Im Nachgang der Trump-Wahl war von Guardian bis Financial Times eine Sorte von verständnisvollen Analysen zu lesen, die in Trumps Wahlsieg die Ansichten ›gewöhnlicher Leute‹, die sich ›abgehängt‹ fühlten, gespiegelt sahen. Thomas Frank zählt zu jenen, die am eindringlichsten Kritik am verachtenswerten liberalen Elitismus übten:
Wir können uns einfach nicht eingestehen, dass wir Liberalen eine Mitschuld an der Entstehung der antiliberalen, populistischen Gegenbewegung tragen, an der Frustration von Millionen Menschen der Arbeiterklasse, an ihren kaputten Städten und ihrem Leben in der Abwärtsspirale. Viel einfacher, sie für ihre verdorbenen rassistischen Seelen niederzumachen, unsere Augen vor der offensichtlichen Wirklichkeit zu verschließen, von welcher der Trumpismus lediglich ein roher und hässlicher Ausdruck ist: dass der Neoliberalismus restlos gescheitert ist.
Auch wenn der Vorwurf, dass politische Korrektheit gewöhnliche Menschen der Politik entfremde, in rechter Rhetorik bis dahin des Öfteren aufgetaucht war, war der plötzliche Wandel von subkulturellem Elitismus zu proletarischer Aufrichtigkeit oder sogar einem Hauch von noblesse oblige doch bemerkenswert und klang, als hätte die Rechte schon die ganze Zeit Thomas Franks Argumentation bemüht. In Wirklichkeit hatte sie die ganze Zeit misanthropisch, wirtschaftlich elitistisch und antiegalitär argumentiert und eine ›natürliche Hierarchie‹ verfochten. Wie ich 2017 in einem Beitrag im Baffler angemerkt habe, hatte Ann Coulter schon lange auf die Elitenfurcht der hysterischen und leicht steuerbaren Masse gesetzt. In ihrem Buch Demonic: How the Liberal Mob is Endangering America bezieht sie sich auf Gustave LeBon, den Lieblingsmassentheoretiker der Misanthropen. Ihre Beschreibung von sich übermäßig vermehrenden, das Land zum Bersten bringenden Einwanderer-Schwärmen ist eine direkte Fortsetzung dieses Themas, das sich in elitären Zirkeln seit Anbeginn der industrialisierten, urbanisierten Massengesellschaft gehalten hat, wobei es zunächst um das anwachsende heimische Proletariat, später um Einwanderungswellen ging.
Bevor mit Bekanntwerden der Wahlergebnisse das Narrativ von den ›gewöhnlichen Leuten‹ plötzlich bei der Internet-Rechten allgegenwärtig war, konnte man Milo noch in einem T-Shirt mit der Aufschrift Stop Being Poor auf Fotoshootings sehen, einem Zitat der Erbin Paris Hilton, einem seiner Idole. Nachdem der Wahlausgang klar geworden war, hielt er Vorträge über die weiße Arbeiterklasse. Die harte Alt-Right hatte den Glauben des konservativen Establishments, die Massen seien ihre naturgemäß traditionalistischen Verbündeten, ebenfalls verworfen. Stattdessen hatte sie argumentiert, die große Mehrheit der Gesellschaft sei von liberal-feministischem Multikulturalismus angesteckt und indoktriniert und folglich kaum noch zu retten. Es war nicht länger ›fünf vor zwölf‹, wie die immigrationskritische Rechte lange behauptet hatte, sondern weit nach Mitternacht. Während die Trumpianer sich aktuell in Windeseile daran machen, die Geschichte umzuschreiben, sollte man nicht vergessen, dass hinter dem ›populistischen‹ Präsidenten die Rhetorik seiner jungen rechtsextremen Online-Vorhut lange von einem außerordentlichen subkulturellen Snobismus gegenüber Masse und Massenkultur geprägt war.
Der amerikanische Autor David Auerbach erklärt, dass ein typisches Merkmal dessen, was er ›A-culture‹ oder anonyme chan-Kultur nennt, »die ständige Feuertaufe von n00bs1 durch Jargon und komplexe Verhaltensregeln und elitäres technisches Wissen« ist, welche »die Außengrenzen der Subkultur überwacht, um sie vor Vermassung abzuschotten«. Gabriella Coleman schreibt, dass »Trollen in dem Moment aus dem Boden schoss und explodierte, als das Internet von nicht technologieaffinen Leuten bevölkert wurde«, und weiter, dass »Trolle anstreben, die ans Ufer des Internets gespülten Massen daran zu erinnern, dass es eine Klasse von Geeks gibt, die, wie ihr Name anzeigt, dem Internet Kummer, Hölle, Elend bereiten werden«. Auch wenn Colemans Beschreibung mehr als nur ein wenig Bewunderung und unterschwellig zustimmendes Nicken enthält, scheint sie mir zum Kern der Abscheulichkeit und Menschenfeindlichkeit vorzudringen, die der gesamten Kultur um die chans herum immer schon zu eigen gewesen ist – nicht trotz, sondern gerade wegen ihres gegenkulturellen Stils und Wertesystems. Dass sie letztlich so zur Gänze mit der Alt-Right verschmolz, leuchtet daher ganz und gar ein.
