Hinführung oder:
Eine Geschichte über die Todesdeutung im Christentum

Konstantin Sacher

Es gibt einen Aufbruch in der theologischen Deutung des Todes. Ja, so etwas gibt es, theologische Aufbrüche im 21. Jahrhundert. Dieser Aufbruch könnte leicht als Tabubruch verstanden werden. Ein theologisches Buch, dessen Argumentationslinie ist, dass der Tod das Ende ist. Es geht nicht zuerst um die Auferstehung, die Unsterblichkeit der Seele und das Ewige Leben. Es geht zuerst darum, dass der Tod bedeutet, dass das Leben zu Ende ist. Doch ganz so tabubrüchig ist der Inhalt dieses Buches dann doch nicht. Zum einen, weil die wirkliche Anerkennung der lebensbeendenden Bedeutung des Todes in der Evangelischen Theologie gar nicht so etwas Neues ist. Und zum anderen, weil die Symbole und Bilder der christlichen Religion, eben Auferstehung, Unsterblichkeit der Seele und Ewiges Leben, trotz der Anerkennung des endgültigen Lebensendes hochgehalten werden. Zeitgemäßer christlicher Glauben kann beides, so würde ich die Stoßrichtung der hier versammelten Texte beschreiben: den Tod anerkennen und die Bedeutung der christlichen Sicht auf den Tod starkmachen.

Dabei gilt es, noch einmal zu sagen, dass die vier in diesem Buch versammelten Essays nicht mit einer Stimme sprechen. Es sind vielmehr vier eigene, unterschiedene Stimmen. Drei Stimmen von Theologinnen und eine, nämlich meine eigene, von einem Theologen, die viele Jahre ihres gerade einmal mittelalten Lebens in den Dienst des Nachdenkens, Nachforschens und Lehrens über den Tod gestellt haben. In allen vier Fällen ist als Ergebnis dieser jahrelangen Arbeit eine systematisch-theologische Doktorarbeit entstanden. In dieser wurde jeweils für sich und zunächst auch ohne Bezugnahme auf die anderen der hier Vertretenen das große Thema Tod auf zeitgemäße und wissenschaftlich-theologische Weise zu durchdringen versucht. Es gibt wohl wenige Themen, die von so grundlegender Bedeutung sind, wie das Thema Tod. Und dementsprechend gibt es auch unendlich viele Bücher, Aufsätze und andere Texte, die sich diesem Thema bereits gewidmet haben. Und trotzdem war es, wie ich finde, notwendig, dass diese neue Arbeit geleistet wurde. Denn das theologische Nachdenken war, ich würde einmal sagen, ins Stocken geraten. Und anders, als es vielleicht möglich wäre zu denken, ist Theologie keineswegs etwas Statisches, etwas, das das Bewahren des Vergangenen als Geschäft betreibt. Vielmehr ist sie, wie es bereits der große Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) gesagt hat, etwas, das immer nur in die ihr gegebene Zeit hinein sprechen kann. Eine Theologie, die die Inhalte des christlichen Glaubens für ihre Zeit zu beschreiben versucht, rennt also keinem Zeitgeist hinterher, sondern ist einfach, wie sie es schon immer war, mit dem Geist der Zeit verwoben. Theologie ist daher ein dynamisches Geschäft. Ein Feld der Theologie, dessen Pflege ins Stocken geraten ist, gilt es neu zu bestellen. Und das haben die vier Essays dieses Buches versucht, und zwar auf eine besondere Weise: Für dieses Buch sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit in Texte gegossen worden, die absichtlich nicht allzu wissenschaftlich formuliert sein sollen. Wobei auch hier unterschiedliche Zugangsweisen gewählt wurden. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass alle vier Texte sich sehr gut lesen lassen und klar und ohne Schnörkel zu ihren jeweiligen Aussagen gelangen. Und um mich nicht als der großer Deuter dieser vier Perspektiven aufzuschwingen, möchte ich es mit dieser Gemeinsamkeitsbeschreibung auch bewenden lassen. Ob es mehr Gemeinsamkeiten gibt und wenn ja, welche, das mögen die Leserinnen und Leser des Buches selbst entscheiden.

Wenn ich aber schon schreibe, dass das theologische Nachdenken über den Tod ins Stocken geraten war, dann möchte ich das auch noch kurz begründen, um den Leserinnen und Lesern, die sich über das Thema Tod hinaus für eine Einordnung der hier präsentierten Gedanken in die Theologie der Gegenwart interessieren, ein wenig food for thought zu geben. Ich möchte daher hier in dieser Hinführung eine kleine Geschichte über die christliche Todesdeutung erzählen. Ich erzähle eine (nicht die) kleine Geschichte, ich lasse den Blick über die Jahrhunderte schweifen. Weder überblicke ich 2000 Jahre Theologiegeschichte im Ganzen, noch ist das, was ich schreibe, als Geschichtsschreibung im wissenschaftlichen Sinne zu verstehen. Es geht mir vielmehr darum zu zeigen, wie man das christliche Ringen um den Sinn des Lebens im Angesicht des Todes in heutiger Zeit mit dem gleichen Ringen in früherer Zeit in Verbindung bringen kann. Im besten Falle verstehen die Leserinnen und Leser durch diese Hinführung den Kontext der vier Essays dieses Bandes ein wenig besser. Mehr könnte ich mir nicht wünschen.

