickt hatte. Die New York Times druckte eine ganze Seite mit komplexen Gleichungen aus dem Manuskript ab und brachte dazu eine Titelgeschichte mit der Überschrift »Neue Einstein-Theorie enthält Schlüssel zum Universum : Nach dreißigjähriger Arbeit liefert Wissenschaftler Theorie, welche die Kluft zwischen Sternen und Atomen zu überbrücken verspricht.« 18

Aber bald stellte Einstein einmal mehr fest, dass er nicht auf dem richtigen Weg war. In den sechs Wochen zwischen der Ablieferung des Kapitels und der Drucklegung hatte er es sich anders überlegt und schrieb den Text noch einmal um.

Tatsächlich überarbeitete er die Theorie immer wieder, doch ohne Erfolg. Sein wachsender Pessimismus zeigte sich in den Klagen, die er Maurice Solovine schickte, seinem alten Freund aus den Tagen der Akademie Olympia , der damals sein Pariser Verleger war. »Ich werde es nicht mehr fertigbringen«, schrieb er 1948. »Es wird vergessen werden und muss wohl später wiederentdeckt werden.« Dann, im folgenden Jahr: »Ich fühle mich unsicher, ob ich überhaupt auf dem rechten Weg bin. Die Zeitgenossen aber sehen in mir zugleich einen Ketzer und Reaktionär, der sich selber sozusagen überlebt hat.« Und etwas resigniert fügte er 1951 hinzu: »Die einheitliche Feldtheorie ist nun in sich abgeschlossen. Sie ist aber so schwer mathematisch anzuwenden, dass ich trotz aller aufgewendeten Mühe nicht imstande bin sie irgendwie zu prüfen. Dieser Zustand wird wohl noch viele Jahre anhalten, zumal die Physiker für logisch-philosophische Argumente wenig Verständnis haben.« 19

Einsteins Suche nach einer einheitlichen Theorie war dazu bestimmt, greifbare Ergebnisse zu erzielen, die das Gerüst der Physik erweitern sollten. Aber er konnte auf keine bedeutenden Einfälle oder Gedankenexperimente zurückgreifen, keine intuitiven Erkenntnisse über Grundprinzipien, die ihm eine Vorstellung von seinem Ziel hätten vermitteln können. Es gab »keine Bilder, die behilflich sein könnten«, klagte sein Mitarbeiter Hoffmann . »Sie ist hochgradig mathematisch, und im Laufe der Jahre überwand Einstein mit Helfern und auch allein eine Schwierigkeit nach der anderen und sah sich immer wieder einer neuen gegenüber.« 20

Vielleicht war die Suche vergeblich. Und sollte sich in hundert Jahren herausstellen, dass sich tatsächlich keine einheitliche Theorie finden lässt, wird sie auch als Fehlentscheidung in die Geschichte eingehen. Aber Einstein hat nie bedauert, dass er sich ihr gewidmet hat. Als ihn ein Kollege eines Tages fragte, warum er seine Zeit mit dieser einsamen Tätigkeit verbringe, vielleicht sogar vergeude, erwiderte er, auch wenn die Aussichten, eine einheitliche Theorie zu finden, gering seien, lohne es den Versuch. Er habe sich bereits einen Namen gemacht, meinte er. Seine Stellung sei gesichert, daher könne er das Risiko eingehen und seine Zeit dafür aufwenden. Ein jüngerer Theoretiker könne ein solches Risiko nicht wagen, weil er sich damit eine vielversprechende Berufslaufbahn verderben könne. Daher sei es, sagte Einstein, seine Pflicht, es zu tun. 21

Das wiederholte Scheitern bei der Suche nach einer einheitlichen Theorie konnte Einsteins Skepsis gegenüber der Quantenmechanik nicht verringern. Niels Bohr , sein häufiger Sparringspartner, kam 1948 zu einem längeren Aufenthalt in das Institut und schrieb in dieser Zeit einen Essay über ihre Debatten auf den Solvay-Konferenzen vor dem Krieg. 22 In seinem Büro einen Stock über Einsteins Büro bekam er bei der Arbeit an dem Artikel eine Schreibblockade und bat Abraham Pais um Hilfe. Während Bohr wie wild um den länglichen Tisch herumlief, redete Pais beruhigend auf ihn ein und machte Notizen.

