Zuerst möchte ich Ihnen etwas sagen, das Sie wahrscheinlich nicht oft genug hören: Sie machen Ihre Sache großartig. Ob das nun der erste Erziehungsratgeber ist, den Sie in die Hand nehmen, oder der letzte von vielen – allein aufgrund der Tatsache, dass Sie engagiert genug sind, ein Buch über Kindererziehung zu lesen und sich gründlich Gedanken über das Thema zu machen, sind Sie höchstwahrscheinlich bereits eine gute Mutter oder ein guter Vater. Vermutlich sogar mehr als das.
Ich wünsche mir, dass Sie das in Ihrem Innern abspeichern. Ich begegne so vielen Eltern, die sich ständig Vorwürfe machen, weil sie glauben, ihrem Kind durch ihre eigenen Unzulänglichkeiten geschadet zu haben. Das Baby hat die ganze Nacht geschrien, und sie konnten nicht herausfinden, warum. An einem Tag forderten sie zu viel, an einem anderen waren sie zu nachgiebig. Sie haben zum Abendessen nur tiefgefrorene Fischstäbchen serviert. Sie haben noch keinen einzigen Schulausflug begleitet. So viele Mütter und Väter tragen ein Bild von perfekten Eltern in sich und sind sich schmerzlich bewusst, dass sie diesem Ideal nicht entsprechen. Ich hoffe sehr, dass nach Lektüre des vorliegenden Buches dieses Problem für Sie erledigt ist.
Ich will keine perfekten Eltern aus Ihnen machen, sondern optimistische, selbstsichere, unbekümmerte und furchtlose. Dieses Buch ist für all jene, die sich durch die Anforderungen und Belastungen, die die Erziehung ihrer kleinen Kinder mit sich bringt, gestresst, nervös, ängstlich, erschöpft, frustriert oder durcheinander fühlen – und die glauben, dass so etwas heutzutage der Normalzustand ist. Ich versichere Ihnen, dass das nicht der Fall ist. Ich habe mit vielen Eltern anderswo auf der Welt gesprochen, die genauso eingespannt und genauso am Wohlergehen ihrer Kinder interessiert sind wie wir hier in den USA. Dennoch habe ich sie selten über völlige Erschöpfung und Frustration klagen hören, so wie es in den Kinderkliniken in Colorado, Idaho oder in anderen Landesteilen der USA regelmäßig der Fall war. Das liegt nicht nur daran, dass in diesen Ländern vielleicht die Sozialleistungen besser sind, die Eltern länger Elternzeit bekommen, die Kinderbetreuung umsonst ist oder es Kindergärten für alle gibt (obwohl diese Privilegien natürlich sehr hilfreich sind). Der größte Unterschied zwischen jenen Eltern und den Durchschnittseltern in den USA liegt meiner Meinung nach woanders: Die entspannten Eltern, die mir in anderen Ländern begegneten, werden nicht dafür verurteilt, dass sie neben den Bedürfnissen ihrer Kinder auch ihre eigenen als wichtig erachten. Sie machen sich auch keine Sorgen darüber, was andere über ihre Erziehung denken oder was sie häufiger oder besser machen könnten. Da sie frei von ständiger Sorge sind und sich nicht darum scheren, etwaiger Kritik an ihrer Erziehung schon vorab entgegenzutreten, gelingt es diesen Eltern leichter, eine ruhige, positive und entspannte Haltung einzunehmen. Zwar gibt es überall auch Familien und Kulturen, in denen es strenger zugeht, aber im Allgemeinen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Eltern in vielen anderen Teilen der Welt – oder Eltern, die aus diesen Regionen stammen – eine optimistischere Einstellung haben; sie sind ganz einfach überzeugt, dass es Kindern in einer stabilen Umgebung und einer fürsorglichen Familie schon gut gehen wird. Das Ergebnis dieser entspannten Herangehensweise sind nicht nur glückliche und gesunde Kinder, sondern auch glückliche und gesunde Eltern.
