Briefe und E-Mails von Patienten inspirieren mich jedes Mal aufs Neue. Als ich dieses Kapitel schrieb, musste ich an die Nachricht von Dan, einem ehemaligen NFL-Football-Spieler, denken. Ich traf ihn das erste Mal, als er zweiundvierzig Jahre alt war. Bereits in diesem Alter nahm der frühere Profisportler schon drei verschiedene Blutdruckmedikamente. Trotzdem war sein Blutdruck zu hoch. Er war leicht übergewichtig und hatte etwa 12 Kilo zu viel auf den Rippen. Er und seine Partnerin warteten nach einem meiner Vorträge auf mich, um mit mir zu sprechen.
Dans Arzt hatte ihm gerade mitgeteilt, dass seine Nieren aufgrund seines Bluthochdrucks bereits erste Schädigungen zeigten. Das Erste, was ich ihn fragte, war, ob er seine Medikamente wie verschrieben einnahm, da viele Patienten diese wegen der unerfreulichen Nebenwirkungen schnell weglassen. Er versicherte mir, dass er dies tat. Er zeigte mir eine Liste, die er immer bei sich trug, um die Übersicht über seine Medikamente zu behalten. Er fragte mich, welche Präparate er noch auf diese Liste setzen könne, um seinen Nieren zu helfen.
Ich sagte ihm, dass es eine solche Zauberpille nicht gäbe, egal was er im Internet vielleicht darüber gelesen hätte. Wenn er aber seinen Teller jeden Tag mit jeder Menge vollwertigen gesunden Lebensmitteln vollladen würde, könnte der Schaden begrenzt oder sogar geheilt werden. Dan nahm sich diesen Rat sehr zu Herzen (und zu Nieren!) und erlaubte mir, seine E-Mail in diesem Buch mit Ihnen zu teilen:
Also, ich fuhr diese Nacht nach Hause und wir räumten gleich unser Haus auf. Schmissen alles weg, was nicht aus der Erde wuchs, alles industriell verarbeitete Zeugs. Und siehe da, schon im Laufe des nächsten Jahres wurde ich meinen Bierbauch und meinen Bluthochdruck los. Das Leben ist so viel schöner ohne diese ganzen Medikamente – die haben mich die ganze Zeit so müde gemacht. Meine Nierenfunktion ist auch wieder normal. Es macht mich nur wütend, dass mir das niemand viel früher gesagt hat, und ich mich so schlecht fühlen musste, bis es mir endlich besser ging.
Es ist einfach, die eigenen Nieren für selbstverständlich zu halten, doch arbeiten diese rund um die Uhr, wie ein pausenlos funktionierender High-Tech-Wasserfilter für unser Blut. Sie filtern in vierundzwanzig Stunden bis zu 150 Liter Blut, nur um die 1 bis 2 Liter Urin zu produzieren, die Sie täglich ausscheiden. Wenn Ihre Nieren nicht richtig funktionieren, können sich Stoffwechselendprodukte im Blut ansammeln und mit der Zeit zu Symptomen wie Schwäche, Kurzatmigkeit, Verwirrung und Herzrhythmusstörungen führen. Die meisten Menschen mit einer nachlassenden Nierenfunktion spüren allerdings überhaupt keine Symptome. Wenn Ihre Nieren ganz versagen, brauchen Sie entweder eine neue (sprich eine Transplantation) oder müssen zur Dialyse gehen, bei der eine Maschine Ihr Blut künstlich filtert. Die Zahl der Nierenspender ist jedoch sehr begrenzt, und die durchschnittliche weitere Lebensdauer einer Person, die zur Dialyse muss, beträgt weniger als drei Jahre.1 Es ist also besser, die Nieren von vornherein gesund zu halten.
Auch wenn Ihre Nieren plötzlich als Reaktion auf bestimmte Giftstoffe, Infektionen oder eine Harnblockade versagen können, ist bei den meisten Nierenerkrankungen ein schrittweiser Funktionsverlust über einen längeren Zeitraum hinweg typisch. Eine US-weite Umfrage fand heraus, dass nur 41 Prozent aller darauf untersuchten US-Amerikaner eine normale Nierenfunktion hatten. Zehn Jahre zuvor waren es noch 52 Prozent.2 Etwa einer von drei US-Amerikanern über vierundsechzig Jahre leidet wahrscheinlich an einer chronischen Nierenerkrankung (CKD),3 wobei drei Viertel der Betroffenen wahrscheinlich nicht einmal wissen, dass sie eine haben.4 Es wird erwartet, dass über die Hälfte aller US-amerikanischen Erwachsenen, die momentan zwischen dreißig und vierundsechzig Jahre alt sind, im Verlauf ihres Lebens eine chronische Nierenerkrankung entwickeln.5
Aber warum hängen dann nicht Millionen von Menschen an Dialysegeräten? Weil ein gestörte Nierenfunktion sich so schädlich auf den Rest des Körpers auswirkt, dass die meisten Menschen gar nicht lang genug leben, um dieses Stadium zu erreichen. Bei einer Untersuchung, für die über eintausend US-Amerikaner über vierundsechzig mit einer chronischen Nierenerkrankung über ein Jahrzehnt lang begleitet wurden, entwickelte nur einer von zwanzig Patienten ein Nierenversagen im Endstadium. Die meisten anderen waren bereits vorher verstorben, wobei Herzkrankheiten unter ihnen mehr Todesfälle verursachten als alle anderen Todesursachen zusammen.6 Unsere Nieren sind für eine gesunde Herzfunktion so wichtig, dass Patienten unter fünfundvierzig Jahren mit Nierenversagen ein bis zu hundertfach größeres Risiko haben, an Herzerkrankungen zu sterben, als diejenigen, deren Nieren funktionieren.7
Die gute Nachricht? Die Ernährungsweise, die am gesündesten für unser Herz ist – sprich die, die auf vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln basiert – scheint auch der beste Weg zu sein, um Nierenerkrankungen vorzubeugen oder sie zu behandeln.