Während die biblische Urgeschichte uns berichtet, dass es im Garten Eden noch keinen Tod gab, war diese todlose Zeit schon in der zweiten Generation vorbei. Adams und Evas Sohn Abel, der bekanntlich durch die Hand seines Bruders starb, kann biblisch gesehen als der erste Tote überhaupt gelten. Die im Alten Testament überlieferten Urmythen stehen am Anfang einer langen Reihe von Deutungsprozessen in Bezug auf den Tod, oder: Weil der Tod nun einmal in der Welt war, mussten die Menschen sich auch mit ihm befassen. Das geschieht schon innerbiblisch auf ganz vielfältige Art und Weise. Nicht nur unterscheidet sich die Rede vom Tod im Alten Testament von der im Neuen Testament, sondern auch innerhalb der beiden großen Teile der christlichen Heiligen Schrift lassen sich viele unterschiedliche Sichtweisen auf den Tod finden. Im Alten Testament findet sich von einem völligen Anerkennen der lebensbeendenden Kraft des Todes, die sogar in Richtung einer Abgeklärtheit reicht, wie beispielsweise im Buch Kohelet, bis hin zu Auferstehungsvorstellungen in den späten Texten des Buches Daniel richtiggehend Gegensätzliches. Das in der evangelischen Bibel unter den Apokryphen zu findende Buch Weisheit Salomos kann sogar als innerbiblischer Vermittlungsversuch zwischen ganz unterschiedlichen Ansichten gelesen werden. So wird dort (Weish 1,1-6,21) gegen die Position argumentiert, dass mit dem Tod alles aus sei, und diese Ansicht als eine Sicht der Gottlosen ausgewiesen.1 Dass aber ein solches Argumentieren notwendig war, verweist natürlich darauf, dass diese Ansicht (mit dem Tod ist alles aus) wohl vielfältig vertreten wurde. Im Neuen Testament reicht die Bandbreite von den Verzweiflungsschreien Jesu am Kreuz, die in der Ableitung nicht davon ausgehen lassen, dass hier schon die glorreiche Auferstehung mitgedacht wird, bis hin zu den Ausführungen über die Auferstehung von Paulus im Ersten Korintherbrief (1 Kor 15) und im Ersten Thessalonicherbrief (1 Thess 4). Auch hier wird wieder gegen eine vermeintlich hoffnungslose Sicht auf den Tod argumentiert, auch hier ist das wieder ein Hinweis darauf, dass es eine solche Sicht wohl gab.

Diese Vielfalt wurde von Theologinnen und Theologen auch schon immer bemerkt und so können die erwähnten Einlassungen des Paulus in den beiden ersten Briefen an die Thessalonicher und Korinther bereits als erster christlich-theologischer Glättungsversuch der vielfältigen frommen Ausdrucksformen in Bezug auf den Tod verstanden werden. Paulus, den man als den ersten Theologen des Christentums ansehen kann, versuchte, ein wenig Einheitlichkeit herzustellen. Er kann als erster Repräsentant einer institutionellen Kirche verstanden werden. Einer Kirche, die ein Interesse daran hat, dass es eine einheitliche Lehre gibt. Doch die Macht der Institution Kirche ist zu seiner Zeit noch schwach (das sollte sich noch ändern – wie wir wissen). Und so blieb auch das Bemühen des großen Kirchengründers letztlich erfolglos. Und diese biblischen Bezüge zeigen sogleich, dass das Thema des Todes immer in einem größeren Kontext verhandelt werden muss und auch wurde. Denn es geht sowohl im Alten als auch im Neuen Testament immer auch gleich um die größere Frage nach dem Menschsein überhaupt. Was der Tod ist und wie er zu verstehen ist, das sieht man schon an der Bibel, kann nur im Zusammenspiel mit der Frage nach dem Menschen durchdacht werden.

Es lässt sich, zumindest wenn man der Linie der tradierten und wirkmächtigen Dogmen folgt, eine herrschende Meinung zum Thema Tod herauskristallisieren. Doch Achtung, Dogmengeschichte ist zum Großteil eine Siegergeschichte. Viele der Strömungen und Ideen, die es einmal gab, die sich im Wettstreit jedoch nicht durchgesetzt haben, sind für immer verloren gegangen. Es zeigt sich jedenfalls, dass sich die Frage nach dem Tod immer gemeinsam mit der Frage nach dem Menschsein entwickelt. Und diese Frage steht im christlichen Denken nicht nur im Erbe der biblischen Zeugnisse, sondern ebenso der griechischen Philosophie. Deren Stammvater Platon ist es auch, auf den das bis heute wirkmächtige, sogenannte dualistische Menschenbild zurückgeht.2Phaidon wird zu Recht immer wieder als Quelle für eine solche Denkweise genannt. Und hier bei Platon zeigt sich wieder die Verquickung der beiden Themen Mensch und Tod. So geht es im Phaidon nämlich genau darum, um die Frage, was mit dem Menschen, genauer mit Sokrates, nach dessen Tod geschieht. Platons Bestimmung des Todes als eine Trennung der Seele vom Leib hat eine weitreichende Karriere gemacht. Für Platon ist die Seele hier etwas vom Leib Verschiedenes, etwas Eigenständiges, das der Mensch hat und das es ihm erlaubt, am Reich der Ideen, man könnte mit anderen Worten wohl sagen, an der Sphäre der Erkenntnis teilzuhaben. Im Neuplatonismus der christlichen Zeit ist dieses Denken dann weiterentwickelt worden. Während die menschliche Existenz bei Platon letzteigentlich etwas Sinnloses ist, das möglichst zügig zu überwinden sei (deshalb rät Sokrates im Phaidon den anderen Philosophen auch, sterben zu lernen), wird es im Neuplatonismus zu einer notwendigen Seinsweise mit eigenem Sinn. Im Menschen verbinden sich die vergängliche und die unvergängliche Welt. Doch mit dem Tod wird diese Verbindung wieder aufgelöst. Das Unvergängliche entschwindet und auch die personale Identität des Menschen löst sich wieder auf.

