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Fasten – so alt wie die Menschheit

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Nahrungsverzicht – ein Trend mit Tradition

Ob Intervall- oder Heilfasten – Fasten liegt voll im Trend! Wenn es darum geht, die körperliche Gesundheit zu verbessern, die mentale Leistungsfähigkeit zu stärken und die Seele zu verwöhnen, verzichten immer mehr Menschen phasenweise auf das Essen. Doch auch wenn Fasten aktuell sehr in ist, neu ist es nicht. Im Gegenteil, es ist uralt – und daher auch bewährt. Seit es uns Menschen auf Erden gibt, und das sind immerhin gut 2,5 Millionen Jahre, üben wir uns in Essensabstinenz, die meiste Zeit davon jedoch unfreiwillig. Nahrungsknappheit hat unsere Vorfahren schon immer zu ausgedehnten Fastenphasen gezwungen. Es war daher völlig normal, dass ihre Mägen für mehrere Tage oder Wochen leer blieben. Gleichzeitig mussten sie jedoch ihre geistige wie körperliche Fitness bewahren, denn hätten sie sich hungrig, schmollend und antrieblos in die Höhle zurückgezogen, gäbe es uns wohl nicht mehr. Dass es die Spezies Mensch noch gibt, haben wir den raffinierten Anpassungsmechanismen zu verdanken, die unsere Vorfahren entwickeln mussten, um ihren Energiebedarf selbst in kargen Zeiten zu sichern. Diese geniale Überlebenssoftware haben sie uns hinterlassen. Sie beinhaltet nicht nur wichtige Verhaltensweisen zur Nahrungsmittelbeschaffung, sondern auch ein effizientes Energiesparprogramm sowie einen flexiblen Stoffwechselumschalter. Noch heute, also etwa 84 000 Generationen später, tragen wir dieses wertvolle Steinzeit-Erbe in unseren Genen. Allerdings nutzen wir es nur selten – mit dramatischen gesundheitlichen Folgen. Dazu später mehr. Werfen wir erst einmal einen genaueren Blick auf dieses phänomenale Überlebensprogramm.

Hunger: ein wichtiger Motivator für die Nahrungssuche

Während wir uns heute beim kleinsten Anzeichen eines Hungergefühls schon leistungsschwach und unkonzentriert fühlen und dieses unangenehme Grummeln in der Bauchgegend sofort abstellen wollen, war der knurrende Magen für unsere Ahnen ein lebenswichtiger Antreiber und Motivator, um Nahrung zu suchen oder ein Beutetier zu jagen. Das Mammut wartete allerdings nicht vor der Höhle, um erlegt zu werden. Wer seinen Hunger stillen wollte, musste körperlich aktiv werden, ganz nach dem Motto: erst die Arbeit, dann das Essvergnügen. Im besten Fall wurde man nach mehrstündiger, anstrengender Nahrungssuche mit einer mehr oder weniger üppigen Mahlzeit belohnt. Die musste zeitnah verspeist werden, denn die Möglichkeiten, das Jagdgut haltbar zu machen, waren noch nicht bekannt. Außerdem wollte man seine Energiereserven zügig wieder auffüllen, um sich für die nächste karge Zeit zu wappnen. Im schlimmsten Fall ging man jedoch leer aus und die Hungerperiode verlängerte sich, vor allem in den Wintermonaten, wenn auch die Pflanzennahrung knapp war.

Der Energiespar-Modus

Eine Schlüsselkomponente des Überlebensprogramms war die Energiekonservierung. Hielt durch die erfolglose Jagd oder magere Ausbeute der Nahrungsentzug an, musste der Organismus ein Notfallprogramm aktivieren, das es ihm ermöglichte, sparsamer und effizienter mit seinen Ressourcen hauszuhalten. Heißt konkret: Der Grundumsatz, also die Energie, die der Körper in absoluter Ruhe benötigt, um alle Zell- und Organfunktionen aufrechtzuerhalten, wurde gedrosselt. Infolgedessen sanken die Körpertemperatur, die Atem- und Herzfrequenz sowie der Blutdruck, die Verdauungsarbeit ging zurück (war ja auch unnötig im Mangel) und die Fruchtbarkeit wurde vorsichtshalber eingestellt. War die Nahrungsbeschaffung erfolgreich, mussten Reserven für die nächsten Hungerperioden deponiert werden. Am sinnvollsten war das in Form von Fettdepots. Die besten Überlebenschancen hatten folglich jene, die in der Lage waren, leicht Speck anzusetzen. Um noch länger von den angelegten Vorräten zu zehren, war es wichtig, diese möglichst zu schonen. Deshalb war es vorteilhaft, sich außerhalb der Nahrungssuche körperlich nicht zu verausgaben, um nicht noch zusätzlich Energie zu verschwenden. Das könnte auch erklären, warum viele von uns noch heute nach dem Essen ein gesteigertes Ruhebedürfnis verspüren.

Brennstoffwechsel: metabolischer Switch

In Magerzeiten bei klarem Verstand zu bleiben, war für unsere Ahnen überlebenswichtig, denn ein ausgehungertes Hirn war weder ein guter Berater noch ein tauglicher Helfer in der Not. Die Versorgung des Denkorgans mit Energie hatte daher höchste Priorität. Um diese sicherzustellen, musste der Körper ans Eingemachte gehen und seine Reserven anzapfen. Dafür musste er einen speziellen Stoffwechselweg einschalten, den sogenannten Hunger- bzw. Fastenstoffwechsel.

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Exkurs

Was genau passiert im Fastenstoffwechsel?

