Die Kosmologie beschäftigt sich mit dem Aufbau sowie der Entstehung und Entwicklung des Kosmos als Ganzem. Sie versucht zu verstehen, wie sich das Universum in den Zustand entwickelt hat, den wir heute beobachten, und wie die zukünftige Entwicklung aussehen wird.
Der Mensch hat sich über diese Fragen in der einen oder anderen Form schon immer Gedanken gemacht. Bereits in der Antike gab es Modelle für unser Universum, insbesondere die Philosophen in Griechenland beschäftigten sich mit solchen Fragen. Ptolemäus1 entwickelte ein Weltbild, in dem sich die Erde im Mittelpunkt des Weltalls befindet und vom Mond, der Sonne und allen Planeten umkreist wird. Diese Vorstellung setzte sich durch, obwohl zum Beispiel Aristarchos von Samos2 bereits ein heliozentrisches Weltbild vertrat. Erst Kopernikus3 und Kepler entdeckten das heliozentrische Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt des Weltalls wieder.
23.1 Überblick
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist es mit Hilfe immer leistungsstärkerer Teleskope im Zusammenspiel mit der neu entwickelten ART möglich geworden, die Kosmologie als auf Beobachtungen basierte Naturwissenschaft zu betreiben, nachdem sie vorher eher eine philosophische Disziplin war. Einen besonders starken Einfluss auf die Entwicklung der Kosmologie hatten die Galaxienbeobachtungen von Hubble. Er konnte nachweisen, dass sich praktisch alle Galaxien von uns wegbewegen und zwar umso schneller, je weiter sie von uns entfernt sind. Auf seine Beobachtungen gehen wir in Abschn. 23.3 ein.
Die ART wurde im kosmologischen Rahmen erstmals von Einstein 1917 angewendet [2]. Da auf kosmologischen Längenskalen die Gravitation die dominierende Wechselwirkung ist, fußt die Kosmologie auf der ART, denn sie ist nach derzeitigem Wissen diejenige Theorie, die die Gravitation am besten beschreibt. Bei unserer Behandlung der ART haben wir gesehen, dass diese uns mit den Feldgleichungen eine Relation zwischen der Geometrie des Raumes und der Materie-, bzw. allgemeiner der Energieverteilung im Raum vorgibt. Allerdings legt die ART die Energieverteilung im Universum nicht fest. Durch Symmetriebetrachtungen werden wir in Kap. 24 die Menge der möglichen Energieverteilungen auf eine physikalisch begründete Untermenge einschränken, die wir dann mathematisch genauer untersuchen können. Die entsprechenden Überlegungen hat bereits Einstein im oben zitierten Artikel [2] vorgenommen. Wir werden sehen, dass auch nach dieser Einschränkung noch eine Vielzahl an freien Parametern übrig bleibt.
Die ART liefert uns also nicht ein Bild unseres Universums, sondern eine ganze Vielzahl möglicher Modelle. Aus den Einstein'schen Feldgleichungen können wir aber unter den erwähnten Symmetriebetrachtungen einfachere Differentialgleichungen herleiten, die diese Modelle beschreiben. In den Kap. 25 und 26 leiten wir diese Gleichungen her und besprechen verschiedene Lösungen. Die letztliche Auswahl desjenigen Modells, das unser Universum am besten beschreibt, muss anhand von Beobachtungsergebnissen folgen. In Kap. 27 besprechen wir dazu, wie man Beobachtungen des Universums mit diesen Modellen vergleichen kann.
Besonders in den letzten beiden Jahrzehnten haben neue Erkenntnisse unsere Vorstellungen über das Universum sehr erweitert und verändert. Beobachtungen weit entfernter Supernovae mit dem Hubble Space Telescope ließen den Schluss zu, dass unser Universum entgegen allen Erwartungen beschleunigt expandiert. Diesen Beobachtungen ist Kap. 28 gewidmet.
Die Entdeckung des Mikrowellenhintergrundes in den sechziger Jahren lieferte starke Hinweise darauf, dass das Universum aus einem Urknall hervorgegangen ist, und die genaue Analyse des Mikrowellenhintergrundes insbesondere mit den Satelliten COBE, WMAP und vor kurzem Planck lieferte und liefert detaillierte Informationen über das junge Universum, wie wir in Kap. 29 sehen.
Selbst über die allerersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall werden heute Überlegungen angestellt und mit Beobachtungen verglichen. Wir werden aber sehen, dass für die Entwicklung des ganz jungen Universums, aber auch bei der Diskussion der möglichen Zukunft unseres Universums, noch weitere Überlegungen notwendig sind, die zum Teil auch über die ART hinausgehen und die Berücksichtigung von quantenmechanischen Effekten nötig machen, für die noch keine umfassende Theorie vorliegt. Mit diesen Überlegungen befassen wir uns in Kap. 30.