Nun mischt sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte über den Umweg der Arabischen Philosophie noch eine weitere Denkweise in das christliche Todesverständnis ein, die ebenfalls auf die griechische Philosophie, aber nicht auf Platon, sondern auf Aristoteles zurückgeht. Doch bevor es soweit ist, verquicken sich die platonischen, neuplatonischen und alttestamentlichen und neutestamentlichen Denkweisen ineinander. Und auch, wenn es immer den Zug zur Einheitlichkeit gibt, finden sich doch zu allen Zeiten die abweichenden Meinungen, die sogenannten Häresien, auf die schon die Verfasser der Weisheit Salomos eingegangen sind, und auf die dann später in den 50er-Jahren des ersten Jahrhunderts Paulus reagierte. Doch sind diese Häresien allesamt weniger christlich als die Ansicht, die sich durchgesetzt hat? Im Rückblick mag uns das so erscheinen. Zu ihrer Zeit jedoch waren beide erst einmal christliche Positionen, die im Streit lagen.

Durch das Herauslesen der gegnerischen Positionen in den tradierten Zeugnissen der Christentumsgeschichte lässt sich ein Bild zeichnen, das mitnichten jemals eines von Eindeutigkeit war. Schon einer der ersten großen der christlichen Kirchenväter, nämlich Tertullian (ca. 155-220 n. Chr.), gibt wieder davon Zeugnis. In seiner kleinen Schrift de testimonium animae etwa argumentiert er gegen eine pythagoreische, eine platonische und eine epikureische Sicht auf das, was mit der Seele nach dem Tode geschieht. Doch es lässt sich unschwer erraten, dass auch hier sicher einige Mitchristen und Mitchristinnen als Adressaten gemeint sind, die sich der einheitlichen Sicht auf den Tod versperrt hatten. Spuren dieser nach innen und außen gerichteten Diskussion über den Tod und seine Deutung lassen sich bei vielen der altkirchlichen Schriftsteller finden.3 Mehr oder weniger durchgesetzt hat sich dann die von Platon bekannte Rede davon, dass der Tod eine Trennung von Leib und Seele bedeute und die Seele – in welcher Weise auch immer – weiterexistiere. Doch war auch diese Vorstellung eben nicht alternativlos. So findet sich sogar eine Bezeichnung für diejenigen, die davon ausgingen, dass nicht nur der Leib, sondern auch die Seele mit dem Tod sterben würde, dass also der ganze Mensch mit dem Tod ein Ende finden würde. Sie werden Thnetopsychiten genannt.

Die Spuren solches thnetopsychitischen Denkens finden sich beispielsweise bei den altkirchlichen apologetischen Schriftstellern Tatian (gestorben 170 n. Chr) und Arnobius (gestorben 330 n. Chr.).4 Die Gründe für eine solche Vorstellung sind vielfältig. Sie reichen von der Ansicht einer materiellen Seele, die daher genauso wie der materielle Leib untergehen müsse, bis hin zu der Idee, dass die Seele der Ungläubigen vergehen müsse.

Neben den philosophischen Theorien, die dieser religiösen Lehrbildung im Rücken standen, spielte sicherlich auch immer die Erfahrung eine große Rolle. Dass der Leib vergeht, lässt sich schwer bestreiten, weil es die Menschen mit den eigenen Augen sehen können. Doch dass der Mensch nicht einfach in dem aufgeht, was die Augen sehen, und dass es daher möglich, ja sogar notwendig erscheint, dass sich etwas von ihm von diesem verfallenden Leib gelöst hat, das entsprach ebenso der Erfahrung. Dazu kommt, dass die Menschen damals, aber auch heute noch, wie der Text von Anna Elisabeth Scholz in diesem Buch zeigt, eine Beziehung zu den Verstorbenen unterhalten haben. Es liegt also nahe, dass sich der Mensch nicht ganz auflöst mit dem Tod. Aber trotz dieser Argumente gab es eben auch im christlichen Gedankenkosmos immer schon die andere Denkweise, dass der Mensch mit dem Tod ganz vergeht.