Warum ist bei uns in den USA und vielen anderen westlichen Ländern diese zuversichtliche und lockere Einstellung zur Erziehung so selten anzutreffen? Weil sie von einer Kultur der Angst überlagert wurde, die immer neue Wege findet, Eltern einzuschüchtern und für jeden Triumph und jeden Misserfolg ihrer Kinder verantwortlich zu machen. Sicher gibt es auch diejenigen, die versuchen, sich diesem Trend zu widersetzen, und schon früh die Selbstständigkeit ihrer Kinder zu fördern. Sie lassen die Kleinen auch einmal Fehler machen oder weigern sich einfach, sich von der Angst verrückt machen zu lassen. Doch diese Eltern gehen zunehmend Risiken ein. Viele werden von anderen streng dafür verurteilt oder sehen sich sogar mit dem Jugendamt konfrontiert. So wurde zum Beispiel eine Frau aus Austin von ihrem Nachbarn der Kindesmisshandlung beschuldigt und dem Jugendamt gemeldet, weil sie ihrem sechsjährigen Sohn erlaubt hatte, draußen in Sichtweite der Veranda unbeaufsichtigt zu spielen.1 Ein Paar aus Maryland wurde wegen »Kindeswohlgefährdung« angeklagt, weil es seinen sechs und zehn Jahre alten Kindern erlaubt hatte, von einem Park in der Nachbarschaft allein nach Hause zu gehen.2
Wahrscheinlich wären die meisten US-Amerikaner der Meinung, dass es die Aufgabe der Eltern ist, ihre Kinder vor jedem Risiko und jeder Gefahr zu bewahren, dass sie draußen die Aktivitäten ihrer Kinder überwachen müssen, um für deren Sicherheit zu sorgen, dass sie die Fähigkeiten und Talente ihrer Kinder einschätzen und fördern müssen, weil diese sonst verkümmern könnten, oder dass Eltern sich aktiv um die schulische und akademische Laufbahn ihrer Kinder kümmern müssen. Sich diesen »Regeln« zu widersetzen gilt als unverantwortliche Vernachlässigung. Und diese Anforderungen an moderne Eltern klingen ja auch vernünftig. Aber ihnen zu entsprechen erfordert ein hohes Maß an Zeit, Engagement und Mühe, das so von den vorherigen Elterngenerationen niemals erwartet wurde. Für viele Eltern, vor allem Mütter, können diese Anforderungen – und das Schuldbewusstsein und die Angst, wenn sie diesen nicht genügen – erdrückend sein und zu Stress, Erschöpfung und Depressionen führen. Wenn extreme Vorsicht und Wachsamkeit zu den gesündesten, den Lebensanforderungen am besten gewachsenen Kindern auf der Welt führen würden, könnte man vielleicht argumentieren, dass der Erfolg der Kinder tatsächlich Vorrang vor dem Glück der Eltern haben sollte. Doch wird diese These von der Realität keineswegs gestützt.
Es ist viel darüber geschrieben worden, dass unsere amerikanische, auf Angst beruhende Erziehung zu seuchenartig auftretenden Zuständen von Stress und Unsicherheit führt und dazu, dass Mütter (und viele Väter) sich schlecht fühlen und sich unzulänglich vorkommen. Bislang aber hat das Wissen darum, dass Angst unserer Gesundheit schadet, Eltern noch zu keiner neuen Herangehensweise bewegt. Vielleicht können ja folgende Einsichten dazu beitragen: Inzwischen gibt es viele Hinweise darauf, dass die Art, wie wir heutzutage unseren Nachwuchs erziehen, nicht nur uns Eltern schädigt, sondern auch unsere heranwachsenden Kinder – und zwar sowohl körperlich als auch in ihrer geistigen Entwicklung. In den USA …
Merkwürdigerweise macht es unsere Kinder demnach offensichtlich weder emotional noch körperlich stabiler, wenn wir ihnen eine »Rundum«-Versorgung angedeihen lassen, bei der absolute Sicherheit an erster Stelle steht. Ähnliches wird in anderen Ländern wie zum Beispiel England und Deutschland beobachtet, in denen die gleichen Erziehungsstandards und -gewohnheiten herrschen. In diesem Buch wollen wir untersuchen, wie der Stress und die Angst, denen wir uns selbst aussetzen, die oben genannten Leiden bei unseren Kindern verstärken, wenn nicht sogar erst verursachen.
Wir müssen nicht einmal nach extremen Symptomen suchen, um den Schaden zu erkennen, den unser Über-Engagement und unsere zunehmende Besorgnis verursachen können. Ich habe die Folgen davon jeden Tag in meiner Praxis gesehen. Auch die Eltern erleben sie, nur sind sie sich der Zusammenhänge nicht bewusst. Typische Folgen sind zum Beispiel Babys, die nachts nicht durchschlafen, Kleinkinder, die keine gesunden Mahlzeiten essen wollen, Kinder, die Wutanfälle bekommen und unter Verlustangst leiden, und ältere Kinder, die sich gegen jede Disziplin auflehnen. Den Eltern wird dann versichert, dass Kinder biologisch auf ein derartiges Verhalten programmiert und tägliche Streitereien, laute Kämpfe und Stress ein natürlicher Teil des Familienlebens seien. Wenn dies der Fall wäre, würden sich sämtliche Eltern weltweit genauso oft wie wir mit diesen Problemen herumschlagen. Asiatische oder skandinavische Kleinkinder mit einem Wutanfall erlebt man jedoch selten. Nur wenige indische Kinder weigern sich, Gemüse zu essen. Eltern in den Niederlanden oder in Frankreich kümmern sich normalerweise nicht monatelang ausschließlich um schreiende Säuglinge oder ruhelose Kleinkinder. Unterscheiden sich amerikanische Babys und Kinder physiologisch von anderen? Natürlich nicht. Tatsächlich lassen sich diese »naturgegebenen« Probleme oft vermeiden. Sie werden eher durch das Umfeld und kulturelle Faktoren verursacht als durch biologische Voraussetzungen.
Durch meine Erfahrungen auf Reisen und durch viele Gespräche haben sich einige Erziehungsprinzipien herauskristallisiert, die Eltern in oder aus denjenigen Ländern gemeinsam sind, in denen Mütter und Väter meist zufrieden sind und oft familiäre Harmonie herrscht. Den meisten amerikanischen Eltern werden diese Prinzipien nicht eingängig sein oder sogar schockierend erscheinen.
