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Prolog 1 Der Flug ließ sich mit keinem vergleichen, den Tristan MacLaughlin je hinter sich gebracht hatte. Nicht, dass er sich als Weltreisenden betrachtete, absolut nicht. Aber wenn er flog, handelte es sich gewöhnlich um einen Kurzstreckenflieger, der rappelvoll war mit Geschäftsleuten. Und regelmäßige Pendler schliefen normalerweise oder arbeiteten an ihren Computern. Sie waren alles in allem von einem total anderen Schlag als die ausgelassen Feiernden, die ihn derzeit umgaben. In öffentlichen Verkehrsmitteln hörte man gewöhnlich nicht, wie Karten gemischt wurden oder Würfel klapperten. Als das Flugzeug beim Anflug auf den Reno Airport in eine kurze Turbulenz geriet und für einen Moment so plötzlich absackte, dass der Magen in die Kniekehlen rutschte, fand Tristan es nicht gerade komisch, dass mehr als die Hälfte der Passagiere vor Begeisterung kreischte, als würden sie eine Achterbahnfahrt in einem Vergnügungspark machen. Genau genommen fand er es grauenhaft. Es unterstrich nur den frivol 2 Tristan hätte nicht gedacht, dass er Amanda Charles’ Apartmenthaus auch nur eine Sekunde lang in Erwägung ziehen würde, aber das Gebäude überraschte ihn doch außerordentlich. Angesichts der unerwarteten Kultiviertheit ihrer persönlichen Erscheinung hatte er eher etwas Schickes und Modernes erwartet, oder Elegantes und Kühles – nicht dieses weitläufige, hell gestrichene Gebäude, das mitten in einem Wohngebiet der gehobenen Mittelklasse stand. Es war ein großes, ausgedehntes, älteres Haus, das auf drei Ebenen um einen Steingarten aus Farnen und Blumen herumgebaut war. Die schieferblauen hölzernen Fensterläden und Blumenkästen und die dunkelbraun-blauen Holzverkleidungen der großen Sprossenfenster gaben dem Ganzen einen warmen, heimeligen Eindruck. Erst bei näherem Hinsehen entdeckte Tristan, dass die beiden glänzenden, hellbraunen Türen, die auf einen kleinen Innenhof führten, jeweils zu separaten Wohnungen gehörten. Neben den Türen war oben an der Wand ein auf Hochglanz polierter Mess 3 Als Amandas Wohnung sich endlich wieder leerte, war sie unendlich erleichtert, hatte das Gefühl, als ob jeder angespannte Muskel ihres Körpers sich auf einmal entkrampfte und auf die Schwerkraft reagierte. Nachdem die beiden Polizeibeamten sich verabschiedet hatten, war Rhonda noch geblieben, hatte es sich bequem gemacht und wollte die Ereignisse des Tages haarklein mit ihr bekakeln. Amanda konnte sich kaum etwas vorstellen, was sie derzeit ungerner tun würde. Sie liebte Rhonda aufrichtig, aber ihr Bedürfnis, detailliert das Warum und Weshalb von Maryannes Ermordung zu diskutieren, gab ihr den Eindruck, gleich platzen zu müssen. Sie fühlte sich genau genommen wie JoJo Malone, bevor der Nachtclub sie letztes Jahr wegen massiver Kokainabhängigkeit entlassen hatte. Sie zitterte und ihr war schlecht, sie war ein einziges Nervenbündel und total ruhelos, konnte nicht eine Sekunde lang still sitzen. Ständig sprang sie auf, zog hier etwas gerade und räumte da etwas weg, bis Rhonda sie schlie 4 Tristan war schwer frustriert, als sie am nächsten Tag endlich das Morddezernat verlassen konnten. Er setzte sich auf den Beifahrersitz von Joes Auto und schlug die Tür zu. »Fahren Sie uns zum Nachtclub, Joe«, befahl er mit knapper Stimme. Dann machte er seinem Ärger ungehindert Luft. »Wir können allerdings von Glück reden, wenn wir überhaupt noch irgendjemanden dort antreffen. Diese verdammten hohen Tiere bei der Polizei – es ist überall dasselbe, egal, wohin man kommt.