Log In
Or create an account ->
Imperial Library
Home
About
News
Upload
Forum
Help
Login/SignUp
Index
Kapitel 1 »Und der diesjährige Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht an ›Geborgte Stunden‹ von Stefanie May!« Tosender Applaus brandet auf, während ich mich mit wackeligen Knien erhebe und in Richtung Bühne stolpere. Jemand fasst mich am Handgelenk, wirbelt mich zu sich herum und drückt mir einen langen Kuss auf die Lippen. »Herzlichen Glückwunsch, Fanny. Du hast es verdient«, sagt der Mann. Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, aber sein Gesicht ist merkwürdig verschwommen. Verwundert kneife ich die Lider zusammen. Muss der Schock sein, beschließe ich dann. Ist ja auch kein Wunder. Du meine Güte, mein Roman gewinnt einen Preis. Wo sich doch für meine ersten beiden Bücher niemand wirklich interessiert hat. Meine beste Freundin Julia sitzt in der ersten Reihe und klatscht wie verrückt in die Hände. Ich darf auf keinen Fall vergessen, sie in meiner Dankesrede zu erwähnen. Wie oft hat sie sich mein Gejammer angehört, dass niemand meine Bücher lesen will? W
Kapitel 2 Mir ist alles andere als wohl in meiner Haut, als ich am nächsten Vormittag die Telefonnummer meiner Eltern wähle. Besonders mein Vater hat immer an meinen großen Durchbruch als Autorin geglaubt. Und ich kann erst dann wirklich loslassen, wenn ich auch diese Seifenblase habe platzen lassen. Ich hoffe, es wird nicht allzu schlimm werden. Während ich inbrünstig bete, dass meine Mutter ans Telefon geht, meldet sich eine sonore Stimme am anderen Ende der Leitung. »Papa, hallo, ich bin es«, seufze ich. Auch das noch. »Fanny, wie geht’s?« »Ach, ganz gut eigentlich.« »Raus damit, wo drückt der Schuh?« Er kennt mich einfach zu gut. Also rücke ich damit heraus, ohne lange um den heißen Brei herumzureden. »Papa, bist du noch da?«, frage ich vorsichtig in den Hörer, nachdem ich geendet habe. »Fanny, meinst du nicht, dass du das überstürzt?« »1508 verkaufte Bücher. Hast du mir nicht zugehört? « »Doch, doch, schon. Aber manchmal braucht Qualität eben Zeit, um sich durchzusetzen.« Das habe
Kapitel 3 Am nächsten Morgen habe ich erstmal ganz andere Sorgen. Mich um sechs Uhr aus dem Bett zu quälen ist wider meine Natur. Als der Wecker neben mir zu klingeln beginnt, fühlen meine Augen sich an, als wären die Lider von innen mit Schmirgelpapier ausgelegt. Nicht einmal die Aussicht, heute möglicherweise David wiederzusehen, kann mich aufmuntern. Eher im Gegenteil. Wie soll ich einen Job machen, von dem ich, seien wir ehrlich, nicht die leiseste Ahnung habe, wenn ich ständig fürchten muss, dass dieser Adonis um die Ecke kommt und mich mit seinen goldgrünen Augen verzaubert? Alleine bei dem Gedanken daran beginnt mein Herz aufgeregt zu klopfen. Schon ein wenig munterer schwinge ich die Beine aus dem Bett und trete dabei auf meinen Arbeitsvertrag, der auf dem Fußboden liegt. Eigentlich wollte ich den gestern Abend noch durchgelesen haben, aber dann hatte ich doch keine Lust mehr. Flüchtig überfliege ich die Zeilen, es wird schon alles seine Richtigkeit haben. Ich angele mir einen