Auf genau diesen Grundsätzen beruhen die meisten Ratschläge, die ich in all den Jahren hilfesuchenden Familien in meiner Praxis gegeben habe. Und das Befolgen dieser Prinzipien hat in deren Leben zu positiven Ergebnissen geführt und fast alle typischen Probleme, die in der frühen Kindheit auftreten können, verhindert oder behoben – von Koliken bis zu Schlafstörungen, von Wutanfällen bis zu Trennungsängsten.
Ein Problem, das alle Gesellschaftsschichten betrifft
Wenn man den auf amerikanischen Eltern und besonders Müttern lastenden Druck, perfekt sein zu müssen, kritisiert, lautet die spontane Antwort häufig, dass dies nur das Problem einer bestimmten wohlhabenden Bevölkerungsschicht sei; nur diese habe überhaupt die Zeit, sich mit so etwas zu beschäftigen. Aber das Phänomen betrifft nicht mehr nur die weiße Mittel- und Oberschicht, wenn es überhaupt jemals auf diese beschränkt war. Ich habe die unterschiedlichsten amerikanischen Familien beraten – Familien aus relativ homogenen Gesellschaftsschichten in Nordwest-Colorado, Familien aus städtischen, ethnisch unterschiedlichen Gemeinden in North Carolina und auch Eltern im abgelegenen, ländlichen Idaho, wo 40 Prozent der Bevölkerung den Gesundheitsdienst für Bedürftige in Anspruch nahmen. Ich habe die Kinder von gut situierten, gut ausgebildeten Eltern, von Paaren der Mittelschicht, von Teenager-Müttern und von ehemals Drogenabhängigen behandelt. Die meisten Eltern, denen ich begegne, sehen in der Elternschaft eine Zeit voller Liebe und unglaublicher Freude. Aber meist fügen sie hinzu, dass es auch eine stressige Zeit der Sorgen und der Erschöpfung sei. Viele betrachten ihre Müdigkeit und ihren Stress sogar als eine Art Ehrenmedaille, denn schließlich hat niemand behauptet, dass es leicht wäre, und jeder weiß, dass es mit Opfern und harter Arbeit verbunden ist, ein ausgeglichenes, gesundes Kind großzuziehen.
Aber ist es das wirklich? Ist es eine allgemeingültige Tatsache, dass gute Eltern bereit sein sollten, für das Wohl ihrer Kinder fast alles aufzugeben, oder dass eine gute Erziehung per se auch stressig sein muss? Dieses Buch wird Ihnen zeigen, dass es nicht so ist. In vielen anderen Ländern lassen sich Kindererziehung und Beruf miteinander vereinbaren. Die Eltern dort wollen ebenfalls nur das Beste für ihre Kinder, und natürlich machen auch sie sich manchmal Sorgen. Aber sie werden nicht von der Sorge vereinnahmt, weil sie – anders als wir – nicht mit der Botschaft bombardiert werden, dass Elternschaft eine Strapaze ist und die Kindheit eine gefährliche Zeit, in der es jederzeit zu einer Katastrophe kommen kann. Diese Einstellung setzt sich oft fast unmerklich in uns fest, weil wir entsprechende Behauptungen immer wieder hören und diese von einer ganzen Anzahl von Regeln verstärkt werden, die unsere schlimmsten Albträume abwehren sollen.
Nichts gibt einer risikofeindlichen Gesellschaft ein besseres Gefühl als eine hübsche Liste mit Regeln. Eltern lieben Regeln, denn mit Regeln muss man keine eigenen Entscheidungen treffen und hat ein paar Momente Ruhe bei einer Aufgabe, die ständiges Improvisieren verlangt.
Ich habe eine starke Abneigung gegen zu viele Regeln, vor allem, wenn es um das Aufziehen von Kindern geht. Abgesehen von denen, die auf physiologischen Gegebenheiten beruhen, haben Regeln im Allgemeinen eine kulturelle Grundlage und sind daher vollkommen subjektiv. Zum Beispiel reagierten viele Amerikaner völlig entsetzt, als sie die Geschichte der Familie Kaufman hörten: Das junge Paar nahm seine ein und drei Jahre alten Töchter mit auf eine Segeltour um die Welt, musste dann jedoch, als es die Kontrolle über das Boot verlor und die jüngere Tochter krank wurde, von der Küstenwache gerettet werden. In Blogs und Kommentaren wurden den Kaufmans Selbstsucht sowie Vernachlässigung und Gefährdung ihrer Kinder vorgeworfen. Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der es ein bestimmtes Niveau an Bequemlichkeit gibt und Kinder eben meist mit festem Boden unter den Füßen aufwachsen, erschien die Aktion der Kaufmans vielen unerklärlich und gefährlich. Diese Leute hatten die Regeln gebrochen, und viele wollten, dass sie dafür zahlten.
