Vielleicht die beste Phase meines Lebens
Über das Altern ist viel gesagt und aufgeschrieben worden.
Einer von Woody Allens Sprüchen:
»Du schaust in den Spiegel und merkst, dass dir was fehlt. Und spürst, dass es deine Zukunft ist.«
Geistvoll wie Woody eben ist, und genauso niederschmetternd.
Sven Kuntze verweist in Altern wie ein Gentleman50 auf das berühmte Altersbuch der Beauvoir:
»In ihrem Text dringt Simone de Beauvoir tiefer und sorgfältiger als alle Autoren vor ihr in die brüchigen Poren, abstoßenden Details und körperlichen Verwerfungen des Alters ein und legt unnachsichtig seine unschönen Seiten frei.«
Was Sie auch lesen, überall finden Sie ernste, mal bittere Statements zum Alter, lauter ernst zu nehmende Sätze von bedeutenden Menschen.
Welche Bedeutung haben diese Sätze für Sie?
Nur die, die Sie ihnen geben. Sie sind auf die Welt gekommen, um Ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Und das sollten Sie so unvoreingenommen wie möglich tun.
Natürlich können Sie den von de Beauvoir erwähnten Montaigne lesen, die Essais51. In seinem Vorwort für Des Herrn von Montaigne Versuche beginnt er:
»An den Leser
Dieses Buch ist aufrichtig, geneigter Leser. Es erinnert dich gleich anfangs, dass ich mir dabey keine andere, als eine Privatabsicht, vorgesetzet habe. Ich habe dadurch weder dir zu dienen, noch mich berühmt zu machen gesucht. Meine Kräfte sind zu einem solchen Unternehmen nicht hinreichend. … Also bin ich selbst die Materie meines Buches, geneigter Leser. Es ist nicht der Mühe wert, dass du deine Zeit auf einen so geringschätzigen und nichtigen Gegenstand wendest. Lebe wohl.«
Beeindruckend ist, wie er zu allem und jedem, was ihm bedeutsam erscheint, eigene Meinungen generiert und sie auch noch aufschreibt. Aber gibt es einen Grund, seine Gedanken über Ihre eigenen zu stellen? Das verneint er selber in seinem letzten Satz.
Was ist von Ihren eigenen Gedanken zu halten? Wie kommt es, dass Sie zurückblickend Ihren vierzigsten Geburtstag für besser halten als den siebzigsten? Sie bewerten und vergleichen. Lassen Sie’s! Bewertungen sind nichts wert. Besser wäre, wenn Sie sich erst einmal klarmachen würden, was Ihren Bewertungen eigentlich zugrunde liegt. Achten Sie aufmerksam auf Ihre Wahrnehmungen und Eindrücke, ohne ihnen einen Wert aufzupappen. Bewertungen speisen sich aus dem Wunsch, das Schlechte, nicht Erstrebenswerte zu ändern. Aber wir überschätzen, was wir ändern können. Gerade im Zusammenhang mit unseren Empfindungen beim Älterwerden ist Ändern nicht das Thema. Doch indem Sie gleich auf die Änderung springen, berauben Sie sich der Möglichkeit, Wahrnehmungen und Empfindungen kommen – und wieder gehen – zu lassen.
Halten Sie nicht fest, was Ihnen in den Sinn kommt, sondern geben Sie dem Gedanken, dem Gefühl die Chance, auch wieder zu verschwinden. Wenn Wahrnehmungen, Empfindungen und die damit verbundenen Gedanken da sein dürfen, können sie wieder gehen. Auf dieses Spiel der Eindrücke und Empfindungen zu achten, auf den dauernden Wechsel, der dem Auf- und Ablaufen der Wellen am Meer gleicht, ist viel lohnender, als festhalten zu wollen, was Ihnen zwischen den Fingern zerrinnt.
Sie haben Hunger? Essen Sie etwas! Sie haben das Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in der das möglich ist.
Ihnen tut die Hüfte weh? Wie wäre es, wenn Sie sich anders hinsetzen würden, oder vielleicht, was ohnehin besser ist, herumlaufen?
Probleme bekommen Sie, wenn Sie Empfindungen konservieren. Die negativ gefärbten, aber auch die positiven. Selbst eingemachte Marmelade, ein von Ihnen gemaltes Bild, eine passable Golfpartie oder meinetwegen auch Bridge, wenn es fürs Golf heute nicht reicht – all das ist besser als eingepökelte negative Empfindungen!
Noch mal: Nicht vermeiden, wegdrängen, unterdrücken! Nein, lassen Sie voll da sein, was sich an Monstern und Lemuren in den Leuchtstrahl Ihrer Wahrnehmung drängt. Beleuchten Sie es. Erst dann kann es sich auflösen.
Der Vergleich Ihres Alters mit der angeblich goldenen Jugend ist ein bisschen absurd, denn unser Gedächtnis arbeitet so, dass wir das Negative in der Vergangenheit ziemlich schnell vergessen. Im Rückblick bleibt dann nur das Positive übrig. Zurückblickend, sehen Sie eine verklärte Landschaft, die so nie gewesen ist, aber Ihnen die Gegenwart ruiniert, wenn Sie sie zum Vergleichsmaßstab stilisieren.
In Ihrer frühen Jugend war vielleicht Ihr Umgang mit sich selbst besser, die Zeit, die Sie sich und den Details Ihres Lebens gegeben haben. Weil nicht alles den ach so bedeutsamen Zwecken, vor allem dem Geld, untergeordnet war. Sie waren wichtiger als Ihr Job. Doch als Sie anfingen, Kompromisse zu machen, weil Sie vorwärtskommen wollten, nicht nur im Beruf, auch in der Beziehung, begannen sie, sich zu vergessen. Das könnten Sie ja ändern. Warum nicht?
»Ich habe mich noch nie getraut, mich selbst so rückhaltlos in den Mittelpunkt meines Lebens zu stellen.«52
Maren Kroymann sagt diesen Satz in einem Interview, in dem man sie bewundert, dass sie mit 68 noch ihre eigene Fernsehsendung bekam. Sie findet das:
»Total antizyklisch! Eigentlich wäre ich jetzt Rentnerin. Ich bin alt, ich habe keine Familie, keine Kinder. Davor hatten früher alle Angst. Nun sehe ich an mir selbst, was man in diesem Alter alles machen kann. Es ist vielleicht die beste Phase meines Lebens.«53
Noch einer macht im Alter weiter sein Ding, immer wieder ein neues:
»Ja, ich höre nie auf. Ich versuche, mich in einem Zustand zu halten, in dem ich immer etwas Neues lerne oder etwas Neues erlebe.«54
Clint Eastwood macht Filme, und er ist berüchtigt für seine Disziplin und seine Pünktlichkeit, auch im Alter von über achtzig.
»Ich vergleiche die Phasen meines Lebens nicht. Jetzt ist es so gut wie damals … Nicht zu viel über sich selbst nachdenken. Klar, ich schaue mich schon auch im Spiegel an und analysiere ein bisschen, wie ich gerade aussehe. Aber: Ich wollte mich nie zu ernst nehmen. Das führt nur zu Enttäuschungen.«55
Natürlich müssen Sie auch diese Statements nicht wichtiger nehmen als Ihre eigenen. Aber vielleicht können es Anregungen sein.