Nieren sind äußerst vaskuläre Organe, d. h. sie sind von jeder Menge Blutgefäße durchzogen. Deshalb sehen sie auch so rot aus. Wir haben bereits besprochen, dass die durchschnittliche westliche Ernährungsweise Gift für die Blutgefäße im Herz und im Gehirn sein kann. Was aber kann sie mit unseren Nieren anrichten? Um diese Frage zu beantworten, untersuchten Wissenschaftler der Harvard University Tausende gesunder Frauen, ihre Ernährungsweise und ihre Nierenfunktion über zehn Jahre hinweg8 und suchten nach Spuren von Eiweiß in ihrem Urin. Gesunde Nieren versuchen, Eiweiße und andere wichtige Nährstoffe zurückzubehalten und filtern stattdessen giftige oder nutzlose Stoffe mittels unseres Urins aus unserer Blutbahn. Wenn die Nieren aber Eiweiß in den Urin abgeben, ist dies ein Zeichen dafür, dass ihre Funktion nachlässt.
Die Wissenschaftler fanden drei spezielle Ernährungskomponenten, die mit diesem Anzeichen einer nachlassenden Nierenfunktion zusammenhängen: tierisches Eiweiß, tierisches Fett und Cholesterin. Jede dieser Komponenten kommt in nur einer Nahrungsquelle vor: in tierischen Produkten. Die Forscher fanden jedoch keinen Zusammenhang zwischen einem Nachlassen der Nierenfunktion und der Aufnahme von Eiweiß oder Fett pflanzlichen Ursprungs.9
Vor einhundertfünfzig Jahren beschrieb Rudolf Virchow, der Vater der modernen Pathologie, als Erster die Verfettung der Niere.10 Dieses Konzept einer lipiden Nephrotoxizität, bzw. die Idee, dass Fett und Cholesterin in der Blutbahn sich giftig auf die Nieren auswirken könnten, gilt seitdem als formalisiert,11 zum Teil auch auf der Grundlage von Untersuchungen, die funktionsstörende Fettansammlungen in autopsierten Nieren fanden.12
Der Zusammenhang zwischen Cholesterin und Nierenerkrankungen hat in Medizinerkreisen so viel Aufruhr verursacht, dass cholesterinsenkende Statine empfohlen wurden, um das Fortschreiten von Nierenerkrankungen aufzuhalten.13 Aber wäre es nicht einfach besser (ganz zu schweigen von sicherer und billiger), die der Erkrankung zugrundeliegende Ursache anzugehen, indem wir einfach gesünder essen?
In den zwei Jahrzehnten zwischen 1990 und 2010 blieben die häufigsten Ursachen von Tod und Invalidität relativ konstant. Wie in Kapitel 1 erwähnt sind Herzkrankheiten in den USA nach wie vor die Todesursache, die die meisten ihre Gesundheit und ihr Leben kostet. Andere Krankheiten wie z. B. HIV/AIDS stehen nicht mehr auf der Liste der häufigsten Todesursachen. Die chronische Nierenerkrankung aber gehört zu den Krankheiten, die in der letzten Generation immer häufiger auftreten. Die Zahl der Todesfälle in den USA hat sich verdoppelt.14
Das wird unserer fleisch- und zuckerlastigen Ernährung zugeschrieben.15 Übermäßig viel Haushaltszucker und der Konsum von Maissirup mit hohem Fruchtzuckergehalt wird mit einem erhöhten Blutdruck und einem höheren Harnsäurespiegel in Zusammenhang gebracht. Beides kann die Nieren schädigen. Die gesättigten Fette, Transfette und das Cholesterin in tierischen Produkten und Junk Food werden ebenfalls mit einer gestörten Nierenfunktion assoziiert. Das Fleischeiweiß erhöht die Säurebelastung der Nieren, führt zu einer erhöhten Ammoniakproduktion und kann unsere sensiblen Nierenzellen beschädigen.16 Aus diesem Grund wird Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung oft geraten, ihren Eiweißverzehr einzuschränken, um eine noch größere Störung der Nierenfunktion zu verhindern.17
Doch Eiweiß ist nicht gleich Eiweiß. Es ist wichtig, zu verstehen, dass nicht jede Art von Eiweiß dieselbe Auswirkung auf unsere Nieren hat.