Kommt nach der letzten Mahlzeit kein Nachschub, zapft der Körper als Erstes die Zuckerreserven (Glukose) in der Leber an, um damit die Energieversorgung seiner Organe sicherzustellen. Nach etwa zwölf Stunden sind diese Vorräte weitgehend aufgebraucht. Das Gehirn ist aber immer noch auf Zucker als Brennstoff angewiesen, andere Organe wie die roten Blutkörperchen und Zellen des Nierenmarks sind sogar dauerhaft davon abhängig, und auch die Nervenzellen kommen nicht ganz ohne aus. Wie kann ihre Versorgung trotz leerer Zuckerspeicher nun sichergestellt werden?

Die Leber als zentrales Stoffwechselorgan besitzt das nötige Werkzeug, um aus anderen Stoffen die erforderliche Glukose zu bilden. Als Ausgangssubstanz verwendet sie Aminosäuren, das sind Eiweißbausteine, die sie entweder aus der Nahrung bezieht oder aus der Muskulatur, wenn wir fasten. Ein anhaltender Muskelabbau zur Zuckerherstellung hat jedoch erhebliche Nachteile und wäre mit dem Niedergang unserer fleißigen Jäger und Sammler einhergegangen. Daher ist diese Art der Zuckerbeschaffung nur eine Überbrückungshilfe, die so lange genutzt wird, bis sich der Körper seiner größten Energiereserve bedient – des Fettgewebes. Mit jeder zusätzlichen Fastenstunde steigt die Energiegewinnung aus Fettsäuren, die von den meisten Körperzellen gut als Brennstoff genutzt werden können. Zudem kann die Leber aus Glyzerin, einem Stoff, der beim Abbau der Fettreserven anfällt, auch etwas Zucker bilden. Das Gehirn ist aber ein wahrer Energiefresser – und da der so gebildete Zucker ihm nicht ausreicht und es die Fettsäuren nicht auf direktem Wege nutzen kann, muss für das Oberstübchen ein alternativer Brennstoff her. Jetzt ist wieder die Leber gefragt. Als Transformator kann sie aus einem Teil der während der Fastenperiode reichlich vorhandenen Fettsäuren Ketone (alternative Brennstoffe) bilden und die können vom Gehirn bestens genutzt werden. Dadurch sinkt sein Zuckerbedarf auf ein Minimum. Ketone sind also für das Denkorgan die Retter in der Hungersnot und gleichzeitig geniale Muskel- und Nervenschützer. Wie wichtig Ketone sind und was diese kleinen Superbrennstoffe für Gesundheitseffekte zu bieten haben, werden wir später noch näher beleuchten.

Info

Fastenstoffwechsel bedeutet Brennstoffwechsel

Im Fastenstoffwechsel nutzt der Körper nicht mehr vorrangig Zucker, sondern Fettsäuren und Ketonkörper zur Energiegewinnung. Trotz ihrer schlanken Körper konnten sich unsere Vorfahren auf diesem Wege tageweise und theoretisch auch bis zu zwei Monate lang von ihren Fettreserven ernähren. Sobald wieder Essbares ihre Mägen füllte, wurde umgeschaltet – vom Brennstoff Fettsäuren/Ketone zum Brennstoff Zucker. Das ging besonders schnell, wenn kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel wie Früchte oder Honig ihren Verdauungstrakt durchquerten. In der Fachwelt nennt man diesen Wechsel der Brennstoffe auch metabolischen Switch. Die Fähigkeit, je nach Energiebedarf und Nährstoffverfügbarkeit zügig zwischen den beiden Energieträgern hin- und herzuschalten, nennt man heute »metabolische Flexibilität«. Und die war bei unseren Vorfahren nicht nur sehr ausgeprägt, sondern auch überlebenswichtig.

Konservierte Überlebenssoftware im Off-Modus

99,5 Prozent unseres menschlichen Daseins auf Erden lebten wir als Jäger und Sammler und ernährten uns ausschließlich von natürlichen, weitgehend unverarbeiteten Nahrungsmitteln. Gegessen wurde das, was die Umgebung, in der wir lebten und (meistens im fastenden Zustand) jagten, für uns bereithielt. Es war nicht vorhersehbar, wann es wieder eine Mahlzeit gab. Je nach Saison und geografischer Lage gab es Früchte, vor allem Beeren, sowie Wurzeln, Knollen, Kräuter, Nüsse, Wild, Fisch und sogar Honig. Mit Beginn des Ackerbaus vor rund 10 000 Jahren, besonders aber mit der Industrialisierung in den letzten 250 Jahren, hat sich unser Lebensstil in rasender Geschwindigkeit radikal verändert. Biologisch sind wir vermutlich aber immer noch an eine Umgebung angepasst, die von periodischem Nahrungsmangel geprägt ist. Man könnte also sagen, dass wir, mit Steinzeitgenen ausgestattet, in einer Hightech-Welt festsitzen (im wahrsten Sinne des Wortes), in der permanent etwas Essbares (meistens zu viel vom Falschen) unseren Verdauungstrakt durchquert, was unseren altmodischen Stoffwechsel vor eine besondere Herausforderung stellt.

