Die Rosenbergs

Die hektische Eile bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe , der wachsende Antikommunismus und Senator Joseph McCarthys immer rücksichtslosere Sicherheitsüberprüfungen beunruhigten Einstein. Die Atmosphäre erinnerte ihn an den zunehmenden Nationalsozialismus und Antisemitismus in den 1930er-Jahren. »Die deutsche Kalamität der zurückliegenden Jahre wiederholt sich«, klagte er Anfang 1951 in einem Brief an die belgische Königinmutter . »Die Menschen fügen sich ohne Widerstand und machen gemeinsame Sache mit den Kräften des Bösen.« 1

Er suchte nach einem Mittelweg zwischen denen, die sich reflexhaft antiamerikanisch, und denen, die sich reflexhaft antisowjetisch verhielten. Einerseits ließ er seinen Mitarbeiter Leopold Infeld abblitzen, der ihn dazu bewegen wollte, sich für den Weltfriedensrat einzusetzen, von dem Einstein zu Recht annahm, er unterliege sowjetischer Einflussnahme. »Nach meiner Ansicht dient er mehr oder minder der Propaganda«, sagte er. Genauso verhielt er sich gegenüber einer Gruppe von russischen Studenten, die ihn drängten, sich ihrem Protest gegen die angebliche Verwendung von biologischen Waffen durch die Amerikaner im Koreakrieg anzuschließen. »Sie können nicht von mir erwarten, dass ich gegen Vorfälle protestiere, die möglicherweise, und sehr wahrscheinlich, nie stattgefunden haben«, erwiderte er. 2

Andererseits weigerte sich Einstein, eine von Sidney Hook in Umlauf gebrachte Erklärung zu unterzeichnen, in der die Bösartigkeit der Menschen angeprangert wurde, die solche Beschuldigungen gegen Amerika erhoben. Keines dieser Extreme sagte ihm zu. Dazu schrieb er: »Jeder vernünftige Mensch muss danach streben, sich für Mäßigung und objektivere Urteile einzusetzen.« 3

In dem geschilderten Sinne wollte er für mehr Mäßigung sorgen, indem er in einem privaten Brief darum bat, Julius und Ethel Rosenberg , die sich hatten überreden lassen, Kernwaffengeheimnisse an die Sowjets weiterzugeben, die Todesstrafe zu erlassen. Er hatte vermieden, irgendwelche Äußerungen zu dem Fall abzugeben, der die Nation in einer Weise spaltete, die man vor Beginn des Kabelfernsehens selten erlebt hatte. Stattdessen schickte er dem zuständigen Richter Irving Kaufman einen Brief mit dem Versprechen, ihn nicht zu veröffentlichen. Einstein behauptete darin nicht, die Rosenbergs seien unschuldig. Er vertrat nur die Auffassung, die Todesstrafe sei zu hart in einem Fall, in dem die Faktenlage so unübersichtlich sei und der Ausgang mehr von der öffentlichen Hysterie als von Objektivität bestimmt werde. 4

In einer für die damalige Zeit typischen Manier übergab Richter Kaufman den Privatbrief an das FBI . Er wurde nicht nur Einsteins Akte hinzugefügt, sondern man untersuchte auch, ob ihm daraus Illoyalität nachzuweisen sei. Nach drei Monaten ging ein Bericht an Hoover , in dem es hieß, man habe keine weiteren belastenden Anhaltspunkte gefunden, doch der Brief blieb in der Akte. 5

Als Richter Kaufman schließlich die Todesstrafe verhängte, schrieb Einstein an Präsident Harry Truman , der im Begriff stand, das Weiße Haus zu verlassen, und bat ihn, die Todesstrafe umzuwandeln. Er entwarf den Brief zunächst auf Deutsch und schrieb ihn dann auf Englisch auf der Rückseite eines benutzten Blatts, dessen Vorderseite mit verschiedenen Gleichungen bedeckt war, die ihn, wenn man sieht, wie sie gewissermaßen versandeten, sicherlich nicht weiterbrachten. 6 Truman übergab die Angelegenheit seinem Nachfolger Präsident Eisenhower , der sich der Exekution nicht in den Weg stellte.