Wenn der Frust zu groß wurde, stieß Bohr manchmal immer wieder ein und dasselbe Wort hervor. Schon bald diente ihm Einsteins Name dazu. Er ging zum Fenster und murmelte ununterbrochen: »Einstein … Einstein …«

Einmal öffnete Einstein in einem solchen Augenblick leise die Tür, kam auf Zehenspitzen herein und bedeutete Pais , nichts zu sagen. Er war gekommen, um ein bisschen Tabak zu stibitzen, den ihm die Ärzte verboten hatten. Bohr setzte sein Gemurmel fort, stieß ein letztes lautes »Einstein« aus, wandte sich um und sah sich Aug in Aug mit dem Objekt seiner Ängste. »Es wäre untertrieben zu behaupten, Bohr sei einen Moment sprachlos gewesen«, erinnerte sich Pais . Gleich darauf seien sie alle in Gelächter ausgebrochen. 23

Ein anderer Kollege, der vergebens Einstein zu bekehren versuchte, war John Wheeler , der bekannte theoretische Physiker der Princeton University. Eines Nachmittags kam er in die Mercer Street , um Einstein einen neuen quantentheoretischen Ansatz zu erklären (das Verfahren der Summe über alle Geschichten), das er zusammen mit seinem Doktoranden Richard Feynman entwickelt hatte. »Ich war mit der Hoffnung zu Einstein gekommen, ihn von der Natürlichkeit der Quantentheorie überzeugen zu können, wenn man sie in diesem neuen Licht betrachtete«, erinnerte sich Wheeler . Zwanzig Minuten hörte Einstein ihm geduldig zu, doch als sein Gegenüber fertig war, wiederholte er seine alte Leier: »Ich kann immer noch nicht glauben, dass der Herrgott würfelt.«

Wheeler war sichtlich enttäuscht, woraufhin Einstein seine Äußerung etwas abmilderte. »Natürlich kann ich unrecht haben«, sagte er langsam und fügte nach einer Pause in scherzhaftem Ton hinzu: »Aber vielleicht habe ich das Recht erworben, Fehler zu machen.« Später räumte Einstein gegenüber einer Freundin ein: »Ich denke nicht, dass ich lange genug leben werde, um herauszufinden, wer recht hat.«

Wheeler kam öfter zurück, manchmal brachte er seine Studenten mit, und Einstein gab zu, dass er einige seiner Argumente »vernünftig« finde. Aber er wurde nie zum Bekehrten. Gegen Ende seines Lebens empfing Einstein eine kleine Gruppe von Wheelers Studenten. Als sich das Gespräch der Quantenmechanik zuwandte, versuchte er wieder einmal der Idee am Zeug zu flicken, dass unsere Beobachtungen die Wirklichkeit beeinflussen und bestimmen können. »Wie ist es, wenn eine Maus beobachtet«, fragte Einstein sie, »verändert das den Zustand des Universums 24

Der Löwe im Winter

Mileva Marić , deren Gesundheitszustand sich durch eine Reihe kleinerer Schlaganfälle stetig verschlechtert hatte, wohnte nach wie vor in Zürich und versuchte, sich um ihren stationär untergebrachten Sohn Eduard zu kümmern, dessen Verhalten zunehmend unberechenbar und gewalttätig wurde. Sie wurde wieder von finanziellen Problemen geplagt, was die Spannungen zu ihrem Ex-Mann aufleben ließ. Der Teil des Nobelpreisgeldes , den er für sie in Amerika angelegt hatte, war während der Depression verloren gegangen, und zwei ihrer drei Mietshäuser mussten verkauft werden, um Eduards Heimunterbringung zu finanzieren. Ende 1946 drängte Einstein darauf, das verbleibende Haus ebenfalls zu verkaufen und das Geld von einem gesetzlichen Vormund verwalten zu lassen, der für Eduard ernannt werden sollte. Aber Marić hatte den Nießbrauch des Hauses und seiner Einkünfte sowie die Vollmacht über die Immobilie und war nicht gewillt, die Kontrolle einfach aus der Hand zu geben. 25

An einem sehr kalten Tag in diesem Winter rutschte sie auf dem Weg zu Eduard auf dem eisigen Boden aus und blieb ohnmächtig liegen, bis sie von Fremden gefunden wurde. Sie wusste, dass sie bald sterben würde, und hatte wiederkehrende Albträume, in denen sie sich durch tiefen Schnee kämpfte und außerstande war, Eduard zu erreichen. Sie hatte panische Angst um Eduards Zukunft und schrieb herzzerreißende Briefe an Hans Albert . 26