Der moderne Mensch: Daueresser mit Sitzapparat

Während unsere Vorfahren hauptsächlich bei Tageslicht jagten und speisten, also im Einklang mit ihrem biologischen Tag-Nacht-Rhythmus, können wir heutzutage durch die Erfindung des künstlichen Lichts unser Essenszeitfenster bis in den Abend und sogar bis spät in die Nacht ausdehnen. Spätes Essen aber bringt nicht nur unsere innere Uhr aus dem Takt, sondern verkürzt auch die für unseren Körper so wichtige nächtliche Fastendauer. Fünf bis acht Mahlzeiten bzw. Snacks packen wir so in unseren Tag und essen diese verteilt über durchschnittlich 15 Stunden. Lange Zeit wurde sogar offiziell empfohlen, täglich drei Hauptmahlzeiten und zwei Snacks zu essen, um aufkommenden Hunger auszubremsen. Total verrückt, oder? Denn damit verbringen wir mehr Zeit essend und verdauend als fastend, wodurch unser geniales Überlebensprogramm die meiste Zeit im Off-Modus verharrt. Aber nicht nur das – dem Internet sei Dank können wir uns außerdem per Mausklick das Essen jederzeit direkt nach Hause liefern lassen, was uns auch noch die anstrengende Nahrungsbeschaffung erspart.

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Zu viel vom Falschen

Während wir also den ganzen Tag »festsitzen«, befeuern wir unseren trägen Körper auch noch mit nährstoffarmen Kalorienbomben. Besonders beliebt ist die Worst-case-Kombi aus hoch verarbeiteten Kohlenhydraten und Fetten – sprich Pizza, Pommes, Croissants, Schokobagels und dergleichen –, die dann womöglich noch mit süßen Getränken heruntergespült wird.

Energiereiches Verlangen: ein Erbe der Steinzeit

Lass uns ein kleines Experiment machen! Schließe hierfür deine Augen und stelle dir gedämpften Brokkoli oder einen Teller mit Blattsalaten vor. Was löst dieser imaginäre Anblick bei dir aus? Vermutlich nicht viel. Jetzt schließe wieder deine Augen und stelle dir eine herrlich duftende Pizza vor, einen leckeren Eisbecher, eine heiße Currywurst mit Pommes oder einen Apfelstrudel. Was empfindest du jetzt? Wahrscheinlich kommt schon deutlich mehr Verlangen auf, richtig? Wenn du Hunger hättest, wonach würdest du greifen? Zum Brokkoli oder zur Pizza? Bei den meisten Menschen würde die Speichelproduktion klar bei Pizza & Co anspringen und das hat auch gute Gründe. Unser Verlangen nach besonders energiedichten Lebensmitteln ist ein Vermächtnis unserer Vorfahren. Ihre Begierde nach kalorienreichen Nahrungsmitteln war überlebenswichtig. Hatte man die Wahl zwischen Honig und Beeren, hätte man sich erst einmal den Honig einverleibt, weil er mehr Kalorien liefert. Auch wenn diese Notwendigkeit inzwischen nicht mehr besteht, sind wir auch heute noch besonders empfänglich für kalorienreiches Essen. Die Kombination aus viel Fett und Zucker und/oder Stärke finden wir zudem besonders schmackhaft. Deswegen lassen Pizza, Pommes & Co, aber auch Mousse au Chocolat oder Nudeln mit Sahnesoße unser Belohnungszentrum im Gehirn aufblinken. Davon wollen wir mehr! Die Gefahr, dass wir uns an solchen Fett-Kohlenhydrat-Kombinationen überessen, ist daher leider groß. Vor allem dann, wenn es sich um hochverarbeitete, industriell hergestellte Produkte handelt, die nicht lange sättigen, sondern vielmehr den Appetit immer weiter anregen und uns so zum Weiteressen verführen. Hinzu kommt, dass wir in einer Umwelt leben, in der uns genau diese Lebensmittel an jeder Ecke und zu jeder Tages- und Nachtzeit anlachen. Das macht es für viele Menschen so schwer, ihnen zu widerstehen.

Wie leicht man sich durch den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel Körperfett anfuttern kann, zeigt eine beeindruckende Studie von Dr. Kevin Hall, US-Forscher am National Institute of Health. Unter Laborbedingungen bekamen seine Probanden in einer Testphase zwei Wochen lang nur hochverarbeitete Mahlzeiten serviert und in einer weiteren zweiwöchigen Testphase bekamen sie ausschließlich Gerichte, die aus möglichst naturbelassenen Zutaten zubereitet worden waren. Das Besondere an dieser Studie: Die Mahlzeiten enthielten gleich viele Kalorien, Eiweiß, Fett, Zucker und Ballaststoffe und die Studienteilnehmer durften in jeder Testphase so viel davon essen, wie sie wollten oder bis sie satt waren. Das Ergebnis: Zwei Wochen Junkfood führte dazu, dass sich die Probanden überaßen und durchschnittlich 500 Kalorien mehr aufnahmen als während der Phase mit »echtem« Essen. Die Folge: Sie nahmen ein Kilogramm zu. Ernährten sie sich dagegen von Speisen, die aus vorwiegend naturbelassenen Zutaten zubereitet wurden, aßen sie 500 Kalorien weniger und speckten ein Kilogramm ab. Dieses Experiment zeigt eindeutig: Fake Food macht uns gefräßig, während Real Food uns vor dem Überessen und damit vor den Konsequenzen einer überkalorischen Ernährung schützt.

Im europäischen Vergleich liegen wir nach Großbritannien auf Platz zwei, was den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel betrifft. Fast 50 Prozent unserer täglichen Energie nehmen wir über solches Junkfood auf. Zum Frühstück Toastbrot, mittags Currywurst mit Pommes, zwischendurch etwas Süßes, abends Weißbrot mit Streichwurst und vor dem Fernseher ein paar Chips oder Flips. Unser Verdauungssystem ist somit im Dauereinsatz – mit schwerwiegenden Konsequenzen.

Chronische Überernährung und chronischer Bewegungsmangel führen zu chronischen Erkrankungen

Das Leben im Schlaraffenland steht somit im völligen Gegensatz dazu, wie unsere Vorfahren ihre Existenz bestritten haben und genau darin sehen Wissenschaftler den Ursprung vieler Zivilisationskrankheiten.

