6 Feuchtigkeit umwandelnde und trocknende Kräuter

6.1 Grundsätzliches

Feuchtigkeit (Shi 濕) ist ein sehr häufig vorkommender pathogener Faktor. Hervorgerufen wird Feuchtigkeit vor allem durch eine Qi-Schwäche der Milz (innere Feuchtigkeit) oder durch die Umwandlung von außen eingedrungener Feuchtigkeit (Aufenthalt in feuchter Umgebung, Durchnässung) in innere Feuchtigkeit. Gestört wird damit der Wassermetabolismus, an dem Milz, Lunge, Niere, Blase und 3-Erwärmer beteiligt sind. In jedem Fall sind die Milz-Funktionen der Umwandlung und des Transportes (Yùn Huà 运化) beeinträchtigt, was zu Ansammlung, Stagnation und Trübheit der Flüssigkeiten führt.

Geschädigt wird die Milz besonders durch nicht zuträgliche Essgewohnheiten, zu viele Süßigkeiten, Zuckerwaren, Rohkost, kühlende Getränke, Alkoholabusus, lange anhaltende Sorgen – alles Faktoren, die das Qi der Milz verstopfen und zur Bildung von trüber Feuchtigkeit führen (MAG 2010: 788f.)

Feuchtigkeit ist ein Yin-Pathogen, ist schwer und träge, hat einen absinkenden (herunterziehenden), verlangsamenden Einfluss und ruft Stagnation hervor.

Symptome und Befunde

Feuchtigkeit bringt oft einen zähen und chronischen Krankheitsverlauf mit sich und ist in der Folge auch mit verantwortlich für viele Erkrankungen der Haut, des Verdauungstraktes, der Harnwege, des Menstruationszyklus sowie für Erschöpfung.

Die Kräuter dieser Arzneigruppe sind vorwiegend warm, aromatisch, scharf, bitter, trocknend und mild süß.

Sie helfen, Feuchtigkeit zu beseitigen und den Energiefluss wiederherzustellen. Sie zeigen meist eine Wirkung auf Milz, Lunge und Dickdarm. Da Feuchtigkeit zu Stagnation führt, ist es sinnvoll, Feuchtigkeit umwandelnde Kräuter mit Qi bewegenden Kräutern aus  Kap. 9.2 zu kombinieren.

Auch wenn die Feuchtigkeit ätiologisch mit Milz-Nieren-Yang-Mangel einhergeht, so stellt die Feuchtigkeit doch eine Fülle dar. Dann muss gleichzeitig Feuchtigkeit beseitigt und Yang Qi gestärkt werden. Hier stehen warme Kräuter im Vordergrund. Sie helfen, das Klare aufsteigen zu lassen und das trübe Yin nach unten abzuführen.

„Wenn das Nieren-Yang leer ist und sein Qi das Wasser nicht mehr transformieren kann, wird das Wasser pathogen, indem es überläuft und Ödeme verursacht oder stagniert und Nässe entstehen lässt. Es entstehen Symptome wie Miktionsstörungen, Ödeme und Taubheit im unteren Abdomen. Wenn das Milz-Yang leer ist, können ähnliche Probleme entstehen.“ (BEN 1996: 214) Solche Probleme sind:

Die Therapie besteht darin,

Bei Anzeichen von Feuchte-Hitze werden die Kräuter kombiniert mit Kräutern aus  Kap. 7.2, die sich teilweise in ihrer Wirkung mit den hier vorgestellten überlappen können.

6.1.1 Energetische Eigenschaften

Allgemein haben aromatische Kräuter die Fähigkeit, trübe Feuchtigkeit zu trocknen, Qi-Blockaden zu lösen und die Milz wiederzubeleben.