Einsteins Brief an Truman wurde veröffentlicht, und die New York Times brachte auf der ersten Seite einen Bericht mit dem Titel »Einstein unterstützt Rosenberg -Berufung«. 7 Er wurde mit mehr als hundert wütenden Briefen aus dem ganzen Land überschwemmt. »Ihnen fehlt es an gesundem Menschenverstand und der nötigen Einsicht in das, was Amerika Ihnen gegeben hat«, schrieb Marian Rawles aus Portsmouth in Virginia. »Für Sie kommen die Juden an erster Stelle und Amerika an zweiter«, meinte Charles Williams aus White Plains im Staat New York . Corporal Homer Greene , der in Korea diente, erklärte: »Sie sehen es offenbar gern, dass unsere Soldaten getötet werden. Gehen Sie zurück nach Russland oder dorthin, wo Sie herkommen, weil es mir nicht gefällt, dass Amerikaner Ihres Schlages von diesem Land leben und unamerikanische Äußerungen von sich geben.« 8

Viele positive Briefe gab es nicht, aber Einstein hatte einen freundlichen Gedankenaustausch mit dem liberalen Richter William O. Douglas vom Obersten Gericht, der vergeblich versucht hatte, die Hinrichtung zu verhindern. »Sie haben sich so hingebungsvoll darum bemüht, in unseren unruhigen Zeiten eine gesunde öffentliche Meinung zu schaffen«, schrieb Einstein voller Anerkennung. Douglas schickte ihm eine handgeschriebene Antwort: »Sie haben mir einen Zuspruch geschickt, der die Last dieser dunklen Stunde ein wenig aufhellt – einen Zuspruch, den ich immer in Ehren halten werde.« 9

In vielen der kritischen Briefe wurde Einstein gefragt, warum er bereit sei, sich für die Rosenbergs einzusetzen, nicht aber für die neun jüdischen Ärzte, die Stalin wegen einer angeblichen zionistischen Verschwörung zur Ermordung russischer Führungspersönlichkeiten vor Gericht stellen ließ. Zu denen, die öffentlich die vermeintliche Doppelmoral Einsteins anprangerten, gehörten auch der Verleger der New York Post und der Herausgeber des New Leader . 10

Einstein stimmte zu, dass das russische Vorgehen zu verdammen sei. »Die Pervertierung der Justiz, die sich in allen von der russischen Justiz inszenierten öffentlichen Prozessen zeigt, ist bedingungslos zu verurteilen«, schrieb er. Er fügte hinzu, dass individuelle Appelle an Stalin vermutlich wenig ausrichteten, aber vielleicht könne ja ein gemeinsamer Aufruf einer Gruppe von Wissenschaftlern helfen. Also tat er sich mit Harold Urey , einem Nobelpreisträger für Chemie, und anderen zusammen, um eine solche Erklärung abzugeben. »Einstein und Urey wenden sich gegen den Antisemitismus der Roten«, berichtete die New York Times . 11 (Als Stalin einige Wochen später starb, wurden die Ärzte auf freien Fuß gesetzt.)

Auf der anderen Seite betonte er in zahlreichen Briefen und Erklärungen, dass die Amerikaner sich durch die Furcht vor dem Kommunismus nicht dazu bewegen lassen dürften, die Bürgerrechte und die Freiheit des Denkens aufzugeben, die ihnen doch so am Herzen lägen. In England gebe es eine große Zahl Kommunisten , die Menschen dort ließen sich aber deshalb nicht zu hektischen innenpolitischen Sicherheitsüberprüfungen und Spitzeleien aufhetzen. Die Amerikaner hätten das auch nicht nötig.

William Frauenglass

Jedes Jahr verlieh die Kaufhauskette Lord & Taylor einen Preis, der besonders zu Beginn der 1950er-Jahre etwas ungewöhnlich wirken mochte. Er wurde für unabhängiges Denken ausgelobt, und Einstein bekam ihn verdientermaßen 1953 für seinen »Nonkonformismus « in der wissenschaftlichen Forschung.