Denkt es – oder denken Sie? Wofür Meditation gut ist
Vielleicht kennen Sie diesen berühmten Satz des französischen Philosophen und Wissenschaftlers René Descartes aus dem 17. Jahrhundert:
»Ich denke, also bin ich.«56
Gott sei Dank stimmt das so nicht. Sie wären sonst arm dran. Tatsache ist, dass Sie kein einziges Ihrer großen Lebensprobleme mit Denken lösen werden.
Eigentlich spricht nichts gegen Denken. Die Menschheit wäre mit Sicherheit nicht dort, wo sie heute ist, wenn Menschen nicht denken könnten. Das Vorstellen von Situationen, das Ausmalen, »wenn ich das mache, passiert das, aber wenn ich es anders mache, dann …«, ist die Voraussetzung aller Kreativität, von Wissenschaft und Fortschritt. Über das Denken verfügen können – genau hier allerdings liegt der Hase im Pfeffer. Denn im Alltagsleben gibt es viele Situationen, in denen wir keineswegs entscheiden können, ob wir jetzt denken wollen, ob es passen würde oder ob eigentlich Zeit für etwas anderes wäre.
Zum Beispiel, wenn Sie nachts um 3 Uhr aufwachen und anfangen zu grübeln, wie sicher Ihr Job ist, was das unklare Ergebnis der Vorsorgeuntersuchung bedeuten soll oder ob Sie sich beim Kauf des neuen Mountainbike übernommen haben. Es ist ja nicht so, dass dies irrelevante Fragen wären, und die richtigen Antworten würden Sie sicher erleichtern.
Aber morgens um drei ist definitiv nicht die Zeit dafür. Und diese Grübelei hat zudem meistens den Effekt, dass Sie danach nicht gelöst weiterschlafen, sondern den Rest der Nacht immer wieder hochschrecken und morgens übermüdet aufstehen. Diese Art zu denken macht Ihnen klar, dass Sie nicht der Herr – oder die Frau – im Hause sind. Sie wollen gar nicht denken, aber irgendetwas denkt einfach weiter.
Auch die Inhalte unseres Denkens sind keineswegs immer frei gewählt. Waren Sie schon mal eifersüchtig? Sie hatten eigentlich keinen Grund, aber Sie konnten einfach nicht aufhören, Ihrem Partner hinterherzuspionieren; immer wieder drängten sich quälende Bilder auf, in denen Sie ihn sich mit dieser Kollegin vorstellten, von der er sagte, dass sie ihn gar nicht interessiere. Natürlich ist Eifersucht nicht grundsätzlich Quatsch, vielleicht haben Sie ja eine feine Wahrnehmung. Aber es wäre schon richtig gut, wenn Sie die Inhalte Ihrer Gedanken kontrollieren könnten und ihnen nicht ausgeliefert wären.
Apropos kontrollieren: Wie oft prüfen Sie, ob Sie die Haustüre abgeschlossen haben, ob das Bügeleisen ausgesteckt war? Wenn Sie solch eine nette kleine Zwangssymptomatik entwickelt haben, sehnen Sie sich nach den Zeiten zurück, in denen Sie nicht die Haustür, sondern Ihr Denken kontrollieren konnten.
Wenn wir älter werden, wird oft die Grübelage mehr. Zum Beispiel über das, was werden wird. Die Zukunft. Oh ja. Eigentlich ist es ziemlich absurd: Wenn wir gar nicht mehr so viel Zukunft vor uns haben, fragen wir uns viel mehr als in jüngerem Alter, was wohl werden wird. Falls Sie schon mal in diesem Zustand waren und gut auf sich geachtet haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass Ihre emotionale Seite umso mehr in den Hintergrund trat, je mehr Sie gedacht haben. Je mehr Sie sich in Ihre Denkgebäude hineinwühlen, desto weniger spüren oder fühlen Sie, was um Sie herum abgeht, was emotional zwischen Ihnen und den nächsten Menschen um Sie herum passiert. Manchmal scheint das geradezu eine Strategie zu sein: Weil wir mit bestimmten Gefühlen nicht so richtig klarkommen, denken wir über sie nach, versuchen, das emotionale Durcheinander übers Denken zu lösen. Besser geht es uns dadurch nicht, denn wir können aus emotionalen Sackgassen nicht durch unsere Kognition rauskommen, genauso wenig, wie Sie ein mathematisches Problem durch intensive Gefühle lösen können.
Wir haben zwei Hirnteile, über die wir unser Verhalten kontrollieren können, den linken und den rechten präfrontalen Kortex. Die haben nur wir Menschen. Um es sehr einfach zu machen – Neuropsychologen verzeiht mir: Der rechte kontrolliert über das Denken, der linke über die Emotionen, indem er Sie einfach Sie sein lässt. Gut wäre, wenn Sie lernen können, von dem einen in den anderen Modus zu switchen, je nach Bedarf. Aber es gibt keinen Schalter.
Sie könnten ja anfangen zu meditieren.
Warum denn das nun?
Esoterischer Kram!?
Ist es nicht!
Ich will Sie nicht missionieren, will Ihre Persönlichkeit nicht verändern! Meditation hilft Ihnen lediglich, besser durchs Leben zu kommen. Meditation ist eine uralte Technik, um sich nicht vom eigenen Denken ins Bockshorn jagen zu lassen.
Wie funktioniert Meditation? Anschauen kostet nichts.
Der Anfang geht ganz einfach:
Gott sei Dank müssen wir das alles nicht wissen, um zu atmen, und schon gar nicht darauf achten, denn sonst wäre es fraglich, ob die Menschen überhaupt überlebt hätten. Es geht automatisch.
wie die Luft einströmt und wie sie ausströmt, und – wenn möglich – auch noch auf die Zwischenräume, in denen sich die Richtung ändert, vom Einatmen zum Ausatmen und vom Ausatmen zum Einatmen.
Sitzen, die Hände ineinander legen, die Augen schließen und ausatmen. Erst wieder einatmen, wenn Sie den Drang verspüren. In der Folge ruhig ein- und ausatmen und die Atemzüge zählen: ein – aus – 1, ein – aus – 2, und so weiter. Wenn Sie bei 10 angekommen sind, fangen Sie wieder von vorne an. Von vorne fangen Sie bitte auch an, wenn Sie nicht mehr wissen, bei welcher Zahl Sie angekommen sind. Wie die meisten Menschen fangen Sie zwischendrin ungewollt plötzlich zu denken an und vergessen das Zählen. Sie wollten gar nicht denken, wenn man Sie fragt; »es« hat plötzlich gedacht.
Das war’s. Für den Anfang, ja.
Wenn Sie das jeden Morgen machen, werden Sie nach einigen Monaten merken, dass Sie ruhiger und konzentrierter werden, dass Ihre üblichen Stressoren allmählich den Einfluss auf Sie verlieren und dass es Ihnen schlicht und ergreifend gut geht.
Diese Anleitung habe ich Ihnen zum »Reinschmecken« gegeben. Damit Sie nicht als Erstes ein Buch kaufen müssen. Es gibt aber jede Menge guter Bücher zum Thema Meditation, mehr oder weniger spirituelle, für jeden etwas. Es gibt auch Bücher mit Meditationsanleitung auf CD, da brauchen Sie nur zuzuhören.