« Er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen, und flüsterte, mehr zu sich selbst: »Die können mich alle mal.« Joe grinste und tat so, als hätte er das nicht gehört. Er startete den Motor und sah zu, dass sie schnell wegkamen. Tristan starrte aus dem Fenster auf die vorbeihuschenden grellbunten Lichter. Verdammt, Captain Tweedt und seine Forderung, sich gefälligst nicht von seinem Schreibtisch wegzurühren, während die neu installierte Spezialeinheit die Arbeit aufnahm! Er war kein Schreibtischcop, war es nie gew 5 Amanda war einen Moment für sich auf der Party, die Pete Schriber als die ultimative letzte aller Feiern bezeichnet hatte. Es war vier Uhr morgens, und sie war müde, aber nicht so müde, dass sie auf die Gesellschaft ihrer Bekannten schon verzichten wollte. Noch nicht jedenfalls. Laut Pete sollte diese spontane Party zum Teil eine Trauerfeier für Maryanne sein. Aber hauptsächlich sollte der Rest von ihnen das Leben feiern. Seiner persönlichen Überzeugung nach sollte man auf diejenigen, die für ewig gegangen waren, einen Toast ausbringen und sie in liebevoller Erinnerung behalten. Gleichzeitig fand er, dass allein die Tatsache, sich unter den Lebenden zu befinden, Grund genug zum Feiern war. Deshalb hatte Pete heute Abend, als die Polizei endlich keine weiteren Fragen mehr hatte, ihren Krimskrams eingepackt und gegangen war, vorgeschlagen, eine Party zu geben, die sowohl die Tote ehrte als auch die Lebenden feierte. Und zwar in dem kleinen gemieteten Haus seines gegenwärtigen Lovers na 6 In den folgenden Wochen kehrte Amandas Leben langsam wieder zurück zur Normalität. Lieutenant MacLaughlin gingen endlich die Fragen aus, und die Polizei wandte ihre Aufmerksamkeit schließlich anderen Dingen zu. Soweit sie wusste, gab es keinen nennenswerten Fortschritt bei der Jagd nach Maryannes Mörder, aber wenigstens befand sie sich nicht länger mittendrin. Natürlich war nichts mehr so wie früher. Jeder, den sie kannte, war in der einen oder anderen Weise von Maryannes Tod betroffen, und sie alle hatten gelernt, wachsamer zu sein. Ihr Apartment war ein gutes Beispiel. Das Siegel über der Tür war letzte Woche endlich entfernt worden. Nachdem der von der Polizei hinterlassene Schmutz und die Unordnung beseitigt worden waren und sie Maryannes persönliche Besitztümer weggeräumt hatte, hätte Amanda es wieder vermieten können. Das Problem war nur, an wen. Der einzige männliche Tänzer, der momentan eine Wohnung suchte, war Pete Schriber, und obgleich er starkes Interesse an Maryannes Apa 7 Amanda glotzte den großen Mann und den kleinen Hund auf ihrer Türschwelle an, als wären sie gerade von einem Raumschiff vor ihrem Haus abgesetzt worden. Die gute Laune entwich langsam aus ihr wie die Luft aus einem undichten Ballon, und sie stand zitternd im Wind, der durch die offene Tür hereinfegte. »Ich wusste nicht, dass Sie einen Hund haben.« »Hatte ich bisher auch nicht«, antwortete er und blickte hinunter auf den Hund, der vertrauensvoll in seinem Arm lag. »Es ist irgendwie passiert.« Mit der freien Hand kraulte er den Hund zwischen den Ohren. »Ach ja?« Amanda konnte unschwer erkennen, wie sehr der Hund diese Behandlung genoss; dann fixierte sie Tristan argwöhnisch. »Wie kommt man derart überraschend zu einem Haustier?« »Dürfen wir reinkommen? Sonst wird Ihnen noch ganz kalt.« »Was? Oh! Ja, sicher, ich denke doch.« Amanda trat zurück und kam sich ziemlich dämlich vor. Es geht doch nichts über eine nette, souveräne Bemerkung, um den Tag zu beginnen, dachte sie selbstironisch. G 8 »Darf ich den Damen einen Drink spendieren?