„Als aromatisch (Xiang 水) wird in China manchmal der Geschmack, manchmal die Funktion bezeichnet. Das Aromatische hilft der Milz beim Transport. Aroma ist mit starkem Duft verbunden. Aromatische Öle aktivieren die Zirkulation, bewegen Leber-Qi […]. Aromatisches nährt nicht, hat mehr Qì 氣 als Wèi 味. Aromatische Kräuter wecken die Milz und befreien Herz-Shen, beseitigen Nässe und Schleim, lösen auch durch Schleim hervorgerufene Stagnation (Fang Xiang Hua Yào 芳香化藥). Dafür geeignete aromatische Kräuter sind vom Temperaturverhalten warm bis neutral.“ (MAS 187)

Der bittere Geschmack trocknet Feuchtigkeit und ist – in Verbindung mit einem warmen Temperaturverhalten – für die Behandlung von Verdauungsschwäche und Appetitverlust geeignet. Alle Kräuter der Gruppe lassen sich zu den „Amara aromatica“, den so in der europäischen Heilkräuter-Tradition bezeichneten Bittermitteln mit ätherischen Ölen, zählen.

Der scharfe Geschmack, den diese Kräuter ebenfalls aufweisen, bewegt und dynamisiert. Yin-Pathogene wie Feuchtigkeit und Schleim müssen bewegt werden, um erfolgreich behandelt zu werden. Kräuter mit scharfem Geschmack zerstreuen Feuchtigkeitsansammlungen und helfen, sie umzuwandeln. „Scharf-bitter-warme Arzneien trocknen unmittelbar Feuchtigkeit und eignen sich besonders für Wasser- oder Feuchtigkeits-Ansammlungen im mittleren 3-Erwärmer.“ (YAN 98)

6.1.2 Inhaltsstoffe

Hier sind in erster Linie die ätherischen Öle zu nennen, die alle Kräuter dieser Gruppe enthalten und für den aromatischen Geschmack verantwortlich sind. Sie wirken hyperämisierend und durchgängig machend, bewegend, entstauend und trocknend. Darüber hinaus wirken sie je nach Heilpflanze auch harntreibend oder steigern die Gallensekretion.

Alle Kräuter weisen Bitterstoffe in unterschiedlicher Zusammensetzung auf, einige auch Stärke und Zucker, was im Licht der Chinesischen Medizin auf eine trocknende wie auch tonisierende Wirkung hinweist.

6.2 Kräuter

6.2.1 Acorus calamus

Siehe  Abb. 6.1 und  Tab. 6.1.

Tab. 6.1 Monografie Acorus calamus.

Name (lat.) Name (dt.) Temperatur Geschmack Organbezug Tagesdosis
Acorus calamus, rhiz. Kalmus, Wurzel warm aromatisch/würzig, scharf, bitter, leicht süß Mi, Ma, He, (Le, Lu) mittlere Tagesdosis: 1–5g Infus, Dekokt Droge; 1–8ml Tinktur
Wirkbeschreibung Indikationen
Milz (und Magen) stärkend, wärmend, so Transport und Umwandlung (Yùn Huà) unterstützend, das klare Yang emporhebend Appetit- und Verdauungsschwäche verbessernd:
Hypoacidität, Gastritis
Dyspepsie, weiche Stühle; Anämie
Verdauungsschwäche bei Milch und Käse
allgemeine und chronische Schwäche im Alter
skrophulöse und rachitische Kinder
Organsenkungen
Feuchtigkeit ableitend, (kalten) Schleim zerteilend (Milz, Magen, Lunge, Kopf) weiche Stühle, träge Verdauung
„verstopfte Leber und Milz“, dumpfer Kopf
Schleim der Bronchien, Nase, Nebenhöhlen
Lipome, Lymphknotenschwellung
Herz-Schleim transformierend, Geist (Shen) beruhigend, trübe Energien ausleitend Konzentrationsschwäche, Gedächtnisschwäche, Geistesträgheit, Dumpfheit, Verdrießlichkeit
orthostatischer Schwindel
lokale Anwendung: Qi und Blut bewegend, Wunden entgiftend schwammiges Zahnfleisch (> Pulver)
Zahnschmerzen, Heiserkeit
Zahnungsschmerzen bei Kleinkindern
Hautgeschwüre, alte Knochenulzera, Abszesse, Stiche, Bisse (> Auflage)
Jing stärkend allgemeine und chronische Schwäche (Asthenie junger Frauen)
Knochenerkrankungen
ROS (2009) 5f., MAG (1994), BÜH 156, KRA (2000) 62, KRA (2008 b), WILL 238ff., JÄN 265f., PAH 177, Positivmonografie Kommission E
missing link