Die Frage, was nach dem Tod geschieht, die so auch die Frage ist, was mit der Seele passiert, wenn der Mensch stirbt, war und blieb ein Streitthema. Und so lässt sie sich dann auch in späteren Epochen der theologischen Entwicklung wiederfinden. Gut bezeugt ist das für die sogenannte Frühscholastik.5 Der katholische Dogmatiker Richard Heinzmann hat das eingängig beschrieben. Es gab drei Fraktionen: auf der einen Seite Hugo von St. Victor (1097-1141), der ganz im Sinne des oben schon genannten Neuplatonismus kein gutes Haar am leiblichen Menschsein lässt. Für ihn ist die Seele alles, was es zum Menschsein braucht. Insofern kann er den Leib verwesen und die Seele in die Unsterblichkeit eingehen lassen. Doch auch die Frühscholastiker waren eben keineswegs einer Meinung. So stand auf der zweiten Seite Hugo von St. Victors Zeitgenosse, der berühmte Petrus Abaelard (1079-1142), der Leib und Seele ganz anders bereits als Einheit verstand. Die Seele ohne den Leib, bei den Neuplatonikern endlich frei, ist bei Abaelard nicht die ganze menschliche Person. Dafür braucht es Leib und Seele zusammen. Erst nach dem Tod, wenn sich auch bei Abaelard die Seele vom Leib trennt, kommt dieser als anima separata die Aufgabe zu, die menschliche Identität beizubehalten und das durchaus auch so, dass die leiblichen Anteile dieser Identität hier mit aufgehoben werden. Es gab jedoch noch eine dritte frühscholastische Position, die in Bezug auf diesen Streit überliefert ist. Gilbert von Poitiers (ca. 1080-1155) dachte den Menschen noch einmal anders und gab damit eben auch auf die Frage nach dem Tod eine andere Antwort. Er denkt sich den Menschen vor dem Hintergrund einer eigenen metaphysischen Konstruktion. Für ihn geht der Mensch weder im Leib noch in der Seele auf, erst durch die Zusammensetzung von Leib und Seele wird er Mensch im Vollsinn. Wenn man also das Menschsein als eine Zusammensetzung aus einem Leib und einer Seele denkt, dann muss man konsequenterweise den Tod als das Ende dieses Menschseins ansehen. Denn selbst, wenn man eine weiterbestehende Seele annähme, würde der Mensch, der immer nur Leib und Seele zusammen ist, nach dem Tod nicht mehr bestehen. Insofern kann das frühscholastische Denken des Gilbert von Poitiers durchaus als ein Anerkennen der Endlichkeit des menschlichen Lebens verstanden werden, wenn er auch auf die Auferstehung verweist, in welcher sich Leib und Seele eben wieder zusammensetzen würden.

Wichtig für unseren Gedankengang ist aber vor allem, dass sich hier drei verschiedene anthropologische Ansichten finden, die zu drei verschiedenen Deutungen des Todes führen. Das Leben als mittelalterlicher Theologe und Philosoph war gefährlich. Nicht nur, weil das Leben damals sowieso gefährlicher war, sondern auch, weil man immer in der Gefahr stand, bei der Kirche in Ungnade zu fallen und verurteilt zu werden. So geschah es auch Abaelard. Und Gilbert wurde damit zumindest bedroht. Trotz dieser steten Gefahr, dass das eigene Denken als unchristlich gebrandmarkt wird, können alle die drei genannten Positionen als christlich gelten. Wir können also aus heutiger Sicht sagen, dass sich hier am Übergang vom elften in das zwölfte Jahrhundert drei christliche Positionen finden, die mitnichten einheitlich sind und von denen die eine sogar die Vorstellung eines gänzlichen Sterbens des Menschen mit seinem Tod verbindet.

Und das waren nur die Positionen, die sich in unterschiedlicher Weise auf Platon beriefen. Aber es gab ja noch den anderen großen griechischen Philosophen, der im lateinischsprachigen Mittelalter lange wenig rezipiert wurde, weil seine Werke nicht zugänglich waren: Aristoteles. Die Zugänglichkeit seiner Werke verbesserte sich ab dem 12. und besonders im 13. Jahrhundert. Und für Aristoteles steht viel weniger die persönliche Identität eines Menschen im Mittelpunkt seines Interesses. Vielmehr geht es ihm, wenn er von der Seele spricht, um eine alles Beseelte, die ganze Natur, die eben vielmehr als nur den Menschen umfasst. So ist die Seele auch nicht losgelöst von dem zu denken, für dessen Beschreibung sie da ist. Sie ist nichts, was es ohne das gibt, was sie beseelt. Das denkende Prinzip, den Geist, gibt es hier außerdem noch. Dieser fällt ebenfalls nicht in eins mit dem individuellen Menschen als Seelenwesen, sondern tritt hier vielmehr hinzu und ist unsterblich. Doch was geschieht beim Tod eines Menschen? Der Geist bleibt bestehen, aber das individuelle menschliche Lebewesen vergeht. Insofern eignet sich dieses aristotelische Denken nicht dazu, ein individuelles Weiterbestehen im Sinne einer Unsterblichkeit der Einzelseele zu beschreiben – dabei ging es Aristoteles sowieso nicht so sehr um den einzelnen Menschen als um die Beschreibung einer beseelten Natur. Und das hat, auch wenn es wohl nicht allzu viele scholastische Denker gab, die Aristoteles hier einfach gefolgt sind, die christlich-kirchliche Todesdeutung herausgefordert. Jedenfalls spielt sich in dieser Spannung zwischen platonisch-neuplatonischem und aristotelischem Denken auch die weitere Debatte um die Todesdeutung ab.