Jüngste Studien zeigen, dass der übermäßige Genuss von Fake Food und Bewegungsmangel nicht nur Überernährung und damit Fettleibigkeit fördern, sie machen auch viele Menschen metabolisch unflexibel: Ihr Stoffwechsel kann dann nicht mehr mit Leichtigkeit und situationsangepasst den bereits erwähnten metabolischen Switch vornehmen, also den Treibstoffstoffwechsel von der Zuckerverbrennung zur Fettnutzung und umgekehrt. Dadurch verharren die meisten chronisch im Zuckerverbrennungs-Modus und erhöhen damit ihr Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz, Krebs sowie Depressionen – alles Stoffwechselstörungen, die Alterungsprozesse fördern und damit die Lebenszeit verkürzen können. Ein ungesunder Lifestyle stört zudem das harmonische Zusammenleben unserer Darmbewohner, die als das sogenannte Mikrobiom zusammengefasst werden. Den nützlichen Bakterien geht das Futter aus und sie veröden. Die bösen dagegen nehmen überhand. Sie verstreuen Bakteriengifte, die im ganzen Körper niederschwellige Entzündungen entfachen und zum Nährboden sämtlicher Zivilisationsleiden werden können. Diese Wohlstandserkrankungen haben bei Steinzeitmenschen so nie existiert und kommen auch bei Völkern, die heute noch traditionell leben, nicht vor.

Jeder fünfte Todesfall weltweit geht auf das Konto von ungesunden Ernährungsgewohnheiten zurück – und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht und Sozialstatus.

Back to the roots: Überlebensprogramm aktivieren

Wie sinnvoll ein traditioneller Lebensstil ist, kann man an Naturvölkern beobachten, die noch heute als Jäger und Sammler leben. An ihnen erforschen Wissenschaftler die evolutionären Ursachen nicht ansteckender Zivilisationskrankheiten. Ob die Hazda aus Nord-Tansania oder die Tsimane aus Bolivien, sie alle zeichnen sich durch eine hervorragende Stoffwechsel- sowie Herzgesundheit aus und verfügen über eine außerordentlich gute Fitness. Sobald jedoch Angehörige solcher Völker der westlichen Zivilisation ausgesetzt sind (wie zum Beispiel die australischen Ureinwohner oder die Pima-Indianer aus Nordamerika), geht nicht nur ihr traditioneller Lebensstil verloren, sondern auch der damit verbundene Gesundheitsschutz. Im Überfluss wird ihre Überlebenssoftware deaktiviert, mit tragischen Konsequenzen: Die meisten dieser Menschen werden fettleibig, stoffwechselkrank und entwickeln typische Zivilisationskrankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch wenn es nicht endgültig bewiesen ist: Vieles deutet darauf hin, dass der Mensch im Zuge der Industrialisierung und Technisierung nicht genügend Zeit hatte, die uralte Überlebenssoftware upzudaten und an ein Leben, das von Nahrungsüberfluss und Bewegungsmangel geprägt ist, anzupassen.

Info

Der Kardiologe und Medizinprofessor James H O’Keefe von der der Universität Missouri – in Kansas City hat es treffend formuliert: »Alle Lebewesen gedeihen am besten in dem Milieu und mit der Ernährung, an die sie evolutionär angepasst sind.« Vermutlich hat er recht.

Allerdings sind wir weder in der Lage, die Uhr zurückzudrehen, noch können wir unsere dickmachende Umgebung einfach austauschen. Und bestimmt wollten wir auch nicht komplett auf die vielen Annehmlichkeiten unserer Zeit verzichten. Was aber jeder Einzelne für seinen persönlichen Gesundheitsschutz tun kann: etwas mehr »Steinzeit« in seinen Alltag einbauen und so wieder mehr im Einklang mit seinen evolutionär bewährten Softwareprogrammen leben. Das bedeutet: Mehr bewegen, natürlicher essen und regelmäßig fasten, wobei der letzte Tipp für die allermeisten die größte Hürde darstellen dürfte. Deswegen wollen wir im folgenden Kapitel ein wenig in die Welt des Fastens eintauchen und zeigen, wie phasenweiser Nahrungsverzicht die Selbstheilungskräfte aktiviert und welches gesundheitliche Potenzial dahintersteckt.

Nahrungsverzicht im Nahrungsüberfluss: Wenn weniger mehr ist

Eines vorweg: Wenn wir heute von Fasten sprechen, dann meinen wir den freiwilligen und zeitlich begrenzten Verzicht auf Nahrung, dessen Anfang und Ende wir eigenständig bestimmen. Diese Form der selbstbestimmten Enthaltsamkeit muss klar vom Hungern abgegrenzt werden! Unsere Vorfahren waren aufgrund von Nahrungsknappheit oft gezwungen, ausgedehnte Hungerphasen hinzunehmen. Aber auch heute noch müssen Menschen in vielen Teilen der Welt aufgrund von Kriegen, Umweltkatastrophen oder Armut hungern. Nicht zu wissen, wann und ob es eine nächste Mahlzeit gibt, löst natürlich eine ganz andere Art von Ängsten, Leid, Stressreaktionen und folglich auch gesundheitlichen Probleme aus als der zeitlich begrenzte, freiwillige Verzicht mit Aussicht auf eine bessere Gesundheit!

Info

Der komplette Verzicht auf feste Nahrung über mehrere Tage führt im Vergleich zum moderateren Intervallfasten zu tiefgreifenderen Veränderungen in der Biochemie unseres Körpers und folglich auch zu ausgeprägteren Fasteneffekten.