Gehen Sie in die Buchhandlung und finden Sie raus, was Sie anspricht, mir gefallen die Bücher von Jon Kabat-Zinn58. Ein witziges Meditationsbuch ist von Chade-Meng Tan: Search Inside Yourself – auf deutsch oder englisch59. Er war Empfangschef für die berühmten Gäste bei Google, quasselt viel und begeistert, aber trotzdem ist es nach meinem Empfinden eines der besten Meditationsbücher für Menschen aus dem Westen.
Es kommt sowieso nicht auf das Buch an, sondern auf Sie.
Es bleibt nicht alles beim Alten. Auch wenn wir gerne den Anschein erwecken, wir blieben gleich: Wir verändern uns, wenn wir älter werden. Nicht in allen Bereichen unserer Seele, aber in manchen, und auch hier wieder – jede/r anders.
Bei vielen nimmt die Sensibilität mit dem Alter zu. Sie werden empfindsamer, was manchmal empfindlicher bedeutet, bemerken Gefühle, die Sie nicht kannten, Empfindlichkeiten, die Ihnen noch nie aufgefallen sind. Bei eigentlich gar nicht so sentimentalen Filmen stehen Ihnen plötzlich Tränen in den Augen. Manchmal werden Sie auch verletzlicher oder aggressiver. Das können Sie erst mal nicht ändern, aber es hilft schon, wenn Sie es wahrnehmen und zumindest die Möglichkeit zulassen, dass es nicht an den doofen anderen liegt.
Diese Intensität Ihrer Gefühle, die Sie jetzt, im Alter, gar nicht erwartet hätten, verwirrt Sie. Woher diese erhöhte Empfindsamkeit kommt, ist nicht klar. Manche Schauspieler, die in die Jahre gekommen sind, berichten, das Lampenfieber sei jetzt schlimmer als früher, obwohl sie vielmehr Erfahrung haben. Auch wenn Sie Ihre erhöhte Sensibilität nicht verstehen, könnten Sie sie vielleicht nutzen, zum Beispiel um die Missverständnisse der letzten Jahrzehnte aufzuklären und aus der Welt zu schaffen. Vielleicht wäre es Zeit, sich zu entschuldigen, zum Beispiel bei Ihren Kindern oder bei Freunden.
Wozu das gut sein soll?
Ihre Kinder könnten Ihre Freude und Ihr Trost im Alter sein, zu Zeiten, in denen es um Sie herum einsamer wird, wenn – ja wenn Sie im Verlauf der sogenannten Kindererziehung und des Lebens danach nicht ziemlich viel Porzellan zerschlagen hätten, vielleicht nicht nur Porzellan. Ähnliches gilt für Menschen, mit denen Sie einmal gut Freund waren; jetzt im Alter werden Freundschaften kostbarer, einfach weil sie seltener werden. Hundertjährige sagen, das Schwierigste am hohen Alter sei der Verlust von vertrauten und befreundeten Menschen. Sie sind weggestorben, oder es fiel einem nichts Besseres ein, als sich über uralte Streitigkeiten zu entfremden.
Das ließe sich ändern, wenn Sie Ihre neu entdeckte Sensibilität nutzen würden, um etwas gegen die eigene Verhärtung zu tun. Sprechen Sie über die alten Kränkungen, die alten Wunden. Lassen Sie es zu, dass wieder Gefühle hochkommen! Wenn Sie heulen müssen, heulen Sie, denn Heulen heilt. Und wenn Sie wütend sind, lassen Sie’s raus. Schreien heilt auch, solange Sie sich und nicht die anderen anschreien. Ihre gerade der Pubertät entronnenen Enkeltöchter werden Sie toll finden! Das schaffen Sie nicht? Doch, zum Beispiel im Gespräch mit einem Psychotherapeuten.
Psychotherapie – jetzt mit über sechzig? Brauchen Sie jetzt einen Shrink*? Bis jetzt haben Sie es doch auch ohne geschafft! Das ist nicht ganz richtig. Denn dass Sie es »geschafft« haben, heißt weder, dass Sie mit Ihren ebenfalls alt gewordenen seelischen Problemen, oft Folgen von problematischen Lernerfahrungen oder Verwundungen, gut zurechtgekommen sind. Und es heißt auch nicht, dass Ihre Probleme in Zukunft nicht immer nerviger werden: Jetzt, im Alter, wenn die früheren Prioritäten von Beruf und Kindererziehung verblassen, rücken Sie und Ihre Persönlichkeit in den Vordergrund und damit auch Ihre Schwächen. Und manche Arten von traumatischen Störungen machen sich oft im Alter erst richtig bemerkbar, wenn sich die Alltagsstruktur abschwächt.
Ihre Ankunft im Alter heißt auch, dass Sie etwas besser machen könnten. Zum Beispiel in den Beziehungen zu Kindern und Freunden. Psychotherapie kann helfen.
Aufmerksamkeit für die alternde Seele: Jetzt haben Sie die Chance, etwas mehr auf sich aufzupassen, darauf zu achten, mit was Sie Ihren Geist beschäftigen, morgens und vor dem Einschlafen und zwischendrin ruhig auch. Denn Sie sind, was Sie in Ihren Kopf lassen, und wenn Sie sich mit lauter Widrigkeiten beschäftigen, geht’s Ihnen gräulich. Dabei kommt es nicht nur auf die Inhalte an, sondern auch auf das »wann« und das »wie«.
Ein Vorschlag – machen Sie es wie im Flugzeug: »Bitte schalten Sie alle elektronischen Geräte aus.« Beziehungsweise: Schalten Sie sie gar nicht erst ein, morgens nach dem Aufwachen. Denn gerade da spielt es eine Rolle, wie Sie mit Ihrem Geist und Ihrer Seele, wie Sie mit sich umgehen. Schon wenn Sie wach werden.
Zuerst stellen Sie fest, dass Sie einfach nur da sind. Dann beginnen Sie, sich zu orientieren: Sie überprüfen, wo Sie sind, in welchem Zustand Ihre Umgebung ist, ob – falls vorhanden – Ihr Partner, Ihre Partnerin neben Ihnen liegt oder vielleicht schon aufgestanden ist. Wie ist das Wetter? Das Erste, was Sie nach dem Wachwerden wahrscheinlich tun, ist herauszufinden, ob noch alles beim Alten ist. Ist es, wie schon gesagt, ehrlicherweise nicht. Jeder Tag ist neu und anders? O Schreck!
Machen Sie sich erst mal einen Kaffee oder Tee und setzen Sie sich in Ihren favorisierten Sessel, immer noch ohne »elektronische Geräte«. Dieser Moment der Orientierung, bevor Sie in das alltägliche Netzwerk Ihrer Gedanken und Aufgaben eintauchen, ist kostbar. Jetzt können Sie etwas über sich erfahren, was von der Nacht übrig ist, wie es Ihnen geht, wo Sie persönlich gerade stehen, bevor Sie sich wieder von all dem Wichtigen aus der Welt beeinflussen lassen, das mit Ihnen direkt doch kaum etwas zu tun hat. Ehrlich. Sie müssen für einen Moment nichts machen, Sie werden nicht von irgendwelchen Emotionen geschüttelt, Sie sind einfach Sie selbst.
(Depressive Menschen haben mit diesem Moment oft ihre Schwierigkeiten, weil sie merken, dass sie nicht so sind wie sonst.)
Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie können noch bei sich bleiben oder Ihre Aufmerksamkeit von sich weglenken.
Was bedeutet das?
