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S. Boblest et al.Spezielle und allgemeine Relativitätstheoriehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-63352-6_22

22. Klassifizierung von Sternen

Sebastian Boblest1  , Thomas Müller2   und Günter Wunner3  
(1)
Dürnau, Deutschland
(2)
Max-Planck-Institut für Astronomie, Haus der Astronomie, Heidelberg, Deutschland
(3)
Universität Stuttgart, 1. Institut für Theoretische Physik, Stuttgart, Deutschland
 
 
Sebastian Boblest (Korrespondenzautor)
 
Thomas Müller (Korrespondenzautor)
 
Günter Wunner (Korrespondenzautor)

Bei der Beobachtung und Erforschung von Sternen ist es, wie in jeder anderen Wissenschaft, sehr hilfreich, eine Unterteilung in bestimmte Typen vorzunehmen. Von der Erde aus erhalten wir von einem Stern Informationen über seine scheinbare Helligkeit und sein Spektrum. Vereinfacht erscheinen eher kühlere Sterne rötlich, sehr heiße Sterne bläulich. Man unterscheidet hier dann verschiedene Spektralklassen von Sternen. Wie wir bereits in Abschn. 1.​5.​3 gesehen haben, liefert die scheinbare Helligkeit eines Sterns natürlich keine Aussage über seine physikalischen Eigenschaften, weil sie von der Entfernung abhängt. Es ist daher sinnvoller, Sterne nach ihrer absoluten Helligkeit zu klassifizieren. Das setzt allerdings voraus, dass diese ausreichend genau bestimmt werden kann, man also die Entfernung zum jeweiligen Stern bestimmen kann.

22.1 Hertzsprung-Russell-Diagramm

Trägt man Sterne entsprechend ihrer absoluten Helligkeit und der Spektralklasse in einem Bild auf, so ergibt sich das Hertzsprung-Russell-Diagramm 1 (HRD).

Abb. 22.1 zeigt ein Beispiel für ein solches Diagramm. Die Namen der Spektralklassen sind historisch begründet und haben keine physikalische Bedeutung. Ein Merkspruch für diese Klassen lautet

Oh Be A Fine Girl Kiss Me!

Dabei sind die Klassen L und T nicht eingeschlossen. Sie umfassen die lichtschwachen braunen und roten Zwerge und wurden erst später eingeführt. Trägt man eine große Menge bekannter Sterne in dieser Form auf, so erkennt man, dass die meisten Sterne auf einer Linie von rechts unten nach links oben im Diagramm liegen, der sogenannten Hauptreihe. Diese Sterne heißen dementsprechend Hauptreihensterne. Die kleinsten Sterne auf der Hauptreihe sind die roten Zwerge. In Objekten noch geringerer Masse kann keine Wasserstofffusion stattfinden. In diesem Zwischenbereich zwischen Sternen und Planeten liegen die braunen Zwerge ohne Wasserstofffusion, möglicherweise aber mit Deuteriumfusion, die bereits bei niedrigeren Temperaturen ablaufen kann. Allerdings ist die Energieproduktion durch Fusion in braunen Zwergen nur klein und die Helligkeit dieser Objekte daher sehr niedrig. Unterhalb der Hauptreihe liegen die heißen aber dennoch sehr leuchtschwachen weißen Zwerge, darüber die Riesen. Die Sonne ist ein Stern vom Spektraltyp G und hat, wie bereits erwähnt, eine absolute Helligkeit von 4,7m.
Abb. 22.1

Im Hertzsprung-Russell-Diagramm sind Sterne nach absoluter Helligkeit und Spektralklassen sortiert. (Diese Abbildung basiert auf einer gemeinfreien Vorlage [3], mit freundlicher Genehmigung)

Neben der Auftragung der absoluten Helligkeit über der Spektralklasse werden auch Diagramme mit anderen, verwandten Größen verwendet. So existiert ein Zusammenhang zwischen der Spektralklasse und der effektiven Temperatur, die wir in (18.​18) eingeführt haben, und die absolute Helligkeit ist ein Maß für die Leuchtkraft, die man wiederum zweckmäßigerweise in Einheiten der Sonnenleuchtkraft darstellen kann. Weiter gibt man statt der effektiven Temperatur auch oft die B-V-Helligkeit an. Dabei vergleicht man die Magnitude des Sterns bei kürzeren (blauen) Wellenlängen mit der im visuellen Bereich. Eine hohe Leuchtkraft in einem Bereich bedeutet eine kleine Magnitude. Für heiße Sterne ist die B-Magnitude daher kleiner als die V-Magnitude und der B-V-Wert dementsprechend klein, für kühlere Sterne gilt das Gegenteil. Abb. 22.2 zeigt als Beispiel ein HRD aller Sterne im Hipparcos-Katalog [4] mit einer Entfernung bis 100 Lichtjahre, das sind etwa 1700 Sterne. Man erkennt eine deutliche Häufung auf einer Kurve von rechts unten nach links oben im Diagramm, auf der die Hauptreihensterne liegen.
Abb. 22.2

