KAPITEL 2

KAPITALISMUS HILFT AFRIKA BESSER ALS ENTWICKLUNGSHILFE

Dass das 1990 von der UNO postulierte Ziel, die weltweite Armut innerhalb von 25 Jahren zu halbieren, gelungen ist, geht vor allem auf den Erfolg Chinas zurück. In Afrika sank zwar im gleichen Zeitraum die Zahl der Armen von 56,8 Prozent auf 42,7 Prozent110, aber andererseits ist der prozentuale Anteil der Menschen, die Hunger leiden, mit 20 Prozent heute nirgendwo so hoch wie auf dem schwarzen Kontinent.111

Kein Kontinent verführt Beobachter so sehr zu verzerrten Wahrnehmungen wie Afrika. Im Mai 2000 machte die renommierte Zeitschrift »The Economist« ihre Titelseite mit der Headline auf: »The hopeless continent«. Auf dem Cover zeigte das Magazin einen schwer bewaffneten Afrikaner. Fast zwölf Jahre später, im Dezember 2011, war Afrika wieder das Titelthema des »Economist«. Diesmal ließ auf der Titelseite ein Afrikaner einen Drachen steigen und die Überschrift lautete: »Africa rising«.112 Der Chefredakteur der Zeitschrift musste zugeben: »Leute haben mir ausgiebig verdeutlicht, dass sie einen guten Schnitt gemacht hätten, wenn sie an dem Tag, als wir Afrika zum ›hoffnungslosen Kontinent‹ erklärten, in einen Korb von afrikanischen Aktien investiert hätten.«113 Und in der Tat: Wer etwa 2012 in den Aktienindex NSE All Share Kenia investierte, hatte fünf Jahre später sein Geld verdoppelt.

Wenn wir an Afrika denken, haben wir andere Bilder im Kopf – glückliche Tiere oder leidende Menschen. »Afrikaner, die keine Tiere, Despoten oder Nelson Mandela sind, werden nur gezeigt, wie sie unter Armut, Krieg und Krankheit leiden. Erinnern Sie sich an die letzten beiden Filme mit Afrikanern, die Sie gesehen haben, dann wissen Sie, was ich meine«114, schreibt der Afrika-Spezialist Jonathan Berman in seinem Buch »Success in Africa«. Popsänger, die sich in ihren Konzerten für Afrika engagieren, haben dazu beigetragen, dass sich dieses zwar nicht falsche, aber doch sehr einseitige Bild Afrikas in unseren Köpfen verfestigt hat. Sie forderten ebenso wie linke Globalisierungskritiker, dass die reichen Länder mehr Geld für Entwicklungshilfe nach Afrika geben sollen. Damit sollen die Probleme des Kontinents gelöst werden.

Entwicklungshilfe klingt moralisch gut und für manche ist sie – fast im religiösen Sinne – eine Art Wiedergutmachung für die Sünden des Kolonialismus und der »Ausbeutung der Dritten Welt« durch die kapitalistischen Länder. Aber bewirkt sie das, was sich die Befürworter davon erhoffen? Abdoulaye Wade, 2000 bis 2012 Präsident von Senegal, äußerte in einem Interview: »Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Land durch Entwicklungshilfe oder Kredite entwickelt hat. Länder, die sich entwickelt haben – in Europa, in Amerika oder auch Japan oder asiatische Länder wie Taiwan, Korea und Singapur –, haben alle an den freien Markt geglaubt. Das ist kein Geheimnis. Afrika hat nach der Unabhängigkeit den falschen Weg gewählt.«115 In der Tat wählte Afrika einen anderen Weg. Nach dem Ende der Kolonialzeit bekannten sich fast alle afrikanischen Länder zu irgendeiner Form des Sozialismus.

Ägypten folgte mit dem »Nasserismus« einem arabischen Sozialismus, Eritrea bekannte sich seit Anfang der 90er-Jahre zu einem Marxismus-Leninismus albanischer Prägung, Ghana folgte dem sowjetischen Modell einer sozialistischen Planwirtschaft und Kollektivierung der Landwirtschaft, Kongo wurde von einer Einheitspartei regiert, die sich auf den Marxismus-Leninismus berief, Madagaskar hatte eine sozialistische Verfassung und orientierte sich an dem sozialistischen China und Nordkorea, Mosambik wurde von einer marxistisch-leninistischen Einheitspartei regiert, Angola, Mali, Guinea, Uganda, der Senegal, Sudan, Somalia, Sambia, Simbabwe, Tansania und andere afrikanische Länder bekannten sich ebenfalls zum Sozialismus. Viele Afrikaner träumten vom besonderen »afrikanischen Sozialismus«, der sich gleichermaßen vom Kapitalismus wie auch von den sozialistischen Modellen in Russland oder anderen Ostblockstaaten unterscheiden und auf afrikanischen Werten wie denen der tribalistischen Stammesgemeinschaften basieren sollte.

Die wirtschaftlichen Ergebnisse waren noch schlechter als in den sozialistischen Ländern des Ostblockes. Die Armut in Afrika hat viele Ursachen, von denen ein verfehltes Wirtschaftssystem nur eine ist. Es fehlten und fehlen in vielen Ländern stabile politische Institutionen. Kriege und Bürgerkriege verfeindeter Stämme bzw. zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen haben den Kontinent zerrissen.

Entwicklungshilfe – nutzlos oder kontraproduktiv

Dambisa Moyo, die in Sambia geboren wurde, in Harvard studierte und in Oxford promoviert wurde, hat in ihrem Buch »Dead Aid« die Entwicklungshilfe der reichen Länder als eine weitere Ursache für die Not auf dem Kontinent identifiziert. In den vergangenen 50 Jahren, schrieb Moyo 2009, wurde im Rahmen der Entwicklungshilfe über eine Billion Dollar an Hilfsleistungen von den reichen Ländern nach Afrika überwiesen. »Doch geht es den Afrikanern durch die mehr als eine Billion Dollar Entwicklungshilfe, die in den letzten Jahrzehnten gezahlt wurden, tatsächlich besser? Nein, im Gegenteil: Den Empfängern der Hilfsleistungen geht es wesentlich schlechter. Entwicklungshilfe hat dazu beigetragen, dass die Armen noch ärmer wurden und dass sich das Wachstum verlangsamte [...] Die Vorstellung, Entwicklungshilfe könne systemische Armut mindern und habe dies bereits getan, ist ein Mythos. Millionen Afrikaner sind heute ärmer – nicht trotz, sondern aufgrund der Entwicklungshilfe.«116

Um nicht missverstanden zu werden: Mit »Entwicklungshilfe« meint Moyo nicht karitatives Engagement und akute Hilfe bei Hungersnöten oder Katastrophen, die natürlich nicht kritisiert werden sollen, sondern dauerhafte finanzielle Transferleistungen mit dem Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Oft wurden diese Gelder an korrupte und despotische Regierungen gezahlt und kamen nicht bei den Armen an. Doch »selbst wenn die Hilfsleistungen nicht einfach veruntreut wurden und in den Kanälen der Korruption versickerten, blieben sie unproduktiv. Die politische Realität hat überdeutliche Beweise dafür geliefert. Angesichts des ökonomischen Zustandes Afrikas ist nicht zu erkennen, wo Wachstum eine direkte Folge der gewährten Entwicklungshilfe gewesen wäre.«117

Eine Studie der Weltbank belegte, dass mehr als 85 Prozent der Fördergelder für andere Zwecke verwendet wurden als ursprünglich vorgesehen, oft umgeleitet in unproduktive Projekte.118 Selbst da, wo die Gelder für an sich sinnvolle Projekte verwendet werden, werden die kurzfristig positiven Folgen von negativen Langzeitfolgen konterkariert, wie Moyo an folgendem Beispiel zeigt: Es gibt in Afrika einen Hersteller von Moskitonetzen, der 300 Netze pro Woche produziert. Er beschäftigt zehn Arbeiter, von denen jeder bis zu 15 Angehörige mit seinem Lohn mitversorgen muss. Das ging solange gut, bis ein Hollywood-Schauspieler dazu aufrief, eine Million Dollar für 100.000 Moskitonetze zu sammeln, um den Menschen in Afrika zu helfen. Kurzfristig eine löbliche Sache, aber ohne die Folgen zu bedenken: Durch die Netze, die den Markt überschwemmen, wird der einheimische Hersteller aus dem Markt gedrängt. Seine Angestellten müssen sehen, wo sie bleiben, können ihre Familienangehörigen nicht mehr unterstützen. Alle sind nun auf Almosen angewiesen.119

