Der Pflegeprozess ist eine Arbeitsmethode, die entwickelt wurde, um pflegerische Handlungen zielgerichtet und methodisch zu planen und durchzuführen. Er besteht aus aufeinander aufbauenden Schritten und Phasen, die sich gegenseitig beeinflussen. Durch ihn werden die Handlungen der Pflegekräfte bei einem Patienten beschrieben und strukturiert. Die Pflegeplanung und die Pflegedokumentation sind Elemente des Pflegeprozesses.
Die systematische Vorgehensweise im Sinne des Pflegeprozesses dient dazu, das Wesentliche in den Blick zu nehmen. Zunächst werden die Ausgangslage bzw. die pflegerelevanten Probleme und Ressourcen gründlich betrachtet, dann können realistische Ziele gesetzt werden. Nur so können Pflegemaßnahmen geplant werden, die den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen gerecht werden.
Die World Health Organization (WHO) hat 1979 ein von Yura und Walsh (1960) entwickeltes Drei-Schritt-Modell aufgegriffen und um einen 4. Schritt ergänzt. Dieses WHO-Modell des Pflegeprozesses hat sich über viele Jahre etabliert. Der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen ist ein ständiger Problemlösungs- und Beziehungsprozess, in dem der Pflegebedürftige mit seinen Bezugspersonen immer im Mittelpunkt der Betrachtung steht ( ▶ Abb. 4.1).
Pflegeprozess als Vier-Schritt-Modell (WHO 1979).
Abb. 4.1
Im 1. Schritt, dem Assessment, wird der Pflegebedarf eingeschätzt, indem alle pflegerelevanten Informationen gesammelt werden. Diese Einschätzung erfolgt anhand eines Gesprächs mit dem Pflegebedürftigen (bzw. seinen Angehörigen). Hierbei werden standardisierte Formulare als Hilfsmittel angewandt wie z. B. Erhebungsbögen, Pflegestammblatt, Anamnesebogen usw.
Auf der Informationssammlung aufbauend wird im 2. Schritt die Pflegediagnose gestellt unter Einbeziehung der Probleme und Ressourcen des Pflegebedürftigen. Anhand dieser Pflegediagnose wird der Pflegebedarf ermittelt, Pflegeziele festgelegt und die Pflegemaßnahmen geplant. Sie wird an den einrichtungsspezifischen Pflegeplänen und dem Pflegemodell ausgerichtet (z. B. das ATL-Modell von Liliane Juchli).
Im 3. Schritt des Pflegeprozesses findet die Intervention, d.h. die praktische Durchführung der geplanten Pflege, statt.
Im 4. Schritt, der Evaluation, werden Wirkung und Qualität der Pflege beurteilt und die Erreichung der Ziele überprüft. Hierbei werden die zuvor definierten Ziele bei der Erfolgskontrolle mit dem erreichten Ist-Zustand des Patienten abgeglichen.
Wie aus diesen Beschreibungen deutlich wird, strukturiert der Pflegeprozess die Handlungen der Pflegepersonen in Bezug auf die gewünschte Zielsetzung bei einem Patienten. Der Pflegeprozess kann folgendermaßen definiert werden:
Definition
Pflege ist ein dynamischer Problemlösungs- und Beziehungsprozess. Er besteht aus logisch aufeinander aufbauenden Phasen und Schritten, die sich wechselseitig beeinflussen (MDS 2005).
Der Pflegeprozess ist patientenorientiert gestaltet, d. h., er wird individuell für jeden Patienten erstellt. Innerhalb seiner Anwendung und der damit verbundenen Dokumentation werden Probleme und Ressourcen festgestellt und erfasst. Hierbei finden die alltäglichen Bedürfnisse und Wünsche des Pflegebedürftigen Berücksichtigung, d. h., es findet eine direkte Kommunikation mit dem Patienten statt und er wird (ggf. mit seinen Angehörigen) in die Planungen einbezogen.
Der Pflegeprozess gewährleistet eine ganzheitliche Betrachtungsweise bei der Versorgung eines Patienten. Er stellt den Menschen in den Mittelpunkt, der die Pflege in Anspruch nimmt, und berücksichtigt dabei die Umgebung, in der sich der Mensch in der aktuellen Pflegesituation befindet.
Der Pflegeprozess eines Patienten, der sich für einen kurzen Zeitraum im Krankenhaus befindet, wird andere Ziele verfolgen als bei einem Pflegebedürftigen, der an einer chronischen Erkrankung leidet und langfristig zu Hause von einem ambulanten Pflegedienst betreut wird, oder bei einem Bewohner im Seniorenheim.
Der Pflegeprozess orientiert sich immer am aktuellen Gesundheits-/Krankheitszustand des Menschen und hat zum Ziel, die Lebensqualität zu erhalten/wiederherzustellen sowie Wohlbefinden und größtmögliche Unabhängigkeit für den Menschen zu erreichen.
Insgesamt orientiert sich der Pflegeprozess an den Problemen und Ressourcen des Betroffenen und verfolgt (individuell bezogen auf die pflegebedürftige Person) nachstehende Ziele:
Sicherheit für den Pflegebedürftigen im Verlauf der Pflege herstellen
den Pflegebedürftigen und seine Angehörigen einbeziehen
personelle und fachliche Kontinuität in der Durchführung pflegerischer Leistungen gewährleisten
die Qualität der Pflege und Betreuung sichern
die objektive Beurteilung der Pflegeleistungen ermöglichen
den (notwendigen) innerbetrieblichen und interdisziplinären Informationsfluss gewährleisten
Leistungen transparent darstellen
den juristischen Nachweis der Pflegequalität im Sinne der Beweisfähigkeit ermöglichen (MDS 2005)
Grundsatzstellungnahme des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V. (MDS) Aufgrund der Tatsache, dass die Einführung, also die konkrete Anwendung und Umsetzung des Pflegeprozesses nach Qualitätsprüfungen des MDK nur mäßige Ergebnisse aufgewiesen hat, ist im Jahr 2005 durch den MDS die sog. Grundsatzstellungnahme (ähnlich einem Expertenstandard) verfasst worden. Hierin werden die im Folgenden dargestellten Schritte des Regelkreises in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung erläutert. Schwerpunkt ist zudem das Aufzeigen praktikabler Dokumentationsformen.
Definition
Der Regelkreis des Pflegeprozesses ist ein strukturiertes Verfahren, an dessen Ablaufschritten sich die Pflegeperson orientieren kann, um zielgerichtet pflegerisch zu handeln und Probleme zu lösen.
Es handelt sich demnach um ein Instrument und eine Methode, die pflegerische Qualität umsetzbar und überprüfbar macht. Er dient zu Gliederung und Darstellung der Gedanken und Handlungen, die Pflegende zur Lösung der Probleme von Pflegebedürftigen aufstellen und anwenden. Ziel der Anwendung ist, unter ganzheitlicher Betrachtung des Pflegebedürftigen (Körper, Geist, soziales Umfeld), die Gesundheit zu erhalten, zu fördern bzw. wiederherzustellen.
Die zwei Schweizerinnen Fiechter und Meier haben den von der WHO vorgestellten Vier-Schritt-Pflegeprozess Anfang der 1980er-Jahre weiterführend bearbeitet und um zwei Schritte ergänzt ( ▶ Abb. 4.2).
Pflegeprozess im Sechs-Schritt-Modell (nach Fiechter und Meier 1988).
Abb. 4.2
Dieser von ihnen entwickelte Regelkreis findet im europäischen Raum weitverbreitete Anwendung. Die einzelnen Schritte werden in ihrer Methode unter den praktischen Handlungen der Pflegenden in einer individuellen Pflegesituation zu einem Prozess. Diese Methodik bildet den Unterschied zu dem im vorherigen Abschnitt beschriebenen WHO-Modell, das prozesshaft in eine Richtung verläuft und scheinbar mit der Ergebniskontrolle endet, somit also keinen Kreislauf bildet.
Fiechter und Meier beschreiben ihren Prozess folgendermaßen: „Der Krankenpflegeprozess hat zum Ziel, auf systematische Art und Weise dem Bedürfnis des Patienten nach pflegerischer Betreuung zu entsprechen. Der Krankenpflegeprozess besteht aus einer Reihe von logischen, voneinander abhängigen Überlegungs-, Entscheidungs- und Handlungsschritten, die auf eine Problemlösung, also auf ein Ziel hin, ausgerichtet sind und im Sinne eines Regelkreises einen Rückkopplungseffekt (Feedback) in Form von Beurteilung und Neuanpassung enthalten. Der Krankenpflegeprozess kann als Regelkreis mit sechs Schritten dargestellt werden. Das Resultat der Pflege wird am Pflegeziel gemessen. Wenn das Ziel erreicht wird, ist der Vorgang beendet. Wenn aber Abweichungen vom gesetzten Ziel vorkommen oder neue Probleme auftreten, beginnt der ganze Prozess von Neuem. Es müssen zusätzliche Informationen gesammelt werden, Probleme und Ziele neu formuliert und die Maßnahmen entsprechend angepasst werden“ (Fiechter u. Meier 1988, S. 30).
Merke
Die Schritte des Pflegeprozesses sollen eine Kontinuität in der Versorgung gewährleisten und orientieren sich immer an den individuellen Problemen, Fähigkeiten und Ressourcen des Pflegebedürftigen.
Der im Weiteren in seinen einzelnen Schritten genauer dargestellte Pflegeprozess besteht aus folgenden Schritten ( ▶ Abb. 4.2):
Informationssammlung (Pflegeanamnese)
Erkennen von Problemen und Ressourcen des Patienten (Pflegediagnose)
Festlegung der Pflegeziele
Planung der Pflegemaßnahmen
Durchführung der Pflege
Beurteilung der Wirkung der Pflege (Pflegeevaluation)
Bei der Pflegeevaluation wird neben der Zielerreichung auch der erforderliche Ressourceneinsatz überprüft. An diesem Punkt kann der Pflegeprozess einerseits enden für den Fall, dass ein Behandlungsziel erreicht worden ist und kein weiterer Pflegebedarf für den Betroffenen besteht. Andererseits kann der Prozess an dieser Stelle auch von Neuem starten, angepasst an die aktuelle Situation des Pflegebedürftigen, und mit der erneuten Festlegung der Pflegeziele.
