Chris Anderson machte das Long-Tail-Modell mit seinen Analysen zahlreicher Onlinehändler bekannt, darunter Amazon (besonders im Hinblick auf den Buchhandel), Rhapsody (Online-Musikdienst), eBay (Secondhand-Handel) und Netflix (Film-Streamingdienst). Seine Arbeit ergab, dass in den betrachteten Fällen die Verkaufszahlen für die beliebtesten Artikel nur einen Teil des Gesamtumsatzes ausmachten; anders gesagt hing die Rentabilität der Verkäufe nicht nur von den Kassenschlagern ab. In seinem Bestseller The Long Tail – der lange Schwanz1 widmet sich Anderson ausführlich diesem Phänomen.
Von Anfang an stellt das neue Konzept zahlreiche Verkaufsstrategien und Wirtschaftsmodelle in Frage: Dem Autor zufolge kann es in manchen Fällen rentabler sein, nicht ausschließlich Blockbuster zu verkaufen. Den Nachweis liefert Anderson gleich mit.
The Long Tail: „Kopf” und „Schwanz“
Das Statistik- und Strategiekonzept wird häufig als Grafik dargestellt, wobei die x-Achse die Menge der verkauften Produkte und die y-Achse die Verkaufszahlen angibt.
Der rote Bereich – der „Kopf“ des Long Tail – zeigt, dass nur wenige Artikel zu Rekordverkaufszahlen führen, während der gelbe Bereich – der „Schwanz“ des Long Tail – verdeutlicht, dass der Großteil der Produkte lediglich in kleiner Anzahl verkauft wird.
Das 80/20-Prinzip und The Long Tail
Das 80/20-Prinzip bzw. Pareto-Gesetz, nach dem 80 % des Umsatzes durch den Verkauf von 20 % der Waren generiert werden, wird durch das Long-Tail-Konzept entkräftet. Anderson zeigt, dass das 80/20-Prinzip nur auf nicht voll ausgeschöpfte Nischenmärkte angewandt werden kann.
Dank neuer Informations- und Kommunikationstechnologien können heutzutage das Produktionsvolumen reduziert, das Warenangebot differenziert und neue Informationstechnologien eingesetzt werden, um von niedrigen Lagerkosten zu profitieren. Zudem erleichtern Suchmaschinen Kunden die Auswahl; durch das so präsentierte, breit gefächerte Angebot können sie ihren persönlichen Vorlieben entsprechend einkaufen. Alle Produkte, für die auf einem nicht-digitalen Markt nur geringe Nachfrage besteht, werden im Internet – damit also weltweit – zu Produkten mit einem potenziell bedeutenden Abnehmerfeld. Sie sind dem Umsatz dadurch potenziell genauso zuträglich wie die beliebten Produkte und können sogar das 80/20-Verhältnis umkehren.
Bevor eine These wie die von Pareto komplett widerlegt werden kann, muss zunächst nachgewiesen werden, dass durch den veränderten Kontext keine der Regeln dieser Theorie mehr zutreffen. Anderson zufolge bildet sich der „Long Tail“ automatisch, sobald alle Einschränkungen von Angebot und Nachfrage aufgehoben sind und Kunden freien Zugang zu allen Produkten haben.
Die Realität scheint jedoch etwas komplexer zu sein: Es ist nicht so, dass der Markt den lukrativen „Long Tail“ schlicht unbeachtet lässt, vielmehr verhindern die Bedingungen auf dem Zielmarkt bisweilen, dass der Long-Tail-Profit entsprechend genutzt werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall für Produkte mit sehr niedriger Nachfrage, bei denen die Kosten (für Logistik, Kommunikation etc.) kaum zu optimieren sind. Das 80/20-Prinzip kann daher nur für digitale Märkte und Produkte widerlegt werden. Es sind also vor allem IT-Märkte, die von dem Phänomen profitieren.
KURZ GEFASST
Produktions-, Lager- und Vertriebskosten
Das Long-Tail-Phänomen beruht darauf, dass digitale Artikel die Rentabilität steigern, indem diverse Kostenpunkte eines Unternehmens reduziert werden:
Zusammenfassend verwendet die digitale Wirtschaft also Nutzerdaten, liest daraus konkrete Bedürfnisse ab und bietet dementsprechende Dienstleistungen oder Produkt an. Der nach wie vor noch recht unkonkrete rechtliche Rahmen für die Verarbeitung personenbezogener Daten birgt allerdings ein potenzielles Missbrauchsrisiko.
Sowohl Anbieter als auch Kunden profitieren vom Online-Geschäft:
Kulturelle und wirtschaftliche Auswirkungen
Mit der steigenden Anzahl an Internetnutzern wächst auch die Zahl derer, die sich genauer mit den Auswirkungen auf kulturelle Vielfalt und die Unterhaltungsindustrie beschäftigen. Anderson zufolge…
Diese wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen können an mehreren Beispielen veranschaulicht werden:
So können Fernsehsender, Buchhandel, Musikbranche etc. ihren Verbrauchern tatsächlich eine wesentlich größere Auswahl anbieten, da die Lagerkosten relativ gering sind, und damit ihre Rentabilität erhöhen.
Einige sehen darin die Förderung kultureller Produkte durch das Internet und das Ende der Mainstream-Ära, da die physischen Beschränkungen durch Lagerkosten mit der Digitalisierung letztlich aufgehoben werden.
Listungsstrategien und The Long Tail
The Long Tail veranschaulicht Suchmaschinenoptimierung (auf Englisch „search engine optimization“, SEO) auf besonders bildliche Weise, gleichzeitig ermöglichen oft gerade die Strategien zur Listungsoptimierung den Long Tail beim Onlineverkauf zahlreicher Produkte.
GUT ZU WISSEN: LISTUNG
In zwei unterschiedlichen Kontexten wird von „Listung“ gesprochen:
Überträgt man The Long Tail auf Suchmaschinenoptimierung, bedeutet dies, alle Schlüsselwörter bzw. Suchbegriffe aufzuführen, die eventuell zu einer bestimmten Information oder einem Thema führen können. Dazu gehören die offensichtlichen, beliebten Schlagwörter ebenso wie weniger beliebte, genutzte oder bekannte Synonyme. Einzeln betrachtet generieren diese Synonyme weniger Traffic, zusammengefasst jedoch sogar mehr als die performanteren Schlüsselwörter.
Beim Erstellen einer Strategie für die Listung in Suchmaschinen sollten diese Überlegungen daher miteinbezogen werden. Je nach den Produkten, deren Listung verbessert werden soll – und damit je nach den entsprechenden Schlüsselwörtern –, trifft in der Regel eine der folgenden Beobachtungen zu:
1. Anderson, Chris: The Long Tail – der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt – Das Geschäft der Zukunft. Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer und Heike Schlatterer. Hanser: München 2007.