Zwischen 1970 und 1998, der Zeit der höchsten Entwicklungshilfeleistungen an Afrika, stieg die Armut auf dem Kontinent von elf auf 66 Prozent.120 Ausländische Hilfszahlungen nährten korrupte Regierungen, indem sie diese mit frei verfügbarem Geld unterstützten. Die Regierungen fühlten sich nicht der eigenen Bevölkerung verantwortlich, sondern ihren ausländischen Geldgebern. Sie blockierten die Rechtsstaatlichkeit, die Etablierung von transparenten politischen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, den Schutz der bürgerlichen Rechte. Dadurch machten sie zugleich einheimische wie ausländische Investitionen in ihren armen Ländern unattraktiv. Ein funktionierender Kapitalismus konnte sich dort nicht entwickeln, denn ein Umfeld hochgradiger Korruption und Unsicherheit schreckte Investoren ab.121 Das führte zur Stagnation und würgte letztlich das Wachstum ab. Die korrupten Staatsangestellten entscheiden nicht im Interesse des Allgemeinwohls, sondern nach Maßgabe möglicher Selbstbereicherung. Große Summen an Hilfsgeldern und eine Kultur der Entwicklungshilfe-Abhängigkeit ermutigten afrikanische Regierungen zudem, die unproduktiven öffentlichen Sektoren weiter aufzublähen – was auch nur eine Methode ist, Günstlinge zu belohnen.122

James Shikwati, Gründer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft »Inter Region Economics« in Nairobi (Kenia), meint: »Würde die Entwicklungshilfe abgeschafft, bekäme das der kleine Mann gar nicht mit. Nur die Funktionäre wären schockiert.«123 Sein Fazit zum Thema Entwicklungshilfe: »Es werden riesige Bürokratien finanziert, Korruption und Selbstgefälligkeit gefördert, Afrikaner zu Bettlern erzogen und zur Unselbstständigkeit. Zudem schwächt die Entwicklungshilfe überall die lokalen Märkte und den Unternehmergeist, den wir so dringend brauchen. Sie ist einer der Gründe für Afrikas Probleme, so absurd dies klingen mag.«124

William Easterly, Professor für Ökonomie und Afrikastudien an der New York University, hält Entwicklungshilfe für weitgehend nutzlos, oft sogar kontraproduktiv. In zwei Jahrzehnten wurden in Tansania zwei Milliarden Dollar an Entwicklungshilfemitteln für den Straßenbau ausgegeben, aber das Straßennetz ist nicht besser geworden, so berichtet er. Weil die Straßen nicht instand gehalten wurden, verfielen sie schneller, als die Geldgeber neue bauen konnten. Was sich wirkungsvoll in Tansania entwickelte, war eine gigantische Bürokratie. »Für seine Geldgeber, die das Empfängerland mit tausend Missionen von Entwicklungshilfevertretern im Jahr überfluten, produziert Tansania jedes Jahr 2.400 Berichte.« Die Entwicklungshilfe habe also nicht geliefert, was die Armen benötigten (Straßen), sondern stattdessen vieles, was den Armen wenig nützt.125

Von der Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft?

Wenn die Entwicklungshilfe für Afrika überwiegend nutzlos und teilweise sogar kontraproduktiv war, hat dann die Abkehr von der Staatswirtschaft und die Zuwendung zu eher marktwirtschaftlichen Systemen mehr gebracht? Ende der 80er-Jahre, als der Sozialismus in der Sowjetunion und den Ostblockstaaten zusammenbrach und die Überlegenheit des Kapitalismus weltweit deutlich wurde, wendeten sich viele afrikanische Staaten von der Staatswirtschaft ab und begannen mit Privatisierungen. 40 südafrikanische Länder stimmten 1990 dem Plan des Internationalen Währungsfonds IWF zu, die Wirtschaft umzustrukturieren. Eine wichtige Komponente war dabei die Privatisierung von Staatsbetrieben. Diese betraf staatliche Unternehmen in allen Bereichen – ob Produktion und Industrie, Landwirtschaft, Tourismus, Dienstleistungen, Handel, Transport, Finanzen, Energie, Bergbau, Wasser, Stromversorgung und Telekommunikation – und führte dazu, dass in Afrika der staatliche Anteil an Firmenvermögen in nur sechs Jahren von fast 90 auf zehn Prozent fiel.126

In Ländern wie Nigeria, heute neben Südafrika das wirtschaftlich bedeutendste Land auf dem Kontinent, wurden alle ehemaligen Monopolbereiche komplett dereguliert und ein marktwirtschaftliches System etabliert. Bis auf ein einziges staatswirtschaftliches Regime (Eritrea) dominieren heute auf dem afrikanischen Kontinent mehr oder minder marktwirtschaftlich ausgerichtete Systeme127 – allerdings mit ganz erheblichen Defiziten, die dazu führen, dass Afrika nicht schneller vorankommt. Die Privatisierung stellte zwar eine wichtige Voraussetzung zur Lösung der Probleme dar, aber da die Ursachen der Armut sehr viel komplexer waren und sind, war sie nur eine notwendige, jedoch keineswegs eine hinreichende Bedingung für mehr Wachstum. Eine immense Schuldenlast erschwerte es vielen Ländern, sich zu entwickeln; Korruption und kulturelle Mentalitäten, die dem Wachstum entgegenstehen, waren durch die Privatisierung keineswegs beseitigt.

Easterly hat eine für das Verständnis der kapitalistischen Entwicklung wichtige These entwickelt und an vielen praktischen Beispielen belegt: »Die freie Marktwirtschaft funktioniert, Versuche hingegen, freie Märkte einzuführen, schlagen nur allzu oft fehl.«128 Das Wesen des Kapitalismus – und der entscheidende Unterschied zur sozialistischen Planwirtschaft – ist ja gerade, dass es sich nicht um ein von Menschen erdachtes und konstruiertes System handelt, sondern um eine gesellschaftliche Ordnung, die im Ergebnis einer spontanen Entwicklung wächst. Marktwirtschaft von außen zu verordnen, wie es Anfang der 90er-Jahre die Weltbank und der Internationale Währungsfonds für viele afrikanische Länder getan haben, funktioniert oft genauso schlecht wie der Versuch, die Demokratie einem Land zu verordnen, in dem es keine gewachsenen demokratischen Traditionen gibt. »Der Versuch, durch die schnelle Einführung der freien Marktwirtschaft alle Regeln auf einen Schlag zu verändern, zerstörte alte Bindungen. Die neuen formellen Institutionen waren noch zu schwach, um die Funktionsfähigkeit der freien Märkte zu sichern. Eine allmähliche Hinwendung zu mehr Marktfreiheit hätte den Marktteilnehmern mehr Zeit gegeben, ihre Beziehungen und Transaktionen entsprechend anzupassen.«129

Kapitalismus und eine freie Wirtschaft sind eben viel mehr als »nur« die Privatisierung. Das wird oft übersehen. Die Heritage Foundation hat in ihrem berühmten Index zwölf Kriterien entwickelt, die zeigen, wie wirtschaftlich frei ein Land ist.130 Dass es hier nach wie vor düster aussieht für die allermeisten afrikanischen Länder, belegt ein Blick auf den Index von 2017. In der schlechtesten Kategorie der wirtschaftlich komplett unfreien Länder, in der sich auch Staaten wie Nordkorea und Venezuela befinden, sind die meisten Länder afrikanische Staaten. Hier finden sich beispielsweise Simbabwe, Algerien, Guinea, Angola, der Sudan oder Mosambik.