Ein hoher Konsum von tierischem Eiweiß kann einen verheerenden Einfluss auf die normale menschliche Nierenfunktion haben und einen Zustand namens Hyperfiltration hervorrufen, einen dramatischen Anstieg der Arbeitsbelastung für die Nieren. Hyperfiltration ist nicht schlimm, wenn sie nur ab und zu passiert. Wir alle verfügen über eine eingebaute Nierenreservefunktion, die so gut funktioniert, dass Menschen auch mit nur einer Niere weiterleben können. Der menschliche Körper hat, so glaubt man, noch zu unseren lange zurückliegenden Jäger-und-Sammler-Zeiten die Fähigkeit entwickelt, mit zeitweiligen großen Eiweißmengen umzugehen. Doch heutzutage nehmen viele von uns Tag für Tag extrem viel tierisches Eiweiß zu sich und zwingen ihre Nieren dazu, ständig auf Reserveleistung zu laufen. Dieser unablässige Stress über einen langen Zeitraum erklärt, weshalb die Nierenfunktion immer mehr abnimmt, je älter die Leute werden, und weshalb auch anderweitig gesunde Menschen gefährdet sind, eine immer stärker gestörte Nierenfunktion zu haben.18
Der Grund dafür, weshalb diejenigen, die sich pflanzenbasiert ernähren, eine bessere Nierenfunktion haben, schien anfangs mit ihrem generell niedrigeren Eiweißkonsum zusammenzuhängen.19 Jetzt aber wissen wir, dass es eher der Tatsache zuzuschreiben ist, dass unsere Nieren mit pflanzlichem Eiweiß ganz anderes umgehen als mit tierischem.20
Schon wenige Stunden nach dem Verzehr von Fleisch schalten die Nieren hoch in den Hyperfiltrationsmodus. Das ist bei einer ganzen Reihe tierischer Eiweiße der Fall: Rindfleisch, Hühnerfleisch und Fisch scheinen eine ganz ähnliche Wirkung zu haben.21 Eine vergleichbare Menge an pflanzlichem Eiweiß verursacht bei den Nieren allerdings keinerlei erkennbaren Stress.22 Ein bisschen Thunfisch, und innerhalb von drei Stunden kann Ihre Nierenfunktionsrate um 36 Prozent in die Höhe schießen. Dieselbe Menge an pflanzlichem Eiweiß in Form von Tofu aber scheint die Nieren nicht zusätzlich zu belasten.23
Kann das Ersetzen tierischer Eiweiße durch pflanzliche die Verschlechterung der Nierenfunktion verlangsamen? Ja. Ein halbes Dutzend klinischer Studien haben gezeigt, dass ein Ersetzen tierischer durch pflanzliche Eiweiße die Hyperfiltration und/oder das Ausscheiden von Eiweißen verringern kann.24,25,26,27,28,29 Doch alle diese Untersuchungen hatten eine kurze Laufzeit und dauerten weniger als acht Wochen. Erst im Jahr 2014 wurde eine sechsmonatige randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie durchgeführt, die untersuchte, wie die Nieren Soja-Eiweiß im Vergleich zu Milcheiweiß verarbeiten. In Einklang mit den anderen Studienergebnissen kam heraus, dass das pflanzliche Eiweiß dabei half, die Funktion der geschädigten Nieren zu erhalten.30
Warum führt tierisches Eiweiß zu einer Überbelastung und pflanzliches nicht? Wegen der Entzündungen, die tierische Produkte auslösen können. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Hyperfiltrationsreaktion und die Abgabe von Eiweißen durch die Nieren aufhörte, wenn sie Probanden zusammen mit tierischen Eiweißen gleichzeitig ein wirkungsstarkes entzündungshemmendes Medikament verabreichten.31
Ein anderer Grund dafür, warum tierisches Eiweiß so schädlich für die Nierenfunktion sein kann, ist, dass es in der Regel mehr Säure bildet. Das liegt daran, dass tierisches Eiweiß in der Regel mehr schwefelhaltige Aminosäuren enthält, wie bspw. Methionin, die beim Stoffwechsel im Körper Schwefelsäure entstehen lässt. Obst und Gemüse hingegen sind gewöhnlich basenbildend, was dabei hilft, die Säuren in unseren Nieren zu neutralisieren.32
Die Höhe der ernährungsbedingten Säurebelastung wird durch das Verhältnis von säurebildenden Lebensmitteln (wie Fleisch, Eiern und Käse) zu basenbildenden Lebensmitteln (wie Obst und Gemüse) bestimmt. Eine Analyse aus dem Jahr 2014, die die Ernährung und Nierenfunktion von über zwölftausend US-Amerikanern aus den gesamten USA überprüfte, fand heraus, dass eine höhere ernährungsbedingte Säurebelastung mit einem deutlich höheren Risiko verbunden war, Eiweiß in den Urin abzugeben – einem klaren Anzeichen für eine Nierenschädigung.33
Die Ernährung urzeitlicher Menschen bestand größtenteils aus Pflanzen, was dazu führte, dass in deren Nieren sehr wahrscheinlich mehr Basen als Säuren produziert wurden. Wir Menschen haben uns über Millionen Jahre hinweg mit einer solchen basenbildenden Ernährung entwickelt. Die meisten gegenwärtigen Ernährungsweisen aber produzieren Säuren im Übermaß. Dieser Wechsel von basen- zu säurebildenden Ernährungsweisen kann sehr wahrscheinlich unsere moderne Epidemie an Nierenerkrankungen erklären.34 Säurebildende Ernährungsweisen scheinen die Nieren durch „tubuläre Toxizität“ zu beeinträchtigen, d. h. durch eine Schädigung der winzigen und empfindlichen urinproduzierenden Röhren in den Nieren. Um der durch die Ernährung entstandenen überschüssigen Säure entgegenzuwirken, produzieren die Nieren Ammoniak, eine Base, die einen Teil dieser Säure neutralisieren kann. Dieses Entgegensteuern ist kurzfristig hilfreich, langfristig allerdings kann die zusätzliche Ammoniaksäure in den Nieren eine giftige Wirkung entwickeln.35 Das kontinuierliche Nachlassen der Nierenfunktion mit der Zeit kann eine Folge lebenslanger Ammoniak-Überproduktion sein.36 Ihre Nierenfunktion kann bereits nachlassen, wenn Sie noch in Ihren Zwanzigern sind,37 und wenn Sie die Achtziger erreicht haben, vielleicht bei nur noch 50 Prozent ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit liegen.38
Die chronische niedriggradige Stoffwechselazidose, die mit einer fleischreichen Ernährung in Zusammenhang gebracht wird39 liefert eine Erklärung dafür, warum Menschen, die sich pflanzenbasiert ernähren, eine bessere Nierenfunktion zu haben scheinen,40 und warum verschiedene pflanzenbasierte Ernährungsweisen bei der Behandlung von chronischem Nierenversagen so erfolgreich waren.41,42 Unter normalen Umständen alkalisiert eine vegetarische Ernährungsweise die Nieren, während eine nicht-vegetarische Ernährungsweise eine hohe Säurebelastung verursacht. Dies konnte sogar bei den Vegetariern bestätigt werden, die industriell verarbeitete Fleischersatzprodukte wie bspw. Veggie Burger aßen.43
Wenn Menschen nicht willens sind, ihren Fleischkonsum einzuschränken, sollten sie dazu ermuntert werden, mehr Obst und Gemüse zu essen, um die Säurebelastung auszugleichen.44 „Leider“, so schrieb ein Nierenarzt, „finden es viele Patienten schwierig, viel Obst und Gemüse zu essen, und würden daher wohl eher zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen.“45
Was also taten die Wissenschaftler? Sie gaben den Leuten Backpulver-Tabletten (Natriumbikarbonat bzw. Natron). Anstatt die ursprüngliche Ursache der erhöhten Säurebildung zu beseitigen (zu viele tierische Produkte und zu wenig Obst und Gemüse), zogen sie es vor, die Folgen zu behandeln. Zu viel Säure? Hier sind ein paar Basen, um diese zu neutralisieren. Natriumbikarbonat kann eine Säurebelastung wirkungsvoll ausgleichen,46 enthält aber offensichtlicherweise Natrium, das langfristig ebenfalls zu Nierenschäden führen kann.47
Leider ist diese Art der „Pflasterbehandlung“ nur zu typisch für das heutzutage praktizierte medizinische Modell. Zu hohe Cholesterinwerte wegen einer Ernährungsweise, die unnatürlich viel gesättigte Fette und Cholesterin enthält? Werfen Sie ein Statin ein, um Ihre cholesterinproduzierenden Enzyme zu blockieren. Zu viele säurebildende Lebensmittel im Essen? Schlucken Sie ein paar Natronpillen, um das mal wieder auszugleichen.
