Von 1959 bis 1961 wandte sich Picasso Édouard Manet und seinem Frühstück im Grünen (1862-1863) zu. Während dieser Zeit studierte der Spanier Manets Meisterwerk in einer Serie von 140 Zeichnungen, 27 Gemälden und 4 Linolschnitten. Manets Originalbild hatte aufgrund der unorthodoxen Darstellung eines traditionellen Sujets heftige Kritik hervorgerufen: Eine nackte Frau ist in ungezwungener Pose neben zwei vollständig bekleideten Männern, die in einer Landschaft bei einer Mahlzeit miteinander zu diskutieren scheinen, dargestellt. Picasso versucht nicht, Manets Komposition zu kopieren, wie es in diesem Fall leicht misszuverstehen wäre. Jede Studie des ursprünglichen Meisterwerkes führte zu einem anderen Ergebnis und zeigt Picassos lebenslanges Interesse daran, aus der Vergangenheit zu lernen.
Das Frühstück im Grünen, nach Manet, 1960. Öl auf Leinwand, 130 x 195 cm. Musée Picasso Paris, Paris
Der Maler und sein Modell, 1963. Öl auf Leinwand, 195 x 130,3 cm. Pinakothek der Moderne, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Picasso kehrt hier zu einem Thema, das er reichlich in den späten 1920er und 1930er Jahren untersucht hatte, zurück. Es ist die Thematik, in welcher Picasso explizit seine Idee von einem Künstler widerspiegelt: Eine nahezu mythische Figur, die mühelos geniale Meisterwerke produziert. Die nackte Frau auf der gegenüberliegenden Seite ist wie in mehreren erotischen Bildern Picassos eine passive Figur, die darauf begrenzt ist, ihren Körper als Inspirationsquelle dem Künstler zur Verfügung zu stellen.
Für die Gemäldeserie, die dem klassischen Thema des Raubs der Sabinerinnen gewidmet war, wurde Picasso sowohl von Nicolas Poussin als auch von Jacques-Louis David inspiriert. Es zeigt eine legendäre Episode der frühen römischen Geschichte, als die Römer sich Frauen unter den benachbarten Stämmen suchten, um mit ihnen Familien zu gründen, so zum Beispiel bei den Sabinern. Während eines Volksfestes entführten die Römer die jungen Frauen der Sabiner. Diese Szene der Schlacht zwischen Römern und Sabinern, deren Ausweglosigkeit die Figuren im Vordergrund antreibt, zeigt die schrecklichen Folgen in den dramatisch verzerrten Figuren einer Frau und ihrem weinenden Kind.
Frau mit Pompon-Hut und Bedruckter Bluse, 1962. Linolschnitt, 62,9 x 53 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York
Obwohl er dieses Gestaltungsmedium bereits in den späten 1930er Jahren verwendet hatte, kehrte Picasso, als er 1958 in sein Château de Vauvenargues zog, zum Linolschnitt zurück. Er mochte das Medium durch seine geschmeidige Oberfläche, in die erleicht schneiden konnte. Die Inspiration für diesen farbenfrohen Schnitt war seine Frau Jacqueline, die er sehr oft porträtierte.
In den letzten Jahren seines Lebens fertigte Picasso unzählige Porträts seiner zweiten Frau, Jacqueline Roque, an. Diese Version zeugt von großer Einfachheit, da einfache Linien auf große Farbflächen aufgetragen wurden. Gerade einmal zehn Pinselstriche genügen, um das Porträt einer Frau in einem kräftigen Farbfeld, das das Weiß der Leinwand mit einbezieht, darzustellen.
In seinen letzten Jahren malte Picasso auch viele erotische Bilder. Diese erreichen groteske Verformungen wie dieser Liegende Akt, in dem der Künstler die Körperkonturen und Proportionen stark verändert hat. Der Voyeur, der während Picassos Karriere hervortrat, sehnte sich an diesem Punkt verzweifelt nach jenen frühen Jahren zurück; vielleicht auch ein Weg, die Freuden der Jugend noch einmal zu erleben, denn der unvermeidliche körperliche Verfall nahm seinen Lauf.
Dieses ausdrucksstarke Bild gibt einen anderen Blickwinkel auf das Thema des Raubs der Sabinerinnen. Die Stärke des Bildes entsteht vordergründig durch die verwendete Perspektive. Die Größe der Köpfe des Soldatens und des Pferdes zeigen, dass der Betrachter die Szene aus der Sicht der Frau, die im Begriff ist, von den großen Tierhufen niedergetrampelt zu werden, miterlebt. Es ist nicht verwunderlich, dass Picasso die Farbskala auf Schwarz-, Grau- und Weißtöne begrenzte, denn dies tat er auch bei anderen monumentalen Anti-Kriegswerken wie Guernica und Massaker in Korea. Dieses Gemälde war die letzte große politische Aussage Picassos, gedacht als Reaktion auf die Spannungen während der Kubakrise.
In einigen Spätwerken sind Picassos Deformationen des menschlichen Körpers weniger Zeichen des Leidens, der latenten Gewalt oder sexueller Erregung. In Bildern wie dieser Sitzenden Frau mit Hut scheint es dem Künstler lediglich darum zu gehen, mit Formen und Farben in einer unbeschwerten Art und Weise – Kunst um der Kunst willen – zu experimentieren. Diese Farbkombination verwendete Picasso, um die gleiche heitere Wirkung auch in Bildern wie Frau mit einem Mieder zu bewirken.