« Die drei Frauen unterbrachen ihre Unterhaltung und blickten auf. Neben ihrem Tisch stand ein attraktiver Mann im Nadelstreifenanzug. Rhonda lehnte im Namen aller dankend ab, aber sie sah ihm mit einem Anflug des Bedauerns hinterher, als er sich entfernte. Er war genau ihr Typ – männlich. »Also, was ist passiert, als deine Familie herausfand, dass Teddy schwanger war?« June stocherte in den Eiswürfeln herum, um die Kirsche herauszufischen. Sie steckte sie sich in den Mund und blickte Amanda an. »Es hat sie doch bestimmt der Schlag getroffen, hm?« »Das ist noch untertrieben.« Amanda trank ihr Glas aus und gab der Kellnerin ein Zeichen, es erneut zu füllen. Sie wusste, dass sie das besser nicht tun sollte; sie trank normalerweise nicht viel und vertrug es auch nicht. Doch sie zuckte innerlich die Achseln. Sie hatte heute Abend frei. Wenn sie nur halbwegs bei Verstand gewesen wäre, hätte sie heute überhaupt nicht zur Probe gehen dürfen. Wäre s 9 In den sehr frühen Morgenstunden desselben Tages wurde Rhonda eine Blume geliefert. Nachdem der Lieferjunge gegangen war, stand sie eine ganze Weile unbeweglich da und starrte die Umrisse einer Rose unter dem grünen Wachspapier des Blumenladens an. Dann verfolgte sie vorsichtig mit den Fingerspitzen die Umrisse. Das entfernte Echo einer sich schließenden Tür im Flur unterstrich die Stille in der Garderobe, und sie blickte sich um, überrascht, dass der Raum leer war. Wann waren denn alle gegangen? Und musste ausgerechnet heute Amanda ihren freien Vorstellungsabend haben, wo Rhonda sie am dringendsten brauchte? Sie wickelte die Blume aus, zerriss das Papier an mehreren Stellen, an denen es zusammengeheftet war, und zog behutsam eine einzige, perfekte, langstielige rote Rose heraus. Das Wachspapier fiel unbeachtet zu Boden, als Rhonda die Blume an die Nase hielt und ehrfürchtig an ihr roch. Sie schloss die Augen bei den bittersüßen Gefühlen, die sie überfielen. Oh, verdammt. Ihre Augen 10 Proben wurden im Cabaret normalerweise nur abgehalten, wenn ein neuer Solotänzer anfing. Es war nicht notwendig, täglich welche durchzuführen, da die Tänzer eine bestimmte Anzahl von Nummern beherrschten und Charlie diese nur drei- oder viermal pro Jahr änderte. Aber alle paar Wochen wechselten die Solisten, und dann mussten die Tänzer ein paar Tage mit dem neuen Star arbeiten. Dann, je nach seinen oder ihren Bedürfnissen, probten sie eventuell noch ein, zwei Tage länger, um das neue Timing oder die Anordnung oder manchmal auch eine ganz neue Nummer einzustudieren mit dem neuen Solisten. Wenn es etwas gab, was Charlie ganz besonders gegen den Strich ging, dann war es das unentschuldigte Fehlen eines seiner Tänzer. Er war nicht grundsätzlich uneinsichtig. Er wusste, dass sie gelegentlich andere Pläne hatten, die sich halt nicht mit dem Aufführungs- oder Probenplan vereinbaren ließen. Ebenso konnten einen irgendwelche Krankheiten aus heiterem Himmel überfallen. Aber seine Leute kannte 11 Als am nächsten Tag Amandas Wecker klingelte, schien die Morgensonne bereits hell durch die Flügeltür und die Sprossenfenster ihres Apartments. Das Esszimmer war stickig, als sie im Halbschlaf hineintapste, um es für ihre Besucher herzurichten. Sie riss die Balkontür und die Fenster auf, um den Raum zu lüften, und grummelte die ganze Zeit genervt vor sich hin. Verdammt. Jede Minute konnten ihr Kolleginnen und Kollegen auftauchen. Wie viele genau stand in den Sternen, und wenn es etwas gab, was die meisten Tänzer