Ein leichter Sommerregen und schon schießen sie sprichwörtlich aus dem Boden. So überraschend ihr Auftauchen, so geheimnisvoll ihr Wesen. Früher rechnete man Pilze zu den Pflanzen. Heute gesteht man ihnen ihr eigenes »Reich« innerhalb der biologischen Klassifikation von Lebewesen zu – neben dem Pflanzen- und Tierreich. Einzelne verfügen über besondere Kräfte, können berauschen, vergiften oder auch heilen. Andere verzaubern durch ihren Geschmack und ihre fleischige Textur.
Pilze, zu denen auch Schimmelpilze und Hefen zählen, betreiben im Gegensatz zu Pflanzen keine Photosynthese. Sie können also nicht über Sonnenlicht Energie gewinnen, sondern müssen – wie Tiere oder Menschen – Nahrung über gelöste Substanzen aus ihrem jeweiligen Nährboden beziehen: aus dem Erdreich, aus Bäumen, Laub und anderen Überresten von Pflanzen oder aus nährstoffreichen tierischen Ausscheidungen.
ALLE GÄNGIGEN SPEISEPILZE enthalten viel Wasser, kaum Fett, reichlich Eiweiß, Vitamine und Mineralien. Typisch für fast alle Pilze ist ihr ganz eigener Geruch: erdig, leicht, aber angenehm modrig gemischt mit grünen Noten – typisch »pilzig« oder, da er der bekannteste Vertreter ist, »champignonartig«. Dafür sind zwei Geruchsstoffe verantwortlich, die beim Fettabbau entstehen: 1-Octen-3-ol, das bei rohen Pilzen dominiert, und 1-Octen-3-on, das sich beim Garen entwickelt. Ihren ganz besonderen »pilzig« vollen Geschmack erhalten sie aber über die in beträchtlichem Maße enthaltene umami-auslösende Glutaminsäure und Guanosinmonophosphat, das den Umami-Effekt verstärkt. Zusammen mit der Textur von Pilzen ergibt sich so bei vielen Gerichten ein fleischiges, vollmundiges Geschmackserlebnis, das je nach gewählter Pilzsorte noch zusätzlich kleine Überraschungen bietet. In fünf Rezepten entlocken wir den gängigsten Pilzsorten das Beste, was sie zu bieten haben (siehe >->).
Steinpilze haben festeres Fleisch als viele andere Pilze – perfekt zum Hobeln. Auch ist im Vergleich zu anderen Pilzen ihr Gehalt an 1-Octen-3-ol oft höher: sie duften stark pilzig. Zusammen mit verschiedenen Säuren bildet sich so ein intensiver Aromen-Geschmacks-Komplex, der sich am besten pur genießen lässt: roh in feinen Scheiben, mit Tomaten, die die pilzeigene Säure unterstreichen und den Umami-Faktor erhöhen, und feinwürzigem Kerbel, der die grünen Noten hervorhebt. Der Clou: Das nussige Aroma gebräunter Butter hebt zusätzlich die grünen Noten und gibt dem fettarmen Gemüse feinen Schmelz.
Pilzrisotto ist ein Klassiker. In diesem Reis kommt der Champignon aber noch besser zur Geltung, ganz ohne Brühe und Anschwitzen mit Butter. Neben seinen typischen pilzigen Noten kommen seine in rohem Zustand vorhandenen nussig-süßlichen Aromen zur Geltung. Sie verwandeln sich durch den feucht-warmen Reis zu einem magischen, einmaligen Aromenspiel und werden lediglich durch die Butter harmonisch schmelzend-buttrig abgerundet.
Die besondere Konsistenz der Austernseitlinge kommt in dieser Zubereitung perfekt zur Geltung: Kurz gebraten oder gegrillt entwickeln sie herrlich röstige Noten. Durch das japanisch inspirierte Rezept mit Orangensaft und Sojasauce kommen Säure, Süße und Umami voll zum Tragen. Cremige Miso-Mayonnaise passt perfekt zum Brataroma und eingelegter scharfer Ingwer bringt zusätzliches Gaumenkitzeln.
Mit diesem typisch japanischen Gericht feiern wir den Entdecker des fünften Geschmacks: Chawanmushi ist eine Art Eierstich, der normalerweise in Teeschalen gegart und mit unterschiedlichsten Einlagen versehen wird. Das an sich milde, feine Gericht bekommt hier anstelle von asiatischen Pilzen einmal durch Pfifferlinge »Pfeffer«. Gleich zweimal: in Form einer voll-würzigen Brühe und als rösch gebratenes Topping, bei dem sich die stark waldigen Noten der Pfifferlinge voll entfalten. Zusammen mit ihren Umami-Kollegen Kombu und Sojasauce entwickeln die Pilze den vollen, runden Geschmack des Gerichts.
»Portobello-Pilze« sind nichts anderes als mehrere Tage weitergereifte Champignons, deren Geschmack sich so stark intensiviert. Das Pilzfleisch erreicht dann eine beträchtliche Dicke, die in Verbindung mit der festen, nur leicht nachgiebigen Konsistenz (siehe >) einen texturell spannenden Eindruck bringt. Noch mehr Biss und Geschmack gibt es dank Getreide, umami-reichem Käse und schmelzender Crème fraîche. Als Gegengewicht und Ergänzung zu den würzigen, leicht grünen Aromen der Pilze bringt Apfel-Sellerie-Saft Frische, einen Hauch anregende Bitterkeit und aufgeweckte Säure.