9 Vögel

Barbara Schneider

Eine Vielzahl unterschiedlicher Vogelarten kann zum Patientenpool einer Tierarztpraxis gehören. So werden beispielsweise Groß- und Kleinpapageien als Heimtiere gehalten, aber auch Sperlingsvögel. Zudem bedürfen auch Wildvögel immer wieder einmal tierärztlicher Betreuung. Eine ausführliche Besprechung jeder einzelnen Vogelart sprengt aber bedauerlicherweise den Rahmen dieses Buches. Daher wird der Fokus in diesem Kapitel auf die häufigsten Ziervögelarten gelegt.

9.1 Allgemeines

Vögel reagieren in der Regel mit Fluchtverhalten auf eine unbekannte Situation ▶ [110]. Zudem zeigen sie sich reaktiv bei jeglichen unbekannten visuellen und akustischen Einflüssen. Häufig kommt es im Rahmen der „Flight-or-Fight“-Antwort zu einer kopflosen Flucht (Stress- und Schockreaktion), bei der sich der Vogel durchaus schwer verletzen kann. Es empfiehlt sich daher, auch für Vögel im Idealfall gesonderte Sprechstunden anzubieten bzw. wenn möglich eine Terminpraxis für Vogelpatienten zu haben.

9.1.1 Körpersprache

Vögel verwenden eine ganze Reihe körpersprachlicher Signale in der innerartlichen Kommunikation. Im Folgenden sind einige Signale aufgeführt, die bei vielen der normalerweise behandelten Vogelarten vorkommen und dem Tierarzt und Assistenten bekannt sein sollten. Diese Liste ist bei weitem nicht erschöpfend.

9.1.1.1 Angstverhalten

9.1.1.2 Drohverhalten

9.1.2 Vokalisation

Papageien können bei Abwehr sehr laute Schreie ausstoßen. Ein entsprechender ▶ Gehörschutz sollte somit getragen werden.

9.1.3 Erkennen von Schmerzen

Vögel besitzen ein nur sehr gering ausgeprägtes subjektives Schmerzäußerungsvermögen, welches in der Regel auch noch durch den übergeordneten Fluchtreflex kaschiert wird. Zudem müssen bei der Beurteilung von Schmerzen verschiedenste Faktoren, wie beispielweise Spezies, Geschlecht, Alter, Umgebung und aktuelle Erkrankungen berücksichtigt werden ▶ [107]. Vielen Besitzern und auch Tierärzten fällt es daher verständlicherweise schwer, Schmerzen bei Vögeln sicher zu erkennen. Daher werden Vögel häufig nicht ausreichend gegen Schmerz behandelt. Bei ersten erkennbaren Schmerzanzeichen sollte daher aus Tierschutzgründen immer eine Schmerztherapie erfolgen, auch wenn vielleicht zu diesem Zeitpunkt die zugrunde liegende Erkrankung noch nicht diagnostiziert sein sollte.

Vögel zeigen Schmerzen oft nur auf subtile Art und Weise, beispielsweise durch ein aufgeplustertes Federkleid oder eine erhöhte Atemfrequenz ▶ [108].

Das sehr empfehlenswerte Infoblatt zur Schmerzerkennung beim Vogel der Initiative tiermedizinische Schmerztherapie ▶ [103] beschreibt folgende mögliche Schmerzanzeichen anhand veränderten Verhaltens bzw. veränderter Körpersprache:

9.1.3.1 Erkennen von Schmerzen aufgrund des Verhaltens

9.1.3.2 Erkennen von Schmerzen aufgrund von Körpersprache/Aussehen

9.1.3.3 Mögliche Anzeichen für Schmerzen bei Psittaciden

Lightfoot u. Nacewicz ▶ [105] beschreiben folgende Signale:

Paul-Murphy ▶ [107] beschreibt folgende Verhaltensweisen als deutlichste Schmerzanzeichen:

9.2 Vorbereitung auf den Tierarztbesuch

9.2.1 Handzahmheit trainieren

Zur Auswirkung von Handling auf das Verhalten von Ziervögeln gibt es bislang kaum wissenschaftlich fundierten Studien. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Ergebnisse aus der Forschung mit Brieftauben und jagdlich geführten Greifvögeln in gewissem Rahmen auch auf andere Vogelspezies übertragen lassen. So sind Brieftauben, die häufig fachgerecht gehandelt wurden, unter Umständen auch bei einem Handling in der Tierarztpraxis ruhiger, und ihre Atem- und Herzfrequenz verändert sich kaum ▶ [106]. Jagdlich geführte Falken, die regelmäßiges Handling gewöhnt sind, haben ebenfalls im Gegensatz zu wenig gehandelten Tieren beispielsweise eine deutlich niedrigere Herzfrequenz bei einer Untersuchung ▶ [109].

