Zu seinem 75. Geburtstag im März 1954 erhielt Einstein von einer medizinischen Einrichtung unaufgefordert einen Papagei geschenkt, der an der Haustür abgegeben wurde. Das Tier hatte eine schwierige Reise hinter sich und schien traumatisiert zu sein. Damals traf sich Einstein mit Johanna Fantova , einer Frau, die in einer Bücherei der Princeton University arbeitete und die er in den 1920er-Jahren in Deutschland kennengelernt hatte. »Der Papagei ist nach seiner traumatischen Reise deprimiert, und Einstein versucht, ihn mit Scherzen aufzuheitern, die dem Vogel nicht zu gefallen scheinen«, schrieb sie in ihr wunderbares Tagebuch, in dem sie ihre Begegnungen und Gespräche festhielt. 1
Doch die seelische Verfassung des Papageis verbesserte sich und schon bald fraß ihm das Tier aus der Hand. Doch dann bekam es eine Infektion und brauchte eine Reihe von Spritzen. Einstein fürchtete, sein kleiner Freund werde nicht überleben. Aber er war ein zäher Vogel, und nach zwei Spritzen war er wieder wohlauf.
Auch Einstein hatte sich wiederholt von Anämien und Magenbeschwerden erholt. Aber er wusste, dass er das Aneurysma in seiner Bauchschlagader auf die Dauer nicht überleben würde, und begann seinen Frieden mit der eigenen Sterblichkeit zu machen. Als er am Grab des Physikers Rudolf Ladenberg , der in Berlin und anschließend in Princeton sein Kollege gewesen war, die Trauerrede hielt, fand er Worte, die wohl auch sehr persönlich empfunden waren. »Kurz ist diese Existenz, wie ein flüchtiger Besuch in einem fremden Haus«, sagte er. »Der Weg, dem wir folgen, wird von einem flackernden Bewusstsein nur spärlich erhellt.« 2
Er schien diese letzte Wandlung als einen natürlichen und gewissermaßen spirituellen Prozess zu erleben. »Das Merkwürdige am Älterwerden ist der Umstand, dass die unmittelbare Identifikation mit dem Hier und Jetzt langsam verlorengeht«, schrieb er seiner Freundin, der Königinmutter von Belgien. »Man fühlt sich mehr oder weniger allein ins Unendliche verlagert.« 3
Nachdem ihm seine Kollegen als Geschenk zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag die fünf Jahre zuvor geschenkte Musikanlage technisch aufgerüstet hatten, spielte Einstein wiederholt eine RCA -Victor-Aufnahme von Beethovens Missa Solemnis ab. Aus zwei Gründen war das eine ungewöhnliche Wahl. Er empfand Beethoven , der nicht zu seinen Lieblingskomponisten gehörte, als »zu persönlich, fast nackt«. 4 Außerdem veranlassten ihn seine religiösen Instinkte in der Regel, solche zeremoniellen Äußerlichkeiten zu meiden. »Ich bin ein tiefreligiöser Ungläubiger«, schrieb er einem Freund, der ihm Geburtstagswünsche geschickt hatte. »Das ist so eine neue Art von Religion .« 5
Es war Zeit für eine Bilanz. Als seine alten Freunde Conrad Habicht und Maurice Solovine ihm eine Postkarte aus Paris schickten und ihn an ihre gemeinsame Zeit in Bern vor mehr als einem halben Jahrhundert erinnerten, in der sie ihre Akademie Olympia gegründet hatten, antwortete Einstein mit einer Lobeshymne auf die längst vergangene Institution: »Wenn wir auch schon etwas krächelig sind, so strahlt doch noch etwas von deinem heiteren und belebenden Licht auf unseren einsamen Lebenspfad.« In einem späteren Brief an Solovine klagte er: »Der Teufel zählt die Jahre überhaupt gewissenhaft.« 6
Trotz seiner Magenprobleme ging er noch immer gerne spazieren. Manchmal machte er den Fußweg zum oder vom Institut zusammen mit Gödel , und manchmal wanderte er mit seiner Stieftochter durch die Wälder in der Nähe von Princeton . Ihre Beziehung war enger geworden, aber auf ihren Spaziergängen genossen sie in der Regel das Schweigen. Sie bemerkte, dass er persönlich und politisch gelassener wurde. Seine Urteile fielen eher milde, sogar sanft aus denn streng. 7