Einstein war stolz auf diesen Wesenszug, wusste er doch, dass er ihm im Lauf der Jahre gute Dienste erwiesen hatte. »Ich sehe mit großer Freude, dass hier der Eigensinn eines unbelehrbaren Nonkonformisten auf das freundlichste ausgezeichnet wird«, sagte er in seiner Rundfunkansprache zur Preisverleihung.

Obwohl er für seinen Nonkonformismus im wissenschaftlichen Bereich geehrt wurde, nutzte Einstein die Gelegenheit, auf die Untersuchungen im McCarthy -Stil hinzuweisen. Für ihn war die Freiheit im Denken eng mit der Freiheit im politischen Bereich verknüpft. »Natürlich beschäftigen wir uns hier mit dem Nonkonformismus in einem sehr randständigen Tätigkeitsbereich«, sagte er und meinte die Physik. »Bislang hat sich noch kein Senatsausschuss genötigt gefühlt, die Gefahren zu bekämpfen, die die innere Sicherheit der unkritischen oder eingeschüchterten Bürger bedrohen.« 12

Diese Rede hörte William Frauenglass , ein Lehrer aus Brooklyn, der einen Monat zuvor in Washington vor einem Senatsunterausschuss für innere Sicherheit – zuständig für den kommunistischen Einfluss an Highschools – hätte aussagen sollen. Frauenglass hatte sich geweigert, Auskunft zu geben, und wollte nun von Einstein wissen, ob er sich richtig verhalten hatte.

Einstein formulierte eine Antwort, in der er Frauenglass mitteilte, er könne sie veröffentlichen. »Den reaktionären Politikern ist gelungen, Misstrauen gegenüber allen geistigen Tätigkeiten zu säen«, schrieb er. »Jetzt gehen sie dazu über, die Freiheit der Lehre zu unterdrücken.« So stelle sich die Frage, was Intellektuelle gegen dieses Übel tun könnten. »Ehrlich gesagt, ich sehe nur die revolutionäre Möglichkeit einer Kooperationsverweigerung im Sinne Gandhis «, erklärte Einstein. »Jeder Intellektuelle, der vor die Ausschüsse zitiert wird, sollte das Zeugnis verweigern.« 13

Einsteins lebenslange Gewohnheit, gegen die Strömung zu schwimmen, versah ihn in der McCarthy -Ära mit einer gelassenen Eigensinnigkeit. In einer Zeit, als die Bürger aufgefordert wurden, Namen zu nennen und ihre Loyalität und die ihrer Kollegen unter Beweis zu stellen, entschied er sich für einen einfachen Weg. Er riet dazu, die Kooperation zu verweigern.

Seiner Meinung nach sollte dies geschehen, wie er Frauenglass mitteilte, indem man sich auf die vom 1. Zusatzartikel garantierte Redefreiheit berief, statt das Aussageverweigerungsrecht des 5. Zusatzartikels als »Ausrede« zu benutzen. Vor allem Intellektuelle hätten die Pflicht, für den 1. Zusatzartikel einzutreten, weil ihnen in der Gesellschaft bei dem Schutz der Gedankenfreiheit eine besondere Rolle zufalle. Für ihn war es noch immer unfassbar, dass nur sehr wenige Intellektuelle Widerstand geleistet hatten, als die Nazis an die Macht kamen.

Als sein Brief an Frauenglass veröffentlicht wurde, war der öffentliche Aufschrei noch lauter als bei seinem Rosenberg -Appell. Landesweit zogen die Leitartikler alle Register, um ihre Empörung zum Ausdruck zu bringen.