Die vielen Gesichter des Fastens

Fastentraditionen gibt es auf der ganzen Welt und in unterschiedlichen Bereichen. Menschen fasten aus religiös-spirituellen Gründen, um Körper und Geist zu reinigen, politisch motiviert als Protestform oder medizinisch-therapeutisch angetrieben, um Krankheiten vorzubeugen oder zu behandeln.

Fasten für die Gesundheit ist mittlerweile ein Trend, und es erfreut sich einer immer größeren Fangemeinde. Besonders populär ist das Intervallfasten (IF), bei dem sich Essens– und Fastenphasen abwechseln. Eine moderate Variante des IF ist das Fasten innerhalb eines Tages, bei der nur stundenweise nicht gegessen wird. Besonders beliebt ist das 16 : 8-Programm. Das Prinzip ist ganz einfach: Du fastest 16 Stunden und in den verbleibenden acht Stunden des Tages darfst du nach Lust und Laune ohne Kalorieneinschränkung schlemmen. Eine andere sehr beliebte Form des Intervallfastens ist die 5 : 2-Diät, bei der fünf Tage normal gegessen und an zwei Tagen die Energie drastisch auf 400 bis 600 Kalorien reduziert wird. Wer seinem Körper mehr Essenspausen gönnen möchte, ist mit dem alternierenden Fasten gut bedient, bei dem sich ein normaler Essenstag und eine 24- bis 36-stündige Wasserfastenphase abwechseln. Von diesen Teilzeitfasten-Konzepten unterscheidet sich das deutlich strengere und anspruchsvollere periodische Fasten, bei dem 2 bis 21 Tage keine oder nur wenig Energie zugeführt wird. Hierzu zählen das verlängerte Wasserfasten und das therapeutische Heilfasten. Vor wenigen Jahren hat sich außerdem ein weiteres Fastenkonzept dazugesellt: das Scheinfasten, mit dem wir uns in diesem Buch ausführlich beschäftigen.

Info

Wie lange kann ein Mensch ohne Nahrung überleben?

Wie lange ein Mensch ohne Essen auskommt, hängt maßgeblich von seinen Fettreserven ab. Normalgewichtige haben Vorräte, von denen sie bis zu 40 Tage zehren können. Bei Übergewichtigen reichen die Fettdepots weit länger. Die bisher längste und wissenschaftlich dokumentierte sowie medizinisch begleitete freiwillige Fastendauer bei einem stark übergewichtigen Mann betrug 382 Tage.

Vom Schattendasein ins Rampenlicht

Das periodische Fasten ist letztlich die älteste Naturheilmethode der Welt. Dennoch wurde es bis vor wenigen Jahren noch von vielen Ärzten belächelt. Dank jüngster Forschungsergebnisse verlässt das therapeutische Fasten jedoch immer mehr sein Schattendasein und gelangt zunehmend ins wissenschaftlich-ärztliche Rampenlicht. Fasten-Kliniken und -Hotels schießen wie Pilze aus dem Boden. Die populärste Form hierzulande ist das Heilfasten nach dem deutschen Arzt Dr. Otto Buchinger. Das seit 1920 bestehende ganzheitliche Konzept betrachtet den Menschen als Einheit aus Körper, Geist und Seele und umfasst Bewegung, Entspannung und Anreize für den Geist. Ziel ist es, das Bewusstsein zu erweitern, die Selbstwirksamkeit zu fördern, alte Gewohnheiten loszulassen und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Zwischen 3 und 21 Tage lang verzichtet man bei dieser Methode auf feste Nahrung, es werden lediglich 200 bis 300 Kalorien in Form von Obst- und Gemüsesäften sowie Gemüsebrühen zugeführt.

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Nahrungsmangel verändert die Biochemie unserer Zellen

Richtig ist, dass wir beim Fasten keine Nahrung von außen zuführen. Falsch ist dagegen die Annahme, dass wir uns in dieser Zeit nicht ernähren. Das tun wir schon, allerdings auf eine andere Art und Weise. Beim Fasten speisen wir unseren Körper aus dem, was seine Reserven hergeben – und das sind vor allem Fettsäuren und Ketonkörper. Zusätzlich bezieht er Energie aus dem recycelten »Zellmüll«. Was damit gemeint ist, erfährst du im nächsten Abschnitt. Führen wir erneut Nahrung von außen zu, macht die körpereigene Küche wieder dicht und die Zellen nutzen wieder Glukose als Brennstoff. Der schon zu Anfang des Buches erwähnte metabolische Switch hin zu Fett als Brennstoff ist die Initialzündung für den Start unseres körpereigenen Fastenprogramms. Es aktiviert hocheffektive Mechanismen, die auf körperlicher und mentaler Ebene zu beeindruckenden Veränderungen führen. Welche Fasteneffekte das genau sind, beleuchten wir noch. Vorab machen wir einen Ausflug in die kleinsten Bausteine unseres Körpers, die Zellen. Denn genau hier finden die vielversprechenden Stoffwechselprozesse statt, die durch das Fasten aktiviert werden.

Exkurs

Gesunde Zellen müssen essen – und fasten

Fast jede Zelle unseres Körpers ist mit Sensoren ausgestattet, mit deren Hilfe sie das Vorhandensein von Nährstoffen prüft. Einer dieser Sensoren hat den zungenbrecherischen Namen mammalian Target Of Rapamycin, kurz mTOR. Er ist der Hauptsensor und reagiert besonders empfindlich auf Aminosäuren, deren Konzentration nach einer eiweißhaltigen Mahlzeit zunimmt. mTOR springt auch an, wenn wachstumsfördernde Faktoren wie Insulin oder Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1), das dem Insulin sehr ähnlich ist, im Umlauf sind. Insulin steigt immer dann an, wenn wir Kohlenhydrate und/oder Eiweiß essen. IGF-1 wird vor allem durch eine eiweißbetonte Ernährung ausgeschüttet. Und dann gibt es noch einen Zucker-Detektor in unseren Zellen – die Proteinkinase A (PKA). Sie ist auf die Messung von Glukose spezialisiert. Steigt der Blutzucker nach einer kohlenhydrathaltigen Mahlzeit an, wird die PKA aktiviert und leitet das Signal weiter an mTOR.