Der Hakenkreuz-Tattoos tragende Nazi-Hacker und Troll weev, über den Coleman immer schmeichelhaft geschrieben hat, führt seine Ansichten über die Masse in einem Interview folgendermaßen aus:
Trollen ist im Grunde Internet-Eugenik. Ich will alle aus dem Netz raushaben. Blogger_innen sind Schmutz. Sie müssen vernichtet werden. Bloggen gibt einem Haufen Volltrotteln die Illusion von Partizipation. […] Wir müssen diese Menschen in den Ofen werfen. […] Wir steuern auf eine malthusische Krise zu. Planktonbestände fallen. Bienen sterben. Es gibt Tortilla-Aufstände in Mexiko, die höchsten Weizenpreise seit mehr als 30 Jahren. […] Die Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen, ist: Wie bringen wir vier der sechs Milliarden Menschen auf der Welt auf die gerechteste Art und Weise um?
Die Misanthropie und Angst vor der Vermehrung niederer Schichten zählt zu den dominantesten Eigenschaften des Alt-Right-Diskurses, vom unflätigen Chaos der chan-Kultur bis zur ernsthafteren, stärker ausgearbeiteten Theorie der eigentlichen Alt-Right. Das aber ist nichts Neues. Der Literaturkritiker John Carey, der sich mit malthusischen, eugenischen und anderen elitären Vorurteilen gegen die entstehende Massengesellschaft und -kultur befasst hat, erklärt, dass die Zahl der Armen in Europa sich im neunzehnten Jahrhundert verdreifachte, während die Industrialisierung mehr und mehr Arbeiter_innen in urbane Kulturräume drängte, die zuvor den Eliten vorbehalten waren. H.G. Wells verzweifelte ob des »zügellosen Schwarms neuer Geburten« und nannte diesen »die maßgebliche Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts«, ein Empfinden, das weev beinahe hundert Jahre später teilt. Was Yeats die »Ausbreitung demokratischer Geschmacklosigkeit« nannte, veränderte zusammen mit der Massenalphabetisierung bald den Charakter der Kluft zwischen der Elite und der rasch anwachsenden Masse.
Dieser Diskurs scheint heute vom neuen rechten Rand im Netz gelenkt zu werden, jedoch in subkulturellem Anti-Mainstream-Stil, der Akademikern und Progressiven reizvoll erscheint, weil sie diesen gegenkulturellen Elitismus aus ihren eigenen politischen Kreisen kennen. In den Online-Räumen, wo rechtes Trollen und ein Großteil des aktuellen Antifeminismus entstehen, finden wir eine Art Hybridform dieser Wertvorstellungen – eine Mischung aus nietzscheanisch-misanthropischer Weltsicht einerseits und einer eher gegenkulturell gefärbten, Fight-Club-inspirierten Perspektive andererseits. Nietzsche, für alle Flügel der Alt-Right der bei Weitem wichtigste Denker, warnte, dass eine »Kriegserklärung der höheren Menschen an die Masse […] nöthig« sei, damit über »die Überflüssigen« geherrscht werden könne.
Zu Anfang berichteten etablierte konservative Medien einhellig in moralisierendem und verteufelndem Ton über Internet-Trolle aus der chan-Welt. Der standardmäßige Reflex progressiver Akademiker_innen – implizit pro-Gegenkultur und pro-Transgression – war weniger kritisch; vielmehr grenzte er an ein Zelebrieren. Die Darstellung von 4chan auf Fox News als »Internet-Hassmaschine« und von Trollen allgemein als antisozialer, unflätiger Gruppe von Menschenfeinden, die noch bei ihren Müttern wohnen usw., machte sich über die Panik ob der Anarchie in der Online-Welt lustig, während sie diese zugleich verstärkte.
Andere etablierte Nachrichtenmedien berichteten über Cybermobbing, DDoS-Angriffe und das Trollen von Facebook-Gedenkseiten. Die Autorin Whitney Phillips war ambivalenter und beschrieb die Kulturpolitik des Trollens etwas wohlwollender. Ihr zufolge war die extreme Grausamkeit der Trolle zum Teil der Politik Facebooks sowie dem »kodierten Solipsismus« des sozialen Netzwerks selbst anzulasten. Während sie die sehr realen Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Opfer anerkannte, befand Phillips, die Trolle von 4chan/b/ »schwelgen in Gegenhegemonie« und »untergraben Narrative der etablierten Medien« sowie das »geistlose Theater des modernen 24-Stunden-Nachrichtenzyklus«. Sie las die wenig schmeichelhafte Beschreibung der 4chan-Trolle durch Fox News als einen Versuch, »die Abneigung des Publikums« gegen jene zu »maximieren« und sagte: »Mainstream-Medien-Kanäle zielen darauf ab, einen bestimmten gegenhegemonialen kulturellen Freiraum zu neutralisieren.«
Noch 2014, als 4chan voll von außerordentlich rassistischen und frauenfeindlichen Inhalten war, schrieb auch Gabrielle Coleman in äußerst freundlichem Ton über die Hackerkulturen, die daraus entstanden waren:
Was als Netzwerk von Trollen anfing, ist, zum größten Teil, zu einer Kraft für das Gute in der Welt geworden. Die Entstehung von Anonymous an einem der schäbigsten Orte des Internets ist eine Geschichte von Wundern, Hoffnung und spielerischen Illusionen. Ist es wirklich möglich, dass diese Ideale von Kollektivität und Gruppengefühl, geschmiedet im höllischen, furchterregenden Feuer des Trollens, ihre Ursprünge transzendieren konnten? Hat die Kloake von 4chan wirklich eine der momentan politisch aktivsten, moralisch faszinierendsten und subversiv hervorstechendsten Aktivist_innengruppen herauskristallisiert? Einigermaßen überraschenderweise: ja.