hassten, dann, in einem überheizten, stickigen Raum zu trainieren. Hätte sie doch ausgerechnet gestern Abend nicht vergessen, die Rollos herunterzulassen. Schnell verwandelte sie das Zimmer in ein Studio, dann rannte sie zur Vordertür und schwenkte sie vor und zurück, um Zug zu erzeugen. Sie musste unbedingt für Abkühlung sorgen. Dann hielt sie mitten in ihrer hektischen Betriebsamkeit inne. Mit einem selbstironischen Lächeln hielt sie ihr Gesicht in die kühle Brise an der o 12 Die Adresse, die Joe Cash Tristan genannt hatte, war ein kleiner familienbetriebener Lebensmittelladen in der Innenstadt. Das neueste Opfer war in einem Müllcontainer hinter dem Laden entdeckt worden. Tristan war dankbar, dass die Presse noch nicht informiert war, aber angesichts der Aktivitäten in und um den Laden herum – die Zonen, die abgesperrt wurden, die knisternden Funkgeräte und die Blaulichter – würde es nicht mehr lange dauern, bis sie die Neuigkeiten erfuhr. Er zog die Schultern hoch. Zu gegebener Zeit würde er sich darum kümmern. Im Moment hatte er andere Prioritäten. Der Gerichtsmediziner war über die Leiche gebeugt, die lange, blonde Haare hatte. Das war alles, was Tristan sehen konnte – die Mähne langen, blonden Haares und die langen Beine einer Tänzerin, verletzt und verschmutzt. Der Rest war verdeckt von dem breiten Rücken des Gerichtsmediziners, der neben der Leiche hockte. Bis er fertig war, war es nicht angeraten, näher heranzugehen, da die Arbeit des Gerichtsmed 13 Mit wild klopfendem Herzen schoss Amanda hoch und knipste das Licht auf dem Nachttisch an. Sie starrte das Telefon einen Moment an, als hätte es sich in etwas verwandelt, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Dann streckte sie zögernd den Arm aus und nahm den Hörer ab. »Hallo?« »Amanda?« Die Stimme war tief und kratzig und klang nicht nach jemandem, den sie kannte. »Wer ist da?«, fragte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wie spät es ist?« »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, sagte die Stimme freundlich. »Ich habe es schon früher versucht, aber du hast nicht abgenommen, und dann habe ich wohl die Zeit aus den Augen verloren. « »Wer sind Sie?« »Ein Freund.« Die Stimme klang nicht bedrohlich, aber sie konnte sie nicht zuordnen. »Nur ein Freund, der möchte, dass du weißt, wie sehr ich dich bewundere.« Amanda beherrschte sich und erwiderte ruhig: »Danke. Das freut mich zu hören, aber es ist wirklich sehr spät, und ich brauche meinen Schlaf. Wenn Sie mich also entschuldigen würden, Mr. – 14 Sein Magen verkrampfte sich, ein Gefühl, das Tristan zuerst nicht einordnen konnte, so unvertraut war es ihm. Aber als Amanda den Satinträger wieder hochstreifte und ihre Brust mit dem Seidenhemd bedeckte, erkannte er es als das, was es war: schlichte Angst. Sie nagte so heftig an ihm, dass sein Herz schmerzhaft schlug. »Erzählen Sie mir von diesen Anrufen«, forderte er sie knapp auf. Du liebe Güte, lass es etwas sein, das nichts mit dem Fall zu tun hat. Tristan fixierte Amanda und war für einen Moment desorientiert. Es war, als würden zwei Bilder zu einem verschmelzen. Er sah sie gleichzeitig auf zwei Ebenen. Einerseits als mögliche Zeugin, oder, noch schlimmer, als potenzielles Opfer, das gerade etwas ausgesprochen hatte, was es unter Umständen mit seinem Fall verband, so dass der Polizist in ihm instinktiv reagierte. Gleichzeitig war sie für ihn die Frau, die ihn sexuell erregte, egal, wo er war oder was er tat, sobald sie auch nur in seiner Nähe war. Amanda zitterte sichtlich