Analysiert man genauer, warum diese Länder als wirtschaftlich unfrei gelten, dann sind es vor allem drei Problembereiche: Die schlechtesten Werte für afrikanische Länder vergibt die Heritage Foundation für die Bereiche »Property Rights«, »Judicial Effectiveness« und »Government Integrity«.131 Das heißt: Weder die Eigentumsrechte sind ausreichend gesichert, noch kann man sich darauf verlassen, vor einem Gericht zu seinem Recht zu kommen. Auch ein Land wie Namibia, das auf Platz 78 in der Liste der unfreien Länder rangiert und damit deutlich besser als die eben genannten afrikanischen Länder, weist sehr schlechte Werte in diesen drei Kategorien auf. Dass Namibia nicht insgesamt noch schlechter bewertet wurde, liegt an sehr positiven Werten in den Bereichen »Labor Freedom«, »Trade Freedom« und »Monetary Freedom«.132

Korruption – Ursachen und Folgen

Die Verwaltung bzw. Politik in diesen Ländern ist nach wie vor korrupt. Namibia erreicht beispielsweise insgesamt für die wirtschaftliche Freiheit 62,5 von 100 Punkten, aber im Bereich »Government Integrity« nur 41,3 Punkte. Simbabwe kommt in dieser Kategorie sogar auf nur 14,7 von 100 Punkten133 (zum Vergleich: Deutschland 77,7, USA 78,1, Norwegen 88,3)134. Analysen der auf Korruptionsbekämpfung spezialisierten Organisation Transparency International verdeutlichen, wo die Probleme in Afrika liegen. Der von dieser Organisation entwickelte Index zeigt, wie stark die Korruption in einem Land wahrgenommen wird. Unter den 20 Ländern mit der geringsten Korruptionswahrnehmung findet sich kein einziger der 54 Staaten des afrikanischen Kontinents. Umgekehrt: Unter den 20 Ländern mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind zwei Drittel afrikanische Staaten. Das Schlusslicht der insgesamt 176 Länder umfassenden Liste bildet Somalia.

Der Soziologe Jörn Sommer hat mehrere Jahre über die Korruption in Afrika geforscht, und zwar am Beispiel des westafrikanischen Landes Benin. Er zeigt, wie schwierig es ist, die Korruption aufzudecken und zu bekämpfen, und spricht von einer »repressiven Verständigungsgemeinschaft«. Schon die normale Überprüfung der Geschäftsführung eines Unternehmens, wie sie in jedem Land üblich ist, werde hier als Form der »Unruhestiftung« gedeutet. Man scheue den Dissens und geächtet werde vom Kollektiv nicht der bei der Korruption Ertappte, sondern derjenige, der sie aufdeckt. Der Appell an Harmonie und »einvernehmliche Lösungen« lege sich wie Mehltau über jede Kritik. Im schlimmsten Fall genüge das »Verteilen« von unterschlagenem Geld – also eine weitere Bestechung –, um den Frieden wiederherzustellen.135

In afrikanischen Ländern wird von einem Mann erwartet, dass er eine große Familie ernährt, die durchaus aus 40 Personen bestehen kann. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet und es ablehnt, Bestechungsgelder entgegenzunehmen, würde bei seiner Familie und seinem Umfeld Empörung auslösen, denn aus ihrer Sicht käme er einfach seinen Verpflichtungen nicht nach. Ein Dozent an der Universität von Nigeria fragte seine Schüler, was sie von einem Mann denken würden, der aus einer kleinen Stadt mit einem bescheidenen Haus kommt, dann die Gelegenheit hat, Finanzminister zu werden, und danach wieder in sein bescheidenes Zuhause zurückkehrt. Die Studenten bezeichneten den Mann als Dummkopf, geistig Zurückgebliebenen und inkompetent.136

James Mworia, CEO von Centrum Investments, der größten börsennotierten Investmentgesellschaft Ostafrikas, erklärt, dass viele unternehmerische Talente wegen der allgegenwärtigen Korruption nicht zum Zuge kommen: »Steve Jobs ist nicht aus Kenia – warum? Weil die Steve Jobs dieser Welt nicht in der Lage sind, mit dem Thema Korruption umzugehen […] Vermutlich gab es Hunderte großer Unternehmer und großartiger Ideen, die aus diesem Grund nicht reüssieren konnten.«137

Wegen der ineffizienten Wirtschaftsordnung und der Korruption ist ein Schuldenerlass für afrikanische Länder, wie er beispielsweise 2005 von den G-8-Finanzministern verkündet wurde, nur von begrenzter Wirkung. Ein Schuldenerlass müsste einhergehen mit der Etablierung von funktionierenden Institutionen, einer wirksamen Bekämpfung der Korruption und konsequent marktwirtschaftlichen Reformen. Andernfalls bringt ein Schuldenerlass, wie er bereits mehrfach für afrikanische Länder durchgeführt wurde, nicht viel. Im Gegenteil: Manchmal werden sogar negative Anreize geschaffen, wie das Beispiel Uganda zeigt. Das Land hatte im Jahr 2000 3,2 Milliarden Dollar Schulden, davon wurden ihm zwei Milliarden erlassen. Sechs Jahre später war Uganda aber wieder mit fast fünf Milliarden Dollar verschuldet. In der Zwischenzeit hatte sich der Präsident Yoweri Kaguta Museveni einen Jet für 35 Millionen Dollar genehmigt und er leistete sich 109 Berater und 69 Minister.138

Der Ökonom Easterly hat nachgewiesen, dass Schuldenerlasse und immer neue Kredite nicht die gewünschten Ergebnisse brachten. Erstmals verzichteten die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) 1996 auf einen Teil ihrer Forderungen, aber geholfen hat das überhaupt nichts. Im Gegenteil. Da die Kreditnehmer inzwischen gelernt haben, dass Schulden regelmäßig immer wieder erlassen werden, haben sie wenig Anreiz, die Schuldenaufnahme zu begrenzen.139

Eines der größten Probleme in Afrika ist die mangelnde Rechtssicherheit, unter der gerade kleine Selbstständige ganz besonders leiden. Der Ökonom Hernando de Soto, der sich intensiv mit den Gründen für die wirtschaftlichen Probleme von Entwicklungsländern befasst hat, hebt die Bedeutung dieses Problems hervor.140 Die informelle Wirtschaft macht in diesen Ländern den größten Teil der Ökonomie aus. Sie liegt zwar außerhalb des Rechtsstaates, ermöglicht es aber vielen, ihr Leben zu bestreiten. Kleine Selbstständige, die in solchen Ländern ohne staatliche Genehmigung einen Handel oder ein kleines Unternehmen betreiben, haften naturgemäß mit ihrem vollen Vermögen und sind jederzeit erpressbar durch korrupte Beamte. Wegen fehlender gesicherter Eigentumsrechte erhalten sie zudem keine Kredite.

Die Bedeutung dieses informellen Sektors in Afrika kann kaum überschätzt werden. Ältere Schätzungen gingen davon aus, dass 42 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Afrika im informellen Sektor produziert werden und 78 Prozent der Beschäftigten in Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) dort arbeiteten. In ländlichen Gebieten seien sogar 90 Prozent der Menschen, die nicht in der Landwirtschaft arbeiteten, dem informellen Sektor zuzurechnen.141 Als die Telekommunikationsfirma Celtel ihre Niederlassung im Kongo eröffnete, waren die Erwartungen aufgrund des sehr niedrigen Bruttoinlandsproduktes pro Kopf eher gering. Die Firma war von dem Ansturm überrascht, als bereits in der ersten Woche 2.000 Käufer Verträge unterzeichneten, im ersten Monat waren es 10.000. Alle hatten bar bezahlt.142 Die Zahlen über das Bruttoinlandsprodukt, die in diesem Kapitel genannt werden, sind daher mit Vorsicht zu genießen.

Afrika im Wandel

Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie groß Afrika ist: Um vom Norden in den Süden des Kontinents zu fliegen, braucht man so lange wie von Los Angeles nach Frankfurt. Afrika ist größer als die USA, China, Indien, Spanien, Deutschland, Frankreich, Italien und Osteuropa zusammengenommen.143 Auf den üblicherweise verwendeten Weltkarten sieht man das gar nicht.

