Spaziergang

Länge ca. 2,5 km, Dauer ca. 1:45 Std
Am Potsdamer Platz steigen gläserne Fassaden gen Himmel, dazu Bürohäuser, wie man sie von der Skyline New Yorks kennt, nur eine Nummer kleiner. Verkehr herrscht auch auf dem Platz, aber nicht mehr so wie in den 1920er-Jahren. Damals war der Platz mit seinen umliegenden Cafés und Restaurants, Grandhotels und Filmpalästen der verkehrsreichste des Kontinents. Was eine Ampel und was ein Zebrastreifen ist, weiß heute jedes Kind. Als man hier aber 1924 die erste Ampel Europas aufstellte und den Zebrastreifen einführte, war das so neu, dass es erklärungsbedürftig war: „Zur Verkehrsregelung ist ein kleiner Verkehrsturm mit Uhr in der Mitte errichtet, der im Volksmund ‚Oberkieker’ heißt. Der dort in den Haupttagesstunden den Verkehr regelnde Beamte der Schutzpolizei zeigt durch optische Signale (grün bzw. rot) an, welche Durchfahrtrichtung freigegeben ist und welche gesperrt ist. Fußgänger haben sich auch danach zu richten und die vorgeschriebenen Übergänge zu benutzen, die auf dem Fahrdamm durch weiße Linien angedeutet sind“ (Straube-Führer Berlin, 1925).
Nach dem Krieg war der Platz eine weite Ödnis, Niemandsland und zugleich eine Art Dreiländereck: Hier trafen nicht nur der sowjetische (Mitte), der amerikanische (Kreuzberg) und der britische Sektor (Tiergarten) aufeinander, sondern auch Prostituierte, Kleinkriminelle und Schwarzhändler. Tauchte nämlich die Militärpolizei des einen Sektors auf, so flüchtete man einfach in den anderen. Im geteilten Berlin verlief über den heutigen Platz die Mauer, sieben Mauerelemente erinnern daran.
Übernachten
14Das Stue
17Grand Hyatt
22Scandic Berlin
Essen & Trinken
1Capital Beach
2Patio
3Zollpackhof
5Angkor Wat
6Bal™kç™ Ergün
7Käfer Dachrestaurant
9Capt'n Schillow
13Lindenbräu
16Kantine Nordische Botschaften
17Vox
19Casino des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung
20Weilands Wellfood
Café
4Konditorei und Café Buchwald
10Café am Neuen See
12Tea Lounge im Ritz-Carlton
15Helene Schwarz Café
Bars & Clubs
2140 seconds
Einkaufen
8KPM Quartier
11Michalsky Gallery
18Potsdamer-Platz-Arkaden
Acht Monate nach dem Fall der Mauer ging hier mit 350.000 Besuchern das bis dato größte Konzert der Rockgeschichte über die Bühne: The Wall. Kurz darauf begannen die Arbeiten an - wieder ein Superlativ - der damals größten Baustelle Europas. Am Potsdamer Platz entstand nicht nur eine neue unterirdische S-Bahnstation, sondern man errichtete auch vier Quartiere - Viertel mit z. T. eigenen Straßen und Plätzen, die alle zusammen den heutigen Potsdamer Platz ausmachen.
Zur ersten Orientierung stellt man sich am besten einfach neben den Nachbau des „Oberkiekers“ und blickt in Richtung Hochhäuser. In diesem Fall hat man den Leipziger Platz im Rücken (→ Spaziergang „Rund um den Checkpoint Charlie“ ab S. 160). Der gläserne Gebäudekomplex mit dem BahnTower bildet das → Sony Center, wo sich u. a. das → Museum für Film und Fernsehen befindet. Rechts davon, durch eine kleine Grünfläche getrennt, erstreckt sich das Beisheim-Center mit dem Ritz-Carlton. Dieses Areal, das bis zum Tiergarten reicht, ließ Otto Beisheim, der 2013 verstorbene Metro-Gründer, erbauen. Links des Sony Centers, durch den gelinde gesagt ziemlich lächerlich wirkenden Walk of Fame getrennt, liegt die → Daimler-City, in die die Alte Potsdamer Straße führt. Zwei Hochhäuser flankieren ihren Anfang, auf dem Dach des rechten befindet sich der → Panoramapunkt. Links der Daimler-City wiederum erstreckt sich der Tilla-Durieux-Park, ein eigenwilliger, länglicher Grünstreifen. Jenseits davon erheben sich die Park-Kolonnaden, eine streng symmetrische Reihe von Gebäuden mit H-Grundriss.
Folgt man vom Potsdamer Platz der Ebertstraße an den Mauerelementen vorbei gen Norden - die Ebertstraße zeichnet hier den einstigen Mauerverlauf nach -, fällt rechter Hand das futuristische Otto-Bock-Haus (Hnr. 15 a) ins Auge, dessen geschwungene weiße Fassadengestaltung der Struktur von Muskelfasern nachempfunden ist. Nicht ohne Grund: Die Firma Otto Bock ist Weltmarktführer in der Prothesenherstellung - das moderne Wissenschaftscenter kann besichtigt werden (Do-So 10-18 Uhr, Eintritt frei).
Hinter dem Weinberg der Hessischen Vertretung und dem roten Elefanten im Garten der Landesvertretung Niedersachsens tut sich das Stelenfeld des → Holocaust-Denkmals auf, das - so war’s nicht gedacht - Kinder zum „Huhu“-Schreien verführt. Auf der anderen Seite der Ebertstraße, schon im Tiergarten, steht einsam und schräg ebenfalls eine Stele: das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Die Kriminalisierung Homosexueller durch den Paragraphen 175 im Jahr 1935 führte zu über 50.000 Verurteilungen. Es kam zu Zwangskastrationen und Deportationen in KZs. In der Stele tut sich etwas, gehen Sie hinüber.