Wenn Sie diesen Zustand mögen, werden Sie vielleicht versuchen, ihn auszudehnen. Sie könnten zum Beispiel bewusst auf Ihre Atmung achten: Wie fühlt sich das an, wenn Sie einatmen, ausatmen, was in den Zwischenräumen, zwischen Ein- und Ausatmen passiert? Die eigene Atmung zu erleben, kann beglückend sein – Sie leben, ohne groß darüber nachzudenken.
Diese Übung ist nicht wichtig, weil die Zahl Ihrer Atemzüge irgendeine Bedeutung hätte, sondern weil Sie merken, wie Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Denken funktionieren.
Aufmerksam auf Ihre Atmung oder Ihre Körperhaltung zu achten, bedeutet, in diesem Moment zu bleiben, im Hier und Jetzt. Wenn Sie anfangen zu denken, entfernen Sie sich aus der Gegenwart, gehen in Vergangenheit und Zukunft, weg von sich und zu Dingen, die Sie vielleicht für wichtig halten, aber die Sie in diesem einzigartigen Moment gar nicht betreffen.
Wesentlich ist, dass Sie ein Gespür für diesen Wechsel aus Wahrnehmen und Denken entwickeln. Denn dieses Wechselspiel findet den ganzen Tag statt, prägt Ihren Wachzustand. Sie haben die Wahl, sich auf einzelne Momente zu konzentrieren, mit sich im Mittelpunkt, oder Ihrem Denken seinen Willen, Ihre Gedanken schweifen zu lassen – und sich darin zu verlieren. Phantasiereisen können auch was Nettes haben, doch einzigartig sind die einzelnen Momente. Das Leben passiert in jedem Augenblick.
Wie Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit und Ihrer Gedankenwelt umgehen, wie sehr Sie im Hier und Jetzt leben oder in der Welt Ihrer Erinnerungen, Planungen, Bewertungen, das macht Ihre Persönlichkeit aus.
Dass Sie sich damit beschäftigen können, ist ein Vorteil des Alters, denn Sie brauchen Zeit dafür. Die haben Sie nicht, wenn Sie gleich nach dem Klingeln des Weckers den drängenden Notwendigkeiten des Alltags ins Auge sehen müssen. Natürlich können Sie das auch als junger Mensch, aber da ist es viel schwerer, sich diesen Freiraum zu geben. Was Ihnen im Alter die Beschäftigung mit sich selbst erschwert, sind negative Überzeugungen von sich selbst, die aus unbewältigten emotionalen Erlebnissen entstanden sind. Sich abzulenken, ist der einfachste Weg. Aber gerade damit sollten Sie sich auseinandersetzen, denn solche negativen Überzeugungen vergällen Ihr Leben nachhaltig. Und bei dieser Auseinandersetzung hilft Ihnen die Fähigkeit, immer wieder ins Hier und Jetzt gehen zu können. Denn Sie sind mehr als das, was Sie an Erinnerungen und Erfahrungen von sich mitbringen. Es kommt darauf an, wie Sie jeden Moment, diesen und den nächsten, leben.
Wenn Sie das nicht wollen, greifen Sie zum Handy, hauen Sie sich vor die Glotze! Ihr Handy, dieses elektronische Gerät, das schon lange viel mehr als ein Telefon ist und Ihren Alltag am stärksten dominiert, ist ein hoch effektives Hilfsmittel, um von sich Abstand zu gewinnen; anders ausgedrückt: sich von sich selbst zu entfremden.
Stellen Sie sich vor:
Sie wachen auf. Ihr erster Griff geht zu Ihrem Handy, zum Beispiel um die Zeit zu checken, wenn Sie nicht sowieso durch die Weckfunktion wach wurden. Ein weiterer Blick: Hat mir jemand gesimst, hat jemand angerufen? E-Mails? Und dann überprüfen Sie gleich noch die wichtigsten Nachrichten. Schwupp, schon sind Sie weit, weit weg von sich selbst.
Sie machen das natürlich freiwillig, aber es fühlt sich an wie ein Sog, der von diesem Gerät und seinen vielen Möglichkeiten ausgeht; manchmal ist es schwer, dem zu widerstehen. Warum sollten Sie? Spielt es wirklich eine Rolle, mit was Sie sich beschäftigen?
Um das herauszufinden, schlage ich Ihnen Folgendes vor:
Und dann schauen Sie, wie Sie sich anfühlen, ob Sie Lust auf den Tag haben, auf das Frühstück, ob Sie Lust haben, etwas Ungewöhnliches zu tun, etwas Neues auszuprobieren, ob Sie plötzlich mit einem Gefühl, einer Erinnerung konfrontiert werden, die Sie nicht mehr kannten. Oder ob Sie sich schon vor dem Frühstück über Trump aufgeregt haben, über die subtil diffamierenden Schlagzeilen zum Flüchtlingsproblem, alternativ über den nächsten vergewaltigenden Ausländer, über …
Sie haben die Wahl, wie Sie mit sich umgehen, und auch das ist ein Vorteil des Alters, und was Sie dann machen.
Die Kinder sind schon lange raus und jetzt, im Ruhestand, gibt es im Prinzip auch keinen Zeitplan mehr, dem Sie folgen müssten. Was Sie jetzt tun, ist allein Ihre Entscheidung. Sie sind der Herr respektive die Frau im Haus.
Auch das geht die Seele an, wenn wir älter werden:
»Meine Frau, sie ist gestorben.«
»Wollen Sie darüber reden?«
»Nein.«
Ich verstehe, dass Sie nicht darüber reden wollen. Wahrscheinlich haben Sie Angst, dass Sie in Tränen ausbrechen würden, und das wollen Sie nicht, vor Dritten nicht und auch nicht alleine. Denn Sie wissen nicht, ob Sie Ihre Trauer dann noch kontrollieren könnten.
Eigentlich müssten Sie das gar nicht. Denn den Emotionen und dem Kontakt zu anderen tut es gut, wenn Kontrolle mal nicht alles ist, wenn einmal etwas Unkontrolliertes von uns zum Vorschein kommt.
Andererseits: Wenn Ihre Frau schon drei Jahre tot ist, wäre es gut, darüber zu sprechen, um die Trauerphase abzuschließen. Denkt der Psychotherapeut.
Sie fürchten, dass Sie Ihre Frau vergessen könnten? Das ist Unsinn. Sie werden Ihre Frau nie vergessen. Aber Sie könnten Ihre Trauer abschließen, weil danach wieder etwas Anderes Platz in ihrem Leben fände. Vielleicht auch ein anderer Mensch. Und Sie wären nicht mehr so einsam. Irgendwo stand: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.
Noch was für die alternde Seele: gelassen alt werden.
Was soll das schon wieder heißen: gelassen?
Sich nicht aufzuregen, Ihr Stresssystem dort nicht zu aktivieren, wo Aufregung und Stress nichts bewirken. Zum Beispiel: Auch wenn Sie noch so sehr im Viereck springen, können Sie nicht ändern, dass Sie alt werden. Stress habe ich nicht einfach so hingeschrieben. Stress ist sehr real ein System unseres Körpers, das aktiviert wird, wenn Aktion notwendig ist, um einer Gefahr zu entgehen, das Sie aber bei chronischer und wirkungsloser Aktivierung krank macht.
Also gelassen werden. Eine Buddha-Statue kaufen und Räucherkerzen davor anzünden? Ommhh machen?
