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Horst Schecker, Thomas Wilhelm, Martin Hopf und Reinders Duit (Hrsg.)Schülervorstellungen und Physikunterrichthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-57270-2_6

6. Schülervorstellungen zum elektrischen Stromkreis

Thomas Wilhelm1   und Martin Hopf2  
(1)
Institut für Didaktik der Physik, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Max-von-Laue-Str. 1, 60438 Frankfurt am Main, Deutschland
(2)
Österreichisches Kompetenzzentrum für Didaktik der Physik, Universität Wien, Porzellangasse 4, 1090 Wien, Österreich
 
 
Thomas Wilhelm (Korrespondenzautor)
 
Martin Hopf
6.1 Einführung
6.2 Schülervorstellungen
6.2.1 Vorstellungen im Anfangsunterricht
6.2.2 Vorstellungen im Kontext der Spannung
6.2.3 Vorstellungen zum Strom als Brennstoff
6.2.4 Grundlegende Denkmuster
6.2.5 Weitere Lernschwierigkeiten
6.3 Unterrichtskonzeptionen
6.4 Testinstrumente
6.5 Literatur zur Vertiefung
6.6 Übungen
Literatur

6.1 Einführung

Plötzlich musste Julia lachen. Ihr Physiklehrer hatte gerade thematisiert, dass die elektrische Stromstärke vor und hinter einer Glühlampe gleich groß ist, also von der Glühlampe kein Strom verbraucht wird. Julia war klar, dass ihr Physiklehrer gerade Unsinn erzählte und sie rief ihm zu: „Und wie soll die Lampe dann leuchten, wenn sie keinen Strom verbraucht?

Diese Szene zeigt, dass viele Schülerinnen und Schüler die beiden Begriffe Strom und Energie nicht voneinander trennen. Tatsächlich zahlen wir ja beim Betrieb einer Glühlampe auch nicht für den elektrischen Strom, sondern für die Energie, die mit seiner Hilfe übertragen wird (Kap.​ 8). Der „Stromverbrauch“ ist aber in aller Munde und jedes Kind weiß, dass es ‚Strom sparen‘ soll. „Strom“ meint in unserer Alltagssprache in etwa das, was in der Physik mit ‚Energie‘ bezeichnet wird.

Untersuchungen zum Begriff „Energie“ zeigen umgekehrt, dass Schülerinnen und Schüler dazu häufig ‚Strom‘ bzw. den Kontext Elektrizität im Allgemeinen assoziieren (Kap.​ 8).1 Es ist also nicht einfach, voneinander getrennte und jeweils zuverlässig verankerte Konzepte für die Begriffe Strom, Stromstärke, Spannung und Energie zu erwerben. In den Schülervorstellungen herrscht der Begriff „Strom“ vor, dem energetische und kausale Aspekte zugeordnet werden.

Die zentralen Befunde zu den Vorstellungen stammen bereits aus den 1980er und 1990er Jahren.2 Sie ließen sich in vielen verschiedenen Ländern finden und zeigen sich in Replikationsstudien immer wieder. Bei der Beschreibung dieser Vorstellungen gibt es das Problem, dass die einzelnen Schülervorstellungen oft voneinander abhängen und sich gegenseitig verursachen.

6.2 Schülervorstellungen

6.2.1 Vorstellungen im Anfangsunterricht

Der einfache Stromkreis begegnet den Schülerinnen und Schülern bereits in der Primarstufe. Manche der dort auftretenden Vorstellungen finden sich aber auch noch in späteren Schuljahren.

„Es genügt ein Kabel von der Batterie zur Lampe.“

Die meisten Kinder sind der Meinung, dass ein Lämpchen bereits dann leuchtet, wenn man mit einem Kabel eine Verbindung zwischen einer Batterie und dem Lämpchen herstellt (Abb. 6.1a). Die Schülerinnen und Schüler gehen davon aus, dass eine Substanz von der Batterie zur Lampe fließt, die dort verbraucht wird. Dies ist ein Ein-Stoff-Verbrauchsmodell mit einer Ein-Weg-Zuführungsvorstellung. Wenn man den Schülerinnen und Schülern zeigt, dass das Lämpchen bei der Verwendung nur eines Kabels nicht leuchtet, vermuten sie meistens defekte oder ungeeignete Materialien, wie z. B. eine kaputte Batterie, ein kaputtes Lämpchen oder ein verstopftes Kabel.
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Abb. 6.1

Verschiedene Strom-„Kreis“-Vorstellungen mit eingezeichneter Stromstärke in den Leiterkabeln: a) Ein-Weg-Zuführungsvorstellung; b) Zwei-Wege-Zuführungsvorstellung; c) physikalische Vorstellung; d) teilweiser Stromverbrauch.

Diese Vorstellung ist verständlich, denn im Alltag wird ja auch nur „ein“ Kabel von der Steckdose zum ‚Verbraucher‘ verwendet. Dass in diesem Kabel wiederum zwei oder drei Kabel stecken und wie diese verbunden sind, kann man nicht sehen.

„Erst in zwei Kabeln fließt genügend Strom..“

Nachdem man den Schülerinnen und Schülern gezeigt hat, dass die Lampe leuchtet, wenn man die Lampe mit zwei Kabeln mit der Batterie verbindet, entwickeln sie ohne Führung durch eine Lehrkraft alternative Vorstellungen. Die meisten Schülerinnen und Schüler überlegen sich, dass wohl ein Kabel nicht reicht, damit genügend ‚Strom‘ zur Lampe hinfließt. Man braucht demnach zwei Wege, um damit genügend ‚Strom‘ zu transportieren. Das Ein-Stoff-Verbrauchsmodell wird hier um eine Zwei-Wege-Zuführvorstellung ergänzt (Abb. 6.1b).

„Man braucht einen Plus- und einen Minusstrom.“

Andere Grundschüler vermuten, dass aus dem Plus- und dem Minuspol zwei verschiedene Stoffe kommen, die beide zur Lampe fließen. Die Lampe brennt demnach nur, wenn dort beide Stoffe ankommen und zusammentreffen. Es handelt sich also um ein Zwei-Stoff-Verbrauchsmodell. Hier wird richtig erkannt, dass die Lampe nur leuchtet, wenn die beiden Kabel an den zwei verschiedenen Polen einer Batterie angeschlossen sind. Diese Vorstellung findet man zwar seltener und vor allem bei jüngeren Kindern; sie könnte aber durch das (nicht empfohlene) gleichzeitige Unterrichten der technischen und physikalischen Stromrichtung sogar noch unterstützt werden.

Die physikalische Vorstellung eines Kreisstroms (Abb. 6.1c) entwickeln Schülerinnen und Schüler nicht von selbst. Dass eine Substanz von der Batterie zum Lämpchen fließt, dort etwas bewirkt, ohne verbraucht oder verändert zu werden, ist für die Schülerinnen und Schüler unglaubhaft. Dafür genügt es auch nicht, mit einem Amperemeter zu zeigen, dass auf beiden Seiten des Lämpchens die gleiche Stromstärke vorhanden ist, da dies nicht gegen die Zwei-Wege-Zuführungsvorstellung spricht. Man muss stattdessen jeweils die Stromrichtung feststellen: Auf einer Seite fließt Elektrizität zur Lampe hin und auf der anderen Seite gleich viel wieder weg. Dies kann man z. B. dadurch nachweisen, dass man Kompassnadeln unter die Kabel legt. Experimentell ist dabei zu beachten, dass das nur funktioniert, wenn in den Leitungen ein Strom genügend großer Stromstärke fließt.