Bei als Heimtieren gehaltenen Vögeln sollte daher wenn möglich versucht werden, eine Handzahmheit zu erreichen. Dies hilft sehr dabei, den Stress, der mit einem Handling in der Tierarztpraxis verbunden ist, zu reduzieren.

Das Erreichen der Handzahmheit gelingt mit viel Geduld, ruhigen Bewegungen und vielen, besonders schmackhaften Leckerlis bzw. begehrten Spielzeugen oder Lob. Im ersten Schritt muss der Vogel zunächst an die Anwesenheit des Menschen in Käfignähe gewöhnt werden. Das Tolerieren des Menschen sollte verbal belohnt werden. Dabei ist auf eine ruhige Stimmlage zu achten, um den Vogel nicht zu erregen. Wenn der Vogel beginnt unruhig zu werden, muss die Distanz zum Käfig wieder vergrößert werden. Nur so kann der Vogel lernen, dass von dem Menschen keine Gefahr ausgeht. Toleriert das Tier den Menschen schließlich direkt am Käfig, kann der nächste Schritt, nämlich die Gewöhnung an die Hand, erfolgen. Die Hand sollte anfangs langsam ein kleines Stück in den Käfig geschoben werden. Wenn der Vogel darauf mit panischer Flucht reagiert, dann muss der Versuch abgebrochen werden. In diesem Fall muss im ersten Schritt trainiert werden, dass die Hand am Käfig akzeptiert wird. Fliegt der Vogel bei der Hand im Käfig nicht davon, dann sollten Leckerbissen (oder bessser: Lob oder Spielzeug) angeboten werden. Die Hand muss ruhig liegen bleiben und sollte den Vogel nicht durch plötzliche Bewegungen erschrecken. Dies wird täglich für 5–10 Minuten gemacht. Sobald der Vogel sich traut, Leckerlis oder Spielzeuge in direkter Nähe der Hand zu nehmen, kann die Belohnung auch in der Hand gehalten werden. Gleichzeitiges Sprechen in einer ruhigen, sanften Stimmlage ist ebenfalls sinnvoll. Schließlich wird der Vogel auch auf der Hand sitzen, um begehrte Belohnungen zu erhalten ( ▶ Abb. 9.1).

9.2.2 Einfangen und fixieren trainieren

Das Einfangen und Handling ist für kleine Schwarmvögel überaus aufwendig zu trainieren. Daher ist es eigentlich nur sinnvoll, wenn der entsprechende Vogel regelmäßig gehandelt werden muss, beispielsweise um den Schnabel zu kürzen. Sind kleine Schwarmvögel dies nicht gewöhnt, sollte das Einfangen und Handeln – für sie möglichst stressarm – im Idealfall in einem dunklen Raum durchgeführt werden.

Bei Großpapageien kann es dagegen durchaus sinnvoll sein, ein Einfangen und Fixieren vorab schrittweise zu üben, um den Stress für den Vogel und auch die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen beim Praxispersonal zu reduzieren. Voraussetzung für dieses Training ist es, dass der Vogel bereits an die Hand im Käfig und an seinen Besitzer gewöhnt ist. Das Trainieren des Einfangens sollte immer spielerisch geschehen und mit viel Lob und Leckerlis bzw. Spielzeugen unterstützt werden.

In einem ersten Schritt kann beispielsweise trainiert werden, dass der Vogel auf ▶ Kommando auf den Finger des Besitzers steigt. Klappt dieser Schritt, kann das sanfte Fixieren des Kopfes mit Daumen und Zeigefinger geübt werden. Dabei ist es wichtig, immer in kleinen Schritten voranzuschreiten, in der individuellen Lerngeschwindigkeit des jeweiligen Papageis. Jegliches ruhige und angstfreie Verhalten sollte großzügig belohnt werden.

