Die Freiheit, die nur Sie meinen

Ihr Ruhestand: Jetzt sind Sie frei für Experimente!

Zugegeben: So richtig subversiv klingt es nicht, wenn ich Ihnen im Folgenden vom Kochen, Golfen oder Tanzen erzähle. Und Zeitlöcher will ich auch nicht füllen.

Eher so: Einzigartig und besonders wird die jetzt vor Ihnen liegende Zeit, wenn Sie sich auf Neues einlassen und es sich zu eigen machen. Sich herantasten, probieren, ohne festes Ziel rummachen, ein Gefühl dafür bekommen, um irgendwann zu entscheiden: Schmeckt es mir?

Ja, Kochen ist eine spannende, vielfach unterschätzte Sache: Da ist zunächst die handwerkliche Seite, die bei Ihnen bisher zu kurz kam, wenn Sie Nahrungsaufnahme nur bei Muttern oder in der Kantine zelebriert haben. Das Kochhandwerk ist spannend, gerade auch bei den einfachen Tätigkeiten. Wie kriegt man nun die Zwiebeln richtig fein geschnitten? Wie macht man einen Fond? Wie würzt man mit Kreuzkümmel oder Kardamom? Wie wird der Fisch nicht faserig? Das ist die Pflicht, und schon die kann tagesfüllend sein, vor allem wenn Sie von der mutigen Sorte sind und in vier Wochen eine kleine Abendgesellschaft einladen, um denen mal was vorzukochen. Ich bin da schon ganz schön ins Rotieren gekommen.

Noch aufregender wird es, wenn Sie es so angehen, wie es in dem Interview mit den Redzepis21 beschrieben ist: Kochen als ausprobieren, als herausfinden, was Ihnen alles schmecken könnte, als Zugang zu Ihrer Sinnlichkeit, als eine Möglichkeit, zu experimentieren.

Kochbücher kaufen ist lustvoll, Kochbücher lesen auch, vor allem, wenn Sie gerade abnehmen und sich das Knäckebrot durch Phantasien von künftigen Höhepunkten Ihrer ganz persönlichen nouvelle cuisine süß kauen. Kochen Sie nicht nur nach fremden Rezepten, sondern fangen Sie irgendwann an, Eigenes zu entwickeln.

Endlich können Sie Italienisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch lernen: Das ist einfach geworden, fast für jede denkbare Sprache gibt es hervorragende CDs. Sie können sich aber auch Lehrer suchen. Meine Tochter hat mit einer Lehrerin Khmer gelernt, eine Freundin Türkisch, mein Bruder lernt Italienisch in der VHS. Ich halte es mehr mit der Italienisch-CD, weil ich immer wieder längere Strecken Auto fahren muss und dann gut hören kann.

Abstrakt lernen geht – »ich wollte immer schon mal wissen, wie Japanisch funktioniert« –, aber motivierender ist es, wenn Sie mit der Sprache etwas anfangen können: Wenn Sie zum Beispiel im Piemont wandern, kommt es gut, sich mit den Leuten auf Italienisch unterhalten zu können. Arabisch ist mehr als hilfreich, wenn Sie ehrenamtlich Flüchtlinge betreuen. Ein schon lange frühverrenteter Bekannter hat sich auf die nordischen Sprachen gestürzt, Norwegisch, Isländisch, ein Höhepunkt war der Besuch auf den Faröern, und ich habe gelernt, dass die dortige Hauptstadt Thorshavn heißt; macht ganz schön was her. Sie tun nicht nur etwas für Ihr Gehirn, was für sich genommen schon ein guter Grund wäre, sondern Sie finden Zugang zu Provinzen der Welt, von denen Sie vorher nichts ahnten. Ich habe das bei meiner Tochter erlebt, als ich sie in Kambodscha besuchte, wenn sie die Dorfbewohner auf Khmer (kmai gesprochen) ansprach: Wie die erst staunten, dass eine Europäerin ihre Sprache fließend sprach, dann lächelten, ganz viel wissen wollten und begeistert waren. Die Welt besteht eben nicht nur aus Hamburg, München oder gerade mal New York!

Golf, der Klassiker! Viele machen die Erfahrung, dass Tennis nicht mehr gut geht über sechzig, oder der Orthopäde meint, dass diese unkontrollierten Drehbewegungen Gift für die Facettengelenke – schlagen Sie mal nach! – sei. Da gäbe es doch eine Alternative mit kontrollierten Bewegungen. Golf eben. Also, um es klar zu sagen: Meisterschaftsverdächtig werden Sie nicht mehr spielen, wenn Sie mit sechzig anfangen. Falls Sie mir das nicht glauben, schauen Sie sich mal ein Turnier mit 16-Jährigen an. Aber der sechzigjährige Bernhard Langer ist ein gutes Vorbild, mit seiner Demut, seiner Akzeptanz für versemmelte Bälle – vor allem der anderen, er schlägt ziemlich gerade! –, und seinem geradezu unglaublichen Übungseifer. Golf kann richtig gut für Sie sein, weil es in jeder Hinsicht anspruchsvoll ist: motorisch, geistig, mental. Selbst wenn Sie ja immer »nur« gegen sich spielen, müssen Sie üben, vorher Gymnastik machen, sich dehnen. Und Sie brauchen schon Ausdauer – das heißt, Sie können Ihre Ausdauer zu einem guten Zweck trainieren, denn das ist besser, als stumpfsinnig auf dem Zimmerfahrrad oder der Rudermaschine vor sich hin zu trainieren. Und wenn Sie zwischendurch hinschmeißen wollen, weil Sie sich doch im Ruhestand nicht mehr so – über sich! – ärgern wollten, befinden Sie sich in guter Gesellschaft: Beckenbauer soll einmal sein Golfbag im Wasserhindernis versenkt haben! Sie sollten aber nicht nur auf den Ball starren, das Beste ist das Drumherum: Wenn Sie an einem schönen Sommermorgen als Erste/r auf dem Platz sind (ja, der Tau lässt die Bälle beim Putten nicht so gut rollen), sehen Sie Vögel, Hasen, Rehe, die Sie schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen haben.

Klavier spielen wollten Sie immer schon, und nie glaubten Sie, Zeit dafür zu haben. Aber jetzt! Jetzt ist Ihre Zeit: Auch wenn Sie wissen, dass Sie nicht mehr wie Lang Lang spielen werden; die Erziehungsmethoden seines Vaters wollen Sie ja auch nicht erleben. Aber aktive Musiker werden viel seltener dement als andere Menschen, und Klavierspielen ist wie Golf eine komplexe Herausforderung. Sie machen die Erfahrung, wie es ist, etwas vollständig neu zu lernen. Erst wissen Sie nicht, wie Sie die Finger halten sollen, die Akkorde klappern. Kontrolle sieht anders aus. Üben! Das ist auch eine Reminiszenz an längst vergangene Tage. Zuerst verzweifeln Sie, nichts klappt. Trotz zwei Stunden üben pro Tag. Dann lassen Sie’s für ein paar Tage sein, und plötzlich – diese schwierige Stelle, die Sie zum Wahnsinn getrieben hat, klingt astrein. Für solche Erfahrungen lohnt sich der Ruhestand! Musik! Jetzt haben Sie die Chance, zu erfahren, dass diese Verbindung von Klang, Seele und Rhythmus – haben Sie mal genau auf die Bässe bei Bach gehört? – das Größte überhaupt sein kann. Es muss auch nicht unbedingt Klassik sein, Jazz, Keith Jarrett oder Leonard Cohen – wenn Sie selber spielen, bekommen Sie einen ganz anderen Zugang, hören ganz anders hin. Ohne Leistungsanspruch können Sie sich zuhören, erleben, wie die Klänge auf Sie wirken, was sie in Ihnen auslösen. Ein Freund, Universitätsmediziner, entdeckte, wie schön es ist, dem 11-jährigen Sohn, auch nicht Lang Lang, beim Klavierspielen zuzuhören.