Und doch gibt es viele Familien, die ihre Kinder mit auf Abenteuertrips nehmen – wir hören bloß nicht davon, weil die Medien an erfolgreichen Familiengeschichten kein großes Interesse haben. Betrachtet man das Ganze in globalem Rahmen, war die Absicht der Kaufmans gar nicht so außergewöhnlich. Die Ethnien der Bajau und der Moken in Südostasien ziehen ihre Kinder auf Booten oder in auf dem Wasser gebauten Häusern groß, ohne dass es irgendwo Schwimmwesten oder Rettungsringe gäbe. Der Stamm der Korowai in Neuguinea lebt in Baumhäusern, die sich manchmal bis zu 50 Meter über dem Erdboden befinden.9 Bedeuten die offensichtlich anderen Sicherheitsstandards der Moken und der Korowai, dass Familien auf Segelbooten keine Schwimmwesten mehr mitnehmen sollten oder in höher gelegenen Wohnungen auf Schutzvorrichtungen an den Fenstern verzichten sollten? Natürlich nicht. Deutlich wird jedoch, dass Menschen sich bei entsprechender Planung und Konditionierung an fast alle Lebensumstände anpassen können. Die Regeln für die »richtige« Art und Weise, Kinder großzuziehen, sind viel flexibler, als man im Allgemeinen glaubt.
Sie wären überrascht, wie viele im Namen der Sicherheit aufgestellte und von fast allen Eltern in den USA als Dogma akzeptierte Regeln es gibt, von denen man in anderen Ländern noch nie gehört hat oder denen dort zumindest mit Skepsis begegnet wird. Zum Beispiel die Regel, die in Großbuchstaben auf dem Etikett jedes in den USA verkauften Honigglases prangt – Babys unter einem Jahr sollten keinen Honig bekommen. Diese Regel ist auch Ihnen bekannt, stimmt’s? Und doch geben Eltern in vielen anderen Ländern, zum Beispiel in Griechenland, Neuseeland, Frankreich und im Nahen Osten, ihren kleinen Kindern Honig, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken. Oft wird der Honig in Milchprodukte gerührt oder über Toast oder Obst geträufelt. Ist es ein anderer Honig, der da gegessen wird? Oder sind unsere Kinder für bestimmte Krankheiten anfälliger als Kinder in anderen Ländern? Weder noch. Der Grund für die in den USA ständig wiederholte Warnung liegt darin, dass in den 1970er-Jahren in Kalifornien einige Fälle von Botulismus (eine bakterielle Lebensmittelvergiftung) bei Kindern auftraten,10 was äußerst selten vorkommt. Später fanden Forscher dann in einigen Honigproben Spuren von Botulismussporen. Daraufhin sprachen die Gesundheitsbehörden die Empfehlung aus, dass Eltern Babys und Kleinkindern keinen Honig geben sollten, weil deren Magen-Darm-Trakt die Botulismussporen noch nicht abwehren kann. Botulismus kann tödlich verlaufen, besonders für kleine Kinder. Es war also durchaus von Bedeutung. Aber sehen wir uns die Umstände näher an:
Das Risiko, dass ein Säugling an Botulismus erkrankt, ist also extrem gering, und für ein Baby nach dem sechsten Lebensmonat noch geringer. Und doch werden nicht nur amerikanische Eltern grundsätzlich gewarnt: Keinen Honig für Babys unter einem Jahr! Offensichtlich entschied die Gesundheitsbehörde, dass es einfacher ist, Eltern mit einer allgemeinen, leicht zu merkenden Regel wirkungsvoll abzuschrecken, als sich die Mühe zu machen, die tatsächlichen Risiken aufzuführen. Und was noch wichtiger ist: Durch diese Absicherung müssen die entsprechenden Stellen keine Richtlinien darüber aufstellen, was für Kinder sicher ist und was nicht, und die Honigproduzenten können nicht zur Verantwortung gezogen werden, falls ein Kind krank werden sollte.
Nun ist es nicht wirklich von Belang, dass amerikanische Kinder im ersten Lebensjahr keinen Honig bekommen sollten. Aber es lohnt sich, die Logik hinter einer derart pauschalen Warnung zu verstehen. Diese Regel nämlich ist nur eine von Hunderten ähnlichen, mit denen sich Eltern konfrontiert sehen. Jeden Tag wird ihnen in Zeitschriften, sozialen Medien und im Fernsehen vor Augen geführt, auf wie viele Arten ihr Kind verletzt oder sogar getötet werden könnte. (Die amerikanische Zeitschrift Parents Magazine hat sogar eine Rubrik unter der Überschrift »It Happened to Me« – »Das ist mir passiert« – veröffentlicht, die diesen Horrorgeschichten gewidmet ist.) Fast immer sind die Erzählungen mit allgemeinen Ratschlägen gespickt, die Eltern befolgen sollten, damit ihrem eigenen Kind so etwas nicht passiert. Die Überschriften der Geschichten beginnen mit »Haben Sie schon gehört …?« oder »Können Sie sich vorstellen …?« Nach einiger Zeit ist alles so oft wiederholt worden, dass es nicht mehr als Ausnahme, sondern als Regel verstanden wird. Auf diese Weise werden viele Eltern eingeschüchtert und befolgen schließlich aus Angst auch irrationale Empfehlungen.
Hier ist eine Auswahl solcher allgemeinen »Verhaltensregeln« für Eltern. Wie viele davon kommen Ihnen bekannt vor?