9.2.3 Kommandos trainieren (für Großpapageien)

Das Trainieren von Kommandos ist bei Großpapageien, wenn es ausschließlich mit positiven Methoden (z.B. Clickertraining) durchgeführt wird, zusätzlich als gute mentale Auslastung bzw. Enrichment zu sehen.

Die Kommandos „Auf!“ und „Ab!“ sind besonders sinnvoll, da sie es erlauben handzahme Vögel stressfrei aus dem Transportkäfig zu entnehmen und wieder hineinzusetzen. Idealerweise wird dies mithilfe des ▶ Clickertrainings trainiert.

Abb. 9.1 Wenn ein gutes Vertrauensverhältnis zum Besitzer besteht, kommt ein Vogel auch ohne Kommando auf den dargebotenen Finger.

(Quelle: Stephan Vollmar, München.)

5804074.tif

Eine Möglichkeit ist es, bei einem derart trainierten Vogel den Finger (bzw. die Handkante) in den Käfig zu schieben und ihn so zu halten, dass es für den Vogel leicht ist, auf ihn wie auf eine Sitzstange aufzusteigen. Es ist dabei wichtig, den Finger ruhig zu halten und keine plötzlichen Bewegungen zu machen, die den Vogel erschrecken könnten. Die Belohnung und der Clicker sollten sich in der anderen Hand befinden. Bei scheuen Vögeln sollte anstatt der Hand eine Stange dargeboten werden, um Verletzungen durch Bisse zu verhindern.

Anfangs wird jede Annäherung an den Finger bzw. die Stange mit Click und Leckerbissen belohnt. Wenn der Vogel sich schließlich ohne zu zögern dem Finger nähert, auch wenn er sich in einiger Entfernung befindet, dann ist es Zeit für den nächsten Schritt. Jetzt wird erst belohnt, wenn der Vogel tatsächlich auf den Finger aufsteigt. Es kann dabei sinnvoll sein, zunächst eine „Jackpot“-Belohnung zu geben, um die Lerngeschwindigkeit zu erhöhen. Hat der Vogel diesen Schritt verstanden, dann kann ein entsprechendes Kommando (z.B. „Auf!“ oder „Step up!“) hinzugefügt werden.

Das Kommando „Ab!“ oder „Steig ab!“ wird am besten trainiert, indem der auf dem Finger sitzende Vogel neben einen Gegenstand gehalten wird, auf dem er normalerweise gerne sitzt (z.B. Sitzstange). Sobald er vom Finger absteigt, wird er mit einem Click und einem Leckerli belohnt. Wenn er nach mehreren Wiederholungen sicher verstanden hat, dass er absteigen soll, dann sollte das Wortsignal hinzugefügt werden. Selbstverständlich kann der Vogel auch neben eine Sitzstange gehalten werden und das Kommando „Auf!“ erhalten, um auf die Sitzstange zu steigen. Dies kann verwendet werden, wenn das „Auf!“-Signal nicht ausschließlich für den Finger gelten soll.

Merke

Die Trainingsgeschwindigkeit ist dem jeweiligen Vogel individuell anzupassen.

9.2.4 Transportkäfig

Prinzipiell ist es am stressärmsten für einen Vogel, im Heimatkäfig zum Tierarzt gebracht zu werden. Da Vögel jedoch einen großen Platzbedarf haben und generell in großen Volieren oder Vogelzimmern gehalten werden sollten (siehe beispielsweise Merkblätter der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V.), ist es in der Regel nicht möglich, den Heimatkäfig zu transportieren. Außerdem besteht in einem großen Käfig eine nicht unerhebliche Verletzungsgefahr für Vögel. Aus diesen Gründen sollte man einen Transportkäfig (besser: eine Transportschachtel) verwenden. Zudem lassen sich die Vögel in der Praxis in der Regel leichter und somit stressärmer aus einer kleinen Schachtel bzw. einem kleinen Käfig ( ▶ Abb. 9.2) herausfangen, wenn sie nicht handzahm sind.

Abb. 9.2 Aus einem kleinen (Transport-)Käfig kann ein nicht handzahmer Vogel stressärmer herausgefangen werden als aus einer großen Voliere.

(Quelle: Dr. Ilona Backofen, Dietenheim.)