Kapitel 4 Fix und fertig schleiche ich nach meinem ersten Arbeitstag um halb neun die Stufen zu unserer Wohnung hoch. Im zweiten Stock steigt mir der Duft von frisch angebratenem Knoblauch in die Nase, was mich meine Schritte voller Hoffnung beschleunigen lässt. Tatsächlich steht Julia in unserer Küche am Herd, eine knallgrüne Schürze um die Hüften gebunden und brutzelt eins ihrer vorzüglichen Nudelgerichte. »Willkommen daheim«, ruft sie mir zu, »es gibt Spaghetti mit Scampi in Weinsoße.« »Edel.« Erschöpft lasse ich mich auf einen Stuhl fallen. »Wir haben ja auch was zu feiern. Dein erster Arbeitstag beim Fernsehen. Ich will alles hören.« Sie schenkt ein Glas Weißwein ein und reicht es mir. »Ich bin vollkommen erledigt. Und außerdem muss ich heute noch mindestens die ersten fünf Folgen von ›Liebe à la carte‹ ansehen.« Schuldbewusst schaue ich auf den liebevoll gedeckten Tisch. »Ehrlich?« Ich nicke zerknirscht, aber Julia scheint von der Idee begeistert zu sein. »Dann erzählst du mir vo
Kapitel 5 »Guck mal, was ich gerade über David gelesen habe.« Als ich in die Küche zurückkehre, wedelt Julia mir mit der heutigen Ausgabe des BLATTs vor der Nase herum. »Das ist doch nicht zu fassen. So ein Arschloch!«, schimpft sie vor sich hin, während ich den Artikel überfliege. »Das hätte ich mir ja denken können. Niemand kann so aussehen und dabei nett bleiben.« »Die arme Nadja. Ob sie es schon gelesen hat?« Aus seinen hellbraunen Augen sieht Felix mich fragend an. »Ich, äh, also …«, stammele ich, während ich noch versuche, das soeben Gelesene zu verdauen. »Und seine arme Freundin erst«, regt Julia sich auf und klatscht mit Schwung eine Riesenportion Lasagne auf meinen Teller, dass die Soße nur so spritzt. »Verzeihung. Hier«, sie reicht mir ein Stück Haushaltspapier. »Was Männer sich so rausnehmen. Eigentlich müssten sich die Frauen zusammentun und ihn beide verlassen, aber vermutlich hassen sie einander und jede wird versuchen, ihn für sich zu behalten.« »Du glaubst doch nicht, d
Kapitel 6 In der folgenden Woche bekomme ich Julia kaum zu Gesicht und als ich am Samstagmorgen die Augen aufschlage, frage ich mich besorgt, ob sie mir unsere kleine Streiterei möglicherweise übelnimmt. Sollte ich mich vielleicht bei ihr entschuldigen? Auch wenn ich die Wahrheit gesagt habe, hätte ich sie ja nicht gleich so anschreien müssen, Rotwein hin oder her. Sie kann ja schließlich nichts dafür, dass sie die hübschere von uns beiden ist. Verschlafen taste ich nach dem Wecker, der neben meiner Matratze auf dem Boden steht. Kurz nach zehn. Ein kleines Nickerchen gönne ich mir noch, dann stehe ich auf und besorge für Julia und mich frische Croissants und Milchkaffee, beschließe ich und drehe mich wohlig auf die Seite. Vielleicht gibt es in der »Kaffeepause«, einem kleinen Bistro in unserer Straße, sogar noch einen von diesen köstlichen Double-Chocolate-Muffins, die Julia so liebt. Und dazu einen extragroßen Caramel-Macchiato. »Guten Morgen, Schlafmütze.« Verwirrt setze ich mich auf
Kapitel 7 In den nächsten Tagen läuft Matthias mit einem langen Gesicht durch die Gegend und ist, sogar unabhängig von seinem Koffeinpegel, ziemlich unausstehlich. Ständig faselt er etwas von undankbaren Schauspielern mit Starallüren und gebärdet sich, als hätte David mit seiner Weigerung, sich für den Kalender ablichten zu lassen, eine der sieben Todsünden begangen. Dann wiederum diene ich meinem Chef als Blitzableiter, als wäre es meine persönliche Verantwortung, David zu überzeugen. Mir ist all das angebliche Chaos relativ gleichgültig. Was kümmert es mich, ob unser »gesamtes Konzept« zusammenbricht? David findet meine Haare toll. Mehr muss ich gar nicht wissen. Es ist sieben Uhr am Freitagabend, der Drehtag ist zu Ende, und ich schnappe mir erleichtert meine Tasche. Es war eine anstrengende Woche, und ich sehne mich danach, mich mit einer Tasse Tee im Bett zu verkriechen, die heutige Folge von »Liebe à la carte« zu gucken, die im Videorekorder auf mich wartet, und früh schlafen z