6.2.2 Vorstellungen im Kontext der Spannung

„Spannung ist eine Eigenschaft des elektrischen Stromes.“

Fragt man Schülerinnen und Schüler bei einem ganz einfachen Stromkreis wie in Abb. 6.2 nach der Spannung zwischen zwei nebeneinanderliegenden Eckpunkten, so geben viele an, dass man nicht nur zwischen den Punkten 2 und 3, sondern auch zwischen den Punkten 1 und 2 sowie zwischen 3 und 4 eine Spannung von 6V hat. Manche Jugendliche verwirrt schon das „zwischen“ in der Frage und sie wollen wissen, welcher der Punkte gemeint ist, da sie Spannung lokal einem Punkt zuordnen. Diese und auch andere Aufgaben zeigen, dass die elektrische Spannung häufig als eine Eigenschaft oder als ein Bestandteil des elektrischen Stromes verstanden wird, z. B. als ‚Kraft‘ des Stromes. So bezeichnen wir ja auch Drehstrom fälschlich als „Starkstrom“, eben als starken Strom.
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Abb. 6.2

Viele Schülerinnen und Schüler geben an, dass zwischen den Punkten 1 und 2, 2 und 3 sowie 3 und 4 jeweils eine Spannung von 6 V sei.

Zeigt man Schülerinnen und Schülern experimentell, dass in der Schaltung nach Abb. 6.2 die Spannung zwischen den Punkten 1 und 2 tatsächlich null ist, dann folgern einige daraus, dass zwischen 1 und 2 auch kein Strom fließt. Dies ist eigentlich für widerstandsbehaftete Drähte ja auch richtig, Lernende kommen jedoch nicht aus physikalisch anschlussfähigen Überlegungen zu der Schlussfolgerung. Der Grund für die Aussage ist vielmehr, dass für diese Jugendlichen Spannung und Stromstärke zwei Aspekte eines gemeinsamen Konstrukts darstellen und sie daher davon ausgehen, dass Strom und Spannung immer direkt gekoppelt sind: „Wo Spannung, dort auch Strom – und umgekehrt“ (und nicht die physikalisch richtige Erkenntnis, dass – von Supraleitung abgesehen – ohne Spannung kein Strom fließen kann). Dass umgekehrt auch elektrische Spannung ohne elektrischen Strom auftreten kann, wird ebenso von der Mehrheit der Schülerinnen und Schüler als falsch eingestuft: ohne Strom könne es keine Spannung geben. Bei einem Schalter in einem einfachen Reihenstromkreis vermuten Schülerinnen und Schüler fälschlich eine Spannung an dem geschlossenen Schalter, wenn ein Strom fließt, und ebenso fälschlich keine Spannung an dem offenen Schalter, wenn kein Strom fließt.

Möglicherweise wird die Strom-Spannungs-Kopplung dadurch unterstützt, dass im Unterricht zu Stromkreisen sehr früh mathematisiert und die Gleichung $U = R.I$ behandelt wird. Hier können die Schülerinnen und Schüler den Eindruck bekommen, Spannung und Stromstärke träten immer gemeinsam auf und seien immer proportional zueinander.

Der Begriff „Spannung“ wird also von den Schülerinnen und Schülern konzeptionell nicht klar von den Begriffen „Strom“ bzw. „Stromstärke“ getrennt. Man darf hier nicht denken, Lernende würden die Begriffe verwechseln. In der Regel fehlt ein Konzept für die Spannung (und manchmal auch für die Stromstärke), denn die Entwicklung eines unabhängigen Spannungsbegriffs stellt eine große Schwierigkeit dar. Zumindest bildet der Spannungsbegriff für Schülerinnen und Schüler kein vom Strombegriff unabhängiges Konzept.

So wie in der Mechanik (Abschn.​ 4.​2) für manche Schülerinnen und Schüler die Beschleunigung eine der Geschwindigkeit ähnliche Größe ist, für die es nur unterschiedliche Formeln gibt, und sie nicht zwischen gleichförmiger und gleichmäßig beschleunigter Bewegung unterscheiden können, sind für manche Schülerinnen und Schüler Spannung und Stromstärke ähnliche oder zumindest immer proportionale Größen. Der Alltagsbegriff „Stromspannung“, der es sogar in den Duden schaffte, unterstützt eine solche Vermengung der Begriffe. Zum Verständnis von einfachen Stromkreisen ist die Spannung aber essenziell (Kasten 6.1).

Die schlichte Angabe „Spannung ist die Ursache von Strom“ und die abstrakte Definition von Spannung als Arbeit pro Ladungsmenge sind hier nicht hilfreich. Studien zeigten des Weiteren, dass die häufig verwendete Analogie des ebenen, geschlossenen Wasserkreislaufs (Kasten 6.2), in der Spannung mit der ebenso unanschaulichen Druckdifferenz im Wasser verglichen wird, auch nicht hilfreich ist. So bleibt für Schülerinnen und Schüler der Strom die dominante Größe, anhand derer sie eine Schaltung analysieren.

Die elementare Elektrizitätslehre wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts vorrangig über die Elektrostatik und über das Potenzial vermittelt. Der Begriff der Spannung wurde als Potenzialdifferenz eingeführt und bereits vor der Behandlung von Stromkreisen in der Elektrostatik behandelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ohne didaktische Begründung das Potenzial aus den meisten Lehrbüchern entfernt und der Strom- und der Spannungsbegriff wurden als Ausgangspunkt für die Einführung der Elektrizitätslehre gewählt und zum zentralen Lerngegenstand gemacht. Während aber das Potenzial einem Punkt bzw. Leiterabschnitt zugeordnet werden kann, bezieht sich die Spannung als Potenzialdifferenz immer auf zwei Punkte in einem Stromkreis und ist somit abstrakter. Ein Verständnis für den Differenzcharakter der Spannung zu entwickeln, ohne die zugrunde liegende Größe des Potenzials zu kennen, gelingt meist nicht. Das Potenzial wäre vermutlich leichter zu verstehen.

Manche Sprechweisen von Expertinnen und Experten vermischen die beiden Begriffe Potenzial und Spannung. Der Begriff des „Spannungsabfalls“ suggeriert, es gäbe vor und nach dem Widerstand eine lokal messbare Spannung. Tatsächlich ist das Potenzial gemeint, das abfällt. Die Formulierung „an dem Punkt liegt eine Spannung“ ist genauso falsch. Experten ist bei technischen Schaltungen klar, dass ein Punkt der Schaltung geerdet ist, also das Potenzial null hat. Misst man die Spannung immer gegenüber diesen Punkt, haben Potenzial und Spannung identische Werte.

Kasten 6.1: Spannung, Stromstärke, Widerstand

Eine Batterie erzeugt in den angeschlossenen Kabeln auf der einen Seite ein hohes und auf der anderen Seite ein niedriges Potenzial. Sind zwei solche Bereiche über ein leitfähiges Material verbunden, führt dies zu einem Stromfluss. In der Näherung der elementaren Elektrizitätslehre behandeln wir Batterien so, als ob diese Potenzialdifferenz konstant wäre. In alten Physikbüchern wird diese Potenzialdifferenz auch als Klemmenspannung bezeichnet. (In der Realität ist der Innenwiderstand der Batterie zu berücksichtigen, der sich aufgrund der chemischen Prozesse im Inneren der Batterie im Laufe der Zeit vergrößert.)

Zwischen den beiden Anschlüssen eines Geräts in einem Stromkreis kann ebenfalls eine Potenzialdifferenz gemessen werden. Die Potenzialdifferenz zwischen den beiden Seiten der Batterie und die Potenzialdifferenz zwischen den beiden Seiten eines Geräts nennt man auch elektrische Spannung U. Die elektrische Stromstärke I durch das Gerät ist immer eine Folge der anliegenden Spannung U. Für einfache Bauelemente kann man einen Widerstand $R: = U/I$ definieren. Für solche einfachen Widerstandsbauelemente stellt sich dann eine Stromstärke entsprechend $I = U/R$ ein. Falls das Ohm’sche Gesetz gilt, dass der Widerstand einen konstanten Wert unabhängig von der Spannung, der Stromstärke oder der Temperatur hat, dann kann die Stromstärke, die sich einstellt, leicht berechnet werden, wenn man R kennt. (Fälschlicherweise wird die Gleichung $I = U/R$ oftmals als „Ohm’sches Gesetz“ bezeichnet, obwohl diese Gleichung immer gilt, auch wenn der Widerstand R nicht konstant ist.)