Der wohl berühmteste Philosoph und Theologe der Scholastik war Thomas von Aquin (1225-1274). Auch er stand in der genannten Spannung und auch er hat seine Todesdeutung, die wie viele seiner Denkbewegungen sehr einflussreich geworden ist, in einem Zusammenspiel dieser großen Traditionen entwickelt. Dabei ist seine Theorie für unseren roten Faden durchaus aufschlussreich. Thomas versteht den Tod ebenso als Trennung von Leib und Seele. Doch was ist bei ihm mit dieser Seele gemeint? Steckt hier die Individualität des Menschen? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, erst recht nicht in der hier angestrebten Kürze. Aber es lässt sich mit Sicherheit sagen, dass für Thomas die Individualität des Menschen nicht in der Seele allein begründet liegt. Die Seele wird von ihm zwar als unzerstörbar gedacht, doch der Mensch ist es eben nicht. Der Mensch geht für Thomas mit dem Tod zugrunde.6 Die abgetrennte Seele kann weiterhin als die abgetrennte Seele eines bestimmten Menschen angesehen werden, ist aber nicht der Mensch selbst. Der Auferstehungsglaube nun lässt aus dieser Seele wieder den ganzen Menschen erwachsen. Der Tod ist somit bei Thomas durchaus kein einfacher Übergang. Er ist ein echtes Ende.

So uneingeschränkt gültig, wie man das aus heutiger Position für die Lehre des großen Kirchenlehrers Thomas annehmen könnte, war aber auch diese Ansicht zunächst noch nicht. Beinahe zwei Jahrhunderte später wurde wieder so heftig über die richtige Deutung des Todes gestritten, dass es bis heute gut belegt ist. Ein italienischer Humanist der Renaissance, Pietro Pomponazzi (1462-1525), bezog sich in seinem breit rezipierten Werk Über die Unsterblichkeit der Seele wiederum auf die aristotelische Tradition und argumentierte, dass das Individuum anders als der Geist als Lebensprinzip eben nicht unsterblich sei. Diese Position, die wir schon kennen, stieß auf heftigen Widerstand. Schließlich wurde auf dem fünften Laterankonzil (1512-1517) eine dogmatische Definition verabschiedet, die sich zwar nicht namentlich, aber inhaltlich gegen Pomponazzi wandte. Es wurde von höchster kirchlicher Stelle beschlossen, dass der Mensch eine individuelle, unsterbliche Seele habe. Dass Pomponazzi selbst nicht vor seiner Zeit herausfand, welche der Todesdeutungen denn nun die richtige ist (d. h. als Ketzer verbrannt wurde), lag nur daran, dass er einflussreiche Freunde hatte, die ihn schützten. Die Kirche hatte nämlich aus einem sehr entscheidenden Grund etwas gegen dessen Lehre. Wenn die Individualität des Menschen mit dem Tod verloren geht, ist es für die Hinterbliebenen nicht mehr sinnvoll, durch Geldzuwendungen der unterschiedlichsten Art einen Ablass bei der Kirche für ihre lieben Verstorbenen zu erwirken. Ein wichtiges Geschäftsmodell der Kirche stand damit auf dem Spiel. Und Pomponazzi war bekanntlich nicht der Einzige, der theologische Gründe gegen den Ablasshandel vorbrachte. Das Ende des fünften Laterankonzils fällt in das gleiche Jahr, das für den Beginn der Reformation bekannt geworden ist.

Im Jahre 1517 nimmt die Erfolgsgeschichte des damals noch recht unbekannten Augustinermönchs Martin Luther (1483-1546) Fahrt auf. Und das ist auch für unser Thema wichtig. Nicht nur, dass die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen von nun an dafür stehen, dass die Diskussion um die Todesdeutung trotz des offiziellen Konzilsbeschlusses weitergeht; auch die theologisch so ungemein produktive Reformationszeit selbst brachte einige Äußerungen zu unserem Thema hervor, die für die Entwicklung der christlichen Todesdeutung interessant sind. Martin Luther steht mit seiner Theologie für eine stärkere Anbindung an die Lebenswirklichkeit der Menschen. Von rein philosophischer Spekulation hielt er nicht viel. Und so sind auch seine Äußerungen zum Tod weniger philosophischer Natur als lebensweltlich gesättigt oder auch seelsorgerlich ausgerichtet. Und sie sind unterschiedlich, wie es bei ihm so oft ist. Daraus könnte man nun die Konsequenz ziehen, ihm eine unsaubere oder gar fehlerhafte Theologie vorzuwerfen. Oder aber man sieht, dass er der notwendigen Dynamik, die Theologie hat, wenn sie sich für das Leben der Christen und Christinnen interessiert, Rechnung trägt und sich so gar nicht erst auf gerade in Bezug auf den Tod völlig unbeweisbare Spekulationen einlässt. Seine seelsorgerliche Stoßrichtung führte dazu, dass der Tod für ihn nicht ein unbedeutender Übergang in die Ewigkeit ist, sondern eine fürchterliche Herausforderung für den Menschen darstellt. Der Glaube ist für Luther der Schlüssel zur Ewigkeit. Und so droht dem Ungläubigen mit dem Tod die ewige Verdammnis. Da sich niemand seines Glaubens gewiss sein kann, ist der Tod bei Luther als Quelle berechtigter Angst identifiziert. Wenn Luther über den Verbleib der Seele nach dem Tod spricht, dann bezieht er sich auf biblische Bilder und redet, wie die Bibel selbst, nicht einheitlich. Bekannt geblieben ist seine Rede vom Seelenschlaf, mit welcher er den Zwischenzustand beschreibt, in dem sich die Seele nach dem Tod aber vor der Auferstehung befindet. Auch wenn über die Bedeutung dieses Begriffs viel gestritten wurde, leuchtet sicher schnell ein, dass die Rede vom Seelenschlaf anders als die philosophische Sprache in den bisher genannten Konzeptionen wie etwa bei Thomas ganz klar eine metaphorische oder auch symbolische Redeweise ist, mit der Luther eben gerade klarmacht, dass er kein Interesse daran hat, hier etwas Unbeschreibliches zu beschreiben. Luther lässt die Seele also nicht sterben bis zur Auferstehung, aber er lässt sie auch nicht mehr oder weniger unbehelligt weiterexistieren.