Das wäre ein Weg, aber nicht der einzige. Tatsächlich leben buddhistische Meister länger und gesünder als der Durchschnitt, aber das tun christliche Mönche und Nonnen auch. Spiritualität hat eine antistressende und lebensverlängernde Wirkung. Sie wirkt nicht gegen alles, Krebs-Erkrankungen gehen davon nicht weg, aber alle Stressfolge-Erkrankungen werden besser: Diabetes, Hochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie kann Gelassenheit solch eine Wirkung entfalten?
Stress in unserer Gesellschaft ist zum großen Teil Produkt unseres Denkens. Meditation, ein Instrument der Spiritualität, wirkt gegen Denken und Grübeln. Wahrscheinlich ist es das einzig wirksame Mittel.
Ob Sie religiös werden und nach welcher Spielart Sie leben, ist Ihre höchstpersönliche Entscheidung, in die Ihnen niemand hineinzureden hat. Ruhiger und gelassener zu werden, indem Sie mehr Abstand zum Denken und mehr Zugang zum Fühlen und Erleben bekommen, wird Ihr Leben besser machen. Davon können Sie immer, aber vor allem im Alter profitieren.
Das Schwierigste: Sicherheit gibt es nicht.
Sie haben endlich mit dem Rauchen aufgehört, Gewicht reduziert und joggen jetzt jeden Morgen; es macht sogar Spaß. Sie haben das Richtige getan. Ohne Zweifel. Trotzdem gibt es keine Sicherheit, dass Sie dem Herzinfarkt, dem Schlaganfall, dem Krebs entgangen sind. Diese Heimsuchungen sind durch Ihre Hinwendung zum gesunden Leben weniger wahrscheinlich geworden. Aber ausgeschlossen sind sie nicht.
Warum?
Weil es im Leben überhaupt keine Sicherheit gibt. Sicherheit ist ein Produkt unseres Wunschdenkens, eine Illusion. Eine einzige Sicherheit gibt es allerdings – dass wir sterben werden. Das macht das Leben so unvergleichlich und so besonders.
Wie bitte? Das wollten Sie jetzt nicht wissen? Vielleicht wollen Sie folgendes Zitat lesen:
»Wenn die Menschen unsterblich wären, würden sie weniger nachdenken. Und wenn die Menschen weniger nachdenken würden, wäre das Leben weniger schön.
Ohne die Absurdität des Lebens und die Existenz des Todes wäre weder Die Zauberflöte noch Romeo und Julia geschrieben worden. Warum hätte irgendwer sollen?«60
Sie können ruhig Leonard Cohen, Pink Floyd, Wagner oder Bach einsetzen. Vielleicht vor allem Bach. Wenn Sie die »Johannespassion« gehört haben, in einer Vorstellung von »Romeo und Julia« waren oder Leonard Cohens »Halleluja« hören, dann geht Ihnen vielleicht auf, wie kostbar der Augenblick ist, in dem das geschieht. Dafür haben Sie auch erst jetzt so richtig Zeit, in Ihrem Alter. Wenn Sie die Musik wahrnehmen und die Worte hören, entstehen Ihre Gefühle. Im Moment. Jetzt. Das ist der Grund, warum wir im Alter umdenken sollten, warum es unbedingt notwendig ist, dass wir den Augenblick wertschätzen.
Die Lebensauffassung, die gegenwärtig so hoch im Kurs steht, hätschelt die Unsterblichkeitsillusion, ohne dieses Wort zu benennen. Wir halten lauter Dinge für wichtig, die für die Dauer bedeutsam wären, Geld, Haus, und – na ja – Prestige, was die Nachbarn von uns halten. Die Dauer gibt es aber nicht. Es gibt Momente, in denen etwas entsteht und in denen etwas vergeht. Dahin gehört der Spruch mit den »Lilien auf dem Felde, den Vögeln unter dem Himmel«. Wenn Sie das tief in sich reinlassen, kann es passieren, dass Sie sich nicht mehr sorgen. Dauerhaft ist der Wechsel. Die Hinduisten haben diese Tatsache mit dem Gott Shiva personifiziert, der beides tut: zerstören und neu schaffen. Dass der ständige Wechsel Leiden schafft, weil Anhaften eine menschliche Grundeigenschaft ist, lehrt der Buddhismus.
So! Jetzt habe ich in wenigen Zeilen drei unterschiedliche religiöse Ansätze erwähnt, die alle das gleiche Thema haben: Wechsel. Erlauben Sie mir die Frage, ob es nicht gut wäre, wenn wir uns stärker als bisher mit Spirituellem beschäftigten. Im Alter allemal.
Ja, ich weiß schon: Spirituelle Themen scheinen nicht so gut in unsere Zeit zu passen. Deswegen haben viele in den christlichen Kirchen, die immer zeitgemäß sein wollen, das Spirituelle fast vergessen.
Spiritualität ist kein Larifari. Sie ist die Essenz unseres Lebens, auch Ihres. Mit ihr tun sich aber viele schwer, auch und gerade viele Religionen, vor allem die staatlichen. Die Politik allemal. Das »C« in den Parteinamen ist sicher kein Ausdruck von Spiritualität. Sie können also ruhig weiter C-Parteien wählen und müssen nicht zu A-Parteien wechseln, wenn Sie mit Spiritualität nichts zu tun haben wollen. Aber Spiritualität ist eine starke Kraft. Unterschätzen Sie sie nicht. Der Umgang der Rotchinesen mit den Tibetern ist unmenschlich. Die Chinesen glauben, diese Grausamkeiten rechtfertigen zu können, weil sie den Buddhismus als den tiefsten denkbaren Widerspruch zu ihrem schönen, neuen Staatskapitalismus erleben. Ein aus ihrer Sicht bedrohlicher Widerspruch. Nicht Trump, schon gar nicht die EU, sondern ein paar arme Mönche.
Wo bin ich da hingeraten: Kapitalismus? Da war doch was? Entfremdung? Spiritualität bringt den Einzelnen zu sich, in jedem einzelnen Moment. Jetzt oder nie. Nie? Wahre Spiritualität spielt sich in Ihnen, im einzelnen Moment ab. Jetzt – oder nie.
In der Geschichte mit den klugen und den törichten Jungfrauen geht es um verpasste Momente, aus denen die Chance auf ein neues Leben hätte entstehen können. Akzeptieren Sie, dass Sie kostbar sind, in jedem Moment. Auch wenn Sie ein unerträglicher, selbstbezogener Idiot sind. Selbsterkenntnis bedingt Wandel. Bleiben Sie bei sich und lassen Sie sich nicht zerstreuen!
Pflegen Sie die kostbaren Momente des Tages, in denen Sie die Chance bekommen, sich selbst zu begegnen. Für den einen ist es der Morgen, nach dem Aufwachen, der erste Kaffee – für den anderen der Abend, Sonnenuntergang, vielleicht ein Glas Rotwein.
Wertschätzen Sie diese Momente! Verdaddeln Sie die nicht mit Ihrem Handy, dem Computer, den E-Mails oder mit der Glotze. Bleiben Sie bei sich, und schauen Sie, was entsteht.