Raffael und die Fornarina mit dem Papst als Voyeur, aus der Serie, Suite 347’, 1968. Radierung, 16,7 x 20,8 cm. Museu Picasso, Barcelona
Im Jahr 1968 erschuf Picasso seine größte Serie von Drucken, die wegen der Anzahl an Bildern, die sie enthielt, Suite 347 genannt wird. Die Serie umfasst eine abwechslungsreiche, in einer theatralischen Art und Weise behandelte Themenreihe, als ob Picasso sein eigenes Leben auf einer Bühne bewerten würde. Sexuelle Szenen und Voyeurismus sind in dieser Serie sehr präsent; so wie in diesem Bild, in dem sich Picasso die erotische Beziehung zwischen Raffael Santi und seiner Geliebten, der Fornarina, vorstellt. Ein hoch aufgeladenes, sehr erotisches Bild, das auch die Figur des Voyeurs zeigt, eine Rolle von der sich Picasso zwar im Laufe seiner Karriere verabschiedet hatte, die aber in den letzten Jahren seines Lebens wieder offensichtlicher in seinem Werk erschien.
Picassos erotische Szenen wurden in den letzten Jahren seines Lebens aggressiver. Sowohl die Thematik als auch die Methode wurden brutaler. Es scheint, als habe Picasso versucht, mit seinen Pinselstrichen die Wichtigkeit des Motivs gegenüber der Ausführung herauszustellen. Etwas, das er in diesen Jahren häufiger wiederholen würde.
Diese Arbeit ist sehr repräsentativ für Picassos Spätwerk. Aufgeladen mit Erotik, ist dieser Kuss ein explizit sexuelles Gemälde. Diese späten, unzensierten Bilder haben vermutlich viel mit dem unvermeidlichen körperlichen Verfall im Alter zu tun. Im Vergleich zu anderen hoch erotischen Phasen seiner Arbeit, vor allem während seiner Beziehung mit Marie-Thérèse Walter in den 1920er und 1930er Jahren (vgl. S. * und S. **), existiert ein ähnlicher Zustand der Erregung, allerdings mit einem Gefühl der Unmittelbarkeit, welche hier fehlt. Die sexuelle Raserei dieses Bildes mit irrisierendem Blick und wellenförmigen van Gogh-Linien ist ausschließlich im Spätwerk Picassos anzutreffen.
Obwohl es sich auch nur um ein imaginäres Porträt eines Matadors handeln könnte, scheint diese Figur eine Inkarnation des alternden Picasso zu sein. Da er ein Liebhaber des Stierkampfes war, erscheint das Thema Stier und corridas ständig in seinem Œuvre. In diesem Bild hat er jeden Bezug auf den Akt des Stierkampfes als solchen weggelassen, um ein monumentales Porträt zu schaffen. Die Bilder des späten Picasso wirken, als seien sie in Eile gefertigt, in einer Art von Raserei ähnlich Rebellen angesichts des nahenden Todes. Wie barbarisch die Bilder der letzten Jahre allerdings auch sein mögen – einige sind nur begonnen, andere geradeso fertiggestellt worden –, beinhalten viele von ihnen immer noch die immense kreative Kraft Picassos wie im Falle dieses Matadors.
Die Figur des Musketiers erschien kontinuierlich in Picassos Spätwerk als eines seiner Alter Egos. Wie so viele seiner späten Bilder scheint auch dieses Musketier und Vogel sehr schnell ausgeführt worden zu sein. Obwohl ein vollendetes Äußeres fehlt, bleibt Picassos Ausdruckskraft – vielleicht die einzige Konstante in seinen ständig wechselnden Arbeiten – in diesem Bild weiterhin intakt. Dieser Charakter, den Picasso „Musketier“ nannte, kann leicht als Anspielung auf Künstler des 17. Jahrhunderts wie Rembrandt und Velázquez angesehen werden. Es scheint, als ob Picasso durch diese Werke darauf abzielte, diese von ihm zu tiefst bewunderten Maler zu verkörpern.
Selbstbildnis, 1972. Bleistift und Farbstift auf Papier, 65,7 x 50,5 cm. Fuji Television Gallery, Tokio
Weniger als ein Jahr vor seinem Tod malte Picasso dieses Selbstbildnis. Manchmal auch als Selbstporträt in Angesicht des Todes bezeichnet, scheint dies sicherlich eine alternde Selbstreflexion seiner letzten Tage zu sein. Die charakteristischen Merkmale sind auf ein paar intensive, harte Linien reduziert. Auch das verwendete Medium scheint besser als jedes andere für so ein Thema geeignet zu sein. Als Picasso diese Zeichnung fertigte, habe er sich, so scheint es, schwer gegen das Papier drücken und seine restlichen körperlichen Kräfte bewusst einsetzen müssen, um diesen Kopf, ähnlich einem Totenschädel zu verwirklichen. Trotz allem weist er die charakteristischen Merkmale Picassos auf. Aber dies ist nicht mehr der Picasso, den alle kennen: Es existiert kein selbstbewusster Blick mehr, kein Zeichen der Arroganz des Künstlers im Bewusstsein seines unbestrittenen Platzes im Zentrum der modernen Kunst. Hier scheint es, als ob Picasso schließlich verstanden hätte, dass selbst er, der zu einem fast mythologischen Wesen geworden war, dem unausweichlichen Tod in Kürze gegenüber treten würde.