Insbesondere hatte er seinen Frieden mit Hans Albert gemacht. Kurz nachdem Einstein seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hatte, wurde sein Sohn fünfzig. Einstein dankte der Frau seines Sohnes , dass sie ihn daran erinnert hatte, und schrieb Hans Albert einen Brief, der etwas formell klang, als sei er für eine besondere Gelegenheit geschrieben worden. Einstein äußerte sich darin sehr anerkennend über seinen Sohn und über den Wert eines Lebens, das der Wissenschaft gewidmet ist: »Es ist eine Freude für mich, einen Sohn zu haben, der die wichtigsten Eigenschaften meiner Persönlichkeit geerbt hat: die Fähigkeit, sich über die bloße Existenz zu erheben, indem man sich über Jahre einem unpersönlichen Ziel verschreibt.« 8 In diesem Jahr kam Hans Albert zu einem Besuch in den Osten.
Inzwischen hatte Einstein auch eine grundlegende Eigenschaft Amerikas entdeckt: Es kann in den Augen von Außenseitern von scheinbar gefährlichen politischen Leidenschaften angetrieben werden, aber dann stellt sich doch heraus, dass dies nur flüchtige Empfindungen waren, die von seiner Demokratie absorbiert und von seinem konstitutionellen Gyroskop korrigiert werden. Der McCarthyismus war erloschen, und Eisenhower hatte sich als beruhigender Einfluss erwiesen. »God’s own Country wird mir fremder und fremder«, schrieb Einstein zu Weihnachten dieses Jahres an Hans Albert , »aber irgendwie gelingt es ihm, zur Normalität zurückzukehren. Alles – selbst der Irrsinn – wird hier in Massen hergestellt, kommt aber auch sehr rasch aus der Mode.« 9
Jeden Tag zottelte er ins Institut , um mit seinen Gleichungen zu ringen und sie dem Horizont einer einheitlichen Feldtheorie ein Stück näher zu rücken. Er kam mit seinen neuen Ideen, häufig Gleichungen, die er nachts auf einem Fetzen Papier notiert hatte, und ging sie mit Bruria Kaufmann durch, der Assistentin seines letzten Lebensjahres, einer Physikerin aus Israel .
Sie schrieb die neuen Gleichungen an eine Tafel, sodass sie über sie nachdenken und auf mögliche Probleme hinweisen konnten. Einstein versuchte dann, sie aus dem Weg zu räumen. »Er hatte bestimmte Kriterien, nach denen er beurteilte, ob etwas für die physikalische Realität von Bedeutung war oder nicht«, berichtete sie . Selbst wenn sie an den Hindernissen scheiterten, die sich dem neuen Ansatz in den Weg stellten, was unverändert der Fall war, blieb Einstein optimistisch. »Nun, wir haben etwas gelernt«, pflegte er zu sagen, als die Uhr heruntertickte. 10
Seine jüngsten Versuche erklärte er häufig abends seiner Freundin Johanna Fantova , und sie hielt sie in ihrem Tagebuch fest. Die Eintragungen von 1954 waren voller neu geschöpfter und gescheiterter Hoffnungen. 20. Februar: »Denkt, er habe eine Sicht auf seine Theorie gefunden, etwas sehr Wichtiges, was sie vereinfachen würde. Hofft, er wird keine Fehler finden.« 21. Februar: »Hat keine Fehler gefunden, aber die Arbeit ist nicht halb so aufregend, wie er am Tag zuvor geglaubt hat.« 25. August: »Einsteins Gleichungen sehen gut aus – vielleicht kommt was dabei raus –, aber es ist eine verdammt harte Arbeit.« 21. September: »Er macht gewisse Fortschritte mit etwas, was zunächst nur eine Theorie war, aber jetzt gut aussieht.« 14. Oktober: »Fand heute einen Fehler in seiner Arbeit, ein Rückschlag.« 24. Oktober: »Heute hat er wie verrückt gerechnet, aber nichts erreicht.« 11
