Georg Christoph Lichtenberg, der Physikprofessor, der den deutschen Aphorismus erfand und zugleich vollendete – mir fällt niemand ein, der danach in Deutschland in diesem Genre noch Vergleichbares geleistet hätte –, ist selbst noch nach 250 Jahren ein immer wieder überraschender Autor. Im Heft »D« seiner »Sudelbücher« fragt er im Aphorismus »D 653«, ob je ein Land seinen Schriftstellern so übel mitgespielt habe wie Deutschland. Fündig wird er vorgeblich am anderen Ende der Welt bei den Antipoden:
Das einzige Volk, von dem ich noch etwas Ähnliches erwarte, sind etwa die Neu-Seeländer, und zwar deswegen, weil wir in Deutschland fast eben dieselben Vertikal-Linien haben, und weil sie stolz tapfer und treu sind, wie die Deutschen, und endlich weil sie schon jetzt, da es ihr gänzlicher Mangel an Feder und Dinte nicht anders verstattet, bei gelehrten und andern Dispüten ihre Antagonisten auffressen.
Zu Lichtenbergs Zeit war das Wort Antagonist bereits seit etwa 200 Jahren mit der Bedeutung ›Widersacher, Gegenspieler‹ in deutschsprachigen Texten gebräuchlich. Gelehrte hatten es im 16. Jahrhundert aus dem Lateinischen entlehnt. Dem lag das griechische antagonistos zugrunde, in dem wie in Agonie das Wort agon (›Kampfplatz, Wettkampf‹) steckt.
In der Fachsprache der Medizin hat Antagonist eine freundlichere Bedeutung: Hier bezeichnet er den Muskel, der sich dehnt, nachdem ein agonistischer Muskel sich zusammengezogen hat; erst durch das Zusammenspiel beider kommt es zur Bewegung. Mit der philosophischen Frage, ob nicht auch in der Gesellschaft ähnliche Gegenspiele erst Veränderung ermöglichen, beschäftigte sich Karl Marx: Er sah die Klassengegensätze bekanntlich als Triebfedern der Geschichte und gebrauchte Antagonismus mit der Bedeutung ›dialektischer Widerspruch, der auf dem unversöhnlichen Interessengegensatz verschiedener gesellschaftlicher Klassen beruht‹. Diese Definition entnehme ich dem noch in der DDR erschienenen und deshalb sicher in solchen Fragen sehr kompetenten »Etymologischen Wörterbuch« von Wolfgang Pfeifer. Im ersten Band des »Kapitals« schreibt Marx: »Die Leitung des Kapitalisten ist […] Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung.«
Für Nichtmarxisten bedeutet das im 18. Jahrhundert aufgekommene Wort schlicht ›Gegensatz, Widerstreit‹, früher manchmal auch ›feindseliger Vorbehalt‹. Im letzteren Falle spricht man von Antagonismus gegen etwas; sonst wird das Wort mit der Präposition zwischen verbunden oder zieht einen Genitiv nach sich. Theodor Mommsen zum Beispiel berichtet in seiner »Römischen Geschichte« vom »Antagonismus der Orientalen und Occidentalen«. Seit etwa 1800 ist zudem das Adjektiv antagonistisch verbreitet. So nennt der SPD-Mitbegründer Wilhelm Liebknecht 1878 Österreich und England »die beiden Mächte, deren Interessen denen Russlands am antagonistischsten sind«. Der Titel seines ausgesprochen russlandskeptischen Buchs »Soll Europa kosakisch werden?« klingt heute wieder beunruhigend aktuell – wie ein polemischer Kommentar zum russischen Imperialismus.