HRD der Sterne mit bis zu 100 Lichtjahren Entfernung von der Erde. Gezeigt sind nur Sterne mit einem maximalen Parallaxenfehler von 5 % und einem maximalen Fehler der B-V-Helligkeit von 0,025m. Proxima Centauri ist ein roter Zwerg der Spektralklasse M am Südhimmel. Sirius der hellste Stern am Nachthimmel und Teil des Wintersechsecks, Wega ist der Hauptstern der Leier. V* DN Dra und der nach seinem Entdecker benannte Van Maanens Stern sind zwei weiße Zwerge. Die Daten stammen aus dem Hipparcos-Katalog [4], abgerufen über das Nasa HEASARC [5]

Der Hipparcos-Satellit hatte von 1989 bis 1993 die Sternorte, Parallaxen und Eigenbewegungen von über 118.000 Sternen mit einer zuvor unerreichten Präzision von etwa 0,003″ bzw. 0,002″/Jahr vermessen. Sein wissenschaftlicher Nachfolger war der 2013 gestarte Gaia-Satellit, der diese Beobachtungen auf 1,8 Milliarden Sterne erweitern konnte. Ein auf diesen Messungen beruhendes verfeinertes HRD von vier Millionen Sternen mit einer Entfernung bis 5000 Lichtjahren von der Erde zeigt Abb. 22.3.
Abb. 22.3

Das mit dem Gaia-Satelliten gewonnene HRD von vier Millionen Sternen mit bis zu 5000 Lichtjahren Entfernung von der Erde. BP und RP bezeichnen die vom blauen bzw. roten Photometer gemessen Magnituden. (ⒸESA/Gaia/DPAC, CC BY-SA 3.0 IGO)

22.2 Evolution von Sternen

Da sich die Eigenschaften von Sternen, etwa beim Übergang zwischen verschiedenen Fusionsphasen im Laufe der Zeit verändern, bleiben Sterne im Laufe ihres Lebens nicht immer an der gleichen Stelle im HRD, sondern durchlaufen einen bestimmten Pfad darin, etwa aus der Hauptreihe zu den Riesen und von dort zu den weißen Zwergen. Abb. 22.4 zeigt als Beispiel die Trajektorien für drei Sterne mit M = 0,6M , M = 1M und M = 5M bei ähnlicher chemischer Zusammensetzung wie die Sonne. Wir sehen anhand der in Abb. 22.4 gezeigten Kurven wieder, dass massearme Sterne sehr viel höhere Lebensdauern haben als massereiche Sterne.
Abb. 22.4

Evolution dreier Sterne mit ähnlicher chemischer Zusammensetzung wie die Sonne durch das HRD vom Beginn des Wasserstoffbrennens bis zum Ende des Heliumbrennens. Gezeigt sind Sterne mit M = 0,6M (unten), M = 1M (Mitte) und M = 5M (oben). Für einige Punkte auf den Trajektorien ist die vergangene Zeit angegeben, seit der Stern auf der Hauptreihe angelangt ist. Man erkennt die extrem hohe Lebensdauer massearmer und die relativ kurze Lebensdauer massereicher Sterne, die schon in Abb. 19.​8 deutlich wurde. (Die Daten stammen aus [1, 2])

Abschließend fasst Abb. 22.5 den Lebenszyklus von Sternen nochmals zusammen. Aus einer Gaswolke entstehen durch Kontraktion und Fragmentation Protosterne. Die Masse des Protosterns entscheidet darüber, ob dieser die Wasserstofffusion zünden kann und zum Hauptreihenstern wird. Am Ende des Wasserstoffbrennens bläht sich der Stern zum roten Riesen auf und endet schließlich je nach Masse als weißer Zwerg, Neutronenstern oder als Schwarzes Loch. Die beim Übergang vom Riesen zum weißen Zwerg bzw. Neutronenstern abgestoßenen Gasanteile des Sterns stehen dann als Ausgangsmaterial für neue Sterne zur Verfügung.
Abb. 22.5

Lebenszyklus von Sternen von der Entstehung als Protostern bis zum Ende als weißer Zwerg, Neutronenstern oder Schwarzes Loch. Dabei entscheidet die Masse des verbleibenden Kerns nach der Riesenphase darüber, welches Endprodukt entsteht

Die verschiedenen Typen von Sternen haben wir in unserer Diskussion praktisch völlig ausgelassen. Weitere Details zur Sternentwicklung und den verschiedenen Sterntypen finden interessierte Leser z. B. in [6, 7].