Schon Jahre, bevor die 4chan-Trollkultur zu einer maßgeblichen Triebkraft hinter Ästhetik und Humor der Alt-Right wurde, strotzte sie nur so vor Rassismus, Frauenhass, Entmenschlichung, verstörender Pornografie und Nihilismus. Selbst wenn man das komplexe und wechselhafte Wesen der chan-Kultur berücksichtigt, ist es zweifellos schwierig, sich auch nur einen Hauch von Billigung aus dem akademischen Umfeld vorzustellen, handelte es sich hier um gewöhnliche, proletarische Rechtsextreme wie Tommy Robinson – obwohl dessen Ansichten weitaus milder sind als das, was seit Jahren typisch für 4chan und Trolle wie weev ist. Die völlig leeren und prinzipienfreien Ideen gegenkultureller Grenzüberschreitung haben ein Vakuum erzeugt, das heute von allem gefüllt werden darf, was Geringschätzung für Mainstream-Werte und -Geschmack signalisiert. Dies hat es möglich gemacht, dass eine Kultur, die mittlerweile in ihrer ganzen Schrecklichkeit bloßgestellt worden ist, von Progressiven als gegenhegemonische Kraft romantisiert wurde. Meiner Ansicht nach zeigt sich hier, dass sowohl die rechte chan-Kultur als auch extrem politisch korrekte akademische Kreise empfänglich waren für die gegenkulturellen Kodes, in denen sich eine Verachtung für alles Etablierte ausdrückte.
2016 schrieb ich in einem Essay namens The New Man of 4chan über den rassistischen und frauenfeindlichen Massenmörder Chris Harper Mercer, dessen Amoklauf neun Menschen das Leben kostete und neun weitere verletzte. In einer 4chan-Diskussion, die er offenbar begonnen hatte, schrieb ein Nutzer: »Du musst auf jeden Fall Molotows dabeihaben. Das ist eine total einfache und schmerzhafte Art, viele Normalos umzubringen.«2 Jemand anders schrieb, dass der Amokläufer auf »Chads und Stacys« Jagd machen sollte, was auf ein 4chan-Meme über Normalos anspielt. ›Chad Thundercock‹ und sein weiblicher Gegenpart ›Stacey‹ sind die Verkörperungen dieses Memes.
Zur theoretischen Beschäftigung mit diesen Online-Kulturen bietet sich eine kritische Methode an, die aus dem Studium von Musik-Subkulturen stammt. ›Chad und Stacey‹ erinnern an die feminineren, aber ebenso verpönten ›Sharon und Tracey‹ in einer Studie der Kulturkritikerin Sarah Thornton über ›subkulturelles Kapital‹ in Pop-Subkulturen. In ihrem Buch über Clubkulturen schreibt sie:
Wenn Mädchen aus dem Hipness-Spiel aussteigen, verteidigen sie ihren Geschmack oft mit Sprüchen wie »Es ist Müll, aber ich steh’ drauf«. Damit bestätigen sie die subkulturelle Hierarchie und akzeptieren ihren niedrigen Rang darin. Wenn sie sich andererseits diesem Defätismus verweigern, achten Clubberinnen und Raverinnen meist darauf, sich von der degradierten Popkultur von ›Sharon und Tracey‹ zu distanzieren; sie lehnen einen feminisierten Mainstream entschieden ab und verteufeln ihn.
Thornton kritisiert die sogenannte Birminghamer Schule in den Subkultur-Studien, in deren Analysen Subkulturen häufig als radikal, transgressiv und gegenhegemonisch dargestellt wurden. Sie argumentiert, diese orthodoxen Forscher_innen seien »subkulturellen Ideologien gegenüber bislang nicht kritisch genug gewesen, erstens, weil sie zu sehr mit der Infragestellung und Zerpflückung herrschender Ideologie beschäftigt waren, und zweitens, weil ihre Überzeugungen meist mit den Antimassengesellschaftsdiskursen der Jugendkulturen, die sie studieren, übereingestimmt haben« [Hervorhebung A.N.]. Während sogar Kritiker_innen der Alt-Right und der rechten chan-Kultur sich dabei ertappten, wie sie Jargon, subkulturelle Nischen-Anspielungen und Insiderwitze zu verstehen und verwenden versuchten, bediente Thornton sich bei Pierre Bourdieus soziologischem Konzept des ›kulturellen Kapitals‹, um in ihrer Theorie das sogenannte ›subkulturelle Kapital‹ als maßgeblichen Beweggrund hinter den Clubkulturen der Neunziger zu erklären. Elitäres subkulturelles Wissen oder Hipness, so Thornton, war eine Form kulturellen Kapitals, durch welches Mitgliedern der Subkultur Einlass gewährt wird. Bei Bourdieu heißt es, »der tief verwurzelte ›Zweck‹ von Slang-Vokabular« sei »zuallererst die Durchsetzung einer aristokratischen Abgrenzung«.