Das bedeutet: Einen hohen Blutzucker-, Insulin- und IGF-1-Spiegel interpretieren die Sensoren in den Zellen als Zeichen einer guten Energiezufuhr, woraufhin sie die Anweisung erteilen, den Produktions- und Speichermodus zu starten. Mit all der verfügbaren Energie können neue Zellen und neues Gewebe gebildet werden. Diese Aufbauphase, auch Anabolismus genannt, ist immer dann gefragt, wenn Wachstum und Regeneration erforderlich sind. Das ist der Fall in der Kindheit, in der Schwangerschaft oder nach Verletzungen, wenn eine Wunde verheilen muss. Und wer große Muskelpakete aufbauen möchte, macht sich ebenfalls die Aufbaufunktion von mTOR zunutze, indem er den Sensor mit Eiweißshakes befeuert.

Natürlich gibt es für mTOR & Co auch einen Gegenspieler. Dabei handelt es sich um einen zellulären Fühler, der Nahrungsmangel misst. Sein Name ist zwar noch komplizierter, soll hier aber der Ordnung halber einmal ausführlich genannt werden: 5-Adenosin-Monophosphat-aktivierte Proteinkinase, kurz AMPK. Dieser Regulator funktioniert folgendermaßen: Sind Blutzucker- und Insulinspiegel sowie das IGF-1 niedrig, wird AMPK aktiviert. Diese startet daraufhin Programme, die das Energiedefizit in der Zelle kompensieren sollen. Hierfür werden zunächst alle Aktivitäten gestrichen, die zu viel Energie kosten – sprich alle Aufbauprozesse, die durch mTOR angestoßen werden. Stattdessen wird der Zellabbau-Modus, auch Katabolismus genannt, eingeschaltet, um an Treibstoff zu kommen. Hierfür macht sich das Cortisol aus den Nebennieren auf den Weg, um Fettsäuren aus den Fettdepots und anfänglich auch ein wenig Eiweiß aus dem Muskelgewebe als Brennstoffquelle zu mobilisieren. Zusätzlich – und da s ist g anz besonders faszinierend – wird die Zellreinigungsflotte losgeschickt, um unnützen und schädlichen Zellschrott, der sich in den Zellen angesammelt hat, zu recyceln und wiederzuverwerten. Bei diesem genialen Prozess, der auch unter den Namen Autophagie Ruhm erlangt hat, werden kaputte und dysfunktionale Proteine, alte und unbrauchbare Mitochondrien (Zellkraftwerke), Krankheitskeime, oxidierte Lipide (die man sich wie ranzige Fette vorstellen kann) – also alles, was die Zelle nicht braucht oder ihr sogar schaden könnte – in ihre Einzelteile zerlegt. Dabei fallen Aminosäuren, Fettsäuren, aber auch Zucker an, die von den Zellen als Treibstoffe genutzt werden können. Sie leben also, zumindest teilweise, von wiederverwertetem Zellmüll. Die Autophagie stellt damit neben unseren Fettreserven eine weitere wichtige Energiequelle während des Fastens dar. Über Jahrtausende war sie wichtig für das Überleben in der Hungersnot – und bis heute können wir davon profitieren!

Es kommt aber noch besser: Die recycelten Nährstoffe dienen nicht nur als Brennstoff, sie sind auch Baumaterial, zum Beispiel für den Aufbau von Muskeln, Mitochondrien, Immunzellen, Hormonen oder Zellmembranen. Die Autophagie unterstützt damit die Zellreparatur und -erneuerung und schützt gleichzeitig gesunde Zellen. Weil dieses geniale System so alt wie die Menschheit ist, könnte man es auch als Detox- und Anti-Aging-Waffe aus der Steinzeit bezeichnen. Des Weiteren werden durch den Energieengpass in der Zelle Signalwege stimuliert, die sie vor Entzündungen schützen, ihr Abwehrsystem stärken, ihr Erbgut bewachen und sogar defekte Stellen reparieren. Diese durch Nahrungsmangel ausgelösten Anpassungsreaktionen machen die Zellen widerstandfähiger und schützen sie vor dem frühzeitigen Zelltod.

Alles eine Frage des Gleichgewichts

Für einen optimalen Gesundheitsschutz sollten Zellwachstum und Zellabbau bzw. Zellreparatur im Gleichgewicht sein – das bedeutet, dass sich Essens- und Fastenphasen abwechseln sollten, um das Beste aus beiden Stoffwechselzuständen herauszuholen. Von einer Balance dieser Systeme sind wir mit unserem (über)komfortablen Ernährungsstil in der westlichen Welt jedoch weit entfernt. Wie schon erwähnt, essen wir heutzutage durchschnittlich in einem Zeitfenster von 15 Stunden täglich. Wir befüllen in dieser Zeit unsere Bäuche fünf-, sechs-, siebenmal und mehr, noch dazu häufig mit hochverarbeiteten, energiereichen und nährstoffarmen Produkten. Der bedeutsame metabolische Switch kann so nie stattfinden. Folglich kommt unser Körper auch nicht in den Genuss, immer wieder einmal Ketonkörper als alternativen Treibstoff zu kosten.