Abb. 6.1 Acorus calamus.

missing link Kontraindikationen

Schwangerschaft, Stillzeit

missing link Beachte: Überdosis kann Durchfall, Erbrechen, Entzündungen innerer Organe auslösen Europäische Arzneibücher legen Grenzwerte für den Gehalt von β-Asaron in der Droge bzw. in Lebensmitteln wegen eines Verdachts auf kanzerogene Wirkung fest. Bisher konnten beim Menschen keine von Kalmus ausgehenden kanzerogenen Effekte beobachtet werden. Im Gegensatz zur indischen enthält die europäische und nordamerikanische Droge nur 15 % β-Asaron im ätherischen Öl und gilt daher als nicht bedenklich. Von einem Dauergebrauch sollte jedoch abgeraten werden.

6.2.2 Elettaria cardamomum

Siehe  Tab. 6.2.

Tab. 6.2 Monografie Elettaria cardamomum.

Name (lat.) Name (dt.) Temperatur Geschmack Organbezug Tagesdosis
Elettaria cardamomum fruct. Kardamom warm aromatischwürzig, etwas scharf, leicht süß und bitter Ma, Mi, Därme 1–6 g Infus; Tinktur: 1–6ml
Wirkbeschreibung Indikationen
Qi der Mitte wärmend, bewegend und tonisierend, Umwandlung und Ausleitung von Feuchtigkeit fördernd Übelkeit, Erbrechen, saurer Reflux, Sodbrennen, epigastrische Schmerzen/Distension
Gastritis/Gastroenteritis, Dyspepsie, Helicobacter pylori
Diarrhöe mit Verdauungsschwäche und Kälte
Magen- und Darm-Qi bewegend und wärmend Nahrungsmittelstagnation
Blähungen, Völlegefühl, Schmerzen
das klare Yang emporhebend Schwindel, Konzentrationsmangel, geistige Trägheit
PAH 389, LPH 183, JÄN 274, HOL 252, Positivmonografien Kommission E, WHO

6.2.3 Citrus aurantium amara

Siehe  Abb. 6.2 und  Tab. 6.3.

Tab. 6.3 Monografie Citrus aurantium.

Name (lat.) Name (dt.) Temperatur Geschmack Organbezug Tagesdosis
Citrus aurantium amara, pericarp. Pomeranze, Schale warm scharf, aromatisch, bitter Mi, Ma, Le, Lu, Därme 1–6 g getr. Droge, Infus 1,5–3 ml Tinktur
Wirkbeschreibung Indikationen
Qi des Mittleren 3-Erwärmers (Mi, Ma, Le) regulierend und bewegend
Umwandlungs- und Transportfunktion der Milz weckend
Magenschmerz, Abdominalschmerz, abdominelle
Spasmen, Dyspepsie
Übelkeit, Erbrechen, Rülpsen, Schluckauf
Ansammlungen, Analprolaps
Gleichgültigkeit
Nahrungsretention auflösend
Verdauung „schwerer“ Kräuter und Speisen fördernd
Nahrungsretention
Appetitlosigkeit, Verdauungsschwäche
Blähung, Flatulenz, dyspeptische Beschwerden
Anorexie, Magersucht
Verstopfung
Feuchtigkeit trocknend
Schleim-Kälte auflösend
Tumor, wässriger Schleim
Husten mit Schleim, Völlegefühl im Thorax
JÄN 419, SCW 187, BÜH 157, ROS (2009) 68, PAH 406, Positivmonografie Kommission E
missing link

Abb. 6.2 Citrus aurantium.

missing link Nebenwirkungen

bei hellhäutigen Personen Fotosensibilisierung möglich

6.2.4 Levisticum officinale

Siehe  Tab. 6.4.

Tab. 6.4 Monografie Levisticum officinale.