5804075.tif

Als Transportbehältnis besonders geeignet sind Pappschachteln, die es dem Vogel gerade nicht erlauben seine Schwingen voll zu entfalten. In solchen Behältern ist die Verletzungsgefahr während des Transports am geringsten. Außerdem werden so vor allem visuelle Reize gut eingeschränkt. Selbstverständlich muss die Schachtel mit Luftlöchern versehen sein. Wenn keine passende Schachtel zur Hand ist, können eventuell auch kleine Käfige, die routinemäßig als Futter- oder Schlafkäfige dienen, verwendet werden. Die Vögel kennen sie und fühlen sich darin wohl. Mit einem besonderen Leckerbissen (z.B. Kolbenhirse) lassen sich die Vögel meist leicht hineinlocken. Näpfe sowie Spielzeuge müssen wegen der Verletzungsgefahr vor dem Transport entfernt werden. Gleiches gilt für Sitzstangen, außer bei Finkenvögeln.

Diese Käfige müssen für den Transport und die Zeit im Wartezimmer zwingend mit einem Tuch abgedeckt werden. Das Tuch sollte dabei eher hell sein, um eine deutliche Sichteinschränkung (und somit Reizreduzierung) zu erreichen, ohne allerdings dabei den Käfig so stark zu verdunkeln, dass der Vogel Orientierungsprobleme bekommt.

Während Transport und Wartezeit in der Praxis sollte für den Vogel zudem seine gewohnte und angenehme Umgebungstemperatur geschaffen werden. Dies kann beispielsweise durch das Verwenden einer Decke zur Abdeckung des Käfigs geschehen. Hier ist jedoch wieder darauf zu achten, dass die Decke den Käfig nicht zu sehr verdunkelt. Bei einem Transport bei warmem Wetter ist einer Überhitzung durch entsprechende Lüftung oder Kühlung entgegen zu wirken.

Der Boden des Transportkäfigs sollte mit einer dicken Lage Zellstoff oder Papier ausgelegt werden. Dies erlaubt dem Vogel ein bequemeres Sitzen auf dem Boden und gibt ihm einen gewissen Halt. Zudem können Ausscheidungen auf diesem Untergrund besser beurteilt werden.

Praxistipp

Was zum Tierarztbesuch mitgenommen werden sollte

9.3 Situationen in der Tierarztpraxis

Die meisten als Heimtiere gehaltenen Vögel sind Beutetiere und sollten nach Möglichkeit getrennt von Hunden und Katzen in einem Wartezimmer untergebracht werden. Sie müssen immer auf einem erhöhten Ort abgestellt werden, und der Käfig sollte mit einem (hellen) Tuch vollkommen bedeckt sein, um die visuellen Reize einzuschränken und die Wahrscheinlichkeit für kopfloses Fluchtverhalten zu reduzieren.

Ruhe, gedimmtes Licht und langsame Bewegungen sind in den Behandlungsräumen wichtig, um ein möglichst stressarmes Handling zu gewährleisten.

9.3.1 Handling

9.3.1.1 Umgangsregeln

Vögel sind äußerst stressempfindlich – vor allem, wenn sie ein Handling nicht gewöhnt sind. Besonders bei kleinen, bereits vorerkrankten Vögeln gibt es daher das Risiko, dass sie beim Handling einen stressbedingten Tod erleiden. Darüber muss der Besitzer vorab umfassend aufgeklärt werden. Gerade bei derart anfälligen Vögeln ist ein korrektes Handling äußerst wichtig, um solchen Problemen so gut wie möglich vorzubeugen.

Tierarzt und Assistent sollten zudem vorab notwendige Maßnahmen zum Eigenschutz ergreifen. Dazu gehört u.a. das Bereithalten von dicken Lederhandschuhen bei Großpapageien, die durchaus schwere Verletzungen durch Beißen zufügen können. Auch ein Holzlöffel (Holzspatel bei kleineren Vögeln) sollte bereit liegen, damit sich der Vogel notfalls darin verbeißen kann. Auch ein passendes Handtuch oder Zellstofftuch sollte in Reichweite sein. Um eine Übertragung von Krankheiten zu verhindern, müssen diese Gegenstände selbstverständlich nach jedem Patienten durch saubere ersetzt werden.

Praxistipp

Notwendige Schutzmaßnahmen für Tierarzt und Assistent ▶ [106]

9.3.1.2 Vorbereitung

Im Behandlungsraum sollten sich keine Gegenstände befinden, die dem Vogel gefährlich werden können, wenn er entkommt. Daher sollten beispielsweise elektrische Ventilatoren oder heiße Heizkörper entfernt bzw. abgeschaltet werden.