In diesem Jahr kam Wolfgang Pauli , der Pionier der Quantenmechanik , zu Besuch. Wieder führten sie die alte Debatte über die Frage, ob Gott würfle oder nicht, nicht anders als ein Vierteljahrhundert zuvor auf den Solvay-Konferenzen . Einstein berichtete Pauli , er bestreite nach wie vor das zentrale Dogma der Quantenmechanik , nach dem ein System nur definiert werden könne, indem man die experimentelle Methode zu seiner Beobachtung spezifiziere. Es gebe vielmehr eine Realität, die unabhängig von unserer Beobachtung sei. »Einstein hat das ›philosophische‹ Vorurteil, dass sich (für makroskopische Körper) unter allen Umständen ein ›real‹ genannter Zustand objektiv definieren lässt, d. h. ohne Angabe der Versuchsanordnung, mit deren Hilfe das System (makr. Körper) untersucht wird, bezw. der das System unterworfen wird«, teilte Pauli Max Born ungläubig in einem Brief mit. 12
Einstein hielt auch an seiner Überzeugung fest, dass die Physik, wie er seinem alten Freund Besso mitteilte, »auf den Feldbegriff, d. h., auf kontinuierliche Strukturen« gegründet sein müsse. Siebzig Jahre zuvor hatte er bei der staunenden Beobachtung eines Kompasses einen ersten tiefen Eindruck vom Feldbegriff bekommen, und an ihm hatte er sich fortan bei allen seinen Theorien orientiert. Aber was wäre, so äußerte er sich sorgenvoll gegenüber Besso , wenn die Feldtheorie keine Erklärung für Teilchen und Quantenmechanik liefere? »In diesem Fall bleibt nichts von meinem ganzen Luftschloss übrig, noch nicht einmal die Gravitationstheorie .« 13
Selbst wenn Einstein sich für seine Eigensinnigkeit entschuldigte, weigerte er sich doch stolz, sie aufzugeben. »Ich muss anderen vorkommen wie ein Strauß, der seinen Kopf immer tiefer im relativistischen Sand vergräbt, um ja nicht den bösen Quanten ins Auge schauen zu müssen«, schrieb er Louis de Broglie , einem anderen Kollegen in diesem langen Kampf. Seine Gravitationstheorien hatte er gefunden, indem er einem grundlegenden Prinzip vertraute, und seither glaubte er »fanatisch« daran, dass es vergleichbare Methoden geben müsse, die ihn schließlich zu einer einheitlichen Feldtheorie führen müssten. »Das sollte die Vogel-Strauß-Politik erklären«, schrieb er selbstironisch an De Broglie . 14
Etwas formeller drückte er das im Schlussabsatz seines aktualisierten Anhangs zu seiner populärwissenschaftlichen Schrift Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie aus. »Es herrscht die Meinung vor, dass die experimentell bestätigte Dualität (Teilchen- und Wellenstruktur) nur durch eine Schwächung des Wirklichkeitsbegriffs erreicht werden kann«, schrieb er. »Ich denke, ein so weitreichender theoretischer Verzicht ist gegenwärtig durch unseren Wissensstand nicht gerechtfertigt, daher sollten wir nicht darauf verzichten, den Weg der relativistischen Feldtheorie bis zum Ende zu gehen.« 15
Bertrand Russell ermutigte ihn, sich neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch weiterhin für eine Regelung einzusetzen, die den Frieden im Atomzeitalter sichern könnte. Russell erinnerte daran, dass sie beide den Ersten Weltkrieg bekämpft und den Zweiten unterstützt hatten. Jetzt sei es zwingend erforderlich, einen Dritten zu verhindern. »Ich denke, dass bedeutende Wissenschaftler einen dramatischen Schritt gehen müssen, um den Regierungen klarzumachen, was für eine Katastrophe droht«, schrieb Russell . Einstein schlug eine »öffentliche Erklärung« vor, die sie beide und vielleicht noch einige bedeutende Wissenschaftler und Denker unterzeichnen könnten. 16
Einstein bemühte sich sogleich, seinen alten Freund und Sparringspartner Niels Bohr für das Vorhaben zu gewinnen. »Runzeln Sie Ihre Stirn nicht«, scherzte Einstein, als säße er mit Bohr zusammen und schriebe ihm nicht nach Kopenhagen , »denn es handelt sich heute nicht um unseren alten Streitpunkt, sondern um etwas, in dem wir völlig einer Meinung sind.« Einstein meinte, dass sein eigener Name zwar einen gewissen Einfluss im Ausland haben könnte, nicht aber in Amerika, »weil ich [hier] (nicht nur in wissenschaftlichen Dingen) als schwarzes Schaf bekannt bin«. 17
