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Imperial Library
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Index
I
EINS ankamen, war Sommer, die Landschaft stand in voller Blüte, die Tage waren lang und heiß und das Licht weich. Ich streifte ohne Hemd umher, schwitzte ordentlich und genoss die Umarmung der drückenden Hitze. Damals bekam ich Sommersprossen auf den knochigen Schultern, die Sonne ging gemächlich unter, und die Abende waren zinnern, bevor es dunkel wurde und dann der Morgen wieder durchkam. Auf den Feldern tollten Kaninchen, und wenn wir Glück hatten, wenn es windstill war und ein Schleier sich auf die Hügel legte, sahen wir einen Hasen. ZWEI Daddy ließ uns trinken und rauchen, und als das Gerippe des Hauses errichtet war, brachten wir lange Abende damit zu, warmen Apfelwein zu schlürfen und die Zigaretten zu paffen, die Cathy drehte. Wir hörten Radio und lasen Daddy was vor. Besonders Cathy mit ihrer tiefen, festen Stimme, die jene Worte und Sätze, die unbedingt gehört werden mussten, extra betonte. Als wir noch kleiner waren, hatten wir ihn angefleht, uns einen Fernseher zu besorgen, aber Daddy hatte gesagt, ohne Fernseher seien wir besser dran.
II
DREI Wir spielten unsere albernen Kindheitsspiele noch, als wir längst zu alt dafür waren. Unser Wäldchen bot die Materialien, die wir brauchten, und ein welliges Gelände, in dem wir rennen und uns verstecken konnten. In einer anderen Welt wären wir vielleicht schneller erwachsen geworden, aber das war nun einmal unsere seltsame, waldige Anderswelt, und so wurde nichts draus. Und schließlich war das der Grund, warum Daddy mit uns hergezogen war. Er wollte, dass wir abseits blieben, für uns, abgesondert von der Welt. Wir sollten, wie er sagte, die Chance haben, unser eigenes Leben zu führen. VIER Ein Stück weiter wohnte eine Frau. Ihr Haus war vielleicht zwei Kilometer entfernt, aber zwischen unserer Straße und ihrer gab es nur eine Abzweigung, das machte sie zu einer Nachbarin. Sie lebte allein in dem weißen Haus, das zu beiden Seiten der Haustür ein Fenster hatte, und in den Sommermonaten wuchsen an Spalieren an der Hauswand Wicken. Vor und hinter dem Haus hatte sie einen Garten. Auf der einen Seite parkte sie ihr dunkelblaues Auto, auf der anderen begann das Feld eines Bauern, wo Reihen dunkler Kohlköpfe und dahinter Runkelrüben wuchsen. FÜNF In der Woche vor Weihnachten gab es einen Kälteeinbruch. Mit der Kälte wurde ich träge. Für gewöhnlich beflissen, Daddy draußen bei seiner Arbeit zu helfen, verbrachte ich immer mehr Zeit in der Küche und übernahm die Aufgaben, die es mir erlaubten, drinnen zu bleiben. Ich sorgte dafür, dass das Feuer im Herd immer gut brannte und das Kleinholz im Vorratslager hoch aufgestapelt war, damit nicht zu oft von draußen aufgestockt werden musste. Ich putzte das Haus und backte Kuchen und Mince Pies für den ersten Weihnachtstag. Daddy ging in den Laden im Dorf und kaufte Papierbögen in Gold, Silber, Rot, Weiß und Grün, und ich machte mich daran, sie zu zerschneiden, zu falten und zu Dekorationen zusammenzukleben. SECHS Mr Price war jemand, der beschleunigte, wenn Fußgänger die Straße überquerten. Man konnte hören, wie der Motor anzog, wie er immer lauter und schneller wurde. SIEBEN Wochentags gingen Cathy und ich zu Vivien. Daddy brachte uns hin, trank mit Vivien heißen Tee und ließ uns dann bis mittags dort. Sie gab uns Unterricht wie in der Schule, nur ohne den Ablauf, den man dort erwartet hätte. Der Unterricht orientierte sich an Viviens jeweiligen Interessen oder an dem, was ihr an dem Tag durch den Kopf ging.
