Hekatombe

Wollten die alten Griechen ihren Göttern eine besondere Freude machen, dann brachten sie ihnen Hekatomben von Tieren zum Opfer. Das Wort wird auf das Zahlwort hekaton (›hundert‹) und bous (›Rind‹) zurückgeführt, aber nicht immer wurden wirklich hundert Kühe geschlachtet. Oft war damit einfach nur eine beeindruckende Zahl gemeint, so wie bei uns ein Vater seinem Kind erklärt: »Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt …«. Andererseits nahm der römische Kaiser Julian, dem die Christen den Beinamen »Apostata« (›der vom Glauben Abgefallene‹) verpassten, weil er das Heidentum wieder an die erste Stelle im Reich setzen wollte, seine Religion und seinen kaiserlichen Rang so wichtig, dass ihm Rinder zu profan erschienen: Er opferte angeblich auch mal hundert Löwen oder hundert Adler.

Als sich unter Deutschlands Intelligenzija klassische Bildung und die Kenntnisse der griechischen Sprache verbreiteten, kam das Wort häufiger in deutschen Texten vor, von Anfang an auch im übertragenen Sinne. In einer Lobrede auf den gerade verstorbenen Kaiser Leopold I., die Samuel von Königsdorf 1705 in Breslau hielt und die Johann Christoph Gottsched später als Exempel in seiner »Ausführlichen Redekunst« abdruckte, heißt es über Leopolds Sohn und Nachfolger Joseph I.: »Wir wollen ihm Hekatomben von Treue und Gehorsam opfern.«

Populär wurde das Wort dann endgültig durch die zwei Jahrhunderte lang viel gelesenen Homer-Übersetzungen von Johann Heinrich Voß. In der »Odüssee« – so die ursprüngliche Schreibweise – beklagt Eurykleia, die treue, alte Amme des listenreichen Titelhelden, dessen Schicksal: »Wehe mir, wehe, mein Sohn! Ich Verlaßene! Also verwarf dich Zeus vor allen Menschen, so gottesfürchtig dein Herz ist? Denn kein Sterblicher hat dem Gotte des Donners so viele fette Lenden verbrannt und erlesene Hekatomben, als du jenem geweiht.«

Im 19. Jahrhundert nahm das Wort dann die heutige bildungssprachliche Bedeutung ›sehr große Zahl‹ an. So beschreibt Ferdinand Kürnberger 1855 in »Der Amerika-Müde« eine Regennacht: »Nasse Wolken sprengen stoßweise Regenschauer nieder, – harte körnige Tropfen, die schon den Eisgedanken denken. Rasselnd fahren sie durch das Gelaub der Bäume und streifen Strich um Strich Hekatomben von Blättern ab.« Und Franz Werfel beschwört 1933 in »Die vierzig Tage des Musa Dagh« die grausigen Szenen während des Völkermords an den Armeniern, der sich knapp zwei Jahrzehnte zuvor ereignet hatte, herauf: »Nicht nur flüchteten Hekatomben von Frauen in den reißenden Euphrat, auch in den europäischen Großstädten gab es Armenier genug, die in geheimnisvoller Verbundenheit ihrem Leben ein Ende machten.« Doch auch in diesen beiden Zitaten ist das Wort noch mit der Idee des Opfers und des Massentodes verbunden – und so bleibt es nach wie vor. Hekatomben von Süßigkeiten oder Hekatomben von Partys sagt bis heute niemand, obwohl die ursprüngliche Bedeutung des Wortes sicher nur noch sehr wenigen bekannt ist.