Sie wohnen in einer Etagenwohnung und glauben, das Klavierspiel sei zu laut? Es gibt inzwischen qualitativ ordentliche elektrische Klaviere, mit akzeptablem Anschlag, die Sie mit Kopfhörer spielen können. Die Qualität ist nicht die eines Steinway-Konzertflügels, aber den würden Sie sich ja sowieso nicht anschaffen. Übrigens: In einen Klavierladen gehen und ein Klavier kaufen – oder mieten, das hat was!

Natürlich können Sie auch andere Instrumente spielen. Geige, Cello, Trompete, Saxophon. Probieren Sie ruhig alles aus. Sie sollten nur bedenken, dass der technische Anspruch bei diesen Instrumenten meist erheblich höher ist, unter anderem, weil Sie die Töne ja selber halbwegs zutreffend hervorbringen müssen. Beim Klavier schlagen Sie eine Taste an, und der Ton ist da.

Tanzen!

In Ihrem Alter? Aber ja! War da nicht was? »Zwei alte Tanten tanzen Tango mitten in der Nacht …« von Georg Kreisler! Lilaschwarz! Tango, das wärs.

Was ist am Tanzen gut?

Sie machen etwas zu zweit und bringen ein paar frische Melodien in die Beziehung. Es sei denn, Sie sind schon in der Stress-Streit-Konflikt-Phase: Dann kriegen Sie das mit dem Tanzen nicht mehr hin, weil permanente Führungsprobleme nur nerven. In solchen Situationen hilft – wenn überhaupt – nur eine Paartherapie.

Interessant: Tanzen ist im Gehirn in den Basalganglien organisiert, einer Hirnstruktur, die auch dann noch funktioniert, wenn das Großhirn allmählich nachlässt. Sogar Demente können sich unheimlich am Tanzen freuen, wenn sie es beizeiten gelernt haben.

Tango ist deswegen so gut, weil eigentlich keiner führt – na ja, vielleicht der Mann ein bisschen. Statt führen ist aufeinander achten angesagt, spüren, was der andere macht. Sie tun was – für den Gleichgewichtssinn, für die Ausdauer, für das Gedächtnis und nicht zuletzt für die Beziehung. First of all: Es macht Spaß!

Malen, Aquarell, für den entschlossenen Pinselstrich, Öl, wenn Sie lieber rumbazeln – allein schon das Kaufen von Farben und Pinseln ist ein Genuss, der Sie in eine neue Welt eintauchen lässt.

Das ist beileibe noch nicht alles: Ein enger Freund, der bis dato nur Computertastaturen bearbeitet hatte, wollte gerne was mit Holz machen. Da gibt es ja sooo tolle Geräte, kleine und größere! Sägen, Hobel, Messer!

Dann kam die Phase des Holzsammelns inklusive einer kurzen Ehekrise, weil seine Frau die (un-)heimliche Schönheit der gesammelten Baumstümpfe und knorrigen Äste nicht so richtig würdigen konnte. Jetzt ist er so weit, dass er richtig tolle Kunstgegenstände macht, die er gut verkauft. Und manchmal bemalt sie die dann noch, weil das offenbar ihre Stärke ist.

Der Phantasie sind, wie Sie sehen, keine Grenzen gesetzt. Vorausgesetzt, Sie lassen sich auf das Neue in diesem Leben ganz ein: herantasten, probieren, schmeckt es?

Ist Golfen gut fürs Alter?

Interview mit Wanda Fahrenkrog, Golf-PGA Professional

Wir kennen uns seit elf Jahren, als ich mit dem Golfen anfing.

Bernhard Langer ist sechzig Jahre alt und spielt wie ein junger Gott. Aber er spielt auch schon seit 45 Jahren. Macht es Sinn, mit sechzig plus noch mit Golf anzufangen?

Aber sicher! Golf verbessert in den meisten Fällen die Lebensqualität und verlängert oftmals sogar das Leben.

Denn die Beweglichkeit, Konzentration, Ausdauer und noch vieles mehr werden durch den Golfsport gefördert.

Klingt gut. Gibt es Vorbedingungen?

In erster Linie sollte man Spaß haben. Auch Freude, sich zu bewegen, und natürlich gerne an der frischen Luft sein. Auch ist es nicht schlecht, wenn man sich schon vorher mit irgendeinem Sport auseinandergesetzt hat, da ein gewisses Maß an Körpergefühl lohnenswert ist. Ist aber keine Vorbedingung.

Muss man für Golf begabt sein?

Nicht speziell, mit sechzig möchte man wahrscheinlich keine Profikarriere mehr starten.

Viele kommen sich doof vor, in diesem Alter noch mit einer neuen Sportart anzufangen und erst mal gar nichts zu können.

Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile. Ab sechzig hat man mehr Lebenserfahrung (denke ich), ist ruhiger geworden und kann sich seine Ziele realistischer setzen. Daher wird man eher in der Lage sein, das zu genießen – was man kann.

Aber ist Ehrgeiz nicht positiv?

Natürlich muss man üben, da es eine ganze Weile dauern kann, bis eine Bewegung automatisch funktioniert, von der Planung im Kopf bis zur Ausführung durch die Muskeln kann ein langer Weg sein. Daher würde ich es eher Geduld nennen.

Es bringt also nichts, besonders weit schlagen zu wollen?

Weite ist leider nicht das ganze Paket. Wenn die Bewegung aber technisch ganz gut ist und eine Portion Selbstvertrauen hinzukommt, erreicht jeder Spieler ausreichend Länge.

Wenn der Schwung stimmt, kommt die Weite von selbst – klingt fast meditativ! Wie ist es mit dem Zusammenspielen?

Das ist das Besondere am Golf. Zwei Personen, die ziemlich unterschiedlich gut sind, können problemlos zusammen spielen.

Im Tennis – zum Beispiel – wird es für einen guten Spieler schnell langweilig, wenn er gegen einen deutlich schlechteren Spieler antreten muss, und der schlechte ist schnell frustriert. Im Golf ist es eben auch möglich, dass der weniger Qualifizierte gewinnt, weil das Handicap den Unterschied ausgleicht.

Ich kann ja auch alleine spielen …

Auch das ist möglich. Im Grunde spielt jeder immer nur gegen sich selbst. Weswegen man sich auch nicht über den Mitspieler beschweren kann, über den falsch angeschnittenen Ball – wie beim Tennis – oder andere angebliche Ungerechtigkeiten.

Brauche ich einen Trainer oder ist es nicht einfacher, ohne viel Grübeln auf den Ball zu hauen?

Am Anfang ist ein Trainer auf jeden Fall besser, um die wichtigsten Bewegungsgrundlagen zu lernen und sich keine Fehler anzugewöhnen, die gesundheitliche Probleme mit sich bringen können. Aber selbst wenn man schon jahrelang spielt, machen regelmäßige Kontrollen Sinn. Selbst Spitzenspieler arbeiten ständig mit einem Trainer zusammen.

Hat man denn überhaupt eine Chance, noch ein passabler Golfer zu werden, wenn man erst mit 60+ anfängt?

Diese Chance ist sogar ziemlich gut. Es kommt allerdings darauf an, wie man einen passablen Golfer definiert. Wenn man mit sechzig anfängt und regelmäßig spielt und auch Trainerstunden nimmt, kann man es innerhalb einiger Jahre schon auf ein Handicap von 18 bis 20 bringen. Das ist ziemlich ordentlich; es würde bedeuten, dass man an jedem Loch einen Schlag über PAR braucht, um einzulochen. Ein einstelliges Handicap ist ein hohes Ziel.

Sicherlich gibt es auch – wie in allen Lebenslagen – Ausnahmegolfer.

Was heißt PAR?

Professional Average Result – die Zahl an Schlägen, die ein Profispieler – die haben meist ein Handicap von 0 – braucht, um den Ball vom Abschlag bis in das Loch zu spielen. Auf jedem Golfplatz gibt es eine bestimmte Zahl von PAR 3-, PAR 4-, und PAR 5-Löchern.

Und weil wir gerade bei den Begriffen sind: Spielt man ein Loch mit einem Schlag unter PAR, so nennt man das Birdie, 2 unter PAR heißt Eagle und 3 unter PAR Albatros. Wenn man umgekehrt einen Schlag über PAR braucht, so ist das ein Bogey, 2 Schläge darüber sind ein Doppel-Bogey und so weiter.

und das Handicap?