Doch es gab zur Zeit der Reformation auch, wie könnte es in so einer theologisch wilden Zeit anders sein, Positionen, die wiederum viel radikalere Todesvorstellungen vertraten. Einer der anderen großen Reformatoren, Johannes Calvin (1509-1564), gehörte zwar dem aus heutiger Sicht konservativen Lager an, hat uns aber dank seines ersten theologischen Werkes Hinweise darauf hinterlassen, dass es diese andere Position auch gab und sie vertreten wurde. In der Schrift Psychopannychia, die Calvin 1542 veröffentlichte, geht es nämlich um genau solche Positionen. Calvin schreibt gegen die an, die die Wachheit der Seele nach dem Tod anzweifeln.7 Für ihn ist es verwerflich, davon auszugehen, dass die Seele des Menschen nach dem Tod in einen bewusstlosen Zustand verfallen oder gar selbst sterben könnte. Für Calvin ist das mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die er in seiner Seele repräsentiert sieht, nicht vereinbar. Auf anderen, aus heutiger Perspektive abseitigen Wegen der Reformation finden sich dann auch jene Positionen, gegen die sich Calvin wendet, wenn wir auch nicht sicher wissen, wen (außer Luther selbst) er im Blick hatte. So kann man bei dem polnisch-belarussischen Humanisten Symon Budny (1530-1593), aber auch bei dem in Freiburg (Schwarzwald) geborenen Täufer-Theologen Michael Sattler (1490-1527) Hinweise auf ein Todesdenken finden, welches das Sterben der Seele miteinschließt.8 Auch für die bewegte Reformationszeit zeigt sich also, dass es immer beides gab: Christinnen und Christen, die den Tod als ganzes Ende des Menschen verstanden, und solche, die ihn eher als Übergang dachten.

Die katholische Theologie bewegte sich in Bezug auf die Frage nach dem Tod bis ins 20. Jahrhundert so gut wie gar nicht mehr. Hier wurden die Ideen des Thomas, also das Festhalten an einer Unsterblichen Seele als offizielle kirchliche Lehre übernommen. Währenddessen entwickelte sich aber zum Beispiel in der anglikanischen Kirche etwas, was unter dem Begriff Mortalismus in der Forschung beschrieben wird. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Positionen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die wiederum der Ansicht waren, dass das Leben mit dem Tod gänzlich zu Ende sei. Unter diesen Mortalisten finden sich so prominente Namen wie Thomas Hobbes (1588-1679) oder John Milton (1608-1674). Die Mortalisten waren sicher hauptsächlich keine Theologen, aber sie können trotzdem dafür stehen, dass die Debatte um die Bedeutung des Todes auch in dieser Zeit nicht abebbte.9 Und auf christlichem Boden argumentierte in dieser Zeit noch jeder europäische Gelehrte.

In Bezug auf den Protestantismus im heutigen Deutschland ist zu vermerken, dass von der Zurückhaltung Luthers in Fragen einer genauen Ausmalung des jenseitigen Lebens bzw. Nicht-Lebens recht schnell nicht mehr viel übriggeblieben ist. Schon Melanchthon (1497-1560) betonte wieder die Bedeutung der Unsterblichkeitslehre, und auch in nachreformatorischer Zeit, in welcher sich die Theologien der reformatorischen Kirchen festigten und eigene Lehrsysteme ausbildeten, erscheint wieder die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Diesen Einfluss sieht man in der seit dem 17. Jahrhundert auftretenden religiösen Bewegung des Pietismus. Diese Bewegung war auch eine Reaktion auf eine zu abstrakte, zu wenig am Leben der Menschen orientierte Theologie. Der Glaube sollte im Leben der Menschen seinen sittlichen Ausdruck finden. Hier ist die Idee mitangelegt, dass eine sittliche Vervollkommnung, eine Arbeit am Reich Gottes, im jetzigen Leben möglich und nötig ist. Einige der Pietisten wie etwa Johann Albrecht Bengel (1687-1752) haben sich diese Vervollkommnung auch über den Tod hinaus vorgestellt.10 Der Tod wurde hier nur als Durchgangsstufe auf dem Weg zur Allversöhnung verstanden.

Eine besonders interessante Nuance fügt die Aufklärung unserer Frage hinzu. Als Grundidee dieses geistesgeschichtlichen Einschnitts des 18. Jahrhunderts, unter dessen Einfluss wir auch heute noch stehen, lässt sich vielleicht fassen, dass der Mensch durch die Kraft der Vernunft zu beinahe allem, vor allem zur Verbesserung seiner selbst und der Welt in der Lage ist. Mit Hilfe dieser Vernunft ist der Mensch auch befähigt, die biblische Offenbarung als kontingentes, also nicht notwendiges, sondern sogar ersetzbares Phänomen zu erkennen. Alles, was der Mensch braucht, findet er in der Vernunft, und die biblischen Geschichten und religiösen Lehren können ihm im Leben zwar dienlich sein, sind jedoch nichtmehr absolut bedeutend. Aus heutiger Sicht könnte man denken, dass ein solches Betonen der Vernunft wohl kaum an einer unsterblichen Seele festhalten würde. Doch aus dem damaligen Denken heraus war die Stoßrichtung genau umgekehrt. Solange sich mit vernünftigen Mitteln die Unsterblichkeit der Seele beweisen ließ, konnte diese angenommen werden. So versuchten die großen Aufklärungsphilosophen wie Christian Wolff (1679-1754) oder Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-1762), die Existenz einer Seelen-Substanz, die den Tod überdauere, regelrecht zu beweisen.