In den vergangenen zehn Jahren haben sich einige Länder in Afrika enorm entwickelt. In westlichen Medien sehen wir vor allem die Bilder von flüchtenden Menschen in Not, die in Europa nach einem besseren Leben suchen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Afrika ist ein gewaltiger Kontinent voller Widersprüche und Gegensätze. Folgt man der Unterteilung der Heritage Foundation, die die Länder danach bewertet, wie wirtschaftlich frei oder unfrei sie sind, dann gibt es in Afrika folgende vier Ländergruppen: Die beiden wirtschaftlich freiesten Länder sind Mauritius und Botswana, gefolgt von Ruanda, Elfenbeinküste, Namibia, Südafrika, den Seychellen, Swasiland und Uganda, die als »moderately free« gelten. Alle anderen Länder Afrikas gelten als mehr oder minder unfrei, Schlusslichter sind Simbabwe, Eritrea und die Republik Kongo. Somalia ist eines der wenigen Länder, für die keine Bewertung möglich ist.144 Wie unterschiedlich Afrika ist, sieht man daran, dass die Seychellen mit fast 15.000 Dollar und Mauritius mit 9.246 Dollar ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf haben als China (8.480 Dollar) und Botswana mit fast 7.000 Dollar immerhin in einem ähnlichen Bereich liegt, während der entsprechende Wert im Südsudan bei 233 Dollar liegt.145

Unübersehbar gibt es positive Entwicklungen in einer Reihe von afrikanischen Staaten, vor allem in denen, die an wirtschaftlicher Freiheit gewinnen. Aber selbst in einem Land wie Mosambik, das zu den unfreien Ländern mit großen ökonomischen Problemen gehört, gibt es Zeichen des Wandels. Der Unternehmensberater Hans Stoisser, der seit Langem in Afrika aktiv ist, berichtet: »Als ich Anfang der 1990er-Jahre zum ersten Mal nach Mosambik reiste, beherrschten noch ausgezehrte und verarmte Menschen das Straßenbild, zerschlissene Kleider, Frauen, die in den Straßen kochten, jedermann fast ausschließlich zu Fuß unterwegs. Die heutigen Bilder könnten nicht unterschiedlicher sein. Supermärkte, Cafés, Verkehrsstaus, moderne Büro- und Einkaufszentren als die neuen Treffpunkte der afrikanischen Elite, pompöse Diskotheken. Und natürlich eine Unzahl von Baustellen mit ihren Behinderungen im Straßen- und auch Fußgängerverkehr, die den Bauboom im Land bezeugen. Das urbane Mosambik von heute entspricht dem Stil der globalen Wirtschaftskultur und hat mit dem Mosambik der 1990er-Jahre nur mehr wenig gemeinsam.«146 Die Voraussetzung für diesen Wandel waren die Beendigung des Bürgerkrieges im Jahr 1992 und die Abkehr der herrschenden Frelimo-Regierung, die sich 1989 offiziell vom Marxismus lossagte. Die 1990 aufgestellte Verfassung garantierte freie Wahlen und eine freie Marktwirtschaft, was man allerdings nicht zu wörtlich nehmen darf.

Rohstoffe – Segen oder Fluch?

Die stark gestiegenen Rohstoffpreise, die wiederum Folge des weltweiten Wirtschaftsbooms und des großen Rohstoffhungers Chinas waren, begünstigten den Aufschwung in vielen afrikanischen Ländern in der Dekade ab 2000. Im Jahr 2010 verzeichneten 22 afrikanische Länder ein Wirtschaftswachstum, das höher als sechs Prozent war. Doch der ab 2011 einsetzende Verfall der Rohstoffpreise zeigte die Abhängigkeit des Aufschwungs vieler afrikanischer Länder von ihren natürlichen Ressourcen: Die Zahl der Staaten, deren Wirtschaft schneller als sechs Prozent wuchs, sank bereits 2015 von 22 auf nur noch neun, während im gleichen Zeitraum die Zahl der afrikanischen Länder mit einer zweistelligen Inflationsrate von vier auf zehn stieg.147

Folgender Vergleich zeigt die unterschiedliche Qualität des Wachstums in Asien und in Afrika: Zwischen 2000 und 2010 stiegen die Exporte sowohl aus Afrika als auch aus Asien um 500 Prozent. Aber in Asien gingen 400 Prozent des Anstiegs darauf zurück, dass mehr verarbeitete Waren exportiert wurden, während in Afrika 400 Prozent des Anstiegs den stark gestiegenen Rohstoffpreisen zu verdanken waren.148

In Afrika machen Rohstoffe rund 50 Prozent aller Exporte aus, während es in Asien, Europa und den USA lediglich zehn Prozent sind.149 Afrikas unermessliche Rohstoffquellen sind eine Chance für den Kontinent: Zwölf Prozent der bekannten Ölreserven der Welt liegen in Afrika und es sind längst nicht alle Vorkommen entdeckt. Nach Schätzungen der US-Energiebehörde EIA hatte Afrika 2014 Vorkommen von 126 Milliarden Fass Öl. Das entspricht einem Plus von rund 120 Prozent in den vergangenen 30 Jahren. Es wird davon ausgegangen, dass weitere 100 Milliarden noch nicht einmal entdeckt sind. 40 Prozent des Goldes, 80 Prozent des Platins und 60 Prozent des Kobalts liegen in Afrika.150

Doch die in manchen optimistischen Analysen angestellte Gleichung, »Afrika hat enorme Rohstoffe, deshalb hat es enorme wirtschaftliche Chancen«, ist zu simpel. Bodenschätze führen keineswegs automatisch zu Wohlstand, oft sind sie sogar einer Entwicklung eher hinderlich und werden zu Problemen für ein Land. Volkswirtschaften, die viele Rohstoffe exportieren, haben sich in der Vergangenheit oft darauf ausgeruht und es versäumt, die Produktion zu diversifizieren. Zudem gewann durch die Handelsüberschüsse die Währung stark an Wert, was dazu führte, dass die Produkte aus anderen Industriesektoren des Landes im Ausland zu teuer wurden und sich schlechter absetzen ließen, was die Abhängigkeit vom Rohstoffexport noch verstärkte.151 Und schließlich verführen große Rohstoffvorkommen die Eliten eines Landes zu einer Rentier-Ökonomie, die ihren Reichtum auf die Knappheit einzelner Güter stützt und nicht auf Gewinne, die Unternehmen erzielen. Es ist kein Zufall, dass die wirtschaftlich erfolgreichen Länder in Afrika keineswegs die mit den meisten Rohstoffvorkommen sind.

Der renommierte Ökonom Paul Collier hat untersucht, warum sich viele afrikanische Länder nicht entwickeln. Als einen Grund führt er großen Rohstoffreichtum an. Der Ökonom spricht von einer »Ressourcenfalle«. Neben den bereits beschriebenen negativen Folgen großer Rohstoffvorkommen nennt er weitere: Mit schwankenden Einkünften lasse sich schwer wirtschaften. Rohstoffpreise sind sehr volatil, wie gerade die vergangenen 20 Jahre demonstriert haben. Bei rapide steigenden Rohstoffpreisen witterten die Staatsministerien den großen Geldsegen und dementsprechend maßlos fielen ihre Haushaltsvorlagen aus.152 Wir werden in Kapitel 6 am Beispiel von Venezuela, dem Land mit den höchsten Ölvorkommen der Welt, sehen, welche fatalen Wirkungen stark steigende Rohstoffpreise haben, wenn eine Regierung die daraus erzielten Erlöse mit vollen Händen ausgibt.