The New York Times : »Unangebrachte und ungesetzliche Schritte zivilen Ungehorsams zu wählen, wie durch Professor Einstein angeraten, heißt in diesem Fall, ein Übel mit einem anderen zu bekämpfen. Die Situation, gegen die sich Professor Einstein auflehnt, ist sicherlich korrekturbedürftig, aber die Lösung kann nicht darin bestehen, sich über das Gesetz hinwegzusetzen.«

The Washington Post : »Durch seinen unverantwortlichen Vorschlag hat er sich selbst in eine extremistische Position begeben: Einmal mehr hat er bewiesen, dass Genialität in der Wissenschaft keine Garantie für Klugheit in politischen Angelegenheiten ist.«

The Philadelphia Inquirer : »Es ist besonders bedauerlich, wenn ein Gelehrter mit seinen Verdiensten und Auszeichnungen zulässt, dass ihn die Feinde des Landes, das ihm eine sichere Zuflucht gewährt hat, für Propagandazwecke missbrauchen. (…) Dr. Einstein ist von den Sternen herabgestiegen, um sich in die Weltanschauungspolitik einzumischen, mit beklagenswertem Ergebnis.«

The Chicago Daily Tribune : »Es ist immer wieder erstaunlich, wenn ein Mensch, der in einer Hinsicht große geistige Fähigkeiten beweist, sich in anderen als Einfaltspinsel oder Esel offenbart.«

The Pueblo (Colorado) Star-Journal : »Er hätte es vor allen anderen besser wissen müssen. Dieses Land hat ihn vor Hitler beschützt.« 14

Auch gewöhnliche Bürger schrieben ihm. »Blicken Sie in den Spiegel und schauen Sie, was für ein erbärmliches Bild: Ohne Haarschnitt sehen Sie aus wie ein Wilder, und Sie tragen eine russische Wollmütze wie ein Bolschewik «, schrieb Sam Epkin aus Cleveland . Der antikommunistische Kolumnist Victor Lasky schickte eine handgeschriebene Strafpredigt: »Ihr jüngster Angriff auf die Institutionen dieser großen Nation hat mich endgültig davon überzeugt, dass Sie trotz Ihrer bedeutenden wissenschaftlichen Kenntnisse ein Idiot sind, eine Gefahr für dieses Land.« Und George Stringfellow aus East Orange, New Jersey, merkte – unzutreffend – an: »Vergessen Sie nicht, dass Sie ein kommunistisches Land verlassen haben, um hierher in die Freiheit zu kommen. Missbrauchen Sie die Freiheit nicht, Sir.« 15

Auch Senator McCarthy äußerte Kritik, aber wohl angesichts Einsteins Bedeutung eher zurückhaltend. »Jeder, der Amerikanern rät, Informationen geheim zu halten, die sie über Spione oder Saboteure haben, ist selbst ein Feind Amerikas«, sagte er, ohne direkt auf Einstein oder das, was er geschrieben hatte, einzugehen. 16

Dieses Mal gab es allerdings mehr Briefe, deren Verfasser Einstein beipflichteten. Eine der amüsanteren Erwiderungen stammte von seinem Freund Bertrand Russell . »Sie scheinen zu denken, man müsse immer dem Gesetz gehorchen, wie schlecht es auch sei«, schrieb der Philosoph an die New York Times . »Das zwingt mich zu der Annahme, dass Sie George Washington verurteilen und meinen, Ihr Land müsse wieder Ihrer gnädigen Majestät Königin Elizabeth II . die Treue halten. Als loyaler Brite begrüße ich Ihre Ansicht natürlich, aber ich fürchte, sie wird bei Ihren Landsleuten nicht auf große Gegenliebe stoßen.« Einstein schrieb Russell einen Dankesbrief und klagte: »Alle Intellektuellen in diesem Land, bis hinunter zum jüngsten Studenten, sind vollkommen eingeschüchtert.« 17

Abraham Flexner , der inzwischen aus dem Institute for Advanced Study ausgeschieden war und in der Fifth Avenue wohnte, nutzte die Gelegenheit, sein Verhältnis zu Einstein wieder einzurenken. »Als gebürtiger Amerikaner danke ich Ihnen für den sehr schönen Brief an Mr. Frauenglass «, schrieb er. »Den Amerikanern im Allgemeinen stünde es besser zu Gesicht, würden sie sich weigern, auch nur ein Wort zu sagen, wenn man sie nach ihren persönlichen Meinungen und Überzeugungen befragt.« 18 Einer der rührendsten Briefe kam von Frauenglass’ halbwüchsigem Sohn Richard . »In diesen unruhigen Zeiten könnte Ihre Stellungnahme dem Geschick dieser Nation eine neue Richtung geben«, schrieb er, was nicht unzutreffend war. Weiter erklärte er, er werde Einsteins Brief bis an sein Lebensende in Ehren halten, und fügte als PS hinzu: »Meine Lieblingsfächer sind dieselben wie Ihre – Mathe und Physik. Jetzt nehme ich noch Trigonometrie hinzu.« 19