Dieselben Wissenschaftler versuchten ebenfalls, den Probanden mehr Obst und Gemüse anstatt der Natronpillen zu geben, und fanden dabei heraus, dass dies einen ähnlichen Schutz vor einer übermäßigen Säurebelastung bot, und als gleichzeitigen Vorteil noch den Blutdruck der Probanden senkte. Der Titel des Begleitkommentars in der medizinischen Fachzeitschrift war recht aussagekräftig: „Der Schlüssel zum Aufhalten des Fortschreitens einer chronischen Nierenerkrankung scheint auf dem Obst- und Gemüsemarkt und nicht in der Apotheke zu liegen.“48
Eine pflanzenbasierte Ernährung, die den Urin alkalisiert, kann auch beim Vorbeugen und Behandeln von Nierensteinen helfen, den harten Mineralansammlungen, die sich in den Nieren bilden können, wenn die Konzentration bestimmter steinbildender Substanzen im Urin so hoch wird, dass diese beginnen zu kristallisieren. Irgendwann können diese Kristalle zu kieselsteingroßen Gebilden anwachsen und den Urinfluss blockieren, was zu starken Schmerzen führt, die oftmals von einer Seite des unteren Rückens bis in die Leistengegend ausstrahlen. Nierensteine können auf natürliche (aber oft schmerzhafte) Weise verschwinden, oder aber so groß werden, dass sie operativ entfernt werden müssen.
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Auftreten von Nierensteinen dramatisch erhöht,49 und allein in den letzten fünfzehn Jahren nochmals. Schätzungsweise einer von elf US-Amerikanern ist heute betroffen, im Vergleich zu nur einem von zwanzig vor weniger als nur zwei Jahrzehnten.50 Woher kommt dieser Anstieg? Der erste Hinweis zur Beantwortung dieser Frage tauchte 1979 auf, als Wissenschaftler einen auffälligen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Nierensteinen seit den 1950er-Jahren und dem zunehmenden Konsum von tierischem Eiweiß feststellten.51
Wie bei allen Beobachtungsstudien aber konnten die Wissenschaftler Ursache und Wirkung nicht zweifelsfrei nachweisen, also entschlossen sie sich zu einer Interventionsstudie: Sie baten die Probanden, zu ihrer täglichen normalen Ernährung zusätzliches tierisches Eiweiß hinzuzufügen, etwa das Äquivalent von einer Dose Thunfisch. Schon nach zwei Tagen mit diesem zusätzlichen tierischen Eiweiß schoss die Menge nierensteinbildender Komponenten – Kalzium, Oxalat und Harnsäure – derartig in die Höhe, dass sich das Nierensteinrisiko um 250 Prozent vergrößerte.52
Diese Ernährung mit einem „hohen“ tierischen Eiweißanteil war übrigens so ausgelegt, dass sie den Konsum tierischer Eiweiße eines durchschnittlichen US-Amerikaners nachbildete,53 was nahelegt, dass wir unser Nierensteinrisiko durch einen reduzierten Fleischverzehr erheblich senken könnten.