Während man sich kulturelles Kapital einst verdiente, indem man weltgewandt und kultiviert war, bekommen heute diejenigen subkulturelles Kapital, die ›wissen, was abgeht‹ und obskuren Slang sowie die Besonderheiten der jeweiligen Subkultur benutzen, um sich von etablierter Kultur und Massengesellschaft abzusetzen. Thornton zufolge spielen die Medien in diesem System eine Schlüsselrolle, denn durch sie legt die Subkultur fest, was in oder aus der Mode ist und was viel oder wenig subkulturelles Kapital liefert. Wie viele Online-Kulturen auch überwacht die Clubkultur die Außengrenzen ihrer Subkultur, indem sie unentwegt neu klassifiziert, was als hip gilt.
Der Hass auf das oberflächliche, eitle, ahnungslose Mädchen mit Mainstreamgeschmack, das versucht, sich in eine Geek-Subkultur einzuschleichen, ist zum wesentlichen Bestandteil ebensolcher Subkulturen geworden. Ein typischer Topos in verschiedenen nerdigen Alt-Right-Subkulturen ist jener vom Mädchen, das dazugehören will, es jedoch nicht schafft, die entsprechenden Zugehörigkeitsmarker – etwa korrekten Slang und detailliertes elitäres Wissen – zu verwenden.
Der gesamte Diskurs um ›Normalos‹, die den gegenkulturellen Stil der amoralischen Subkultur ›nicht kapieren‹, lässt mich an die rivalisierenden Musik-Subkulturen meiner Jugendtage zurückdenken – bloß dass es sich hier um erwachsene Männer und ernstere politische Themen handelt. Richard Spencer wirft jenen, denen es nicht gelingt, den neuen, alten race-Separatismus ›abgefahren‹ und ›cool‹ zu finden, regelmäßig vor, »Normalos« zu sein. Im Interview mit der New York Times sagte Mike Cernovich, Hillary Clintons Rede »war das Dämlichste, was sie hätte machen können«, und fügte hinzu: »Ihr social-media-Beraterteam besteht aus vierundzwanzigjährigen Normalos, die sich von uns getriggert fühlen […].« Wenn wir einen Punkt erreicht haben, wo Faschist_innen anderen moralisch überlegen sein können, weil sie als avantgardistisch, gegenkulturell oder transgressiv gelten, sollten wir den Wert dieser abgestandenen und überholten gegenkulturellen Ideale möglicherweise ernsthaft überdenken.
In einigen Angriffen auf ›zunehmend feminisierte‹ Mainstream-Online-Plattformen lassen sich auch Echos von Nietzsche vernehmen. Der Musikkritiker Robin James schreibt: »Wenn Nietzsche den Massen weibliche Eigenschaften zuschreibt, ist das immer an seine ästhetische Vision des Künstler-Philosophen-Helden geknüpft, des leidenden Einzelkämpfers, welcher der modernen Demokratie und ihrer uneigentlichen Kultur in unversöhnlicher Gegnerschaft gegenübersteht.« Und John Carey behauptet: »Nietzsches Sicht auf die Masse wurde von den meisten Gründern moderner europäischer Kultur geteilt oder vorweggenommen.« Der Online-Ausdruck »Es gibt im Internet keine Mädchen« erschien schon früh in 4chans ›Internetregeln‹. Das ist nicht buchstäblich, sondern vielmehr dahingehend zu lesen, dass die Gegenden des Netzes, in denen es wenige oder keine Frauen gibt, ›das Internet‹ – also das authentische Internet – ausmachen. Über Frauen wird in einer Weise gesprochen, die ihre Abwesenheit voraussetzt, und Nutzer scheinen den anonymen Raum als einen Ort zu behandeln, wo man vor einem implizit männlichen Publikum seinem Groll gegen Frauen Luft machen konnte.
Cumdumpster3, ein Slang-Begriff, der lange im antifeministischen Internet beliebt war, hat seine Wurzeln in Angriffen auf als aufmerksamkeitsgeil und eitel wahrgenommene Frauen, die männerdominierte Geek-Räume betreten. Wie der Forscher Vyshali Manivannan dokumentiert, entspringt der verbreitete Gebrauch des Begriffs auf 4chan einem berüchtigten Zwischenfall von 2008: Eine 4chanerin, die sich als ›femanon‹4 vorstellte, postete ein Foto von sich in Dessous, höchstwahrscheinlich ein Fake. Die Frau bat um Rat zu einer kürzlichen Trennung und fragte, ob sie wohl leicht verheiratete Männer verführen könnte. Wie Manivannan ausführt, brach ihr Verhalten dermaßen mit subkulturellen Gepflogenheiten, dass Nutzer_innen den Post bearbeiteten, aus ›femanon‹ ›cumdumpster‹ machten und ihr ein Interesse an Exkrementen andichteten. Der Thread war zeitweise auf der Startseite von /b/ fixiert; ein Nutzer nannte ihn das Äquivalent zu einem »menschlichen Kopf auf einem Spieß«, eine klare Aussage über Inklusion und Exklusion.
