Suada

Die Suada ist die etwas unordentliche, nicht ganz so angesehene Verwandte der Philippika. Heute nennt man so eine lange, meist in erregtem Ton gehaltene Ansprache. Der Online-Duden definiert Suada als ›wortreiche Rede, ununterbrochener Redefluss, Redeschwall‹ und weist darauf hin, dass das Wort oft abwertend gebraucht werde. Bei den Römern war das noch anders; ihnen galt die suada oder suadela als Verkörperung der überzeugenden Redekunst oder gar als Göttin der Überredung. Als solche wird sie bei Horaz und Quintus Ennius dargestellt.

Zugrunde liegt dem Namen der Göttin das Verb suadere (›zureden, raten, überreden, überzeugen‹). Martin Opitz dichtet 1624 in seinen »Teutsche Pöemata« über die Gaben der römischen Götter für eine Frau:

Die Juno / Jovis Weib und Schwester / thet jhr geben Viel Reichthumb / Gut und Gelt / die Parcae langes Leben / Die zarten Charites verehrten Freundlichkeit / Die Suada, Witz und List / Minerva, Kunst und Tugent / Die Venus machte sie den Spiegel aller Jugent / Natura gab mich jhr zum Sclaven jederzeit.

Spätestens Mitte des 17. Jahrhunderts nahm das Wort die Bedeutung ›Redekunst‹ ganz losgelöst von der antiken Göttin an. Der Theologe Johann Conrad Dannhauer schreibt eine solche Gabe sogar einer ganz und gar unheidnischen Gestalt zu:

Also ist freylich der Engel / der Christum im Garten am Oel-Berg gestärcket / kein […] stummer Oel-Götze / seine Stärckung keine stumme Sprach-lose action und Handlung gewesen / sondern er hat mit seiner Englischen Zungen und himmlischen suada demselben zugesprochen […].

Dannhauer benutzte das Wort auch schon im Sinne von ›Ansprache‹, aber noch ohne negativen Beigeschmack. Er nennt zum Beispiel die Rede, die im 2. Buch Samuel eine »kluge Frau« an den biblischen König David richtete, eine »listige Suda«. Trotzdem wurde das Wort noch lange überwiegend in Bezug auf ›Beredsamkeit, Überredungskunst‹ verwendet. Und so spottet Karl Kraus 1911:

In Wien soll ein Hochschulkurs für Redekunst errichtet werden, weil es ein dringendes Bedürfnis ist, den Leuten, die nichts zu sagen haben, das Stottern abzugewöhnen. Zumal ist es ein oft beklagter Übelstand, daß die Persönlichkeiten, die in unserm öffentlichen Leben stehen, Parlamentarier, Beamte, Advokaten, zwar manchmal an die Intelligenz, aber nie an die Suada eines deutschen Weinreisenden hinanreichen.

Erst in neuer Zeit ist mit Suada im bildungssprachlichen Gebrauch der Medien fast immer ein weitschweifiger Monolog gemeint. In der Politik setzt man das Wort gern zur Abwehr von verbalen Attacken gegnerische Redner ein. Wer ausführlich geäußerte mündliche Kritik als Suada abwertet, entzieht sich damit einer ernsthaften Erwiderung. Dieser Taktik bedient sich beispielsweise der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, als er im Juli 2007 eine Frage des FPÖ-Abgeordneten Peter Westenthaler zum Mindestlohn beantwortet: »Aber auch nach dieser 20-minütigen Suada ist mir nicht klar geworden, worin die Dringlichkeit liegen sollte.«