In den 1970er-Jahren gab es bereits genügend Beweise für diesen Zusammenhang, dass Wissenschaftler sich zu fragen begannen, ob Menschen, die an wiederkehrenden Nierensteinen litten, nicht einfach gänzlich auf Fleisch verzichten sollten.54 Eine Untersuchung zum Nierensteinrisiko von Vegetariern wurde allerdings erst viel später, nämlich 2014, veröffentlicht. Wissenschaftler der Oxford University fanden heraus, dass Probanden, die überhaupt kein Fleisch aßen, ein deutlich geringeres Risiko hatten, wegen Nierensteinen ins Krankenhaus zu müssen. Bei denjenigen aber, die Fleisch aßen, stieg das Risiko an, je mehr Fleisch zu verzehrten.55
Gibt es bestimmte Fleischsorten, die schlimmer sind als andere? Menschen, die zu einer Nierensteinbildung neigen, wird in der Regel geraten, auf rotes Fleisch zu verzichten. Wie aber sieht es mit Hühnerfleisch oder Fisch aus? Das war nicht bekannt, bis 2014 eine weitere Untersuchung die Wirkung von Lachs und Kabeljau mit Hühnchenbrust und Burgern verglich. Diese ergab, dass Fisch sogar etwas schlimmer sein kann als Fleisch, wenn es um das Risiko der Entwicklung bestimmter Nierensteine geht. Die Wissenschaftler zogen allerdings die Schlussfolgerung, dass generell „nierensteinbildenden Personen geraten werden sollte, den Konsum jeglicher tierischen Eiweiße einzuschränken.“56
Die meisten Nierensteine bestehen aus Kalziumoxalat, das sich wie Kandiszucker bildet, sobald der Urin mit Kalzium und Oxalaten übersättigt ist. Viele Jahre lang nahmen Ärzte an, dass sie ihren Patienten einfach raten sollten, ihren Kalziumkonsum einzuschränken, da Nierensteine auch aus Kalzium bestehen.57 Wie bei so vielem in der Medizin befindet sich die klinische Praxis ohne eine solide Untermauerung mit wissenschaftlichen Versuchen im Blindflug. Dies änderte sich mit der Veröffentlichung einer bahnbrechenden Untersuchung, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde und die traditionelle kalziumarme Ernährungsweise mit einer Ernährungsweise verglich, die nur wenig tierisches Eiweiß und Natrium enthielt. Nach fünf Jahren fand diese Untersuchung heraus, dass der Verzehr von weniger Fleisch und Salz etwa doppelt so effektiv war wie die konventionell verschriebene kalziumarme Diät und das Nierensteinrisiko um die Hälfte reduzierte.58
Wie sieht es mit einer Reduzierung von Oxalaten aus, die konzentriert in bestimmten Gemüsesorten vorkommen? Beruhigenderweise fand eine kürzlich durchgeführte Untersuchung heraus, dass ein höherer Gemüseverzehr nicht zu einem erhöhten Nierensteinrisiko führte. Tatsächlich wurde der höhere Konsum von Obst und Gemüse mit einem geringeren Risiko in Zusammenhang gebracht, und zwar unabhängig von anderen bekannten Risikofaktoren, was bedeutet, dass es weitere Vorteile bringt, wenn man sich den Teller mit pflanzlichen Lebensmitteln volllädt, anstatt nur den Konsum tierischer Produkte einzuschränken.59
Ein weiterer Grund für eine Reduzierung tierischer Eiweiße ist, dass dies dabei hilft, das Entstehen von Harnsäure zu drosseln, die Kristalle bilden kann, die entweder zur Entstehung von Kalziumsteinen führen oder selbst Steine bilden. Tatsächlich sind Harnsäuresteine die zweithäufigste Form von Nierensteinen. Es ergibt daher durchaus Sinn, der übermäßigen Bildung von Harnsäure entgegenzusteuern. Dies lässt sich auf zweierlei Arten erreichen: durch das Einnehmen von Medikamenten oder das Weglassen von Fleisch.60 Harnsäure-Blocker wie Allopurinol mögen effektiv sein, können aber ernsthafte Nebenwirkungen haben.61 Im Vergleich dazu scheint der komplette Verzicht auf Fleisch bei einer durchschnittlichen westlichen Ernährungsweise das Risiko einer Kristallisierung von Harnsäure innerhalb von nur fünf Tagen um mehr als 90 Prozent zu senken.62
Unterm Strich heißt das: Je basischer der Urin, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich Nierensteine bilden. Aus diesem Grund scheinen weniger Fleisch und mehr Obst und Gemüse so einen guten Schutz davor zu bieten. Die durchschnittliche westliche Ernährungsweise führt zu saurem Urin. Wenn Menschen allerdings auf eine pflanzenbasierte Ernährungsweise umgestellt werden, kann sich ihr Urin in weniger als einer Woche basisch so verbessern, dass er fast einen neutralen pH-Wert erreicht.63
Doch nicht alle pflanzlichen Lebensmittel sind basisch, und nicht alle tierischen Produkte wirken in gleicher Weise säurebildend. Der LAKE-Index (Load of Acid to Kidney Evaluation / Index zur Säurebelastung der Nieren) berücksichtigt sowohl die Säurebelastung, die durch Lebensmittel entsteht, wie auch deren typische Portionsgröße, um den Menschen dabei zu helfen, ihre Ernährungsweise so zu ändern, dass sie Nierensteinen und anderen mit Übersäuerung verbundenen Krankheiten wie z. B. Gicht vorbeugen können.
Wie Sie in Abbildung 4 (Seite 160) sehen können, war das am meisten Säure produzierende Lebensmittel Fisch, einschließlich Thunfisch, gefolgt von Schweinefleisch, Geflügel, Käse und Rindfleisch. Eier produzieren eigentlich mehr Säure als Rindfleisch, doch essen wir bei einer Mahlzeit weniger davon. Einige Getreideprodukte können etwas säurebildend sein, wie z. B. Brot oder Reis, Pasta aber interessanterweise nicht. Bohnen wirken deutlich basisch, aber nicht so stark wie Obst oder Gemüse, das den ersten Platz unter den basenbildenden Lebensmitteln einnimmt.64
Abbildung 4
Eine Umstellung der Ernährungsweise kann so wirkungsvoll sein, dass dadurch nicht nur dem Entstehen von Nierenstein vorgebeugt werden kann, sondern sich diese in einigen Fällen auch ganz ohne Medikamente oder Operationen loswerden lassen. Harnsäuresteine können scheinbar vollständig aufgelöst werden, wenn mehr Obst und Gemüse verzehrt, der Fleisch- und Salzkonsum eingeschränkt und mindestens zehn Gläser Flüssigkeit pro Tag getrunken werden.65
Den pH-Wert mit Rotkohl testen
Wir wissen, dass die durchschnittliche westliche Ernährungsweise säurebildend wirkt, während eine durchschnittliche pflanzenbasierte Ernährung die Säurebelastung verringert.66 Eine säurebildende Ernährungsweise kann nicht nur das Nierensteinrisiko beeinflussen, sondern auch zu einer systemischen chronischen niedriggradigen Stoffwechsel-azidose,67 bzw. zu viel Säure in der Blutbahn führen, was mit zunehmendem Alter zu einem Abbau der Muskeln beitragen kann.68 Wie lässt sich am besten herausfinden, wie säurebildend die eigene Ernährung wirklich ist? Die vielleicht einfachste (und langweiligste) Methode ist es, ein paar pH-Streifen zu bestellen und den eigenen Urin damit zu testen. Alternativ können Sie aber auch das verwenden, was Sie sowieso gerade im Gemüsefach Ihres Kühlschranks haben (sollten): Rotkohl. Rotkohl enthält eine unglaubliche Menge an Nährstoffen, und Sie können ihn sogar für Küchenexperimente, oder in diesem Fall einen Badezimmerchemieversuch, verwenden.