Anfang 1948 gelang es Einstein, ihr Haus zu verkaufen, doch mit ihrer Vollmacht verhinderte sie , dass der Ertrag an ihn geschickt wurde. Er schrieb Hans Albert , teilte ihm alle Einzelheiten mit und versprach ihm, er werde sich, egal, was geschehe, um Eduard kümmern, »und wenn es meine ganzen Ersparnisse kostet«. 27 In diesem Mai erlitt Marić einen Schlaganfall und verfiel in einen Trancezustand, in dem sie wiederholt »Nein, nein!« murmelte, bis sie drei Monate später starb. Den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses – 85.000 Schweizer Franken – fand man unter ihrer Matratze.

Auch Eduard verfiel in einen Dämmerzustand und sprach nie wieder von seiner Mutter . Carl Seelig , ein Freund Einsteins, der in der Nähe wohnte, besuchte Eduard häufig und schickte regelmäßig Berichte an Einstein. Seelig hoffte, er könne einen Kontakt zwischen Vater und Sohn herstellen, schaffte es aber nie. »Es liegt da eine Hemmung zugrunde, die völlig zu analysieren ich nicht fähig bin«, schrieb Einstein an Seelig . »Es spielt aber mit, dass ich glaube, schmerzliche Gefühle verschiedener Art bei ihm zu erwecken, dadurch, dass ich irgendwie in Erscheinung trete.« 28

1948 begann sich auch Einsteins Gesundheitszustand zu verschlechtern. Jahrelang hatten ihn Magenschmerzen und Blutarmut gequält. Später im Jahr begab er sich, nach heftigen Schmerzen und Erbrechen, zu einer Untersuchung ins Jewish Hospital in Brooklyn. Ein explorativer Eingriff ergab ein Aneurysma der Bauchaorta, 29 doch die Ärzte kamen zu dem Ergebnis, dass sie nicht viel dagegen unternehmen konnten. Man nahm zu Recht an, dass sie ihn eines Tages töten werde, doch bei gesunder Ernährung könne er noch eine Zeit lang überleben. 30

Zur Erholung ging er auf die längste Reise, die er während seiner zweiundzwanzig Jahre in Princeton unternahm: in den Süden nach Sarasota in Florida. Dieses Mal gelang es ihm, die Öffentlichkeit erfolgreich zu meiden. »Einstein, der scheue Besucher«, klagte die Lokalzeitung.

Helen Dukas begleitete ihn. Nach Elsas Tod war sie eine treue Wächterin geworden. Sogar gegen die Briefe von Hans Alberts Tochter Evelyn schirmte sie ihn ab. Hans Albert äußerte den Verdacht, Dukas könnte eine Affäre mit seinem Vater gehabt haben, und vertrat diese Ansicht auch anderen gegenüber. »Bei vielen Gelegenheiten erzählte mir Einsteins Sohn Hans Albert von seinem lange gehegten Verdacht bezüglich dieser Affäre«, berichtete später Peter Bucky , der Freund der Familie. Doch andere Menschen, die die Dukas kannten, hielten den Verdacht für unwahrscheinlich. 31

Inzwischen hatte Einstein eine sehr viel freundlichere Beziehung zu seinem Sohn , der jetzt ein geachteter Professor für Ingenieurwissenschaft in Berkeley war. »Immer, wenn wir uns trafen«, berichtete Hans Albert von den Besuchen bei seinem Vater an der Ostküste, »erzählten wir uns gegenseitig von den interessanten Entwicklungen auf unser beider Forschungs- und Arbeitsgebieten.« Einstein hörte besonders gerne von neuen Erfindungen und Lösungen schwieriger Rätsel. »Vielleicht erinnerten ihn Erfindungen und Rätsel an die glücklichen, sorglosen und erfolgreichen Tage im Patentamt in Bern «, sagte Hans Albert . 32

Einsteins geliebte Schwester Maja , die engste Vertraute seines Lebens, kränkelte ebenfalls. Sie war nach Princeton gekommen, als Mussolini seine antisemitischen Gesetze erließ, aber ihr Mann, Paul Winteler , dem sie sich seit vielen Jahren entfremdet hatte, 33 war in die Schweiz, zu seiner eigenen Schwester und Michele Besso , ihrem Mann, gezogen. Sie schrieben sich oft, aber kamen nie wieder zusammen.