Ich könnte ein ganzes Buch mit solchen erdrückenden Regeln füllen, die in unser kollektives Bewusstsein eingedrungen sind und Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder beeinflussen. Meist basieren diese Empfehlungen zwar auf Tatsachen, doch gingen im Laufe der Zeit die Einzelheiten verloren. Zum Beispiel:
Wenn man sich solche wichtigen Details bewusst macht, könnte das schon einiges an der Art und Weise ändern, wie wir unsere Kinder aufziehen.
Warum sind Eltern grundsätzlich ängstlich?
Ein Kind in den USA aufzuziehen, ist heute nicht gefährlicher als früher. Warum haben wir dennoch ständig das Gefühl, dass es so ist? Wer hat einen Vorteil davon?
Die Medien werden heute für alles Mögliche verantwortlich gemacht, aber in diesem Fall lässt sich wirklich mit Recht behaupten, dass sie großen Anteil an der bei Eltern inzwischen weit verbreiteten Angst haben, etwas falsch zu machen. Alles begann in den 1970er-Jahren, als über den Fall des kleinen Etan Patz in New York City berichtet wurde. Am ersten Tag, an dem er allein zum Schulbus gehen durfte, verschwand der Junge spurlos auf dem Weg dorthin. Ein Jahrzehnt später wurde die Ermordung des sechs Jahre alten Adam Walsh ausführlich thematisiert, der aus einem Kaufhaus in Florida gekidnappt worden war, während seine Mutter gerade einkaufte. Seitdem konfrontieren uns die Medien regelmäßig mit Geschichten über Kindesentführungen, Kindesmissbrauch, tragische Unfälle von Kindern und Todesfälle beim Umgang mit technisch fehlerhaften Produkten.
Für die Medien, inklusive der verschiedenen Eltern-Blogs, ist der Anreiz stark, möglichst schreckliche Fälle zu beschreiben. Angst verkauft sich gut, Vernunft und Unspektakuläres nicht. Über nichts reden die Leute mehr (und wollen immer mehr davon erfahren) als über das, was Angst macht – herzzerreißende Geschichten von Kindern, die um ihr Leben kämpfen, und von traumatisierten, aber triumphierenden Müttern, Geschichten von Vätern, die für ihre Kinder gegen eine langsam arbeitende medizinische Bürokratie kämpfen. Eltern, die leiden, sind naturgemäß stärker motiviert, ihre Geschichten mit anderen zu teilen – und das möglichst lautstark –, weil sie eine Veränderung fordern. Und da Angst die Aufmerksamkeit weckt, geben Zeitschriften und das Internet diesen Eltern gern eine Plattform, um ihre Botschaft zu verkünden: Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Furchtbare Dinge können passieren. Sorgen Sie dafür, dass Ihnen nichts geschieht!
Irgendwann ist diese Angst so tief verankert, dass sie selbst dann noch vorhanden ist, wenn man meint, sich davon befreit zu haben. Miriam, die in den USA aufgewachsen ist, aber jetzt mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in Israel lebt, musste erfahren, wie schwer sich alte Gewohnheiten ablegen lassen:
Ein sehr angenehmer Teil des Lebens in Israel ist die Freiheit der Kinder, das Gefühl, dass sie unter den Leuten um sie herum immer sicher sind. Hier sind wir voller Zuversicht, wenn wir unsere Kinder allein aus dem Haus gehen lassen. In den Vereinigten Staaten ist das ganz anders. Wir waren dort, als die Mädchen vier und zwei Jahre alt waren. In einem Kaufhaus sollte mein Mann auf eins der Mädchen aufpassen. Als ich zu ihm kam und fragte »Wo ist Ma’ayan?«, antwortete er: »Ach, ich weiß nicht, irgendwo.« Erschrocken erwiderte ich: »Was? Das kannst du doch nicht machen! Du musst immer wissen, wo sie ist! Wir sind hier nicht in Israel!« In den Vereinigten Staaten kann jederzeit jemand kommen und dein Kind mitnehmen. Mit diesem Gefühl war ich groß geworden. Man darf sein Kind nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. In Israel weißt du, dass jeder, der dein Kind findet, es zu dir zurückbringen wird. Man kann den Leuten vertrauen.14
Miriams Vertrauen und ihr Gefühl von Sicherheit sind besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie in einem Land lebt, in dem vor jeder Grundschule ein bewaffneter Wachtposten steht.
Unser Misstrauen basiert auch auf unserer prozessfreudigen Gesellschaft. In anderen Ländern werden weit weniger Prozesse angestrengt. Bei uns hingegen herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass jemand bezahlen soll, wenn etwas schiefläuft. Daher leben wir in einer Gesellschaft, die sich rundum absichert. Vor allem Ärzte, Erzieher und andere mit der Betreuung von Kindern beauftragte Berufsgruppen haben das Gefühl, dass extreme Vorsichtsmaßnahmen nötig sind, um nicht wegen Fehlverhaltens oder Vernachlässigung angeklagt zu werden. Dies ist auch der Grund, weshalb unsere Spielplätze hygienisch einwandfrei, wenig abenteuerlich und langweilig sind.