Kochen Sie etwas Rotkohl, bis das Kochwasser tief violett wird, oder pürieren Sie rohen Rotkohl mit Wasser in einem Mixer und filtern Sie die festen Bestandteile heraus. Entleeren Sie Ihre Blase auf der Toilette, holen Sie dann Ihren lila Rotkohl-Cocktail und gießen Sie ihn über Ihren Urin. (Flachspülende Toiletten eignen sich am besten, da bei diesen weniger Wasser in der Toilettenschüssel ist.) Wenn die Flüssigkeit in der Toilette lila bleibt, oder noch schlimmer, pink wird, ist Ihr Urin zu sauer. Das Ziel ist blau. Wenn Ihr Urin zusammen mit dem Rotkohlwasser blau wird, ist er nicht sauer, sondern neutral oder sogar basisch.
Zu viel Phosphor im Blut kann das Risiko von Nierenversagen, Herzversagen, Herzinfarkten und einem frühzeitigen Tod erhöhen. Überschüssiger Phosphor scheint darüber hinaus unsere Blutgefäße zu beschädigen und den Alterungsprozess sowie den Knochenschwund zu beschleunigen.69 Daher scheinen erhöhte Phosphorwerte bei der Allgemeinbevölkerung einen eigenständigen Risikofaktor für einen frühzeitigen Tod darzustellen.70
Phosphor kommt in einer ganzen Reihe pflanzlicher und tierischer Lebensmittel vor. Die meisten US-Amerikaner konsumieren doppelt so viel Phosphor wie sie eigentlich brauchen,71 doch kommt es nicht nur darauf an, wie viel Sie aufnehmen, sondern eher darauf, wie viel Sie tatsächlich absorbieren. Beim Wechsel zu einer pflanzenbasierten Ernährungsweise können Sie einen deutlichen Rückgang Ihrer Blutphosphorwerte erreichen, auch wenn Ihre Phosphoraufnahme tatsächlich konstant bleibt.72 Das passiert deshalb, weil der in tierischen Lebensmitteln enthaltene Phosphor in Form einer Verbindung namens Phosphat auftritt, das von der Blutbahn wesentlich leichter aufgenommen wird als Phytate, der hauptsächlichen pflanzlichen Phosphorquelle.73 Wie Sie vielleicht noch aus Kapitel 4 wissen, läuft dies ähnlich wie bei der Aufnahme von Eisen ab, einem weiteren lebenswichtigen Mineral, von dem Sie zu viel absorbieren können. Unser Körper kann sich besser gegen die übermäßige Absorption von pflanzlichem Eisen schützen, aber nicht genauso effektiv das muskel- oder blutbasierte Hämeisen daran hindern, durch die Darmwand zu dringen.
Die schlimmste Phosphorart aber ist die, die in Phosphat-Lebensmittelzusätzen vorkommt. Diese Phosphorbestandteile werden Colagetränken und Fleisch zugefügt, um deren Farbe zu verbessern.74 (Ohne zugesetzte Phosphate wäre Coca-Cola pechschwarz.75) Weniger als die Hälfte allen pflanzlichen Phosphors76 und etwa drei Viertel aller natürlichen tierischen Produkte gelangen in die Blutbahn.77 Zugesetzte Phosphate jedoch können zu fast 100 Prozent absorbiert werden.78
Phosphatzusätze spielen gerade in der Fleischindustrie eine entscheidende Rolle. Hühnerfleisch wird oftmals mit Phosphaten injiziert, um dessen Farbe zu verbessern, ein höheres Wassergewicht zu erreichen (und dadurch die Erträge zu steigern, da Hühnerfleisch per Kilogramm verkauft wird) und die Menge an Fleischsaft zu verringern, die aus alterndem Fleisch austritt.79 Das Problem dieses Zusatzstoffes ist, dass er die Phosphormenge im Fleisch nahezu verdoppeln kann.80 Phosphatzusätze wurden als „reale und heimtückische Gefahr“ für Nierenpatienten beschrieben, da diese weniger dazu in der Lage sind, sie wieder auszuscheiden.81 Doch bei allem, was wir mittlerweile über überschüssigen Phosphor wissen, besteht für uns alle Grund zur Sorge.
In den USA sind elf verschiedene Arten von Phosphatsalzen zur Injektion in rohes Fleisch und Geflügel zugelassen;82 – eine Praxis, die in Europa längst verboten wurde.83 Phosphate, die in Fleisch und industriell verarbeiteten Lebensmitteln vorkommen, werden als „vaskuläre Toxine“84 angesehen, d. h. Giftstoffe, die in der Lage sind, unsere Arterienfunktion innerhalb von Stunden nach dem Verzehr einer phosphatreichen Mahlzeit einzuschränken.85 Bei Fleisch gibt es einen zusätzlichen Grund zur Sorge, was die Lebensmittelsicherheit betrifft, da der Zusatz von Phosphaten das Wachstum von oft Lebensmittelvergiftungen auslösenden Bakterien wie Campylobacter im Fleischsaft von Geflügel um das bis zu Millionenfache erhöhen kann.86
Dabei ist es ganz einfach, Phosphatzusätze bei industriell verarbeiteten Lebensmitteln zu vermeiden: Kaufen Sie einfach nichts, was das Wort „Phosphat“ auf der Zutatenliste stehen hat, einschließlich solcher Begriffe wie Pyrophosphat oder Natriumtriphosphat.87 Bei Fleisch ist es schon schwieriger, den Phosphatgehalt zu bestimmen, da die Hersteller in den USA nicht gezwungen sind, die beigefügten Zusatzstoffe anzugeben. Phosphatzusätze können mit Begriffen wie „Aromastoffe“ oder „Brühe“ umschrieben oder überhaupt nicht aufgeführt sein.88 Fleisch enthält von Natur aus leicht absorbierbare Phosphate. Noch mehr davon verstärken die Schädigung der Nieren nur noch. Hühnerfleisch scheint am stärksten davon betroffen zu sein: Eine Supermarkterhebung in den USA ergab, dass über 90 Prozent der dort verkauften Hühnerprodukte Phosphatzusätze enthielten.89
Wer bestimmt, ob Lebensmittelzusätze sicher sind?