Wie einst Elsa wurde nun auch Maja Einstein immer ähnlicher, einschließlich des Strahlenkranzes von Silberhaar und des verschmitzten Lächelns. Auch der Tonfall und die skeptisch-ironische Art, Fragen zu stellen, erinnerten an ihn. Obwohl sie Vegetarierin war, liebte sie Würstchen, daher erklärte Einstein Würstchen zu Gemüse, und damit gab sie sich zufrieden. 34

Maja hatte einen Schlaganfall erlitten und war ab 1948 überwiegend ans Bett gefesselt. Sie stand Einstein so nahe wie kein anderer Mensch. Jeden Abend las er ihr vor. Manchmal war es schwere Kost, etwa die Argumente des Ptolemäus gegen die Auffassung des Aristarch , dass sich die Welt um die Sonne drehe. »Ich habe dabei an manche Argumente der heutigen Physiker denken müssen, gelehrt und raffiniert, aber instinktlos«, berichtete er Solovine über den Abend. Manchmal war die Lektüre leichter, aber vielleicht ebenso aufschlussreich, etwa wenn er ihr aus Don Quijote vorlas; gelegentlich verglich er seine quijotischen Ausfälle gegen die Windmühlen der herrschenden wissenschaftlichen Meinungen mit den Kämpfen des Ritters von der traurigen Gestalt. 35

Als Maja im Juni 1951 starb, war er in tiefer Trauer. »Ich vermisse sie mehr, als man sich vorstellen kann«, schrieb er einem Freund. Stundenlang saß er auf der hinteren Veranda seines Hauses in der Mercer Street , bleich und angespannt, und blickte nach oben. Als seine Stieftochter Margot kam, um ihn zu trösten, zeigte er in den Himmel und sagte, als wollte er sich selbst beruhigen: »Schau in die Natur, dann wirst du es besser verstehen.« 36

Auch Margot hatte ihren Mann verlassen, der sich daraufhin einen lange gehegten Wunsch erfüllte und eine unautorisierte Einstein-Biografie schrieb. Sie verehrte Einstein, und jedes Jahr wurde ihre Beziehung enger. Er genoss ihre Gegenwart. »Wenn Margot spricht«, sagte er, »siehst du Blumen wachsen.« 37

Seine Fähigkeit, solche Zuneigung zu wecken und zu empfinden, widersprach seinem Ruf, sich in Gefühlsdingen distanziert zu verhalten. Als Maja und Margot älter wurden, zogen sie es beide vor, statt bei ihren Ehemännern bei Einstein zu leben. Er war ein schwieriger Ehemann und Vater gewesen, weil er mit Einschränkungen nicht zurechtkam, aber er konnte sich Angehörigen und Freunden gegenüber auch einfühlsam und liebevoll verhalten, wenn er ihnen zugetan war und sich nicht eingeengt fühlte.

Einstein war ein Mensch mit guten und schlechten Seiten wie wir alle; seine größten Schwächen offenbarten sich in seinen persönlichen Beziehungen. Er hatte lebenslange Freunde, auf die er sich blind verlassen konnte, und es gab Angehörige, die ihn anbeteten, aber andere – vor allem Mileva und Eduard  –, grenzte er einfach aus, wenn die Beziehung zu schmerzlich wurde.

Seine Kollegen lernten ihn nur von seiner freundlichen Seite kennen. Er war liebenswürdig und großzügig zu Kollegen und Untergebenen, egal, ob sie seiner Meinung waren oder nicht. Über Jahrzehnte unterhielt er tiefe Freundschaften. Seinen Assistenten gegenüber zeigte er sich immer wohlwollend. Die Liebe, die er zu Hause manchmal vermissen ließ, brachte er dem Rest der Menschheit entgegen. Daher wurde er von seinen Kollegen, als er älter wurde, nicht nur geachtet und verehrt, sondern geliebt.