Sie sind nicht glücklich? Glaubt man Barry Schwartz, einem Psychologieprofessor vom Swarthmore College in Philadelphia61, so liegt das daran, dass Sie zu viele Wahlmöglichkeiten haben: Statt der einen Jeans, die Sie immer schon getragen haben, können Sie heute zwischen mindestens zwölf verschiedenen Varianten wählen, statt dem griechischen Joghurt, der Ihnen schmeckte, müssen Sie sich zwischen mindestens fünf Joghurts entscheiden. Das Gleiche gilt für die Innenausstattung Ihres neuen Wagens, für Krankenversicherungen und und und …
Das wäre nicht schlimm, wenn das Auswählen nicht so viel Zeit kosten würde. Angesichts dieser vielen Wahlmöglichkeiten entsteht ständig das Gefühl, dass es vielleicht doch noch eine bessere Variante gäbe. Und wenn Sie sich entschieden haben – irgendeine Hose müssen Sie ja anziehen! –, tauchen Zweifel auf, ob Ihre Wahl wirklich die beste war. Die Suche nach dem immer noch Besseren raubt Ihnen das Gefühl der Zufriedenheit, vom Glück ganz zu schweigen. Dieses Prinzip finden Sie auch bei den Sportarten, die Sie betreiben könnten, inklusive der tollen, nur dafür geeigneten Kleidung, oder bei den Restaurants, die Sie ausprobieren könnten. Gibt es nicht doch noch einen besseren Italiener, ein besseres Steak in Ihrer Stadt? Und wer ist nun der beste Arzt für Sie?
Natürlich sind Sie auf Ihrer Suche längst im Internet angelangt und finden neben wirklich allem, was Sie suchen, einen bis viereinhalb Sterne. Das heißt, einen finden Sie nicht, denn mit einem Stern braucht man gar nicht erst im Internet zu werben. Da kauft man sich lieber noch zwei bis drei dazu! Sie können sowieso nicht mehr unterscheiden, welche Meinung echt und welche gekauft ist. Und selbst wenn sie echt ist, wenn jemand diesen Arzt als die Offenbarung und den bestmöglichen anpreist – es ist immer ein anderer Mensch, mit seiner Meinung, die mit Ihrer überhaupt nicht kompatibel sein muss, eigentlich gar nicht sein kann.
Zum Verzweifeln?
Die gute Botschaft: Je älter Sie werden, desto besser ist Ihre Chance, diesem Terror zu entrinnen. Aus drei Gründen: Ihre Fähigkeit nimmt ab, im Wettbewerb der Maximierung und Optimierung mitzuhalten. Sie sind auch gar nicht mehr dazu motiviert, es kommt Ihnen doof vor, sich immer den neuesten Trends anzupassen. Und Sie haben es gar nicht mehr nötig! Denn mit zunehmendem Alter stellen Sie fest, dass Sie mit einfacheren Lösungen zufrieden sind. Wie Biolek sagte:
»So ist der Mensch: Wenn eine Sache nicht mehr geht, sucht er sich Ersatz und freut sich über andere, kleinere Dinge, die noch möglich sind, die einem früher gar nicht aufgefallen sind. … Ein Blick aus dem Fenster auf den Park. Ich beobachte, wie sich die Jahreszeiten ablösen und die Natur sich verändert.«62
Vergleichen gehört in die Kategorie »Denken«, und das ist gut fürs Planen und Bilanzieren, aber nicht für die Akzeptanz des Augenblicks. Beides trägt zu Ihrem persönlichen Glück nichts bei, planen geht in die Zukunft, bilanzieren sagt Ihnen, was Sie rückblickend nicht so richtig gut gemacht haben. Akzeptanz hingegen ist das Spüren vom Hier und Jetzt, im Guten wie im Schlechten, ohne zu werten. Negative Empfindungen zulassen ebenso wie die guten, aber eben auch wahrnehmen, wenn der Schmerz, der Mangel aufhören. Das Gefühl für das erste Stück Brot, den ersten Schluck Wasser. Bewegung spüren, solange ich mich bewegen kann. Atmen. Das Bewusstsein, dass mit dem Altern vieles weniger wird, sensibilisiert uns für die Momente, in denen Gegenläufiges passiert.
Altersweisheit entsteht, wenn die Erwartungen abnehmen. Und die Ansprüche. Solange ich erwarte, dass mir das Leben all das bereithalten muss, was andere auch bekommen, entfremde ich mich von meinen tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten. Und wenn sich diese Erwartung zu einem Anspruch verdichtet – »es steht mir zu!« –, dann bin ich auch noch empört, sollte dieses »es« nicht eintreten. Überlegen Sie doch mal, welche Geschenke die tollsten sind: die geplanten, oder die anderen, die Sie nicht vorher gesehen haben, die ganz unerwartet kommen? Überraschen müssen Sie sich lassen.
Diesem Frieden trauen Sie nicht? Da hätte ich doch etwas sehr Wesentliches übersehen? Die Freiheit. Ja, ich gebe es zu: Die Freiheit zu wählen, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Allerdings wurde diese Freiheit in Ihrem bisherigen Leben von der Illusion begleitet, dass unsere Wahlmöglichkeiten unbegrenzt seien. Jetzt, wo wir alt sind, könnten wir immer noch wählen, aber die Wahlmöglichkeiten sind geschrumpft.
Schrecklich? Komischerweise: nein.
In der Kindheit beginnt es, dass sich der Horizont unserer Möglichkeiten langsam und dann immer mehr entfaltet. Schnell wird das große Ziel sichtbar, unsere Anlagen in der Weise zu entwickeln, wie es die Gesellschaft für richtig hält: Erst wird für uns entschieden, und wenn wir gelernt haben, in welche Richtung die Entscheidungen gehen sollen, übertreffen wir uns freiwillig noch.
Da das meiste davon Mühsal und Arbeit ist, muss sich die Wunscherfüllung immer weiter nach hinten verschieben:
»Der Ruhestand ist eine Zeit X in der Zukunft. Ich werde genug Geld haben, um zu tun, was ich will. Es stünde mir frei, an allen Aktivitäten teilzunehmen, die mir Spaß machen, und ich könnte jeden Tag auf erfüllende Weise verbringen.«63
Doch jetzt ist etwas Merkwürdiges passiert: Sie, die Alten, sind angekommen! Angekommen? Ja, jetzt und heute, in dieser Zeit X mit all ihren Verheißungen. Echt? Doch, ja! Sie können die kommenden Tage auf erfüllende Weise verbringen.
Machen Sie nicht einfach so weiter wie bisher, sonst verspielen Sie die Chance des Ruhestandes.
Einfach weiterzumachen, ist Folge unserer Gewohnheiten. Um glücklich zu werden, müssen wir uns ändern.
Ja, das ist ein Thema der wohlhabenden Länder. Vielleicht erklärt das, warum die weltweit glücklichsten Menschen in einem der ärmsten Länder, in Bhutan64, leben.