Kasten 6.2: Analogien zum elektrischen Stromkreis
Im Unterricht der Elektrizitätslehre werden verschiedene Modelle verwendet. Sie sollen durch Analogien zwischen Modell und Stromkreis den Lernenden das Verständnis der abstrakten Konzepte der Elektrizitätslehre erleichtern. Wie bei jedem Vergleich zwischen etwas Neuem und etwas Bekanntem haben die Modelle jeweils Grenzen und damit Vor- und Nachteile.3
  1. 1.

    Der ebene, geschlossene Wasserkreislauf: Das Modell besteht aus dichten Wasserrohren, die in einer Ebene zu einem geschlossenen Wasserstromkreis zusammengesteckt sind. Als Antrieb dient eine Wasserpumpe und geschlossene Wasserräder (Turbinen) stehen für die Energiewandler. Es lassen sich fachlich korrekte Vergleiche anstellen: Der in den Rohrstücken herrschende Druck entspricht dem elektrischen Potenzial, ein Druckunterschied der Spannung und die Wasserstromstärke der elektrischen Stromstärke. Studien zeigten aber, dass Schülerinnen und Schüler zum Wasserkreis viele Fehlvorstellungen haben und das Lernen der Zusammenhänge im Wasserkreis genauso schwer ist wie das der Zusammenhänge im elektrischen Stromkreis.

     
  2. 2.

    Das Elektronengasmodell: Anschaulicher ist es, die Elektronen im Leiter als Gasteilchen anzusehen und mit strömender Luft zu vergleichen. Demnach erzeugt die Batterie einen Dichte- und damit Druckunterschied zwischen ihren beiden Enden. Der Druck entspricht auch hier dem elektrischen Potenzial, ein Druckunterschied der Spannung und die Intensität der Strömung entspricht der elektrischen Stromstärke. Erste empirische Studien zeigten, dass dieses Modell lernförderlich ist.

     
  3. 3.

    Der offene Wasserkreislauf: In diesem Modell wird Wasser auf eine Höhe über einer Ebene hochgepumpt und fließt offen über Wasserräder wieder hinunter. Die Wasserhöhe entspricht dem elektrischen Potenzial, der Höhenunterschied der elektrischen Spannung und die Wasserstromstärke der elektrischen Stromstärke. Zwar wird hier die elektrische Spannung gut veranschaulicht, aber es werden viele falsche Vorstellungen unterstützt, z. B. bleibt hier die Gesamtstromstärke auch dann konstant, wenn noch ein Zweig parallel dazu geschaltet wird.

     
  4. 4.

    Das Stäbchenmodell: Das abstraktere Stäbchenmodell (oder das Mauermodell) veranschaulicht das Potenzial ebenfalls über die Höhe. Hier wird auf beiden Seiten jedes Bauteils das Potenzial über ein unterschiedlich langes Stäbchen dargestellt. Verbindet man deren obere Enden, hat man über dem Stromkreis das jeweilige Potenzial als Höhe visualisiert (analog: auf den Stromkreis wird eine Mauer gesetzt, deren Höhe das Potenzial darstellt). Das Modell hat sich in Untersuchungen als lernförderlich erwiesen, aber es eignet sich nicht zur Veranschaulichung der elektrischen Stromstärke.

     
  5. 5.

    Das Fahrradkettenmodell: Beim Fahrradkettenmodell wird der elektrische Stromkreis mit dem Kreislauf der Kettenglieder einer Fahrradkette oder einem Keilriemen verglichen. Dabei entspricht die Kettenspannkraft (bewirkt durch die Antriebskraft an den Pedalen) dem elektrischen Potenzial und die Gleichgewichtsgeschwindigkeit der Kettenglieder der elektrischen Stromstärke. Das Modell ist geeignet, den Unterschied zwischen umlaufendem Ladungsträgerstrom und linearem Energiestrom (vom Kurbelblatt zum Hinterrad) in Stromkreisen zu erarbeiten. Schwieriger ist dabei die Vermittlung der Spannung.

     
  6. 6.

    Das Rucksackmodell: Im Rucksackmodell, Energiehutmodell oder Bienchenmodell transportieren einzelne Ladungsträger, wie Männchen oder Bienchen, die Energie von der Batterie zum Lämpchen, an dem sie ihre Energie abgeben. Die Anzahl der vorbeilaufenden Männchen pro Zeit entspricht der elektrischen Stromstärke, die abgegebene Energieportion pro Männchen der Spannung. Das Modell ist anschaulich, aber fachlich problematisch und hilft nicht bei Reihen- und Parallelschaltungen oder bei Wechselstrom. Es unterstützt zudem einige Fehlvorstellungen, z. B. die, dass die Ladungsträger im Stromkreis sich wie Bienchen individuell bewegen. Ein Verständnis der Spannung kann damit nicht vermittelt werden.

     

Empfehlung: Zur Thematisierung der Energieübertragung in einer Reihenschaltung eignet sich das Modell einer Fahrradkette oder eines Keilriemens am besten. Zur Behandlung von Spannung und Stromstärke in Parallel- und Reihenschaltungen hat sich das Elektronengasmodell am besten bewährt.

„Eine Batterie ist eine konstante Stromquelle.“

Schülerinnen und Schüler gehen davon aus, dass eine Quelle, wie eine Batterie, immer eine konstante Stromstärke liefert – unabhängig von der Anzahl angeschlossener Glühbirnen. Verändert man in einem einfachen Stromkreis mit nur einem Widerstandsbauelement dessen Widerstand oder fügt man ein zweites Widerstandsbauelement in Reihe hinzu, ändert sich nach dieser Vorstellung die Stromstärke an der Batterie nicht, denn es ist ja die gleiche Batterie, die nach Meinung der Lernenden einen bestimmten ‚Strom‘ liefert. Die elektrische Stromstärke ist hier eine Eigenschaft der Batterie, keine Folge der angeschlossenen Widerstände. Aus Schülersicht entscheidet die Batterie autonom, wie viel ‚Strom‘ sie abgibt. Der Stromkreis wird nicht als System analysiert (Abschn. 6.2.4); d. h., es wird nicht erkannt, dass ein lokaler Eingriff (zweites Widerstandsbauelement) Folgen für andere Systemgrößen (Stromstärken, Potenziale) haben kann.

In einer Aufgabe wird in einer Parallelschaltung wie in Abb. 6.3 der Widerstand in einem Zweig von $40{\rm{ \Omega }}$ auf $50{\rm{ \Omega }}$ erhöht, sodass sich die Stromstärke dort erniedrigt. Nun gehen die Schülerinnen und Schüler davon aus, dass sich die Stromstärke im parallelen Zweig erhöht, sodass die Gesamtstromstärke gleichbleibt. Die Stromstärkeänderung in einem Zweig wird durch eine gegenläufige Änderung im anderen Zweig kompensiert (auch „Kompensationsvorstellung“ genannt). Die Quelle ist also eine Konstantstromquelle. Der Strom kann sich danach nur unterschiedlich aufteilen. Möglicherweise liegen hier Assoziationen zu offenen Wasserkreisläufen wie einem sich verzweigenden Bachlauf vor, bei dem diese Vorstellung richtig wäre (Kasten 6.2). Beim Erfassen eines Stromkreises als System und bei der Entwicklung eines Verständnisses vom elektrischen Widerstand kann sich diese Vorstellung hinderlich auswirken.
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Abb. 6.3

Viele Schülerinnen und Schüler vermuten: Nimmt I 2 ab, nimmt I 1 zu, sodass I konstant bleibt.