Und dann haben wir da noch das Internet, das Portal zum Informationszeitalter. Manchmal macht mir das Internet meine Arbeit extrem schwer. Mehr als einmal haben mich Eltern, deren Kinder Kopfschmerzen hatten, dazu gedrängt, eine teure und unnötige Untersuchung anzuordnen, um einen Hirntumor auszuschließen – und dass, obwohl die zuvor erfolgte neurologische Untersuchung unauffällig gewesen war. Ich kenne Eltern, die bereitwillige Ärzte gefunden hatten, um sogar eine Biopsie an ihrem Kind vornehmen zu lassen; sie wollten absolut sicher sein, dass die weichen, geschwollenen Lymphknoten nach einer Erkältung kein Anzeichen von Leukämie waren. Diese armen Eltern sind davon überzeugt, dass etwas mit ihrem Kind nicht in Ordnung ist und die Ärzte sich nachlässig verhalten. Sie sind wild entschlossen, für ihren Nachwuchs die Art von Anwälten zu sein, von denen sie in Zeitschriften gelesen haben.
Ich bewundere Eltern, die Fragen stellen und eine tiefe Hingabe zu ihrem Kind zeigen. Aber sie machen mich auch traurig, weil sie in neun von zehn Fällen umsonst in Panik geraten. Und die Zeit, die sie darauf verwenden, ist für immer verloren. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass sich Kinder vom Stress der Eltern ebenfalls stressen lassen. Eine von der University of California und der New York University durchgeführte Studie ergab, dass ein Kind in den Armen seiner Mutter schon nach wenigen Minuten deren Stressreaktion nachahmt – in Form einer erhöhten Herzfrequenz.15 Das lässt vermuten, dass Eltern in einem chronisch besorgten Zustand dieses Gefühl auf ihre Kinder übertragen.
Die heutige Informationsflut hat psychologische Auswirkungen. Es heißt immer »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, aber heute müsste man praktisch ohne Strom leben, um die Vorteile der segensreichen Ahnungslosigkeit vergangener Generationen zu genießen. All das leicht zugängliche Wissen vermittelt den Eindruck, wir hätten die Kontrolle über unser Umfeld und unsere Lebensumstände. Da überrascht es nicht, dass Eltern sich selbst dafür verantwortlich machen, wenn etwas schiefgeht (nicht zuletzt, da wir in einer Gesellschaft leben, die sofort mit dem Finger auf die Eltern zeigt, wenn am Verhalten der Kinder etwas auszusetzen ist). Darauf machte 2012 auch die Schriftstellerin Erika Christakis bei einer Podiumsdiskussion im Aspen Institute aufmerksam, bei der es um das Ziel von Erziehung ging: »Ich glaube, es macht sehr viel Angst, in einer Welt zu leben, in der wir uns so verantwortlich fühlen … obwohl viele Untersuchungen zeigen, dass wir viel weniger Einfluss auf unsere Kinder haben, als wir denken.«16
Einige Beobachter der amerikanischen Gesellschaft meinen sogar, dass Eltern – ähnlich wie die Kanarienvögel, die früher im Bergbau eingesetzt wurden – bei Gefahr als Erste Schaden nehmen – in unserem Fall durch eine extrem kapitalistische und wettbewerbsorientierte Gesellschaft. Kate, eine Australierin, besucht häufig die vielen Verwandten ihrer Mutter, die in den Vereinigten Staaten leben. Aufgrund ihrer Beobachtungen glaubt sie, dass wir aufgrund unseres schwachen sozialen Sicherheitsnetzes unterbewusste Ängste haben, die unsere Art der Kindererziehung beeinflussen. Wie können wir jemals entspannt sein, fragt sich Kate, wenn wir wissen, dass es keine Garantie für Sicherheit gibt – selbst, wenn wir alles richtig machen? Anders in Australien: »Wenn man Ärztin werden möchte, weiß man, dass es gelingen kann, wenn man nur hart genug arbeitet und einen guten Abschluss macht. In Australien hängt die Berufswahl dank der staatlichen finanziellen Unterstützung von Studenten nicht vom Geld ab. Wir haben da wohl mehr Möglichkeiten, als ihr sie hier habt.«17 Diese Möglichkeiten sind eine Quelle der Hoffnung und des Optimismus, die in den USA fehlen. Die Unsicherheit in unserem Land gibt uns das Gefühl, für die Zukunft unserer Kinder von Anfang an Vorsorge treffen zu müssen. Dadurch wiederum stellen wir zu hohe Anforderungen an sie und an uns selbst, was zu negativem Stress und ständiger Sorge führt und das Risiko birgt, uns die besten Jahre unseres Lebens zu verderben.