Spirale Der Pflegeprozess wird in Form einer Spirale angewendet ( ▶ Abb. 4.3), wenn immer wieder neue Informationen in die Pflege einfließen sowie neue Bedürfnisse seitens des Patienten auftreten und die Pflegeperson und/oder der Pflegebedürftige erkennen, dass die geplanten und durchgeführten Maßnahmen nicht zu den festgelegten Zielen führen (Jung-Heintz u. Lieser 2004).
Der Pflegeprozess als Spirale (nach Fiechter u. Meier 1993).
Abb. 4.3
Nachfolgend werden die 6 Schritte des Pflegeprozesses genauer beschrieben.
Bei dem Schritt der Informationssammlung („Pflegeanamnese“) werden systematisch die Ausgangsdaten erfasst, d. h. Name, Anschrift, Bezugsperson(en) sowie Probleme, Gewohnheiten, Fähigkeiten/Ressourcen und Wünsche/Bedürfnisse des Pflegebedürftigen. Dies geschieht i. d. R. durch ein persönliches Gespräch der Pflegekraft mit dem Pflegebedürftigen und/oder seinen Angehörigen ( ▶ Abb. 4.4). In diesem Gespräch lernen der Pflegebedürftige, seine Angehörigen und der Pflegende sich kennen. Die bei der Aufnahme des Pflegebedürftigen erfolgte Informationssammlung kann jederzeit im weiteren Verlauf erweitert oder verändert werden. Anhand der Pflegeanamnese soll der aktuelle Gesundheits-/Krankheitszustand des zu Pflegenden deutlich werden. Neben dem persönlichen Gespräch kommen hier weitere Methoden zum Einsatz:
zielgerichtete Beobachtung des Pflegebedürftigen; s. ▶ Krankenbeobachtung
Messung von körperlichen Parametern (z.T. nach ärztlicher Anordnung) wie z.B. Herzfrequenz, Blutdruck usw.
Anwendung von Screening- und Assessmentinstrumenten; siehe ▶ Screening- und Assessmentinstrumente
Pflegeanamnese.
Abb. 4.4 Die Pflegeanamnese wird in einem persönlichen Gespräch zwischen dem Pflegenden, dem Pflegebedürftigen und/oder seinen Angehörigen erhoben.
(Foto: A. Fischer, Thieme)
Die Informationssammlung wird mit dem Ziel durchgeführt, alle wichtigen Informationen zusammenzutragen, die Einfluss auf mögliche vorhandene Pflegeprobleme und deren Lösungen haben. Sie dient als Grundlage für die individuelle Planung der Pflege. Hierbei wird auch berücksichtigt, inwieweit die Selbstständigkeit des zu Pflegenden in Bezug auf seine Krankheitsbewältigung und seine Mithilfe beim Genesungsprozess erhalten sind.
Die Selbsteinschätzung des Pflegebedürftigen sollte mit der Fremdeinschätzung des Pflegenden (und ggf. der Angehörigen) verglichen werden, um hieraus gemeinsam eine realistische und erreichbare Zielsetzung zu formulieren. Die Berücksichtigung der Selbsteinschätzung des Pflegebedürftigen ist aus dem Grund besonders wichtig, da er aus seiner eigenen Perspektive evtl. ein anderes Bild von seiner Erkrankung hat, als der Pflegende von außen wahrnimmt. Zudem beschäftigt er sich dabei gedanklich mit seiner Pflegesituation, versteht die Hintergründe von Pflegemaßnahmen und -handlungen und kann in Bezug auf die Zielerreichung aktiv mitwirken.
Dies kann z. B. der Fall sein, wenn der Patient aufgrund einer Diabeteserkrankung fast blind ist und der Pflegende glaubt, dass er dadurch Schwierigkeiten bei der Nahrungszubereitung und -aufnahme hat. Im Laufe seiner Erkrankung hat sich der Pflegebedürftige jedoch mit der zunehmenden Erblindung arrangiert und benutzt vermehrt seinen Tastsinn, womit er gut zurechtkommt und das Problem als nicht so gravierend betrachtet, wie der Pflegende es zuvor eingeschätzt hatte.
„Die Aktivierung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung bei den zu betreuenden Menschen sollte in allen Bereichen des Gesundheitswesens und im Sozialbereich ein wichtiges Ziel sein. Alle tragen die gemeinsame Verantwortung für die Förderung möglicher Ressourcen/Fähigkeiten und für die bestmögliche Minimierung von Risiken in der Betreuung oder Versorgungsprozessen. Die gemeinsame Grundausrichtung aller Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sollte sein, das Wissen, die Befähigung und die Motivation der zu betreuenden Menschen zu gesundheitsbewusstem Verhalten in allen Lebensphasen zu stärken und damit gesundheitliche Risiken oder Beeinträchtigungen zu reduzieren. […] Deshalb sollten ergänzend präventive Maßnahmen in die Versorgungsprozesse integriert werden, die die Menschen mit ihren individuellen Ressourcen ermutigen und befähigen, mögliche Risiken zu erkennen und wahrzunehmen, um auch durch gesundheitsbewusstes Verhalten diesen entgegenzuwirken“ (Welz-Spiegel 2014).
Biografiearbeit ist eine an der Biografie orientierte Pflegeplanung. Sie wird besonders im Bereich der Altenpflege angewandt und ist vergleichbar mit der Informationssammlung im Pflegeprozess. Sobald nach der Aufnahme eines Bewohners eine Vertrauensbasis entstanden ist, wird mit ihm ein Gespräch geführt mit dem Ziel, die Lebensgeschichte und die Lebenswelt des Menschen kennenzulernen.
Falls er kein Einzelzimmer bewohnt, wird er in einen ruhigen Raum eingeladen. Der Bewohner wird über den Nutzen und das Ziel des Gespräches informiert. Er wird darum gebeten, aus seinem Leben zu erzählen, und um die Erlaubnis, Notizen machen zu dürfen. Durch Nachfragen wird weiteres Erzählen angeregt.
Ziel ist es hierbei, alle pflegerelevanten Informationen zu erhalten. Für den Pflegebedürftigen und seine Angehörigen bietet das Gespräch zur Pflegeanamnese die Möglichkeit, die Pflegeperson sowie auch die Einrichtung näher kennenzulernen.
Wünschenswert ist es, zu folgenden Themen Informationen zusammenzutragen:
Geburtsort und -datum
Stellung in der Herkunftsfamilie
Schulzeit
Ausbildung und beruflicher Weg
familiäre Entwicklung, Heirat, Kinder
Wohnorte und Wohnverhältnisse, regionale Besonderheiten der Wohnorte
gesundheitliche und sonstige Krisen
Eingebundensein in Freundeskreis und Nachbarschaft
Es bedarf einer sensiblen Gesprächsführung, weil ganz persönliche Fragen gestellt und u.U. heikle Punkte berührt werden. Wenn eine gute Beziehung besteht, geben trotzdem viele Menschen gern Auskunft.
Weiter werden Vorlieben und Abneigungen eines Menschen, seine Interessen, Gewohnheiten, Eigenheiten, Ressourcen und Bedürfnisse erfasst, die sich im Laufe seines Lebens gebildet haben – also seine aktuelle Situation (z.B. sein Lieblingsessen, ob er Spaziergänge im Wald mag usw.) Zum Teil wird er selbst darüber Auskunft geben, anderes erfahren die Pflegekräfte von den Angehörigen, manches klärt sich durch Beobachtungen bei der Pflege oder im Tagesablauf.
Die gewonnenen Informationen zur Biografie unterliegen dem Datenschutz und dürfen nicht autorisierten Personen nicht zugänglich sein.
Bei Menschen mit eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten muss die Pflegeperson im Erstgespräch auf nonverbale Signale achten (Beobachtung von Gestik, Mimik usw.), hier sind ergänzende Informationen der Angehörigen hilfreich und wichtig.
Beim ersten Kontakt mit dem Pflegebedürftigen setzt die erfahrene Pflegeperson ihre Fähigkeiten zur Krankenbeobachtung ein. Sie hat z. B. den Hautzustand im Blick, den Allgemeinzustand des Patienten, die Mobilität, die Färbung der Haut, die Atmung usw., woraus sie weitere Schlüsse für die Versorgungsplanung ableiten bzw. weitere diagnostische Maßnahmen einleiten kann. Für unerfahrene Pflegepersonen, die noch nicht über einen solchen umfassenden Blick verfügen, wäre es u. U. hilfreich, ihnen eine standardisierte „Checkliste“ an die Hand zu geben (Screening-/Assessmentformulare), mit deren Hilfe sie die Kriterien zur Krankenbeobachtung prüfen können.
Screening- oder Assessmentinstrumente sind standardisierte Hilfsmittel oder Skalen, mit denen eine Einschätzung bzw. Bewertung durchgeführt werden kann ( ▶ Abb. 4.5). Der Begriff „Assessment“ wurde aus dem Englischen übernommen und bedeutet Einschätzung, Beurteilung/Bewertung. Standardisiert heißt, dass es in den dafür vorgesehenen Fällen immer in der gleichen Art und Weise angewandt wird.
Es gibt genaue Verfahren für die Anwendung des Instruments. Meist kreuzen die Nutzer vorgegebene Auswahlfelder an oder lesen eine Skala ab. Beides wird in Zahlen übersetzt, deren Verwendung dann die benötigte Entscheidungshilfe gibt. Mithilfe eines „Screeninginstruments“ kann die Pflegekraft im 1. Schritt ein bestimmtes Risiko für einen Pflegebedürftigen feststellen oder dieses Risiko ausschließen. Die im Screening festgestellten Risiken können dann im 2. Schritt mit Assessmentinstrumenten bewertet und eingeschätzt werden. Alle Assessmentinstrumente haben das Ziel, Gesundheitsindikatoren, Fähigkeiten und Verhaltensweisen systematisch festzuhalten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Abb. 4.5 Screening- und Assessmentinstrumente.
Ein klassisches Beispiel ist die Schmerzskala.
(Abb. aus: I care Pflege. Thieme; 2015)
Zur Dokumentation aller notwendigen Informationen werden standardisierte Formulare genutzt (z. B. ein Formular zur Erhebung der Stammdaten oder Skalen zur Einschätzung von Risiken wie Dekubitus- oder Sturzgefahr). Aus den gesammelten Informationen wird die individuelle Pflegeplanung erstellt. Alle weiteren Schritte des Pflegeprozesses basieren auf dieser umfassenden und möglichst lückenlosen Datenerhebung.
