eruieren

Manchmal muss man die Wahrheit unter einer Schicht von Schutt hervorgraben. Diese Empfindung kam offenbar nicht erst im Zeitalter der alternativen Fakten auf, sondern war schon bei den Römern verbreitet. Bereits Cicero sprach davon, Tatsachen »ex tenebris« (›aus der Dunkelheit‹) zutage zu fördern, und benutzte dafür das Verb eruere, das ›ausgraben‹ bedeutet und eine Zusammensetzung aus ex (›aus‹) und ruere (›wühlen, graben‹) ist. Dieselbe Metaphorik liegt noch dem Wort Wühler zugrunde, mit dem Goebbels den anarchistischen Schriftsteller Erich Mühsam beschimpfte. Positiv gewendet gebraucht es der Feuilletonist Willi Winkler 2013 in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Bebel-Preises an Günter Wallraff. Über den Mann, der sich verkleidet in die Lebensverhältnisse der Ausgebeuteten und in die Redaktion der »Bild«-Zeitung eingeschlichen hatte, sagt Winkler: »Günther Wallraff wühlt im Dreck.« In eine ähnliche Richtung weist der englische Ausdruck muckraker (›Schmutzaufwühler, Nestbeschmutzer‹) für Enthüllungsjournalisten.

Das eruere von Cicero & Co. gelangte im 17. Jahrhundert mit der typischen Fremdwortnachsilbe -ieren in der Bedeutung ›ermitteln, erforschen, ausfindig machen‹ ins Deutsche. Während es zunächst noch im halblateinischen Kauderwelsch der frühen deutschen Wissenschaftssprache angesiedelt war, wird es heute längst allgemein in gewählter Ausdrucksweise verwendet. Der »junge Herr«, der in Arthur Schnitzlers erotischem Stationendrama »Der Reigen« gerade bei einer jungen Frau liegt und von ihr gefragt wird: »Wie spät ist es eigentlich?«, antwortet darauf: »Wie soll ich das eruieren?« Damit gibt er sich als gebildeter Angehöriger einer höheren Klasse zu erkennen und zugleich als ein bisschen postkoital verblödet. Die Geliebte kontert mit der bodenständigen Antwort: »Du musst eben auf die Uhr sehen.«