Passiver Widerstand

In der Folgezeit baten Dutzende von Dissidenten Einstein um Hilfe, aber er lehnte jedes Mal ab. Er hatte seine Meinung gesagt und sah keine Notwendigkeit, sich immer wieder einzumischen.

Doch eine Person verschaffte sich Gehör bei ihm: Albert Shadowitz , ein Physikprofessor, der während des Krieges als Ingenieur gearbeitet und eine Gewerkschaft gegründet hatte, die schließlich von der Arbeiterbewegung ausgestoßen worden war, weil sie Kommunisten als Mitglieder zuließ. Senator McCarthy wollte zeigen, dass diese Gewerkschaft Verbindungen nach Moskau habe und eine Gefahr für die Verteidigungsindustrie darstelle. Shadowitz , der Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war, beschloss, sich auf den 1. und nicht den 5. Zusatzartikel zu berufen, wie Einstein es Frauenglass empfohlen hatte. 20

Angesichts seiner Notlage beschloss Shadowitz , Einstein um Hilfe zu bitten. Doch dessen Nummer stand nicht im Telefonbuch. Also setzte sich Shadowitz im Norden von New Jersey ins Auto, fuhr nach Princeton und begab sich zu Einsteins Haus, wo er von Dukas , der gestrengen Wächterin, empfangen wurde. »Sind Sie verabredet?«, fragte sie. Er musste verneinen. »Nun, Sie können nicht einfach herkommen und mit Einstein sprechen«, erklärte sie. Doch nachdem er ihr seine Geschichte erzählt hatte, blickte sie ihn einen Moment an und winkte ihn dann herein.

Einstein erschien in seinem üblichen Aufzug: einem ausgebeulten Sweatshirt und einer Cordhose. Er führte Shadowitz die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer und versicherte ihm, dass er sich richtig verhalten habe. Er sei ein Intellektueller und habe daher die besondere Pflicht, in solchen Fällen für sein Recht einzutreten. »Wenn Sie sich dazu entscheiden, können Sie von meinem Namen in jeder gewünschten Weise Gebrauch machen«, erklärte Einstein großzügig.

Von diesem Blankoscheck war Shadowitz überrascht, nahm aber das Angebot dankbar an. Roy Cohn , McCarthys Chefjurist, übernahm die Befragung, während McCarthy die nicht öffentliche Anhörung zunächst stumm verfolgte. Ob er ein Kommunist sei? Darauf Shadowitz : »Auf Anraten von Professor Einstein verweigere ich die Antwort.« Plötzlich übernahm McCarthy die Befragung. Ob er mit Einstein bekannt sei? Nicht wirklich, antwortete Shadowitz , er sei ihm aber begegnet. Als die Aufzeichnung in einer offenen Anhörung abgespielt wurde, war die Wirkung wie im Fall Frauenglass : die gleichen Schlagzeilen und die gleiche Flut von Zuschriften.

Einstein hielt sich für einen guten und nicht für einen illoyalen Bürger. Er hatte den 1. Zusatzartikel gelesen und war der Überzeugung, das Festhalten an diesem Artikel sei Herzstück der viel beschworenen amerikanischen Freiheit. Ein ärgerlicher Kritiker schickte ihm die Kopie einer Karte, die, wie der Briefschreiber erklärte, »Das amerikanische Glaubensbekenntnis« enthielt. Darauf stand unter anderem: »Ich habe meinem Land gegenüber die Pflicht, es zu lieben, für seine Verfassung einzutreten und seinen Gesetzen zu gehorchen.« Einstein schrieb an den Rand: »Das ist genau das, was ich getan habe.« 21