Als er an seinem siebzigsten Geburtstag von seinem Erholungsurlaub in Florida zurückkehrte, ehrten sie ihn mit einer Versammlung, die geprägt war von jener Mischung aus wissenschaftlicher und persönlicher Kameradschaft, die er seit seinen Studententagen schätzte. Obwohl die Reden sich eigentlich mit Einsteins wissenschaftlichen Leistungen beschäftigen sollten, ging es doch meistens um seine Liebenswürdigkeit und Menschlichkeit. Als er den Raum betrat, wurde es einen Augenblick sehr still, dann ertönte donnernder Applaus. »Einstein hatte keine Ahnung, wie sehr er verehrt wurde«, berichtete einer seiner Assistenten. 38

Seine engsten Freunde im Institut kauften ihm ein Geschenk, ein hochmodernes Radio mit Mittelwellen- und UKW -Empfang und einen Hi-Fi-Plattenspieler, die sie heimlich bei ihm zu Hause einrichteten, als er im Institut war. Einstein war begeistert und hörte sich am Rundfunkapparat nicht nur Musik, sondern auch die Nachrichten an. Besonders mochte er die Kommentare von Howard K. Smith .

Die Geige hatte er inzwischen weitgehend aufgegeben. Das Spiel war für seine alterssteifen Finger zu schwierig geworden. Er zog jetzt das Klavier vor, das er aber nicht sehr gut spielte. Als er zum wiederholten Male an einer bestimmten Stelle stockte, wandte er sich zu Margot um und sagte lächelnd: »Mozart hat hier so einen Unsinn geschrieben.« 39

Mit seinem länger werdenden Haar und den noch ein wenig traurigeren und müderen Augen bekam er immer größere Ähnlichkeit mit einem Propheten. Sein Gesicht wurde noch faltiger, aber auch durchgeistigter. Es drückte Weisheit und Wehmut, aber auch Vitalität aus. Er war verträumt wie einst als Kind, aber jetzt auch heiter und gelassen.

»Ich werde als eine Art Petrefakt angesehen«, schrieb er an Max Born , damals Professor in Edinburgh , einen jener Freunde, die ihm viele Jahre die Freundschaft hielten. »Ich finde diese Rolle gar nicht so übel, zumal sie meinem Temperament ziemlich gut entspricht (…), ich habe einfach mehr Freude am Geben als am Empfang in jeder Beziehung und nehme mich nicht wichtig, auch das Treiben des Haufens nicht, schäme mich nicht meiner Schwächen und Laster und nehme von Natur die Dinge mit Humor und Gleichmut hin.« 40

Israelische Präsidentschaft

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Einstein in einer Rede vor dreitausend Besuchern einer Sederfeier in einem Hotel in Manhattan gegen einen jüdischen Staat ausgesprochen. »Meinem Gefühl für das Wesen des Judentums widerspricht der Gedanke eines jüdischen Staates mit Grenzen, einer Armee und säkularen Machtmitteln«, sagte er. »Ich fürchte den Schaden, den das Judentum dann erleidet – insbesondere durch die Entwicklung eines engen Nationalismus in unseren Reihen, gegen den wir schon ohne einen jüdischen Staat schwer zu kämpfen hatten. Wir sind nicht mehr die Juden der Makkabäer-Zeit.« 41 Nach dem Krieg vertrat er die gleiche Ansicht. Als er 1946 in Washington vor einem internationalen Komitee aussagte, das sich mit der Situation in Palästina beschäftigte, warf er den Briten vor, dass sie die Juden gegen die Araber ausspielten, forderte eine größere jüdische Einwanderung, lehnte aber die Idee eines jüdischen Nationalismus ab. »Die Staatsidee liegt mir nicht am Herzen«, sagte er fast im Flüsterton, der aber bis in den letzten Winkel des geschockten Auditoriums voller glühender Zionisten drang. »Ich kann nicht begreifen, wozu sie erforderlich ist.« 42 Rabbi Stephen Wise war entgeistert, dass Einstein bei einer öffentlichen Anhörung die überzeugten Zionisten derartig vor den Kopf stieß, und ließ ihn anschließend eine klärende Richtigstellung unterschreiben, die in Wahrheit gar nichts klärte.

Besonders entsetzt war Einstein über die militaristischen Methoden, zu denen Menachem Begin und andere jüdische Milizenführer griffen, und schloss sich seinem gelegentlichen Gegenspieler Sidney Hook an, indem er eine Erklärung in der New York Times unterschrieb, in der Begin als »Terrorist« bezeichnet und ihm »große Ähnlichkeit« mit den Faschisten attestiert wurde. 43 Die Gewalt sei wider die jüdische Natur, sagte Einstein. »Wir ahmen den stumpfsinnigen Nationalismus und rassistischen Unsinn der Gojim nach«, so schrieb er 1947 an einen Freund.

