Im Zeitraum, der in diesem Buch untersucht wurde, stach Mark Fisher als eine der wenigen Stimmen jenseits der Rechten heraus, die sich gegen die durchgeknallte antiintellektuelle Kultur der Gruppenhysterie aussprach, welche die kulturelle Linke in den Jahren vor dem reaktionären Aufstieg der neuen Online-Rechtsextremen erfasst hatte. Als im Januar 2017 bekannt wurde, dass Fisher Selbstmord begangen hatte, antwortete das Online-Milieu, das ihn seit Jahren verleumdet und beschmutzt hatte, so, wie man es erwarten würde – mit Schadenfreude.
Stavvers (aka Another Angry Woman), eine einflussreiche Twitter-Gestalt und jemand, den die Alt-Right Social Justice Warrior nennen würde, hatte auf Twitter schon sarkastisch ›Vampirschloss‹ als Ortsangabe eingetragen und reagierte auf die Todesnachricht, indem sie Folgendes tweetete: »Nur weil Mark Fisher tot ist, heißt das noch lange nicht, dass er mit ›sauertöpfischen Identitären‹ Recht hatte. Wenn bloß der linke Frauenhass mit ihm sterben würde.« Und danach: »*wirft sich Vampirumhang über, fliegt raus in die Nacht*.« Diese Antwort ist ein ziemlich typisches Beispiel für ebenjene sauertöpfischen Identitären, die im Laufe dieser boshaften Kulturkämpfe zweifellos massenhaft junge Menschen zur Rechten hin getrieben haben. Der beste linke Kritiker dieser linken Seuche war gerade gestorben – und auf seinem Grab tanzte eine Frau, die es einmal in einem Blogeintrag als feministischen Akt bezeichnet hatte, mit eigener vaginaler Hefe Brot zu backen.
Es steht außer Frage, dass die peinliche und toxische Online-Politik, die diese so destruktiv und unmenschlich handelnde Fraktion der Linken kennzeichnet, die Linke zur Lachnummer einer ganzen Generation gemacht hat. Jahrelange Online-Hass- und Schmutzkampagnen sowie Säuberungsaktionen gegen andere – auch und insbesondere gegen andersdenkende oder freigeistige Linke – haben unerhörten Schaden angerichtet. Man kann diese antiintellektuelle, gegen freie Rede und freies Denken gerichtete Online-Bewegung, die Politik durch Neurosen ersetzt hat, nicht von den Szenen aus dem echten Leben trennen, von denen Millionen online Zeugen geworden sind: Universitäten, wo es etwas Spannendes, Lustiges und Mutiges darstellte, rechts zu sein, zum ersten Mal seit – nun ja, vielleicht zum ersten Mal überhaupt. Als Milo die gegen ihn Protestierenden auf seiner Tournee unzählige Male aufforderte, mit ihm zu diskutieren, wusste er, dass sie das nicht bloß nicht tun würden, sondern es auch nicht konnten. Sie kommen aus der intellektuell völlig stillgelegten Welt von Tumblr und Trigger-Warnungen, wo Widerspruch ausgemerzt wird – einer Welt, wo sie lediglich gelernt haben, Jargon zu rezitieren.
Die Online-Rechte ist im Gegenzug noch ekliger geworden, wobei viele so weit nach Rechts geschwenkt sind, wie es noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre – bis hin zu Verschwörungstheorien über Juden und Ähnlichem. Überall, wo man auch nur die sanfteste Version der Online-Rechte findet, in Foren, in YouTube-Kommentaren, auf Twitter, wird man nun auch auf eine Flut übelster rassistischer Beleidigungen und boshafter Kommentare voller Gewaltfantasien über Frauen und ethnische Minderheiten stoßen. Unvermeidbar folgen antisemitische Theorien und entmenschlichende Beleidigungen wie ›rapugees‹1. Selbst Konservative bekommen langsam Wind davon, welche Unmenschlichkeit die Kulturkämpfe auf der Rechten entfacht haben. Als beispielsweise David French vom National Review es wagte, Trump zu kritisieren, griff ihn erst Milo an, dann kamen die Kampfhunde der Alt-Right. Er schreibt:
Es ist in keiner Weise bestätigend oder befriedigend, wenn deine wunderschöne junge Tochter niglet2 genannt wird. Es ist in keiner Weise bestätigend oder befriedigend, wenn Mann für Mann für Mann in expliziten Worten damit prahlt, mit deiner Frau geschlafen zu haben. Es ist äußerst beunruhigend, wenn Anrufe unterbrochen werden, Bilder von Morden auf deinem Bildschirm erscheinen und man Droh-E-Mails bekommt. Es ist ernüchternd, mit deinen jugendlichen Kindern auf den Bauernhof zu fahren, um dafür zu sorgen, dass beide gut mit Handfeuerwaffen umgehen können, falls ein Eindringling kommt, wenn sie allein zu Hause sind. Das Elend wird noch verschlimmert, wenn langjährige Freund_innen und Mitstreiter_innen meine Erfahrungen und die Erfahrungen meiner Kollegen als den normalen Preis dafür abtun, sich öffentlich einzubringen. Das sind sie nicht. Ich schreibe jetzt seit über zehn Jahren für den National Review und bin seit über zwanzig tief in die emotionalsten Schlachten der amerikanischen Kulturkämpfe involviert. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt.