Kapitel 8 Ich liege nackt in dem zwei mal zwei Meter großen Bett, das in einem typischen Männerschlafzimmer steht. Viel Schwarz, viel Chrom, champagnerfarbene Satin-Bettwäsche, mehrere schwarz-weiße Aktfotos von schlanken, schönen, glänzenden Frauenkörpern an den Wänden, neben denen ich mich äußerst unvollkommen fühle. Ich ziehe die Decke bis unter mein Kinn hoch und wende mich dem schlafenden Mann neben mir zu. Seinen Arm hat er unter meinen Nacken geschoben, er liegt auf der Seite, dicht an mich gekuschelt und atmet friedlich. Ich beobachte das leichte Flattern seiner Augenlider und zeichne ganz sanft mit meinem Zeigefinger die Linie seiner Augenbrauen nach. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf flüstert mir zu, dass ich gerade einen großen Fehler begangen habe. Aber wer sagt denn, dass Beziehungen nicht funktionieren, nur weil man beim ersten Date miteinander geschlafen hat? Gibt es irgendwelche statistischen Erhebungen darüber? Was soll gut daran sein, gegen die eigenen Gefühle zu
Kapitel 9 »Also, ich weiß nicht so recht«, sagt David zweifelnd und lässt das BLATT sinken. »Und das soll irgendjemand glauben? Außerdem ist der Artikel fürchterlich geschrieben, findest du nicht?« Er sieht mich fragend an. »Ich meine, den hast du doch nicht geschrieben, oder? In diesem Fall …« »Nein, nein.« Mit dem Zeigefinger male ich Muster auf seine nackte Brust. »Ich schreibe nur die Pressemitteilungen, und die Journalisten bereiten das Ganze dann reißerisch auf.« »Reißerisch, ja, das ist wohl der richtige Ausdruck.« Kurzerhand nehme ich ihm die Zeitung aus der Hand und werfe sie in hohem Bogen auf den Fußboden. »Ist doch egal. Du weißt doch, in der Schlagzeile von heute wird morgen Fisch eingewickelt. Immerhin hat die Geschichte ihren Zweck erfüllt. Deine Musik findet Beachtung, und einen Plattenvertrag hast du jetzt auch. Und zwar so.« Ich schnippe mit den Fingern und kuschele mich dann wieder an ihn, schließe die Augen und genieße es, Davids warmen, nackten Körper an meinem zu
Kapitel 10 Am darauffolgenden Freitagabend liege ich erschöpft von einer langen Woche in Davids Bett, während der an der Wohnungstür unser Abendessen entgegennimmt. Es gibt chinesisch, für ihn Ente süßsauer, für mich gebratene Nudeln mit Huhn und Gemüse. Auf dem Fußboden stapelt sich eine Vorauswahl von sechs DVDs, von denen ich jetzt eine auswählen soll. Ich lehne mich über den Bettrand, um danach zu greifen, als mein Blick auf einen dicken Stapel Papier unter dem Bett fällt. Neugierig ziehe ich ihn hervor, nachdem ich mich mit einem schnellen Blick davon überzeugt habe, dass die Zimmertür nach wie vor halb angelehnt ist. Es ist vielleicht nicht die feine englische Art, aber schließlich liegt der Stapel hier ziemlich frei in der Gegend herum, und ich möchte einfach einen kurzen Blick darauf werfen. Ich lese ein paar Zeilen des ersten bedruckten Blattes, und irgendwie kommen sie mir merkwürdig bekannt vor. Aber das kann doch gar nicht sein. Hektisch beginne ich zu blättern und schließl
Kapitel 11 An diesem Tag ist in der Produktion die Hölle los, und ich erlebe meinen Chef schlecht gelaunt wie nie. Ich selber habe in der Nacht vor Erscheinen des Artikels kaum geschlafen, und bin jetzt sehr erleichtert, dass von der »schönen Unbekannten« auf dem Bild eigentlich gar nichts zu erkennen ist. Nur eine dunkle Jacke und unter der Kapuze hervorquellende Locken, und weil es sich um einen Schwarz-Weiß-Druck handelt, kann meine Haarfarbe mich nicht verraten. Dennoch bin ich wahnsinnig wütend auf SONNENSCHEIN und habe heute Morgen als Erstes ihren Account im Forum gelöscht. »Das ist eine riesengroße Scheiße«, flucht Matthias und wirft die Zeitung in hohem Bogen in den Mülleimer. Ich muss ihm Recht geben. Immerhin war der Journalist vom BLATT so nett, uns das Erscheinen des Bildes anzukündigen und die Möglichkeit für eine Stellungnahme zu geben, aber ich muss auch sagen, dass unsere Erklärungen mehr als fadenscheinig klingen. »Es muss doch möglich sein, dass David mal einen Kaffe