Als der bedeutende schwarze Gelehrte W. E. B. Du Bois beschuldigt wurde, er habe eine vom Weltfriedensrat initiierte Erklärung in Umlauf gebracht, meldete Einstein sich freiwillig, als Leumundszeuge für Du Bois auszusagen. Hier kamen zwei Aspekte zusammen, die für Einstein große Bedeutung hatten: die Bürgerrechte und die Redefreiheit . Als Du Bois’ Anwalt das Gericht davon in Kenntnis setzte, dass Einstein aussagen werde, hatte der Richter es plötzlich sehr eilig, die Klage abzuweisen. 22

Ein anderer Fall betraf ihn unmittelbarer: der des Physikers J. Robert Oppenheimer . Nachdem Oppenheimer den Bau der Atombombe geleitet hatte und anschließend Direktor des Instituts geworden war, in dem sich Einstein noch immer zur Arbeit einfand, blieb Oppenheimer Berater der Atomenergiekommission und behielt daher seine Sicherheitsfreigabe. Durch anfänglichen Widerspruch gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe hatte er sich Edward Teller zum Feind gemacht und auch Lewis Strauss , den Vorsitzenden der Kommission, vor den Kopf gestoßen. Oppenheimers Frau Kitty und sein Bruder Frank waren vor dem Krieg Mitglieder der Kommunistischen Partei gewesen, und Oppenheimer selbst hatte mit Parteimitgliedern und mit Wissenschaftlern verkehrt, deren Loyalität jetzt in Zweifel gezogen wurde. 23

All das gipfelte 1953 in dem Versuch, Oppenheimer seine Sicherheitsfreigabe zu entziehen. Sie wäre sowieso bald erloschen, und man hätte die Sache in aller Stille enden lassen können, aber in der überhitzten Atmosphäre dieser Zeit waren weder Oppenheimer noch seine Gegner bereit, von dem abzurücken, was sie für eine Frage des Prinzips hielten. Daher wurde in Washington eine nicht öffentliche Anhörung angesetzt.

Eines Tages traf Einstein im Institut Oppenheimer , der die Anhörungen vorbereitete. Sie plauderten einige Minuten, dann ging Oppenheimer zu seinem Auto und berichtete einem Freund von dem Gespräch. »Einstein hält den Angriff gegen mich für so empörend, dass ich schlankweg zurücktreten sollte«, sagte er. Einstein halte ihn für einen »Narren«, weil er überhaupt auf diese Anschuldigungen antworte. Nachdem er seinem Land auf so vorbildliche Weise gedient habe, gebe es für ihn keine Verpflichtung, sich einer »Hexenjagd« auszusetzen. 24

Ein paar Tage nach Beginn der nicht öffentlichen Anhörung im April 1954, als der CBS -Journalist Edward R. Murrow Joseph McCarthy angriff und die Kontroverse über die Sicherheitsüberprüfungen ihren Höhepunkt erreichte, machte sie ein Exklusivbericht von James Reston auf Seite 1 der New York Times öffentlich. 25 Das Thema der staatlichen Überprüfung von Oppenheimers Loyalität wurde augenblicklich zu einer weiteren polarisierenden öffentlichen Debatte.

Nachdem Abraham Pais erfahren hatte, dass die Geschichte kurz vor der Veröffentlichung stand, ging er in die Mercer Street , um Einstein auf die unvermeidlichen Presseanrufe vorzubereiten. Er reagierte mit grimmiger Belustigung, als Pais ihm berichtete, Oppenheimer bestehe immer noch auf einer Anhörung, statt seine Verbindungen mit der Regierung einfach zu kappen. Einstein meinte, das Problem sei, dass er eine Frau liebe, die ihn nicht liebe, nämlich die Regierung der Vereinigen Staaten. »Oppenheimer brauche bloß nach Washington zu gehen und den Beamten zu sagen, sie seien Idioten, und dann nach Hause zu gehen.« 26

Oppenheimer verlor. Die Atomenergiekommission befand zwar, er sei ein loyaler Amerikaner, entzog ihm aber seine Sicherheitsfreigabe – einen Tag bevor sie ohnehin erloschen wäre. Einstein besuchte ihn am Tag darauf im Institut und traf ihn niedergeschlagen an. Am Abend desselben Tages erklärte er einer Freundin, er könne nicht »verstehen, warum Oppenheimer die Sache so ernst nehme«.