Eine weitere nerdige Online-Subkultur, die nach rechts gerückt ist und viel mit der heutigen Alt-Right gemeinsam hat – auch wenn sie mittlerweile an Einfluss verloren hat – ist der New Atheism. Er zählt zu den Vorgängern der Alt-Light und basiert auf einem an Christopher Hitchens5 erinnernden Stil, wo heftig gegen ›irrationale‹ und religiöse Menschen ausgeteilt wird. Die zahlreichen heutigen ›Milo OWNS stupid feminist‹-Videos6 sind den vor einigen Jahren weitverbreiteten New-Atheism-Videos mit Titeln wie HITCHSLAP. Hitchens OWNS stupid Christian woman stilistisch sehr ähnlich. Auch durchströmt die Subkultur derselbe nietzscheanische, mainstreamfeindliche, nonkonformistische Geist.
Die ›neue Atheistin‹ Rebecca Watson gründete den Blog Skepchick und betrieb gemeinsam mit anderen den Podcast The Skeptics’ Guide to the Universe. 2011 stand Watson im Zentrum einer Welle von Beleidigungen in der Atheist_innen- und Skeptiker_innen-Community im Netz, die heute als #elevatorgate bekannt ist. Sie hatte einen Blogeintrag namens Reddit makes me hate atheists geschrieben, in dem es um junge Frauen ging, die in der atheistischen Online-Gemeinschaft verhöhnt worden waren, als sie versuchten, sich in den größtenteils männlichen Foren in Diskussionen einzubringen. Im Juni 2011 sprach sie auf einer Konferenz, wo auch Richard Dawkins zugegen war. Sie berichtet folgendermaßen vom Ereignis, das zu #elevatorgate führte:
Ich sprach sprach über meine Erfahrungen als atheistische Aktivistin im Internet und über die Reaktionen, die ich als Frau bekomme, etwa Vergewaltigungsdrohungen und andere sexuelle Kommentare. Das Publikum war aufgeschlossen und im Anschluss saß ich stundenlang in der Hotelbar und sprach mit anderen reflektierten Atheist_innen über Gender, Objektifizierung und Frauenfeindlichkeit. Um etwa vier Uhr morgens kündigte ich an, ich sei erschöpft und würde zu Bett gehen, um für einen weiteren Tag mit Vorträgen vorbereitet zu sein. Als ich den Aufzug betrat, löste sich ein Mann, mit dem ich mich noch nicht direkt unterhalten hatte, von der Gruppe und gesellte sich zu mir. Als die Türen schlossen, sagte er zu mir: »Bitte nehmen Sie mir das nicht übel, aber ich finde Sie sehr interessant. Würden Sie gern auf einen Kaffee in mein Hotelzimmer kommen?« Ich lehnte höflich ab und verließ den Aufzug, als er mein Stockwerk erreichte.
Später nahm sie in einem Vlog auf diesen Zwischenfall Bezug. Daraufhin wurden die Kommentarspalten ihrer YouTube-Videos mit hässlichen sexualisierten Beleidigungen und Drohungen überschwemmt sowie ihre Wikipedia-Seite verwüstet. Außerdem hätten »ein paar Personen« ihr »hunderte Nachrichten geschrieben, in denen sie versprechen, mich niemals wieder in Ruhe zu lassen«. Die Hasspost wurde noch heftiger, nachdem Richard Dawkins selbst sich eingebracht und darüber lustig gemacht hatte, dass westliche Feminist_innen sich über derart triviale Dinge wie einen Annäherungsversuch im Aufzug aufregten, wo in der muslimischen Welt doch viel größeres Leiden geschehe.
Unter ihrem Namen wurden Twitter-Konten erstellt und benutzt, um ihren Freund_innen und anderen belastende Nachrichten zu schicken. Wie sie berichtet, wurden über sie ganze Blogs erstellt, die vergangene Fehltritte katalogisierten und versuchten, irgendetwas Verfängliches aus ihrer Vergangenheit auszugraben. Nur eine Woche, nachdem Dawkins sich eingebracht hatte, sollte Watson auf einer Konferenz sprechen, und ein Mann tweetete ihr, dass er teilnehmen und sich, falls er sie im Aufzug träfe, auf sie stürzen würde.