Verschiedene Journalist_innen und Bürger_innen beschreiben mit einer grausigen Fülle an Details die Angriffe und Drohungen gegen jene, die Kritik an Trump oder Akteur_innen der Trump’schen Online-Rechten üben, insbesondere, falls die Person weiblich, schwarz oder jüdisch ist, aber auch, wenn sie als ›cuckservative‹ wahrgenommen wird. Mittlerweile sind sie fähig, Tausende der besessensten, verwirrtesten und wütendsten Menschen im Internet auf alle zu hetzen, die es wagen, sich gegen den Präsidenten oder seine prominenten Alt-Light- oder Alt-Right-Fans auszusprechen. Auch wenn die etablierten Medien nach wie vor recht eindeutig kontra Trump eingestellt sind, wäre es naiv zu glauben, dass all dies in den kommenden Jahren nicht zu einem Abkühlen kritischen Denkens und kritischer Rede führen wird, da immer weniger sich deren Konsequenzen antun wollen.
Im Februar 2017, vor dem spektakulären Zusammenbruch seiner Karriere, hatte Milo geplant, die Schlussrede seiner Tournee auf dem Campus der University of California, Berkeley zu halten, seit 1964 Heimat der linken Bewegung für Redefreiheit. Es ist bereits oft angemerkt worden, welche Ironie in den Berkeley-Unruhen liegt – die historische Umkehrung, dass die Linke nun den Campus zensiert, um ihn von der Rechten zu säubern –, doch ebenso bedeutsam ist es, dass dies an dem Abend geschah, der als Finale von Milos Tournee geplant war. An diesem Abend, am Ende einer ein Jahr währenden Tournee, während derer die amerikanische Campus-Linke spektakulär daran gescheitert war, ihn auf der Ebene der Ideen herauszufordern, entschied man sich, den Aufstand zu proben. Wie beim Meme, in dem der heute berühmte Richard Spencer geschlagen wird, hatte man den Eindruck, die Demonstration kurzlebiger Schlagkraft verschaffe eine zeitweilige Erleichterung vom ungewohnten Gefühl, ständig zu verlieren.
Auf Twitter verbreiteten sich rasch Videoaufnahmen aus der Krawallnacht, auf denen zu sehen ist, wie einer jungen Yiannopoulos-Anhängerin Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, eine weitere junge Frau mit einer Fahnenstange auf den Kopf geschlagen und ein am Boden liegender Mann von mehreren Menschen verprügelt wird, während eine Stimme »Macht ihn alle!« schreit. Die Glaswände im Erdgeschoss des Gebäudes wurden zertrümmert, es wurde Feuer gelegt und Yiannopoulos, der seine Rede absagte, wurde evakuiert. An diesem Abend war die Rechte Opfer der Gewalt, doch an einem anderen wurde ein Anti-Milo-Demonstrant angeschossen.
Milos Tournee brachte die tiefe intellektuelle Fäule im aktuellen kulturellen Progressivismus zum Vorschein, der sich als völlig unfähig erwiesen hat, mit der Herausforderung der Rechten umzugehen. Der heutige Tumblr-Liberalismus und der rein identitäre, selbstbezogene Progressivismus, wie sie in Online-Subkulturen aufgekommen und dann an den Universitäten groß geworden sind, haben ein Problem: Die Idee, man könne Menschen durch Ideen für etwas gewinnen, scheint diesen tragisch betäubten Schatten der großen linken Bewegungen – etwa jener, die 1964 an Universitäten wie Berkeley ihren Anfang nahm – nur noch ängstlich und wütend zu machen. Milo mag besiegt sein, doch dieser Sieg wurde nicht in einem Kampf der Ideen errungen.
Die Online-Kulturkämpfe der vergangenen Jahre sind hässlicher geworden, als wir es uns je hätten vorstellen können, und es sieht nicht danach aus, als gäbe es einen einfachen Weg heraus aus dem angerichteten Chaos. Wie weit entfernt scheinen plötzlich die utopischen Tage der führerlosen digitalen Revolution, als Progressive noch frohlockten, dass »die Empörung sich vernetzt« – was sich dann plötzlich ins echte Leben ergoss. Mittlerweile ist man nur noch geneigt zu hoffen, dass die Netzwelt den schwärenden Bodensatz entmenschlichender reaktionärer Politik, der vor wenigen, kurzen Jahren noch undenkbar war, sich aber heute dem Mainstream annähert, eindämmen kann, anstatt ihn weiter zu stärken.
1 | Aus Engl. rape und refugee, etwa: »Asyl-Vergewaltiger« (Anm. d. Übers.).
2 | Rassistische Bezeichnung für ein afroamerikanisches Kind (Anm. d. Übers.).