Pflegediagnosen beziehen sich auf die Pflegeanamnese und bilden den 2. Schritt des Pflegeprozesses. Der Begriff Pflegediagnose wurde 1953 erstmals von Virginia Frey in den USA geprägt. Sie sah in der Formulierung einer Pflegediagnose einen notwendigen Schritt, um überhaupt einen Pflegeplan festlegen zu können. Beides, die Formulierung einer Pflegediagnose und die Festlegung eines individualisierten Pflegeplans, stellte ihrer Meinung nach die wichtigste Aufgabe für jemanden dar, der kreativer pflegen möchte.
Bei der Erhebung der Pflegediagnose werden zunächst die Probleme und Ressourcen des Pflegebedürftigen erfasst. Pflegediagnosen stellen, wie die formulierten Ressourcen und Probleme des pflegebedürftigen Menschen, den Ausgangspunkt für Planung, Durchführung und Evaluation der Pflege dar.
Definition
Pflegeprobleme werden als gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Menschen definiert, die er nicht selbst in seinem alltäglichen Leben bewältigen kann und die durch pflegerisches Handeln erfasst und positiv beeinflusst werden können (Grünewald 2004). Es handelt sich somit um pflegerische Probleme und nicht um medizinische Diagnosen.
Aktuelle Probleme liegen tatsächlich vor, sind beobachtbar und messbar. Potenzielle Probleme, die in der Zukunft liegen, werden durch die Pflegeperson abgeschätzt bzw. vorhergesehen (durch Berufserfahrung, Patientenbeobachtung usw.). Diese potenziellen Probleme können bereits im Vorfeld verhindert werden und ihnen kann durch präventive Handlungen entgegengewirkt werden.
Dabei wird das Problem zunächst konkret formuliert und schriftlich festgehalten. Bei der Beschreibung des Problems sollen sowohl die gesundheitlichen Beeinträchtigungen als auch die Fähigkeiten und Ressourcen des Pflegebedürftigen berücksichtigt werden. In der Dokumentation werden die in Schritt 1 gesammelten Informationen zusammengefasst und zu Einzelbereichen und Problemthemen gebündelt. Einzelne Pflegeprobleme werden kurz, übersichtlich, anschaulich und individuell beschrieben. Aus den Inhalten der Problembeschreibungen gehen die Pflegeziele, Pflegemaßnahmen und -handlungen hervor. Die Problembeschreibung
strukturiert die Auswahl der Pflegemaßnahmen nach Ursache/Wirkung,
legt die Inhalte der Pflegeevaluation (Schritt 6) fest,
enthält die Anteile Bereich, Art der Beeinträchtigung, Qualität, Quantität, Umfang und Ursachen, Erklärungen und Zusammenhänge (s. u.),
ist so kurz und knapp wie möglich zu gestalten (Beschränkung auf das Wesentliche),
soll so exakt und individuell wie möglich sein und
soll objektiv sein (wertfrei).
Weitere Formulierungshilfen Weitere Fragen bzw. Faktoren, die als Formulierungshilfe von Pflegeproblemen berücksichtigt werden können, sind:
Können Aussagen über konkrete Zustände, die Unterstützung durch Pflege erforderlich machen (betroffene Aktivität/ATL/Körperfunktion), getroffen werden?
Was zeigt sich genau (Art der Beeinträchtigung)?
In welchem Maß besteht die Einschränkung, wie viel der notwendigen Aktivität/Funktion fehlt (Quantität, Qualität)?
Warum tritt das Problem auf (Ursachen und Zusammenhänge erkennen und beschreiben, welche Risikofaktoren bestehen)?
Wie und wo zeigt sich das Problem, wie drückt es sich aus (Symptome)?
Welche Ressourcen, d. h. Fähigkeiten und Potenziale hat der Pflegebedürftige?
PESR-Schema Die Formulierung der Pflegeprobleme kann unter Zuhilfenahme des PESR-Schemas erleichtert und strukturiert werden. Dabei orientiert man sich an einzelnen Schritten bzw. folgenden Elementen ( ▶ Tab. 4.1 ):
P: Problem
E: Einflussfaktoren
S: Symptome
R: Ressourcen
Schema |
Fragestellung |
P: Problem |
|
E: Einflussfaktoren/Ursachen |
|
S: Symptome |
|
R: Ressourcen |
|
Die Pflegeprobleme sollten grundsätzlich mit dem Pflegebedürftigen und/oder seinen Angehörigen bzw. mit pflegerischen Kollegen auf Relevanz überprüft und besprochen werden ( ▶ Abb. 4.6). Dies dient zum einen der Verdeutlichung der eigenen Einschätzung, zum anderen jedoch der Einbeziehung des Betroffenen und somit der Erhöhung seiner Compliance (Mitarbeit/Kooperation).
Abb. 4.6 Patienten aktiv einbeziehen.
Werden die Pflegeprobleme mit dem Betroffenen direkt besprochen, wird er auf diese Weise aktiv in den Pflegeprozess eingebunden. Dies fördert wiederum seine Kooperation und Mitarbeit.
(Foto: A. Fischer, Thieme)
Weiterführend gilt es, die Pflegeprobleme nach Wichtigkeit zu sortieren und sie in Beziehung zu den vorhandenen Ressourcen des Pflegebedürftigen zu setzen. In der Praxis erweist sich insbesondere das Herausarbeiten von Ressourcen des Betroffenen oft als problematisch, vorhandene Ressourcen können manchmal nicht wahrgenommen werden, die Lösungsfindung wird dadurch erschwert.
In der Zielformulierung werden die gewünschten Ergebnisse als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft liegender zu erreichender Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen beschrieben. Die Formulierung des Ziels dient zudem als Maßstab, um später in der Evaluation die Wirksamkeit der angewendeten Maßnahmen zu beurteilen (Unterschied zwischen Ausgangspunkt und Resultat). Die Zielerreichung ist der Maßstab für den Erfolg der Pflege. Zu jedem im 2. Schritt des Pflegeprozesses beschriebenen Problem wird hierbei ein Pflegeziel definiert; die konkrete Festlegung der Pflegeziele findet in Absprache mit dem zu Pflegenden und seinen Angehörigen statt.
Dabei wird unterschieden in
Nahziele (sie sind kurzfristig erreichbar, d. h. in Stunden oder Tagen) und
Fernziele (sie beziehen sich auf einen Zeitraum von Wochen, Monaten oder Jahren).
„Das Pflegeziel beschreibt
das spezifische Verhalten/erwartete Ergebnis, das anzeigt, dass der Pflegebedürftige und dessen Bezugsperson ein geplantes Ziel erreicht haben,
Kriterien zur Bemessung dieses Verhaltens (z. B. drückt aus, was und wie viel der Pflegebedürftige und dessen Bezugsperson erreichen sollen, unter welchen Bedingungen oder mit welchen Hilfsmitteln etwas getan werden soll oder welche Veränderungen auftreten sollen),
Bedingungen, unter denen das Verhalten eintreten soll, und
einen Zeitraum (Zieldatum oder Zeitpunkt), innerhalb dessen das Resultat erreicht werden soll.
Bereiche, auf die sich Pflegeziele beziehen, sind
der Zustand des Pflegebedürftigen (intakte Haut, Reduzierung des Wunddurchmessers um 1 cm bis zum ...),
das Können des Pflegebedürftigen (kann Gesicht und Oberkörper selbst waschen),
das Wissen des Pflegebedürftigen (kennt die Wirkung des Insulins),
das Verhalten und der Entwicklungsprozess des Pflegebedürftigen (kann Ängste äußern),
das Wollen des Pflegebedürftigen (mobilisiert sich 3-mal täglich und läuft im Zimmer umher)“ (MDS 2005, S. 27f.).
Formulierung von Pflegezielen Die Pflegeziele können anhand der SMART-Regel formuliert werden. SMART (engl.: specific, measurable, accepted, realistic, timely) bedeutet ins Deutsche übertragen:
S (spezifisch): Ziele müssen eindeutig definiert sein, so präzise wie möglich.
M (messbar): Ziele müssen messbar sein.
A (akzeptiert): Ziele müssen vom Empfänger akzeptiert werden/sein (Wünsche und Erwartungen des Pflegebedürftigen, nicht der Pflegekraft).
R (realistisch): Ziele müssen möglich und erreichbar sein.
T (terminiert): zu jedem Ziel muss ein fester Termin gesetzt werden, bis zu dem das Ziel erreicht ist.
So sind z.B. folgende Formulierungen für Pflegeziele möglich:
Frau A. kann in 6 Tagen mit den Unterarmgehstützen selbstständig laufen.
Herr B. kennt die Wirkungsweise seiner Medikamente und nimmt diese jeden Morgen um die gleiche Uhrzeit (8 Uhr) ein.
Herr C. hat eine belagfreie Zunge und eine feuchte, intakte Mundschleimhaut.
Frau D. kennt die Gefahr der Thrombose und führt prophylaktische Maßnahmen selbstständig durch.
Die Planung der Pflegemaßnahmen orientiert sich an den bestehenden Pflegediagnosen des Patienten sowie den gemeinsam gesetzten Zielen. Die in schriftlicher Form festgelegte Pflegeplanung setzt sich aus den Anteilen „Pflegeproblem“, „Pflegeziele“ und „Pflegemaßnahmen“ zusammen ( ▶ Tab. 4.2 ). Bei der Ausarbeitung der Pflegeplanung setzt sich die zuständige Pflegeperson gedanklich mit der zukünftigen Entwicklung auseinander und bereitet Entscheidungen und Handlungen vor.
Die Überlegungen finden dahin gehend statt, welche Maßnahmen dazu geeignet sind, das Pflegeziel auf optimalem Weg zu erreichen und das vorhandene Problem zu lösen. Ist die Pflegeplanung durch die zuständige Pflegeperson entwickelt und abgeschlossen, sind die Vorgaben für alle weiteren pflegerischen Handlungen verbindlich, egal von welcher Person sie ausgeführt werden.
Die Planung der Interventionen beschreibt, in welcher Art und Weise die Pflege durchgeführt wird. Es muss ersichtlich sein
wer,
was (Art),
wann (Bedingungen),
wie häufig (zeitliche Abstände),
womit und
wie (Qualität) durchführen soll (vgl. MDS 2005, S. 30).
Die einzelnen Maßnahmen werden so beschrieben, dass jede Pflegeperson sie auf gleiche Art und Weise durchführen kann.
Merke
„Die Pflegemaßnahmen sind präzise, kurz und verständlich zu formulieren; sie beschreiben keine medizinische Therapie“ (MDS 2005, S. 30).
„Pflegemaßnahmen können als
vollständige Übernahme,
teilweise Übernahme,
Unterstützung,
Beratung, Anleitung und Beaufsichtigung durchgeführt werden“ (MDS 2005, S. 30).