Name (lat.) Name (dt.) Temperatur Geschmack Organbezug Tagesdosis
Levisticum officinale, rad. Liebstöckel, Wurzel warm süß, scharfaromatisch, etwas bitter Mi, Ma, Le, Därme, Ni, Bl, Uterus 1–6 g getr. Droge, Infus 1–4 ml Tinktur
Wirkbeschreibung Indikationen
Ansammlung von Feuchtigkeit-Kälte auflösend und ausleitend Wasseransammlung (spez. von Taille abwärts), Miktionsstörungen
chronische Harnwegsinfekte, Harnverhalten, spärliche Miktion, häufiger Harndrang, Bettnässen, Albuminurie, Eiweiss im Urin, Zystitis
weißer Ausfluss, Leukorrhöe
Qi regulierend, bewegend und stärkend Dysmenorrhöe; PMS, verlangsamte Geburt, ret. Plazenta, Nachgeburt austreibend
Melancholie, Hysterie, Müdigkeit, Abgeschlagenheit
Erschöpfung, sexuelle Schwäche, Impotenz, Frigidität
Feuchtigkeit und Schleim transformierend und Inneres wärmend abdominelle und epigastrische Schmerzen und Spannungsgefühl, Verdauungsstörungen, Flatulenz, breiige Stühle, Appetitmangel, Dyspepsie, Übelkeit; Koliken
Verschleimungen der Atmungs- und Verdauungsorgane
Wind-Kälte eliminierend Erkältung, Bronchitis, Atemwegskatarrh
Wundheilung fördernd lokale Anwendung Hauterkrankungen wie Furunkel, Akne, Wunden
HIL 2, 20; SCW 223, MON 262, BÜH 255, HVI 310, JÄN 328, KOE (1990)

missing link Nebenwirkungen

kann bei allergisch reagierenden Menschen Schwindelgefühle auslösen (selten)

missing link Kontraindikationen

6.2.5 Weitere Kräuter, die Feuchtigkeit umwandeln und trocknen

6.3 Rezepturen

6.3.1 Dumpfe Kopfschmerzen und Konzentrationsmangel (Trübe Feuchtigkeit in Lunge und Milz blockiert den Kopf)

Siehe  Tab. 6.5.

Tab. 6.5 Rezeptur Dumpfe Kopfschmerzen und Konzentrationsmangel.

Kräuter Menge Temperatur Geschmack Wirkung in der Rezeptur
Acorus calamus, rhiz. 25 g warm aromatisch/würzig, scharf, bitter, leicht süß Mitte tonisierend, wärmend, klares Yang emporhebend, Feuchtigkeit ableitend
Levisticum off., rad. 15 g warm süß, bitter, scharf-aromatisch Feuchtigkeit-Kälte auflösend und ausleitend, Qi regulierend, bewegend und tonisierend, Inneres wärmend
Angelica arch., rad. 15 g warm aromatisch, bitter, scharf Milz-, Magen-Qi stärkend und wärmend, kalten Schleim der Lunge ableitend, Darm-Qi regulierend
Elettaria cardamomum, fruct. 10 g warm aromatischwürzig, etwas scharf, leicht süß und bitter Qi der Mitte wärmend, bewegend und tonisierend, Umwandlung und Ausleitung von Feuchtigkeit fördernd, klares Yang emporhebend, Magen- und Darm-Qi bewegend
Gentiana lut., rad. 10 g kühl (-neutral) bitter Qi in Magen und Därmen bewegend, Mitte tonisierend, Leber-Qi bewegend
Citrus aurant., pericarp. 10 g warm scharf, aromatisch, bitter Feuchtigkeit und Schleim auflösend und trocknend, Qi bewegend
Zea mais, stip. 5 g neutral süß Feuchtigkeit zerstreuend und ausleitend, Nässe-Hitze eliminierend
Zingiber, rhiz. 2 Scheiben pro Infus heiß scharf, aromatisch Qi tonisierend und bewegend, Schleim umwandelnd, Milz und Magen wärmend
Zubereitung
Symptome und Befunde

Syndrom Schleim-Feuchtigkeit in Milz und Lunge mit Ansammlung von Feuchtigkeit-Schleim

Therapieprinzip