Der Käfig ist auch im Behandlungsraum zwingend erhöht abzustellen, um dem Vogel mehr Sicherheit zu vermitteln. Das Licht ist zu dimmen. Zusätzlich sollte die Möglichkeit zur fast vollständigen Abdunkelung des Raumes gegeben sein (z.B. notfalls im Röntgenraum).

Der Vogel sollte zunächst Zeit bekommen, sich schrittweise mit der Umgebung im Behandlungsraum vertraut zu machen. Dazu öffnet man die Abdeckung des Käfigs zunächst nur auf einer Seite.

Merke

Ein Beugen über den Käfig ist strikt zu vermeiden, um die Wahrscheinlichkeit für kopflose Fluchtreaktionen zu reduzieren.

Abhängig von der Reaktion des Vogels kann dann das Tuch schrittweise entfernt werden, bis es schließlich gänzlich weggenommen wird.

Während der Anamnese wird der Vogel am besten in Ruhe gelassen und im geschlossenen Käfig beobachtet. Ein Betrachten von vorne oder von oben sollte dabei vermieden werden, da es als Bedrohung empfunden werden kann. Es kann dadurch zu Schockreaktionen kommen oder auch bei Greifvögeln einen Angriffsreflex auslösen. Vor dem Herausfangen ist das weitere Vorgehen zwischen Tierarzt und Assistent genau abzusprechen, und alle evtl. benötigten Utensilien sind bereitzulegen. Auf diese Weise wird auch die Zeitspanne, die der Vogel gehalten werden muss, verkürzt und somit der Stress für den Patienten reduziert.

Zusätzlich sollte ein Netz (Kescher) zur Hand sein, um den Patienten einfangen zu können, falls er zu irgendeinem Zeitpunkt entkommt.

Darüber hinaus sind selbstverständlich vor dem Öffnen des Transportkäfigs alle Fenster und Türen sicher und vollkommen zu schließen. Fenster sollten zudem mit Gardinen oder Jalousien verhängt werden. Dies ist als Vorsichtsmaßnahme zu sehen, damit der Vogel, falls er doch entkommt, nicht auf die Scheiben zufliegt, sondern die Barriere klar erkennen kann. Mattierte Scheiben können hier ebenfalls hilfreich sein. Der Käfig bzw. Transportbehälter sollte nicht in der Nähe von Tischkanten oder Türstöcken geöffnet werden, um Schwingenfrakturen durch Flattern und andere Abwehrbewegungen zu vermeiden. Im Käfig sollten alle Gegenstände (z.B. Spielzeuge, Sitzstangen) entfernt werden, an denen sich der Vogel beim Herausfangen verletzen könnte.

Merke

Fliehende Vögel fliegen in der Regel direkt auf durchsichtige Scheiben bzw. auf Licht zu und können sich bei einem Aufprall schwer verletzen. Daher sind Fenster immer mit Vorhängen, Jalousien etc. abzudecken, bevor ein Vogel aus dem Käfig entnommen wird.

Befinden sich im Transportkäfig nur enge Flügeltüren, die ein Herausfangen erheblich erschweren, kann es sinnvoll sein, den Patienten durch die Bodenöffnung des abgenommenen Käfigoberteils hindurch einzufangen. Da hier jedoch eine erhöhte Gefahr für ein Entkommen des Vogel oder des mitgebrachten Partnertieres gegeben ist, muss hierbei äußerst vorsichtig vorgegangen werden.

Vögel können mitunter auf den Geruch von Beutegreifern an den Händen des Handlers mit Abwehr reagieren ▶ [110]. Vor dem Handling sind die Hände daher besonders gründlich zu waschen und zu desinfizieren, um jeglichen Geruch von Beutegreifern zu eliminieren. Mit dem Anfassen sollte aber einige Zeit gewartet werden, bis der Geruch des Desinfektionsmittels verflogen ist.

9.3.1.3 Herausfangen und fixieren

Wenn Großpapageien das Handling durch ihren Besitzer gewöhnt sind und sich auch während der Beobachtungszeit im Behandlungsraum ruhig verhalten haben, kann im Einzelfall versucht werden, den Vogel auf die Hand des Besitzers treten zu lassen, um ihn aus dem Käfig zu entfernen. Aber auch wenn der Papagei auf der Hand des Besitzers ruhig ist, kann es sein, dass er sich nicht von einer unbekannten Person anfassen (und fixieren) lassen will. Er zeigt dies beispielsweise durch ein Weglehnen von der unbekannten Person. Das Fangen von der Hand oder der Schulter des Besitzers kann durchaus problematisch sein und sollte daher nicht der Standard sein. Ein Fixieren sollte in der Regel durch eine darin erfahrene Person erfolgen und nicht durch den Besitzer ▶ [104].