Das Handicap errechnet sich aus der Differenz zwischen dem PAR eines Platzes und der Schlagzahl, die ein Spieler benötigt, um alle 18 Löcher einzulochen. Das PAR eines Golfplatzes ist meist 72; wer dafür durchschnittlich 72 Schläge braucht, hat ein Handicap von 0, wer 90 braucht, eines von 18 und so weiter.

Klingt etwas kompliziert. Und wofür ist das nun gut?

Um die verschiedenen Spielstärken auf ein Level zu bringen. Wenn ein sehr guter (Handicap 0) und ein mittlerer Spieler (Handicap 18) gegeneinander spielen, bekommt der mittlere Spieler gegenüber dem guten 18 Schläge vor.

Letzten Endes heißt das doch, dass man immer gegen sich selbst spielt?

Genau. Und das ist auch das Gute am Golf: Man hat es immer mit sich selbst zu tun. Es sind immer meine guten oder meine schlechten Schläge.

Aber es gibt doch jede Menge Regeln beim Golf, und bevor man auf den Platz darf, die »Platzreife« bekommt, muss man ja auch einen Regelkurs absolvieren.

Wichtiger sind die »Etikette« auf dem Gelände, den Platz zu schonen und natürlich auch das Verhalten den anderen Spielern gegenüber. Die sogenannten Golfregeln helfen mir als Spieler. Und wenn ich diese als Spieler kenne, kann ich sie mir zunutze machen. Oder möchtest du gerne aus dem Wasser spielen oder auf den Baum klettern?

Was findest Du am Golf so toll?

Draußen sein, in der Natur.

Natürlich auch der Kontakt zu interessanten Menschen.

Beim Golf lerne ich viel über mich selber, kann besser mit Stress umgehen, meine Konzentration und mentale Stärke werden gefordert sowie die Beweglichkeit gefördert.

Ist es nicht das, was im Alter auch trainiert werden sollte? Also ist Golf die ideale Sportart!

Eine gute Struktur und genügend Schlaf

Mich erstaunt immer wieder, warum die Menschen so wenig über den Zustand wissen, in dem sie die Hälfte ihrer Zeit zubringen – über den Schlaf. Vielleicht, weil uns das Meiste am Schlaf nicht bewusst ist. Dabei ist der ganz normale Schlaf ein wunderbarer, süchtig machender Zustand!

Aber fangen wir von vorne an.

Der Schlaf ist ein wesentlicher Teil Ihrer Tagesstruktur, und nur wenn Sie eine geordnete Tagesstruktur leben, haben Sie eine Chance auf guten Schlaf.

Welche Tagesstruktur ist die richtige?

Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten, denn meine richtige Tagesstruktur ist nicht die richtige für Sie, und umgekehrt. Wie alles Wichtige in unserem Leben ist es eine höchst individuelle Angelegenheit, wie Sie Ihren Tag leben.

Sie sind ja schon etwas älter und haben in puncto Tagesstruktur einiges erlebt. Denn seit den goldenen Jugendtagen mussten Sie Ihre Tage stets nach anderen ausrichten: Schon die Grundschule fing für Sie eine Stunde zu früh an. Um 10 Uhr wären Sie so weit und fit genug gewesen, um alles zu geben. Aber Schulbeginn um acht, was bedeutete, um halb sieben aufstehen, frühstücken, obwohl Sie nichts runtergebracht haben, und um 7:15 Uhr auf den Schulweg schleichen – hätten Sie gewusst, dass es eine Kinderrechtskonvention gibt, so hätten Sie sich Beistand von der UNO geholt.

Und das ging so weiter: Gymnasium, Studium und erst recht im Berufsleben. Sie sympathisieren vermutlich mit einer meiner Sekretärinnen, die es trotz des unerschrockenen Einsatzes von fünf Weckern nie schaffte, pünktlich um 8:30 Uhr an ihrem Schreibtisch zu sitzen. Sie beide gehören offenbar zu den Eulen. Das ist nicht despektierlich gemeint, sondern charakterisiert Menschen, die ihren Aktivitätshöhepunkt am Abend erreichen.

Ich bin eine Lerche. Nicht in meinem Äußeren, aber weil auch ich, wie die Lerche, zum Tagesanbruch am fittesten bin und am Nachmittag anfange, mich allmählich auf den Nachtschlaf zu freuen.

An diesem Muster können Sie und ich nur wenig ändern, weil es wohl genetisch festgeschrieben zu sein scheint. Und weder das eine noch das andere ist wertvoller, Sie müssen sich nur einfach darauf einstellen.

Das ist schon wieder so eine Sache, bei der das Wort »einfach« nicht angemessen ist. Denn wenn Sie alles unter einen Hut bringen wollen, den frühen Arbeitsbeginn, »um den Wurm zu fangen«, das erfüllte Familienleben mit Menschen, die leider zu Hälfte einen anderen Rhythmus haben, ein tolles social life mit Partys, Theater und Konzert und auch noch gut schlafen wollen, dann ist das alles andere als einfach.

Also Prioritäten setzen! Und zwar solche, die Ihnen entsprechen. Und wann könnten Sie das besser als jetzt.

Möglicherweise überkommt Sie mit dem Eintritt in den Ruhestand der Impuls, sich treiben zu lassen, ohne feste Zeiten, nur Ihrer Lust zu folgen. Hab ich auch gemacht, aber nach zwei Wochen bin ich völlig durcheinander gewesen und habe mir Schritt für Schritt wieder eine Struktur aufgebaut, mit der ich gut leben kann.

Ich habe rausgefunden, dass ich morgens nach dem Aufstehen am besten geistig arbeiten kann. Da es mir keine Probleme macht, vor allem im Sommer früh aufzustehen, 5:30 Uhr, im Juni/Juli manchmal noch eher, lese oder schreibe ich zwischen 6:00 und 10:00 Uhr. Das versuche ich ziemlich konsequent durchzuhalten, außer in den Ferien. Da stehe ich zwar auch meistens früh auf, aber lasse mich tatsächlich treiben, gehe früh auf den Golfplatz oder ins Café, was ich sonst eher nachmittags oder abends mache.

Ich habe meine festen Zeiten für Patientengespräche, fürs Einkaufen, für Spaziergänge mit dem Hund und für Sport. Und wenn ich tagsüber müde werden, mache ich einen nap, ein Nickerchen: 10 Minuten und nicht länger, weil das meinen Schlaf-Wach-Rhythmus nicht durcheinanderbringt. Höchstens einmal am Tag. Ich habe mich auch schon auf dem Golfplatz für 10 Minuten in den Schatten gelegt!

Wenn Sie eher eine Eule sind, können Sie alles anders machen. Nur machen Sie es regelmäßig! Darin liegt das Geheimnis.

Also, bei der Neuplanung Ihrer Tagesgestaltung müssen Sie vor allem wissen, wann und wie lange Sie schlafen. Den Zeitpunkt können Sie beeinflussen, die Dauer nicht.

Ihren Tagesrhythmus können Sie verschieben. Das haben Sie erlebt, wenn Sie schon mal in anderen Zeitzonen waren. Fliegen Sie in die USA, so verschiebt sich Ihr soziales Leben nach hinten, sechs Stunden später, wenn Sie in New York sind, neun Stunden in San Diego, sechs Stunden nach vorne, wenn Sie nach Kambodscha reisen. Um dort mit Ihrem eigenen Rhythmus anzukommen, brauchen Sie Zeit, pro Tag können Sie anderthalb Stunden ausgleichen, was bedeutet, dass Sie an der Ostküste vier Tage brauchen, um wieder in Ihrem Rhythmus zu sein, an der Westküste sechs Tage. Vorausgesetzt, Sie sinken nicht nach Ankunft und Immigration gleich in das Hotelbett, nachdem Sie sich noch schnell einen Burger reingezogen haben – alles selbst ausprobiert! –, sondern versuchen, erst um die Zeit ins Bett zu gehen, zu der Sie das auch zu Hause tun würden. Von Ost nach West geht es schneller als in der Gegenrichtung. Es hilft, wenn Sie viel in die Sonne gehen können, weil Licht immer noch der zweitwichtigste Zeitgeber ist. Der wichtigste ist das soziale Leben.