Leider lehnte Bohr ab, aber neun andere Wissenschaftler, unter ihnen Max Born , erklärten sich bereit mitzumachen. Russell schloss das vorgeschlagene Dokument mit einem einfachen Appell: »Angesichts der Tatsache, daß in einem künftigen Weltkrieg Kernwaffen bestimmt benutzt werden würden und daß derartige Waffen das Fortbestehen der Menschheit bedrohen, fordern wir die Regierungen der ganzen Welt auf, einzusehen und öffentlich einzugestehen, daß ein Weltkrieg ihren Zielen nicht förderlich sein kann. Weiterhin fordern wir sie auf, friedliche Mittel aufzufinden, um alle Streitsachen zwischen sich zu schlichten.« 18
An seinem sechsundsiebzigsten Geburtstag fühlte sich Einstein schon nicht mehr kräftig genug, um nach draußen zu kommen und den Reportern und Fotografen zuzuwinken, die sich vor dem Haus 112 Mercer Street versammelt hatten. Der Postbote brachte Geschenke, Oppenheimer kam mit Papieren vorbei, die Familie Bucky brachte einige Puzzles, und Johanna Fantova war da, um die Ereignisse festzuhalten.
Unter den Geschenken war auch ein Schlips, den ihm die fünfte Klasse der Farmingdale Elementary School in New York schickte. Vermutlich hatten die Kinder Bilder von ihm gesehen und dachten deshalb, er könne einen brauchen. »Krawatten existieren für mich bloß noch als schwache Erinnerungen«, gestand er in seinem Dankesbrief ein. 19
Einige Tage später erfuhr er, dass Michele Besso gestorben war, sein persönlicher Beichtvater und wissenschaftlicher Resonanzboden, den er sechs Jahrzehnte zuvor kennengelernt hatte, als er zum Studium nach Zürich kam. Als wüsste er, dass er selbst nur noch einige Wochen zu leben habe, machte Einstein das Wesen von Tod und Zeitlichkeit zum Gegenstand des Beileidsbriefs, den er Bessos Familie schrieb: »Nun ist er mir auch mit dem Abschied von dieser sonderbaren Welt ein wenig vorausgegangen. Dies bedeutet nichts. Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.«
Einstein hatte Besso mit seiner späteren Frau Anna Winteler bekannt gemacht und seinen Freund bewundert, der die Ehe trotz schwieriger Phasen immer bewahrt hatte. Der Charakterzug, den er an Besso am meisten bewundere, sagte Einstein, sei seine Fähigkeit, einträchtig mit einer Frau zu leben, »ein Unterfangen, an dem ich zwei Mal ziemlich elend gescheitert bin«. 20
An einem Aprilsonntag kam I. Bernard Cohen , Wissenschaftshistoriker von der Harvard University , zu Besuch. Einsteins Gesicht mit seinen tiefen Falten wirkte tragisch auf den Besucher, doch die glänzenden Augen erschienen ihm alterslos. Einstein sprach leise, lachte aber laut. »Jedes Mal, wenn er eine Bemerkung machte, die ihm gefiel«, erinnerte sich Cohen , »brach er in schallendes Gelächter aus.«
Besonderen Spaß machte ihm ein wissenschaftliches Spielzeug zur Demonstration des Äquivalenzprinzips , das er kürzlich geschenkt bekommen hatte. Es war eine veränderte Version des altmodischen Spielzeugs, bei dem ein Ball mit einer Schnur am Ende eines Stocks hängt, auf dem ein Becher befestigt ist. Nun soll der Ball an der Schnur so geschwungen werden, dass man ihn mit dem Becher auffangen kann. Diese Vorrichtung war komplizierter; die Schnur führte durch den Boden des Bechers und war an einer losen Feder im Inneren des Stocks befestigt. Durch zufälliges Schleudern gelang es hin und wieder, den Ball mit dem Becher zu fangen. Die Herausforderung: Durch welche Methode gelangte der Ball jedes Mal in den Becher?