Das änderte sich gleichwohl spätestens mit dem Denken Immanuel Kants (1724-1804) nochmals. Dass es dem menschlichen Erkenntnisvermögen nicht möglich ist, eine gesicherte Aussage über etwas zu treffen, was, wie die angenommene Unsterblichkeit, völlig außerhalb seiner Wahrnehmungsfähigkeit liegt, zeigte Kant in seiner theoretischen Philosophie. Dass es aber dennoch sinnvoll ist, eine solche Unsterblichkeit anzunehmen, versuchte er in seiner praktischen Philosophie zu zeigen. Seine Denkbewegung geht dabei so: Die keineswegs immer einfachen Forderungen an ein sittlich vollkommenes Leben, die sich dem Menschen mittels seiner Vernunft aufdrängen, bekommen ihre letzte Verbindlichkeit erst durch die Annahme einer unsterblichen Seele. Nur so könne garantiert werden, dass diejenigen, die sich gegen dieses Sittengesetz stellen, genauso wie diejenigen, die sich ihm angemessen verhalten, dafür entweder negativ oder positiv zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb ist die Annahme einer unsterblichen Seele ein Postulat der Praktischen Vernunft für Kant, also etwas, was man aus vernünftigen Gründen annehmen sollte, wenn man es auch nicht beweisen kann.

Für die protestantischen Theologie hat Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) die kantische Erkenntniskritik wirkmächtig aufgenommen. Seine Theologie kann bis heute als der Punkt, hinter den es kein Zurück gibt, angesehen werden.11 Und Schleiermacher hat ganz offenbar kein Interesse an einer Lehre von einer persönlichen Fortdauer über den Tod hinaus. Schon in seinem berühmten Frühwerk Reden über die Religion widerspricht er einem solchen Denken, weil es für ihn lediglich der Spiegel eines egozentrischen Hoffens ist. In seiner Glaubenslehre, die als Sammlung seines lebenslangen Nachdenkens gelten kann, stellt er die Glaubensinhalte in Bezug auf den Tod dann ebenfalls ins Abseits. Das Programm seiner Glaubenslehre ist es, dass er den Zusammenhang von christlichen Lehrinhalten und der gegenwärtigen Erfahrung der frommen Christinnen und Christen versucht aufzuzeigen. Und hier nun fällt die Frage nach dem Tod, zumindest wenn es darin darum geht, den Zustand nach dem Sterben zu beschreiben, schon aus der Reihe. Hierfür fehlt schlicht die Erfahrungsgrundlage. Und genau diese Pointe, dass religiöse Sätze, Bilder, Geschichten eben auf gegebenen Erfahrungen der Menschen ruhen, ist die gedankliche Linie, die Hand in Hand mit Kants Erkenntniskritik, den schon erwähnten Punkt darstellt, hinter den eine heutige Theologie auch nicht mehr zurückgehen kann.

Das heißt im Umkehrschluss aber dann, dass ein Ausmalen des nachtodlichen Zustands eigentlich seit bereits über 200 Jahren theologisch kein Gewicht mehr haben sollte. Nichtsdestotrotz gibt es ein Interesse an diesem nachtodlichen Zustand. Gläubige Menschen denken darüber nach, sehnen sich, rätseln darüber. Und dieser Glaube ist nun mal wiederum Grundlage der Theologie. Sie kann nicht einfach die Augen vor diesen Bildern des Jenseits verschließen. Und so ist auch seit Schleiermacher viel über diese Jenseitsbilder geredet und geschrieben worden.

Die Diskussion über das, was der Tod für den Menschen bedeutet, das zeigen die vier Essays dieses Bandes, wurde auch in den letzten 100 Jahre theologisch intensiv weitergeführt. In der ersten Hälfte dieser Zeit, vor allem angetrieben durch die schrecklichen Todeserfahrungen der beiden Weltkriege, kam das Thema dabei meist so zu Wort, dass die grundlegenden Errungenschaften der Schleiermacherschen Theologie durchaus berücksichtigt wurden, dass aber dennoch über die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele gestritten wurde. Das geschah letztlich wieder aufgrund einer zumindest strukturell vergleichbaren Problematik wie schon zu vielen früheren Zeiten der Christentumsgeschichte, etwa bei Pomponazzi oder Luther. Ging es doch bei deren Gedanken auch immer darum, inwiefern die Todesdeutung das Leben der Menschen im Hier und Jetzt beeinflusst, also, ob sie Seelenmessen für ihre Verstorbenen kaufen oder die schreckliche Bestrafung im Fegefeuer fürchten sollten. In den Debatten um den Tod in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ging es dann zunächst darum, wie ein christliches Leben eigentlich noch möglich sei, zumal eines, das die Hoffnung auf eine Auferstehung in sich trägt, wenn Gott doch so eindeutig auf der Seite des Todes steht – wie die millionenfachen Toten der Weltkriege gezeigt hatten.