Andere Frauen in der atheistischen Blogger_innen-Community, verhasst, weil sie diesen männlichen Raum mit ihrer femininen Kultur zerstört hätten, berichten über ähnliches Verhalten. Watsons Co-Bloggerin Amy Davis Roth musste umziehen, nachdem ihre Adresse in einem dem Hass auf feministische Atheist_innen gewidmeten Forum namens Slime Pit (»Schleimgrube«) gepostet worden war. Dahinter stand derselbe Mann, der auf A Voice for Men einen zutiefst verletzenden Beitrag über sie veröffentlicht hatte. Die feministische, skeptische Bloggerin Greta Christina schreibt: »Wenn ich meinen Mund öffne, um über irgendetwas Kontroverseres zu sprechen als ›Pan Galactic Gargle Blaster‹-Rezepte oder Sechs Weitere Atheisten, Die Total Klasse Sind, kann ich mich auf einen Schwall von Hass, Beleidigungen, Demütigungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen und mehr einstellen.« Ähnlich äußerte sich die Skeptikerin Jennifer McCreight zu ihrem Entschluss, nicht mehr zu bloggen und keine öffentlichen Vorträge mehr zu halten: »Ich wache jeden Morgen zu beleidigenden Kommentaren, Tweets und E-Mails auf, in denen steht, dass ich ein Flittchen, zimperlich, hässlich, fett, ein Feminazi, behindert, eine Schlampe und eine Fotze bin (um nur einige zu nennen) […]. Ich halte es einfach nicht mehr aus.«
Auf das Forum r/atheism auf Reddit geht ein Meme zurück, das zeigen soll, dass Frauen angeblich fotobasierte soziale Medien nutzen, um ihre Eitelkeit zu befriedigen, was Männer hingegen nicht täten. Zu sehen ist die Comicfigur eines männlichen Nutzers, der dem Publikum einen Backstein zeigt, während die Nutzerin, die ebenfalls einen Backstein hält, in einem gestellten und schmeichelhaften Foto ihrer selbst erscheint. In diesem Cartoon-Bild heuchelt die Frau bloß Interesse am betreffenden Gegenstand, um ein Foto von sich zu machen, während der Mann einfach den Gegenstand vorzeigt.
Dieses Bild tauchte auf r/atheism auf, dokumentiert von Feminist_innen, die der atheistischen Online-Kultur kritisch gegenüberstehen, als ein fünfzehn Jahre altes Mädchen unter dem Pseudonym Lunam einen Thread namens What My Super Religious Mother Got Me For Christmas postete. Darin verlinkte sie ein Foto von sich, wie sie Carl Sagans Der Drache in meiner Garage oder Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven in die Kamera hält. Der erste Kommentar zum Bild lautete »Mach dich auf was gefasst, die Komplimente kommen«, was die Unaufhaltsamkeit der nun folgenden Schmeicheleien anzeigen sollte. Es folgte eine lange Diskussion, in der Nutzer ihr Alter besprachen und Witze darüber machten, dass sie sie entführen und anal vergewaltigen würden. »Entspann’ deinen Anus, so tut es weniger weh«, schrieb ein Kommentator. »Blut ist Mutter Erdes Gleitmittel«, witzelte ein anderer. Lunam antwortete schließlich folgendermaßen auf diese Kommentare: »Dieses Gefühl7, wenn man weiß, dass man in der atheistischen/wissenschaftlichen/was-auch-immer-Gemeinschaft niemals ernst genommen werden wird, weil man ein Mädchen ist.« Die erste kritische Antwort lautete: »Na ja, wenn du Sachen sagst wie ›dieses Gefühl‹…«
Dies gehört zu einem breiteren Trend in männerdominierten nerdigen Online-Subkulturen, dem zufolge Frauen als eine Bedrohung der Trendigkeit der Subkultur wahrgenommen werden. Durch sie, so die Befürchtung, dringen die moralischen und verhaltensmäßigen Restriktionen und die Inauthentizität der Mainstream-Plattformen ins Reich der Subkultur vor. Ein frühes Beispiel für das antiweibliche Geek-Genre ist das ›Idiot Nerd Girl‹-Meme, welches etwa im Mai 2010 auftauchte.8 Es zeigt das Foto einer Jugendlichen mit dickrandiger Brille, auf deren Handfläche das Wort nerd geschrieben steht. Am oberen Bildrand steht jeweils eine Anspielung auf die ›Geek-Kultur‹, während unten ein Mangel an subkulturellem Wissen suggeriert wird. Die Kombinationen lauten dann etwa »Selbsternannter ›Nerd‹/Was ist World of Warcraft?« oder »Ich liebe Zurück in die Zukunft!/Was zum Teufel ist ein Gigawatt?«.
Die ›aufmerksamkeitsgeilen camwhores‹ (»Kamerahuren«) und ›cumdumpsters‹ bekommen in solchen selbsternannten transgressiven und gegenkulturellen Foren oft zu hören, der Fehler liege bei ihnen und sie ›kapierten‹ die subkulturellen Gepflogenheiten nicht. Angeblich legen sie weibliche Eitelkeit an den Tag, die der chan-Kultur verhasst ist, weil sie das maßgebliche Kennzeichen weiter Teile der etablierten sozialen Medien und der Mainstream-Online-Kultur sei. Netzwerke wie Instagram und Facebook gründen auf persönlicher Identität und Fotos. Gegen diese massenkompatiblen und ›verweiblichten‹ Netzwerke versuchen die Subkulturen aggressiv, ihre Grenzen zu verteidigen.