Für die Amerikanerin Borgit, die in Guatemala und Venezuela lebte, bevor sie nach Salt Lake City zurückkehrte, war der Kontrast zwischen dem ruhigen Leben ihrer Familie in Südamerika und der stets hektischen Geschäftigkeit und dem Wettbewerbsdruck in den USA einfach zu groß. »Das Leben in den Staaten ist hart. Vom Moment des Aufwachens bis zum Schlafengehen ist man busy, und während der Woche verbringt man kaum Zeit mit seinen Kindern. Ich war jeden Abend total erschöpft. Ich weiß gar nicht, wie viel freie, bewusst gelebte Zeit wir mit unseren beiden Kindern verbracht haben. Wer niemals außerhalb der USA gelebt hat, denkt vielleicht, dass das Leben eben so ist. Wir sind dann zurück ins Ausland gegangen, auch deswegen, um wieder mehr Zeit und diese Lebensqualität zu haben … Als wir erzählten, dass wir nach Saudi-Arabien auswandern, haben wir viele nicht gerade wohlwollende Blicke geerntet, aber dieses Land bietet das perfekte Umfeld für Leute mit Kindern. Kulturell und als Frau ist es hart dort, aber ich kann mir nicht vorstellen, wieder in die Staaten zurückzugehen. Auf keinen Fall, solange die Kinder noch zur Schule gehen.«18
Sowohl Miriam als auch Kate und Borgit bestätigen, was man dauernd hört und liest – Kinder im Ausland großzuziehen ist einfacher. Aber wir können nicht alle unsere Sachen packen und das Land verlassen. Und die meisten von uns lieben ihr Land und wollen hierbleiben. Was also können wir tun? Unser Wissen um bestimmte Dinge können wir nicht einfach wieder verdrängen, und wahrscheinlich werden sich weder die Medien, noch unsere Sozialpolitik oder unsere Workaholic-Kultur verändern. Was können Eltern tun, um gegen die Angst anzukämpfen, die die Zeit mit unseren Kindern in diesem Land zu einer solchen Herausforderung macht?
Als ersten Schritt können sie sich Durchblick verschaffen.
In all meinen Jahren als Kinderärztin waren weder ich noch meine Kollegen je mit einem Fall konfrontiert, in dem ein Kind in einer Toilette ertrunken wäre, wahrscheinlich weil das extrem selten passiert. Die US-amerikanische Kommission für Produktsicherheit bei Verbrauchsgütern (US Consumer Product Safety Commission) hat innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren Berichte von 16 Kindern unter fünf Jahren erhalten (bei etwa vier Millionen Geburten pro Jahr), die in einer Toilette ertrunken sind.19 Manchmal trinken kleine Kinder Toilettenwasser, aber was ist schon dabei, das bringt sie nicht um. Brauchen wir also wirklich Sicherheitsverschlüsse für Toilettendeckel? Kinder stoßen sich den Kopf, wenn sie laufen lernen, und sie kommen darüber hinweg. Brauchen wir wirklich Schutzvorrichtungen an Tischkanten? Kinder werden krank, aber die meisten Krankheiten, die sie sich einfangen, sind nicht gravierend, besonders dann nicht, wenn sie geimpft sind. Wenn Kinder sich nichts Ansteckendes von einem Einkaufswagen holen, weil Sie vorsorglich eine Schutzdecke in den Wagen gelegt haben, dann holen sie es sich irgendwo anders. (Was kommt als Nächstes? Tragbare Schutzhüllen für Fahrstuhlknöpfe?) Das Risiko des plötzlichen Kindstod ist in den USA seit 1992 um 50 Prozent zurückgegangen. Das liegt daran, dass Eltern damit begannen, ihre Kinder ausschließlich auf dem Rücken schlafen zu lassen, und nicht daran, dass sie die Kinder mit einem Monitor überwachen konnten oder ihnen ein im Strampler eingebautes Gerät Herzfrequenz und Temperatur ihres schlafenden Kindes übermittelt hätte. Verantwortlich für den Rückgang war auch nicht Owlet, eine 250 US-Dollar teure Baby-Überwachungssocke, die als »tragbare Zukunft« vermarket wird und die »dafür sorgt, dass jedes Baby mit einem Gesundheitsmonitor aus der Klinik entlassen wird«.20 Wahrscheinlich wissen viele Eltern, dass sie mit dem Kauf dieser Geräte übertreiben, sie kaufen sie aber trotzdem, weil sie sich damit besser fühlen. Wenn Eltern jedoch nicht bereits darauf konditioniert wären, sich ständig um ihre Kinder zu ängstigen, müssten sie dann überhaupt so weit gehen, um ihren Frieden zu finden? (Ich bekenne ehrlich, ich habe eine kostengünstige Mütze namens Tortle zur Vermeidung des Flachkopfsyndroms bei Babys entwickelt. Diese Kopfverformung hat in den USA um 600 Prozent zugenommen. Die Mütze habe ich – als letztes Mittel – entworfen, nachdem mir klar geworden war, dass unser moderner Lebensstil es auch umfassend informierten Eltern schwer macht, ein solches Syndrom zu verhindern. Im dritten Kapitel finden Sie mehr Informationen zum Flachklopfsyndrom.)
Stoßen Kindern furchtbare, tragische Dinge zu? Ja, leider. Doch sie geschehen bei Weitem nicht so oft, wie man uns glauben macht. Einer der Hauptgründe für versehentliche Verletzungen und tödliche Unfälle in diesem Land ist in Wirklichkeit die Armut.21 Bemerkenswerterweise wenden sich die Vermarkter von Sicherheitsprodukten für Kinder jedoch nicht an arme Leute, sondern an frischgebackene Eltern mit gutem Einkommen.
Wie kann ich das Risiko senken, dass mein Baby an plötzlichem Kindstod stirbt?