Als aber 1948 der Staat Israel ausgerufen wurde, teilte Einstein demselben Freund in einem weiteren Brief mit, dass sich seine Haltung geändert habe. »Ich habe die Idee eines Staates aus wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gründen nie gutgeheißen«, räumte er ein. »Aber jetzt gibt es kein Zurück, wir müssen es ausfechten.« 44

Die Gründung Israels veranlasste ihn erneut, sich vom reinen Pazifismus loszusagen, den er einst vertreten hatte. »Wir mögen bedauern, dass wir Methoden verwenden müssen, die wir abstoßend und stumpfsinnig finden«, schrieb er an eine jüdische Gruppe in Uruguay, »aber um für bessere Bedingungen auf internationaler Ebene zu sorgen, müssen wir zunächst an dem Erreichten mit allen Mitteln festhalten, die uns zur Verfügung stehen.« 45

Chaim Weizmann , der unermüdliche Zionist , der Einstein 1921 nach Amerika gebracht hatte, war Israels erster Präsident geworden, ein angesehener, aber doch eher repräsentativer Posten in einem System, das überwiegend den Ministerpräsidenten und sein Kabinett mit Regierungsmacht ausstattet. Als Weizmann im November 1952 starb, drängte eine Jerusalemer Zeitung darauf, Einstein zu bitten, Weizmanns Nachfolge anzutreten. Ministerpräsident David Ben-Gurion beugte sich dem Druck, und rasch verbreitete sich die Nachricht, dass man Einstein fragen werde.

Die Idee war so erstaunlich wie naheliegend – und genauso undurchführbar. Zum ersten Mal erfuhr Einstein davon aus einem kleinen Artikel in der New York Times , eine Woche nach Weizmanns Tod. Zunächst taten er und die Frauen in seinem Haus die Idee mit einem Lachen ab, aber dann begannen die Journalisten anzurufen. »Das ist sehr peinlich, sehr peinlich«, teilte er einem Besucher mit. Einige Stunden später traf ein Telegramm von Abba Eban ein, Israels Botschafter in Washington . Ob die Botschaft in den nächsten Tagen jemanden schicken dürfte, der ihm einen offiziellen Besuch abstattete, hieß es in der Anfrage.

»Warum soll der Mann eine so lange Reise unternehmen«, klagte Einstein, »wenn ich doch nur Nein sagen kann?«

Helen Dukas schlug vor, Botschafter Eban einfach anzurufen. Damals waren spontane Ferngespräche etwas Neues. Zu ihrer Überraschung erreichte sie Eban in Washington und verband ihn mit Einstein.

»Ich bin nicht geeignet für das Amt und kann es unmöglich annehmen«, sagte Einstein.

»Ich kann meiner Regierung nicht mitteilen, dass Sie mich angerufen und abgelehnt haben«, antwortete Eban . »Ich muss mich an das Protokoll halten und Ihnen das Angebot offiziell unterbreiten.«

Schließlich schickte Eban einen Stellvertreter, der Einstein ein offizielles Schreiben überreichte, in dem er gefragt wurde, ob er die Präsidentschaft übernehmen wolle. »Einwilligung würde heißen, nach Israel zu ziehen und die Staatsbürgerschaft anzunehmen«, hieß es in Ebans Brief ausdrücklich (vermutlich für den Fall, dass Einstein sich einbildete, er könne als israelischer Staatspräsident von Princeton aus amtieren). Allerdings beeilte Eban sich zur Beruhigung Einsteins hinzuzufügen: »Die Freiheit, Ihre große wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, würde Ihnen von einer Regierung und einem Volk gewährt, die sich der übergeordneten Bedeutung Ihres großen Werks vollauf bewusst sind.« Mit anderen Worten, es war eine Aufgabe, die seine Anwesenheit erforderte, aber wenig mehr.

Obwohl das Angebot etwas seltsam erschien, war es ein beeindruckendes Zeugnis für Einsteins unbestrittenen Status als Held des Weltjudentums . Es »verkörpert die größte Hochachtung, die das jüdische Volk irgendeinem seiner Söhne entgegenbringen kann«, schrieb Eban .

