Noch so ein Wort, das wir – genau wie Distinktion – der Scholastik und ihrem Bestreben, das logisch-philosophische Denken zu systematisieren, verdanken. Im Fachwortschatz der mittelalterlichen Philosophie ist die praemissa der Vordersatz eines logischen Schlusses, also die Voraussetzung, aus der eine conclusio gezogen wird. Aus den Prämissen »Eine Forelle ist ein Fisch« und »Fische können nur im Wasser leben« lässt sich beispielsweise der Schluss ziehen »Eine Forelle kann nur im Wasser leben«.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde das Wort eingedeutscht. So weisen der Bürgermeister und der Rat der Reichsstadt Nürnberg in einem gedruckten Rechtsgutachten von 1563 zu einem Streit mit benachbarten Fürsten um Hoheitsrechte ein Dokument des gegnerischen Anwalts zurück: »Darzu antwort Syndicus / daß dardurch der praemissen keine bewisen sey.« Bis ins 18. Jahrhundert überwog aber in juristischen und philosophischen Texten noch die lateinische Form praemissa; erst danach setzte sich die eingedeutschte Variante durch. Hierzu trugen wesentlich Christian Thomasius, einer der Schöpfer des deutschen philosophischen Wortschatzes, sowie Lessing und Wieland bei. Und als in Jakob Michael Reinhold Lenz’ 1774 gedruckter Übersetzung des Shakespeare-Stückes »Love’s Labour’s Lost« Don Armado seinen Knappen auffordert: »Mot, du folgst mir«, antwortet dieser: »Wie eine Conclusion den Prämissen.«
Wie so viele andere philosophische Begriffe wurde Prämisse von Kant endgültig für die nächsten Jahrhunderte definiert. Über ein Beispiel für Prämisse und Konklusion macht sich dann Hegel 1816 im zweiten Band seiner »Wissenschaft der Logik« lustig:
Alle Menschen sind sterblich,
Cajus ist ein Mensch,
Also ist er sterblich.
Man wird sogleich von Langeweile befallen, wenn man einen solchen Schluß heranziehen hört; – diß rührt von jener unnützen Form her, die einen Schein von Verschiedenheit durch die abgesonderten Sätze gibt, der sich in der Sache selbst sogleich auflöst.
Heute wird das Wort im Sinne von ›Voraussetzung, Bedingung‹ gebraucht. Manchmal steht Prämisse auch für ›angestrebtes Ziel, Leitlinie‹. So ist es wohl zu verstehen, wenn in Richard von Weizsäckers Buch »Dreimal Stunde Null?« aus dem Jahr 2001 zu lesen ist: »Umso wichtiger ist es, dass Amerika mit hinreichender Eindeutigkeit an seiner politischen Prämisse eines zusammenwachsenden Chinas festhält.«