In den USA sterben noch immer Babys an plötzlichem Kindstod, etwa fünf von 10000 Babys. Im Zusammenhang mit dem plötzlichen Kindstod gibt es einige Faktoren, die man nicht beeinflussen kann, zum Beispiel Hirnabnormitäten bei der Geburt, ein geringes Geburtsgewicht und ein familiärer Hintergrund mit Verwandten, die an der Krankheit verstorben sind. Wahrscheinlich liegt in den meisten Fällen von plötzlichem Kindstod einer dieser Gründe vor. Es gibt aber auch Faktoren, die man beeinflussen kann und die die Risiken deutlich senken:
Ein Blick auf andere Kulturen kann uns helfen, unsere Überängstlichkeit abzulegen. Wenn Sie wissen, dass ein ganzes Land seinen Babys oder Kleinkindern Desserts mit Honig gibt, werden Sie nicht vor Angst zittern, wenn Sie Ihrem Baby den ersten Löffel davon anbieten. Wenn Sie wissen, dass Frauen schon vor Jahrhunderten ihre Kinder in der Obhut anderer Leute ließen, viele dies noch immer tun und trotzdem eine tiefe und innige Beziehung zu ihren Babys haben, dann fühlen Sie sich nicht mehr so schuldig, dass Sie jeden Morgen zur Arbeit gehen. Und wenn Sie erfahren, dass die glücklichsten Familien in der Welt diejenigen sind, in deren Kultur der kindliche Alltag nicht mit Lernen und anderen gesteuerten Aktivitäten vollgestopft ist und dass dort trotzdem neue Generationen kluger, gesunder, produktiver Menschen heranwachsen, sind Sie vielleicht nicht mehr so besorgt, dass Sie etwas »falsch« machen.
Mit einem neuen Blickwinkel werden Sie mehr Freude und Spaß an Ihren Kindern haben.
»Natürlich« ist das, was bei Ihnen am besten funktioniert
Ich bin nicht die Erste, die Eltern dazu ermutigt, sich bei der Erziehung ihrer Kinder von anderen Kulturen inspirieren zu lassen. Jahrelang haben zum Beispiel Pädagogen und Anthropologen Eltern empfohlen, die ein oder andere Gewohnheit von Völkern nachzuahmen, die noch sehr ursprünglich leben. Leider wurde in einigen Fällen daraus die Botschaft, dass wir unsere Kinder ganz und gar nach dem Modell dieser Menschen erziehen sollen und dass all unsere Erziehungsprobleme mit der Abspaltung von unserer natürlichen Umgebung zusammenhängen. Nun können aber einige der uns empfohlenen, angeblich natürlicheren Methoden – zum Beispiel mit dem Baby im selben Bett zu schlafen oder es am Körper zu tragen – den Stress der Eltern heutzutage noch verstärken. Manchmal werden Eltern verurteilt, wenn sie sich aus Gründen der Bequemlichkeit oder Effizienz für bestimmte Umgangsformen mit ihren Kindern entscheiden. Dabei wird übersehen, dass die sogenannten natürlichen Techniken vor Jahrtausenden genau deswegen eingeführt wurden, weil sie praktisch waren und den Eltern gestatteten, das zu tun, was sie tun mussten. Anders ausgedrückt: Eltern haben sich immer aus Gründen der Notwendigkeit selbst an die erste Stelle gesetzt. So leuchtet es ein, dass sich mit der Veränderung der Bedürfnisse und Lebensumstände der Eltern auch die Strategien der Kinderpflege und -erziehung ändern sollten. Einfach die Methoden einer anderen Kultur zu übernehmen, ohne gleichzeitig seinen Lebensstil anzupassen, funktioniert sehr selten. Der Schlüssel zum Erfolg besteht darin sicherzustellen, dass wir nur diejenigen Traditionen und Methoden übernehmen, die zu unserem heutigen Leben passen – und nicht zu einem Leben, wie wir es vielleicht vor Tausenden von Jahren geführt hätten.
Wir müssen uns das wieder klarmachen, was man in den meisten Ländern der Welt noch nicht vergessen hat: Eltern sollten ihre Kinder betreuen und anleiten, nicht bewachen. Meiner Erfahrung nach sind diejenigen, die das verstanden haben, im Allgemeinen glücklicher und gesünder und ihren Berichten zufolge zufriedener mit ihrem Leben und der Partnerschaft. Sie beschreiben auch eine stärkere Beziehung zu ihren Kindern. Das Leben ist kompliziert und anstrengend genug, warum es noch schwieriger machen? Bekämpfen Sie die Angst, haben Sie Vertrauen in sich selbst und gewinnen Sie eine neue Perspektive, damit die Augenblicke mit Ihren Kindern entspannt und fröhlich sind. Glücklicherweise leben wir in einer Epoche, in der wir den Luxus haben, die Zeit mit unseren Kindern genießen zu können. Verschwenden wir diese Zeit nicht. Die Jahre, die wir mit unseren Kleinen verbringen, sind kurz und wertvoll – lernen wir, sie angstfrei und mit Zuversicht und Optimismus zu gestalten, sodass unsere Kinder eines Tages mit Vorfreude und ohne Furcht in unsere große, schöne Welt hinausgehen.