Letzte Ruhestätte - San Michele, die Friedhofsinsel der Venezianer
Venedigs Friedhofsinsel liegt nur einen Katzensprung von der Anlegestelle Fondamenta Nuove entfernt. Von dort aus betrachtet, erscheint die ziegelsteinummauerte und zypressenbestandene Toteninsel bisweilen wie ein Trugbild. Im morgendlichen Dunst der Lagune möchte man glauben, auf die „Toteninsel“ von Arnold Böcklin zuzufahren. Bevor San Michele Anfang des 19. Jh. zum Cimitero urbano wurde, bestatteten die Venezianer ihre Toten in den Gärten der zahlreichen Kirchen der Stadt. Heute wäre auch die Bestattungskapazität von San Michele längst erschöpft, würde man nicht einen Großteil der Toten in 4 m hohen Urnengrabmauern übereinander beisetzen. Paradox, Venedigs Bevölkerung schrumpft, aber der Friedhof ist chronisch überfüllt. Abhilfe soll eine Fried-hofserweiterung schaffen. Die dazu notwendigen Aufschüttungsarbeiten sind bereits im Gange.
Dauerhaftes Ruherecht genießen lediglich die berühmten venezianischen Familien in ihren monumentalen Mausoleen und einige ausländische Prominente wie Igor Strawinski, Sergei Diaghilew, Ezra Pound u. a. Seit 1996 gehört auch der russische Dichter und Venedigliebhaber Joseph Brodsky dazu. Neueste Pil-gerstätte auf San Michele ist das Grab des 2006 verstorbenen venezianischen Malers Emilio Vedova.
Mittlerweile hat der Anblick von blumengeschmückten Trauergondeln Seltenheitswert in Venedig, doch einige traditionsbewusste Venezianer lassen es sich nicht nehmen und verfügen testamentarisch eine letzte Gondelfahrt, um ihr Leben feierlich zu beschließen. Ein Besuch der Gräberfelder von San Michele ist v. a. an Allerheiligen (Ognissanti) ein Erlebnis, denn an diesem Totengedenktag herrscht hier mehr Gedränge als auf dem Markusplatz. Ununterbrochen setzen mit Blumengestecken und Picknickutensilien bepackte Menschen mit den an diesem Tag im 5-Minuten-Takt verkehrenden Vaporetti über und verwandeln die ansonsten ruhige und friedliche Toteninsel in einen Ort würdevoller Heiterkeit. Doch die eigentliche Ganzjahresattraktion von San Michele ist die Chiesa San Michele in Isola. Bei diesem eleganten Bau von Mauro Coducci handelt es sich um die erste Renaissancekirche Venedigs (1469-1471). Erstmals fand hier istrischer Kalkstein bei der Gestaltung einer venezianischen Kirchenfassade Verwendung. Neben der Kirche und dem wohlproportionierten Glockenturm stellt die angrenzende Cappella Emiliana (ein Renaissance-Kuppelbau von 1530) einen weiteren Blickfang dar. Der anschließende gotische Kreuzgang, über den man auf den Friedhof gelangt, stammt noch vom Kamaldulenserkloster, das sich hier bis zur Friedhofsgründung befand.
Verbindungen: Vaporetto Nr. 4.1/4.2 ab Fondamenta Nuove. Friedhofsinsel April-Sept. tägl. 7.30-18 Uhr geöffnet, Okt.-März tägl. 7.30-16 Uhr; Kirche und Kapelle Mo-Sa 8.30-12 Uhr.