Dem Papagei sollten nach Möglichkeit beliebte Leckerbissen angeboten werden, bevor er vom Tierarzt oder Assistenten für die Untersuchung oder Behandlung fixiert wird. Dies kann dazu beitragen, die Angst des Vogels zu reduzieren ▶ [110].

Wenn kleine Ziervögel – wie beispielsweise Wellensittiche, Kanarienvögel oder Finken – aus dem Transportkäfig gefangen werden sollen, dann sollte dies in einem abgedunkelten Raum geschehen. Hier sind die Vögel ruhiger und lassen sich regelrecht von der Sitzstange „abpflücken“. Diese kleinen Vögel werden in der Regel nicht auf einem Finger sitzen bleiben und müssen daher außerhalb des Käfigs immer fixiert werden.

Bei der Fixierung ist die Ruhigstellung des Kopfes wichtig, um Verletzungen durch Bisse bei Untersucher und Praxisteam vorzubeugen.

Mit Daumen und Zeigefinger einer Hand wird der Vogel am Unterkiefer fixiert. Es ist darauf zu achten keinen Druck auf die Augen auszuüben. Die Flügel werden mit den restlichen Fingern sanft an den Körper gedrückt (sog. Zangengriff, ▶ Abb. 9.3). Das Sternum bleibt frei, damit die Atmung nicht behindert wird.

Abb. 9.3 Fixierung eines kleinen Vogels (Sperling) mit einer Hand im sogenannten Zangengriff. Beachte, dass der Hals gerade gehalten wird und das Sternum frei beweglich ist.

(Quelle: Dr. Ilona Backofen, Dietenheim.)

5804076.tif

Merke

Vögel haben kein Zwerchfell; sie sind für ihre Atmung zwingend auf die Brustbeinbewegung angewiesen.

Beim Fixieren von Vögeln ist daher Folgendes zu beachten:

Für Behandlungen müssen die Beine fixiert werden, aber für eine Untersuchung im sogenannten Zangengriff ( ▶ Abb. 9.3) kann dem Vogel der kleine Finger als eine Art Sitzstange zum Greifen angeboten werden, um das Fixieren angenehmer zu gestalten.

Soll noch ein Finger frei bleiben für Manipulationen, so empfiehlt sich der sogenannte Scherengriff. Der Kopf wird dabei mit Zeige- und Mittelfinger im oberen Halsbereich wie in einer Schere fixiert. Der Daumen bleibt für Manipulationen frei.

Bei etwas größeren Vögeln, oder wenn der Kopf noch sicherer fixiert werden soll, wird der Kopf mit Daumen und Mittelfinger am Unterkiefer fixiert, während der Zeigefinger wie eine Kappe auf dem Kopf liegt (sog. Kappengriff, ▶ Abb. 9.4). Die restlichen Finger fixieren die Flügel locker am Körper.

Abb. 9.4 Bei größeren Vögeln wird der Kopf mit dem sogenannten Kappengriff noch sicherer fixiert.

(Zeichnung: Dr. Dorothea Döring, München)

5804077.tif

Bei kleinen oder mittelgroßen Papageien müssen mit der zweiten Hand des Handlers die Füße fixiert werden. Die Beine werden dabei auf Höhe Tibiotarsus fixiert, wobei Daumen und Zeigefinger das eine Bein, Zeige- und Mittelfinger das zweite Bein halten ▶ [110].

Großpapageien sollten immer, besonders aber wenn sie das Handling nicht gewöhnt sind oder aggressiv bzw. mit Alarmschreien reagieren, mithilfe eines Tuches aus dem Transportkäfig gefangen werden. Es empfiehlt sich, das Tuch dabei zunächst so über die Hand auszubreiten, dass zwischen Daumen und Zeigefinger eine Falte entsteht. Will der Patient angreifen, so beißt er in der Regel in diese Falte ▶ [106]. Währenddessen kann der Kopf mit Daumen und Zeigefinger an der Basis des Unterschnabels fixiert werden. Das Handtuch wird dann um die Flügel gelegt. Es ist darauf zu achten die Flügel nicht zu beschädigen. Eine Fixierung mithilfe eines Handtuchs darf nicht zu lange dauern, um eine Überhitzung des Patienten zu verhindern ▶ [110].

