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Für meinen Dad, Myron Picoult, der mich lehrte, ich selbst zu sein.
Es gibt nicht viele Männer auf der Welt,
die niesen können wie eine Ente,
die Nadeln im Heuhaufen finden,
ganz schlechte Wortspiele machen …
und ihre Töchter so vorbehaltlos vergöttern.
Ich liebe dich.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
9. Auflage Juli 2010
ISBN 978-3-492-95329-0
© Jodi Picoult 2000
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Plain Truth«, Pocket Books / Simon & Schuster Inc., New York 2000
© der deutschsprachigen Originalausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2001, erschienen im Verlagsprogramm Kabel
Umschlagkonzept: semper smile, München
Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München
Umschlagmotiv: Thomas Klementsson / Link Image
Datenkonvertierung E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck
TEIL I
1
Sie hatte oft davon geträumt, wie ihre kleine Schwester tot unter dem Eis trieb, aber heute nacht sah sie zum erstenmal, wie Hannah verzweifelt die Finger ins Eis krallte. Sie konnte Hannahs Augen sehen, weit aufgerissen und milchig, sie spürte Hannahs Nägel übers Eis kratzen. Dann wachte sie plötzlich auf. Es war nicht Winter – es war Juli. Unter ihren Händen war kein Eis, bloß zerwühlte Bettlaken. Doch wieder war auf der anderen Seite jemand, der sich mit aller Kraft zu befreien versuchte.
2
Ellie
In meinen Alpträumen sah ich lauter Kinder. Vor allem sechs kleine Mädchen, deren Knie unter den karierten Trägerröcken der St.-Ambrose’s-Schuluniform hervorschauten. Ich sah sie innerhalb eines Augenblicks erwachsen werden; in dem Moment, als die Geschworenen meinen Mandanten freisprachen, den Grundschulrektor, der sie sexuell mißbraucht hatte.
3
Nee!« kreischte Katie und trat nach dem Sanitäter, der sie in den Rettungswagen schob. »Ich will net geh!«
4
Ellie
Als George Callahan aufsprang und lautstark Einspruch erhob, mußte ich mich selbst davon abhalten, ihn zu unterstützen. Herrgott, was war bloß in mich gefahren? Ich war völlig ausgelaugt nach East Paradise gekommen und hätte nicht im Traum daran gedacht, irgendeinen Fall zu übernehmen, schon gar nicht so einen – und jetzt hatte ich mich freiwillig bereit erklärt, Katie Fishers Aufpasserin zu spielen. Fassungslos und wie durch Watte hindurch hörte ich, wie der Richter den Einspruch ablehnte, die Kaution unter den vorgeschlagenen Bedingungen auf 20 000 Dollar festsetzte und mich in das Gefängnis steckte, das ich mir selbst gebaut hatte.
5
Aaron kam eilig in die Küche und setzte sich an den Tisch, während Sarah eine Tasse Kaffee vor ihn hinstellte. »Wo ist Katie?« fragte er stirnrunzelnd.
6
Ellie
Lassen Sie mich eines klarstellen: Ich kann nicht nähen. Man gebe mir Nadel und Faden und eine Hose, die umgenäht werden muß, und es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß ich mir den Stoff an den Daumen nähe. Strümpfe mit Löchern drin schmeiße ich weg.
7
Der breite Lichtstrahl glitt über ihre Beine, wanderte die Wand hinauf und über die Zimmerdecke. Katie stützte sich mit pochendem Herzen auf die Ellbogen. Ellie schlief; das war gut so. Sie kroch aus dem Bett und sah aus dem Fenster. Zuerst erkannte sie nichts. Dann nahm Samuel seinen Hut ab, und das Mondlicht fiel auf sein helles Haar. Katie atmete tief durch, schlüpfte in ihre Kleider und eilte nach draußen.
8
Ellie
Mein Lieblingsplatz auf der Farm war die Milchkammer. Dank des Kühltanks war die Temperatur angenehm, selbst zu den heißesten Tageszeiten. Es roch nach Eiscreme und Winter, und mit ihren weißen Wänden und dem peinlich sauberen Boden war sie ideal zum Nachdenken. Sobald mein Laptop wieder Strom hatte, nahm ich ihn mit in die Milchkammer, um zu arbeiten.