Schätzungsweise 500 Kalorien mehr als noch vor 50 Jahren nehmen wir heute am Tag weltweit durchschnittlich auf. Unsere Zellen werden dadurch regelrecht dauerbetankt und verharren durch die permanente Befeuerung von mTOR in einer Art chronischem Aufbau-Modus. Überschüssige Brennstoffe stauen sich in den Zellen, anstatt umgehend zur Energiegewinnung verheizt zu werden. Die Zellkraftwerke (Mitochondrien) sind derart überlastet, dass sie mit ihrer Arbeit nicht nachkommen. Dadurch fallen beim Verbrennungsprozess vermehrt Sauerstoffradikale (Oxidantien) an, die das Erbgut schädigen.

Fazit: Überernährung lässt unsere Zellen schneller altern und ist ein Schlüsselfaktor für überschies endes Zellwachstum, was letztlich auch das Krebsrisiko erhöht.

Die Autophagie, also der zelluläre Reinigungsdienst, kommt dagegen kaum mehr zum Einsatz. Das hat zur Folge, dass die Zellen immer weiter zumüllen und defekte Zellbestandteile nicht mehr entsorgt bzw. recycelt werden können. Die Schrottproteine lagern sich schließlich in den Zellen ab und werden zur potenziellen Gesundheitsgefahr, weil sie gefährliche Entzündungsprozesse auslösen. Der gemeinsame Nenner vieler chronischer Erkrankungen wie Krebs, Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit, Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind genau diese unterschwelligen Entzündungen in den Zellen.

Das Ruder herumreißen durch Fasten

Viele dieser chronischen Leiden sind hausgemacht und auf einen ungünstigen Lebensstil zurückzuführen. Das bedeutet aber auch, dass wir das Ruder selbst in der Hand haben, um gegenzusteuern. Wir müssen es nur herumreißen. Schaffen wir es, unseren Zellmüll regelmäßig auszumisten und die gesunden Zellen zu stärken, dann haben wir gute Chancen, uns vor Krankheiten zu schützen und gesünder zu altern.

Dafür muss es uns gelingen, genau den Schalter wieder anzuknipsen, der die Reinigungs- und Reparaturprozesse in den Zellen organisiert, der sich durch unsere moderne Lebensweise aber im Dauer-Off befindet – den Energiemangelsensor AMPK. Auch Pharmafirmen und Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln haben inzwischen erkannt, dass sich der Blick auf dieses Protein lohnt. Sie haben Medikamente und Supplemente entwickelt, die darauf abzielen, diesen Schalter in den On-Modus zu drücken. Aber warum teure Pillen schlucken und Nebenwirkungen in Kauf nehmen, wenn wir doch eine viel sicherere, lange erprobte und kostengünstigere Apotheke in uns tragen? Wir müssen sie nur öffnen – und der Schlüssel dazu heißt Fasten. Aber auch ohne Fasten kann die Autophagie aktiviert werden, zum Beispiel durch Sport, Intervall- oder Proteinfasten (mehr zum Intervall- und Proteinfasten ab Seite 152).

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Fasten: ein potenzieller Gesundheitsverstärker

Wir kennen nun die biochemischen Mechanismen, die durch das Fasten auf zellulärer Ebene stimuliert werden. Doch wie lassen sich diese Prozesse in Gesundheitseffekte übersetzen? Erkenntnisse über die vielfältigen günstigen Fastenwirkungen stammen aus Erfahrungsberichten von Patienten und Fastenärzten. Erfreulicherweise rückt das Fasten als Therapie zur Behandlung chronischer Erkrankungen zunehmend auch in den Fokus der Wissenschaft. So untermauert die 2019 veröffentlichte, weltweit größte klinische Fastenstudie unter Leitung der Ärztin und Fastenexpertin Dr. Françoise Wilhelmi de Toledo in der Klinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen am Bodensee mit 1422 Teilnehmern die schon häufig beobachteten positiven Effekte des Nahrungsverzichts auf Körper und Geist.

Fasten greift nachweislich die gefährlichen Fettdepots im Bauch und in der Leber besonders schnell an und verbessert viele Risikomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenz. Dazu gehören die Senkung des Blutdrucks, des Blutzuckers und des Insulinspiegels sowie die Verbesserung der Blutfette. Ein entgleister Stoffwechsel kann bereits nach wenigen Fastentagen wieder in die richtige Bahn gelenkt werden. Wissenschaftlich gut belegt ist auch die heilsame Unterstützung des Fastens bei entzündlichen Gelenkerkrankungen wie Arthritis, bei denen es antientzündlich und schmerzlindernd wirkt.

Auch das Denkorgan profitiert

Beim Fasten, wenn kein Zucker mehr von außen zugeführt wird, ernährt sich das Gehirn überwiegend von Ketonkörpern, die ab dem zweiten Fastentag signifikant ansteigen. Dadurch bleiben wir geistig fit und leistungsfähig, auch ohne Nahrungszufuhr. Zusätzlich wird beim Fasten der Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF) gebildet, ein Wachstumsbooster, der bestehende Nervenzellen schützt, die Entstehung neuer Nervenzellen stimuliert und die Hirnleistung ankurbelt. Wer häufiger fastet, kann die Funktion seines Langzeitgedächtnisses damit verbessern.