Beim Zurücksetzen eines Papageis kann man den Oberschnabel an einer waagrechten Sitzstange einhaken ▶ [106]. Ergreift der Vogel diese Stange, kann die Hand meist gefahrlos aus dem Käfig zurückgezogen werden.

9.3.1.4 Entkommene Patienten

Da sich Vögel in der Regel bei Dunkelheit still verhalten, sollte der Raum abgedunkelt werden, wenn ein Vogelpatient in die Luft entkommen ist. Bei handzahmen Tieren sollte immer zunächst versucht werden, sie mit Leckerlis auf die Hand des Besitzers zu locken.

9.3.2 Stationärer Aufenthalt

Bei einem stationären Aufenthalt empfinden Vögel aufgrund der ungewohnten Umgebung und der häufig damit einhergehenden Isolation in der Regel deutlichen Stress. Auf möglichst viele vertraute Gegenstände (z.B. Lieblingsspielzeug oder bekannter Futternapf) ist somit bei der Einrichtung des stationären Käfigs zu achten. Mindestens ein gut bekanntes Partnertier sollte ebenfalls mit stationär aufgenommen werden, um den Stress für den Patienten zu reduzieren. Dies ist für Schwarmvögel in ganz besonderem Maße wichtig.

Wenn vorab bereits klar ist, dass dem Vogel ein Klinikaufenthalt bevorsteht, dann sollten die Besitzer gebeten werden, den Patienten mit seinem Partnertier zur Klinik zu bringen. Zusätzlich sollten sie einen möglichst großen (dem Vogel vertrauten) Käfig mitbringen. Dieser kann dann gleich als stationärer Käfig verwendet werden.

Da gerade Schwarmvögel einen gewissen Geräuschpegel in der Regel als angenehm empfinden, kann ausprobiert werden, ob das Abspielen von Vogelgezwitscher positive Auswirkungen auf die Vogelpatienten im stationären Bereich hat.

Zudem ist für gedämpftes Licht im Vogelbereich zu sorgen. Vögel müssen getrennt von Hunden und Katzen untergebracht werden.

Zusammenfassung

9.4 Literatur

[103] ITIS – Initiative tiermedizinische Schmerztherapie. Merkblatt: „Hat mein Vogel Schmerzen?“ Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2014. Im Internet: https://www.schmerz-bei-tieren.de/sites/default/files/2017-01/merkblatt6_vogel_0.pdf; letzter Zugriff: 18.06.2018

[104] Kaleta E, Neumann U. Prophylaxe, Diagnose, Therapie. In: Kaleta E, Krautwald-Junghanns M-E, Hrsg. Kompendium der Ziervogelkrankheiten. 4. Aufl. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2011,

[105] Lightfoot T, Nacewicz C. Psittacine Behavior. In: Bays BT, Lightfoot T, Mayer J, eds. Exotic Pet Behavior – Birds, Reptiles, and Small Mammals. St. Louis: Elsevier, 2006

[106] Lumeji J. Vögel. In: Rijnberk A, van Sluijs F, Hrsg. Die richtige Diagnose in der Kleintierpraxis: Untersuchung und Befunderhebung. Hannover: Schlütersche VerlagsGmbH, 2011

[107] Paul-Murphy J. Pain Management for the Pet Bird. In: Gaynor J, Muir J, eds. Handbook of Veterinary Pain Management. 2nd ed. St. Louis: Mosby Elsevier, 2009

[108] Stasiak K, Maul D, French E et al. Species-specific assessment of pain in laboratory animals. J Am Assoc Lab Anim Sci 2002; 42: 13–20

[109] Straub J, Forbes N, Pees M et al. Effect of handling-induced stress on the results of spectral Doppler echocardiography in falcons. Res Vet Sci 2003; 74: 119–122

[110] Todd-Jenkins K, Dugan B, Remsburg D et al. Restraint and Handling of Animals. In: Bassert J, Thomas J, eds. McCurnin‘s Clinical Textbook for Veterinary Technicians. 9th ed. St. Louis: Elsevier, 2017