Und noch ein Mahnmal erinnert im Tiergarten an die Verbrechen der Nazis: das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma (über 500.000). Halten Sie linker Hand Ausschau, nachdem Sie die US-Botschaft (→ S. 111) und das Brandenburger Tor (→ S. 124) passiert haben. Das Denkmal besteht aus einem Wasserbecken mit einer dreieckigen Stele in der Mitte, darauf eine Blume. Tag für Tag versinkt die Stele in der Tiefe und taucht mit einer neuen Blume auf. Das Denkmal stammt vom israelischen Künstler Dani Karavan.
Hinweis: Ein Denkmal für die rund 70.000Euthanasie-Opfer der Nazizeit soll bis Ende 2014 an der Südseite des Tiergartens (auf Höhe Tiergartenstr. 4) entstehen.
Im Rücken des Reichstages (wir kommen später noch einmal an ihm vorbei) halten wir uns rechts, folgen der Dorotheenstraße und dann nach links der Wilhelmstraße zur Marschallbrücke. Dabei passiert man das Jakob-Kaiser-Haus, kein einzelnes Gebäude, sondern ein „Haus aus acht Häusern“, die durch Achsen und Brücken miteinander verbunden sind. Der Komplex mit 1745 Büros gehört zum Bundestag, wie auch das Eckgebäude zur Wilhelmstraße mit der gläsernen, fast wellenartigen Fassade von den Architekten Lieb + Lieb.
Kreuze erinnern am ehemaligen Todesstreifen an Maueropfer
Am Spreeufer rechts vor der Brücke befindet sich das ARD-Hauptstadtstudio. Vom gegenüberliegenden Ufer senden ntv und RTL ihre Hauptstadtbeiträge in die Wohnzimmer. Die dort angrenzende Uferzeile aus Platte soll durch moderne Neubauten ersetzt werden.
Entlang der Spree zieht sich links das Jakob-Kaiser-Haus bis zum Reichstag. Davor kann man auf einer Glaswand die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes in der Fassung von 1949 nachlesen, ebenfalls ein Werk von Dani Karavan.
Die gegenüberliegende Uferseite dominiert das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das jüngst erweitert wurde, weil zukünftig jeder Bundestagsabgeordnete (derzeit 622) vier anstatt drei Büros bekommen soll. Neben Büros beherbergt das Lüders-Haus die parlamentarische Bibliothek, dazu jenen Anhörungssaal, in dem die gefürchteten Untersuchungsausschüsse stattfinden, den jedermann zugänglichen Kunst-Raum und das Mauer-Mahnmal (→ Kasten „Ins Zentrum der Macht“).
Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus auf ehemals Ostberliner Seite ist durch zwei Brücken (die obere hat den Spitznamen „höhere Beamtenlaufbahn“) mit dem Paul-Löbe-Haus auf ehemals Westberliner Terrain am anderen Ufer verbunden - der symbolische Brückenschlag des Bundestags zwischen Ost und West. Für beide Häuser zeichnete der Architekt Stephan Braunfels verantwortlich.
Direkt am Spreeufer - die Spree war hier der Todesstreifen - erinnern sieben Kreuze an die einstigen Maueropfer. Gehtman zu den Kreuzen hinab und schaut dort linker Hand ums Eck, erblickt man zwei grüne Männer auf zwei grünen Leitern. Sie haben, wie so manche Abgeordnete auch, „hohe Ziele“ vor Augen. Die Leuchtskulpturen schuf Neo Rauch.
Für die Besichtigung der Bundestagsgebäude und des Kanzleramts → Kasten „Ins Zentrum der Macht“.
In Nachbarschaft zum → Reichstag kommen im Paul-Löbe-Haus die Ausschüsse und Lobbyisten (geschätzte 5000 in Berlin) zusammen und beraten über Fischfangquoten und Subventionen. Das Hauptportal des Hauses mit monumentalem Vordach und verglaster Eingangshalle erhebt sich gegenüber dem Ehrenhof des Bundeskanzleramtes, wo beim Besuch hoher Staatsgäste der rote Teppich ausgerollt wird. Im siebten Stock des Kanzleramts-Kubus hat Angela Merkel ihr Büro, im Stockwerk darüber pflegt sie zu speisen. Viel „umbaute Luft“ kennzeichnet die Architektur des Kanzleramtes, das wegen der riesigen Bullaugen an den Seiten - so heißt es in den Kommentaren der vorbeiziehenden Ausflugsschiffe - von den Berlinern „Waschmaschine“ genannt wird; das ist Humbug!
Gegenüber der Zufahrt zum Kanzleramt steht - irgendwie etwas verloren - die Schweizer Botschaft. Wie durch ein Wunder überstand das Gebäude den Krieg, während alles drum herum in Schutt und Asche versank. Aber allzu viel stand hier schon vor Kriegsbeginn nicht mehr. Das ehemalige feudale Alsenviertel hatte bereits Hitler stellenweise plattmachen lassen, um seinen Traum von Germania zu verwirklichen (→ Kasten, S. 22).
Rund um den Spreebogen wird das Regierungsviertel ausgebaut: Noch bis Ende 2014 sollen hier das Bundesinnenministerium und das Bundesministerium für Forschung und Bildung entstehen.
Im Sommer kann man den Spaziergang in der Strandbar Capital Beach (→ Essen & Trinken) ausklingen lassen. Die Bar liegt in Blickweite zum → Hauptbahnhof, von wo man per U- und S-Bahn oder Bus in alle Ecken der Stadt gelangt.