Ghana ist ein Beispiel dafür, dass große Rohstoffvorkommen manchmal eher ein Fluch als ein Segen sind: Bis zur Entdeckung großer Ölvorkommen im Jahr 2007 war das Land auf einem guten wirtschaftlichen Weg. Drei Jahre nach dem Erdölfund 60 Kilometer vor der Küste lief die kommerzielle Förderung an. Der damalige Präsident John Kufuor verkündete euphorisch, Öl werde Ghana zum afrikanischen Tiger machen: »Mit Erdöl als Antrieb werden wir fliegen lernen.« Emmanuel Graham, Rohstoffexperte des Forschungsinstitutes Africa Centre for Energy Policy, deckte auf, dass beachtliche Summen der Erdölgelder in das Präsidentenbüro flossen. Graham meint, es sei kein Zufall, dass die Haushaltsdisziplin der Regierung erodierte, als die Ölförderung begann. »Vielleicht hat das schwarze Gold der Regierung tatsächlich etwas den Kopf verdreht«, fügt der Rohstoffexperte an. »Eine Alles-ist-möglich-Mentalität hat Einzug gehalten – eine Art psychologischer Rohstoff-Fluch.«153 Als die Rohstoffpreise zurückgingen, wurden die Probleme offensichtlich. Das Land ist heute wieder so hoch verschuldet, dass es unter der Aufsicht des IWF steht.

Dass andererseits Rohstoffmangel kein Nachteil sein muss, belegt die Geschichte des kleinen ostafrikanischen Landes Ruanda, das eine erstaunliche Entwicklung hinter sich hat. Mitte der 90er-Jahre kam dort bis zu eine Million Menschen bei dem Völkermord der Hutu an der Minderheit der Tutsi ums Leben, darunter nahezu die gesamte Elite des Landes. Heute ist Ruanda nicht wiederzuerkennen. »Das Land hat heute ein gut ausgebautes Straßensystem, in der Hauptstadt Kigali sind überall Bauarbeiten im Gange und freie drahtlose Internetverbindungen sind in den Restaurants und Cafés eine Selbstverständlichkeit.« Ruanda hat eine Einschulungsrate von nahezu 100 Prozent und 91 Prozent der 13 Millionen Einwohner haben sogar eine Krankenversicherung. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum des rohstoffarmen Landes betrug in den Jahren 2001 bis 2015 jährlich etwa acht Prozent. »Die Regierung bekennt sich zu einer investorenfreundlichen Marktpolitik. Im ›Doing Business‹-Ranking der Weltbank ist das Land weit nach vorne gesprungen […] Angesichts fehlender Rohstoffe versucht das Land, Wissen als wichtigste Einnahmequelle zu generieren. Das Ziel ist, regionaler Führer bei den Informations- und Kommunikationstechnologien zu werden.«154 Wirtschaftliche Freiheit ist wichtiger als Rohstoffreichtum, wie das Beispiel Ruandas belegt. Im Ranking der wirtschaftlich freiesten Länder der Welt belegt Ruanda immerhin Platz 51 von 180 – vor Spanien und Frankreich, die nur auf Platz 69 und 72 liegen.155 Von den 48 Ländern Subsahara-Afrikas liegt Ruanda auf Platz drei und macht weitere Fortschritte.156

Kenia ist ein weiteres Beispiel dafür, dass kein Land in Afrika auf Rohstoffe angewiesen ist, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein.157 Die ehemalige britische Kolonie war schon immer eine der wirtschaftlich potentesten Regionen in Ostafrika, wenn nicht auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Der Äquator durchschneidet das Land und trotzdem herrscht keine tropisch-schwüle Hitze wie im Westen Afrikas. Ganzjährig werden angenehme Temperaturen verzeichnet, da große Flächen des Landes auf 1.800 bis 2.200 Meter Höhe liegen. Das milde Klima, gepaart mit der Höhenlage, begünstigt den Anbau von Kaffee und Tee – in ihrem berühmten Roman »Out of Africa« hat dies die dänische Schriftstellerin Karen Blixen eingängig beschrieben. Hinzu kamen in den Savannen Viehzucht und später der Anbau von weiteren Kolonialwaren wie Ananas.

Der größte Vorteil Kenias sind seine Unternehmer. Nach der Unabhängigkeit der vormaligen britischen Kolonie 1963, die der Bevölkerung die Abschaffung von Einschränkungen bei Reise, Niederlassung und Beruf brachte, setzte rasch ein kräftiger Aufschwung ein, getragen von Tausenden lokalen Unternehmern und dem Zufluss ausländischen Kapitals. Trotz der auch hier verbreiteten Korruption in Regierung und Verwaltung riss dieser Aufschwung nie ab. Ungeachtet aller politischen Probleme entwickelte sich in Kenia ein breites Unternehmertum, angefangen von kleinen Handwerkern, die je nach Auftragslage mal ein paar Arbeitskräfte einstellen, bis hin zu Unternehmen, die ihre Einflusssphäre weit über die Landesgrenzen hinaus nach ganz Ostafrika ausgeweitet haben.

So gründete der Kenianer Peter Munga im Jahr 1984 nach dem Vorbild der deutschen Bausparkassen die Equity Bank, die breiten ärmeren Bevölkerungsschichten ein erstes bescheidenes Eigenheim finanzieren sollte. Munga verfügte über ein Startkapital von nur 5.000 kenianischen Schilling, nach damaliger Rechnung gerade einmal 100 Dollar. Mehrmals stand Munga knapp vor dem Bankrott. 1993 holte er James Mwangi in die Bank, der damals gerade 31 Jahre alt war. Dennoch vertraute Munga ihm die Führung der Bank an, ein Glücksgriff, wie sich erweisen sollte. Heute ist die Equity Bank unter der gemeinsamen Führung Mungas und Mwangis einer der bedeutendsten Finanztitel an der Aktienbörse von Nairobi und die größte Bank Ostafrikas. Doch eines ist sie immer geblieben: eine Art Raiffeisenbank, die jene Bankkunden betreut, die sonst keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen bekämen.

Mit Beginn des neuen Jahrtausends beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum so stark, dass Kenia zum Wirtschaftsmotor in diesem Teil des Kontinents wurde – ganz ohne Öl, Diamanten, Gold oder seltenen Erden. Auslöser für diesen Boom war die Kombination aus Internet und Mobilfunk. Hinzu kam M-Pesa, eine neue Art von Handy-Banking, das der Mobilfunkkonzern Safaricom einführte. Handybanking revolutionierte von Grund auf die kenianische Wirtschaft. Auf einmal konnten die vielen Millionen Kenianer, die den kenianischen Banken zu arm waren, Geld versenden und bargeldlos bezahlen.

M-Pesa basiert darauf, dass eine Mobilfunkrechnung im Prinzip nicht anders funktioniert als ein Bankkonto: Bei einem Prepaidvertrag lädt der Nutzer ein Guthaben auf und die Telefongebühren werden abgebucht, bis sein Guthaben aufgebraucht ist. Aber warum soll ein Mobilfunknutzer nur so viel einzahlen dürfen, wie er für seine Telefonate und SMS benötigt? Ausgehend von dieser Überlegung ermöglicht M-Pesa die Einzahlung von Guthaben, das dann per SMS anderen Mobilfunknutzern gutgeschrieben wird.

Viele kenianische Familienväter arbeiten in Nairobi und bleiben dort, je nach Auftragslage, eine Woche, zwei oder auch einen Monat. Wollten sie ihrer Familie, die meist auf dem Land lebt, vor der Einführung von M-Pesa Geld schicken, mussten sie einem Fahrer der unzähligen Kleinbusse im Land einen Briefumschlag geben und eine saftige Gebühr bezahlen, damit ein Familienmitglied an einem vereinbarten Haltepunkt den Briefumschlag in Empfang nehmen konnte. Dieses System war zwar zuverlässig, aber teuer und umständlich. Dank M-Pesa kostet eine Überweisung einen Bruchteil und ist in Sekundenbruchteilen erledigt.