Der verbreitete Begriff „Stromquelle“ fördert diese Fehlvorstellung einer Konstantstromquelle, da er die Vorstellung hervorruft, dass aus der Quelle immer ein bestimmter Strom fließt. Tatsächlich sind Batterien genauso wie die Netzsteckdosen Spannungsquellen, die eine (in gewissen Grenzen) konstante Spannung erzeugen (Kasten 6.1). Auch die meisten Netzgeräte, die im Physikunterricht vorkommen, sind Spannungsquellen, bei denen man eine Spannung einstellt, die konstant gehalten wird. Daneben gibt es mittlerweile auch echte, elektronisch geregelte Stromquellen, bei denen eine konstante Stromstärke eingestellt werden kann, was aber eher die Ausnahme darstellt. Aus diesen Gründen ist der Begriff „Stromquelle“ im Unterricht unbedingt zu vermeiden und stattdessen sind die richtige Bezeichnung „Spannungsquelle“, nichtssagende Bezeichnungen wie „Elektrizitätsquelle“ oder neutrale Bezeichnungen wie „Netzgerät“ zu verwenden. „Energiequelle“ wäre auch nicht korrekt, da man nicht einstellen kann, wie viel Energie die Spannungsquelle abgibt. Auch die Analogie eines offenen Wasserkreislaufs, in dem Wasser gemäß einer Höhenanalogie hochgepumpt wird und dann über Wasserräder wieder nach unten fließt (Kasten 6.2), kann die Vorstellung einer Konstantstromquelle verstärken, da sich das obere Reservoir mit einem konstanten Ausfluss leert, auch wenn weitere Wasserräder parallel zugeschaltet werden.

6.2.3 Vorstellungen zum Strom als Brennstoff

„Strom“ oder „elektrischer Strom“ wird in den Medien und im Alltagsgespräch in einer Bedeutung verwendet, die physikalisch betrachtet weitgehend der elektrischen Energie entspricht (Kap.​ 8). Aussagen wie „Strom aus Windkraft gewinnt in Deutschland an Bedeutung – gleichzeitig bleibt die Speicherung von Strom ein technisches Problem“ können entsprechend gedeutet werden. Insofern bieten sich hier Chancen für das Anknüpfen an Schülervorstellungen im Rahmen einer Aufbaustrategie (Abschn.​ 3.​3.​1). Schülervorstellungen zum ‚Stromverbrauch‘ lassen sich so jedoch nicht einfach durch Ersetzung mit „Energie“ in ein physikalisch adäquates Verständnis umdeuten, da beim Schülerverständnis von ‚Strom‘ gleichzeitig Aspekte mitschwingen, die physikalisch in die Bereiche Ladung und Ladungsträger fallen.

„Strom wird verbraucht.“

Die bekannteste und verbreitetste Vorstellung ist die, dass in der Batterie ‚Strom‘ (oder ‚Elektrizität‘) gespeichert ist, der dann zur Lampe fließt und dort schließlich ganz oder zumindest teilweise verbraucht wird. Beim teilweisen Verbrauch fließt nach der Lampe weniger Strom zur Batterie zurück (Abb. 6.1d). ‚Strom‘ ist hierbei eine mengenartige Substanz bzw. eine Art Brennstoff, der sich zuerst wie Öl in einem Fass in der Batterie befindet, von dort in den Stromkreis strömt und dann im Lämpchen verbraucht wird. Dies wird auch Stromaussendevorstellung genannt. ‚Strom‘ entspricht dabei in etwa dem, was in der Physik mit „Energie“ bezeichnet wird. Diese Schülervorstellung ist in gewissem Sinne richtig, wenn man mit ‚Strom‘ den Energiefluss von der Batterie zum Lämpchen meint (Kasten 6.3). Tatsächlich meint die Physik mit „Strom“ aber einen abstrakten Ladungsfluss, der ohne Verluste im Kreis fließt. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, als ob die Elektronen aus der Quelle einzeln herauskommen und dann im Kreis herumgepumpt werden. Anschlussfähiger ist die Vorstellung eines starren Ringes aus Elektronen, der beim Schließen des Schalters in Bewegung gesetzt wird. Ebenso geeignet für Reihenschaltungen ist die Vorstellung einer Kette mit fest aneinandergekoppelten Elektronen (Kettenglieder) (Kasten 6.3).

Der elektrische Strom ist ein Prozess, nämlich der Prozess fließender Ladung, der an jeder Stelle des Stromkreises gleichzeitig beginnt. In den Schülervorstellungen wird Strom jedoch als ein Objekt gesehen, das übergeben oder transportiert wird. Dabei ist die Batterie der Geber, die Quelle oder der Ausfluss, während die Lampe der Nehmer, der Empfänger oder der Verbraucher ist (Geben-Nehmen-Schema).

Alltagsbegriffe wie „Strom sparen“, „Stromrechnung“ und „leere Batterie“ unterstützen die Vorstellung des Stromverbrauchs. Selbst Fachleute fragen im Alltag, wenn sie wissen wollen, ob eine Steckdose angeschlossen ist: „Ist da Strom drin?“. Im Unterschied zu Schülerinnen und Schülern ist ihnen klar, dass es sich dabei um eine alltagssprachliche Formulierung handelt. Sie wissen, was eigentlich gemeint ist. Bei Lernenden liegt eine solche Differenzierungsfähigkeit gerade nicht vor. Im Unterricht sollten daher Begriffe wie „Strom erzeugen“ oder „Stromverbraucher“ unbedingt vermieden werden, um die Stromverbrauchsvorstellung nicht unnötig zu fördern.

Die Stromverbrauchsvorstellung führt dazu, dass Schülerinnen und Schüler davon ausgehen, dass vor einer Lampe die Stromstärke größer ist als hinter ihr. Die Demonstration der gleichen Stromstärke vor und nach der Lampe garantiert keine dauerhafte Veränderung der Schülervorstellung. Aus der Literatur sind Fälle bekannt, in denen sich Schülerinnen und Schüler in späteren Unterrichtsstunden sicher waren, dass im vorgeführten Experiment die Stromstärke nach der Glühbirne kleiner war als vorher.4 Empfehlenswert ist hier die Verwendung von Stromstärkemessgeräten, die nicht zu genaue Werte anzeigen, damit Unterschiede durch Messunsicherheiten von den Lernenden nicht als Beleg für Unterschiede in den Stromstärken interpretiert werden können.

Bei Reihenschaltungen führt das dazu, dass Schülerinnen und Schüler davon ausgehen, dass bei zwei identischen Lämpchen das erste heller brennt als das zweite. Sie denken nämlich, dass nach dem ersten Lämpchen die Stromstärke geringer geworden ist.

Mit dieser Vorstellung hängt auch zusammen, dass die Notwendigkeit des geschlossenen Stromkreises nicht immer bewusst ist (Abschn. 6.2.1), sondern nur als Lehrsatz genannt, aber nicht verstanden und angewandt wird. Warum sollte es auch nicht ausreichend sein, wenn wie im Alltag nur ein Kabel von der Steckdose zur Lampe geht?

Die große Widerstandsfähigkeit der Schülervorstellung vom ‚Stromverbrauch‘ gegenüber unterrichtlichen Bemühungen, den Sachverhalt korrekt zu beschreiben, ist auch darin begründet, dass die Messung von Stromstärken vor und nach einer Lampe die Grundüberzeugung, dass „irgendetwas doch verbraucht werden müsse“ (Abschn. 6.1) im Kern nicht tangiert. Oftmals entsteht im Unterricht folgende Situation:
  • Die Schülerinnen und Schüler meinen mit ‚Stromverbrauch‘ bei einer Glühlampe den ‚Verbrauch‘ elektrischer Energie (was ja im Sinne der Umwandlung der Energieerscheinungsform zutrifft).

  • Die Lehrkraft unterstellt ihnen, dass sie mit ‚Strom‘ den Ladungsträgerfluss meinen, und misst die Stromstärke an beiden Seiten der Lampe mit einem Amperemeter. Mit einem Wattmeter hingegen hätte die aufgenommene elektrische Leistung – und damit das, was die Schülerinnen und Schüler eigentlich meinen – an der Glühlampe gemessen werden können.

  • Die beiden Parteien reden aneinander vorbei und der Sachverhalt wird nicht wirklich geklärt, die Schülervorstellung bleibt im Hintergrund bestehen.