Als Cohen gegangen war, ging ein breites Lächeln über Einsteins Gesicht, und er sagte, er werde dem Spielzeug die Antwort erklären. »Und nun das Äquivalenzprinzip !«, verkündete er. Er stieß den Stock nach oben, sodass er fast die Decke berührte. Dann ließ er ihn nach unten fallen. Solange sich der Ball im freien Fall befand, verhielt er sich, als sei er schwerelos . Sofort zog die Feder im Inneren der Vorrichtung den Ball in den Becher. 21
Für Einstein begann nun die letzte Woche seines Lebens, und passenderweise konzentrierte er sich auf die Dinge, die ihm am wichtigsten waren. Am 11. April unterzeichnete er das Russell -Manifest. Wie Russell später sagte: »Er blieb gesund in einer kranken Welt.« 22 Dieses Dokument wurde zur Grundlage der Pugwash-Konferenzen , in denen sich Wissenschaftler und Philosophen zusammenfanden, um zu erörtern, wie sich die Kernwaffen kontrollieren ließen.
Später am selben Nachmittag traf der israelische Botschafter Abba Eban in der Mercer Street ein, um mit Einstein über eine Rundfunkrede zu sprechen, die dieser halten sollte, um an den siebten Jahrestag des jüdischen Staates zu erinnern. Er werde bis zu sechzig Millionen Zuhörer haben, sagte ihm Eban . Einstein war amüsiert. »Dann habe ich jetzt die Möglichkeit, weltberühmt zu werden«, sagte er lächelnd.
Nachdem er Eban mit ein bisschen Geklapper in der Küche einen Kaffee zubereitet hatte, sagte Einstein zu ihm, dass er die Geburt Israels für einen der wenigen politischen Akte zu seinen Lebzeiten halte, die eine moralische Qualität hätten. Aber er machte sich Sorgen, die Juden könnten Schwierigkeiten haben, mit den Arabern leben zu lernen. »Unsere Haltung zu unserer arabischen Minderheit ist der wahre Prüfstein unseres moralischen Standards«, hatte er einem Freund einige Wochen zuvor gesagt. Er wollte seine Rede erweitern, die er in einer sehr gedrängten, sauberen Handschrift notiert hatte, und auf die Gründung einer Weltregierung zur Erhaltung des Friedens dringen. 23
Einstein ging am nächsten Tag in das Institut , hatte aber Schmerzen in der Leiste, was man seinem Gesicht ansah. Ob alles in Ordnung sei, wollte seine Assistentin wissen. Alles ist in Ordnung, erwiderte er, nur ich nicht.