Inzwischen werden über M-Pesa nicht nur Miete, Stromrechnungen und Steuern bezahlt, sondern auch Aktiengeschäfte und sogar der Abschluss von Versicherungen abgewickelt. M-Pesa setzte Kaufkraft frei, was der Bevölkerung den Kauf von Handys, den Abschluss von ersten einfachen Krankenversicherungen, den Erwerb von Medikamenten und vielen anderen Haushaltsdingen ermöglichte. Einer Schätzung zufolge hat M-Pesa immerhin zwei Prozent der kenianischen Bevölkerung aus der schlimmsten Armut herausgeholfen.158 Heute werden mehr als 40 Prozent der kenianischen Wirtschaftsleistung über M-Pesa und vergleichbare Firmen abgewickelt.159

Vor allem aber hat die Verbindung von Internet und Mobilfunk einen Gründerboom sondergleichen ausgelöst. Überall in Nairobi entstehen Start-up-Zentren wie 88mph160, in denen die Apps der Zukunft für den gesamten afrikanischen Kontinent entwickelt werden. Während europäische Unternehmer noch an Websites für Laptop oder Desktop hängen, haben afrikanische Unternehmer längst die Zukunft für sich entdeckt und wenden sich hauptsächlich an mobile Internetnutzer. Websites gehören in Kenia weitgehend der Vergangenheit an. Heute zählen Apps. Rund um diese Gründerzentren in Kenia haben sich Start-up-Finanziers, Venture Capital-Funds und zahlreiche andere Dienstleister entwickelt. Und dieser Gründerboom ist stabiler als eine Wirtschaft, die vor allem auf dem Reichtum an Rohstoffen basiert.

Afrikas Unternehmer und die neue Mittelschicht

Es wäre also falsch, positive Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent nur auf die gestiegenen Rohstoffpreise zurückzuführen. Dank Internet und Mobilfunk nahm der Durchgriff des Staates auf viele Branchen ab. Dadurch konnten sich Unternehmer etablieren, die nicht mehr nur vom Wohlwollen des Staates abhängig waren oder von direkten Beziehungen zur Politik profitierten. Es entstand eine selbstbewusste Klasse afrikanischer Unternehmer.161 Viele dieser jungen Unternehmer haben im Ausland studiert – in Europa oder den USA, aber auch in China oder Indien. Oft haben sie in internationalen Konzernen gearbeitet, bevor sie nach Afrika zurückgekehrt sind.

»Unbemerkt vom reichen Norden entsteht in Afrika eine Unternehmerschicht, die den Aufschwung auf diesem Kontinent vorantreibt und gestaltet«, berichtet Christian Hiller von Gaertringen in seinem Buch »Afrika ist das neue Asien«.162 Wer die lebensnahen Beispiele von Unternehmertum in diesem Buch liest, ist beeindruckt und wird erinnert an den Unternehmertyp, den der Ökonom Schumpeter als wichtigste Voraussetzung für den Erfolg des Kapitalismus so eindrücklich beschrieben hat.

Zu ihnen gehört der 1946 im Sudan geborene Mo Ibrahim, der in Afrika zu einer Legende wurde.163 Er war maßgeblich an der Entwicklung des Mobilfunks auf dem Kontinent beteiligt und damit an der wohl größten Umwälzung seit dem Ende des Kolonialismus. Er hatte in England promoviert und war dort beim Aufbau der mobilen Kommunikation von British Telecom beteiligt. Ibrahim schlug dem Unternehmen den Aufbau eines Mobilnetzes in Afrika vor, doch British Telecom erkannte diese einmalige Chance nicht, was sich im Nachhinein als das größte Glück für ihn herausstellte. 1989 verließ er das Unternehmen und gründete zunächst die Beratungsgesellschaft MSI (Mobile Systems International), die er im Jahr 2000 für 900 Millionen Dollar an das britische Unternehmen Marconi Company verkaufte. Zuvor hatte er eine Mobilfunkgesellschaft, die Celtel International, von dem Unternehmen abgespalten, mit der es ihm gelang, die milliardenschwere Finanzierung des Mobil-Netzwerkes in Afrika zu stemmen. Sein Unternehmen expandierte schon bald nach Nigeria, Kenia, Uganda, Tansania, Malawi, Sambia, die DR Kongo, Kongo-Brazzaville, Tschad, Niger, Burkina Faso, Sierra Leone, Gabun, Madagaskar und – unter anderem Markennamen – nach Ghana und Sudan. Im Jahr 2005 verkaufte er sein Unternehmen für 3,4 Milliarden Dollar an das kuwaitische Konkurrenzunternehmen Zain, das einige Jahre später für sein gesamtes Afrika-Geschäft 10,7 Milliarden Dollar bekam.

Gerade der Mobilfunkmarkt ist ein Beispiel dafür, dass wir in Europa und Amerika die Entwicklung in Afrika nicht richtig wahrnehmen. Die Penetrationsrate für Mobilfunkteilnehmer (d.h. die Zahl der Mobilfunkanschlüsse pro 100 Einwohner) explodierte in Afrika binnen zehn Jahren von 15,3 Prozent auf 84,9 Prozent (2015)164, in 14 afrikanischen Ländern lag sie 2014 sogar bei über 100 Prozent.165 Die praktischen Auswirkungen erläutert ein afrikanischer Unternehmer: Sein Fahrer musste früher drei oder vier Tage Zeit verbringen, um Geld zu seiner Familie nach Hause zu schaffen, heute erledigt er das per SMS.166 Früher mussten die Gemüseverkäuferinnen von Haus zu Haus gehen und fragen, wer welches Gemüse haben wollte. Heute nehmen sie die Bestellungen mit dem Mobiltelefon entgegen und die Kunden zahlen auch mit dem Mobiltelefon.167 Auch das ist heute Afrika.

Als das Umfrageinstitut TNS im Auftrag der Europäischen Kommission europaweit fragte, welche positiven Bilder den Menschen zu Afrika einfallen, nannte jeder Dritte die Reservate, jeder Vierte die Schönheit von Natur und Landschaften. Ein Prozent dachte an neue Geschäftsmodelle wie etwa Bankgeschäfte per Mobiltelefon und zwei Prozent dachten an Unternehmergeist.168 Die andere Seite: Der nigerianische Investmentbanker und Unternehmer Tony Elumelu hat eine Stiftung gegründet, die einen jährlichen Preis für Existenzgründer unter 30 Jahren auslobt. Zuletzt bewarben sich mehr als 45.000 Unternehmer aus allen 54 afrikanischen Ländern, 1.000 von ihnen kamen in die engere Wahl.169

Es gibt also diese positiven Entwicklungen. Dass Afrika aber noch nicht weiter ist, liegt an den vielen Hemmnissen. Während es beispielsweise in Deutschland laut offiziellen Vergleichszahlen der Weltbank zehn Tage dauert, um ein Unternehmen zu gründen, benötigt man in Angola 36 Tage, in Nigeria 31 Tage und in Südafrika 46 Tage. Übrigens: In dem bereits erwähnten Ruanda, das sich durch eine besonders positive Entwicklung auszeichnet, dauert es nur halb so lange wie in Deutschland, nämlich 5,5 Tage. Und: Positiv wiegt, dass sich die Zahl der Tage, die es dauert, ein Unternehmen zu gründen, in einer Dekade erheblich verkürzt hat, in Mosambik waren es 2006 noch unglaubliche 174 Tage, heute sind es nur noch 19 Tage. Und in Sambia reduzierte sich die Zahl im gleichen Zeitraum um 27,5 auf nunmehr nur noch 7,5 Tage. Bemerkenswert ist auch, dass der gesellschaftliche Stellenwert von Unternehmertum in Subsahara-Afrika positiv belegt ist und eine große Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt, besonders in Botswana, Ghana und Ruanda.170

Afrika ist ein Kontinent der Gegensätze. Während nirgendwo sonst auf der Welt so viele Menschen hungern, wurde schon 2011 gemeldet, dass außerhalb seiner europäischen Heimat nur in Amerika mehr Champagner verkauft wurde als in Afrika, wohin zehn Millionen Flaschen exportiert wurden. Allein in Nigeria wurden mehr als 750.000 Flaschen abgesetzt.171 Die Zahl der Reichen wächst in Afrika stärker als in jedem anderen Kontinent. Der »Wealth Report« von Knight Frank zeigt, dass von den 20 Ländern, in denen die Zahl der Ultra High Net Worth Individuals (UHNWIs, Personen mit einem Nettovermögen von mindestens 30 Millionen Dollar) in den letzten zehn Jahren am stärksten gestiegen ist, mehr als die Hälfte in Afrika liegt. In Kenia wuchs beispielsweise von 2006 bis 2016 die Zahl der UHNWIs um 93 Prozent – noch stärker nahm sie weltweit nur in Vietnam, Indien und China zu. Für die kommenden zehn Jahre prognostiziert Knight Frank, dass die Zahl der UHNWIs in Afrika stärker wachsen wird als die in Amerika und Europa.172