9
Manchmal, wenn Jacob Fisher in seinem winzigen Assistentenbüro in der Englischfakultät saß, konnte er es kaum fassen. Es war noch gar nicht lange her, daß er Shakespearedramen unter Futtersäcken im Stall versteckt hatte, daß er die ganze Nacht beim Schein einer Taschenlampe gelesen hatte, um am nächsten Morgen hundemüde seine Arbeit zu erledigen, trunken von dem, was er gelernt hatte. Und jetzt war er hier umgeben von Büchern und wurde dafür bezahlt, sie zu analysieren und junge Menschen zu unterrichten, die die gleichen Sterne in den Augen hatten wie er damals.
10
Ellie
Oktober
Nach drei Monaten bei den Fishers konnte ich mir kaum vorstellen, daß ich noch vor gar nicht langer Zeit ein reiner Stadtmensch gewesen war. Leider fielen die letzten Wochen vor Katies Prozeß mitten in die Erntezeit, was meine Hoffnungen, die Familie würde mich bei der Vorbereitung der Verteidigung unterstützen, zunichte machte. Aaron Fisher hatte jetzt nur zwei Dinge im Kopf: rechtzeitig den Tabak ernten und die Silos füllen. Und ich mußte mit anpacken.
TEIL II
11
Richterin Philomena Ledbetter beobachtete, wie die Anwältin zum dritten Mal, seit sie ins Richterzimmer getreten war, nach ihrem Stift tastete. Die großstädtische Erfolgsanwältin Ellie Hathaway wirkte so nervös wie eine Anfängerin – und das war um so eigenartiger, als sie noch gestern selbstbewußt und kompetent aufgetreten war. »Ms. Hathaway«, sagte die Richterin. »Sie haben um ein erneutes Gespräch gebeten?«
12
Ellie
Die kleine Bibliothek im Gerichtsgebäude befand sich genau über dem Zimmer von Richterin Ledbetter. Obwohl ich eigentlich die jüngsten, auf Präzedenzfällen beruhenden Urteile in Neonatizid-Prozessen durcharbeiten wollte, hatte ich in den vergangenen zwei Stunden überwiegend auf den abgetretenen Holzboden gestarrt, als könnte ich durch die Ritzen hindurch das Herz der Richterin erweichen.
13
Niemals hätte Lizzie Munro sich träumen lassen, eines Tages gegen eine amische Mordverdächtige auszusagen. Das Mädchen saß am Tisch der Verteidigung, neben ihrer energischen Anwältin, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet, wie eines von diesen kitschigen Figürchen, mit denen Lizzies Mutter gern ihre Fensterbänke verunstaltete. Lizzie fand sie abscheulich – die zuckersüßen Engelchen, die rehäugigen Hirtenjungen, einfach unerträglich. Und bei Katie Fishers Anblick ging es Lizzie ähnlich, sie konnte kaum hinsehen.
14
Ellie
Das ist eindeutig falsch«, sagte ich mit Blick auf den Schwangerschaftsteststreifen zu Katie.
15
Ohne Kamillentee hätte Ellie es am Montag morgen kaum aus dem Haus geschafft. Als sie nach einer schlaflosen Nacht und morgendlicher Übelkeit hinunter in die Küche kam, stand eine dampfende Tasse mit einem Teller Salzbrezeln auf ihrem Platz. Katie und Sarah machten den Abwasch. »Ihr wißt ja, daß wir heute mit Leda fahren müssen«, sagte Ellie und wappnete sich insgeheim gegen den Geruch der Frühstücksreste. »Coop erwartet uns am Gericht.«
16
Ellie
In der Nacht, bevor die Vernehmung der Zeugen der Verteidigung begann, träumte ich, daß ich Coop als Zeugen aufrief. Ich stand vor ihm in einem leeren Gerichtssaal. Hinter mir erstreckte sich der Zuschauerraum wie eine dunkle Wüste. Ich öffnete den Mund, um ihn nach Katie zu befragen, doch statt dessen flog mir eine andere Frage aus dem Mund wie ein Vogel, der darin gefangen gewesen war: Werden wir in zehn Jahren noch glücklich sein? Verärgert preßte ich die Lippen zusammen und wartete auf seine Antwort, aber Coop hielt den Blick gesenkt. »Ich brauche eine Antwort, Dr. Cooper«, drängte ich, und als ich näher an den Zeugenstand herantrat, sah ich Katies totes Baby in seinem Schoß liegen.