Einstein hatte schon eine Ablehnung vorbereitet, die er Ebans Abgesandtem überreichte, kaum dass dieser eingetroffen war. »Ich bin mein ganzes Leben lang Anwalt«, scherzte der Besucher, »habe aber noch nie eine Zurückweisung erfahren, bevor ich meinen Fall darlegen konnte.«

Er sei »tief bewegt« von dem Angebot, meinte Einstein in seiner vorbereiteten Antwort, und »zugleich traurig und beschämt«, dass er es nicht annehmen werde. »Mein Leben lang habe ich mich mit objektiven Angelegenheiten beschäftigt, daher fehlt mir die natürliche Fähigkeit und Erfahrung, angemessen mit Menschen umzugehen und offizielle Aufgaben zu erfüllen«, erklärte er. »Diese Situation bekümmert mich umso mehr, als meine Beziehung zum jüdischen Volk zu meiner stärksten menschlichen Bindung wurde, nachdem ich klar erkannt hatte, wie prekär unsere Stellung unter den Nationen der Welt ist.« 46

Einstein die Präsidentschaft Israels anzubieten, war eine kluge Idee, aber Einstein wusste, dass eine brillante Idee manchmal auch eine sehr schlechte ist. Selbstkritisch wie immer, erkannte er, dass er nicht die natürliche Gabe hatte, so mit Menschen umzugehen, wie man es in dieser Rolle von ihm erwarten würde, und dass er nicht die Wesensart besaß, die er für ein offizielles Amt brauchte. Er eignete sich weder zum Staatsmann noch zum Aushängeschild.

Er sagte gern seine Meinung und hatte nicht die Geduld für die Kompromisse, die man eingehen musste, um komplexe Organisationen zu führen oder sie auch nur symbolisch zu repräsentieren. Als er eine solche symbolische Führungsrolle bei den Bemühungen um die Gründung der Hebräischen Universität bekleidete, hatte er weder das Talent, um all die erforderlichen politischen Manöver auszuführen, noch das Temperament, um sie zu ignorieren. Ähnlich unangenehme Erfahrungen hatte er erst unlängst mit den Organisatoren der Gründung der Brandeis University in der Nähe Bostons machen müssen, was ihn bewogen hatte, von dem Projekt zurückzutreten. 47

Zudem war er nie durch Organisationsgabe aufgefallen. Die einzige administrative Pflicht, die er jemals auf sich genommen hatte, war die Leitung eines neuen Physikinstituts an der Universität Berlin . Dort hatte er kaum etwas anderes getan, als seine Stieftochter mit Bürotätigkeiten zu beschäftigen und den Astronomen einzustellen, der versuchte, seine Theorien zu bestätigen.

Einstein verdankte seine besondere Begabung der rebellischen und nonkonformistischen Einstellung, die sich gegen jeden Versuch wehrte, ihn am freien Ausdruck seiner Meinungen und Erkenntnisse zu hindern. Gibt es hinderlichere Charaktereigenschaften für einen Menschen, von dem man eine politisch vermittelnde Rolle erwartet? Wie er in einem höflichen Brief an die Jerusalemer Zeitung erklärte, die ihn als Staatspräsidenten vorgeschlagen hatte, wollte er sich nicht der Gefahr aussetzen, sich mit einer Regierungsentscheidung einverstanden erklären zu müssen, die »mich in einen Konflikt mit meinem Gewissen bringen könnte«.

In der Gesellschaft wie in der Wissenschaft zog er es vor, ein Nonkonformist zu bleiben. »Es ist zwar schon mancher Rebell zuletzt eine Respektsperson und sogar ein Bonze geworden«, räumte Einstein in dieser Woche einem Freund gegenüber ein, »aber das kann ich nicht über mich bringen.« 48

Ben-Gurion war insgeheim erleichtert. Er hatte inzwischen eingesehen, dass es eine schlechte Idee war. »Sagen Sie mir, was wir tun sollen, wenn er Ja sagt!«, meinte er scherzhaft zu seinem Assistenten. »Ich musste ihm den Posten anbieten, weil es unmöglich wäre, es nicht zu tun. Aber wenn er annimmt, sind wir in Schwierigkeiten.« Botschafter Eban traf zwei Tage später Einstein in New York auf einem Galaempfang mit Smokingzwang und schätzte sich glücklich, dass das Problem hinter ihnen lag. Einstein trug keine Socken. 49