Fallbeispiel
Die Patientin Frau Anna Falke wurde am späten Abend als Notfall mit einer akuten Cholezystitis stationär im Krankenhaus aufgenommen ( ▶ Tab. 4.2 ). Bei der Einweisung litt sie unter starken Gallenkoliken mit Erbrechen und hatte hohes Fieber, über 38,5° Celsius. Ihre Kinder werden vom Ehemann versorgt, der jedoch tagsüber arbeiten muss. Daher kümmert sich eine Freundin während der Zeit um die beiden Kinder.
Datum |
Pflegeprobleme |
Ressourcen |
Pflegeziele |
Pflegemaßnahmen |
20.07.2017 |
|
|
|
|
20.07.2017 |
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|
|
|
Datum |
Zeit |
Pflegebericht |
21.07.2017 |
7:00 Uhr |
Frau Falke hat die Körperpflege bis auf das Waschen der Beine selbstständig im Bett durchgeführt, was sie sehr angestrengt hat. |
21.07.2017 |
16:00 Uhr |
Frau Falke hatte Besuch von ihren Kindern und ihrer Freundin; sie wirkte danach deutlich entspannter. |
21.07.2017 |
19:00 Uhr |
Temperatur rektal 39,5 °C. 15 Minuten Wadenwickel durchgeführt; Temperatur anschließend 38,1 °C. Frau Falke hat die Wadenwickel gut vertragen, hatte keine Kreislaufprobleme. |
Bei der Durchführung des ausgearbeiteten Pflegeplans werden die geplanten Pflegemaßnahmen in die Praxis umgesetzt. Der Pflegebedürftige wird nach Bedarf unter Einbeziehung seiner Selbstpflege unterstützt. Die Anwendung muss einheitlich, konstant und zielorientiert erfolgen; die Maßnahmen müssen regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und ggf. neu angepasst werden.
In der Umsetzung muss der Pflegebedürftige auch hinsichtlich seiner Reaktion auf die angewandten Maßnahmen beobachtet werden. Die Pflegekraft erfasst Besonderheiten und nimmt diese ggf. in die Pflegeplanung auf.
Um einen Nachweis für die durchgeführten Pflegemaßnahmen und damit auch für die erbrachten Leistungen zu haben, werden diese in der Pflegeplanung schriftlich festgehalten. Abweichungen und Besonderheiten werden im Pflegebericht dokumentiert. Die durchgeführten Maßnahmen werden zeitnah mit dem aktuellen Datum, der Uhrzeit sowie dem persönlichen Handzeichen abgezeichnet. Neben der rechtlichen Absicherung dient diese Pflegedokumentation ebenso zum Nachvollziehen des Pflegeprozesses für alle am Behandlungsprozess Beteiligten.
In der Evaluationsphase werden die durchgeführten Maßnahmen und deren Auswirkungen beurteilt (Erfolgskontrolle). Es wird deutlich, ob die Maßnahmen den gewünschten Effekt erbracht haben und das geplante Ziel erreicht worden ist; notwendige Verbesserungen der Planungen werden offensichtlich ( ▶ Abb. 4.7). Die Evaluationsphase orientiert sich am derzeitigen Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen, seinen aktuellen Problemen/Ressourcen und Wünschen/Bedürfnissen. Unter Umständen muss der Pflegeplan an den aktuellen/veränderten Gesundheitszustand des zu Pflegenden angepasst werden.
Evaluation.
Abb. 4.7 Wie ist der aktuelle Zustand des Pflegebedürftigen? Sind Fortschritte bzgl. der gesetzten Pflegeziele erkennbar? Diese und andere Fragen werden bei der Pflegeevaluation (Erfolgskontrolle) überprüft und der Pflegeplan ggf. an Änderungen angepasst.
(Foto: A. Fischer, Thieme)
Fallbeispiel
Im Krankenhaus liegt der Patient Heinrich Becker, er leidet an Diabetes und infolgedessen an offenen, blutenden Stellen am Bein, die zu Hause nicht abgeheilt sind (Ulcus cruris). Wenn die Wunden sich infizieren und nicht abheilen, besteht die Gefahr, dass der Unterschenkel amputiert werden muss. In der stationären Behandlung erarbeitet nun das zuständige Pflegepersonal zusammen mit dem Arzt, der Diabetesberaterin, dem Wundmanager und Herrn Becker den Pflegeplan und die Therapiemaßnahmen mit dem Ziel, dass alle Wunden am Unterschenkel abheilen und das Gewebe gut durchblutet ist.
Nun wird gemäß dem Pflegeplan für 12 Tage die Wundbehandlung durchgeführt. Nachdem zunächst eine VAC-Pumpe zu Reinigung und Durchblutungsförderung der Wunde eingesetzt worden ist, heilen die offenen Stellen unter Anwendung von Hydrokolloidverbänden ab. An dieser Stelle kann Herr Becker entlassen werden, der Pflegeprozess ist mit der Zielerreichung abgeschlossen.
Für den Fall, dass der Patient nach der VAC-Behandlung noch weitere andere Verbände benötigt, da die Wunden mit Kolloidverbänden nicht optimal heilen, wird der Pflegeprozess ab dem Punkt 3 „Festlegung der Pflegeziele“ erneut ausgearbeitet. Unter Rücksprache mit dem zuständigen Arzt, der Diabetesberaterin, dem Wundmanager und dem Patienten wird die Behandlung so lange fortgeführt, bis das optimale Ergebnis der Wundversorgung erreicht worden ist. Der Pflegeprozess würde sich in einem solchen Fall als Spirale darstellen (s. ▶ Abb. 4.3). Unter Umständen kann die Anpassung der geeigneten Verbände auch poststationär zu Hause erfolgen (z. B. durch einen ambulanten Pflegedienst), wenn hierfür eine stationäre Behandlung nicht mehr notwendig ist und die offenen Stellen auch zu Hause weiter abheilen können.
Der Zeitpunkt der ersten geplanten Ergebniskontrolle wird bereits in Schritt 3 des Pflegeprozesses mit der Erfassung der Pflegeprobleme und Ressourcen sowie den daraus abgeleiteten Pflegezielen festgelegt. Die abschließende Evaluation hängt dabei immer vom Verlauf der pflegerischen Versorgung ab. Verändert oder verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Patienten, wird die Evaluation vorgezogen und die Pflegeplanung an die neue Situation angepasst.
Unvorhersehbare Veränderungen sind ebenso ein Grund für eine Neueinschätzung der Problemlage/Ressourcen und daraus folgend für eine Korrektur der Ziele und entsprechender Maßnahmen sowie die stetige Verschlechterung eines Pflegeproblems. Beispiel: Verschlimmern sich bei einem Patienten hinsichtlich des Problems „Dekubitus“ die Wundverhältnisse, muss eine spontane Evaluation mit Änderungen erfolgen, während weitere in der Pflegeplanung definierte Ziele erst zum Zeitpunkt der geplanten Neueinschätzung evaluiert werden.
Für die Evaluation der Pflegemaßnahmen sind folgende Fragen hilfreich (MDS 2005, S. 33):
Wie ist der aktuelle Zustand des Pflegebedürftigen?
Sind Fortschritte bzgl. der gesetzten Pflegeziele erkennbar?
Welche Wirkung haben die Pflegemaßnahmen?
Hat sich der Zustand verbessert oder verschlechtert?
Wie fühlt sich der Pflegebedürftige und/oder dessen Bezugsperson derzeit?
Hat der Pflegebedürftige Aussagen über seine Befindlichkeit gemacht?
Sind Veränderungen in den Problemen, Bedürfnissen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen aufgetreten?
Warum konnten die Pflegemaßnahmen evtl. nicht wie geplant durchgeführt werden?
Sind unvorhersehbare Ereignisse oder Komplikationen aufgetreten?
Grundlage der Evaluation bildet die im nachfolgenden Kapitel beschriebene Dokumentation. Neben der Pflegeplanung ist der Pflegebericht mit seinen Informationen über die Einschätzung der aktuellen Situation vonseiten der Pflegenden und der Dokumentation der Reaktion des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen von entscheidender Wichtigkeit. Durch den Pflegebericht werden zudem Abweichungen von den in der Pflegeplanung benannten Maßnahmen ersichtlich, aufgeführt und begründet.
Systematisch und lückenlos In der Dokumentation werden die im Pflegeprozess geplanten und durchgeführten Maßnahmen, weitere Beobachtungen, Besonderheiten und Veränderungen umfassend und lückenlos schriftlich fixiert. ▶ Alle Handlungen, Entwicklungen und Beobachtungen sollen so beschrieben und dokumentiert sein, dass die erbrachte Versorgung und alle Vorgänge transparent werden, um Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und die gesetzlichen Normen der Leistungsnachweise zu erfüllen.
Übersichtlich und linear Ein Dokumentationssystem, das sich an den Schritten des Pflegeprozesses orientiert, strukturiert die Dokumentation übersichtlich und linear und macht den Versorgungsverlauf deutlich. Mehrfachdokumentationen sowie unnötige Dokumentationen werden vermieden. Es gilt als Nachweis der professionellen, systematisch geplanten und durchgeführten, aktuell und individuell auf den Pflegebedürftigen bezogenen Pflege.
Zeitnah und individuell Die Dokumentation erfolgt zeitnah zum aufgetretenen Ereignis und ist individuell für jeden Pflegebedürftigen. Jeder Patient/Kunde/Bewohner hat eine eigene Dokumentationsmappe (handschriftlich oder EDV-gestützt), in der alle Anamnesen, Diagnosen, Operationen, Untersuchungen, Therapien, Leistungsnachweise, Pflegeplanungen, -berichte usw. zusammengefügt sind.
Objektiv und professionell formuliert Die Dokumentation sollte professionell erfolgen unter Anwendung pflegerisch und medizinisch definierter Begriffe. Dabei sollen die Formulierungen auf den Pflegebedürftigen bezogen sein (wertfrei und objektiv), eindeutig, transparent und überprüfbar. Häufig finden sich z. B. im Pflegebericht Formulierungen wie „Frau Becker geht es schlecht“ statt „Frau Becker äußert Unwohlsein/Schwindel/Übelkeit“ oder „Frau Becker hat schlecht geschlafen“ statt „Frau Becker gibt an, schlecht geschlafen zu haben“. Die anschließend aufgezeigten, für den Pflegeprozess notwendigen Kompetenzen schließen deshalb Fähigkeiten im objektiven Formulieren von Beobachtungen ein.