Es ist in einer solchen Situation sinnvoll, beide Aspekte im Zusammenhang zu thematisieren: die Kontinuität des Ladungsträgerstroms und die Umwandlung von elektrischer Energie.

Kasten 6.3: Modelle des elektrischen Stromkreises

Es gibt kaum ein anderes Gebiet der Physik, in dem so viele verschiedene fachliche Modellvorstellungen verwendet werden, wie in der Elektrizitätslehre. Viele dieser Modellvorstellungen kommen dabei auch im Unterricht vor. Problematisch wird das dann schnell dadurch, dass die meisten Modelle Annahmen machen und Voraussetzungen haben, die nicht expliziert werden, aber das Verständnis der Modellvorstellung behindern. Gleichzeitig haben alle Modellvorstellungen Beschränkungen, die oft so offenkundig sind, dass auch Schülerinnen und Schüler sie bemerken.

Modellvorstellung 1: Elektronen fließen im Kreis

Im einfachsten Modell des Stromkreises, das auch schon im Sachunterricht verwendet wird, heißt es, dass Elektronen von der Batterie im Kreis herumgepumpt werden. Zunächst ist in diesem Modell (auch aus Sicht der Physik!) nicht verständlich, wie Objekte eines Festkörpers überhaupt beweglich sein können. Nimmt man dies als Tatsache zur Kenntnis, so ist deswegen noch nicht klar, weshalb die beweglichen Elektronen den Leiter trotzdem nicht verlassen können, wenn man z. B. das Kabel durchzwickt. Auch die komplexen Vorgänge im Inneren einer Batterie bleiben im Dunkeln. In diesem Modell kann außerdem auch der Energietransport nur als phänomenologische Tatsache behandelt werden.

Verfeinert man dieses Modell zum in der Mittelstufe verwendeten Modell inklusive Ohm’schem Widerstand von Geräten, so bleiben ebenfalls Fragen offen. Da in diesem Modell alle (mit Lichtgeschwindigkeit ablaufenden) Prozesse während des Einschaltvorgangs vernachlässigt werden, ist nicht verständlich, weshalb eine Änderung an einer Stelle des Stromkreises zu Änderungen im gesamten Stromkreis führen kann. Der Systemcharakter des elektrischen Stromkreises kann erst dadurch modelliert werden, dass die Einschaltvorgänge mitberücksichtigt werden.

Unklar bleibt in diesem Modell auch, weshalb Vorgänge so schnell ablaufen. Der Elektronentransport im Leiter ist ja sehr langsam (${\rm{mm}}/{\rm{h}}$). Der Fluss der Elektronen kann also nicht erklären, weshalb eine Lampe sofort angeht, wenn der Schalter geschlossen wird. Oft wird dann der „starre Elektronenring“ als Erklärungsmodell hinzugezogen. In dieser Erweiterung bilden die Elektronen das Äquivalent einer Fahrradkette, die von jedem Punkt aus als Ganzes in Bewegung gesetzt werden kann.

Zu bemerken bleibt, dass in diesem Modell in der Regel auch der Widerstand der Leiter (zu Unrecht) als null angenommen wird. Das vereinfacht zwar die Argumentation bei der Berechnung von Netzwerken, erschwert aber das Unterrichten von Phänomenen, die wesentlich auf dem Leitungswiderstand beruhen wie z. B. dem Energietransport mit Hochspannungsleitungen oder bei Sicherheitsaspekten im Haushalt.

Modellvorstellung 2: Felder und Ströme

Mit den Maxwellgleichungen können die meisten Effekte des einfachen Stromkreises gut erklärt werden. Dabei wird mit elektrischen und magnetischen Feldern, mit Ladungen sowie mit Strömen argumentiert. Man mache sich dabei aber klar, dass in diesem Sinne Ladungen und Ströme abstrakte Bilanzgrößen sind, die nur manchmal etwas mit Elektronen und Elektronenströmen zu tun haben. Der einfache elektrische Stromkreis besteht dann aus zwei Punkten mit unterschiedlichem elektrischen Potenzial („Batterie“) sowie einer leitenden Verbindung zwischen diesen Punkten. Im gesamten Raumgebiet (also im Inneren und im Äußeren des Leiters) bildet sich dann ein elektrisches Feld aus, es fließt ein Strom durch den Leiter und zusätzlich gibt es ein Magnetfeld im Äußeren des Leiters. Im einfachsten Fall geht man davon aus, dass ein gerader, homogener Leiter die beiden Pole der Batterie verbindet. Dann kann man das Ohm’sche Gesetz anwenden und es ergibt sich ein linearer Abfall des Potenzials entlang des Leiters.

Unklar bleibt bisher aber noch, wie „der Strom um die Ecke fließen“ kann, also wie es möglich wird, dass das Feld im Inneren eines beliebig geformten Leiterstücks immer in Richtung des Leiters zeigt bzw. wie es zum linearen Abfall des Potenzials entlang des Leiters kommt. Dafür sind auf der Oberfläche des Leiterstücks sitzende „Oberflächenladungen“ verantwortlich. Analog sorgen „Grenzflächenladungen“, also z. B. am Übergang zwischen einem Kabel und einem Widerstandsbauteil sitzende Ladungen, dafür, dass die Felder bzw. die Potenzialabfälle sich entsprechend der Leitfähigkeiten der verwendeten Bauelemente verhalten.

In diesem Zusammenhang ist dann die Frage nach der Kausalität zu stellen: All diese Phänomene (Ladungen, Ströme, Felder, Ladungen usw.) treten gleichzeitig auf und es ist eigentlich nicht sinnvoll, hier von „eines verursacht das andere“ zu sprechen.

Gut erklärbar ist im Maxwellbild jedoch der Energiefluss. Der sogenannte Poynting-Vektor beschreibt darin den Energietransport. Dieser verläuft im einfachen Stromkreis im Äußeren des Feldes entlang des Leiters von beiden Polen der Batterie gleichmäßig ausgehend hin zum Widerstand. In diesem Sinne dient der Leiter nur dazu, die elektromagnetischen Felder richtig dorthin zu führen, wo die Energie genutzt werden soll. Der Energiefluss bleibt dabei auch bei Wechselstrom unverändert, da sowohl Magnetfeld als auch elektrisches Feld ihre Richtung umkehren und sich diese beiden Änderungen gegenseitig aufheben.

In dieser Modellverstellung wird auch verständlich, wie durch eine offene Stelle des Stromkreises („Kondensator“) trotzdem ein Strom fließen kann, da eben die Ströme der Maxwellgleichungen nicht automatisch etwas mit Elektronen- oder Ionenströmen zu tun haben müssen.

Modellvorstellung 3: Bändermodell

Erst durch Verwendung eines quantenphysikalischen Ansatzes kann geklärt werden, weshalb Elektronen oder Löcher in manchen Festkörpern frei beweglich sind. Versteht man ein Leiterstück als einen Kristall, so kann man dort für eine genaue Analyse die Schrödingergleichung lösen und erhält die sogenannte Bandstruktur des Festkörpers. Je nach Aufbau des Kristalls ergibt sich dann, dass es frei bewegliche Ladungsträger im Leitungsband geben kann („Leiter“) oder dass die Ladungsträger weitgehend unbeweglich sind, da sie an die Atome gebunden bleiben („Isolator“). Das Bändermodell der elektrischen Leitfähigkeit ermöglicht es dann auch, das Verhalten von Halbleitern und darauf basierenden Bauelementen wir Dioden oder Transistoren zu verstehen.

„Strom wird geliefert.“

‚Strom‘ wird nach Schülermeinung von einer Batterie oder vom E-Werk geliefert. Gedeutet als Bereitstellung elektrischer Energie erscheint das zunächst physikalisch anschlussfähig zu sein. Oftmals ist jedoch die Treibstoffvorstellung mit der Lieferung von etwas Materiellem, einer Substanz, verbunden. Das kommt in Abb. 6.4 zum Ausdruck, wenn der ‚Strom‘ z. B. „hinter einer Steckdose wartet“.
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Abb. 6.4

Frage auf der Internetplattform gutefrage.​net (Zugriff am 15. 9. 2017; Fragesteller anonymisiert).