Kapitel 12 Auch wenn mein Chef sich über Nadjas Benehmen bei der Preisverleihung mal wieder maßlos aufregt, ist der Rest der Produktion nach diesem dreifachen Sieg vollkommen aus dem Häuschen vor Begeisterung. Prompt ziehen am folgenden Montag auch die Zuschauerquoten wieder an, was die Scarlett-Studios dazu veranlasst, die Spendierhosen anzuziehen und am nächsten Wochenende eine große Siegesfeier zu schmeißen. Eigens zu diesem Zweck wurde ein großes Schiff angemietet, mit dem die dreihundert Gäste gemütlich unter dem hoffentlich klaren Sternenhimmel über die Elbe schippern werden. Wenn ich nicht so verdammt dämlich gewesen und einfach mal zur Abwechslung die Klappe gehalten hätte, könnte ich als die Frau an Davids Seite seinen Preis in dieser romantischen Atmosphäre feiern. Stattdessen begegnen wir uns in dieser Woche wie zwei Fremde. Am liebsten würde ich gar nicht erst zur Party gehen, lasse mich aber schließlich von Felix breitschlagen und schmeiße mich in mein kleines Schwarzes. W
Kapitel 13 Als ich am Montagmorgen ein bisschen verspätet die Treppen zur Presseabteilung hinaufeile und in unseren Büroflur einbiege, steht plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, David vor mir. »Hast du mich erschreckt.« Ich bremse abrupt ab, um ihn nicht über den Haufen zu rennen. »Guten Morgen.« Versöhnlich lächele ich zu ihm auf. Das ganze Wochenende habe ich mich mit dem Gedanken herumgequält, dass ich vor seinen Augen mit Felix herumgeknutscht habe. Ich bin froh, dass ich jetzt die Möglichkeit bekomme, die Sache aufzuklären. Doch bevor ich auch nur den Mund öffnen kann, hält er mir mit unbeweglichem Gesicht das BLATT von heute unter die Nase. »Lies vor«, fordert er mich zähneknirschend auf. »Nadja Reichert: Lesbisch«, lese ich die Titelschlagzeile. »Ach du Schande!« Erschrocken sehe ich ihn an. »Wie konnte das denn passieren?« »Genau das will ich jetzt von dir wissen!« »Von mir?« »Von wem denn sonst? Los, sag schon, wem hast du auf der Party im Suff von Nadja erzählt?« Ertappt z
Kapitel 14 Am nächsten Tag ist das Wetter traumhaft, und ich beschließe, mich in das nur wenige Meter entfernte Strandcafé zu setzen, um dort zu frühstücken. Unter einem gelb-weißen Sonnenschirm finde ich ein windstilles Plätzchen und genieße einen Cappuccino und ein frisch aufgebackenes Croissant, als mein Telefon klingelt. »Ich hab dich auch lieb, Süße«, sagt Julia statt einer Begrüßung. »Wie geht es dir?« »Gar nicht so schlecht.« Am anderen Ende der Leitung gibt Julia einen überraschten Laut von sich. Das hat sie schon seit längerem nicht mehr von mir gehört. Ich erzähle ihr von Annabelles Geschichten und lese ihr sogar ein paar Seiten aus dem kleinen Buch, das ich in meiner Handtasche mitgenommen habe, vor. Wie erwartet kann sie sich vor lauter Begeisterung kaum halten. »Fanny, das ist ja unglaublich. Sogar David hast du dir schon als Kind herbeigewünscht.« »So ein Quatsch.« Bei der Nennung seines Namens sinkt meine Laune schlagartig. »Ach komm, der gut aussehende dunkelhaarige Pri
← Prev
Back
Next →
← Prev
Back
Next →