vo 15 Tasse und Untertasse fielen ihr aus der zitternden kraftlosen Hand, und für den Bruchteil einer Sekunde wusste Amanda nicht mehr, wo sie war, starrte verständnislos auf das Chaos, das sie angerichtet hatte. Ihre Ohren dröhnten, und sie nahm alles nur verschwommen und grau wahr. Es war, als würde sie mit dem falschen Ende eines Fernglases in einen flimmernden Schwarzweißfernseher blicken. Dann war ihr peripheres Gesichtsfeld plötzlich genauso schnell wieder da, wie es verschwunden war, und sie nahm um sich herum Farben, Geräusche und Aktivitäten wahr. Sie nahm wahr, dass Rhonda sie sanft mit der Hüfte wegschubste, um die Scherben der Tasse zusammenzuwischen, und spürte die Wärme von Tristans Hand auf ihrem Unterarm. Joe Cash verschwand auf ein Nicken von MacLaughlin hin in ihr Schlafzimmer, und Edwards machte sich an dem Apparat, der mit dem Telefon verbunden war, zu schaffen und beobachtete sie. »Wissen Sie noch, was wir vorhin besprochen haben, Amanda?« Tristans Stimme war ernst un 16 Tristan war sich bewusst, dass Amanda aufgewacht war. Er spürte, wie ihre Augen auf ihm ruhten, aber er vollendete seine Pushups, bevor er sich umdrehte und sie anschaute. Sie saß mitten im Bett und hatte das Betttuch keusch um sich geschlagen. Sein Mundwinkel zuckte, als er sich aufrecht hinsetzte. Er hatte jeden einzelnen Zentimeter von ihr vergangene Nacht ausgiebig erforscht, aber so lächerlich es auch sein mochte, ihm gefiel ihre Sittsamkeit. Sie signalisierte, dass er etwas gesehen hatte, was verdammt wenig anderen Männern passiert war. Und dass befriedigte tief sitzende Besitzansprüche, die ihm neu waren. Tristan lächelte sie an.» Guten Morgen, Amanda Rose.« Amanda versuchte, auf Distanz zu bleiben, hatte das Bedürfnis, sich zu wappnen gegen die unvermeidliche Verwandlung vom Geliebten zum Polizisten. Und wenn er entzückt war von ihrer Sittsamkeit, so war sie eher bestürzt über seinen Mangel daran. Wie konnte er nur so gelassen dasitzen, nichts weiter als sein schiefes Lächel 17 Tristan und Amanda verabredeten sich selten wie andere normale Paare. Er befürchtete, sie in Gefahr zu bringen, wenn sie in der Öffentlichkeit mit ihm gesehen wurde. Aber heute Abend hatten sie beschlossen, es zu riskieren, und waren in ein kleines chinesisches Restaurant am Stadtrand gefahren. Über die qualmende, flackernde Flamme der Votivkerze in dem roten Glas hinweg neckten sie einander unbeschwert. »Nimm deine Stäbchen aus meinen Garnelen, MacLaughlin. « Tristan zog seine Stäbchen zurück von Amandas Teller und tat so, als hätte er nicht bemerkt, dass sich immer noch eine hübsche, fette Garnele zwischen ihnen befand. Er kam bis zu ihrem Tellerrand und glaubte schon, gewonnen zu haben. Aber dann gab Amanda ihm mit ihren Stäbchen eins auf die Finger, und die Garnele plumpste zurück auf ihren Teller. »Au.« Er hielt sich die Fingerknöchel an die Lippen und saugte an dem kleinen roten Fleck. »Kein Grund, gleich so gemein zu werden, Lass. Ich wollte nur einen winzigen Bissen abhaben. 