Sie können also den Schlafbeginn nach Ihren Vorstellungen verschieben, und das funktioniert auch zu Hause, was Sie mit den Zeitumstellungen im Frühling und Herbst in jedem Jahr zweimal erleben. Mit Reibungen, aber es geht. Ihre Schlafdauer können Sie nicht oder nur ganz wenig verändern, sie ist individuell.

Wie Sie rausfinden, wie viel Schlaf Sie brauchen?

Am besten im Urlaub, wo Sie bezüglich Ihrer Zeitfenster frei sind. Lassen Sie sich treiben, halten Sie keinen Mittagsschlaf, weil gerade ein Urlaubsmittagsschlaf von 2 Stunden vom Nachtschlaf abgeht. Gehen Sie dann ins Bett, wenn Sie müde werden. Nicht eher und nicht später. Dabei merken Sie vielleicht auch, dass Sie am besten schlafen, wenn Sie gerade müde geworden sind und es nicht noch eine oder mehr Stunden rausgezögert haben. Dann schlafen Sie Ihre individuelle Schlafdauer von sechs, sieben, acht Stunden, selten weniger oder mehr. Es sei denn, Sie schieben ein großes Schlafdefizit vor sich her. Sie können das ja noch einige Nächte testen, aber nun wissen Sie Bescheid.

Und so sollten Sie leben, regelmäßig. Wenn Sie Ihren Rhythmus neu setzen müssen, bekommen Sie das am besten hin, indem Sie die Aufstehzeit festlegen, ganz einfach mithilfe des Weckers. Der restliche Rhythmus stellt sich dann innerhalb einiger Tage von selber ein.

Langweilig? Also, wenn Sie einmal in der Woche einen drauf machen, kühn und subversiv sind und erst drei Stunden später ins Bett kommen, geht die Welt nicht unter. Wundern Sie sich nur nicht, dass der Tag danach etwas seltsam ist, denn Ihre Tiefschlafphase liegt in den ersten Schlafstunden, und die haben Sie sich ja weggefeiert und können sie in dieser Nacht nicht wieder reinholen. Wenn Sie allerdings dauernd zu anderen Zeiten ins Bett gehen, werden Sie nicht gut schlafen. Erst recht nicht, wenn Sie Pillen nehmen. Schlaftabletten sind nämlich ein heikles Thema, mit dem Sie vorsichtig umgehen müssen und für das Sie einen guten (!) Arzt brauchen. Aber dazu kommen wir gleich.

Wie sieht nun normaler Schlaf aus?

Schlaf lässt sich in drei Arten einteilen:

Tiefschlaf, leichterer Schlaf und REM-Schlaf.

Schlafforschern würde diese Aufteilung nicht genügen, aber für den Hausgebrauch reicht es.

Das erste Nachtdrittel wird vom Tiefschlaf dominiert, in den Sie ziemlich schnell nach dem Einschlafen reinrutschen. Er gilt als der Schlafanteil, den Sie brauchen, um erquickt und ausgeruht zu sein.

Nach eineinhalb bis zwei Stunden kommen Sie aus dem Tiefschlaf raus in den leichteren Schlaf. Bei diesem und den im Weiteren folgenden Wechseln zwischen den verschiedenen Schlafstadien werden Sie gelegentlich auch wach – ohne dies richtig zu merken und zu erinnern. Besonders leicht passiert das aus dem REM-Schlaf: Der ähnelt in den Hirnstromkurven sehr dem Wachzustand, mit dem einen Unterschied, dass die Muskulatur praktisch völlig inaktiviert ist. Aufgrund des häufigen Aufwachens wird das in dieser Schlafphase Geträumte besonders leicht erinnert, weswegen der REM-Schlaf auch als Traumschlaf bezeichnet wird. Träumen tut man aber wohl auch in anderen Schlafphasen. Der Ausdruck REM kommt von Rapid Eye Movements, den schnellen Augenbewegungen, die diese Schlafphase charakterisieren und die man dem Schläfer ansehen kann, wenn man bei leichter Beleuchtung auf die geschlossenen Augenlider schaut, hinter denen sich die Augäpfel in Pendelbewegungen hin- und herbewegen.

Gegen Morgen werden Sie häufiger wach, und schließlich ist der Schlaf irgendwann vorbei.

Diese rhythmische Abfolge kann durch viele Einflüsse gestört werden. Die wichtigsten sollten Sie kennen.

Die Stunden vor dem Einschlafen prägen Ihren Schlaf:

Auch wenn es sich manchmal so anfühlt, schlafen Sie nicht übergangslos ein und stürzen in den Tiefschlaf, sondern die Schlafbereitschaft entsteht schon in den Stunden vorher und nimmt kontinuierlich zu. Ein wichtiges, schlafbahnendes Ereignis ist die Absenkung der Körpertemperatur. Dafür brauchen Sie nichts tun, dass macht Ihr Hypothalamus von selbst.

Der Hypothalamus ist eine Hirnstruktur an der Unterseite des Gehirns, in der Hormone, Temperatur und so elementare Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Müdigkeit, Schlaf und grundlegendes emotionales Verhalten wie die Bindung zwischen Eltern und Kindern oder die Sexualität reguliert werden. Diese Regulation erfolgt in unterschiedlicher Weise rund um den Tag, und tatsächlich finden sich die körpereigenen Uhren auch in dieser Struktur. Die Kommunikation mit der Körperperipherie erfolgt im Wesentlichen über die direkt unter dem Hypothalamus gelegene Hypophyse, die Signalstoffe zur Hormonregulation freisetzt. Der Hypothalamus integriert zudem Einflüsse von übergeordneten Hirnzentren.

Diese Hirnstruktur reguliert nicht nur die Abfolge der verschiedenen Schlafstadien, sondern bereitet Sie auch auf den Schlaf vor, indem sie die Körpertemperatur absenkt, worauf Sie müde werden. Sie brauchen das eigentlich nur zuzulassen, indem Sie die Temperatur Ihres Schlafzimmers auf 18 Grad und nicht wärmer einstellen. Wenn Sie mit offenem Fenster und ohne Klimaanlage schlafen, ändert sich die Raumtemperatur natürlich in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, im Winter wird sie kälter, im Hochsommer gelegentlich wärmer. Das gleichen Sie mit entsprechenden Decken aus.

Ihr Schlafzimmer sollte ruhig und abgedunkelt sein. Letzteres im Sommer, vor allem wenn Sie im Norden leben, wo es zeitweise ja schon um vier Uhr morgens hell wird. Da Licht ein entscheidender Zeitgeber ist, würde sich Ihr Tagesrhythmus nach vorne verschieben, wenn Sie das zulassen.

Auch was Sie vor dem Einschlafen tun, beeinflusst Ihren Schlaf, vor allem, wenn Sie sich mit Themen beschäftigen, die Sie ängstigen oder nerven. Solange Sie beruflich tätig sind, nehmen Sie oft Arbeitsthemen mit in den Schlaf, wenn Sie keine vernünftige Distanz, zeitlich und inhaltlich, zwischen Arbeit und Schlafbeginn aufbauen. Und wenn Sie Pech haben, träumen Sie auch noch von den Themen des Tages. Was nicht immer schlecht sein muss: Manchmal kommen im Traum Lösungen für Probleme, an denen Sie lange herumgedoktert haben. Das kann hin und wieder bereichernd sein, wenn Sie diese Art von Kreativität nicht jede Nacht heraufbeschwören.

Fernsehen ist so eine Sache. Natürlich gibt es schlaffördernde Sendungen, während denen Sie wunderbar einschlafen. Sie bekommen ein Problem, wenn Sie aufwachen und sich ins Schlafzimmer schleppen, um hellwach im kühlen und dunklen Bett zu liegen, weil Sie die Einschlafphase verpasst haben. Aufregende Sendungen und vor allem solche, über die Sie sich ärgern, wie die eine oder andere Talkshow, die gerade ganz andere als Ihre politischen Überzeugungen transportiert, können Ihren Schlaf zumindest für diese eine Nacht ruinieren. Und wenn Sie das öfters machen, kann sich das zu einer veritablen Schlafstörung auswachsen.