„Die Stromstärke ist unabhängig vom Widerstand.“

Unterschiedliche Vorstellungen gibt es, welchen Einfluss die Veränderung eines Widerstands auf die Stromstärke hat. Wenn die Batterie immer gleich viel ‚Brennstoff‘ liefert, dann muss die Stromstärke – zumindest vor dem Widerstand – immer gleich groß sein. Eine Änderung des Widerstands wirkt sich damit nicht auf die Stromstärke aus. Dies wurde auch „degenerierte Stromregel“ genannt.

In der Aufgabe der Abb. 6.5 führt diese Vorstellung dazu, dass die Schülerinnen und Schüler überzeugt sind, dass die Lampe in der Mitte immer gleich hell brennt – unabhängig davon, ob man den Widerstand davor oder den Widerstand dahinter vergrößert oder verkleinert. Denkbar ist, dass die Schülerinnen und Schüler hier die im Unterricht behandelte Regel der konstanten Stromstärke übergeneralisieren und sie für zeitlich statt für räumlich konstant halten.
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Abb. 6.5

Wie ändert sich die Helligkeit der Lampe, wenn der Widerstand davor oder danach geändert wird?

„Ein größerer Widerstand braucht mehr Strom.“

Manche Schülerinnen und Schüler denken aber auch, dass ein größerer Widerstand mehr Strom braucht und deshalb aus der Quelle mehr von diesem Brennstoff erhält. Sie sagen voraus, dass sich bei einer Vergrößerung des Widerstands in einer Schaltung auch die Stromstärke durch diesen Widerstand erhöht. Die Batterie strengt sich gewissermaßen mehr an. Dies nennt man „inverse Widerstandsvorstellung“, da sie invers zur richtigen Vorstellung ist. Diese Vorstellung tritt eher in Parallelschaltungen auf, in denen der Widerstand eines Zweiges erhöht wird, aber weniger in Reihenschaltungen.

„Ein größerer Widerstand verbraucht mehr Strom.“

Andere Schülerinnen und Schüler sagen richtig vorher, dass bei einer Vergrößerung des Widerstands in einer Schaltung die Stromstärke durch diesen Widerstand kleiner wird. Sie begründen es aber falsch damit, dass der größere Widerstand mehr Strom verbraucht, anstatt damit, dass der größere Widerstand den Stromfluss stärker hemmt. In dieser Vorstellung ist gerade hinter dem größeren Widerstand die Stromstärke geringer. Bei in Reihe geschalteten, verschiedenen Widerständen wird entsprechend angenommen, dass der größere Widerstand den meisten Strom verbraucht.

6.2.4 Grundlegende Denkmuster

„Es genügt, einen Punkt zu betrachten.“

Ein Stromkreis ist ein System. Das bedeutet, eine Änderung an einer Stelle kann sich auf alle anderen Stellen des Stromkreises auswirken, was den Sachverhalt kompliziert macht. Schülerinnen und Schüler richten ihre Aufmerksamkeit bei der Analyse aber oft auf einen bestimmten Punkt des Stromkreises und ignorieren den Systemcharakter des Stromkreises. Dies wird lokales Denken genannt.

Beim lokalen Denken wird an einem Verzweigungspunkt eine Aufspaltung des Stromes in gleiche Teile erwartet. Der Strom ‚sieht‘ demnach nur die lokale Verzweigung, aber nicht den Rest des Stromkreises. Er entscheidet sich dafür, was lokal am naheliegendsten ist, d. h. für eine Gleichverteilung auf die Zweige. Ein Beispiel ist die Aufgabe aus Abb. 6.6. Da es sich um drei gleiche, parallel geschaltete Lampen handelt, muss die Stromstärke in jedem Zweig 0,4 A sein. Viele Schülerinnen und Schüler sagen aber 0,3 A, 0,3 A und 0,6 A voraus, so als ob der Strom sich an den beiden nacheinander kommenden Verzweigungen jeweils hälftig aufteilt. Bei dieser Vorstellung wird also aus Sicht des Stromes argumentiert und nicht im Systemansatz gesehen, dass die Stromstärke immer die Folge der an den vorhandenen Lämpchen anliegenden Spannungen und der Widerstandswerte ist.
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Abb. 6.6

Lokales Denken: Bei dieser Aufgabe wird angenommen, dass sich der Strom an jedem Verzweigungspunkt halbiert.

Ein anderes Beispiel für lokales Denken ist die Schaltung nach Abb. 6.7, bei der nach der Veränderung der Stromstärken bei Veränderung eines Widerstands in der Parallelschaltung gefragt wird. Einige Schülerinnen und Schüler meinen, dass sich nur in der Parallelschaltung die Stromstärken ändern, in einem Zweig wird die Stromstärke größer und im anderen kleiner, ohne dass sich die Gesamtstromstärke ändert (Kompensationsdenken, Abschn. 6.2.2). Tatsächlich ändert sich der Gesamtwiderstand und damit die Gesamtstromstärke, sodass sich auch die Helligkeit der in Reihe geschalteten Lampe ändert. Hier wird die Parallelschaltung losgelöst vom Rest des Stromkreises betrachtet, also ein ganzes Gebilde wie eine Parallelschaltung lokal betrachtet. Lokales Denken wird gerade dann verwendet, wenn die Aufgaben für die Schülerinnen und Schüler zu komplex werden.
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Abb. 6.7

Lokales Denken geht davon aus, dass eine Widerstandsänderung in einem Zweig der Parallelschaltung nur Auswirkungen auf die Stromstärke in der Parallelschaltung hat.

Manche Schüler nehmen auch an, dass sich bei der Änderung eines Widerstands in einer Parallelschaltung wie in Abb. 6.7 nur die Stromstärke lokal in diesem Zweig ändert, aber weder in den anderen Zweigen noch der Gesamtstrom vor der Verzweigung. Damit wäre der Gesamtstrom aber nicht die Summe der Teilströme. In gewisser Weise zeigt sich auch in der Vorstellung der Konstantstromquelle (Abschn. 6.2.2) ein lokales Denken: Der Strom der Quelle ist unabhängig vom Rest der Schaltung.

„Wichtig ist, wo vorne und hinten ist.“

Schülerinnen und Schüler analysieren Stromkreise mit Begriffen wie „vor“ und „hinter“ dem Widerstand, wobei sich „vor“ und „hinter“ auf die Stromrichtung bezieht. Eine Änderung ‚vorne‘ im Stromkreis wirkt sich auf ‚hinten‘ aus, aber eine Änderung ‚hinten‘ wirkt sich nicht auf ‚vorne‘ aus. Dies wird sequenzielle Argumentation genannt.

Wird in einer Reihenschaltung ein Widerstand geändert, so wirkt sich das in der Vorstellung vieler Schülerinnen und Schüler auf die Stromstärke ‚vor‘ diesem Widerstand nicht aus, sondern nur auf die Stromstärke ‚nach‘ dem Widerstand. Wie bereits bei der Stromverbrauchsvorstellung (Abschn. 6.2.3) deutlich wurde, verbraucht der Widerstand nach Schülermeinung ‚Strom‘ und deshalb ist diese Überlegung schlüssig. In der Aufgabe aus Abb. 6.8 oder Abb. 6.5 macht es deshalb einen Unterschied, welcher Widerstand geändert wird. Eine Veränderung des Widerstands R 1 ändert gemäß dieser Vorstellung die Helligkeit des Lämpchens, eine Veränderung des Widerstands R 2 ändert die Helligkeit des Lämpchens nicht.
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Abb. 6.8

Sequenzielle Argumentation: Die Änderung eines Widerstands hat nur Auswirkungen auf das, was danach kommt.

Diese Vorstellung kann auch bei der Aufgabe in Abb. 6.6 mitschwingen, denn an der Verzweigung ‚weiß‘ der Strom, der ein Bauteil nach dem anderen passiert, noch nicht, was hinten kommen wird. Spätere Verzweigungen können sich so nicht auf die Aufteilung des Stromes auswirken.