III
ACHT Unsere Mutter wohnte damals mit uns bei Granny Morley. Zeitweise. Hin und wieder. Sie kam und ging. Genau wie Daddy. Manchmal kam sie allein, manchmal wurde sie gebracht. Manchmal sahen wir sie, bevor sie nach oben in ihr Zimmer ging. Und manchmal nicht. NEUN Mr Price kam zwei Wochen später wieder. Diesmal brachte er seine Söhne mit. Tom und Charlie Price waren hochgewachsen und schlank. Sie hatten lange, dünne Beine und einen schmalen Rumpf, der so plötzlich den breiten Schultern wich, dass zwischen Brustkorb und Oberarmen das Tageslicht durchschien. Tom war älter und hatte dunkelblondes Haar, vorn bis knapp oberhalb der Ohren und hinten kurz. Charlie hatte dunkles Haar und noch dunklere Augen, die ganz anders waren als die von seinem Vater oder seinem Bruder, und obwohl er auffallend gut aussah, zogen sich um die unteren Lider graue Ringe. Er hatte eine Hakennase, und seine Haut nahm die Farbe des Tages an. An diesem Tag war es bewölkt, deshalb war seine Haut scheckig und blass. Alle drei trugen grüne Gummistiefel und Öljacken. ZEHN Am nächsten Abend gingen wir hin. Den Morgen verbrachten wir zusammen im struppigen, feuchten Gras vor unserem Holzhaus. Nachdem wir früh aufgestanden waren, trug Daddy den Küchentisch und die Stühle nach draußen und breitete eine karierte Decke über den Tisch. Ich briet Eier mit Speck. Cathy machte den Tee, und wir brachten alles ins Freie, um in der kühlen, strahlenden Sonne zu essen. Der Speck stammte von Andrew, dem Metzger, der auch zu Daddys wenigen Freunden gehörte. Er war gut gesalzen, und Andrew hatte ihn dick geschnitten, und ich achtete darauf, ihn erst aus der Pfanne zu nehmen, als die Schwarte knusprig war. Die Eier brutzelten im Bratfett und nahmen das Salz des Specks auf, sodass sich unten eine karamellbraune Kruste bildete, während das Eigelb golden blieb. Ich wärmte die Teller im Ofen vor, dann füllte ich alles auf und legte noch eine Scheibe frisches Brot dazu. ELF Der Frühling begann richtig mit Wolken von Blütenstaub und tanzenden Mauerseglern. Die kleinen Vögel, wieder da, um nach einem Flug von Tausenden von Kilometern zu nisten, wurden vom Wind, der mal warm, mal kalt wehte, hin und her geworfen. Sie waren zu leicht, um wie Möwen oder Krähen auf die Windböen loszugehen, und durch sie sah ich den Wind wie ein Meer. Dicke, weiche Wellen, die an bewaldete Erdküsten brandeten und winzige Geschöpfe gegen vorspringende Felsen warfen. Die Mauersegler surften und tauchten und durchschnitten die unsichtbare Masse, die für sie so laut tosen und heulen musste wie jegliches Meer auf Erden, nur um dann die Luft wieder im Aufwind einzufangen und bis ganz nach oben aufzusteigen. Sie waren Experten. Sie wussten, wie man es macht. Und sie brachten den wahren Frühling. Nicht den Frühling, der zaghafte grüne Triebe durch den verdichteten, erfrorenen Boden schickt, sondern den, der mit einem Farbenrausch und einer Decke aus Licht kommt und Insekten und vermisste, verlorene Vögel auf dem vorherrschenden Südwestwind ausbreitet. ZWÖLF »Der Scheißkerl, der in der Lotterie gewonnen hat.« DREIZEHN Wenn man sich um einen Wald kümmert, bedeutet das, dass dort riesige Abfallhaufen anfallen. Damit sich neue Pflanzen durchkämpfen können, müssen überhängende Zweige, abgebröckelte Rinde und umgestürzte Bäume beseitigt werden. Man muss mit dem Unkraut im Unterholz fertigwerden. Man muss die richtigen Triebe durchkommen lassen und die falschen verhindern. Haselsträucher müssen zurückgeschnitten werden, damit sie im folgenden Jahr wieder sprießen wie die Köpfe der Hydra. VIERZEHN Am nächsten Tag war ich bei Vivien zu Hause. Den größten Teil des Morgens saßen wir beisammen und redeten, doch am Nachmittag ließ sie mich vor dem prasselnden Feuer allein und stieg die Treppe hinauf. Sie wollte sich später am Nachmittag in der Stadt mit jemandem treffen. Sie sagte, sie würde den Abend dort verbringen, in ein Restaurant in Leeds gehen und sich dann mit dieser Freundin oder diesem Freund ein Theaterstück ansehen, und bei ihr oder ihm übernachten. Sie sagte zu keiner Zeit »er« oder »sie«, obwohl ich darauf lauerte, noch erwähnte sie ihren oder seinen Namen, obwohl ich auch darauf lauerte. Ich stellte Fragen, deren Beantwortung normalerweise die Nennung eines Namens oder den Gebrauch von »er« oder »sie« erfordert hätte. Sie beantwortete die Fragen höflich, distanziert und ohne eins dieser Worte zu verwenden.