Als einige Institutsmitglieder eine Erklärung herumgehen ließen, in der sie die Unterstützung ihres Direktors zum Ausdruck brachten, unterzeichnete Einstein sie augenblicklich. Andere weigerten sich anfänglich, wohl auch aus Furcht. Das brachte Einstein in Fahrt. Er »setzte seine ›revolutionären Talente‹ ein, um mehr Unterstützung zu mobilisieren«, erinnerte sich eine Freundin. Nach einigen weiteren Treffen hatte Einstein durch Überzeugung oder den Appell ans Schamgefühl alle zum Unterzeichnen bewegt. 27

Lewis Strauss , Oppenheimers Gegner in der Atomenergiekommission , saß auch im Verwaltungsrat des Instituts , ein Umstand, der die Mitglieder beunruhigte. Würde er auf Oppenheimers Entlassung hinarbeiten? Einstein schrieb an seinen Freund Herbert Lehman , den New Yorker Senator, der ebenfalls dem Verwaltungsrat angehörte, und bezeichnete Oppenheimer als »den bei Weitem fähigsten Direktor, den das Institut je hatte«. Ihn zu entlassen, schrieb er, »würde alle Gelehrten empören«. 28 Die Mitglieder des Verwaltungsrats beschlossen, dass Oppenheimer blieb.

Bald nach der Oppenheimer -Affäre erhielt Einstein in Princeton einen Besuch von Adlai Stevenson , dem einstigen und zukünftigen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der sich bei Intellektuellen besonderer Beliebtheit erfreute. Einstein äußerte seine Besorgnis darüber, wie die Politiker die Furcht vor dem Kommunismus schürten. Stevenson antwortete eher ausweichend. Die Russen seien doch tatsächlich eine Gefahr. Nach einigem freundlichen Hin und Her dankte Stevenson seinem Gastgeber für die Unterstützung im Wahljahr 1952. Kein Grund zum Danken, erwiderte Einstein, er habe das nur getan, weil er Eisenhower noch weniger getraut habe. Stevenson sagte, er finde solche Ehrlichkeit erfrischend, und Einstein kam zu dem Ergebnis, dass sein Besucher nicht ganz so aufgeblasen sei, wie er anfangs gedacht habe. 29

Einsteins Widerstand gegen den McCarthyismus erwuchs teilweise aus seiner Furcht vor dem Faschismus . Amerikas größte innere Bedrohung erwuchs seiner Meinung nach nicht aus einer kommunistischen Unterwanderung, sondern gehe von jenen Kräften aus, welche die Kommunistenfurcht dazu benutzten, um die Bürgerrechte auszuhebeln. »Für Amerika ist die Gefahr, die von den eigenen Kommunisten ausgeht, unvergleichlich geringer als diejenige, die aus der hysterischen Jagd auf die wenigen Kommunisten im Lande erwächst«, teilte er dem Sozialistenführer Norman Thomas mit.

Selbst Menschen gegenüber, die er nicht kannte, brachte Einstein seine Empörung unverhohlen zum Ausdruck. »Wir sind gar nicht mehr so weit von einem faschistischen Regime entfernt«, schrieb er in Erwiderung auf einen elfseitigen Brief, den ihm ein unbekannter New Yorker geschickt hatte. »Wie sehr die Verhältnisse hier den Bedingungen im Deutschland des Jahres 1932 gleichen, ist nicht zu übersehen.« 30