Sie schlafen schlecht.

Und ob dies so ist oder nicht, ist zunächst einmal Ihre Entscheidung.

Natürlich gibt es Gründe, und sehr häufig geht die Schlafstörung weg, wenn die Gründe weg sind. Banale Krankheiten, wie Erkältungen oder Grippe, vorübergehende Sorgen, um die Steuererklärung oder den Liebeskummer der Kinder, schlechte Angewohnheiten, wie Fernsehen oder Krimis im Bett lesen. Die schlechten Angewohnheiten sind wahrscheinlich noch am schwierigsten, weil Sie sich die wieder abgewöhnen müssen. Und das dauert ein paar Tage.

Aber ich will Schlafstörungen nicht verharmlosen, überhaupt nicht! Denn sie können ein großes Problem im Leben älterer Menschen sein.

Ein paar Fakten:22

Die 3 P’s: predisposing, precipitating and perpetuating factors.

Prädisponierend: genetische Einflüsse oder Persönlichkeits-eigenschaften wie Perfektionismus; precipitating = auslösend, akute Stressoren in der Arbeit oder der Beziehung; perpetuierend sind vor allem fehlanpassende Verhaltensweisen, zum Beispiel zu viel Zeit im Bett oder zu viele naps, um den fehlenden Nachtschlaf auszugleichen. Solche Verhaltensweisen erscheinen auf den ersten Blick vernünftig, verringern aber den Schlafdruck in der Nacht und können so Ihren Schlafrhythmus durcheinander bringen.

Auch Überaktivität in kognitiver, emotionaler oder physischer Hinsicht kann Schlafstörungen dauerhaft machen ebenso wie körperliche Erkrankungen.

Was tun?

Zu einem Arzt gehen, der sich auf Schlafmedizin spezialisiert hat, einem Lungenfacharzt oder Psychiater. Der sollte auf jeden Fall eine gründliche Diagnostik machen, die eine eingehende Anamnese umfasst. Das Schlaflabor ist sicher nicht die wichtigste Maßnahme und kommt erst ins Spiel, wenn zum Beispiel nächtliche Atemstillstände diskutiert werden.

Wie häufig sind Schlafstörungen?

Sechs von 100 Menschen in den Industrieländern leiden an chronischen Schlafstörungen, mit einem klaren Übergewicht bei Frauen und einer Zunahme mit dem Alter. Bei 70 Prozent der Patienten halten die Symptome ein Jahr an, bei 46 Prozent über drei Jahre.

Warum sollten Sie etwas gegen Schlafstörungen tun?

Schlafstörungen gehen mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Bluthochdruck, Herzinfarkt oder chronische Herzerkrankungen einher. Außerdem sind sie ein Risikofaktor für Übergewicht und Typ-2-Diabetes, und sie erhöhen die Sterblichkeit. Wenn Sie also chronisch schlecht schlafen, laufen Sie Gefahr, richtig üble Krankheiten zu bekommen, die Sie an einem guten Alter hindern. Schlafstörungen beeinträchtigen außerdem Ihre Fähigkeit zu denken: Sie merken schon nach einer durchwachten Nacht, dass Sie nichts auf die Reihe kriegen. Dauerhafte Schlafstörungen begünstigen die Demenz und führen zur Hirnatrophie. Schlafstörungen sind also ganz klar Ihr Thema, wenn Sie älter werden.

Schlafstörungen können außerdem ein Hinweis auf psychische Erkrankungen sein, denn fast alle psychischen Erkrankungen gehen mit Schlafstörungen einher, insbesondere die häufige Depression. Allein schon deswegen sind Sie bei einem Psychiater mit Ihrer Schlafstörung nicht so schlecht aufgehoben, weil der nämlich in der Lage ist, eine Depression zu erkennen.

Die Behandlungsmöglichkeiten sind sehr übersichtlich und kommen Ihrer Situation als älterer Mensch entgegen, denn Sie haben zum Beispiel genügend Zeit, sich mit Psychotherapie zu beschäftigen:

Die erste Wahl sind psychotherapeutische Verfahren.

Am Anfang stehen Informationen über richtiges Schlafen (Psychoedukation) und Schlafhygiene. Dann kommen Entspannungsverfahren, wie autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation, und spezifische Methoden wie Schlafrestriktion. Wenn das alles nichts bringt, ist kognitive Verhaltenstherapie angesagt. Neu im Spektrum der Behandlung von Schlafstörungen sind Achtsamkeitsverfahren und Hypnose.

Also zuerst Psychotherapie – und danach lange nichts. Das heißt, dass Sie Ihren Körper, der im Alter deutlich empfindlicher auf Medikamente reagiert, wegen Schlafstörungen eigentlich überhaupt nicht medikamentös belasten müssten.

Aber gibt es da nicht ein Problem?

Schon. Die Verfügbarkeit von Psychotherapeuten. In unserem relativ reichen Land haben es die zuständigen Ärzte- und Therapeutenkammern, die Krankenversicherungen und die Gesundheitsminister, die es im Bund und in jedem Bundesland noch mal gibt, versäumt, einen vernünftigen, zeitnahen Zugang zu Psychotherapeuten zu schaffen. Versuchen Sie es mal und telefonieren Sie herum! Neuerdings gibt es Notfalltermine, die Sie relativ schnell bekommen. Aber bei einem solchen Termin sagt Ihnen dann ein freundlicher Mensch, dass es doch zwei Jahre dauern wird, bis Sie mit der Therapie anfangen können. Das ist für Sie in Ihrem Alter und mit einer potenziell lebensverkürzenden Störung nicht hinnehmbar.

Aber so ist es.

Manchmal ist ein Ausweg, dass die Schlafmediziner und Psychiater die ersten Schritte, vor allem die Psychoedukation, anbieten, manchmal auch in Gruppen. Weil das oft genug nicht klappt, werden hierzulande viel zu viele Schlafmittel verschrieben. Medikamente wie Benzodiazepine – also zum Beispiel Tavor, Valium et cetera –, Zolpidem oder Zopiclon. Anwendungsdauer: nicht länger als vier Wochen! Nur unter diesen Bedingungen überwiegen die positiven Effekte die negativen. Antihistaminika, wie das unverständlicherweise sehr beliebte Hoggar Night, haben nur einen geringen Effekt und ein starkes Gewöhnungspotenzial.

Pflanzliche Schlafmittel kommen über den Plazebo-Effekt nicht hinaus, der allerdings bei Schlafmitteln mit 60 Prozent gewaltig ist. Das heißt, dass Ihre Einstellung mehr als die halbe Miete ist! Umso tragischer ist es, wenn Sie abhängig machende Mittel nehmen und sich dadurch oft ein ernstes medizinisches Problem an den Hals holen. Für alle anderen Medikamente, aber auch für die Lichttherapie ist die Studienlage so dünn, dass man keine Empfehlungen aussprechen kann.

Was, wenn Ihre Schlafstörung länger als vier Wochen dauert?

Wenn Sie die Benzodiazepine, Zolpidem oder Zopiclone absetzen, kehrt die Insomnie meistens zurück; darum sollte man die Dosis nur langsam reduzieren. Nebenwirkungen dieser Medikamente sind Hangover, nächtliche Verwirrung, Stürze, Schlaflosigkeit nach Reduktion, Toleranz und Abhängigkeit.

Diese Medikamente sind so beliebt, weil Sie die Nebenwirkungen direkt bei der Einnahme nicht merken. Im Gegenteil: Alles erscheint rund und friedlich. Ebenfalls unbemerkt bleibt oft, dass die kognitiven Fähigkeiten am Tag nach der Einnahme – und wenn Sie diese länger einnehmen, immer – deutlich reduziert sind.

Manche Präparate steigern die Suizidneigung, die Fähigkeit zum Fahren eines Kraftfahrzeugs ist reduziert, Unfälle sind häufiger. Autofahren ist für Sie sowieso ein Thema, um das Sie ringen, und eine erhöhte Unfallneigung können Sie gar nicht brauchen.

Teilweise sind Nebenwirkungen noch sechs (!) Monate nach dem Absetzen nachweisbar.