2015 verkündete die US-Lebens- und Arzneimittelüberwachungs- und -zulassungsbehörde FDA endlich ihre Pläne, Transfette weitestgehend aus industriell verarbeiteten Produkten zu verbannen90 und zitierte eine Schätzung der CDC, dass jedes Jahr ganze zwanzigtausend Herzinfarkte in den USA vermieden werden könnten, wenn teilweise gehärtete Öle und Fette aus Lebensmitteln entfernt würden.91 Bis zum 16. Juni 2015 genossen Transfette immer noch den sogenannten GRAS-Status: „generally recognized as safe“ – allgemein als sicher eingestuft.
Warum wurden diese Killerfette anfangs überhaupt als sicher eingestuft?
Raten Sie mal, wer diese „GRAS“-Einstufung vornimmt. Nicht die US-Regierung und auch kein wissenschaftliches Gremium. Die Hersteller. Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Lebensmittelproduzenten in den USA dürfen selbst bestimmen, ob ihre eigenen Produkte sicher oder nicht sicher für die Verbraucher sind, ein Prozess, den die FDA als „GRAS-Selbsteinstufung“ bezeichnet. Besser noch, diese Hersteller können in den USA unserem Essen auf legale Weise Dinge zusetzen, ohne die FDA darüber zu informieren.92 Geschätzte eintausend Entscheidungen über die Sicherheit von Lebensmittelzusätzen wurden weder der FDA noch der Öffentlichkeit jemals mitgeteilt.93
Manchmal allerdings benachrichtigen die US-Lebensmittelhersteller die FDA, wenn Sie einen neuen Zusatzstoff einführen. Das hört sich richtig verantwortungsvoll von ihnen an, nicht wahr? Wahrscheinlich haben sie eine dritte Autorität, sprich ein unabhängiges Gremium, damit beauftragt, die Sicherheit ihrer Produkte zu überprüfen, um einen finanziellen Interessenskonflikt zu vermeiden, richtig?
Nun, nicht wirklich.
Von allen GRAS-Sicherheitseinstufungen, die zwischen 1997 und 2012 bei der FDA eingereicht wurden, wurden 22,4 Prozent von jemandem erstellt, der direkt für den Hersteller arbeitete, 13,3 Prozent von jemandem, der bei einer Firma angestellt war, die vom Hersteller selbst ausgesucht wurde, und 64,3 Prozent von einem wissenschaftlichen Gremium, das entweder vom Hersteller selbst beauftragt wurde oder aber von einer Firma, die eigens zu diesem Zweck vom Hersteller angeheuert wurde.94 Haben Sie mitgerechnet? Genau: Null Prozent der Entscheidungen zur Lebensmittelsicherheit wurden in unabhängiger Art und Weise getroffen.
Wie können die Regulatoren es den Herstellern selbst überlassen, zu entscheiden, ob die Lebensmittelzusätze, die sie in ihren eigenen Produkten verwenden, sicher sind? Folgen Sie dem Geld. Drei von Washingtons größten Lobbying-Firmen arbeiten jetzt angeblich für die Lebensmittelindustrie.95 So hat z. B. PepsiCo allein in einem einzigen Jahr über 9 Millionen US-Dollar dafür ausgegeben, um Lobby-Einfluss auf Mitglieder des US-Kongress auszuüben.96 Je tiefer Sie graben, umso weniger wird es Sie überraschen, dass Lebensmittelzusätze wie Transfette Jahr für Jahr Tausende Menschen töten dürfen.
Doch keine Sorge, den Herstellern zufolge sind sie ja sicher!
Jedes Jahr erhalten vierundsechzigtausend US-Amerikaner die Diagnose Nierenkrebs, und etwa vierzehntausend sterben daran.97 Etwa 4 Prozent dieser Fälle sind erblich bedingt,98 aber wie sieht es mit den restlichen 96 Prozent aus?
Früher wurde Tabakkonsum als das einzig akzeptierte Risiko angesehen, das für Nierenkrebs verantwortlich ist.99 Es gibt eine bestimmte Art von Karzinogenen im Zigarettenrauch – Nitrosamine – die als so schädlich eingeschätzt werden, dass sogar sogenanntes „Dritthand-„ oder „Rückstandsrauchen“ als Grund zur Sorge angesehen wird. Die Risiken des Tabakrauchens enden nicht damit, dass eine Zigarette ausgedrückt wird, da sich Rauchrückstände auf Wänden und anderen Oberflächen ansammeln.100 Etwa 80 Prozent aller Nitrosamine aus Zigarettenrauch können im Raum verbleiben, auch bei normaler Lüftung,101 also versuchen Sie immer, rauchfreie Hotelzimmer zu buchen. Nitrosamine sind einer der Gründe dafür, warum Sie drinnen nicht rauchen können, ohne dabei andere zu gefährden, sogar dann, wenn Sie allein rauchen und keine andere Person in der Nähe ist. Oder wie einer der führenden Wissenschaftler der Tabakkontrollbewegung kürzlich schrieb: „Derartig schädliche Karzinogene würden in jedem anderen Produkt, das zum Konsum für Menschen vorgesehen ist, sofort verboten werden.“102
Außer in einem weiteren: Fleisch.