Überprüfbar und qualitätssichernd Alle beschriebenen und vorgestellten Elemente der Dokumentationsakte müssen immer mit Datum, ggf. Uhrzeit und Handzeichen des Durchführenden abgezeichnet werden.
Aus der Dokumentation lassen sich Daten für Erhebungen, Statistiken und Informationen für das Qualitätsmanagement ableiten.
Bei „hochaufwendigen Pflegebedürftigen“ (PKMS-Patienten) ist die Dokumentation besonders bedeutend. Sind die Voraussetzungen der Dokumentation für die erbrachten Pflegeleistungen nicht gewissenhaft erfüllt, halten sie den Abrechnungsvoraussetzungen nicht stand und Gelder werden bei der MDK-Prüfung gestrichen.
Sicherung einer kontinuierlichen interdisziplinären Pflege Die systematische und lückenlose Dokumentation soll die Sicherung und Kontinuität der Pflegeorganisation gewährleisten sowie eine übersichtliche und vollständige Verlaufsdarstellung der Betreuung des Pflegebedürftigen bieten ( ▶ Abb. 4.8). Sie soll schnell und einfach handhabbar sein ohne unnötigen Schreibaufwand. Zudem sollen aus ihr verständlich alle relevanten Informationen hervorgehen, die auch andere an der Versorgung beteiligte Berufsgruppen betreffen. Eine Patienten-(Kunden-/Bewohner-)Dokumentationsakte sollte interdisziplinär, d. h. für alle an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen gleichsam verwendbar geführt werden. Alle relevanten Inhalte und Handlungsanleitungen sollen verständlich sein und eindeutig zugeordnet werden können. Es sollten nur wichtige Dinge dokumentiert werden im Hinblick darauf, welche Angaben der Arbeitskollege benötigt, um eine Pflege, Versorgung oder soziale Betreuung einheitlich fortführen zu können.
Lückenlose Dokumentation.
Abb. 4.8 Die systematische und lückenlose Pflegedokumentation ist Grundvoraussetzung für eine kontinuierliche interdisziplinäre Pflege.
(Foto: K. Oborny, Thieme)
Basisformulare der Pflegedokumentation Der Aufbau des Dokumentationssystems konzentriert sich im Wesentlichen auf folgende Formulare, die alle für die Pflege notwendigen Informationen aus dem Pflegeprozess erfassen ( ▶ Abb. 4.9):
Stammblatt
Formular zur Informationssammlung
Pflegeplanung
Durchführungsnachweis
Pflegebericht
Weitere Formulare Dem Dokumentationssystem können bei Bedarf weitere Formulare zugefügt werden. Hierzu gehören häufig:
Vitalzeichen-, Blutzucker- und Gewichtskontrollen
Ernährungs-/Flüssigkeitsbilanzierung
Lagerungs-/Mobilisationsplan
ärztliche Verordnungen (Medikamente, Infusionen)
Risikoerfassung (Erfassung des Sturz-/Dekubitusrisikos)
Wunddokumentation und -verlaufsbögen
Überleitungsbögen (bei Verlegungen, Schnittstellenmanagement)
Erfassungsbögen zur Therapie, Besonderheiten, Betreuungen (Ergotherapie, Aktivitäten)
Abb. 4.9 Pflegedokumentation.
Basisformulare der Pflegedokumentation (nach MDS 2005).
(Abb. nach: Pflegeassistenz. Lehrbuch für die Gesundheits- und Krankenpflegehilfe und Altenpflegehilfe. Thieme; 2016)
Für die stationäre (Pflege-/Seniorenheime usw.) und ambulante Langzeitpflege soll in Zukunft der Dokumentationsaufwand für Pflegekräfte erleichtert und reduziert werden. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat deswegen ein neues Konzept zu einer effizienteren Pflegedokumentation implementiert. Folgende Inhalte sind aus dem Abschlussbericht des BMG (2015, s. www.bmg.bund.de) abgeleitet und aus den MDK/MDS-Qualitätsprüfungsrichtlinien (2016):
Wichtiger Hauptaspekt ist, dass „die Pflegedokumentation insgesamt auf das fachlich und rechtlich notwendige Maß begrenzt wird, um so die zeitlichen Ressourcen für die direkte Pflege und Betreuung zu erhöhen“ (Abschlussbericht BMG, S. 7). Der Blickwinkel auf den pflegebedürftigen Menschen und sein persönliches Umfeld wird konsequent in den Fokus gerückt und um die pflegefachliche Perspektive erweitert.
Grundstruktur Die empfohlene Grundstruktur zur Pflegedokumentation baut auf einem Pflegeprozess mit 4 Elementen (WHO 1987) auf ( ▶ Abb. 4.10).
Assessment: Zu Beginn erfolgen das Aufnahmegespräch, die Erhebung der Stammdaten und die Anwendung der „Strukturierten Informationssammlung“ (SIS) sowie die Einschätzung pflegerelevanter Risikofaktoren anhand einer vorgegebenen Matrix.
Planung: Es folgt die Pflege- und Maßnahmenplanung unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten/Bedürfnisse des Pflegebedürftigen auf Grundlage der SIS.
Intervention: Beim Pflegebericht sollten sich die Aufzeichnungen auf Abweichungen in der Betreuung und grundpflegerischen Regelversorgung sowie auf Besonderheiten beschränken. Die Dokumentation von Einzelleistungsnachweisen für Maßnahmen der Mitarbeit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie (Behandlungspflege) wird weiterhin durchgeführt.
Evaluation: Mit Fokus auf den Erkenntnissen aus SIS, Pflegeplanung und -bericht erfolgt die Evaluation anlassbezogen (Überprüfung der Pflege- und Maßnahmenplanung) und QM-bezogen (Pflegevisite, Risikomanagement usw.).
Strukturierte Informationssammlung (SIS) Die personenzentrierte strukturierte Informationssammlung (SIS) im Rahmen des Erstgespräches verschafft der Pflegeperson eine rasche Orientierung über die persönliche Situation des pflegebedürftigen Menschen. Hierbei wird das aktuelle Lebensumfeld berücksichtigt, z.B. ob er in einem Seniorenheim lebt oder zu Hause von einem ambulanten Pflegedienst betreut wird. Das selbstbestimmte Leben mit individuellen Wünschen und Vorstellungen (auch bei gesundheitlichen Einschränkungen) wird hierbei stets in den Mittelpunkt gestellt. Die Biografie des Pflegebedürftigen fließt in die SIS ein, ein gesondertes Formular ist nicht notwendig. Pflegerelevante Beobachtungen, Einschätzungen und Risikofaktoren werden erst im Anschluss rational und fachlich begründet erhoben.
Als wissenschaftliche Grundlage für die SIS dienen die Themenfelder des Neuen Begutachtungs-Assessments (NBA):
kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Orientierung, Interaktionen etc.)
Mobilität und Beweglichkeit
krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen (psychische/physische Einschränkungen usw.)
Selbstversorgung (Durchführung elementarer Alltagsaktivitäten)
Leben in sozialen Beziehungen (Gestaltung von Aktivitäten im näheren Umfeld und außer Haus)
Wohnen/Häuslichkeit (stationärer Bereich), Haushaltsführung (ambulanter Bereich)
Zur Anleitung für die Umsetzung der SIS können sich die Pflegekräfte an Leitfragen orientieren. Die fachliche Einschätzung der Risikofaktoren in den Kategorien Dekubitus, Sturz, Schmerz, Inkontinenz, Ernährung und individuell zu benennenden Phänomenen wird mithilfe eines Ankreuzverfahrens im Sinne eines Initialassessments durchgeführt („Risikomatrix“). Hierbei werden die Aspekte der Risikoeinschätzung mit den Themenfeldern des NBA in Zusammenhang gebracht und in ihrer Abhängigkeit beurteilt („wie z.B. Sturz mit Mobilität/Bewegung oder Schmerz mit krankheitsbedingten Anforderungen“). So wird ermittelt, ob sich aus den Themenfeldern ein pflegerelevantes Risiko ergibt.
Maßnahmenplanung Im Anschluss daran kann der Handlungsbedarf in der Maßnahmenplanung (ersetzt den Begriff „Pflegeplanung“) dokumentiert werden. Bei der Maßnahmenplanung ist keine gesonderte Festlegung von Pflegezielen vorgesehen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Ziele aus der Maßnahmenplanung und durch den Abgleich mit den Wünschen der pflegebedürftigen Person ableiten.
Entscheidend für die angestrebten Ergebnisse ist die Darstellung der im Einzelfall personenbezogenen wichtigen und gemeinsam vereinbarten Maßnahmen. In der stationären Pflege sind keine Einzelleistungsnachweise für regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen und Abläufe in der grundpflegerischen Versorgung und Betreuung erforderlich. Bedingung ist, dass im Qualitätsmanagement schriftliche Verfahrensanleitungen für die wichtigsten Pflegehandlungen festgelegt werden. Abweichungen von den geplanten Maßnahmen sowie tagesaktuelle Beobachtungen werden im Berichteblatt dokumentiert (MDK, MDS 2016).
Abb. 4.10 Strukturmodell Pflegedokumentation (stationäre Pflege).
Abb. nach: Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Berlin
Merke
Die Pflegevisite dient der Abstimmung des Pflegeprozesses und kann z. B. in Form einer Dienstübergabe am Patientenbett umgesetzt werden. Bei dieser Form der Pflegevisite wird der Patient regelmäßig besucht und gemeinsam mit ihm sein Pflegeprozess besprochen.
Es ist nicht notwendig, bei allen Patienten/Bewohnern eine Pflegevisite durchzuführen, genutzt wird sie vorwiegend bei Betroffenen mit komplexen Problemen, schwierigen Versorgungslagen oder bei gravierenden Veränderungen der Pflegesituation. Pflegeprobleme und Ressourcen (bzw. Pflegediagnosen) werden konkret benannt und Pflegeziele vereinbart. Durch diese aktive Beteiligung und Information des Patienten versteht dieser die Hintergründe der durchgeführten Maßnahmen und wird dazu motiviert, sich selbst gesundheitsfördernd zu verhalten.
Zur Vorbereitung der Pflegevisite werden die Pflegeplanung und der Pflegeprozess ausgearbeitet. Vor dem Hintergrund der ganzheitlichen Betrachtungsweise (gesamter Versorgungsprozess, soziales Umfeld des Patienten) werden alle beteiligten Berufsgruppen in die Planungen einbezogen. Im ▶ Bereichs- und Bezugspflegesystem bzw. im ▶ Primary Nursing ist die für den Patienten/Bewohner zuständige Pflegeperson für die Pflegevisite verantwortlich. Die Funktionsorientierung im ▶ Funktionspflegesystem erschwert eine intensive, ganzheitlich orientierte Kommunikation zwischen den Pflegenden und den Patienten.