17
Als Katie mit starkem Seitenstechen die Zufahrt hochgerannt kam, waren die Männer schon beim Melken. Sie hörte die Geräusche aus dem Stall. Durch die weit geöffnete Tür hindurch sah sie Levi eine Schubkarre schieben, Samuel hockte vor einer Kuh und setzte die Pumpe an das Euter. Ein Saugen, ein Ziehen, und schon strömte die weiße Flüssigkeit durch den Schlauch in die Milchkanne.
18
Ellie
Einen ganzen Tag später waren die Geschworenen noch immer nicht zu einer Entscheidung gelangt.
19
Erst als George Callahan eine ganze Packung Magentabletten geleert hatte, mußte er sich eingestehen, daß der Fall ihn buchstäblich bei lebendigem Leib auffraß. Er war sich seiner Sache so sicher gewesen, und jetzt beschlichen ihn doch langsam Zweifel. Er fragte sich, wer von den Geschworenen sich wohl sperrte – der tätowierte Bursche? Die Mutter von vier Kindern? Er fragte sich, ob er noch genug Zeit hatte, nach dem Mittagessen zur Apotheke zu fahren, oder ob er in den Gerichtssaal gerufen werden würde, sobald er auf dem Highway war. Er fragte sich, ob Ellie Hathaway auch drei schlaflose Nächte hinter sich hatte.
20
Ellie
Es ist komisch, wie viele Dinge sich in so kurzer Zeit anhäufen können. Ich war mit einem einzigen Koffer auf die Farm gekommen, doch als ich jetzt meine Sachen packte, paßte kaum noch alles hinein. Ich mußte meinen ersten und vermutlich letzten Quilt verstauen, der eines Tages das Bettchen meines Kindes schmücken würde, den Strohhut, den ich bei der Arbeit auf den Feldern getragen hatte, und auch den schönen flachen Stein, den ich im Bach gefunden hatte, sowie eine Streichholzschachtel aus dem Restaurant, in dem ich mit Coop essen war. Und schließlich waren da noch die Dinge, die in gar kein Gepäckstück passten: Geist, Demut, Friede.
Danksagung
Auch diesmal schulde ich vielen Menschen Dank: Dr. Joel Umlas, Dr. James Umlas und Dr. David Toub für ihre sachkundige medizinische Beratung; Dr. Tia Horner und Dr. Stuart Anfang für ihre Erklärungen zu forensischer Psychiatrie und klinischen Therapiegesprächen; Dr. Catherine Lewis und Dr. Neil Kaye, die mir halfen das Phänomen des Neugeborenenmords zu begreifen; meinem Schwiegervater Karl van Leer, der nicht ein einziges Mal stutzte, wenn ich anrief und ihm Fragen über das Besamen von Kühen stellte; Kyle van Leer, der einen »Keksmond« sah und mir erlaubte, ihn mir auszuleihen; Teresa Farina für ihre schnellen Abschriften; Dr. Elizabeth Martin, die Listerien fand und mir Autopsien erläuterte; Steve Marshall, der mit mir auf Geisterjagd ging; Brian Laird für seine Geschichten; Allegra Lubrano, der jedesmal, wenn ich in heller Aufregung anrief, um »nur mal rasch was zu fragen«, ganz unbekannte gesetzliche Bestimmungen einfielen; Kiki Keating, Ausnahmeanwältin, die sich die Zeit nahm, mit mir nach Lancaster zu fahren und abendelang, über den Kassettenrecorder gebeugt, Aussagen auszuwerten; und Tim van Leer für alles. Ich danke auch Jane Picoult, die diesmal einen Satz für sich allein haben wollte, für ihre Klugheit und ihre hilfreichen Kommentare. Laura Groß danke ich für das gleiche und dafür, daß sie möglicherweise der einzige Mensch im Verlagswesen ist, der möchte, daß ich schneller schreibe. Ich danke Emily Bestler und Kip Hakala – und hebe mein Glas auf den Beginn einer wunderbaren Beziehung. Und ich danke Camille McDuffie – zum dritten Mal meine gute Fee. Dank schulde ich den Werken von John Hostetler und Donald Kraybill sowie den Menschen, die ich in Lancaster, Pennsylvania, kennenlernte und ohne die dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können: Maribel Kraybill, Lt. Renee Schuler und vor allem Louise Stoltzfus, selbst eine wundervolle Schriftstellerin, deren Beiträge für mich von unschätzbarem Wert waren. Zu guter Letzt gilt mein Dank den amischen Männern, Frauen und Kindern, deren Bekanntschaft ich machte, die mir großzügig ihre Häuser und Herzen öffneten und mich eine kleine Weile lang an ihrer Welt teilhaben ließen.
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