Auch in Afrika gilt – wie in China –, dass mit der Zahl der Superreichen gleichzeitig die Mittelschicht wächst. Teilweise wird die Mittelschicht in Afrika schon auf 350 Millionen Menschen geschätzt, das wäre rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Kontinents. Die Zahl hat sich in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht. Allerdings bewegt sich die Hälfte dieser Gruppe nur knapp über der Armutsgrenze.173 Man muss dazu wissen, dass der Begriff Mittelschicht in den einschlägigen Studien nicht nach den Maßstäben von Industrieländern definiert wird, sondern nach denen von Entwicklungsländern. Danach beginnt die Mittelschicht genau dort, wo die Armut aufhört.174

Aber selbst wenn man den Begriff enger fasst, zählen heute in Afrika 150 Millionen Menschen zur Mittelschicht. Diese Menschen haben ein Leben fern von existenziellen Ängsten, mit bezahlbarer ärztlicher Versorgung, Urlaub, ein Leben mit Eigentum und der Möglichkeit, den Kindern eine viel bessere Ausbildung zu finanzieren, als sie selbst hatten. Die enorm steigenden Zahlen der Mobiltelefone oder der Autos sind ein Zeichen dafür, dass die Mittelschicht wächst.175 »Neue Restaurants, Maniküresalons, Autohändler, Kinos und Diskotheken verändern das Stadtbild afrikanischer Metropolen beinahe täglich. Die Kleidung der Afrikaner wird markenbewusster. Die Autos werden teurer, vor allem japanische und koreanische Autos. Es ist unverkennbar: Der Mittelstand in Afrika wächst.«176

Das Wachsen der Mittelschicht befördert die Urbanisierung. Die viertgrößte Stadt der Welt, direkt nach Mexiko-Stadt, Peking und Shanghai, liegt in Afrika: Es ist Lagos, die Hauptstadt von Nigeria mit über 18 Millionen Einwohnern. Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, hat über zehn Millionen Einwohner. In Afrika gibt es heute 46 Millionenstädte, doppelt so viel wie in Europa.177

Chinesen in Afrika

Neben der Etablierung einer afrikanischen Mittelschicht und der Herausbildung des Unternehmertums ist das starke wirtschaftliche Engagement von Ländern wie Indien, China und Brasilien ein Grund für den wirtschaftlichen Aufschwung. China, das selbst gerade erst den Weg von einem armen und sozialistischen Bauernland zum Kapitalismus gemacht hat, überträgt dieses Erfolgsmodell nun auf den afrikanischen Kontinent.

Das Konzept der Chinesen war einfach: In einer ersten Phase des chinesischen Engagements ging es ihnen vor allem darum, sich den Zugang zu den gigantischen Rohstoffquellen zu sichern, also Erdöl, Eisenerz, Diamanten, Baumwolle, Holz, Reis, Zuckerrohr usw. Im Austausch errichteten sie große Infrastrukturprojekte in Afrika und stellten dafür ihre Technologie zur Verfügung. In einer zweiten Phase begannen sie darüber hinaus, chinesische Konsumgüter nach Afrika zu exportieren. Sie sehen den Kontinent als den größten noch nicht erschlossenen Absatzmarkt. Afrika hat 1,2 Milliarden Einwohner und unter ihnen eine Viertelmilliarde neuer Konsumenten, die einer neuen Mittelschicht zugerechnet werden können. Und China hat diesen Markt längst für sich entdeckt, wenn auch zunächst noch häufig Produkte niederer Qualität zu mittleren Preisen geliefert wurden.178

In einer dritten Phase haben die Chinesen teilweise die Fertigung nach Afrika verlagert: Weil die Löhne dort niedriger sind als die inzwischen gestiegenen Löhne in China und weil dies auch ihr Image verbesserte: Sie konnten jetzt darauf hinweisen, in Afrika Arbeitsplätze zu schaffen. In einer vierten Phase gingen chinesische Unternehmen darüber hinaus dazu über, in Afrika Produkte für den afrikanischen Markt herzustellen.

Ein wichtiger Meilenstein für Chinas Engagement auf dem schwarzen Kontinent war eine Konferenz, die der chinesische Staatschef Hu Jintao im November 2006 in Peking einberief. Die Chinesen sparten keinen Aufwand, damit sich die Afrikaner wohlfühlten. Die Straßen waren voller Fahnen der 48 afrikanischen Staaten, die zu der Konferenz eingeladen waren. Dabei ging es nicht um Entwicklungshilfe wie bei entsprechenden Konferenzen, die in Europa abgehalten werden, sondern um wirtschaftliche Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen. »China setzt seine Ressourcenstrategie mit einer bemerkenswerten Souveränität durch und tut offenkundig alles, um sicherzustellen, dass beide Seiten von einem Rohstoffdeal profitieren. Die Motivation der Partnerländer ist auch nicht kompliziert: Sie benötigen die Infrastruktur und sie müssen Projekte finanzieren, die Wirtschaftswachstum freisetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind sie bereit, ihre Assets an den höchsten Bieter zu verkaufen. Das ist die Genialität der chinesischen Strategie: Jedes Land bekommt, was es will.«179 Zwischen 1998 und 2012 investierten 2.000 chinesische Firmen in 49 afrikanische Länder.180

Im November 2014 unterzeichnete China einen Vertrag über den Bau einer Eisenbahnlinie entlang der Küste Nigerias. Allein dieses Projekt kostet zwölf Milliarden Dollar. Der Bau der rund 1.400 Kilometer langen Strecke soll während der Bauphase 200.000 Stellen und dauerhaft 30.000 Jobs für Nigerianer schaffen181 – abgesehen von den wichtigen Langzeitwirkungen, die solch ein Projekt für Afrikas inzwischen größte Volkswirtschaft schaffen. Die China Railway Construction Corporation CRCC hat allein in Nigeria 112 Projekte mit einem Vertragsvolumen von 30 Milliarden Dollar.182

Die Bedeutung solcher Projekte kann gar nicht überschätzt werden, denn die unzureichende Infrastruktur – zu wenige und schlechte Straßen, Flugverbindungen, Bahnnetze und vor allem die mangelnde Versorgung mit Elektrizität – wird in Studien immer wieder als ein Haupthemmnis für die Entwicklung Afrikas benannt.183 Das haben die Chinesen natürlich auch erkannt, die deshalb massiv in die Entwicklung von Infrastruktur in Afrika investieren.

Zwar wird Chinas Afrikapolitik immer wieder als eigennützig kritisiert, doch diese Schelte ist nicht unbedingt überzeugend: Die Honkong-Chinesen investierten in China nach der Öffnung ebenfalls nicht aus Altruismus, sondern aus ökonomischem Eigennutz. Und die europäischen Firmen, die in China produzieren ließen und lassen, tun dies ebenso wenig als Maßnahme uneigennütziger Entwicklungshilfe. Aber China hat seinerzeit ebenso davon profitiert, wie Afrika heute von den chinesischen Investments profitiert. »Allein die 20 Jahre chinesischer Investitionen in Afrika«, so konstatieren die China-Experten Andreas und Frank Sieren, »haben dem Kontinent mehr geholfen als ein halbes Jahrhundert westlicher Entwicklungshilfe.«184

Umfragen belegten, dass schon nach wenigen Jahren die Chinesen in den meisten afrikanischen Ländern wesentlich beliebter waren als Amerikaner oder Vertreter anderer Nationen.185 Allerdings waren die Chinesen nach wenigen Jahren auf dem Weg, diesen Vertrauensvorschuss der Afrikaner teilweise wieder zu verspielen. Ihr Ruf litt unter Waren mangelnder Qualität und man warf ihnen vor, keine Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen. Auch deshalb haben die Chinesen, wie erwähnt, inzwischen teilweise die Produktion nach Afrika verlagert. Erfolgreich haben sie ein Modell, das – wie in Kapitel 1 gezeigt – in China so sehr zum wirtschaftlichen Erfolg und zur Durchsetzung des Kapitalismus beigetragen hat, auf Afrika übertragen und dort zahlreiche Sonderwirtschaftszonen etabliert.186

Afrika – das zweite Asien?