Beginnen möchten wir unsere Diskussion aber mit einem jahrhundertealten Problem, das im Laufe der Zeit einer großen Zahl von Forschern Kopfzerbrechen bereitet hat und ein erstes Gefühl für die Problemstellungen in der Kosmologie vermitteln soll.
23.2 Olbers’ Paradoxon
Dieses nach Heinrich Olbers4 benannte Problem können wir vereinfacht in Form einer Frage formulieren: Warum ist es in der Nacht dunkel? Olbers beschäftigte sich anfangs des 19. Jahrhunderts mit diesem Problem, vor ihm war es aber schon vielen anderen Forschern bekannt, und es lässt sich mindestens bis Thomas Digges und Johannes Kepler im 16. Jahrhundert zurückdatieren.
Auf den ersten Blick mag die Antwort auf diese Frage offensichtlich sein: Nachts ist es dunkel, weil die Sonne hinter der Erde steht und uns ihr Licht nicht erreichen kann. Gleichzeitig sind die anderen Sterne viel zu weit entfernt, um eine, im Vergleich zur Sonne, nennenswerte Lichteinstrahlung zu verursachen. Allein zu erkennen, dass die Antwort auf diese Frage bei weitem nicht so einfach ist, ist daher schon eine Leistung, die großen Respekt verdient.
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Bei homogener Sterndichte im Universum steigt die Anzahl dN der Sterne im Volumen zwischen den Kugeln mit Radius r und r + dr quadratisch mit r, während der Fluss pro Stern quadratisch mit r abnimmt. In der Abbildung gilt also aber für einen Stern bei r2 und einen Stern bei r1 ergibt sich das Strahlungsstromverhältnis
bei der Erde. Für den gesamten Strahlungsstrom Sges auf der Erde liefert daher jede Kugelschale den gleichen Beitrag und dieser divergiert daher
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In einem unendlich großen Universum mit ausgedehnten Sternen liegt in beliebiger Blickrichtung irgendwo die Oberfläche eines Sterns, ähnlich wie in einem Wald in jeder Richtung irgendwo ein Baum im Blick steht
Allein die Berücksichtigung der endlichen Größe von Sternen hilft uns also nicht, das Paradoxon aufzulösen. Auch die Annahme, dass etwa interstellarer Staub unsere Sicht auf weit entfernte Sterne verdunkelt, hilft uns nicht weiter. Dieser Staub würde sich solange erhitzen, bis er die gleiche Temperatur wie die Sternoberflächen hätte und dementsprechend gleich hell strahlen würde.
Wir müssen also noch zusätzliche Annahmen ins Spiel bringen, um das Paradoxon aufzulösen, diese gehen aber letztlich alle in die gleiche Richtung: Wenn der Himmel dunkel ist, dann liegt nicht in jeder Richtung am Himmel ein Stern, den wir sehen können.
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Skizzen zur Erklärung des Olber'schen Paradoxons. (a) In einem unendlich ausgedehnten Universum mit punktförmigen, unendlich alten Sternen wäre der Himmel unendlich hell. (b) Durch die endliche Ausdehnung der Sterne ist die Sicht zu weiter hinten liegenden Sternen durch weiter vorn liegende verdeckt. (c) In einem endlich großen Universum gibt es in manchen Richtungen am Himmel keinen Stern. (d) Ähnliches gilt auch in einem endlich alten Universum, dort hatte das Licht weit entfernter Sterne nicht genug Zeit, den Beobachter zu erreichen
Wie bereits erwähnt, hat das Olber'sche Paradoxon im Laufe von Jahrhunderten sehr viele Forscher beschäftigt und es wurden die unterschiedlichsten Lösungsansätze vorgeschlagen. Der interessierte Leser findet in einem Artikel von Harrison [5] einen kurzen geschichtlichen, aber auch wissenschaftlichen Überblick. Wer sich noch mehr in das Thema vertiefen möchte, dem sei das Buch ,,Darkness at Night: A Riddle of the Universe“ [6] des selben Autors empfohlen.