Kurz: nichts für Sie als älterer Mensch!

Eine Alternative, aber eben nicht rezeptfrei, sondern nach ausführlicher Untersuchung und Beratung durch den Psychiater: schlafanstoßende Antidepressiva wie Mirtazapin oder Trazodon, für die es sogar positive Daten bei Patienten mit Alzheimer-Demenz gibt.

Ja, Schnarchen hört man nur die anderen. Mein E-Mail-Konto wurde seit Monaten mit Mails geflutet, die mir Heilmittel gegen Schnarchen, vor allem wegen der negativen Effekte auf die Partnerschaft, verkaufen wollten. Dabei schnarche ich noch nicht einmal. Das kann aber in der Tat ein Problem sein, denn der Schnarcher erlebt die von ihm generierten akustischen Genüsse nicht selber, sondern leiden tut die Umwelt, also meistens die Partnerin. Den ultimativen Thrill bekommt sie, wenn sie bemerkt, dass der heftig schnarchende Liebste nun auch noch Atemaussetzer hat: Die bange Frage »Ist er jetzt tot?«, weicht einer genervten Erleichterung, wenn die Atmung mit einem gewaltigen Initialschnarcher wieder einsetzt.

Das ist nun in der Tat Grund genug für eine eingehende internistisch-HNO-ärztliche Diagnostik, denn nächtliche Atemstörungen verkürzen das Leben und führen zu gefährlicher Tagesmüdigkeit.

Der innere Schweinehund

Grande Traversale degli Alpi … Juli 2016:

Ich bin 68, wiege 98 Kilo bei einer ursprünglichen Größe von 1,91 Meter, jetzt eher 1,89 Meter, was einem BMI von 27,76 entspricht, typisch Mann mit dem zu großen Bauchumfang.

Und gehe mit meiner acht Jahre jüngeren, ranken und schlanken Freundin diese große Tour, pro Tag zwischen 1000 und 2000 Höhenmeter, rauf und runter. Und wundere mich, dass ich nicht, wie früher immer, der Tempomacher bin, sondern als Schlusslicht hinterherdackele.

Früher?

In den Bergen bin ich seit 18 Jahren nicht mehr kletternd unterwegs gewesen, und solche – ja schon! – gewaltigen Touren bin ich überhaupt noch nie gegangen. Noch nie!

Bin ich verrückt, so etwas mit 68 zum ersten Mal zu machen? Über ausgesetzte Grashänge balancieren, über rutschige, mit einer rostigen Kette »gesicherte« Felsen klettern, wofür mir die gymnastischen Fähigkeiten ziemlich sicher fehlen. Eigentlich – immer schon gefehlt haben.

Vielleicht hätte ich vorher mehr trainieren sollen? Habe ich doch: Ich bin jeden zweiten Tag eine halbe Stunde gejoggt. Nur eben auf 0 Meter Meereshöhe. Aber die GTA spielt sich zwischen 300 und 2900 Metern ab! Und eine halbe Stunde ist für sieben Stunden Gehzeit pro Tag etwas mager. Ja klar, ich hätte meine Wampe etwas beherzter reduzieren sollen, so sind es 10 Kilo zu viel, zu denen noch 10 Kilo Rucksack kommen. Das Idealgewicht für solche Unternehmungen ist anders.

Ich bin ambivalent: Ist es eine dieser Herausforderungen, die »anti-aging« wirken? Oder gefährde ich mich, indem ich unkontrolliert über meine Grenzen gehe?

GTA 2016 – die Zweite:

Der 4. Tag. Irgendwann ist alles nicht gut, alles tut weh, ich kann nicht mehr. Und fange an, nach Schuldigen zu suchen.

Wenn Sie reifer sind als ich, fangen Sie bei sich selbst an: Sie hätten mehr trainieren können, sich besser vorbereiten. Oder Sie hätten – verdammt noch mal – doch einfach mal 10 Kilo abnehmen können. Ist aber nicht einfach. Trotzdem täten Sie sich leichter. Stimmt.

Aber eigentlich sind solche Überlegungen brotlose Kunst, denn keiner kann sich auf alle Eventualitäten des Lebens vorbereiten. Wenn ich mich aus der Komfortzone herausbegebe und dem Leben stelle, komme ich an meine Grenzen und schnell darüber hinaus. Und dann erlebe ich Situationen, die ich schwer ertragen kann, weil sie mir wehtun. Buchstäblich. Aber der Anstieg zur Hütte hat keinen Ausgang. Ich muss durch.

Wenn Sie unreifer sind – und das hängt nicht vom Alter ab –, suchen Sie die Schuld für Ihr schlechtes Befinden bei jemand anderem. Zum Beispiel bei Ihrer Partnerin/Ihrem Partner. Sie sind schnell dabei, eine Erklärung zu finden, warum sie oder er an dem Schlamassel schuld sein könnte: Sie/er hat Ihnen nicht deutlich genug gesagt, wie schlimm es werden würde. Das ist erst recht brotlos, selbst wenn die oder der andere irgendwann etwas zu der Situation beigetragen haben könnte: Sie, schon lange erwachsen, haben »ja« gesagt, haben mitgemacht, und solche Überlegungen führen höchstens dazu, dass Sie Ihre Beziehung ruinieren, vergiften und dann eines langsamen Todes sterben lassen.

Achten Sie mal darauf, wie viele alte Paare sich das Leben zur Hölle machen, indem sie ihre Partner für die eigenen Entscheidungen verantwortlich machen.

Also bleibt nur eines: ertragen! Sie sind der Schmerz, die Angst und die Anspannung, so wie Sie das Wohlbefinden und das Glück sind.

An meine Grenzen gehen, damit lässt sich wohl am besten zusammenfassen, was ich bei dieser Tour erlebt habe. Das ist nicht angenehm, weder die letzten 300 Höhenmeter zur Hütte, noch der Grashang, auf dem ich mich wirklich konzentrieren musste und lieber nicht denken wollte, was ein Fehltritt für Folgen hätte, und auch nicht der ellenlange Abstieg durch die Weinberge, nach dem mir die Beine ab den Oberschenkeln abfallen wollten.

Aber heute fühle ich mich sicherer und besser auf den Beinen als die letzten sieben Jahre zuvor, vielleicht sogar länger. Gut, dass ich das gemacht habe! Meine Motivation? Die kam durch meine Freundin, die wie eine Gemse vor mir herschwebte. Irgendwoher muss der Mensch ja seine Motivation nehmen.

Wir sind Bewegung

Moderne Bewegungsmuster 1:

Ich fahre mit dem Fahrrad eine schmale Straße entlang. Die Gegenseite ist unregelmäßig vollgeparkt. Also müssen entgegenkommende Autos jeweils an einer Lücke warten, bis ich durch bin. Das funktioniert so lala. Bis aus einer Seitenstraße die Luxusversion eines Range Rovers einbiegt und mit 50, 60 km/h auf mich zufährt. Das Tempo kann ich auf die Schnelle nicht so richtig einschätzen. Aber sehr schnell einschätzen kann ich, dass ich blitzartig runter vom Rad muss, auf den Gehweg neben mir springen, das Rad mitziehen, sonst hätte sie mich erwischt. Sie: eine zarte, junge Frau, hübsches Profil, sehe ich im Vorbeifahren. Wie kann das angehen? Warum verhält sie sich, als wenn sie mir ans Leben wollte? Hätte ich sie ansprechen können, wäre sie wohl voller Unverständnis gewesen. Die fahrende Burg, mit der sie unterwegs ist, verändert alles: Wahrnehmung, Einschätzung, Verhalten gegenüber anderen. Zu Fuß oder auf dem Rad hätte sie anders gehandelt.

Moderne Bewegungsmuster 2:

Ein Audi Kombi, dynamisches Design, Breitreifen, biegt nach links ab. Obwohl ihre Ampel gerade auf Rot gesprungen ist, sind noch Fußgänger auf dem Übergang. Der Audi-Pilot, ein Herr mit grauen Schläfen, so viel kann ich erkennen, hupt sie laut weg, sie springen, und er beschleunigt mit quietschenden Reifen. Als ich mit dem Rad an der nächsten Ampel ankomme, steht der Graumelierte noch da. Ich bin so wütend, dass ich ihm am liebsten die Karosserie demolieren würde.

