Für geistreich werden Deutsche in der Welt genauso wenig gehalten wie für witzig. Den Franzosen wird auf diesem Gebiet allgemein mehr zugetraut – offenbar auch von Deutschen. Es sagt doch einiges, dass beide Wörter für eine geistreiche Bemerkung, die in unserer Sprache existieren, aus dem Französischen übernommen wurden: Bonmot und Aperçu.
Das seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts im Deutschen nachweisbare Bonmot wird von Gerhard Augst noch zum bildungssprachlichen Wortschatz gezählt; in den Duden-Wörterbüchern ist es nicht als bildungssprachlich gekennzeichnet. Es handelt sich offenbar um einen Grenzfall.
Unstrittig bildungssprachlich ist dagegen das später entlehnte Aperçu. Bei Schiller und Goethe liest man es am Ende der 1790er-Jahre zunächst mit den jetzt im Deutschen nicht mehr üblichen Bedeutungen ›Wahrnehmung, Beobachtung‹ oder auch ›kurzer Überblick, Konzept‹. Schiller berichtet Goethe im Mai 1797 über seine Lektüre der Tragödientheorie des Aristoteles, »daß das Ganze nur aus einzelnen Apperçus besteht, und daß keine theoretische vorgefaßte Begriffe dabey im Spiele sind«. Goethe wiederum schreibt an seinen Dichterkollegen Anfang 1798 über den Fortgang seiner naturwissenschaftlichen Arbeiten: »Ich will nächstens Ihnen ein Aperçu über das Ganze schreiben, um von meiner Methode, vom Zweck und Sinn der Arbeit Rechenschaft zu geben.« Im Französischen ist aperçu bis heute in jenen Bedeutungen üblich; zudem kann es ›Seitenansicht‹ beim Computer meinen – aber eben nicht ›geistreiche Bemerkung, Bonmot‹; diesen Bezug hat es nur im Deutschen.
Im Französischen ist das Nomen aperçu die substantivierte Form vom Participe passé des Verbs apercevoir (›bemerken, wahrnehmen‹). Der Philosoph und Sprachkritiker Fritz Mauthner nutzt das Wort 1910 noch in der älteren Bedeutung:
Der Endbegriff, das Ziel, kann dem Denker oder Forscher durch einen Zufall geboten worden sein, durch ein Aperçu, d. h. durch scharfsinnige Beobachtung eines zufälligen Ereignisses.
Für gegenwartssprachlich möglich halten sowohl der Duden als auch das DWDS heute nur noch die Bedeutung ›prägnant formulierte Bemerkung‹, wie sie beispielsweise Thomas Mann in einem Satz über Toni Buddenbrook, verheiratete Frau Permaneder, im Roman »Buddenbrooks« im Sinne hat: »Was aber Madame Permaneder anging, so war sie glücklich, so äußerte ihre lichte Gemütsstimmung sich in Aperçus wie diesem, dass das irdische Leben doch hin und wieder auch seine guten Seiten habe.« Mann nutzt hier das auch von Kurt Tucholsky ( Anathema) gern verwendete humoristische Stilmittel, Banales ironisch mit sehr hochgegriffenen Bezeichnungen zu adeln.