Einige Kollegen befürchteten, Einsteins freimütige Äußerungen könnten das Institut in Schwierigkeiten bringen. Von solchen Sorgen, scherzte er, bekomme er graue Haare. Tatsächlich genoss er geradezu jungenhaft die amerikanische Freiheit, zu sagen, was immer er dachte. »Infolge meiner Unfähigkeit, den Mund zu halten und herunterzuschlucken, was mir durch den Kopf geht, bin ich in meiner neuen Heimat zu einer Art Enfant terrible geworden«, schrieb er an die Königinmutter Elisabeth . »Abgesehen davon glaube ich, dass ältere Menschen, die kaum noch etwas zu verlieren haben, bereit sein sollten, sich offen im Namen derjenigen zu äußern, die jung und viel größeren Einschränkungen unterworfen sind.« 31

Halb im Ernst und halb im Spaß äußerte er gar die Ansicht, bei der derzeit herrschenden politischen Einschüchterung wäre er kein Professor geworden. »Wäre ich wieder ein junger Mann und müsste entscheiden, wie ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen will, würde ich nicht versuchen, Wissenschaftler, Gelehrter oder Lehrer zu werden«, erklärte er Theodore White von der Zeitschrift Reporter , »sondern würde lieber Klempner oder Hausierer werden, weil ich dann hoffen könnte, noch ein bescheidenes Maß an Unabhängigkeit zu finden.« 32

Diese Äußerung trug ihm eine Ehrenmitgliedschaft in einer Klempnergewerkschaft ein und löste eine landesweite Debatte über akademische Freiheit aus. Selbst Einsteins nicht ganz ernst gemeinte Bemerkungen hatten ungeahnte Folgen.

Einstein hatte recht, die akademische Freiheit war gefährdet, und die Schäden, die viele berufliche Laufbahnen erlitten, waren real. Beispielsweise wurde David Bohm , ein bedeutender theoretischer Physiker , der mit Oppenheimer und Einstein in Princeton arbeitete und bestimmte Aspekte der Quantenmechanik verbesserte, vor den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe zitiert, wo er sich auf den 5. Zusatzartikel berief, daraufhin seine Stellung verlor und schließlich nach Brasilien ging.

Trotz allem erwies sich Einsteins Bemerkung – und sein pessimistisches Gerede – als übertrieben. Trotz seiner politisch unklugen Äußerungen gab es keinen ernsthaften Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen oder seine Anstellung zu bedrohen. Selbst die tollpatschigen FBI -Bemühungen, ein Dossier über ihn anzulegen, konnten ihn nicht daran hindern, seine Meinung kundzutun. Am Ende der Oppenheimer -Untersuchung saßen beide, Oppenheimer und Einstein, noch sicher in ihrer Princeton -Zuflucht und konnten denken und sagen, was sie wollten. Dass die Loyalität beider Männer infrage gestellt und ihnen ihre Sicherheitsfreigabe vorübergehend aberkannt wurde, war eine Schande. Aber deshalb herrschten noch lange keine Verhältnisse wie in NS -Deutschland, nicht einmal annähernd, ungeachtet dessen, was Einstein mitunter von sich gab.

Einstein und andere Emigranten neigten verständlicherweise dazu, im McCarthyismus einen verhängnisvollen Weg ins Schwarze Loch des Faschismus zu sehen, statt einfach einen jener Gezeitenwechsel, zu denen es in einer Demokratie gelegentlich kommt. Wie sich herausstellte, korrigierte sich die amerikanische Demokratie wie immer selbst. 1954 erlebte McCarthy auf Betreiben der Army-Juristen, seiner Senatskollegen, Präsident Eisenhowers und solcher Journalisten wie Drew Pearson und Edward R. Murrow einen bitteren Sturz. Nachdem man die Protokolle der Oppenheimer -Anhörung veröffentlicht hatte, war der Ruf von Lewis Strauss und Edward Teller  – zumindest im akademischen und wissenschaftlichen Establishment – genauso beschädigt wie der von Oppenheimer .

Einstein war weder an die selbstheilenden Kräfte politischer Systeme gewöhnt, noch hatte er erkannt, wie resilient die amerikanische Demokratie durch die Förderung individueller Freiheiten war. So nahm seine Geringschätzung noch eine Zeit lang zu. Doch vor echter Verzweiflung bewahrten ihn seine ironische Distanz und sein Humor. Ihm war es nicht bestimmt, in Verbitterung zu sterben.