Das sequenzielle Denken wird unterstützt, wenn bei den Gleichstromkreisen immer angegeben wird, wo der Plus- und wo der Minuspol ist, dies mit roten und blauen Kabeln visualisiert und bei der Analyse der Stromkreis von Plus nach Minus (bei Verwendung der technischen Stromrichtung) oder von Minus nach Plus (bei Verwendung der physikalischen Stromrichtung) abgefahren wird. Da die Polung bei einfachen Gleichstromkreisen aber keine Rolle spielt, sollte sie auch nicht angegeben werden und im Experiment sollten die Kabel des Stromkreises in einer einzigen Farbe gehalten werden. Mit anderen Worten, die Stromrichtung sollte im Unterricht bewusst nicht angezeigt werden, da sie nicht von Bedeutung ist und nur zu falschen Argumentationen führt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Schülerinnen und Schüler mit einer einfachen Verbrauchsvorstellung in den Unterricht kommen. Während des Unterrichts entwickelt sich aus dieser Verbrauchsvorstellung eine Vorstellung mit einem übermächtigen Strombegriff mit lokalem und sequenziellem Denken, aber ohne Ergänzung durch einen unabhängigen Spannungsbegriff. Allerdings sind in diesem Strombegriff auch Aspekte von Spannung und Energie verankert und es wird oft synonym ein „Stromspannungsenergie“-Begriff verwendet.

6.2.5 Weitere Lernschwierigkeiten

Erfassen von Parallelschaltungen

Einige Schülerinnen und Schüler haben Probleme, zwischen Reihen- und Parallelschaltungen zu unterscheiden. Entscheidend ist für sie nur die Anzahl der Bauteile, nicht aber deren Schaltung. Sie vermuten, dass alle irgendwie angeschlossenen Lämpchen mit der gleichen Stromstärke versorgt werden.

Parallel geschaltete Widerstände werden vor allem dann als solche erkannt, wenn sie im Schaltbild auch tatsächlich parallel zueinander gezeichnet sind. Die geometrischen Eigenschaften des Schaltbilds sind also entscheidend dafür, ob erkannt wird, dass die Widerstände parallel geschaltet sind. So wird in Abb. 6.9 zwar der Stromkreis 1 als Parallelschaltung erkannt, nicht aber der Stromkreis 2, da die Widerstände nur in Schaltung 1 parallel gezeichnet sind. Bereits leichte Verformungen oder Drehungen von Schaltskizzen führen dazu, dass diese als andere Stromkreise aufgefasst werden. Eine Zeichnung gemäß Stromkreis 1 in Abb. 6.9 ist also am Anfang für Schülerinnen und Schüler sehr hilfreich, eine Schaltung gemäß Stromkreis 2 später eine wichtige Transferübung.
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Abb. 6.9

Welcher Stromkreis ist eine Parallelschaltung?

Umsetzung Schaltbild in realen Stromkreis oder umgekehrt

Nicht einfach ist es für einige Schülerinnen und Schüler, zu einem gegebenen Schaltbild einen realen Stromkreis aufzubauen oder umgekehrt zu einem real aufgebauten Stromkreis eine korrekte Schaltskizze zu zeichnen. Das ist nicht verwunderlich, wenn schon leichte Verformungen oder Drehungen von Schaltskizzen dazu führen, dass sie nicht mehr als gleich angesehen werden, denn reale Schaltungen sehen oft ganz anders aus als die Schaltskizze. Will man Schülerinnen und Schülern helfen zu erkennen, dass eine reale Schaltung zu einer vorgegebenen Schaltskizze passt, müssen die Bauteile jeweils genauso wie in der Skizze angeordnet sein, die Kabel möglichst kurz sein und die Farben der Kabel in Skizze und Schaltung sollten sich entsprechen.

Schaltung von Messgeräten

Messgeräte werden oft nicht als Teil des Stromkreises aufgefasst. Es wird davon ausgegangen, dass sie einfach nur das messen, was sie messen sollen, ohne die gemessene Größe zu beeinflussen. Zum Teil wird sogar davon ausgegangen, dass sie das unabhängig davon tun, wie sie in die Schaltung eingebaut sind.

6.3 Unterrichtskonzeptionen

Linearer Energiestrom versus zirkularer Ladungsstrom

  • Muckenfuß, H. (1990). Handgetriebene Generatoren als Energiequelle im Unterricht. Hilfen für eine anschauliche Begriffsbildung in der Elektrik. Naturwissenschaften im Unterricht Physik, 1(38) 2, 20–29.

  • Muckenfuß, H. (1993). Der Sinngehalt von Alltagsvorstellungen. Konsequenzen für ein neues Gesamtkonzept zur Elektrizitätslehre. Naturwissenschaften im Unterricht Physik, 4(41) 16, 11–15.

  • Muckenfuß, H. und Walz, A. (1997). Neue Wege im Elektrikunterricht, Aulis-Verlag, 2., überarbeitete Auflage.

Dem Unterrichtskonzept liegt das Ziel zugrunde, dass das zu erwerbende Wissen für die Schülerinnen und Schüler in ihrer Erfahrungswelt bedeutsam ist. Deshalb wurde als Leitidee des Unterrichts gewählt, ein Verständnis für die Energieübertragung durch elektrische Stromkreise zu schaffen, und entschieden, Stromkreise vorrangig als System der Energieübertragung zu behandeln. Außerdem soll das Thema auch durch erlebbare Erfahrungen erschlossen werden, wozu mit handgetriebenen Generatoren, genannt DynaMot, gearbeitet wird. Die Leitungskabel werden dann mit dem rundumlaufenden Keilriemen einer Dampfmaschine verglichen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass es einen zirkularen Ladungsstrom (entsprechend dem Keilriemen), aber einen linearen Energiestrom gibt. Im Alltag meint man mit ‚Strom‘ das zweite. Eine empirische Untersuchung des ausgearbeiteten und in einigen Schulbüchern aufgegriffenen Unterrichtskonzepts steht noch aus.

Stäbchenmodell

  • Gleixner, C. (1998). Einleuchtende Elektrizitätslehre mit Potenzial. LMU München. Dissertation.

  • Koller, D., Waltner, C. und Wiesner, H. (2008). Zur Einführung von Stromstärke und Spannung. Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule, 57 (6), 6–18.

  • Waltner, C., Späth, S., Koller, D. und Wieser, H. (2010). Einführung von Stromstärke und Spannung – Ein Unterrichtskonzept und Ergebnisse einer Vergleichsstudie, Bd. 30. In D. Höttecke (Hrsg.): Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens zwischen Phänomenen und Systematik: Jahrestagung der GDCP in Dresden 2009. Münster: Lit-Verlag, 182–184.

Zur Veranschaulichung der elektrischen Spannung eignen sich verschiedenste Höhenanalogien, bei denen eine Höhe einem Potenzial entspricht und somit ein Höhenunterschied einer Spannung. Eine Variante dieser Höhenanalogie ist das Münchner Stäbchenmodell. Hier bekommt jedes Bauteil des elektrischen Stromkreises zwei Stäbchen zugewiesen, deren Höhen das elektrische Potenzial vor und nach dem Bauteil veranschaulichen. Da die Spannung bzw. Potenzialdifferenz stets einer Höhendifferenz entspricht, lassen sich leicht Spannungen an Parallel-, Reihen- und gemischten Schaltungen überlegen. Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I können unter https://​www.​didaktik.​physik.​uni-muenchen.​de/​archiv/​inhalt_​materialien/​einf_​elektrizitaet/​index.​html (Zugriff am 30. 1. 2018) kostenfrei heruntergeladen werden. Eine empirische Untersuchung zeigte, dass Schülerinnen und Schüler, die so unterrichtet wurden, typische Aufgaben zu Stromstärke und Spannung höchst signifikant besser lösen.