Ein Hoch aufs Fasten und aufs Fasten-Hoch

Nicht nur die günstigen Stoffwechseleffekte des Fastens sind bemerkenswert, sondern auch die Veränderungen, die auf mentaler und geistiger Ebene stattfinden. So berichteten Probanden in einer Fastenstudie, dass sie sich energiegeladener fühlten und dass sich ihre Stimmungslage im Verlauf des Fastens erhellte. In der Fastenszene spricht man auch von Fasteneuphorie oder vom Fasten-Hoch (Fasten-High). Solche Glücksgefühle und das gesteigerte Wohlbefinden, die viele Fastenjünger beschreiben, hängen vermutlich mit der erhöhten Freisetzung und Verfügbarkeit des Glückshormons Serotonin sowie einer vermehrten Bildung von Endorphinen, aber auch mit den beim Fasten gebildeten Ketonen zusammen.

Durch Verzicht Lebensjahre gewinnen?

Den Energiehahn zudrehen und dafür schön alt werden? Das funktioniert zumindest bei vielen Tieren. Ob Hefen, Fruchtfliegen, Würmer oder Mäuse – setzt man sie auf Nulldiät oder reduziert drastisch das Futter, verlängert sich ihre Lebensdauer um 20 bis 40 Prozent. Ob das beim Menschen auch funktionieren könnte, ist allerdings nicht erwiesen. Was wir jedoch wissen, ist, dass sich durch das Fasten bestimmte Langlebigkeits- und Anti-Aging-Marker günstig beeinflussen lassen.

Es ist bekannt, dass Sauerstoffradikale zell- und erbgutschädigend wirken und damit Alterungsprozesse beschleunigen. Fasten induziert einen milden Stress, was die Zellen dazu veranlasst, ihre Schutz-Armee aus Radikalfängern (Antioxidantien) zusammenzutrommeln. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass zehn Tage Heilfasten bei den Probanden zu einer Erhöhung des antioxidativen Abwehrsystems im Blut führte.

Eine hohe Konzentration von IGF-1 (wir erinnern uns – dieses Hormon steuert das Zellwachstum) hingegen steht im Verdacht, zusammen mit einem hohen Insulinspiegel Alterungsprozesse zu fördern, das Krebsrisiko zu erhöhen und die Lebensspanne zu verkürzen. Mit einem tageweisen Verzicht auf feste Nahrung lässt sich nicht nur das Insulin reduzieren, sondern auch eine drastische Senkung von IGF-1 erreichen.

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Eine jüngst erschiene Studie zeigt zum ersten Mal, dass eine fünftägige Wasserkur bei den fastenden Testpersonen im Vergleich zur essenden Kontrollgruppe nicht nur Gene aktivierte, die mit Langlebigkeit in Verbindung stehen, sondern auch das Darmmikrobiom günstig beeinflusst. Im Darm der Fastenden reicherte sich eine Bakterienart mit dem schön klingenden Namen Christensenella an, eine Spezies, die häufig bei Hundertjährigen vorkommt, und daher mit einem längeren Leben assoziiert wird.

Auch wenn diese Ergebnisse vielversprechend klingen, sind sie natürlich keine Garantie dafür, dass häufige Essenspausen unsere Verweildauer auf Erden verlängern. Das Fasten ist jedoch unser ältestes, natürlichstes und wirksamstes Mittel, um die Lebensqualität zu steigern, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, die Zellen zu verjüngen, Alterungsprozesse zu verlangsamen und damit die Gesunderhaltung von Körper sowie Geist zu fördern und die gesunde Lebensspanne zu verlängern.

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Info

»Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben.«

Alexis Carrel, 1873–1944

Langzeitfasten: wirksam, aber hürdenreich

Die Heilkraft des Nahrungsverzichts ist faszinierend und jeder, der schon einmal länger gefastet hat, würde es wahrscheinlich wiederholen. Die größte Hürde beim Fasten ist jedoch die Entscheidung, es zu tun – wir sprechen da aus eigener Erfahrung. Wir sind sicher, dass sich viel mehr Menschen gerne im heilsamen Nahrungsverzicht üben würden, wären da nicht diese Hindernisse, die einen immer davon abhalten: der Respekt vor dem großen unbekannten Hungergefühl, die Sorge, nicht durchzuhalten, die Angst, körperlich wie geistig komplett zu entkräften. Zugegeben, mehrere Tage komplett aufs Essen zu verzichten, hat etwas Abschreckendes. Es gehören Mut und Vertrauen dazu, die sichere (mit Lebensmitteln gefüllte) Komfortzone zu verlassen, um in eine Welt einzutauchen, die uns bisher verschlossen war. Fasten ist eine ungewöhnliche körperliche wie seelische und mentale Erfahrung, doch am Ende stärkt sie nicht nur die Selbstwirksamkeit, sondern auch das Vertrauen in unseren Körper.

Aber glücklicherweise führen ja immer mehrere Wege ans Ziel. Inzwischen hat uns die Forschung gezeigt, dass sich viele Fasteneffekte nachahmen lassen, und das, ohne komplett auf Essen zu verzichten. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein, und dennoch – es ist wahr. Scheinfasten heißt das innovative Konzept, bei dem wir das Fasten imitieren und die positiven Gesundheitseffekte des absoluten Nahrungsverzichts auch ohne diesen erzeugen können. Was es mit dieser So-als-ob-Ernährung genau auf sich hat, warum und wie sie funktioniert und wie wir sie umgesetzt haben, erfährst du in den nächsten beiden Kapiteln.

Fazit: Fasten ist eines der ältesten Naturheilverfahren der Welt. Der Nahrungsverzicht hilft dem Körper, seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Dadurch kann Fasten unsere Gesundheit vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen, aber auch den Verlauf von Krankheiten günstig beeinflussen. Wasser- und Heilfasten wirkt sich günstig auf unser Herz-Kreislauf-System aus, es verbessert unsere Hirngesundheit, schützt die Leber, hemmt Entzündungsprozesse und wirkt schmerzlindernd.