Die Pflegevisite wird mit folgender Zielsetzung durchgeführt:
Überprüfung der Pflegeplanung und der Pflegedokumentation
Überprüfung des Pflegezustands
Einhaltung der hausinternen Standards
Einhaltung fachbereichsbezogener Richtlinien
Durchführung und Evaluation der Pflegeplanung
Patientenzufriedenheit
Die Pflegevisite verläuft in folgenden Schritten:
In der Vorbereitungsphase der Pflegevisite bespricht die zuständige Pflegeperson mit den anderen an der Versorgung Beteiligten die Pflegeprobleme und notiert sich die zentralen Fragestellungen.
Anschließend wird die Visite am Patientenbett durchgeführt, an welcher der Patient/Bewohner aktiv teilnimmt.
Die Nachbesprechung dient der Umsetzung bzw. Umstellung von Pflegehandlungen und Pflegemaßnahmen und der Nachbereitung der Visite (Hilfsmittel bestellen bzw. einsetzen).
Im nächsten Schritt werden der zuständige Arzt und andere betroffene Berufsgruppen über die neue Situation informiert und alle Ergebnisse dokumentiert.
In der Auswertung der Pflegevisite werden zudem Mängel in der bisherigen Versorgung deutlich und Wünsche des Patienten/Bewohners.
In der nächst folgenden Pflegevisite werden die Maßnahmen erneut überprüft und eine Erfolgskontrolle durchgeführt.
Im Bereich der Altenpflege findet man z. T. abweichende Schwerpunkte der Pflegevisite. Sowohl Kontrollen der Durchführung einer pflegerischen Leistung durch die PDL bzw. Wohnbereichsleitung als auch (alleinige) Kontrollen der pflegerischen Dokumente werden mit dem Begriff bezeichnet. Im ersten Fall stehen die Einhaltung hausinterner Standards wie auch die Einhaltung fachbereichsbezogener Richtlinien im Vordergrund (Überprüfung der Leistung einzelner Pflegender), die Pflegevisite zur Kontrolle der Dokumente wird i. d. R. zur Evaluation/Aktualisierung der Pflegeplanung genutzt.
Wie zuvor beschrieben, handelt es sich beim Pflegeprozess um ein Instrument, das Pflegenden zur Unterstützung und Orientierung dient, ihre Pflegehandlungen zu strukturieren und zielgerichtet umzusetzen. Die einzelnen Schritte beinhalten für jeden Pflegebedürftigen individuelle Überlegungen, Handlungen und Entscheidungen.
Daher sollte die Pflegeperson über das notwendige Wissen verfügen, über analytische und kommunikative Fähigkeiten sowie über soziale Kompetenz im Umgang mit dem Pflegebedürftigen und seiner individuellen pflegerischen Problemstellung. In der Fach- und Methodenkompetenz sollte sich die Pflegeperson immer auf dem derzeitig aktuellen (pflege-)wissenschaftlichen Stand befinden.
Mit den genannten Kompetenzbegriffen sind folgende Inhalte gemeint:
soziale Kompetenz:
Kommunikationsfähigkeit
Beziehungsfähigkeit
Konfliktfähigkeit
Teamfähigkeit
Verantwortungsbereitschaft
usw.
Fachkompetenz:
fundiertes theoretisches und praktisches Fachwissen
Sicherheit im beruflichen Handeln
Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit
Wahrnehmung
erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten anwenden
usw.
Methodenkompetenz:
Organisationsfähigkeit
Beobachtungsvermögen
Analysefähigkeit
angemessenes Handeln
ganzheitliches Denken, vernetztes Denken
usw.
persönliche Kompetenz:
Persönlichkeitsbildung
Flexibilität
Eigenständigkeit
Leistungsbereitschaft
Kontaktfähigkeit
usw.
Merke
All diese Kompetenzen entwickeln sich im Laufe des Berufslebens bzw. sollen durch kontinuierliche Fort- und Weiterbildung gefördert werden, denn auf dieser Grundlage können Pflegende die Anforderungen des Pflegeprozesses im Berufsalltag umsetzen. Sie sollen ihr vorhandenes Wissen und ihre Handlungen reflektieren, erweitern und fördern.
Dies ist ein wichtiger Aspekt, auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, z. B. den Ärzten. Mit einem fundierten Fachwissen und geübten kommunikativen Fähigkeiten ist eine gezielte Verständigung zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen möglich.
Definition
Pflegesysteme beschreiben die „… Arbeitsorganisation für pflegerische Dienstleistungen, also die Bedarfseinschätzung, Planung, Koordination, Durchführung und Bewertung von Pflegeangeboten. Je nach Organisationsform orientieren sich Pflegesysteme stärker an den Betriebsabläufen der Institution (...) oder am Gesundungsprozess des Patienten (...)“ (Georg u. Frowein 2001).
Das „Pflegesystem“ beschreibt die Arbeitsorganisation, das angewendete Arbeitssystem, d. h. die Art und Weise, wie pflegerische Aufgaben aufgeteilt und auf das zur Verfügung stehende Personal verteilt werden. Die Organisations- und Arbeitsform der Pflege, also die Arbeitsabläufe und Verantwortungsbereiche, werden in diesem System festgelegt. Dabei treffen Pflegesysteme keine inhaltlichen Aussagen zu allgemeinen Zielen der Pflege. Diese werden im bereits beschriebenen Pflegeprozess festgelegt.
Die Organisation eines Krankenhauses (Seniorenheim, Rehabilitationsklinik usw.) setzt sich aus verschiedenen (Fach-)Bereichen, Stationen oder Gruppen zusammen. Hierzu gehören:
auf der Station liegende Patienten/Bewohner eines Wohnbereichs
Team aus Pflegefachkräften
Ärzte
Schüler, Auszubildende
Versorgungsassistenten
Hilfskräfte, Servicekräfte
Praktikanten
FSJler
Bundesfreiwilligendienst usw.
Die genannten Personen befinden sich innerhalb des Systems. Sie arbeiten berufsgruppenübergreifend zusammen. Dementsprechend müssen ihre Handlungen/Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche aufeinander abgestimmt werden. Die Wahl des jeweiligen Organisationssystems muss nicht einrichtungsübergreifend stattfinden, sondern sollte sich an den Rahmenbedingungen des jeweiligen Bereiches/der Station orientieren.
Grundsätzlich liegen der pflegerischen Organisation 2 Denkansätze (Pflegeprinzipien) zugrunde:
das funktionsorientierte Pflegeprinzip
das ganzheitlich-patientenorientierte Pflegeprinzip
Oft ist die Philosophie der Einrichtung demnach richtungsweisend für die Nutzung der einen oder der anderen Organisationsform. Stellen also z. B. die Leitlinien bzw. die Philosophie eines Krankenhauses patientenorientiertes Handeln als Grundsatz dar, so sollte sich in dieser Einrichtung auf keiner Station die Organisationsform der Funktionspflege finden. ▶ Abb. 4.11 stellt die beiden Pflegeprinzipien mit den möglichen Organisationsformen vor.
Aufteilung der Pflegesysteme und ihre Zuordnung in der Organisationsform.
Abb. 4.11
Tendenz zum ganzheitlichen Ansatz In den letzten Jahren hat in Deutschland ein Paradigmenwechsel (Änderung der Sichtweise) stattgefunden. Das zuvor weitverbreitete funktionsorientierte Denken wird zunehmend durch ganzheitliche/patientenorientierte Ansätze ersetzt – nicht zuletzt gefördert durch die Anforderungen des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) nach individuellem Handeln. Es existieren jedoch weitverbreitet Mischsysteme bzw. Übergangsformen, mehr oder weniger realisiert von den Verantwortlichen. ▶ Abb. 4.12 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Pflegeprinzip und Organisationsform. Im Anschluss werden die Besonderheiten der jeweiligen Organisationsform näher erläutert.
Zusammenhang zwischen Pflegeprinzip und Pflegeorganisationsform.
Abb. 4.12
Die Einzelpflege bietet optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung patientenorientierter Pflege. Bei der Einzelpflege erfolgen Pflege und Betreuung eines Patienten im Verhältnis 1:1. Dies bedeutet, dass eine Pflegeperson für einen hilfebedürftigen Menschen zuständig ist und diesen ganzheitlich pflegt. In der häuslichen Pflege findet im Allgemeinen Einzelpflege statt. Pflegekräfte, die für ambulante Pflegedienste arbeiten, betreuen hilfebedürftige Menschen in ihrer häuslichen Umgebung. Auf Intensivstationen wird ebenfalls für sehr pflegebedürftige Patienten eine Einzelpflege praktiziert, meistens erfolgt die Betreuung jedoch im Verhältnis 2:1 bis 4:1, je nach Schweregrad der Erkrankung bzw. in der Tag-/Nachtschichtbesetzung.
Definition
Funktionspflege wird auch als „funktionelle Pflege“ oder „Stationspflege“ bezeichnet. Hierbei werden (Pflege-)Handlungen am Patienten in einzelne Arbeitsschritte eingeteilt, die dann von den zuständigen Mitarbeitern je nach Qualifikation ausgeführt und umgesetzt werden.
In diesem System wird die Pflege in spezielle Aufgaben unterteilt. Diese Arbeitsorganisationsform orientiert sich nicht so sehr an den Patienten, sondern stärker an den Betriebsabläufen. Die Arbeitsverteilung wird hierarchisch-zentralistisch geregelt. Dies bedeutet, dass die Funktionspflege eine tätigkeitsorientierte und streng arbeitsteilige Form der Arbeitsorganisation ist, wobei die Stationsleitung die Aufgaben und Verantwortung delegiert: Beispielsweise führt die Pflegende alle notwendigen Verbandwechsel durch, während der Krankenpflegeschüler bei allen Patienten den Blutdruck misst.
Funktionspflege hat folgende Vorteile:
Auch bei Personalengpässen bestehen hohe Effektivität und Arbeitsbewältigung.
Verteilung und Durchführung der Aufgaben erfolgen entsprechend der Qualifikation der Mitarbeiter.
Die Nachteile der Funktionspflege aber sind folgende:
Aufgaben werden in „höherwertige“ und „niedrige“ unterteilt.