Elektronengasdruckmodell

Das Elektronengasmodell versucht, ein qualitatives Verständnis der Grundgrößen Stromstärke, Widerstand und insbesondere der Spannung zu vermitteln. Hierzu baut es auf den Erfolgen von Potenzialansätzen auf und setzt das elektrische Potenzial mit einem in Leitern herrschenden elektrischen Druck gleich. Der elektrische Druck wird mit dem intuitiven Luftdruckkonzept der Lernenden verknüpft und die Spannung auf diese Weise als elektrischer Druckunterschied eingeführt. Zu diesem Unterrichtskonzept wurden viele passende Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I entwickelt, die alle unter www.​einfache-elehre.​de kostenfrei heruntergeladen werden können. Eine empirische Untersuchung zeigte, dass Schülerinnen und Schüler, die so unterrichtet wurden, typische Aufgaben zu Stromstärke und Spannung höchst signifikant besser lösen.

6.4 Testinstrumente

Es gibt einige Tests, um das konzeptuelle Verständnis von elektrischen Stromkreisen zu untersuchen, wobei sich die Aufgaben meist stark ähneln. Aus den Tests kann man Aufgaben für Unterrichtsmaterialien verwenden.

Test von Christoph von Rhöneck

Ein sehr bekannter Test geht auf v. Rhöneck zurück. Eine Testversion mit 12 Aufgaben ist bei v. Rhöneck (1986) zu finden. In dem Zeitschriftenaufsatz wird ein Überblick über die wichtigsten Vorstellungen gegeben, die dann auf diese Testaufgaben bezogen werden. Die Aufgaben, die in den Test aufgenommen wurden, stammen aus Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern. Sie werden auch in aktuellen Studien weiterhin berücksichtigt.

Zweistufiger Test von Urban-Woldron und Hopf

Urban-Woldron und Hopf (2012) haben den Rhöneck-Test weiterentwickelt.5 Die Testaufgaben (Beispiele finden Sie in Abschn. 6.6) enthalten neben den Multiple-Choice-Auswahloptionen für die Lösungen auf einer zweiten Stufe weitere Auswahlantworten für mögliche Begründungen für die gewählte Lösung. Dieses Fragebogeninstrument kann für die formative, d. h. unterrichtsbegleitende Diagnose von Lernschwierigkeiten, und die summative Evaluation (Lernerfolg) von Elektrizitätslehre-Unterricht in der Schulpraxis eingesetzt werden, ist aber gleichzeitig psychometrisch so ausgereift, dass der Test auch für die empirische fachdidaktische Forschung geeignet ist.

Der DIRECT-Test

Engelhardt und Beichner (2004) haben einen Test mit 29 Multiple-Choice-Aufgaben zu Gleichstromkreisen erstellt, der einiges zum Aufbau von Stromkreisen, Energie, Stromstärke, Spannung und Potenzialdifferenz testet. Dabei gehen die Inhalte teilweise über die Themen der Sekundarstufe I hinaus. Daten darüber, wie Schülerinnen und Schüler antworten, liegen aus den USA vor.

Aufgabenzusammenstellungen

Sucht man keine zusammenhängenden Testinstrumente mit Vergleichsergebnissen, sondern einzelne Aufgaben, um das konzeptuelle Verständnis im Unterricht zu überprüfen, dann findet man Beispiele u. a. in folgenden Veröffentlichungen:
  • Maichle (1982) zeigt einige Aufgaben zu Stromstärke und Spannung in ganz einfachen Stromkreisen.

  • v. Rhöneck (1986) beinhaltet einige Varianten der oben genannten Rhöneck-Aufgaben.

  • v. Rhöneck und Grob (1989) stellen verschiedene weitere Aufgaben als Kopiervorlagen zur Verfügung.

  • Jung und Voss (1986) geben eine Liste von Aufgaben an, die zum Teil den oben genannten gleichen.

  • v. Rhöneck und Völker (1984) beinhaltet Aussagen zu Stromkreisen, bei denen zwischen „richtig“ und „falsch“ unterschieden werden muss.

  • v. Rhöneck (1980) umfasst fünf Schaltungen, bei denen die Schülerinnen und Schüler die Spannung zwischen verschiedenen Punkten der Schaltungen angeben sollen.

6.5 Literatur zur Vertiefung

  • Duit, R., Jung, W. & v. Rhöneck, C. (Hrsg.) (1985). Aspects of Understanding Electricity. Proceedings of an International Workshop. Kiel: Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften.

Der englischsprachige Tagungsband beschäftigt sich ausschließlich mit Schülervorstellungen zu Stromkreisen, Erhebungsmethoden und dem Unterricht zu Stromkreisen; es werden also viele Aspekte des Themas berücksichtigt.

Der Artikel eignet sich zur fachlichen Vertiefung des einfachen Stromkreises und enthält Hinweise für den Unterricht.

6.6 Übungen

Übung 6.1a

In einem Test zum Verständnis von Stromkreisen findet man die folgende Testaufgabe (Urban-Woldron und Hopf 2012).
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Vier Schülerinnen und Schüler wählen folgende Antworten zur Stromstärke und zur Erklärung ihrer Entscheidung:

Hans:

Sie wird größer. Ein größerer Widerstand braucht mehr Strom als ein kleiner Widerstand.

Mareike:

Sie wird kleiner, aber nicht null. Ein größerer Widerstand braucht mehr Strom als ein kleiner Widerstand.

Sara:

Sie wird kleiner, aber nicht null. Die Batterie kann nicht einen so großen Strom wie vorher durch den größeren Widerstand treiben.

Jakob:

Sie bleibt gleich. Es ist dieselbe Batterie; daher bleibt auch die Stromstärke gleich.

Übungsaufgabe:

Geben Sie für alle vier Jugendlichen an, welche Vorstellung diese wahrscheinlich zu ihrer jeweiligen Antwort bewog.

Übung 6.1b

Die folgende Testaufgabe stammt ebenfalls aus Urban-Woldron und Hopf (2012).
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Drei Jugendliche wählen folgende Antworten zur Anzeige der Amperemeter und zur Erklärung ihrer Entscheidung:

Jule:

„Die Anzeige von A 1 und von A 2 bleibt gleich. Es ist dieselbe Batterie; daher liefert sie denselben Strom.“

Nawal:

„Die Anzeige von A 1 bleibt gleich, die von A 2 wird kleiner, aber nicht null. Eine Vergrößerung des Widerstands führt zu einer Verringerung der Stromstärke nach dem Widerstand. Sie beeinflusst daher den Strom vor dem Widerstand nicht.“

Jörg:

„Die Anzeige von A 1 und von A 2 wird kleiner. Eine Vergrößerung des Widerstands führt zu einer Verringerung der Stromstärke überall im Stromkreis.“

Übungsaufgabe:

Geben Sie für alle drei Jugendlichen an, welche Vorstellung diese wahrscheinlich zu ihrer jeweiligen Antwort bewog.

Übung 6.2

Schülerinnen und Schülern wurde die folgende Schaltung vorgelegt (Riley, Bee & Mokva, 1981):
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Die Aufgabe dazu lautete: „In einem Stromkreis ist die angelegte Spannung von 15V gegeben, ein Amperemeter M1 zeigt 1,5A , ein weiteres Amperemeter M2 ist zwischen zwei Widerständen von je $5{\rm{ \Omega }}$ geschaltet. Was zeigt M2 an?“

Ein Schüler antwortete (Übersetzung nach Jung, Wiesner, Kiowski & Weber, 1982): „Es [das Amperemeter M 2] wird $5{\rm{ \Omega }}$ weniger als M1 zeigen. Warten Sie mal. Es wird weniger sein. Oder … nein das würd’s nicht. Ok. Es wird verschieden sein von dem [M1]. Weil da ein Widerstand ist. Weil – da an der Stelle [M1] gehen $15{\rm{ V}}$ durch. Und da [R 1] wird’s um $5{\rm{ \Omega }}$ verkleinert. Es sollte also verschieden sein.“

Übungsaufgabe:

Welche Schülervorstellungen kann man in diesem Zitat vermuten?