Wussten Sie, dass ein einziger Hotdog so viele Nitrosamine (und Nitrosamide, die ähnliche Tabakkarzinogene sind103) wie vier Zigaretten enthält, und dass diese Karzinogene auch in frischem Fleisch auftauchen, einschließlich Rind-, Hühner- und Schweinefleisch?104 Das erklärt vielleicht die steigenden Nierenkrebsjahren in den letzten Jahrzehnten trotz der rückläufigen Raucherzahlen.
Die Verwirrung auflösen: Nitrate, Nitrite und Nitrosamine
Auch wenn in frischem Fleisch Nitrosamine enthalten sein können, scheint verarbeitetes und geräuchertes Fleisch wie Wurstaufschnitt besonders schädlich zu sein. In Europa hat die weltweit zweitgrößte prospektive Studie zu Ernährung und Krebs errechnet, dass eine Reduktion des Fleischkonsums um weniger als zwanzig Gramm pro Tag – weniger als eine streichholzschachtelgroße Portion – über 3 Prozent aller Todesfälle verhindern könnte.105 Die größte dieser Untersuchungen, die NIH-AARP-Studie mit über fünfhunderttausend US-Amerikanern (siehe Seite 66), ergab, dass der Anteil verhinderbarer Todesfälle sogar noch höher sein könnte. Die Wissenschaftler gingen z. B. davon aus, dass 20 Prozent aller durch Herzkrankheiten verursachten Todesfälle unter Frauen verhindert werden könnten, wenn diejenigen, die am meisten verarbeitete Fleischprodukte verzehren, ihren Konsum um eine Menge verringern würden, die täglich einem halben Streifen Schinkenspeck entspricht.106 Kein Wunder, dass das American Institute for Cancer Research empfiehlt, einfach „verarbeitete Fleischprodukte wie Schinken, Speck, Salami, Hot Dogs und Würstchen zu vermeiden.“107
Nitrite werden geräuchertem Fleisch als „Farbfixiermittel“ zugesetzt und helfen das Wachstum von Botulismusbakterien zu verhindern (die eine seltene, aber ernsthafte Erkrankung auslösen, bei der es zu Lähmungen kommt).108 Wie sieht es mit ungepökeltem oder ungeräuchertem Speck aus? Auf der Verpackung steht doch: „Ohne Nitrite und Nitrate.“ Doch lesen Sie einmal das Kleingedruckte, und Sie werden eventuell eine kleine Fußnote sehen, in der so etwas wie „außer solchen, die natürlich in Selleriesaft vorkommen“ steht. Gemüse enthält Nitrate, die sich durch Fermentation in Nitrite verwandeln lassen. Die Zugabe von fermentiertem Selleriesaft zu Speck ist also ein Hintertürchen, um dem Fleisch Nitrite zuzusetzen. Sogar Kommentatoren der Zeitschrift Meat Science haben eingesehen, dass die Verbraucher dies „im besten Sinne als falsch und im schlimmsten als irreführend“109 auffassen könnten.
Dieselbe Fermentation, die abläuft, wenn Nitrate in Nitrite umgewandelt werden, kann auch dann passieren, wenn Sie Gemüse essen – dank der Bakterien auf Ihrer Zunge. Warum sind Gemüsenitrate und -nitrite unbedenklich, während die aus Fleisch mit Krebs in Zusammenhang gebracht werden?110 Weil Nitrite allein nicht krebserregend sind, aber zu Karzinogenen, d. h. krebserregenden Stoffen, werden können. Nitrite werden nur dann gesundheitsschädlich, wenn aus ihnen Nitrosamine und Nitrosamide entstehen. Damit dies geschieht, müssen Amine und Amide vorhanden sein. Diese wiederum kommen massenhaft in tierischen Produkten vor. Die Umwandlung kann im Fleisch selbst oder nach dem Verzehr im Magen passieren. Bei pflanzlichen Lebensmitteln wird die Entstehung dieser Karzinogene im Körper durch Vitamin C oder andere natürlich in Pflanzen vorkommende Antioxidantien blockiert.111
Dieser Prozess liefert eine Erklärung dafür, warum sowohl Nitrate als auch Nitrite aus verarbeitetem Fleisch mit Nierenkrebs in Verbindung gebracht werden, bei Nitraten oder Nitriten aus pflanzlichen Quellen aber kein erhöhtes Risiko festgestellt wurde.112
Während Nitrite aus tierischen Produkten, und zwar nicht nur aus verarbeitetem Fleisch, mit einem erhöhten Nierenkrebsrisiko in Zusammenhang gebracht wurden, wurden einige der am stärksten nitrathaltigen Gemüsesorten wie bspw. Rucola, Grünkohl und Kohlgemüse mit einem deutlich verringerten Nierenkrebsrisiko assoziiert.113
Unsere Nieren tragen die enorme Verantwortung, jeden Tag und den ganzen Tag lang unser Blut zu filtern. Für zwei faustgroße Organe ist das eine Menge harter Arbeit. Unsere Nieren sind zwar extrem widerstandsfähig, aber nicht unzerstörbar. Wenn sie beginnen zu versagen, kann auch unser gesamter Körper versagen. Giftige Substanzen, die gesunde Nieren normalerweise herausfiltern würden, können in die Blutbahn gelangen und sich dort ansammeln.
Um die Nieren stark und die Blutbahn sauber zu halten, müssen Sie gut darauf achten, was Sie essen. Die fleischverrückte westliche Ernährungsweise kann Ihre Nieren langsam, aber kontinuierlich Mahlzeit für Mahlzeit schädigen und sie in einen Hyperfiltrationszustand zwingen. Überlegen Sie einmal, wie lange der Motor Ihres Autos wohl durchhalten würde, wenn Sie ihn immer bis hart an die Grenze hochjagen. Glücklicherweise hat die medizinische Wissenschaft nachgewiesen, wie Sie die Arbeits- und Säurebelastung Ihrer Nieren reduzieren können – durch den Wechsel zu einer pflanzenbasierten Ernährung.