Es gibt keine feste Bezugsperson/keinen festen Ansprechpartner für den Patienten.
Der Informationsfluss ist erschwert, Informationen können leicht verloren gehen.
In den festgelegten Tätigkeitsbereichen gibt es wenig Entfaltungsmöglichkeiten für die Pflegenden.
Die Pflegenden bekommen kaum Verantwortung für die Übernahme von Aufgaben.
Die Arbeitsabläufe sind eher monoton.
Die Praxisanleitung für Auszubildende in der Pflege findet tätigkeitsbezogen statt, die Auszubildenden „funktionieren“ auf Anweisung und ihre Eigenständigkeit wird wenig gefördert.
Es besteht die Gefahr, dass bei den Mitarbeitern eine Burn-out-Symptomatik auftritt.
Es kann zur Entfremdung im Team und bei den Patienten/Bewohnern kommen.
Fachliche Normen werden in der Berufsausübung nur in geringem Maße berücksichtigt.
Pflege wird zu einer Fließbandarbeit, bei der der Patient/Bewohner zum neutralen Pflegeobjekt verkommt, zu einer „Sache“.
Ergebnis: Pflegepersonen werden zu funktionellen „Hilfsarbeitern“.
▶ Tab. 4.4 zeigt eine hierarchisch-zentralistische Arbeitsorganisation.
Wer? |
Aufgaben |
Stationsleitung |
|
Stationsleitung/Pflegende |
|
Krankenpflegehelfer/ Pflegeschüler/pflegerisches Hilfspersonal |
|
Definition
Bei der Bereichspflege wird die Station in Einzelbereiche unterteilt, unabhängig von den Krankheitsbildern. Jedem Bereich wird ein Pflegeteam bzw. eine Pflegeperson zugeordnet, die Einteilung erfolgt durch die Stationsleitung. Formen der Bereichspflege sind die sog. Zimmerpflege (die Einteilung erfolgt nach Zimmern) oder die Gruppenpflege (bestimmte Patienten bilden die Gruppe für die Pflegenden).
Bei der Bereichspflege, die auch Gruppenpflege genannt wird, erbringt eine bestimmte Anzahl von Pflegepersonen alle erforderlichen Pflegeleistungen für eine Gruppe von Personen oder Bewohnern. Eine große Pflegeeinheit wird in mehrere kleine Pflegeeinheiten eingeteilt. Dabei erfolgt die Einteilung nach Zimmern, Patienten- bzw. Bewohnergruppen oder Stationsbereichen.
Das Pflegeteam eines Bereiches plant gemeinsam alle Maßnahmen, Handlungen und Arbeitsschritte und legt fest, welches Teammitglied welche Aufgaben und Tätigkeiten übernimmt. Dem Team können Personen unterschiedlicher Qualifikation angehören, z.B. examinierte Pflegefachkräfte, Krankenpflegeassistenten, auszubildende Pflegekräfte sowie Servicekräfte etc.
Sie tragen für diesen Bereich die Verantwortung und führen alle notwendigen Pflegetätigkeiten durch. Alle Beobachtungen und Dokumentationen werden gemeinsam besprochen.
Das Pflegeteam betreut eine bestimmte Anzahl von Patienten nach deren individuellen Bedürfnissen.
Vorteile der Bereichspflege sind u. a. folgende Aspekte:
Die Patientengruppe ist überschaubar, die Patienten werden stärker wahrgenommen als in der Funktionspflege.
Die Beziehung zwischen dem Patienten/Angehörigen und Pflegeperson ist intensiver.
Der Informationsaustausch ist umfassender, die Gefahr von Informationsverlusten geringer.
Pflegende haben mehr Handlungs- und Entscheidungsfreiraum.
Krankenpflegeschüler können mehr Aufgaben übernehmen als in der Funktionspflege und haben somit ein höheres Lernpotenzial.
Die Wege sind kürzer, die Wegzeiten geringer.
Nachteile dieses Organisationssystems sind:
Das Pflegeteam eines Bereichs ist nicht ausreichend über die Patienten eines anderen Bereichs auf der Station informiert und fühlt sich u.U. nicht zuständig, wenn ein Patient aus einem anderen Bereich Hilfe benötigt oder Fragen stellt. Hilft ein Mitarbeiter aus einem Pflegebereich in einem anderen Bereich aus, ist er über die Patienten und deren Krankheitsbilder evtl. zu wenig informiert.
In der „Gruppenbildung“ können Kollegialität sowie Hilfsbereitschaft untereinander abnehmen.
Definition
Zielsetzung der Bezugspflege ist die individuell ganzheitliche Betreuung des Patienten/Kunden/Bewohners usw. Sie wird mittels Bezugspflegepersonen umgesetzt. Es handelt sich um ein dezentral-egalitäres Organisationsprinzip, d. h., dass alle Bezugspflegepersonen gleichgestellt sind und niemand übergeordnete Tätigkeiten delegiert.
Folgende Merkmale kennzeichnen die Organisationsform der Bezugspflege:
Jeder Patient/Bewohner wird einer Bezugspflegeperson zugeordnet.
Die Bezugspflegeperson ist im Rahmen der gesetzlichen Bedingungen bis zur Entlassung des Patienten (oder dessen Tod) entscheidungsbefugt.
Sie ist für diesen bestimmten Patienten oder Bewohner zuständig ( ▶ Abb. 4.13) und kann diese Zuständigkeit nicht von sich weisen. Die Pflegekraft ist verpflichtet, sich aller pflegerelevanten Probleme anzunehmen und notwendige Schritte zu planen und einzuleiten. Eine Delegation unterstützender Handlungen ist möglich.
Planung und Evaluation der Pflege obliegen der Bezugspflegeperson, die Durchführung der Pflege auch anderen Pflegepersonen – jedoch nur dann, wenn die Bezugspflegeperson nicht anwesend ist.
Alle anderen Pflegepersonen sind gegenüber der Bezugspflegeperson rechenschaftspflichtig. Dies bedeutet, dass keine andere Pflegeperson ohne die Einwilligung der Bezugspflegeperson die Pflegeplanung oder -maßnahmen des Patienten oder Bewohners ändern darf.
Darüber hinaus übernimmt die Bezugspflegeperson alle pflegerischen Tätigkeiten.
In Abwesenheit der Bezugspflegeperson orientieren sich die Mitarbeiter an deren Anweisungen/Pflegeplanung.
Die Pflege wird in dieser Organisationsform als Einheit gesehen, es erfolgt keine Stückelung der Handlungen in einzelne Tätigkeitsbereiche.
Bezugspflege.
Abb. 4.13 Bei der Bezugspflege ist eine Pflegeperson für die gesamte pflegerische Betreuung von der Aufnahme bis zur Entlassung zuständig.
(Foto: A. Fischer, Thieme)
Vorteile der Bezugspflege sind:
Eine feste Bezugspflegekraft schafft Vertrauen beim Patienten.
Die Pflegekraft benötigt breit gefächerte Kenntnisse.
Die Bezugspflegekraft kann den Ablauf der Tätigkeiten sinnvoll organisieren.
Sie besitzt Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum.
Ihre umfassende Zuständigkeit erfordert Verantwortungsgefühl und umfangreiches Wissen über den einzelnen Patienten.
Zu den Nachteilen der Bezugspflege gehört v. a. die Tatsache, dass es bei Konflikten und Konfrontationen kaum Ausweichmöglichkeiten gibt. Abhilfe könnte hier zunächst ein direktes, klärendes Gespräch zwischen der Bezugspflegekraft und dem Patienten schaffen. Es erfordert Stärke, Konsequenz und oft auch Mut, Probleme offen anzusprechen. Sollte die „Chemie“ jedoch nicht stimmen, könnte die Bezugspflegekraft im nächsten Schritt den Patienten einer anderen Bezugspflegekraft im Austausch übernehmen.
Definition
Primary Nursing (PN) wird im Deutschen auch „Primärpflege“ genannt. PN gilt als Sonderform der Bezugspflege. Es ist eine Organisationsform der Pflege, die (nach Manthey 1980) dazu dient,
die Rund-um-die-Uhr-Verantwortung für die Versorgung eines Patienten einer bestimmten Pflegekraft zu übertragen und
dass diese Pflegekraft, wenn immer möglich, auch tatsächlich die Pflege des Patienten übernimmt.
Das Primary Nursing wurde Ende der 1960er-Jahre in den USA von Mary Manthey entwickelt und eingeführt. Seit den 1970er-Jahren ist es in den USA weit verbreitet und seit den 1980er-Jahren auch im angelsächsischen Raum und in Skandinavien. Seit Mitte der 1990er-Jahre besteht auch in Deutschland ein verstärktes Interesse am PN.
Die Primärpflege ist dadurch gekennzeichnet, dass eine professionelle Pflegeperson die Betreuung und Verantwortung für eine begrenzte Anzahl Patienten von dem Zeitpunkt ihrer Aufnahme bis zu ihrer Entlassung übernimmt. Dies geschieht über 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche. Dabei liegt das Zahlenverhältnis zwischen Pflegeperson und Patienten je nach Pflegeaufwand im Durchschnitt zwischen 1:5 und 1:7.
Die Pflege soll beim Primary Nursing nicht in eine Reihe von Einzeltätigkeiten unterteilt werden, sondern in ihrer Gesamtheit Berücksichtigung finden. Der pflegebedürftige Mensch steht im Mittelpunkt des pflegerischen Handelns. Im Primary Nursing ist die Pflegeplanende zugleich Pflegedurchführende. Daher sollte die Pflegende mit der größten fachlichen Kompetenz direkt mit dem Patienten arbeiten und indirekte Arbeiten delegieren. Informationen über den Patienten, die häufig im direkten Kontakt erworben werden, können so ohne Übermittlungsverluste in die Koordinierung des Versorgungsablaufs einfließen.
Associated Nurse Da die Primär-Pflegeperson (Primary nurse) nicht an 7 Tagen der Woche über 24 Stunden in der Klinik/Pflegeeinrichtung anwesend sein kann, wird sie in ihrer Abwesenheit von der sog. Associated Nurse vertreten. Die vertretende Pflegeperson führt die von der Primär-Pflegeperson angeordneten Pflegemaßnahmen in deren Sinne weiter und dokumentiert sie. Nur in Notsituationen oder bei akuten Zustandsveränderungen des Patienten weicht die Associated Nurse vom Pflegeplan der Primary Nurse ab. Die Associated Nurse berichtet der Primary Nurse in der Übergabe, ob es Abweichungen in der Durchführung der Pflege gab, und begründet diese.