Das wäre nicht der Weg des buddhistischen Meisters Thich Nhat Hanh gewesen. Nicht urteilen! Einfühlen, sagt er. Den anderen verstehen. Und mir wird klar, dass das Verhalten in unserer Gesellschaft durch kaum etwas so beeinflusst wird wie durch die Möglichkeit, in einem eindrucksvoll geformten, großen, breiten und beschleunigungsstarken Auto durch die Gegend rasen zu können. Das verändert eben Wahrnehmung, Verhalten und natürlich unsere Gefühle. Ich nehme mich selbst da gar nicht aus: Wenn ich am Steuer sitze, schimpfe und fluche ich. Manchmal kriege ich einen Schreck und schaue, ob das Verdeck offen ist.

Wir sind, was wir tun. Das betrifft Seele, Geist und vor allem unseren Körper. Autofahren ist ein markantes Beispiel, was in unserer ach so zivilisierten Gesellschaft mit unserer Beweglichkeit passiert: Sie wird reduziert! Diese Reduktion verändert meinen Körper, er baut ab. Wer steigt denn aus den muskulös geformten Karosserien? Runde Bäuche, dünne Beine. Auf der Fitness-Skala stehen die Marathonläufer ganz oben, gefolgt von Joggern, Radfahrern, Bergwanderern; notorische Pkw-Fahrer stehen am untersten Ende der Fitness-Skala, egal, wie viel PS ihre Blechlaube hat.

Fitness? Nein, ich mache mein Geld nicht mit der Werbung für Fitness-Studios. Mit Fitness meine ich den körperlichen Alltagszustand, der uns in die Lage versetzt, mit Herausforderungen umzugehen. Was ist heute noch eine »Herausforderung«? Das Auto springt nicht an. Schieben? Schon seit Jahrzehnten nicht mehr, es gibt ja den ADAC! Schneeschippen macht der Hausmeisterdienst, den Garten pflegen die Gärtner und mein Aufsitzrasenmäher. Unser Bewegungspensum wird durch die individuellen Alltäglichkeiten geprägt: die Bedienung von Smartphone, Laptop, Anlasser, Aufzugknopf.

Wenn wir alt werden, hatte dieser konkret gelebte Alltag viele Jahre lang Zeit, sich auf unseren Körper und unseren Geist auszuwirken. Das ist das große Problem des Alterns, nicht irgendwelche Telomere!

Anders ausgedrückt: Geist und Körper werden immer bequemer. In fast allen S-Bahn-Stationen können Sie diesen Test machen: Rolltreppe oder Treppe? Na? Nach jahrelangem Rolltreppentraining stellen Sie irgendwann fest, dass Ihnen das Treppensteigen, rauf oder runter, schwer fällt. Das Alter! Neee! Ihre Bequemlichkeit. Klar, wenn Sie mit einem dicken Koffer von der Tiefgarage im Flughafen in die Abflughalle wollen, sind Aufzug oder Rolltreppe nützlich. Trotzdem führen diese Manifestationen menschlicher Bequemlichkeit zu verminderter Funktion, was Sie spätestens dann merken, wenn die Rolltreppe ungeheuerlicherweise defekt ist.

Okay, Sie haben die Botschaft verstanden: mehr Bewegung in den Alltag einbauen. Das klingt richtig, geht aber immer noch am Kernproblem vorbei. Sie – und ich, wir alle – setzen heute immer die falsche Priorität: Bewegung war mal alles, damals, als unsere Vorfahren hungrig durch die Gegend rannten. Es gab kein Leben ohne Bewegung: Sie rannten, sprangen, kletterten, sind aufgestanden, nachdem sie gefallen waren, sie flohen, jagten immer irgendetwas hinterher. Sie bauten Pyramiden oder gotische Kirchen, nur mit ihrer Körperkraft. Wenn Sie’s gerne etwas weniger heroisch hätten: Es ist noch gar nicht so lange her, dass Menschen Holz hacken oder Kohle und Wasser schleppen mussten, wenn sie baden wollten. Bewegung war die Grundlage des menschlichen Alltags, ja des Überlebens. Heute ist nicht mal mehr angesagt, volle Einkaufstüten zu schleppen, seitdem Sie alles in die Wohnung geliefert bekommen. Körperlichkeit ist nicht mehr angesagt.

Sie meinen, das sei ja nun auch eine erfreuliche Entwicklung? Es spräche nichts dagegen, dass wir uns heute von Maschinen, zum Beispiel auf der Rolltreppe, im Range Rover, vom Mähroboter … helfen ließen? Kann man so sehen. Das Problem: Unsere Ausstattung, unsere Muskeln, Gelenke, Knochen, das Herz, die Lungen, last, not least das Gehirn – all das ist noch so, wie es bei unseren Vorfahren war. Wir sind nach wie vor Bewegung, die nichts mehr zu tun hat. Etwas poetischer hat das der schon erwähnte Thich Nhat Hanh ausgedrückt:

»Die Fähigkeit, zu gehen und zu laufen, diente dem Menschen der Frühzeit für die Jagd oder zur Flucht. Diese Energie des Jagens oder Rennens ist in jeder einzelnen unserer Zellen tief eingepflanzt. Aber heute kommen wir kaum noch in die Lage, physisch jagen, kämpfen oder fliehen zu müssen, und dennoch laufen wir immer noch mit dieser Energie herum.«23

Lassen Sie sich diesen Satz auf der Zunge zergehen:

»Dennoch laufen wir immer noch mit dieser Energie herum.«

Und machen außer Pöbeln und aufs Gaspedal treten wenig daraus! Am Ende der Pubertät verfügen die meisten über eine ziemlich gute, alltagstaugliche Ausstattung. Wenn wir sie auch in einem Alter noch nutzen wollen, von dem unsere Vorfahren nie auch nur geträumt hätten, müssen wir uns fit halten, und das geht nur, wenn wir diesen unseren Alltag ändern.

Aber die Alltagszwänge! Als Sie daran dachten, mehr Bewegung in den Alltag »einzubauen«, war das ja durch die Erkenntnis geprägt, dass Ihr Lebenszentrum der Job ist, mit festen Zeiten, Überstunden, Zeit zum Pendeln et cetera et cetera – und sehr wenig Zeit für Bewegung. Doch das ist jetzt vorbei! Sie werden 65+, und die einmalige Chance, die Ihnen nur das Alter bietet, ist nicht der sogenannte Ruhestand, weil »Stand« einfach falsch ist: Gehen, rennen, fallen, aufstehen, balancieren, springen, heben sind bessere Begriffe! Setzen Sie sich in Bewegung! Seien Sie Bewegung!

»Ihre neue Bewegungsroutine, täglich, ist mindestens so wichtig wie das Zähneputzen!«*

Also bewegen. Wirklich immer, jeden Tag bewegen? Dazu Kraftübungen. Hanteln und so?

Bewegen. Bewegen können: Kraft und – Gleichgewicht! Länger bewegen können: Ausdauer. Überhaupt bewegen können: Schmerzfreiheit. Bewegung sollte spätestens jetzt Ihr Mantra sein.

Über den ungehobenen Schatz Bewegung gibt es Studien, allerdings nicht genügend. Nicht alles, was ich Ihnen jetzt schreibe, ist evidenzbasiert. Das sind die Studien mit der härtesten Aussagekraft. Davon gibt es im Bereich der Beweglichkeit im Alltag nicht so viele; zu teuer, zu anspruchsvoll. Deswegen ist vieles, was jetzt folgt, schlicht Intuition oder Selbsterfahrung. Können Sie glauben – oder es lassen.

Ich habe noch eine bessere Idee: Sie können es selber ausprobieren. Das hätte den großen Vorteil, dass dieser Probelauf Ihre ganz persönliche Individualität berücksichtigen würde. Das kriegen Sie bei keiner Vorsorgemethode geboten, bei keiner Operationstechnik, keinem Medikament. Spezifisch Sie!

Das entscheidende Argument dafür, dass Sie sich künftig mehr bewegen, hat aber sowieso nichts mit Studien zu tun: Bewegung kann dazu führen, dass Sie sich besser fühlen und Ihren Körper wieder genießen. Und das mit 70?

