City West
Neues Kranzler-Eck by night
Die Baukräne drehen sich unaufhörlich. Aus dem einstigen „Schaufenster des Westens“, in der Nachwendezeit etwas erblindet, wird langsam wieder das, was es einst war: das stolze Zentrum Westberlins.
Der Grundstein für das Vergnügungs-, Einkaufs- und Wohnviertel wurde 1885 gelegt, als der „Churfürstendamm“, damals ein staubiger Reitweg in Richtung Jagdschloss Grunewald, auf Anordnung Bismarcks zu einem repräsentativen Boulevard verbreitert wurde. Es war die Zeit, als Berlin aus dem Nichts der brandenburgischen Streusandbüchse emporwuchs und die Einwohnerzahl sich innerhalb eines Vierteljahrhunderts fast verdoppelte. Der Geldadel fand es schick, sein Domizil in den damaligen „Neuen Westen“ zu verlegen - die großbürgerlichen Wohnviertel nördlich und südlich des Kurfürstendamms sind bis heute eine Augenweide. Die Sogwirkung, die Berlin während der Weimarer Republik auf Künstler und Intellektuelle ausübte, tat das Ihrige, dass sich der Kurfürstendamm schnell in eine quirlig-umtriebige Großstadtarterie verwandelte, mit allem, was dazugehörte: mit Theatern und Kabaretts, Kinos und Kaffeehäusern, mit Kokain und leichten Mädchen. Im Krieg fiel etwa die Hälfte der Bebauung um den Ku’damm den Bomben zum Opfer. Mit dem Wiederaufbau versuchte man, an die Glanz-und-Glamour-Zeiten anknüpfen. Das alte Herz der Stadt war hinter der Mauer verschwunden, und so sollten die eingeschlossenen Westberliner hier mit funkelnd-glitzernder Urbanität Tag und Nacht bei Laune gehalten werden. Der Kurfürstendamm wurde zum „Schaufenster des Westens“. Touristen aus aller Welt sollten sehen, dass diese bunte Meile dem grauen Alexanderplatz überlegen war.
Nach der Wende wurde es stiller um die City West. Die Investoren konzentrierten sich auf den Potsdamer Platz und auf die alten Zentren Ostberlins. Bars und Clubs verschwanden, manche Flagshipstores verlegten ihren Sitz in attraktivere Viertel. Mittlerweile wird die City West aber wieder entdeckt. Der neuerliche Wandel ist spürbar: Allerorts hämmert, kracht und bohrt es, neue architektonische Hingucker entstanden und entstehen, die Raum für Modehäuser für die Massen, aber auch für Nobelboutiquen mit edlen Labels wie Escada, Prada & Co bieten. Altbewährtes dominiert, aber auch die Modeavantgarde traut sich langsam wieder an den Ku’damm. Das Facelifting der City West hat auch die Anwohner erfasst, es gibt viel Kunstbräune und selbst Botox to go. Die charmanten Terrassenlokale der Nebenstraßen folgen dem neuen Trend weniger. Viele sind alteingesessen, haben ihre Stammkundschaft und müssen nicht, wie z. B. in Mitte, durch ein ausgefallenes Design oder Konzept überzeugen. Ähnliches gilt für die hiesigen Galerien, Antiquariate und Delikatessenläden. Egal was, alles ist etwas gesetzter und gepflegter als anderswo in Berlin. Selbst die Autos vor den Häusern sind eine Nummer größer. Nachts aber ist die City West vergleichsweise unbelebt. Mit dem großen Nightlife scheint es vorbei zu sein.