Mein Großvater überlebte die Demenz seiner Frau. In dieser Zeit lernte er Hausmann und wurde in dieser Disziplin ziemlich gut. Mit dem Alleinleben kam er gut zurecht, Einsamkeit war kein Thema. Er war geistig rege, las die Tageszeitung, Fernsehen war nicht so seins, auch über achtzig gab es keine Hinweise auf eine Verminderung seiner geistigen Kräfte. Er kochte sich seine Mahlzeiten selbst, ab und zu erlaubte er sich als Highlight ein Mittagessen in einem der besseren bayerischen Restaurants der Stadt. Sport im heutigen Sinn hat er nicht gemacht, und er fing natürlich auch im Alter nicht damit an, aber er ging gerne lange Strecken und fuhr mit Begeisterung Straßenbahn. Den Führerschein hat er nie abgegeben, aber nachdem er mir mit Mitte siebzig seinen geliebten VW-Käfer geschenkt hatte, fuhr er nicht mehr Auto. Er schlief immer gut. Mit seiner Gesundheit hatte er Glück, schwerere Krankheiten blieben ihm erspart. Aber mit über achtzig bekam er bei einer Grippe Zeichen einer Herzschwäche, die mit einem Digitalis-Präparat behandelt wurde, das er wohl nicht vertrug. Er setzte es irgendwann ab, ohne das zu erwähnen; meine Mutter, die sich regelmäßig mit ihm zum Mittagessen traf, glaubte von ihm gehört zu haben, dass er sich beim Treppensteigen etwas schwerer tue. Nach diesen Mittagessen telefonierten sie immer noch kurz, ob der andere gut wieder zu Hause angekommen sei, anschließend las er die Zeitung. Eines Tages, er war schon 84, nahm er den Hörer nicht ab, und weil das sehr ungewöhnlich für ihn war, fuhr sie durch die halbe Stadt zu ihm: Da saß er in seinem Sessel, hatte die Tageszeitung noch in den Händen und atmete nicht mehr. Eine Reanimation erübrigte sich.
So ähnlich würde ich mir das auch wünschen: Das Leben ohne nennenswerte Beeinträchtigungen leben und mich dann ohne großen Aufwand verabschieden. Aber wir können es weder wissen noch uns wünschen.
Was sind die großen Themen der Autonomie im Alter?
Wohnen, mobil sein, sich ernähren und selber seinen Körper pflegen zu können, sich zurechtzufinden, seine finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten selbst im Griff haben, nicht hilflos und nicht abhängig werden, schnell und schmerzlos sterben. Ein ambitioniertes Programm! Schauen wir’s uns an.
Wohnen: die kleine, aber nicht zu kleine Wohnung, die Sie sich mit den Dingen, die Ihnen etwas bedeuten und auf die Sie nicht verzichten mochten, eingerichtet haben. Ordnung halten, ist nicht Ihr Problem, einmal in der Woche kommt die nette Putzfrau mit Migrationshintergrund, die auch Ihre Blumen gießt, wenn Sie mal in Urlaub fahren. Diese Wohnung liegt im zweiten Stock, das entsprach Ihrem Sicherheitsbedürfnis. Dann sollte es sinnvollerweise einen Aufzug geben! Denn wenn Sie älter werden wollen, kann es sein, dass es mit dem Treppensteigen immer schwerer wird, von der Puste her und von der Kraft in den Beinen. Treppensteigen mit Unterarmgehhilfe, früher haben wir Krücken gesagt, ist Hochleistungssport, und wenn Sie das nicht ab fünfzig trainieren – warum sollten Sie? –, haben Sie mit achtzig in dieser Disziplin keine Chance.
Treppen können übrigens auch zum Problem werden, wenn Sie noch im eigenen Haus wohnen. Alternativ könnten Sie Bad und Schlafzimmer im Erdgeschoss einrichten oder einen Treppenlift installieren. Der kostet allerdings.
Ihre Freundin ist in dieses schöne Seniorenheim gezogen, zwei Zimmer, kleine Küche, Bad, möglicher Anschluss an die Pflegestation. Nein, so weit sind Sie noch nicht. Nein? Auch wenn Sie das gegenüber Ihren Kindern nie zugeben würden, – warum eigentlich nicht? –, denken Sie doch gelegentlich darüber nach. Das Hauptargument dagegen: Sie müssten sich von so vielem trennen, was Ihnen etwas bedeutet, Bücher, die Bonsais, Ihr schönes Geschirr, die vielen Garnituren Bettwäsche, wenn die Kinder mal zu Besuch kommen. Die könnten natürlich auch im Hotel wohnen.
Ein Psychiater würde sagen: Sie sind ambivalent. Das ist keine Krankheit, sondern beschreibt den Zustand, wenn Sie zwischen zwei Entscheidungsmöglichkeiten festhängen und sich weder für die eine noch für die andere entscheiden können. Machen Sie ruhig weiter so! Ich meine es ernst: Machen Sie weiter so, und lassen Sie ab und zu die Alternativen Revue passieren. Irgendwann sehen Sie klar und können sich entscheiden.
Seniorenheim, die Zweite: Ihre Freunde kennen alle alten Geschichten, die Sie so gerne erzählen: Ihre tollen Dinger, die Sie in Ihrer Jugend gedreht haben, Ihre drei Frauen, Ihr beruflicher Aufstieg – alles schon bekannt. Dabei erzählen Sie doch so gerne und haben es immer geschafft, über Ihre Geschichten gute Kontakte zu knüpfen. Leider verschwinden die alten Kontakte allmählich. In dem schönen Seniorenheim hätten Sie die Möglichkeit, dankbare Zuhörer zu finden. Sie sollten nur nicht zu spät dorthin ziehen.
Mobilität: Sie wohnen etwas außerhalb, im Grüngürtel. In die Stadt zu kommen, war nie ein Problem, denn Autofahren war Ihr Hobby, erst der Golf, dann für ein paar Jahre in einem Anfall von Größenwahn Ihres lieben Mannes der SUV, nach seinem Tod haben Sie sich einen Smart gekauft und lieben es, mit dem durch die Stadt zu kurven, überall eine Parklücke zu finden. Jetzt gehen Sie auf die Achtzig zu, und Ihr Sohn hat schon mal ganz behutsam nachgefragt, wie lange Sie noch fahren wollten. Vorsicht! Darüber wollen Sie nicht diskutieren, aber der Gedanke kommt Ihnen auch immer öfter.
Das Problem: Die nächste S-Bahn-Station ist einen Kilometer weg, und so rasant sind Sie nicht mehr zu Fuß unterwegs. Auf die Stadt wollen Sie nun einmal nicht verzichten, einmal in der Woche Bridge mit Ihren Freundinnen, vorher ein kleiner Einkaufsbummel und ein leckeres Mittagessen in Ihrem Lieblingscafé, abends wird es schon mal neun oder zehn, und da wollen Sie eigentlich nicht mehr mit der S-Bahn fahren. Wenn Sie den Smart verkaufen würden, könnten Sie sich eigentlich ohne Probleme ein Taxi leisten. Stimmt. Die Schwierigkeit ist, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Was ist schon richtig? Wenn Sie mit dem Straßenverkehr nicht mehr zurechtkommen? Davon kann doch keine Rede sein. Umgefahren haben Sie schließlich noch keinen! Ehrlich gesagt wäre es auch nett, wenn Sie das nie, nie täten, denn abgesehen von dem Schaden, den Sie einem anderen zufügen, werden Sie sich von dieser Erinnerung auf Ihre alten Tage wohl nicht mehr erholen.