Folgende Zielsetzungen werden für Primary Nursing definiert:
Die Gesamtverantwortung eines informierten Ansprechpartners vermittelt Sicherheit und schafft Vertrauen.
PN verfolgt eine individuelle, umfassende und kontinuierliche Pflege.
Durch ihre eindeutige Zuständigkeit, Verantwortung und Rechenschaft ist der Pflegekraft eine größtmögliche Autonomie gegeben.
Die Behandlungs- und Betreuungsprozesse werden durch intraprofessionelle und interdisziplinäre Kooperation sowie direkte, klare Kommunikationswege optimiert (Schippers 2007).
In diesem Pflegesystem erhält die Primary Nurse (also die zuständige Pflegeperson) umfassende Verantwortung für die Pflege eines Patienten. Voraussetzung ist, dass ihre Zuständigkeiten in ihrer Stellenbeschreibung schriftlich fixiert und formal festgelegt sind.
Merke
Besonderheit dieses Bezugspflegesystems ist, dass die Primary Nurse alle patientenbezogenen Absprachen sowie die entsprechende Koordination übernimmt. Sie ist zentraler Ansprechpartner für alle an der Versorgung Beteiligten (hohe kommunikative und soziale Kompetenz erforderlich!) sowie für die Sammlung, Beurteilung, Steuerung und Weitergabe von Informationen.
Patientenbezogene Kommunikation Die Primary Nurse bedient hierbei auch externe Schnittstellen, d. h., sie ist auch außerhalb des Krankenhauses für den Patienten zuständig (in institutionsübergreifender Organisation bzw. für vor- und nachbetreuende Einrichtungen), das Entlassungsmanagement des Menschen liegt demnach vollständig in ihrer Hand.
Patientenbezogene Strukturierung Durch die patientenbezogene Verantwortung der Primary Nurse findet eine Dezentralisierung von Machtstrukturen statt, lediglich der Stationsleitung ist weiterhin die Verantwortung für die Mitarbeiter unterstellt. Alle organisatorischen Rahmenbedingungen werden am Interesse des Patienten ausgerichtet bis hin zur Anpassung des Dienstplans. Dabei wird, als strukturelles Merkmal für eine Station oder eine Behandlungseinheit, zwischen „Kurzliegern“ und „Langzeitpatienten“ unterschieden.
Folgende Aufgaben fallen in den Bereich der Primary Nurse:
praktische Anwendung des Pflegeprozesses, pflegerische Anamnese
Pflegeplanung
Durchführung der Pflege inkl. Evaluation
Organisation der Behandlung, Koordination von Untersuchungen/Therapien
Schlüsselperson für die patientenbezogene Kommunikation
Beziehungsgestaltung, Kontaktpflege mit Angehörigen/Bezugspersonen
Entlassungsmanagement für den entsprechenden Patienten
ggf. Erstellung/Überprüfung von Pflegediagnosen
In den USA und England sind Studien zu Auswirkungen von PN auf die Pflegequalität durchgeführt worden, bei denen sich herausgestellt hat, dass PN die Zufriedenheit des Patienten steigert und die Pflegequalität verbessert.
Primary Nursing orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten, benennt klare Verantwortlichkeiten und schafft Kontinuität im organisatorisch-pflegerischen Ablauf.
Im deutschen Pflegesystem hat Primary Nursing sich bislang aufgrund der (scheinbar) höheren Personalkosten für die hoch qualifizierten Fachkräfte noch nicht durchgesetzt. Zudem könnten die große Verantwortung und die enge Beziehung zu Patient/Bewohner und Angehörigen sowohl bei den Pflegekräften als auch auf den Stationen/Bereichen Ängste auslösen. Eine zentrale Rolle spielt daher die verbindliche Klärung von Aufgaben, Zuständigkeiten, Verantwortungsbereichen und Befugnissen in der jeweiligen Einrichtung. Des Weiteren ist die Finanzierung in Deutschland kaum umsetzbar, da die rund um die Uhr verantwortliche Bezugspflegeperson nicht einerseits im Krankenhaus zuständig und beschäftigt sein kann und auf der anderen Seite den Pflegebedürftigen auch im ambulanten Sektor bzw. zu Hause betreut.
Merke
Grundsätzlich gilt im Hinblick auf die wirtschaftlichen Aspekte die Prämisse „ambulant vor stationär“. Danach haben Versicherte (z. B. einer Krankenkasse) erst dann Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung, wenn nach Prüfung durch das Krankenhaus das Behandlungsziel nicht durch eine andere Behandlungsform erreicht werden kann (§ 39 SGB V).
Als Zielvorgaben der wirtschaftlichen Aspekte gelten
die Verbesserung der Patientenversorgung,
die Kontrolle des Ressourceneinsatzes,
die Verkürzung der Verweildauer,
die Patientensicherheit und das Risikomanagement,
die Erhöhung der Patientenzufriedenheit und
die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit.
Wie diese widersprüchlich scheinenden Vorgaben in der Realität umgesetzt werden können, soll in den nachfolgenden Kapiteln verdeutlicht werden.
Vorweg erfolgt ein kurzer Hinweis darauf, was die wirtschaftlichen Belange in Bezug auf die Pflege betrifft: Um die entstehenden Kosten in der Patientenversorgung nicht unnötig in die Höhe zu treiben, sollten die Behandlungen im Sinne der betriebswirtschaftlichen Effizienz mit überlegtem und geplantem Ressourcenverbrauch erfolgen.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Pflegenden ihre Maßnahmen stets im Vorfeld planen und organisieren sollten, d. h. mehrere Aktivitäten möglichst zu bündeln und nach Standards vorzugehen. Dabei sollte der Materialverbrauch ebenfalls geplant und so gering wie möglich gehalten werden. Dies wird umgesetzt, wenn den Pflegenden Einblick in finanzielle Aspekte gewährt wird. Zunehmend erfolgt daher die Verlagerung von finanziellen Verantwortlichkeiten auf die stationäre Ebene. Hierbei erhält z. B. die Stationsleitung einen monatlichen Bericht über den Verbrauch an Wirtschaftsgütern oder Medikamenten. Jede Station hat ihr eigenes Budget, mit dem sie umgehen kann. Wissen, z. B. über die Kosten der Reinigung von Stecklaken, sollte dazu führen, dass die Pflegenden diese nur noch bei Notwendigkeit einsetzen bzw. nur bei Bedarf wechseln.
Letztlich setzt dies zuerst einen Prozess des Umdenkens im Bereich der Führungsebene voraus, der sich anschließende (gewünschte) Prozess der Verantwortlichkeitsübernahme jedes Mitarbeiters muss geplant werden und benötigt Zeit.
In Deutschland findet die Krankenhausfinanzierung über 2 Wege statt. Es handelt sich hierbei um die Finanzierung der Investitionen und die Vergütung der voll- und teilstationären Leistungen (duales Finanzierungssystem).
Finanzierung der Investitionskosten Investitionskosten (für Neubauten, Umbaumaßnahmen oder die Anschaffung von Geräten) werden nach Genehmigung durch das Bundesland unterstützt, zu dem das Krankenhaus gehört. Der Staat finanziert diese Investitionen durch Steuereinnahmen. Die Unterstützung reicht jedoch nicht für die gesamte Finanzierung, im Jahr 2009 mussten die Krankenhäuser bereits 54% der Mittel für Investitionen aus Eigenmitteln und Krediten aufbringen (Debatin, Ekkernkamp, Schulte u. Tecklenburg 2013).
Finanzierung der Betriebskosten Die Betriebskosten (Kosten der Patientenversorgung) entstehen direkt bei der Behandlung des Patienten oder indirekt in Form von Personalkosten, Heizkosten oder Verbrauchsmaterialkosten usw. Sie werden durch die Kostenträger (i. d. R. Krankenkassen) als Pflegesätze über das DRG-System, also demnach über die Krankenkassenbeiträge der Mitglieder finanziert.
In ▶ Abb. 4.14 ist der Krankenhausfinanzierungsprozess dargestellt.
Abb. 4.14 Krankenhausfinanzierung in Deutschland.
Krankenhausfinanzierungsgesetz Die Krankenhausfinanzierung ist im KHG (Krankenhausfinanzierungsgesetz) geregelt. Das KHG soll gemäß § 1 die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser ermöglichen, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Zudem werden im KHG wirtschaftliche Gesichtspunkte und Qualitätsaspekte von Krankenhäusern festgelegt. Das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) enthält spezifische Regelungen für die Vergütung der Behandlungsleistungen im somatischen Bereich.
Bundespflegesatzverordnung und Sozialgesetzbuch Die Bundespflegesatzverordnung (BPflV) regelt nach § 1 die Vergütung der voll- und teilstationären Leistungen des Krankenhauses, das SGB V (Sozialgesetzbuch V) wiederum umfasst u. a. Regelungen zur ambulanten, vor- bzw. nachstationären Krankenhausbehandlung. In § 39 Abs. 1 SGB V hat der Gesetzgeber die folgenden Formen der Krankenhausbehandlung festgelegt:
vollstationäre Behandlung
teilstationäre Behandlung
vor- und nachstationäre Behandlung
ambulantes Operieren
Gleichzeitig wurde der Vorrang der ambulanten sowie teil-, vor- und nachstationären Behandlung vor der vollstationären Behandlung verankert (Grundsatz „ambulant vor stationär“), (Haubrock u. Schär 2009). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für stationäre Krankenhausbehandlung, sondern auch die ambulante Pflege im häuslichen Bereich soll der dauerhaften Aufnahme im Pflegeheim nach Möglichkeit vorgezogen werden.
Gesundheitsreform 2000 Im Gesetz zur Gesundheitsreform 2000 sind die DRGs (Diagnosis Related Groups) als Finanzierungsform für Deutschland festgeschrieben worden. Mit diesem System sollen gemäß § 2 der BPflV diejenigen Krankenhausleistungen abgegolten werden, die im einzelnen Behandlungsfall für eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Die voll- und teilstationären Leistungen der somatischen Krankenhäuser in Deutschland werden über das DRG-System vergütet. Die Vergütung voll- und teilstationärer Leistungen von psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern und Fachabteilungen ist über die pauschalierenden Entgelte für die Psychiatrie und Psychosomatik (PEPPV) niedergelegt.
Die Krankenhausvergütung wird jährlich weiterentwickelt und überarbeitet. Für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen ist seit 2013 ein ähnliches Vergütungssystem wie das DRG-System vorgesehen.