Aber hallo, Alter!

Bestandsaufnahme 65+:

Worum geht es?

Bewegung zur Grundlage Ihres Alltags zu machen. Um Ihnen die Entscheidung zu erleichtern, rekapitulieren wir noch mal drei typische Situationen aus Ihrem Alltag:

Sie (65) stellen fest, dass Sie nur noch schwer aus dem bequemen Fernsehsessel hochkommen. Oder Ihnen fällt der Weg ins Schlafzimmer im ersten Stock Ihres Reihenhauses plötzlich schwer. Das Alter?

Ja und nein. Ja, weil wir mit jedem Lebensjahr ein Prozent unserer Muskulatur einbüßen. Nein, weil Sie diesen Prozess auch im Alter aufhalten oder umkehren können, wenn Sie regelmäßig trainieren.

Sie wohnen im dritten Stock und stellen irgendwann fest, dass Sie jetzt nur noch den Aufzug nehmen, weil Sie auf der Treppe ganz gewaltig ins Schnaufen kommen. Das Herz? Kann sein, aber wahrscheinlicher ist, dass Ihre Ausdauer weggeschmolzen ist, weil Sie nichts getan haben.

Wahrscheinlich kennen Sie auch das: Sie sind mit der S-Bahn gefahren und wollen nun die Treppen vom Bahnsteig hinuntergehen. Am rechten Geländer kommen Sie nicht weit, da sitzt ein Obdachloser und ist mit sich beschäftigt. Sie müssten also in der Mitte gehen, aber da ist kein Geländer. Das verunsichert Sie ungemein. Sie schaffen es schließlich, peinlich langsam, aber fragen sich, wohin die Leichtigkeit ist, mit der Sie doch noch vor kurzer Zeit die Treppe runtergetänzelt sind.

Der Grund für Ihr unkomfortables Gefühl ist komplex: Wahrscheinlich spielt die Abnahme Ihres nicht trainierten Gleichgewichtssinns eine Rolle. Der ist neben Kraft und Ausdauer ein wesentlicher Faktor Ihrer Beweglichkeit und nimmt im Alter ab, wenn Sie ihn nicht üben. Beim normalen Gehen auf einer Ebene merken Sie das gar nicht, beim Treppensteigen oder beim Gehen in unebenem Gelände aber sehr wohl.

Eine andere Gelegenheit, bei der Ihnen Ihre verlangsamte Gleichgewichtsreaktion sogar zum Verhängnis werden kann, ist das schnelle Aufstehen aus dem Sitzen, vor allem wenn Sie sich dabei noch umzudrehen versuchen, weil etwas hinter Ihnen Ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Plötzlich müssen Sie um Ihr Gleichgewicht ringen, beinahe wären Sie gestürzt.

Verstärkt wird diese Unsicherheit, vor allem die auf Treppen, durch Gleitsichtbrillen. Natürlich sind die praktisch, weil Sie nicht ständig mit zwei Brillen hantieren müssen. Aber eine Gleitsichtbrille fokussiert in der unteren Hälfte auf die Nähe, weil sich dort normalerweise das befindet, was Sie nah sehen müssen, zum Beispiel Buch oder Zeitung oder, etwas weiter weg, der Computerbildschirm. Wenn Sie diese Brille auch draußen tragen, sehen Sie in dem Bereich unscharf, auf den Sie treten wollen. Sie werden von der visuellen Wahrnehmung her verunsichert, und das gerade dann, wenn Ihnen das Sehen den unsicher gewordenen Gleichgewichtssinn ersetzen soll. Die schwächer gewordene Rumpfmuskulatur tut ihr Teil dazu, nur merken Sie auch dies meistens nicht.

So. Was sollen Sie jetzt konkret machen, um aus diesem Jammertal rauszukommen?

Beim Zähneputzen auf einem Bein stehen und so? Sie sind froh, dass Sie mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen, Sie haben noch nie gejoggt und wollen es jetzt mit über sechzig auch nicht tun. Sie haben sich lange genug von der Arbeit stressen lassen und halten es für Ihr Recht, den Ruhestand jetzt wörtlich zu nehmen. Natürlich ist es Ihr Recht. Aber ob es eine gute Idee ist, müssen Sie selber entscheiden. Ich hege da meine Zweifel.

Dabei kann ich Sie gut verstehen. Auch ich muss mich überwinden, wenn ich mir bei 4 Grad Außentemperatur warme Unterwäsche, eine lange, regendichte Hose, ein Fleece-Oberteil, den dicken Anorak, Mütze und die schwereren Laufschuhe anziehen sollte, um joggen zu gehen. Und joggen reicht ja nicht, Kraft und Gleichgewicht müssen auch trainiert werden.

Die große Frage: Warum sollten Sie, der Sie bisher wenig, keinen oder nur in der lange vergangenen Jugend Sport gemacht hat, mit 55, 60, 65 anfangen, sportlich aktiv zu werden?

Die klare Antwort: Weil Sie sonst weniger werden und bald auch die Dinge nicht mehr können, die Ihnen immer selbstverständlich waren. Mit jedem Jahr reduzieren sich Ausdauer, Kraft, Koordination – wenn wir sie nicht trainieren. Training hält diesen Abbauprozess auf. Er kann sogar umgekehrt werden: Wenn Sie in Ihrer Jugend und im Erwachsenenalter keinen Sport gemacht haben und zum Beispiel mit sechzig anfangen, können Sie ein besseres Niveau erreichen, als Sie es jemals hatten.

Und das Verblüffendste: Bewegung hat ungeahnte positive Effekte. Sie steigert Ihr Wohlbefinden und wirkt präventiv gegen Depression und Demenz. Bewegung ist, wie oben bemerkt, eine Grundbefindlichkeit von uns Menschen, und die Energie ist in jeder Zelle gespeichert.

Aber wie bekommen Sie diese Energie mobilisiert?

Um das zu beantworten, hilft, sich klarzumachen, was wir bei den verschiedenen Sportarten wirklich trainieren.

Jede Bewegung wirkt sich auf verschiedene Komponenten aus:

Knochen, Bindegewebe, Muskeltonus und Muskelkraft, Ausdauer, Koordination.

Alles ist gleich wichtig, aber da die meisten von uns aus einem Zustand kommen, in dem sie sich zu wenig bewegt haben, lohnt es sich, die verschiedenen Komponenten einmal genau anzuschauen:

Unsere Knochenstruktur wirkt auf den ersten Blick statisch, starr. Aber das ist sie nicht. Der Zustand unserer Knochen und Knorpel wird durch unsere Beweglichkeit bestimmt, die von der Muskulatur ausgeübte Kraft wirkt sich unmittelbar auf die Knochenstruktur aus. Das Knochenproblem im Alter, die Osteoporose wird wesentlich dadurch beeinflusst, wie wir uns bewegen, bewegt haben, bewegen werden.

Die Muskulatur hat zwei Komponenten:

* Das ist ein Zitat von Dr. Mallwitz, dem orthopädischen Leiter des Rückenzentrums am Michel in Hamburg, mit dem ich mich über Bewegung und Altersbeschwerden unterhalten habe.

** Mit Beweglichkeit meine ich nicht in erster Linie so etwas wie Gelenkigkeit, obwohl die im Alter auch abnimmt, sondern die Gesamtheit an Muskelkraft und -tonus, Ausdauer und Gleichgewicht.

*** Ein statistischer Zusammenhang ist gegeben, wenn eine Gruppe von Menschen bestimmte gemeinsame Merkmale haben, zum Beispiel Übergewicht, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Übergewicht mit Bauchbetonung und Darmkrebs. Das gemeinsame Auftreten dieser Merkmale sagt zunächst nichts darüber aus, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen besteht, aber in vielen Fällen wurde diese Frage untersucht und hat tatsächlich zur Einsicht geführt, dass auch ein funktioneller Zusammenhang besteht. Zum Beispiel führt Gewichtsreduktion in der Regel zu einer Besserung von Diabetes und Bluthochdruck und oft auch von arteriosklerotischen Gefäßveränderungen.