18 Tristan kam es vor, als wäre er gerade erst eingeschlafen, als er am Rand des Bewusstseins einen durchdringenden Klingelton wahrnahm. Er öffnete ein Auge einen Spaltbreit, kniff es aber umgehend wieder zu, weil er Schlaf ins Auge bekommen hatte. Hatte er den Wecker gestern Nacht gestellt? Nein. Er wusste, dass er es nicht getan hatte. Tristan presste sich das Daunenkissen über die Ohren und versuchte weiterzuschlafen. Kurz darauf fluchte er und schmiss das Kissen beiseite. Amanda musste das Ding gestellt haben, weil das verdammte Klingeln nicht aufhörte. Er fuhr sich mit belegter Zunge über die trockenen Lippen und tastete blindlings nach dem Wecker. Er hatte bereits zweimal auf den Aus-Knopf gedrückt, bevor ihm aufging, dass das Geräusch möglicherweise gar nicht vom Wecker kam. Er zwang sich, ein Auge zu öffnen, was sich anfühlte, als hätte ihm jemand Sand hineingestreut. Hmm. Das verdammte Telefon klingelte. Er tätschelte beschwichtigend Amandas Hüfte. Sie murmelte im Schlaf, er l 19 »...Krankenhaus sagt, dass ihr Zustand zufriedenstellend ist.« Tristan schaltete den Fernseher aus und blickte auf das Bett, in dem Amanda schlief. Zufriedenstellend. Das war eine Möglichkeit der Betrachtungsweise. Es stimmte, dass ihr Arm heilen und ihre Prellungen zurückgehen würden. Keine ihrer Verletzungen würde von Dauer sein, und er dankte Gott dafür. Tristan wünschte nur, dass er genauso zuversichtlich sein konnte, was ihre seelische Heilung betraf. Zusammengesunken hockte er auf dem Stuhl neben ihrem Bett und hielt Wache. Hinter der geschlossenen Tür konnte er sowohl die gedämpften Geräusche des Krankenhauses hören, in dem die Vorbereitungen für die Nacht getroffen wurden, als auch das gelegentliche Knarren des Stuhls, wenn der Mann vor der Tür, der die Presse fernhalten sollte, seine Position wechselte. Gummisohlen quietschten über das Linoleum, wenn Schwestern ihre Runden machten, und unten vor der Notaufnahme heulte eine Sirene. Aber hier im Zimmer war es dämmrig und ruhi 20 Rhonda sah Amanda an, die in ihrem prüden weißen Baumwollnachthemd auf der Couch saß und fernsah. Sie sah sich eine Game Show an – eine Game Show, du lieber Himmel! Amanda, die so gut wie nie fernsah außer die Nachrichten und eine gelegentlich auf Video aufgenommene Serie von West Wing, verfolgte diesen hirnlosen Schund so aufmerksam, als wäre es Wissenschaft pur. Dabei gab die Show nicht mal vor, eine der intelligenteren zu sein, die ein Minimum an Mitdenken von den Teilnehmern erforderte. Sauer ging Rhonda zum Apparat und schaltete ihn aus. Amanda reagierte kaum, sondern sah sie nur mit dieser gleichbleibenden ausdruckslosen Miene an. Dass die normalerweise an allem interessierte und hellwache Amanda sich bewusst so hängen ließ, führte dazu, dass Rhonda ausrastete. Sie hatte Geduld gehabt, verdammt noch mal. Sie hatte gewartet, dass Amanda aus ihrem Nebel auftauchte. Sie hatte sie nicht gedrängt. Sie hatte die Klappe gehalten, als Amanda ihre neue hübsche Seiden- und Satinunterwäs 21 »MacLaughlin! « Tristan hob den Blick von seinem Schreibtisch, als Sergeant Talbot auf ihn zukam. »Ich übernehme hier«, sagte sein Kollege. »Da ist eine echt heiß aussehende Süße, die schon fast zwei Stunden auf Sie wartet. Musste sie in die Registratur verfrachten, weil die Jungs derartig gesabbert haben, dass mein schöner sauberer Fußboden gefährdet war.« Tristan lächelte leicht, setzte Talbot über die Anklagepunkte seines Festgenommenen ins Bild und ging. Er rückte sich die Brille zurecht. Die »heiß aussehende Süße« war wahrscheinlich Julie, eine kürzlich angeworbene Informantin. Sie war eine Nutte vom Highway 99 in der Nähe des Flughafens, und ihr auffälliger Ornat zeigte in der Regel reichlich Bein und Dekolletee. Dass sie hier auftauchte hieß, dass sie etwas Wichtiges hatte – vielleicht etwas im Hunter-Fall. Normalerweise rief sie ihn einfach an und verabredete sich mit ihm in einer der schwach beleuchteten Spelunken am Pacific Highway South. Er öffnete die Tür zur Registratur
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