Auch das ist nichts Neues. In Bezugnahme auf John Osbournes Theaterstück Blick zurück im Zorn sowie den Film …denn sie wissen nicht, was sie tun, als ähnlich gegenderte Angriffe auf den Kleingeist der Gesellschaftsordnung der Nachkriegsjahre, schreiben Joy Press und Simon Reynolds: »Durch den Rebellendiskurs der Fünfziger spukt die Figur der Matriarchin als Hauptorganisatorin des Konformismus.« In Einer flog über das Kuckucksnest warnt der rebellische Häftling Harding vor der bösen Schwester Ratched: »Wir sind hier die Opfer einer Matriarchie, mein Freund […].« Konformismus ist in dieser Bildersprache weiblich, der Aufstand männlich.
Dass Misanthropie und Misogynie – der Hass auf das fruchtbare, domestizierende Weibliche – in der Welt der Alt-Right zusammenfinden, ist ebenfalls nichts Neues. In The Sex Revolts schreiben Reynolds und Press, dass Frauen in der rebellischen Fantasie sowohl als Opfer wie auch als Täterinnen eines »kastrierenden Konformismus« auftreten. Diese Verknüpfung wird im Konzept des momism (»Mama-ismus«) in Philip Wylies Generation of Vipers von 1942 besonders klar, einer Polemik gegen die Degeneration der von Materialismus und seichter, verweiblichter Populär- und Konsumkultur verschlungenen amerikanischen Gesellschaft. Wie die antifeministischen Online-Kulturen der ›roten Pille‹ erklärte auch die männliche Rebellenkultur der Fünfziger und Sechziger die Falle von Ehe und Häuslichkeit zum Feindbild und ließ Frauen regelmäßig die Rolle der konterrevolutionären Vollstreckerinnen des vorstädtischen Kleingeistes spielen.
Die negative Verknüpfung von Weiblichkeit und Massenkultur reicht noch weiter in die Vergangenheit. Der Literaturkritiker Andreas Huyssen verfolgt sie bis zu Madame Bovary zurück. Geschrieben zu einer Zeit, als die Väter der Moderne einer Ästhetik verbunden waren, »die auf der restlosen Zurückweisung von Emma Bovarys Lieblingslektüre basierte«, präsentiert der Roman das wenig schmeichelhafte Porträt einer Frau mit von romantischen Romanen benebeltem Verstand. Huyssen sieht das Andere dieser Zeit als Frau. In der Ära der ersten großen Frauenbewegung, so führt er aus, sei der Feind vor den Toren einer männerdominierten Elite weiblich gewesen:
Es fällt tatsächlich ins Auge, dass der politische, psychologische und ästhetische Diskurs um die Jahrhundertwende durchgehend und zwanghaft Massenkultur und Masse als feminin gendert, während Hochkultur, ob traditionell oder modern, eindeutig das privilegierte Reich männlicher Aktivitäten bleibt.
Ich möchte noch einmal auf Fight Club zu sprechen kommen. Von den ursprünglich fünfzig ›Internetregeln‹ von 4chan, darunter »Titten oder verpiss’ dich« und »Es gibt keine Mädchen im Internet«, lauteten die ersten zwei »Du sprichst nicht über /b/« und »Du sprichst NICHT über /b/«, was die ersten beiden Regeln des Fight Club nachahmt, die da lauten: »Du sprichst nicht über den Fight Club.«
Tyler Durden, die eine Hauptfigur des Films, verkörpert eine rebellische Männlichkeit, die sich gegen die kastrierende Gleichförmigkeit der Konsumkultur und die postindustrielle, verweiblichte Schüchternheit der Bürojob-Welt auflehnt. Edward Norton spielt den konformistischen, seiner Männlichkeit beraubten, von Konsumdenken gelenkten Beta-Mann, während sein Quasi-Alter-Ego Durden den gegenkulturellen ›Alpha‹ darstellt, der sowohl vom Bedürfnis nach Frauen als auch von deren Kontrolle frei ist. Die pinke Seife, die er verkauft, besteht aus dem Fett von Frauen, die sich einer Fettabsaugung unterzogen haben, sodass er »reichen Weibern ihre eigenen fetten Ärsche« zurückverkauft, was Rebellion gegen Konsumdenken mit Verachtung für weibliche Eitelkeit und dem Zerschlagen von Konformismus verschmilzt – wohl das zentrale Thema der MGTOW-Kultur. Auch wird so eine rebellische Männlichkeit konstruiert, die als antikonformistisches ›Gegengift‹ sowohl althergebrachte als auch profeministische neue Männerrollen zurückweist.
Durdens antikonformistischer, anarchischer Stil klingt in der Rhetorik weiter Teile der Alt-Right an. Im Film versucht er, die konformistische Drohne aus ihrem Schlummer zu wecken und ihr, also sich selbst, die ›rote Pille‹ zu verabreichen. Man hört sowohl die rebellische Männlichkeit der Gegenkultur der Sechziger als auch die Männlichkeitsvorstellungen der Alt-Right, wenn Durden Mainstream-Männer folgendermaßen beschreibt:
Eine ganze Generation […] schuftet als Schreibtisch-Sklaven. Durch die Werbung sind wir heiß auf Klamotten und Autos. Machen Jobs, die wir hassen, kaufen dann Scheiße, die wir nicht brauchen. Wir sind die Zweitgeborenen der Geschichte, Leute – Männer ohne Zweck, ohne Ziel. Wir haben keinen großen Krieg, keine große Depression. Unser großer Krieg ist ein spiritueller. Unsere große Depression ist unser Leben. Wir wurden durch das Fernsehen aufgezogen in dem Glauben, dass wir alle irgendwann mal Millionäre werden, Filmgötter, Rockstars. Werden wir aber nicht! Und das wird uns langsam klar. Und wir sind kurz, ganz kurz vorm Ausrasten.