IV
FÜNFZEHN Mr Royce sagte, unser Feuer habe die Gemeinde wachgerüttelt. Cathy und mir schien das gut. Jetzt, sagte er, gehe es darum, diesen guten Willen in Taten umzusetzen. SECHZEHN Die Mitteilung kam früh, noch bevor wir auf waren. Cathy fand sie in der Diele. Sie war unter der Tür durchgeschoben worden. Cathy machte das Frühstück und legte den Umschlag auf den Küchentisch, ein Beil, das zwischen den gläsernen Milchkrug und die Emailkaffeekanne glitt. SIEBZEHN Als ich erwachte, brach aus einer Knospe malvenfarbenen Halbdunkels die Dämmerung hervor und erblühte blutrot. Meine Lippen öffneten sich zu einem herzhaften Gähnen, und ich sog den kühlen Wind, der sich einen Weg durch das offene Fenster bahnte, in meine sich erwärmende Lunge. Meine Augen waren noch müde, und ich sah das Zimmer durch flatternde Wimpern als eine schnelle Bildfolge. Kondensierter Schweiß klebte die zerschlissene Baumwollbettwäsche an meine nackte Haut. In der Nacht war mein Körper glühend heiß gewesen, heiß von meinen wilden Träumen und unruhigen Armen und Beinen, und jetzt, da es vergleichsweise kühl war, zitterte er. ACHTZEHN Plötzlich war ich wach; es war mitten in der Nacht. Hunde bellten.
V
NEUNZEHN Wenn man vor allem Angst hat, ist nichts besonders furchterregend. Es war Cathy, die die Veränderung zuerst bemerkte. Ich war auf Daddys Geheiß wieder ins Bett gegangen und schnell eingeschlafen. Cathy, die die ganze Nacht und bei Ankunft und Aufbruch des Mannes, der gekommen war, um Daddy zu warnen, geschlafen hatte, war inzwischen auf und flatterte in unserem Häuschen herum wie ein Singvogel, der zum Fenster hereingeflogen ist und jetzt verzweifelt versucht, den Weg nach draußen zu finden. Der Lärm weckte mich, aber ich stand nicht auf, um zu ihr zu gehen. Verängstigt blieb ich mit geschlossenen Augen unter der Bettdecke liegen. Als sie in mein Zimmer gestürmt kam, hätte sie fast die Tür aus den Angeln gehoben. Der Knauf prallte an die Wand, und Splitter des grob aufgetragenen Putzes zerbröckelten zu kreidigem Staub. ZWANZIG Ich erwachte in ihren Armen. Cathy hatte meinen Kopf in ihren Schoß gelegt und hielt ihn. Ich spürte etwas Kaltes und Feuchtes auf der Stirn. Sie wischte mir mit einem Handtuch über Stirn, Wangen und Lippen. Sie hielt eine Flasche Wasser in der Hand, und als sie sah, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, hob sie meinen Kopf an, führte die Flasche an meinen Mund und nötigte mich zu trinken. Durch den Schock des kalten Wassers fühlte sich mein Kopf noch schlimmer an, doch bald merkte ich, wie durstig ich war. Als es mir gut genug ging, um den Arm zu heben, nahm ich die Flasche selbst, leerte sie und dachte dann, dass ich ihr vielleicht etwas hätte übrig lassen sollen. EINUNDZWANZIG Wir blieben mindestens einen Tag, eine Nacht und einen weiteren Tag in dem Schuppen, doch die meiste Zeit schliefen wir, zusammengerollt wie Raupe und Blatt. Man brachte uns etwas zu essen. Brot und Marmelade zum Frühstück, am Abend zwei Pizzas aus der Mikrowelle. ZWEIUNDZWANZIG Rauch trieb übers Wasser. Die Schat-ten waren lange, schmale Zähne, und das Licht ringelte sich zwischen Stämmen und krummen, belaubten Zweigen um die Bäume. Es verwandelte die Blätter in Pergament. Den Morgentau verwandelte es in Staub. Das Wasser auf der Erde glänzte heller als der Himmel darüber und beleuchtete den Rauch von unten wie ein kräftiger Mond hinter Papyruswolken.
VI Danksagung
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Chief Librarian: Las Zenow <zenow@riseup.net>
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