katexochen

Hier stoßen wir auf ein geradezu klassisches Paradigma der deutschen Bildungssprache: Deutsch ist bestenfalls »gehoben«, Französisch ist »bildungssprachlich«, aber Griechisch toppt alles. In diesem Falle: Par exemple zu sagen, ist gebildeter als einfach nur schlechthin, aber katexochen klingt noch gebildeter.

Mit dem Adjektiv, das auf dem griechischen exochen (›Erhabenheit, Herausragen‹) beruht, bezeichnet man Phänomene, die die Klasse, der sie angehören, in perfekter Vollendung, in reinster Form verkörpern. In dieser Bedeutung wird katexochen seit Anfang des 18. Jahrhunderts gebraucht. In den frühen Texten schrieb man es zunächst noch mit griechischen Buchstaben, wie Lessing, der 1757 in einem Brief an Gleim ironisch mitteilt:

Er hat diese Messe, »Sittliche Gedichte zur Ermunterung des Gemüths« herausgegeben, und zwar, was mich ärgert, in Duodez [ein Buchformat, mh]. In der That zwar sollte ich mich nicht ärgern; denn, Gott sei Dank, nun habe ich doch auch in diesem Formate Einen unter mir und bin nicht mehr der schlechte deutsche Poet in Duodez κατ᾽ ἐξοχήν.

»Er« war Christian Gottlieb Lieberkühn, ein dichtender Feldprediger der preußischen Armee, der im Briefwechsel zwischen Lessing und Gleim mehrfach als Inbegriff des miserablen Poeten und ahnungslosen Übersetzers antiker Literatur erwähnt wird. Zu Lessings Lebzeiten konnte katexochen auch ›vorzugweise‹ bedeuten, wie Hans Schulz im »Deutschen Fremdwörterbuch« anhand einiger Belege nachweist.

Als man im 19. Jahrhundert allmählich dazu überging, das Adjektiv nur noch in lateinischen Lettern zu schreiben, stand die heutige Bedeutung schon allein. Novalis sagt in seinem 1802 veröffentlichte Fragment über »Magische Philosophie«, dass der Mensch irgendwann die Begrenztheit der bloß »brauchbaren« Philosophie empfinde:

Jetzt fällt ihm endlich ein, in sich selbst als absolutem Mittelpunkt dieser getrennten Welten das absolute Vereinigungsglied aufzusuchen – er sieht auf einmal, daß das Problem realiter schon durch seine Existenz gelöst ist und das Bewußtsein der Gesetze seiner Existenz die Wissenschaft kat’ exochen sei, die er so lange schon suche.

Bis heute ist katexochen ein Wort der Philosophen, der Theologen, der Linguisten und allgemein der Geisteswissenschaftler, aber nicht der Medien. Selbst in einem bildungsbürgerlichen Leitmedium wie der »Zeit« wurde es zwischen 1946 und 2018 nur dreimal verwendet, in der gesamten Erscheinungszeit des »Spiegels« seit 1947 nur fünfmal.