23.3 Edwin Hubbles Entdeckungen
Die Entdeckungen Hubbles5 haben in den 1920er und 1930er Jahren starken Einfluss auf das Bild, das sich die Wissenschaft vom Universum machte, gehabt. So konnte er eine damals zentrale Frage der Kosmologie beantworten: Besteht das Universum nur aus der Milchstraße oder gibt es noch andere Galaxien? Seine wohl wichtigste Beobachtung aber war die Feststellung, dass weit entfernte Galaxien sich von uns fortbewegen. Damit legte er den Grundstein für die Idee eines expandierenden Universums. Der erste, der sich mit dieser Idee beschäftigte, war er allerdings nicht, bereits 1927 hatte sich Lemaître Gedanken über ein expandierendes Universum gemacht. Hubble benutzte für seine Arbeit das 1917 in Betrieb genommene Hooker Teleskop am Mt. Wilson Observatorium mit einem 2,5 m großen Spiegel, das bis 1948 das größte Teleskop der Welt war [9].
23.3.1 Entdeckung anderer Galaxien
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Hubble beobachtete in den Jahren 1922–23 mehrere solcher veränderlichen Sterne, unter anderem im Andromedanebel, und konnte nun nachweisen, dass diese viel zu weit entfernt waren, als dass sie Teil der Milchstraße sein konnten. Hubble stellte seine Ergebnisse 1925 bei einer Konferenz der American Astronomical Society vor und veränderte damit die Vorstellung über unser Universum einschneidend.
23.3.2 Entfernungsabhängige Rotverschiebung
Bereits 1912 hatte Slipher7 begonnen, die spektrale Verschiebung von Galaxien zu beobachten. Seine erste Messung, die er 1913 veröffentlichte, führte er am Andromedanebel durch. Zufälligerweise ist dies eine der wenigen blauverschobenen Galaxien, da der Andromedanebel sich auf uns zubewegt [13]. In den Folgejahren analysierte Slipher aber die Spektren vieler Galaxien und entdeckte, dass die meisten rotverschoben waren.
Hubble machte sich 1929 daran, eine mögliche Relation zwischen der Rotverschiebung von Galaxien und ihrer Entfernung von uns zu finden. Während die Messung der Rotverschiebung einer Galaxie relativ leicht möglich ist, ist die Bestimmung ihrer Entfernung eine sehr viel schwierigere und mit größeren Fehlern behaftete Aufgabe. Eine der Methoden, mit der Hubble dies versuchte, basierte auf der gerade erwähnten P-M-Relation [7]. Hubble fand tatsächlich einen einfachen linearen Zusammenhang zwischen Rotverschiebung und Entfernung, und zwar waren die Galaxien umso stärker rotverschoben, je größer ihre Entfernung war. Bei den Objekten, die Hubble beobachtete, war die Rotverschiebung klein, etwa in der Größenordnung z < 0,04 ≪ 1. Wenn man, wie Hubble es tat, als Ursache für die Rotverschiebung den Dopplereffekt annimmt, so kann man einer bestimmten Rotverschiebung über den in Abschn. 8.1.3 gefundenen Zusammenhang z ≈ β (s. (8.17)) eine Geschwindigkeit, mit der sich die entsprechende Galaxie von uns entfernt, zuordnen.
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Originaldarstellung von Edwin Hubble zur entfernungsabhängigen Fluchtgeschwindigkeit von Galaxien. Später zeigte sich, dass die von ihm angenommenen Entfernungen viel zu klein waren. (Aus Hubble [7], mit freundlicher Genehmigung)
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Bei diesen Beobachtungen blickt man in das frühe Universum zurück. Bestimmungen der Hubble-Konstanten im lokalen Universum haben dagegen in jüngster Zeit zu dem viel größeren Wert 74,22 ± 1,82 km s−1 Mpc−1 geführt [11]. Wir werden auf diese sogenannte Hubble-Kontroverse in Kap. 29 zurückkommen.
Bei den kleinen Rotverschiebungen, die Hubble beobachtete, lag die Interpretation als Dopplerverschiebung nahe. Wir werden sehen, dass mit heutigen Instrumenten Objekte beobachtet werden, für die z ≫ 1 gilt. In diesem Fall entspräche dies einer Geschwindigkeit v > c. Eine Fluchtgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit steht allerdings nicht im Widerspruch zur SRT, weil wir als Ursache die Ausdehnung des Raumes betrachten, relativ zu dem die jeweiligen Galaxien in Ruhe sind. Außerdem ist die Definition einer Geschwindigkeit zweier Beobachter an verschiedenen Orten nur im flachen Raum trivial möglich, wie wir in Abschn. 11.2.7 bereits diskutiert haben. Wir gehen auf dieses Thema später nochmals genauer ein, wenn wir die Rotverschiebung quantitativ diskutieren.
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Mit der Hubble-Zeit kann das Alter des Universums abgeschätzt werden. (a) Bei abgebremster Expansion ist der Schätzwert für das Weltalter zu groß. (b) Bei beschleunigter Expansion ist eine Überschätzung, aber auch eine Unterschätzung möglich
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