Am folgenden Tag blieb er zu Hause, zum einen, weil der israelische Konsul kam, zum anderen, weil er sich noch immer nicht wieder wohlfühlte. Nachdem der Besuch gegangen war, legte er sich hin. Doch am Nachmittag hörte Dukas ihn ins Badezimmer hasten, wo er zusammenbrach. Die Ärzte gaben ihm Morphium, was ihm einzuschlafen half, und Dukas machte sich ihr Bett neben ihm, sodass sie ihm die Nacht über Eis auf die ausgetrockneten Lippen legen konnte. Sein Aneurysma begann zu reißen. 24
Am folgenden Tag kam eine Gruppe von Ärzten in seinem Haus zusammen und empfahl nach kurzer Konsultation einen Chirurgen, der möglicherweise, wenn man es auch für wenig wahrscheinlich hielt, die Aorta reparieren konnte. Einstein lehnte ab. »Es ist geschmacklos, das Leben künstlich zu verlängern. Ich habe meinen Beitrag geleistet. Ich möchte gehen, wenn es Zeit dazu ist. Mit Grazie.«
Er fragte allerdings, ob das Ende »schrecklich« werden würde. Die Antwort der Ärzte war unbestimmt. Die Schmerzen einer inneren Blutung könnten unerträglich sein. Es könnte eine Minute oder auch eine Stunde dauern. Dukas , die von ihren Gefühlen überwältigt wurde, lächelte er an und sagte: »Sie sind wirklich hysterisch – irgendwann muss ich gehen, und der Zeitpunkt spielt wirklich keine Rolle.« 25
Dukas traf ihn am nächsten Morgen in großen Schmerzen an, unfähig, den Kopf zu heben. Sie stürzte zum Telefon, und die Ärzte ließen ihn ins Hospital einliefern. Zunächst wollte er nicht, aber als man ihm sagte, sonst belaste er Dukas viel zu sehr, gab er nach. Der Rettungssanitäter im Krankenwagen war ein studierter Volkswirtschaftler aus Princeton, und Einstein vermochte ein lebhaftes Gespräch mit ihm zu führen. Margot rief Hans Albert an, der in San Francisco ein Flugzeug nahm und bald am Bett des Vaters saß. Der Wirtschaftswissenschaftler Otto Nathan , ein deutscher Emigrant, der ein enger Freund Einsteins geworden war, kam aus New York .
Aber Einstein war noch nicht ganz bereit zum Sterben. Am Sonntag, dem 17. April, wachte er auf und fühlte sich besser. Er bat Dukas , ihm seine Brille, Papier und Bleistift zu bringen, und er warf ein paar Gleichungen auf das Papier. Mit Hans Albert sprach er über einige wissenschaftliche Ideen, mit Nathan über die Gefahr, die es bedeutete, Deutschland die Wiederbewaffnung zu erlauben. Auf seine Gleichungen deutend, klagte er halb im Scherz gegenüber seinem Sohn : »Wüßte ich doch mehr von der Mathematik.« 26 Ein halbes Jahrhundert lang hatte er sich über den deutschen Nationalismus und die Grenzen seiner mathematischen Möglichkeiten ereifert, so war es nur passend, dass auch seine letzten Äußerungen darunter gehörten.
Er arbeitete, solange er konnte, und wenn die Schmerzen zu schlimm wurden, ging er schlafen. Am Montag, dem 18. April 1955, kurz nach ein Uhr nachts hörte die Schwester ihn einige deutsche Wörter hervorstoßen, konnte sie aber nicht verstehen. Das Aneurysma war wie eine große Blase geplatzt, und Einstein starb mit 76 Jahren.
Auf seinem Nachttisch lag der Entwurf der für Israels Unabhängigkeitstag geplanten Rede. »Heute spreche ich zu Ihnen nicht als amerikanischer Bürger und nicht als Jude , sondern als Mensch«, begann er. 27
Ebenfalls an seinem Bett lagen zwölf Seiten, die eng mit Gleichungen beschrieben und mit Ausstreichungen und Verbesserungen übersät waren. 28 Bis ganz zuletzt rang er um die vereinigte Feldtheorie , die sich ihm immer wieder entzog. Und das Letzte, was er niederschrieb, bevor er für immer einschlief, war eine weitere Zeile voller Symbole und Zahlen, von denen er hoffte, sie würden ihn – und uns alle – jenem Geist, der sich in den Gesetzen des Universums manifestiert, einen kleinen Schritt näher bringen.