Der echte, das Leben wirklich beendende Tod wurde etwa bei Paul Althaus (1888-1966) und noch mehr in der dunklen Theologie Werner Elerts (1885-1954) dann auch als Glaubensprüfung verstanden. Wirklich glauben bedeutet, den göttlichen Willen auch des eigenen Todes uneingeschränkt anzuerkennen. Es wird unschwer deutlich, dass man mit so einer Denkweise sowohl Gräueltaten rechtfertigen, als auch den Tod der eigenen Kinder und Studenten im Krieg mit Sinn füllen konnte. Für eine solche durchaus radikale Integration der Schrecklichkeit des Todes in das christliche Denken schien die Unsterblichkeitsidee dann auch unangemessen. Nur eine am Ende der Zeiten gedachte Auferstehung, deren Hergang nicht näher beschrieben wurde, konnte noch als Bild der Hoffnung gelten.

Diese Zeit war mit einer tiefen Selbstfindungskrise der protestantischen Theologie selbst verbunden. So mischten sich in diese Diskussion Abgrenzungsmotive, die völlig sachfremde Gründe hatten. In der Unsterblichkeitsidee wurde der Platonismus ausgemacht, was, wie wir gesehen haben, durchaus berechtigt war. Weniger berechtigt war dann jedoch, daraus zu schließen, dass diese Idee deswegen unchristlich sei, als gäbe es etwas rein Christliches, was man herauskristallisieren könnte. Dabei hatte sich ja vielmehr gezeigt, dass schon die alttestamentlichen Schriften vielfältige Traditionen verarbeiteten und das Neue Testament hier genauso weitermachte wie die ersten christlichen Theologen. So dass das Christliche also schon immer etwas in sich Differentes und Vermischtes war und die Vermischung auch mit dem Denken der griechischen Philosophie über die Jahrtausende so intensiv und durchschlagend war, dass es in seiner heutigen Gestalt gar nicht mehr ohne diese Aspekte zu verstehen ist. Dennoch wurde in diesem Selbstfindungsprozess der christlichen Theologie das Griechische als einer der Hauptfeinde ausgemacht und die Unsterblichkeitsidee auch deswegen als unchristlich ausgeschieden. Aber wenn dieses selbstfindungsbezogene Interesse die Diskussion um den Tod teilweise erschwerte, war sie im ersten Teil der letzten einhundert Jahre durchaus lebendig und eben mit dem Geist der Zeit verwoben, die Dynamik des christlichen Lebens aufnehmend.

Wenn ich nun oben gesagt habe, dass die theologische Diskussion um den Tod ins Stocken geraten war, dann meine ich die zweite Hälfte dieser letzten hundert Jahre. Da eine solche Kritik an mehr oder weniger gegenwärtigen Denkern und Denkerinnen ja immer etwas heikel ist, verlasse ich mich hier auf die Worte eines der besten Kenner dieser Zusammenhänge: Es »lässt sich sagen, dass ein relativ unbefangener Gebrauch von Bildern, Symbolen, Hoffnungsaussagen und Zukunftsbeschreibungen zu beobachten ist, deren inhaltlich-gegenständliche Gültigkeit nicht immer erwiesen werden kann bzw. soll. Traditionelle christliche Bildwelten, die insbesondere aus den apokalyptischen Schichten von Altem und Neuem Testament stammen, werden in der Theologie reformuliert und als notwendige Aussagen des Glaubens behandelt.«12 Diesen Aussagen des Theologen Folkart Wittekind kann ich mich anschließen. Und genau das hier Beschriebene erachte ich als nicht der Dynamik des christlichen Lebens angemessen. Denn es steht der Diagnose gegenüber, dass Christinnen und Christen heutzutage nicht wie vielleicht noch vor 100 Jahren gegen ein naturwissenschaftliches Verständnis unseres Lebens an einen Gott glauben, sondern dass sie vielmehr beides sehr gut in einer Person vereinen können: glauben und auf der Höhe der Zeit denken, also anerkennen, dass das Leben mit dem Tod endet. Aufgabe einer christliche Todesdeutung ist es also, genau diese Spannung wahrzunehmen und aufzunehmen. Das haben die Beiträge dieses Buches getan. Und ich denke und hoffe, dass diese kleine Geschichte über die christliche Todesdeutung gezeigt hat, dass – beides: sich verändern und sich den Bedingungen ihrer Zeit anpassen – schon immer zu diesem Versuch, das eigene Leben und Sterben zu verstehen, dazugehört hat. Ob der Tod nun als nur vorläufiges Ende, oder nur teilweise geltendes Ende oder als vollständig und nicht rückgängig zu machendes Ende zu verstehen ist, war immer umstritten. Wenn wir hier noch einmal darauf hinweisen, dass sich die theologische und religiöse Todesdeutung auch heute verändert haben und weiter verändern sollten, ist das gar nicht so originell, was wir hier tun. Denn, um zum Schluss noch einmal einen anderen sprechen zu lassen: »Im Übrigen ist es auch so, daß der Mensch nirgends so verschiedenartige und einander widerstreitende Vorstellungen nebeneinander ertragen kann, wie gerade im Bereich der Jenseitshoffnungen und der Ewigkeit. Das hat vielleicht seinen guten Sinn« (Hans von Campenhausen).13