Dies ist mittlerweile exakt der rhetorische Ton und Stil der MGTOW-Bewegung und allgemein der antifeministischen Mannosphäre, in welcher der abwesende Vater häufig die Grundlage für weitere Anschuldigungen gegen Frauen liefert.
Auch das Kuckuck-Thema findet sich in Fight Club. Als er auf der Toilette sitzt und sich einen IKEA-Katalog ansieht, berichtet der Erzähler Jack: »Wie so viele andere war ich zu einem Sklaven des IKEA-Nestbautriebes geworden.« Durden fragt ihn später: »Wieso wissen Leute wie du und ich, was ein Plaid ist?« Wie die Online-Rechte auch bringt der Film maskulinistische und antifeministische Politik, rebellische Existenzangst und eine Ablehnung des domestizierenden, femininen Einflusses von Frauen zusammen. Im diskursiven Stil der neuen, ›punkigen‹, transgressiven Online-Rechten ist ›Nestbau‹ auch mit Beschwichtigung und Betäubung verknüpft, während Grenzüberschreitung, Pornografie und Gewaltdarstellungen in Online-Hasskampagnen gegen Frauen, die in männerdominierte Räume eindringen, als Gegenkraft Gebrauch finden.
Das Popkultur-Klischee des amerikanischen High-School-Films, das alte Archetypen adaptierte, stellte eine zwischenmenschliche Welt dar, in der die schlimmsten Sexisten immer die Sport-Asse mit viel Muskelmasse, aber wenig Hirn sind. Doch mittlerweile, da die Online-Welt uns einen Einblick ins Innenleben anderer erlaubt, besteht eine der überraschenden Erkenntnisse darin, dass gerade der streberische, selbsternannte nette Typ, der das Mädchen seiner Träume nie hat bekommen können, der um einiges boshaftere und rassistischere Frauenfeind und über die Maßen neidisch auf das Glück anderer ist. In ähnlicher Weise hat sich die Vorstellung vom inhärenten Wert bestimmter ästhetischer Prinzipien, die seit den Sechzigern die westliche Popkultur dominieren – Transgression, Subversion und Gegenkultur –, als bestimmendes Merkmal einer netzbasierten äußersten Rechten herausgestellt, die einerseits voll von der Engstirnigkeit der Rechten steckt, durch ihren nietzscheanischen Antimoralismus jedoch von allen durch christliche Moral vorgeschriebenen Restriktionen befreit ist. Sie steckt voller selbstgerechter Verachtung für alles Etablierte, Konformistische, Normale. Anstatt kläglich zu versuchen, die Sprache dieser neuen Rechten zu sprechen und ›die Trolle zu trollen‹ oder ihre Online-Kultur nachzuahmen, sollten wir die Gelegenheit nutzen und entschieden zurückzuweisen, was sie uns offenbart – etwas, was viel tiefer geht, als es zunächst den Anschein hat. Die Alt-Right redet oft über das Geistesgefängnis des Liberalismus und bringt ihr Streben nach dem wahrhaft Radikalen, Grenzüberschreitenden und Ausgefallenen zum Ausdruck. Ein halbes Jahrhundert nach den Rolling Stones, nachdem Siouxsie Sioux und Joy Division mit faschistischer Ästhetik geflirtet haben, nach Piss Christ, nach Fight Club, in einer Zeit, da vom Fanclub des Präsidenten bis zu McDonald’s alle verzweifelt versuchen, cool und avantgardistisch zu wirken, könnte es an der Zeit sein, die noch immer sehr jungen, sehr modernen Werte und das gesamte Paradigma der Gegenkultur zu beerdigen und etwas Neues zu schaffen.
1 | Kurz für newbies, »Neulinge«; Internetslang (Anm. d. Übers.).
2 | Das Originalzitat ist in fehlerhaftem Englisch verfasst: »Make sure you got molotovs. It is really easy and painfully way to kill many normies.« (Anm. d. Übers.)
3 | Aus cum, »Wichse«, und dumpster, »Müllcontainer«; etwa: »Spermaloch« (Anm. d. Übers.).
4 | Weibliches Mitglied von Anonymous (Anm. d. Übers.).
5 | Vehement atheistischer und religionskritischer britisch-amerikanischer Autor (1949-2011) (Anm. d. Übers.).
6 | Das in der Internetsprache beliebte Engl. to own lässt sich etwa als »plattmachen« übersetzen (Anm. d. Übers.).
7 | Engl. dat feel; Grundlage vieler englisch- und deutschsprachiger Memes (Anm. d. Übers.).
8 | Vgl. http://knowyourmeme.com/memes/idiot-nerd-girl (zuletzt aufgerufen am 28.05.2018) (Anm. d. Aut.).