Wenn Sie sich sehr unsicher sind, können Sie mit einer Fahrschule eine Fahrt mit Fahrlehrer vereinbaren, damit der Ihnen sagt, was er von Ihrem Fahrstil hält. Das könnten Sie als Entscheidungshilfe nehmen. Wenn Sie sich unsicher sind, verkaufen Sie den Smart. Aber die subjektive Sicherheit ist auch kein hartes Kriterium, denn die hängt von der Selbsterkenntnis ab, zu der Sie in der Lage sind. Und die ist bei uns Menschen sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Ernährung: Ich koche gerne. Das habe ich schon erwähnt. Auch so ein Altersproblem, dass man nicht mehr genau weiß, wann und wo man etwas erzählt hat. Also, mir macht kochen Spaß, ich koche auch für mich als einzelne Person, für zwei bis vier macht es mehr Spaß, ab sieben wird es Stress – aber das steht nicht mehr an. Ich glaube, dass diese Vorliebe bleiben wird, solange ich klaren Geistes bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das ändern wird. Essen auf Rädern – na ja, wem’s schmeckt. Andererseits: Wie war das mit Alfred Biolek? Der hat ja sogar Kochbücher herausgegeben, eines mit Eckart Witzigmann, meinem ungeschlagenen Kochhero, und er hat Menschen eingeladen, Feste gegeben, für sie gekocht. In einem Interview sagte er neulich: »Heute kann ich gerade noch Möhrchen schnibbeln.«65 Mit Mitte achtzig. Schwer zu glauben? Er war gestürzt, lag lange im Koma und musste sich das Leben ganz allmählich wieder zurückerobern. Das Kochen ist dabei auf der Strecke geblieben. Biolek! Wenn Sie klug sind, machen Sie sich klar, dass auch Sie im Alter plötzlich Ihre Kernkompetenzen verlieren können. Ein Sturz, ein Schlaganfall, eine schwere Krankheit. Je älter Sie werden, desto wahrscheinlicher ist das. Die Hochbetagten aus der Berliner Altersstudie haben alle mehrere Krankheiten, nicht alle schwer, aber doch einschränkend.66 – Die haben aber auch nicht Ihr Fitness-Programm absolviert, Falltraining und so weiter! Nein, haben sie nicht, weil es das damals noch nicht gab. Aber all das verbessert zwar Gesundheit und Lebensqualität, gibt Ihnen jedoch keinen absoluten Schutz. Passieren kann ein Desaster immer. Auch Ihnen. Und dann wäre es gut, wenn Sie sich überlegt hätten, wie es mit Ihrer Ernährung weitergeht. Essen auf Rädern? Wie war das Mittagessen in dem Seniorenheim noch mal? In einem durchschnittlichen Alters- und Pflegeheim wird für das Essen 4,45 Euro/Tag ausgegeben.67 Eine Kugel Eis bei Ihrem Spitzenitaliener kostet 1,20 Euro.
Körperpflege: Ob ich jetzt spinne? Natürlich können Sie sich sauber und gepflegt halten! Bestreite ich gar nicht. Aber wie ist es unter der Dusche mit den Füßen? Nicht nur unter der Dusche kommen Sie da nicht mehr so richtig hin. Und auch für leichter zugängliche Regionen gilt, dass Sie sie mit zunehmendem Alter immer schwerer pflegen können. Diejenigen, die Gymnastik und Dehnübungen kultivieren, sind da besser dran als die leicht Übergewichtigen, die wie ich Dehnübungen hassen.
Oder: Sie sind stolz auf Ihre Haare und haben der Versuchung der so praktischen Kurzhaarfrisur immer widerstanden. Aber Haare waschen, trocknen, legen ist ein Angang, und zum Friseur kommen Sie nicht mehr ohne Weiteres. Schlecht wäre es also nicht, wenn Sie sich dafür um Hilfe bemühen könnten. Wenn Sie schwerer krank werden sollten, zum Beispiel nach einem Schlaganfall, dann kommen Sie nicht mehr daran vorbei, dass Sie sich auch für intimere Aspekte der Körperpflege Hilfe holen müssen. Der Pflegedienst? Der Pflegeservice im Seniorenheim? Je älter Sie werden, desto wichtiger sind gute Körper- und Hautpflege.
Geschäftsfähigkeit: Was heißt denn das? Sie sind in der Lage, sich um Ihre Lebenssituation, Wohnen und Alltag, um Ihre Finanzen und um Ihre Gesundheit zu kümmern? Klar! Gut.
Es muss aber nicht immer so bleiben. Ein Schlaganfall, die beginnende Demenz, transiente ischämische Attacken und Ähnliches. Über die Prozentzahlen, die beim Zuwachs dieser Heimsuchungen im Alter eine Rolle spielen, habe ich schon berichtet. Es kann passieren, und vor allem, es kann plötzlich passieren: Ein Schlaganfall passiert plötzlich, ohne Vorzeichen, die Sie bemerken. Notarzt, Notaufnahme, Stroke unit** – Ihre Partnerin, Ihre Tochter … möchte gerne mit den Ärzten sprechen, denn sprechen können Sie ja bis auf Weiteres nicht! Gut, dass Sie eine Generalvollmacht, eine Patientenverfügung, eine Betreuungsverfügung haben! Haben Sie nicht? Dann wird Ihr ohnehin gefährlich hoher Blutdruck noch mal ansteigen, weil sich diese Ärzte doch tatsächlich weigern, mit Ihren Vertrauenspersonen zu sprechen! Geschweige denn, sie an den wichtigen Entscheidungen zu beteiligen! Leider sind die Ärzte vollkommen im Recht! Ohne Schweigepflichtsentbindung, Generalvollmacht, Patientenverfügung – die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren erkläre ich Ihnen im folgenden Kapitel – haben Ihre Angehörigen kein Recht, etwas über Ihren Zustand zu erfahren und können auch nicht mitreden.
Daraus folgt: Selbst wenn Sie die Gedanken an Schlaganfall, Demenz oder andere schwere Krankheiten ängstigen und Sie sie verdrängen, sollten Sie Vorsorge für jede dieser Wahrscheinlichkeiten treffen, indem Sie in juristisch tragfähiger Form festlegen, wer in einem solchen Fall Ihre Interessen vertreten soll. Dabei hilft Ihnen ein Notar. Dieses Geld ist gut angelegt! Und wenn Sie keine Freundin haben, mit Ihren geldgierigen und charakterlosen Kindern zerstritten sind und auch sonst keine gute Seele kennen, der Sie Ihre Fürsorge anvertrauen würden? Dann machen Sie trotzdem beizeiten eine Betreuungsverfügung, damit ein vom Amtsgericht einzusetzender Betreuer Ihre Interessen wahrnimmt, wenn Sie das nicht mehr selbst können. Damit sparen Sie Zeit! Denn wenn Sie in einen entsprechenden Zustand geraten, dürfen die Ärzte alles, was über den absoluten Notfall hinausgeht, nicht tun, ohne die Zustimmung des Amtsgerichtes, Abteilung Betreuungsrecht, einzuholen. Das dauert, und um diesen Zeitverlust für Ihre Gesundheit zu vermeiden, können Sie eine entsprechende Verfügung schon vorher machen.
Sie wollen mich jetzt daran erinnern, dass ich die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel erwähnt habe, mit der Empfehlung, sich nicht zu sorgen?
Ja, das habe ich. Aber ist das nicht etwas Komisches an unserer Denkkultur, dass es immer nur ent- oder weder geben darf und dass der Mittelweg als ein fauler Kompromiss erscheint? Und: Sorgen tun Sie sich ja sowieso schon, sonst hätten Sie diese Gedanken gar nicht. Der beste Weg, nicht dauernd zu grübeln, ist der, Vorkehrungen zu treffen.
* Kalifornische Bezeichnung für den Psychotherapeuten, den viele aufsuchen, anscheinend um sich zurechtschrumpfen zu lassen …
** Intensivstation, die auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisiert ist; eine solche Spezialbehandlung hat eine deutlich bessere Prognose als die normale Krankenhausbehandlung.