Werden die Investitionen von China, Indien und anderen Ländern die gleichen Wirkungen haben wie die ausländischen Investments in China nach dessen Öffnung? Ist Afrika das zweite Asien, wie es manchmal heißt? Zweifel sind erlaubt. Denn ausländische Investments und die Etablierung einer stärker marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung in den Ländern sind nur zwei Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand. In Afrika gibt es viele negative Faktoren, die es in China damals nicht gab: Bürgerkriege, Stammesrivalitäten und fehlende Institutionalisierung. Fraglich ist zudem, ob die – auch im Vergleich zu Europa und Nordamerika – extrem ausgeprägte Leistungsbereitschaft und Disziplin, die für viele asiatische Länder so charakteristisch ist, in afrikanischen Ländern im gleichen Maße vorhanden ist oder sich entwickeln wird.

Eines der Hauptprobleme in Afrika ist, dass in vielen Ländern die Rolle des Staates immer noch zu stark ist. Der Staat spielt, wie Untersuchungen belegen, für das Geschäftsleben in Afrika eine größere Rolle als in anderen Teilen der Welt.187 Sam Jonah, früher CEO von AngloGold Ashanti, der ersten afrikanischen Firma, die an der New Yorker Börse notiert war, erklärt die negativen Auswirkungen der dominanten Rolle des Staates in vielen afrikanischen Ländern: »Afrikanisches Geld, wie Geld überall, fließt dorthin, wo das Ausfallrisiko am niedrigsten ist. Wenn ein Geschäft primär durch politische Beziehungen bestimmt wird und man deshalb ein geringeres Risiko hat, werden das viele Leute lieber machen, als ein Projekt zu finanzieren, das all die finanziellen und operativen Risiken eines produktiven Unternehmens mitbringt.«188

Die Regierungen haben ihr Verhältnis zu den großen Unternehmen traditionell als ein Nullsummenspiel gesehen. Der Geschäftsführer eines Family Offices in Senegal bringt es auf den Punkt: »Wenn du zu groß oder zu mächtig wirst, dann wird sich jemand in der Regierung dadurch bedroht fühlen und diesen Kampf kannst du nicht gewinnen.«189 Und ein Unternehmen könne nie sicher sein, wann es aus Sicht der Regierung zu mächtig werde. Es gebe jedoch Hoffnungen, dass die Angst der Regierungen vor zu mächtigen Unternehmen und Unternehmern in Afrika unter dem Einfluss der asiatischen Erfahrung geringer werde. Die Ansicht, dass weniger Kontrolle über die Wirtschaft automatisch die herrschende Regierungspartei schwächen müsse, wandle sich unter dem Eindruck gegenläufiger Beispiele, wie etwa in China.190

Nach Zhang Weiying ist eine wichtige Voraussetzung für die Etablierung des Kapitalismus in einem Land, dass es für talentierte Menschen attraktiver wird, in der freien Wirtschaft als für den Staat zu arbeiten.191 Dafür bedarf es insbesondere auch Unternehmer-Vorbilder, denen die Menschen nacheifern. Solche Vorbilder gibt es inzwischen in Afrika. Moky Makura hat in einem beeindruckenden Band 16 der erfolgreichsten Unternehmer Afrikas porträtiert und diese Persönlichkeiten sind Vorbilder für eine aufstrebende Unternehmergeneration und für junge Menschen, die nicht mehr von einem Beamtenjob träumen, in dem sie durch Bestechung reich werden, sondern vom Unternehmertum.

Die Chancen in Afrika sind also deutlich erkennbar. Aber viele Erklärungsmodelle für den von manchen Beobachtern erwarteten großen Afrika-Boom sind zu einfach. Sie übertragen das, was in Asien geschehen ist, auf Afrika, ohne ausreichend über die Unterschiede zu reflektieren. Wir haben gesehen, dass Formeln wie »Afrika hat so viele Rohstoffe, deshalb wird es stark wachsen« zu simpel sind: Erstens gab es die Rohstoffe ja auch schon vor 50 Jahren, und zweitens haben wir gesehen, dass reichhaltige Rohstoffe manchmal sogar eher von Nachteil für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sind.

Das Argument, dass Afrika so stark wächst und eine junge Bevölkerung hat, was zu einer »demografischen Dividende« führen werde, hat einen wahren Kern: Es werden in einem bestimmten Zeitfenster unbegrenzt junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, während junge oder alte abhängige, weil nicht arbeitende Bevölkerungsteile begrenzt bleiben.192 In den Jahren 2025 bis 2030, so hat die Weltbank berechnet, wird der Beitrag der jungen Bevölkerung zum Wachstum am höchsten sein (ca. 0,5 Prozentpunkte), danach wieder abnehmen, aber auf lange Zeit positiv sein.

Andererseits gibt es gegenläufige Thesen, die davon ausgehen, dass die Bevölkerung viel schneller wächst, als das Arbeitsplatzangebot wachsen kann. Allein die beiden Nachbarländer Niger und Nigeria werden nach UN-Prognosen im Jahr 2050 so viele Einwohner haben wie heute die gesamte Europäische Union.193 Auch wissen wir nicht, wie sich die Bevölkerungsbewegung von Afrika nach Europa entwickeln wird und was es für Afrika heißt, wenn es in hoher Zahl Menschen verliert, die meist gerade nicht zu den Ärmsten gehören, weil Letztere sich eine Flucht gar nicht leisten können.

Die künftige Entwicklung in Afrika ist aus all diesen Gründen ungewiss. Eines ist aber heute schon zu erkennen: Wachstum und Wohlstand finden auch in Afrika unter kapitalistischen Voraussetzungen eher statt als seinerzeit in den Staats- und Planwirtschaften des »afrikanischen Sozialismus«. Nicht in jedem Land bewirkt die Einführung des Kapitalismus die gleichen Ergebnisse, aber sie ist ein Katalysator für die Mehrung des wirtschaftlichen Wohlstandes.

Das hat inzwischen übrigens auch der U2-Rocksänger Bono erkannt, der früher weltweit die großen Afrika-Festivals organisierte, bei denen der Kapitalismus angeprangert und mehr Entwicklungshilfe als Lösung zur Überwindung von Hunger und Armut in Afrika propagiert wurde. Bono hat sich durch Tatsachen überzeugen lassen: »Handel [und] unternehmerischer Kapitalismus befreit mehr Menschen aus der Armut als Hilfe. Afrika muss eine Wirtschaftsmacht werden.«194 Bob Geldorf, der die Live-Aid-Konzerte für Afrika mit ins Leben gerufen hatte, gründete zusammen mit Partnern einen Private-Equity-Fonds, weil er sah, dass es mehr braucht als nur wohltätige Spenden, damit Afrika seine Probleme löst: privates Kapital.195

Der Afrika-Experte Vijay Mahajan kommt zu dem Ergebnis: »Unternehmertum und die Entwicklung von Konsumentenmärkten können der klarere, stabilere und wirksamere Treiber für einen langfristigen Fortschritt sein als politische Reformen. Professor Pat Utomi von der Lagos Business School empfahl einmal – nur halb im Scherz –, wenn man das ganze Öl Nigerias dem Militär und den Politikern unter der Bedingung geben würde, dass sie die Nation zufriedenlassen, dann wäre die Nation besser dran.«196

Die Wahrnehmung von Afrika schwankt in Europa und den USA zwischen zwei Extremen: Manche sehen nur die hungernden Menschen, schreiende Armut, AIDS, Korruption und andere schwerwiegende Probleme. Andere betonen sehr optimistisch und manchmal euphorisch die Chancen und sehen Afrika als zweites Asien. Vertreter beider Sichtweisen können viele Belege anführen. Für risikobereite Investoren ist jedoch gerade die oft einseitig negative Wahrnehmung Afrikas eine Chance. Der bereits zitierte Unternehmer Mohamed Ibrahim brachte es auf den Punkt: »Wenn es im Geschäftsleben eine Lücke zwischen der Realität und der Wahrnehmung gibt, kann man gute Geschäfte machen.«197